Ahlfeld, Johann Friedrich - Jesu Christi Tagesordnung.

Ahlfeld, Johann Friedrich - Jesu Christi Tagesordnung.

(Jubilate 1848.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Ev. Joh. 16, V. 16 - 23.
Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen; und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen: denn ich gehe zum Vater. Da sprachen Etliche unter seinen Jüngern unter einander: Was ist das, das er sagt zu uns: Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen, und dass ich zum Vater gehe? Da sprachen sie: Was ist das, das er sagt, über ein Kleines? Wir wissen nicht, was er redet Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Davon fragt ihr untereinander, dass ich gesagt habe: Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und heulen, aber die Welt wird sich freuen; ihr aber werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden. Ein Weib, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, dass der Mensch zur Welt geboren ist. Und ihr habt auch nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll Niemand von euch nehmen, Und an demselben Tage werdet ihr mich Nichts fragen.

In dem Herrn geliebte Gemeinde. Eine eigene Tageseinteilung hatte das Volk Israel. Wir fangen unsern Tag in der Mitternachtsstunde an und schließen ihn in der Mitternachtsstunde. Also ist Nacht sein Anfang und Nacht wiederum sein Ende. Aus der Nacht ist er geboren, und in die Nacht verläuft er sich wieder. Es ist dies im Grunde eine heidnische Teilung. Aus der Finsternis wird der Tag und der Mensch geboren; in die Finsternis geht der Tag und der Mensch verloren. Man weiß nicht, von wannen er kommt, man weiß nicht, wohin er geht. Anders bei dem Volke Israel. Sie begannen ihren Tag am Abend. Die letzten Lichtstrahlen der scheidenden Sonne, das letzte Licht vor der Nacht war der Anfang des Tages, dann folgte die Nacht; und aus der Nacht ging hervor der Hauptteil des ganzen Tages, der neue Tag. So war sein Anfang Licht. Dieses wurde unterbrochen durch eine lange Finsternis. Dann aber folgte das neue Licht, und dieses hielt aus und stand fest, bis der Tag zu Ende ging. Das Stück Nacht war eingeschlossen in die beiden hellen Tagesteile. Daher steht gleich im ersten Kapitel des ersten Buches Mosis sechsmal: Da ward „aus Abend und Morgen“ der erste, der zweite bis der sechste Tag. - In der bürgerlichen Ordnung ist diese Weise, den Tag zu rechnen, gewichen. Nur das Volk Israel hält sie noch fest. Aber der, der das Haupt des neuen Israels ist, Jesus Christus, hält sie auch fest. Steht diese Ordnung nicht mehr in den Kalendern, so steht sie doch auf allen Seiten der Geschichte der christlichen Kirche, so steht sie doch mit unauslöschlichen Buchstaben in jedem christlichen Herzen. Und wenn wir die ganze große Geschichte der Welt zusammenfassen in einen Tag, so führt auch dieser die Unterschrift: „Da ward aus Abend und Morgen der eine Tag.“ Und die ganze lange Nacht der Finsternis der Sünde und des Todes liegt dazwischen. Wir stellen uns heute als Hauptgedanken unserer Andacht:

Jesu Christi Tagesordnung.

  1. In der Apostel Leben.
  2. Im Leben jedes Christen.
  3. Im Leben der ganzen Kirche.

O Herr Jesu, tue uns die Augen auf, dass wir recht erkennen, wo wir in deiner Führung, wo wir auf deinen Wunderwegen stehen. Und wenn wir uns sagen müssen, wir stehen in der Nacht, wo die Sonne der Gnade ihr Angesicht verborgen hat, oder wir stehen am Abend, wo sie ihr Angesicht verbergen will, dann lass uns helle aufgehen das Licht deines Wortes, dass es uns bezeuge: Es muss doch Morgen werden, es muss doch ein Tag der Ehre des Herrn und unseres Heils kommen. Amen.

l. Christi Tagesordnung im Leben der Apostel.

