Ahlfeld, Friedrich - Cholerapredigten - 3. Sonntag nach Trinitatis 1849.

Ahlfeld, Friedrich - Cholerapredigten - 3. Sonntag nach Trinitatis 1849.

II. Herr, was willst Du?

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Text: 2. Samuelis 24.
Und der Zorn des Herrn ergrimmete abermals wider Israel, und reizte David unter ihnen, dass er sprach: Gehe hin, zähle Israel und Juda. Und der König sprach zu Joab, seinem Feldhauptmann: Gehe umher in allen Stämmen Israel von Dan an bis gen Berseba, und zähle das Volk, dass ich wisse, wie viel sein ist. Joab sprach zu dem Könige: Der Herr, dein Gott, tue zu diesem Volk, wie es jetzt ist, noch hundertmal so viel, dass mein Herr, der König, seiner Augen Lust daran sehe; aber was hat mein Herr König zu dieser Sache Lust? Aber des Königs Wort ging vor wider Joab und die Hauptleute des Heers. Also zog Joab aus und die Hauptleute des Heers von dem Könige, dass sie das Volk Israel zähleten. Und gingen über den Jordan, und lagerten sich zu Aroer zur Rechten der Stadt, die im Bach Gad liegt, und zu Jaeser; und kamen gen Gilead, und ins Niederland Hadsi; und kamen gen Dan-Jaan, und um Zidon her; und kamen zu der festen Stadt Tyrus, und allen Städten der Heviter und Cananiter, und kamen hinaus an den Mittag Juda gen Berseba. Und zogen das ganze Land um, und kamen nach neun Monaten und zwanzig Tagen gen Jerusalem. Und Joab gab dem Könige die Summe des Volks, das gezählet war. Und es waren in Israel acht hundert mal tausend starke Männer, die das Schwert auszogen, und in Juda fünf hundert mal tausend Mann. Und das Herz schlug David, nachdem das Volk gezählet war. Und David sprach zum Herrn: Ich habe schwerlich gesündiget, dass ich das getan habe; und nun, Herr, nimm weg die Missetat deines Knechts, denn ich habe sehr törlich getan. Und da David des Morgens aufstand, kam des Herrn Wort zu Gad, dem Propheten, Davids Seher, und sprach: Gehe hin, und rede mit David: So spricht der Herr: Dreierlei bringe Ich zu dir; erwähle dir derer eines, das ich dir tue. Gad kam zu David, und sagte es ihm an, und sprach zu ihm: Willst du, dass sieben Jahre Theurung in dein Land komme? Oder, dass du drei Monate vor deinen Widersachern fliehen müssest, und sie dich verfolgen? Oder, dass drei Tage Pestilenz in deinem Lande sei? So merke nun und siehe, was ich wieder sagen soll dem, der mich gesandt hat. David sprach zu Gad: Es ist mir fast angst; aber lass uns in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist groß; ich will nicht in die Menschen Hände fallen. Also ließ der Herr Pestilenz in Israel kommen, von Morgen an bis zur bestimmten Zeit, dass des Volks starb, von Dan an bis gen Berseba, siebenzig tausend Mann. Und da der Engel seine Hand ausstreckte über Jerusalem, dass er sie verderbete, reuete es den Herrn über dem Übel, und sprach zu dem Engel, zu dem Verderber im Volk: Es ist genug, lass nun deine Hand ab. Der Engel aber des Herrn war bei der Tenne Arafna, des Jebusiters. David aber, da er den Engel sah, der das Volk schlug, sprach er zum Herrn: Siehe ich habe gesündiget, ich