Unser Evangelium fällt, in dem Herrn geliebte Gemeinde, in die letzten Tage vor der Gefangennehmung und Kreuzigung Jesu. In den Tagen vor dem grünen Donnerstag schließt er seinen Jüngern sein Herz und seines Vaters Rat noch recht auf. Wenn der nahende Tod sonst die Herzen der Menschen aufschließt, dass man den wohl unterdrückten, aber noch nicht getöteten Unglauben, die wohl unterdrückte, aber noch nicht getötete Sünde sieht, so sieht man an ihm in diesen Tagen die lauterste Heiligkeit hervorbrechen. Noch hatten die Jünger ihre Freude; der Bräutigam war noch bei ihnen. O sie hatten eine selige Zeit bei ihm verlebt! Lieblich waren die Tage ihrer Bekehrung. Reich begnadigt waren sie dadurch, dass sie gesehen hatten, was Propheten und Könige zu sehen wünschten und doch nicht gesehen hatten. Sie sahen seine Herrlichkeit, als die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Sie saßen so recht unter dem Schirm des Höchsten und unter dem Schatten seiner Gerechtigkeit. Ihnen war wohl. Sie waren, so weit sie sein waren, die Seligen in jenem Geschlecht. Da fängt Christus an: „Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen.“ Aber sie verstanden das Wort nicht. Sie sprachen unter einander: „Was ist das, das er sagt: Über ein Kleines? Wir wissen nicht, was er redet.“ Und sie fingen an ihn zu fragen, was das bedeuten solle. Da gibt er ihnen Antwort. Aber die Antwort lautet wie ein Sturm und Donner, mitten an einem schönen lieblichen Tag. Die Antwort lautet wie ein Schlachtruf mitten im Frieden, wie Tod mitten im Leben: Ehe das völlige neue Leben geboren wird, muss ich in den Tod gehen. Ehe der völlige Tag über eure Seelen kommt, muss die finsterste Nacht hereinbrechen. Ihr werdet weinen und heulen, und die Welt wird sich freuen; ihr aber werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden. Ein Weib, wenn sie gebiert, hat sie Traurigkeit. Ohne die schwere Stunde, ohne Schmerz und Geschrei hat sie nimmer die Freude, dass das Kind zur Welt geboren ist, dass sie es in ihre Arme nehmen kann. Ehe ihr euch recht eurer Erlösung freuen könnt, da müsst ihr hinunter in die Traurigkeit. - Und sie haben hinunter gemusst. Voll Trauerns haben sie der Gefangennehmung, dem Gericht, der Kreuzigung, dem Tod und dem Begräbnis des Herrn zugesehen. Da hat man mit Fingern auf sie gewiesen. Da hieß es von ihnen: Das sind die Toren, die auch an ihn geglaubt haben. Nun liegt ihr Held und ihr Glaube im Grab. Er ist getötet wie ein Missetäter. Da feierte die Welt ihr Jubilate. Aber hinter jener Trauerweissagung des Herrn stand eine zweite, eine selige Freudenweissagung. Nach dem ersten: „Über ein Kleines“ kam noch ein zweites: „Und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen. Aber eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden. Wenn sie aber das Kind geboren hat, gedenkt sie nicht mehr der Angst, darum dass der Mensch zur Welt geboren ist. Ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll Niemand von euch nehmen.“ Dann feiert ihr euer Jubilate, und das Jubilate der Welt ist verstummt. - Und Er hat sie wieder gesehen, am Auferstehungsmorgen, am Auferstehungstag, am Auferstehungsabend und hin und her in dem Land und am galiläischen Meer, bis zu dem Tag, da er auffuhr gen Himmel, vierzig Tage lang. Sie haben sich gefreut, vor Allem aber am Pfingsttag, als der Geist, der vom Vater und Sohn ausgeht, sie heimsuchte und Wohnung in ihnen machte. Er knüpfte das Band zwischen ihnen und ihrem Heilande so fest, dass es nun nicht mehr zerrissen werden konnte. Ob er schon sichtbar nicht mehr bei ihnen war, so war er nun doch bei ihnen alle Tage bis an der Welt Ende. Sie lebten, sie webten, sie waren in ihm. Den Christus, der erhöht war über aller Himmel Himmel, konnte ihnen Niemand mehr nehmen und töten. Das Band, das sie mit ihm verband, den heiligen Geist, konnte Niemand mehr abschneiden. Alle Schwerter der Welt waren zu stumpf und zu grob. Wenn sie auch auf die Jünger gezückt und geschwungen wurden, sie trafen und zerschnitten das Band doch nicht. Was geistlich ist, kann auch nur geistlich gerichtet werden. Was geistlich ist, kann auch nur geistlich zerschnitten werden. Wo sie das Band nicht zerschnitten durch Sünde, da riss und schnitt die Welt vergeblich daran. Der Herr aber hatte sie durch sich und den heiligen Geist so eng an sich gezogen, er hatte sie durch sich und den heiligen Geist seine Lieblichkeit so sehr schmecken lassen, dass die Welt sie nicht mehr berücken konnte. Fortan konnte sie nicht Trübsal, oder Angst, oder Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Fährlichkeit, oder Schwert scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu unserm Herrn. Es war ihnen aus Abend und Morgen ein Tag geworden, und die kurze Nacht lag dazwischen. Es kam noch einmal eine kurze Dunkelheit, der Tod. Die Welt fürchtet sich vor ihr. denn sie ist ihr eine völlige Nacht. Ihnen aber war sie der Übergang zum vollen Tag, zum vollen Schauen des Herrn. So ward bei ihnen aus Abend und Morgen ein Tag.