habe die Missetat getan; was haben diese Schafe getan? Laß deine Hand wider mich und meines Vaters Haus sein. Und Gad kam zu David zu derselben Zeit, und sprach zu ihm: Gehe hinauf, und richte dem Herrn einen Altar auf in der Tenne Arafna, des Jebusiters. Also ging David hinauf, wie Gad gesagt, und der Herr geboten hatte. Und da Arafna sich wandte, sah er den König mit seinen Knechten zu ihm gehen, und betete an auf seinem Angesicht zur Erde, und sprach: Warum kommt mein Herr, der König, zu seinem Knechte? David sprach: Zu kaufen von dir die Tenne, und zu bauen dem Herrn einen Altar, dass die Plage vom Volk aufhöre. Aber Arafna sprach zu David: Mein Herr, der König, nehme und opfere, wie es ihm gefällt; siehe, da ist ein Rind zum Brandopfer, und Schleifen, und Geschirr vom Ochsen zu Holze. Alles gab Arafna, der König, dem Könige. Und Arafna sprach zum Könige: Der Herr, dein Gott, lasse dich ihm angenehm sein. Aber der König sprach zu Arafna: Nicht also, sondern ich will dirs abkaufen um sein Geld; denn ich will dem Herrn, meinem Gott, nicht Brandopfer tun, das ich umsonst habe. Also kaufte David die Tenne, und das Rind um fünfzig Sekel Silber, und bauete daselbst dem Herrn einen Altar, und opferte Brandopfer und Dankopfer. Und der Herr ward dem Lande versöhnet, und die Plage hörete auf von dem Volle Israel.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Heute ist der Johannistag, der Geburtstag St. Johannis des Täufers. Kinder winden Kränze zu dem Johannistage. Es mag manchem unter seiner Johanniskrone der Gedanke an die Totenkronen in den Sinn gekommen sein, auch wohl an die Krone, von der der Herr spricht: Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben. Von diesem Johannes dem Täufer sagt der Herr durch den Mund seines Propheten Maleachi: Siehe ich will meinen Engel senden, der vor mir meinen Weg bereiten soll. Ein Engel wird Johannes da genannt. Christus nimmt das Wort wieder auf im neuen Testamente und nennt ihn auch so (Matth. 11,10). Aber es war ein gar rauher und harter Engel. Er trug einen Rock von Kamelgarn und einen ledernen Gürtel um seine Lenden. Er wohnete draußen in der Wüste und aß Heuschrecken und Wildhonig. Seine Predigt war auch nicht weich und sänftiglich eingerichtet. Er dachte nicht daran, mit faulem, leichtem Trost die Herzen der Menschen stille zu machen, und sie mit dem süßen Schlaflied von Entschuldigungen, das die Leute so gern hören, in tote Sicherheit einzuwiegen. Es kam ihm nicht in den Sinn, ihnen Opium oder Mohnsaft zu geben, damit sie den innern Tod nicht fühlten. Er fasst sie an mit scharfer Rede: „Es ist von den Bäumen die Axt an die Wurzel gelegt. Ein jeglicher Baum der nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Er sagt den großen Herren von Jerusalem: „Ihr Otterngezüchte, wer hat euch geweiset, dass ihr dem zukünftigen Zorn entfliehen sollt.“ Und doch heißt er ein Engel. Ja er war auch einer, er wollte die Leute aus der Sünde zum Herrn ziehen. Das ist Engelsarbeit. Die Leute lernten fragen: Was sollen wir tun, dass wir selig werden. -