II. Die Tagesordnung des Herrn in deinem Leben.

Es gibt ein altes schönes Bild des neugeborenen Christus. Er liegt in der Krippe. Joseph und Maria stehen und sitzen daneben. Die Hirten, die vom Feld hereingekommen sind, stehen in der Ferne und schauen mit dankenden und hoffenden Angesichtern auf die arme Wiege. Und oben durch das schlechte Dach scheint der Stern herein und beleuchtet mitten in der Nacht das Kindlein. Es ist ein wunderbares Licht, das auf dem Neugeborenen ruht. Mancher von euch hat in diesen Wochen dies Bild zu Gesicht bekommen. - Als du getauft wurdest, da schien die Gnade Gottes eben so auf dich und auf das Ruhekissen, auf dem sie dich zur Taufe trugen. Fragst du, wie das zugegangen ist, so diene dir die Antwort: Das Wort Gottes, das von der Gnade ausgegangen ist, rief die Gnade über dich, und ihr lichter Schein drang in dein Herz hinein, ob du es auch nicht merktest. Da geht die Sonne der Gnade über dir auf. - Es kommt aber über das Leben der rechten Christen noch ein neuer Aufgang aus der Höhe. Dies geschieht in der Zeit, da ihr Taufgelübde lebendig wird. Sie sind bisher wohl Erben gewesen. Aber der Erbe war ein Kind. Er war noch nicht in den vollen Besitz seines Erbteils getreten. Er hatte wohl den Besitztitel darüber, aber noch nicht den vollen Besitz. Nun kommt ein Tag, wo er den Reichtum der göttlichen Gnade, die ihm in Christo Jesu geworden ist, lebendig fühlt. Nun kommt ein Tag, wo er getauft wird mit dem heiligen Geist. Das sind Zeiten seliger Freude. Er sieht den Himmel offen, die Engel Gottes steigen aus und hernieder. Er steht im innigsten Umgang mit seinem Herrn. Für ihn hat Christus nicht mehr allein gelebt im jüdischen Land. Hier im Herzen ist ein neues Kanaan geworden, hier lebt er in ihm und mit ihm. Ihm ist Christus nicht mehr allein in Bethlehem geboren. Sein Herz ist Bethlehem und die Krippe geworden. Ja, da kommt Fröhlichkeit in das arme Herz. Da grünt es aus der dürren Weide. Die Frühlingsregen sind darüber gekommen. Das Herz bricht aus in Loben und Danken. Da sagen wir mit den Aposteln: „Wir können es ja nicht lassen,“ wir müssen zu aller Welt reden von dem, der uns so hoch begnadigt hat. Und wie wir seine Liebe fühlen, so lernen wir auch alle Welt lieben, auch die Feinde lieben. Wir möchten Jeden fragen: Nicht wahr, du liebst ihn auch? nicht wahr, du liebst ihn auch? Das ist Freude, das ist die seligste Freude. Wie man einen einzigen kleinen Diamant nicht hingeben mag für eine große Fahne von Flittergold, so will man auch eine Stunde dieser Freudenzeit nicht hingeben für Monate und Jahre von der Freude der Welt. Das ist die erste Liebe der Seele zu ihrem Herrn. Das ist der Brautstand der Seele zum Bund mit ihrem Bräutigam. Das ist dein Jubilate. Bleibt es denn nicht so? Kann es denn nicht so bleiben? Selten gibt es eine Seele, die seine Freundlichkeit so fühlbar und so sichtbar durch das ganze Leben begleitet. Zumeist heißt es: „Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen. Die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet traurig sein.“ Als Samuel den David zum Könige über Israel gesalbt hatte, da ging bald Davids Flucht an. Da wohnt er bald in den Höhlen der Wüste Siph, bald in Engedi, bald im Walde, bald unter seinen Feinden, den Philistern. Aber sein Königssiegel behält er doch. Wenn dich der Herr gesalbt hat mit seinem Freudenöl, dann geht es auch durch Höhlen und Wüsten, durch Feindschaft, Kreuz und Anfechtung. Sorge nur dafür, dass du dein Königssiegel behältst, dann hat es keine Not. - Wir fangen zwar an zu klagen: „Herr, du hast dein Angesicht vor mir verborgen! Ich war so reich, und nun bin ich so arm; ich war so selig, und nun bin ich zerschlagen. Sonst warst du ein lieber Hausgenosse, und nun stellst du dich, als wärst du ein Gast im Land, als wärst du ein Fremder, der nur über Nacht darinnen bleibt. Sonst bin ich gewandelt durch ein Eden, nun geh ich durch eine Wüste, durch Dornen und Disteln, da nur selten ein frischer Brunnen ist, da nur selten eine Palme steht.