Teure Gemeinde, Gott der Herr hat auch uns einen Boten, einen Engel gesandt. Ihr kennt ihn. Er ist noch rauher als Johannes. Seine Rede ist kurz: „Bestelle dein Haus, denn du musst sterben. Eile, denn du hast nicht viel Zeit.“ Die Person sieht er so wenig an wie Johannes. Nach Rang und Stand fragt er so wenig wie der Täufer. Er greift die Menschen an mit harter kalter Hand. Er steht auch am Jordan. Denn der Jordan strömt hinunter in das tote Meer. Und wo er hintritt, da stehen wir am Abhange zum Meere des Todes. -

Sein Gang ist der Tod. Sein Nachlaß, wenn er fort ist, sind Witwen, Waisen, Tränen und Grabhügel. Liebe Christen, Israel hat bei seinem rauhen Engel etwas gelernt. Sie fragten: Was müssen wir tun, dass wir selig werden? Sie bekannten ihre Sünden. Sie ließen sich taufen mit der Taufe der Buße. Sie ließen sich die Augen öffnen auf den Heiland, der da kommen sollte. Wollen wir von unserm Engel nichts lernen? Wollen wir schweigen, träumen, sündigen und warten bis der Herr noch einen rauhern sende? O nein, laßt es genug sein, seine Hand liegt schwer genug auf uns. Geliebte Gemeinde, bei Blitz und Donner blickt man in die Höhe und schaut, wo sie hingekommen sind. Es ist einem, als ob man fragen wollte: Herr was willst du sagen mit dieser lauten Rede? Nun hat nie ein Blitz oder Donner unsere Herzen so erschüttert und durchzittert, wie die Rede dieses Engels Gottes. Darum wollen wir auch heute unsere Häupter aufheben und fragen:

Herr was willst Du?

Antwort:

1) Dass du in dich gehest.
2) Dass du aufwärts sehest.
3) Dass du in der Heiligung fest stehest.

Du aber, du teurer Arzt aus Israel, erbarme dich unser. Hast einst so manchem Blinden die Augen aufgetan, und den Tauben das Hephata, das „tue dich auf“ in die Ohren geschrien. Komm und tritt unter uns. Hast uns vor acht Tagen erquicket mit dem Balsam, mit dem Öl deines Trostes. Gieße uns heute den Wein in die Wunden, dass die Unreinigkeit heraus komme, und wir uns dir als rechtem Arzt vertrauen. Herr, tue unsere Augen auf, dass wir sehen, von wannen unsere Not kommt, und wo du mit uns hinaus willst. Tue unsere Ohren auf, dass wir die gewaltige Predigerin hören. Ja tue es, so lange die Augen noch nicht gebrochen sind, tue es, so lange die Stille des Todes noch nicht auf den Ohren liegt. Amen.

I. Dass du in dich gehest.

Unser biblischer Abschnitt fällt in die Zeiten des Königs David, wo er äußerlich in ungetrübtem Glücke dastand. Längst vorbei waren die Tage, wo er vor dem Könige Saul flohe, wo er aus einer Höhle in die andere, aus einer Bergkluft in die andere, aus einer Wüste in die andere eilte, um den Verfolgern zu entgehen. Er war König über ganz Israel. Überwunden waren die Nachbarfürsten der Syrer, Philister und Amoriter. Sie beugten sich vor ihm und brachten Geschenke. Fest stand sein Reich. Einen Umfang hatte es gewonnen, wie es ihn weder vorher noch nachher wieder gehabt hat. Da hörte es eine Weile bei ihm mit dem Psalmensingen auf. Da hing die Harfe an der Wand, und das Gedächtnis seiner Sünden und der tägliche und stündliche Aufblick zu Gott war daneben gehängt. Und wie der König lass und lau geworden war im Dienste des Herrn seines Gottes, so war es das Volk auch. In dieser Zeit wollte der König sein Volk zählen. In unserm Texte stehet: Gott reizte den David dazu. Ihr wundert euch dieses Ausdruckes. Aber denkt einmal an das andre Wort: „Ich bin der Herr dein Arzt.“ Ein rechter Arzt treibet wo möglich die Krankheit, die im Innern schleichet, heraus in die äußern Gliedmaßen. Ein böses Geschwür, das auf dem Knochen frisst, muss aufkommen. So treibet Gott der Herr die Sünde, die im Innern schleichet, oft heraus in die Tat. Da sehen wir, was wir an ihr haben, da sehen wir, welche Frucht sie uns bringt. Gott treibet die innere Krankheit Davids heraus, damit sie ihm in der Verborgenheit das Herz nicht abfresse. Wenn dein Hochmut, deine Geldgier, deine Lüge offenbar werden, kann ein Prophet Gad kommen und dich im Namen Gottes dafür strafen. Jeder deiner Freunde kann dich dafür strafen. Darum treibet Gott die Sünde heraus ans Tageslicht. Wenn das Feuer im Verborgenen brennt, dann sieht man wohl Rauch und riecht den Brand, aber man kann noch nicht angreifen. Ist die Flamme hervorgebrochen, dann ists allerdings weiter gediehen, aber man kennt auch die Stelle und weiß, wo man Wasser und Lauge hingießen soll. -

David wollte sein Volk zählen lassen. Ist das denn etwas so besonderes? Wird nicht unser Volk nach etlichen Jahren immer wieder gezählt? Haben wir nicht Tabellen über die meisten europäischen Völker? Was graut es denn dem alten Kriegsfürsten Joab so? Der fürchtete sich vor keiner Arbeit. Er war im Kriege grau geworden. Warum spricht er: „Warum hat mein Herr König zu dieser Sache Lust?“ Joab hatte dem David ins Angesicht gesehen. Er wusste, wo es fehlte. Der Hochmut hatte den König angestochen, wie ein böser Wurm eine schöne Frucht. Luther sagt: „Dass dir die Vögel über dein Haupt fliegen, kannst du ihnen nicht wehren, dass sie aber Nester in deinen Haaren bauen, kannst du ihnen wehren.“ Bei David hatten die Vögel, die hochfliegenden, stolzen Gedanken, Nester gebaut. An seine Sünden dachte der König nicht, an den Herrn seinen Gott, den rechten Kriegsmann, der da heißet Jehovah Zebaoth d. h. Herr der Heerschaaren, der Israels Wagen und seine Reiter sein wollte, der mit wenigen viel ausgerichtet hatte, dachte er auch nicht. Seine Seele war voll von seiner Macht. Die Hunderttausende, über die er gebieten konnte, schwellten ihn auf. Unter den großen Zahlen hatte er die erste Eins, den einen vergessen. Das war die Sünde in der Zählung. Joab ging mit widerwilligem Herzen. Er wäre lieber zu Hause geblieben. Er wusste, wer ihm in den schweren Kämpfen den Sieg verliehen hatte. Er vollendete auch das Werk nicht einmal. Levi und Benjamin zählte er nicht mit. Er kam wieder und gab dem David die Zahlen. 800.000 Männer, die das Schwerdt ziehen konnten, waren in Israel, und 500.000 in Juda. Nun hatte David, was er haben wollte. Er hatte die langen Tabellen, die großen Zahlen vor sich, aber ein zerschlagenes Herz hatte er in sich. Schon ehe die Plage kam, ging er in sich. „Ich habe schwerlich gesündigt, dass ich das getan habe,“ spricht er schon vorher. Dann werden ihm vom Propheten Gad drei Strafen vorgelegt, ob er sieben Jahre Theurung haben, ob er drei Monate vor seinen Widersachern fliehen, oder ob er drei Tage Pestilenz im Lande dulden wolle. Da antwortete er: „Mir ist fast Angst, aber lass uns in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist groß. Ich will nicht in der Menschen Hände fallen.“ Und als die Züchtigung hereinbrach, als er den Engel sah, der das Volk schlug, trat er als ein rechter König vor den Herrn. Obwohl das Volk mit dem Könige gesündigt hatte, gibt er sich doch allein der Sünde schuldig: „Siehe, ich habe gesündigt, ich habe die Missetat getan. Was haben diese Schafe getan? lass deine Hand wider mich und meines Vaters Haus.“ Da haben wir einen König, der in sich gehet, der sein Herz prüfet und in Demut vor seinem Gotte seine Sünde bekennt. Königlich hatte er gesündigt, königlich ist auch sein Bekenntnis und seine Buße.