“ - Wie es aber in dem inwendigen Glück geht, so geht es in dem äußeren auch. Der Herr will einmal nicht eitel gute Tage den Seinen geben. Sie sind uns kein nütze. Und wir sollen ja Nachfolger unseres Heilandes sein. Schon die Heiden hatten ein Ahnen davon, dass der Mensch kein ununterbrochenes Glück haben dürfe. Sie fürchteten, dass dann das Unglück mit Macht hereinbrechen und Alles überreichlich nachholen werde, was es in den guten Jahren versäumt habe. Die Schrift aber treibt uns aller Orten dahin, dass Kreuz und Anfechtung in das Christenleben gehören. Da heißt es: „Mein Kind, willst du Gottes Diener sein, so schicke dich zur Anfechtung. Will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz aus sich und folge mir nach. Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, müssen Verfolgung leiden. Er stäupt aber einen jeglichen Sohn, welchen er aufnimmt. Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es.“ - Tief fühlte es die alte Kirche, wie das Kreuz notwendig mit in des Christen Leben gehöre. Ambrosius, Bischof von Mailand, reiste nach Rom. Unterwegs kehrte er bei einem Wirt ein und setzte sich bei ihm zu Tisch. Indessen erzählte der Wirt, er habe in seinem Leben noch kein Unglück gehabt, sein Leben sei so ganz eben und ungetrübt hingeflossen. Da steckte der Bischof sein Messer ein, stand auf und ging seine Straße weiter. Er meinte, mit Solchem könne es kein gutes Ende nehmen. - Warum aber ist für uns alle diese harte Schule so wesentlich und so nötig? Weil wir Alle noch so Vieles an uns haben, das abgeläutert und abgeschmolzen werden muss. Auch du, der du die Freundlichkeit Christi so lebendig verspürt hast, hast noch Schlackenwerk genug in deinem Herzen. Stumpf und schartig ist das Schwert des Glaubens. Das Kreuz ist der Wetzstein, an dem er geschärft werden soll. - Noch immer hängst du, der du eine Frucht Gottes aus dem Stamme Jesu Christo sein sollst, an den Fasern der Erde. Das Kreuz ist ein Sturm, der diese Frucht immer mehr losschüttelt, dass sie endlich ganz in die Hand Gottes falle. - Wie träge bist du im Gebet! Das Kreuz ist ein Wecker, der das schlafende Gebet aufwecken soll. - Auch wenn du im Glauben stehst, auch wenn du in täglicher Übung der Gottseligkeit hinlebst, so wird es eben Gewohnheit. Auch an das Licht, das da brennt, setzt sich die Schnuppe an. Da fährt der Herr mit der Schere des Kreuzes dazwischen und schneidet sie ab, dass das Licht hell brennt. - Hüte dich aber, dass dein Glaubenslicht, wenn er so hindurch fährt, nicht ganz ausgelöscht werde! An ihm liegt es nicht. Er schneidet nicht zu tief. Er züchtigt Niemand über seine Kraft. Wenn das Licht erlischt, liegt es an der matten Flamme, In den besten Fällen muss Christo die Trübsal ein Missionar sein, nicht allein an die, welchen er sie schickt, sondern auch an die, welche sie sehen. O wer doch seine Not so tragen könnte, dass Alle, die es sehen, erkennen müssten: es ist doch Etwas um den Glauben, den der Hölle Pforten nicht überwältigen können, und um die Liebe, die stärker ist, als der Tod! Ein frommer Vater der alten Kirche, der alljährlich vom Fieber geplagt ward, nannte dieses Fieber seinen lieben Hausgast, der ihn jährlich an die Liebe Gottes erinnere. Und als es einst ein Jahr ausblieb, trauerte er darüber, dass sein lieber Hausgast ausgeblieben sei. Er fürchtete, Gott habe ihn nicht mehr so lieb, weil er ihm dies Jahr keinen Boten gesandt habe, ihn zu sich zu ziehen. - Wer so, Geliebte, die Trübsal und Anfechtung tragen lernt, für den heißt es eigentlich nicht: „Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen.“ Er sieht Christum auch mitten in der Finsternis. Er wird ihn aber doch noch heller sehen, wenn es heißt: „Und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen.“ Wie lange währt es denn, dann muss die innere Anfechtung doch weichen. Und weicht sie nicht eher, so weicht sie, wenn wir hier ausgekämpft und ausgefochten haben. Und der äußeren Trübsal Ende ist gleichfalls der neue Morgen, der aus dem Tod ausgeht. Dann wird aus Abend und Morgen der eine Tag.