Teure Gemeinde, dieser König hatte sein Volk gezählet. Er war mit seinen Gedanken draußen gewesen. Die göttliche Heimsuchung führte ihn in sich hinein. Wir sind keine Könige, wir haben kein Volk zu zählen, es sei denn das Häuflein der Kinder, das uns Gott gegeben hat. Und doch, und doch haben wir auch das Volk und die Macht gezählet, die wir aufstellen könnten vor unserm Gotte. Wir haben die Güter gezählet, auf die wir uns meinten verlassen zu können; auch die Freunde, von denen wir dachten, dass sie uns zur Seite ständen; auch die Mittel, mit denen wir uns durch schwere Zeiten hindurchwinden wollten. Wir haben auch die guten Werke gezählet, die eine Macht vor Gottes Angesicht sein sollten. Aber unsere Sünden, wann haben wir die gezählet? Wir können sie nicht zählen, sie sind mehr, denn der Haare auf unserm Haupte. Wann aber haben wir auch nur die Grundfehler des Herzens durchgemustert, aus denen als aus Wurzeln die einzelnen Übertretungen erst hervorwachsen? Wann haben wir uns gestraft um Gottvergessenheit, um Hochmut, um Lüge? Es ist so selten gekommen. Wir sind zu viel draußen gewesen, um den Stand unserer Herzen haben wir uns zu wenig bekümmert. Jetzt heißt es denn recht: Geh hinein in dich! Ach siehe, wie die Heimsuchung Gottes hineintreibet. Zuerst treibt sie die Familienglieder recht eng zusammen. Der früher gern seine Freude draußen suchte, er sammelt sich zu den Seinen. Der Familienkreis wird enger, inniger, trauter. Man weiß nicht, wie lange man sich noch hier hat. Die sonst haderten unter einander, werden stille und friedlich. Es könnte ja der Tod dazwischenfallen, und könnte sie in Feindschaft wegreißen. Man will die Tage noch in herzlichem Frieden mit einander zubringen. Das ist schon eine Frucht der Heimsuchung. Der Herr treibet hinein.

Er treibet auch sonst hinein. Nie hat man mehr in seinen Körper geschauet, und mehr auf jede krankhafte Regung in demselben geachtet als jetzt. Doch, lieber Christ, es gibt noch ein tieferes hinein. Wie jener König hineinschaute in sein Herz, in seine Sünde, so schaue du auch hinein. Lausche auf die kranken Regungen in deiner Seele, die den ewigen Tod als Frucht haben können. Was du lange versäumt hast, dazu gibt Gott der Herr jetzt Musse und Stille. Wie ein Vater im Winter, wenn die Arbeit draußen ruhet, sich mehr in das Haus zurückzieht, sich mehr um die Seinen kümmert, so ziehe du dich in diesen Wettern der Trübsal in dich zurück. Kümmere dich um dein innerstes, teuerstes Heiligtum. Schon ein alter Heide hat das Wort ausgesprochen, dass der Mensch nie besser sei als in der Krankheit. Es ist wohl wahr, dass da mancher Eigensinn, manches Murren, mancher Kleinmut aufsteigt: Aber wir machen mehr umgekehrte Erfahrungen. Der natürliche Mensch wird schwach. Der Mensch aus Gott geboren gewinnt in der stillen Zeit leichter die Oberhand. Zornige, die sonst ihrer Heftigkeit nicht steuern konnten, werden sanft wie die Kinder. Kalte, von denen die Ihrigen selten einen freundlichen Blick bekamen, werden warm. Ihr Auge führt eine Sprache der Liebe, ihr Händedruck und ihr Wort ist auch Liebe. Wenn denn in der Krankheit die meisten Menschen schon besser sind als sonst, so sehen wir daraus recht deutlich, wie die Krankheit zur Buße führen soll, sowohl die, welche sie trifft, als auch die, an denen sie vorübergeht. Da soll man fragen: Herr, was willst du? Und die zweite Antwort lautet:

II. Dass du aufwärts sehest.

„Deine Barmherzigkeit ist groß“ spricht David, Bei seinem Gotte sucht er Gnade und Vergebung der Sünden, seinem Gotte gelobt er Buße. Er wusste, wo der Helfer wohnt. Er hatte in andern Zeiten den 40. Psalm gesungen: „Ich harrete des Herrn und er neigte sich zu mir und er hörete mein Schreien; und zog mich aus der grausamen Grube und aus dem Schlamm und stellete meine Füße auf einen Fels, dass ich gewiss treten kann. Und hat mir ein neu Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unsern Gott. Das werden viele sehen und den Herren fürchten und auf ihn hoffen. Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn und sich nicht wendet zu den Hoffärtigen, und die mit Lügen umgehen. Du aber, Herr, wollest deine Barmherzigkeit von mir nicht wenden; lass deine Güte und Treue mich behüten.“

Teure Gemeinde, die katholische Kirche hat für schwere Trübsale eine besondere Sitte. Es werden dann Processionen, Bet- und Bittgänge veranstaltet. Das heilige Sakrament, Heiligenbilder und Kreuze werden vorausgetragen und die Scharen des Volkes folgen betend nach. Welches sind die Bitt- und Betgänge der evangelischen Kirche? Wenn jeder Hausvater mit seiner Familie die Knie beuget, und Gott anrufet um Erbarmen und Erlösung. Wenn jedes Herz sich demütiget vor seinem Gotte in Buße und Gebet. Das Allerheiligste, das da vorangetragen werden soll, ist das teure Verdienst Jesu Christi. Rufen sollen wir: „Herr, erbarme dich unser um deines lieben Sohnes willen. Hast ihn für uns gegeben, wie solltest du uns in ihm nicht alles schenken? Hast ihn für uns in den Tod gegeben, wollest uns um seinetwillen das Leben geben.“ Und diesem Allerheiligsten sollen nachgetragen werden alle falsche Götzen, denen wir gedienet haben. Fahre hin Welt mit deiner schnöden Lust. Du hast mich betrogen. Ich halte mich an den Herrn meinen Gott. Seine Gebote fasse ich mir zu Herzen. Seine Gnade ist meine Zuflucht. Fahre hin eitler Stolz mit deinen Träumen und Luftschlössern. Ich weiß es, dass ich mein Leben mir auch nicht eine Stunde bewahren kann. Der Herr ists, dessen Aufsehen Leben und Odem erhält. Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffliegen mit Flügeln wie die Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. Mein Heiland nimmt die Sünder an. Mein Heiland verbindet und heilet die Wunden. Zu ihm will ich. Er gibt den Zukehrenden Kraft ihm nachzufolgen, auch auf dem Dornenwege des Todes. -

Jetzt ist die Zeit solches Aufblickes, heut ist die angenehme Zeit. Der Herr will aus dem Tage des Unheils einen Tag des Heils machen. Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, eine Turteltaube, Kranich und Schwalbe merken ihre Zeit, wenn sie wiederkommen sollen; sollte mein Volk das Recht des Herrn nicht wissen, sollte mein Volk die rechte Zeit nicht merken, wo es wiederkommen soll? Jetzt ist die Zeit. Und so wir denn dastehen bußfertig nach innen, gläubig nach oben, so wird der Herr auch den Engel senden, der sich hinstellt auf die Trübsalstenne und spricht: „Es ist genug“. Ja Herr, du allein kannst der Not steuern, du kennst die zerschlagenen Herzen, du hast die Seelen weich gemacht. Die du gezogen hast mit der schweren Heimsuchung, die wollest du fürder ziehen mit Erbarmung. Laß nach mit deinem ausgereckten Arm. Wir wissen, was du tun kannst, dass uns niemand aus deiner Hand erretten kann. Der Herr wolle uns regnen mit einer reichen Frucht dieser bösen Zeit. Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünket sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein. Darnach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die das durch geübet sind. Auch für uns muss diese Frucht kommen. Er will, dass du

III. In der Heiligung feststehest.

David ging hinaus an die Stätte, da der Engel, der das Land schlug, gestanden hatte. Er wollte die Tenne kaufen von Arafna, dem übergebliebenen Jebusiterkönig. Der König wollte sie kaufen vom Könige, um daselbst dem Herrn einen Altar zu bauen. Arafna sagte ihm: „Mein Herr nehme und opfere. Siehe, da ist ein Rind zum Brandopfer und Schleifen und Geschirr vom Ochsen zu Holz.“ Noch fügte er hinzu: „der Herr, dein Gott, lasse dich ihm angenehm sein.“ Aber David antwortete Arafna: „ Nicht also, sondern ich will dirs abkaufen um sein Geld, um den Preis, den es wert ist. Ich will dem Herrn, meinem Gott, nicht Brandopfer tun, die ich umsonst habe. Also kaufte er die Tenne um 50 Säckel Silbers und opferte dem Herrn Brandopfer und Dankopfer. Brandopfer zur Versöhnung. Drinnen aber brannte das Feuer der Reue im Herzen. Dankopfer opferte er dafür, dass Gott ihn zur Buße geführt hatte; zugleich auch im Glauben an die göttliche Treue und Barmherzigkeit für die Erlösung von dem Übel, deren der bußfertige Mann gewiss war. Und der Herr ward dem Lande versöhnet, und die Plage hörete auf von dem Volke Israel.

Wisset ihr, was später aus dieser Stätte Arafna geworden ist? Als David alt war, hat er sie ausersehen und zugerichtet zum Tempelbau, und Salomo sein Sohn hat an der Stätte den Tempel gebauet, in dem die Ehre Gottes und die Hoffnung Israels Jahrhunderte lang gewohnt hat. Die Tenne Arafna war die Stätte auf dem Berge Morijah, von der es später heißt: In Zion hat der Herr sein Feuer, in Jerusalem seinen Herd.

Geliebte Christen, gerade auf der Stätte, wo uns der Herr geschlagen hat, da wollen wir ihm einen Altar, einen Tempel bauen. Gerade aus den Zeiten, wo er uns so tief betrübt hat, sollen seine Mauern herauswachsen. Aber aus dem Leben Davids wollen wir uns zuerst das herausnehmen: Jeder soll selbst diesen Altar und Tempel bauen. Nicht auf fremde Kosten wollen wir ihn bauen. Ich will Buße tun für meine Sünden. Ich will mich nicht umschauen nach andern, die sie tun sollen. Ich will mich aufs innigste im Glauben an ihn anhängen. Ich will mich nicht umschauen nach andern, die das zerrissene Band wieder anknüpfen sollen. -

Kommen wir auf den Gottesdienst in diesem Tempel. Jeder Gottesdienst hat zwei Teile und Seiten: Glaube und Liebe. Alle Sünde, gegen die gepredigt wird, ist zerrissener Glaube und erkaltete liebe, erkaltete Liebe gegen Gott und Menschen. Auf dieser Tenne Arafna soll dein Glaube wieder zur hellen Flamme werden. Fragst du: Wer hat die große Tat an unserer Stadt getan? Der Herr hat sie getan. Wozu hat er sie getan? Dass wir ihn erkennen als den, der unser einiger Herr ist. Dass wir lernen die Überschrift seiner Gebote: Ich bin der Herr dein Gott. Warum hat er aber unsere Stadt so mächtig getroffen? Warum hat er sie geschlagen vor allen Städten Europas? Was in Breslau geschehen ist, ist nach Verhältnis ein Geringes gegen das, was er an Halle getan hat. Die alte Sündenstadt in Frankreich, Paris, hat seit mehr denn 50 Jahren Inzucht, Aufruhr, Krieg, Verführung der Völker über ganz Europa ausgespien wie ein Vulkan, der einmal eine Weile nachlässt, um dann wieder desto ärger zu beginnen. Sie ist nach Verhältnis nicht so hart getroffen wie wir. Warum denn nun gerade unsere Stadt? Wer kann da eindringen in die Wunderwege Gottes. Aber wir möchten antworten: Es liegt ihm diese Stadt am Herzen. Er hat in derselben sein Volk. Ein rechter Vater will seine liebsten Kinder am meisten läutern. Mit Petrus und Johannes hat der Herr unter allen Jüngern die schärfsten Worte geredet und doch waren sie die, welche ihm am nächsten standen. Johannes hat an seiner Brust geruhet. -

So soll uns denn diese Zeit auch nicht zu Missglauben und Verzweiflung bringen. Der Altar und Tempel des Glaubens soll stehen auf der Tenne Arafna. Wenn du mich demütigest, machst du mich groß. Wenn du mich tödtest, will ich doch auf dich hoffen. Es soll mich weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Fürstenthümer, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist unserm Herrn. Wo mir ein teurer Verwandter gestorben ist, da soll mir die Sterbestätte ein täglicher Ruf sein der Welt abzusterben und Christo zu leben. Wo er begraben ist, da soll mir die Stätte ein steter Ruf sein, dass ich mit Christo täglich begraben werde in den Tod, auf dass ich, wie Christus ist von den Toten auferstanden, also auch in einem neuen Leben wandele. Das ist der eine Dienst in dem Tempel auf der Trauertenne.

Aber es gibt noch den zweiten. „Ein reiner, unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der, die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt erhalten“ sagt Jacobus. Und Sirach: „Beschwere dich nicht, die Kranken zu besuchen, denn um deswillen wirst du geliebet werden.“ Vom wem? Von den Kranken? Ja, von denen. Aber auch von deinem Herrn, der so viele Kranke besucht hat.

Höret, geliebte Gemeinde, die allgemeine Not gehet uns ans Herz. Witwen und Waisen sind viele da, auch in unserer Gemeinde. Mit ihnen trauern und weinen ist eine schöne Sache. „Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden“ ruft uns die Schrift zu. Aber das reicht nicht aus. Die Not ist groß, viele kennen wir gar nicht. Mancher Stille ist da, der denkt: Leide, meide, dulde und trag, Deine Not niemandem klag, An Gottes Hilfe nie verzag, Sein Trost kommt alle Tag. Das ist wahr: „Sein Trost kommt alle Tag.“ Aber er lässt heut zu Tage nicht Manna aus freiem Himmel regnen wie einst in der Wüste. Christenherzen sollen die Höhen und Wolken sein, aus denen das Manna herniederfällt. Dazu hat er ja diesen großen Bruderbund gegründet. Darum hält er zurück mit seinen Wundern, weil die brüderliche Liebe diese Wunder ersetzen soll. Sein Werk aber ist das, dass er die Herzen dazu weckt und regiert, und wiederum das, dass er ihnen die Liebe segnet. Wer den Armen gibt, wer sich der Witwen und Waisen annimmt, der leihet Gott. Der Herr aber wird keinem etwas schuldig bleiben. Wer seinen Bruder letzt mit einem Trunke kalten Wassers, dem soll es wiedervergolten werden. -

Also auf der Trauertenne Arafna soll der Gottesdienst der brüderlichen Liebe recht treu und eifrig betrieben werden. Viele unserer Witwen-, Waisen-, Armen- und Krankenhäuser stehen auf Arafnatennen. In oder gleich nach den Zeiten des Hungers, der Pest oder des Krieges sind sie erbauet. -

Und nun noch eins. Wandelt vorsichtiglich, wie sich gebühret. Seid mäßig und nüchtern. Das ist fürwahr ein schlechter Wirth, der um eine Kirsche zu essen, den ganzen Zacken herunterbricht. Aber der ist noch ein viel schlechterer, der um einen guten Tag oder um eine gute Stunde, wo er nach seiner Begierde lebet, den ganzen Ast seines Lebens herunterbricht. Jener Ast vom Kirschbaum trägt keine Frucht mehr. Dieser Lebenssaft trägt auch keine mehr. Denke an Johannes und an das, was er von den unfruchtbaren Bäumen sagt! Es ist kein gut Zeugnis für den Christenwandel, dass nach den lieben Festen, nach Himmelfahrt, nach Pfingsten und nach dem letzten Sonntage die Krankheit neuen Aufschwung gewonnen hat. Wären die Feste recht in Mäßigkeit und Stillesein gefeiert, so sollte eher mancher Schwache in den Tagen genesen sein, als dass der Kranken mehr wurden. Der Leib ist ein Tempel Gottes. Du sollst den Tempel Gottes nicht verderben, sondern ihn erhalten zu seiner Ehre. Der Herr gebe Gnade dazu und seinen heiligen Geist. Amen.

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