Du weißt, wen er will herrlich zieren
Und über Sonn' und Sterne führen,
Den führet er zuvor hinab. -

So haben wir noch übrig:

III. Des Herrn Tagesordnung in der Geschichte.

Lasst uns nur ein Stück herausnehmen, das, welches uns jetzt am nächsten liegt. Als das 18te Jahrhundert zu Grabe ging, da glaubten Viele, die Kirche Christi und das teure Wort Gottes ginge mit zu Grabe. Die Gelehrten waren zum großen Teil davon abgefallen. Sie hielten es mit den Griechen, denen die Lehre von Christo dem Gekreuzigten eine Torheit war. Der Unglaube schritt vorwärts mit Macht. Man meinte, der da gesagt hat: „Himmel und Erde werden vergehen, aber mein Wort wird nicht vergehen,“ habe sich geirrt, sein Wort vergehe auch wie Menschenwort. Da kamen die Kriegswetter von 1806-1815. Die Trübsal zog von einem Ende Deutschlands, ja Europas, bis zum anderen. Und in dieser Trübsal tat der Herr den Völkern die Augen auf, dass sie ihn wieder sahen. Er durchbohrte ihre Ohren, dass sie wieder recht hörten. Als das Blut aus den weiten Kriegsfeldern floss, da lernte man auch wieder denken an das Blut, das am Kreuz geflossen ist. Und als man rang um sein irdisches Vaterland, da lernte man auch wieder denken an und ringen um sein himmlisches Vaterland. Der Glaube ward in vielen Seelen wieder lebendig. Man schämte sich des Evangelii von Christo nicht, sondern bekannte es als eine Kraft Gottes, selig zu machen Alle, die daran glauben. Und so hat sich die Kirche des Herrn gebaut bis aus den heutigen Tag. Da hat er nun plötzlich hineingerufen: „Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen. Ihr werdet weinen und heulen, und die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet traurig sein.“ Es gibt wohl Zeiten, wo das kleinmütige Herz fragt: „Was wird nun aus der Kirche des Herrn? Was wird aus der Gemeinde der Gläubigen? Wird sie nicht in dem Toben der Völker zerrissen, zerstoßen und zermalmt werden? Seid still, der Herr sitzt im Regiment, er hält seine Tagesordnung, verdirb sie nicht an deinem Teil. Was will er mit dieser Zeit? An Allen, die er erweckt hat, ist noch so Vieles, was nicht von ihm ist. Wir haben noch irdische Stützen gehabt, die will er zerbrechen, auf dass er allein Stecken und Stab seines Volkes Israel sei. Wir haben noch andere Götter neben ihm gehabt, die Welt mit ihren Freuden, die Wissenschaft, die um ihn herumging. Diese Götter will er zerscheitern. Wir sollen wieder beten lernen: „Christum lieb haben ist besser, denn Alles Wissen. Selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden,“ Wir sind vor Sättigung mit der Nahrung der Welt noch nicht zu diesem Hunger und Durst gekommen. Dazu will er uns führen. Was will in des Herrn Tagesordnung diese Zeit?“ „Ein Weib, wenn sie gebiert, hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr der Angst, um der Freude willen, dass der Mensch zur Welt geboren ist.“ Der Herr hat uns diese Zeit gesetzt, dass sie die Geburtszeit neuen Lebens für sein Reich werden soll. Jede Geburtsstunde ist eine schwere Stunde. Und welcher ist der Mensch, der geboren werden soll? Der neue Mensch in dir, der nicht mehr hin- und herwebt, wie ein schwankendes Rohr, der nicht mehr zwischen Himmel und Erde schwebt, geteilt zwischen Gott und der Welt; der neue Mensch in dir, dessen Glaube an das göttliche Wort so fest steht, wie eine Burg, die aus Felsen erbaut, deren Füllmund1) in den alten Stein gehauen ist; der neue Mensch in dir, der mit Wort und Wandel zeugt von Jesu Christo, wie Christus von ihm zeugt vor seinem himmlischen Vater. Eine neue, lebendige Kirche soll geboren werden, die aus tiefstem Grund der Seele sagen kann: „Ein Mittler zwischen uns und Gott, nämlich Jesus Christus. Ein Gott und Vater unser aller, der da ist in uns Allen und über uns Alle und durch uns Alle. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe.“ Eine neue Kirche soll geboren werden, die in christlichem Wandel und gottseliger Zucht bezeugt, dass sie die Braut, dass sie der Leib Jesu Christi ist. Das ist der Wille Gottes an diese Zeit. - Und wenn er es denn ausrichtet, so wirst du nicht mehr trauern über die schwere Geburtsstunde dieses neuen Lebens, dieses wahrhaftigen Bundes in Christo, so wenig wie Hiob noch trauerte über seine verlorene Habe, als ihm Gott Alles zwiefältig wiedergegeben hatte. Wenn denn ersteht aus dieser schweren Zeit ein fester Glaube und ein wahrhaftiger, brüderlicher Bund derer, die an ihren Herrn glauben, dann hat Christus hier seine Tagesordnung vollendet, dann ist aus Abend und Morgen ein Tag geworden. Dann feiern wir das volle Jubilate. - Dass doch der Herr seine Gnade und seinen heiligen Geist gäbe, dass du die Zeit dieser deiner Heimsuchung nicht versäumtest, dass sie die Kirche nicht versäumte, dass sie unser ganzes Vaterland nicht versäumte! Wenn er so aus der Trübsal Freude und Frieden gebracht, wenn ihm Kinder geboren sind wie Tautropfen aus der Morgenröte, dann brauchen wir ihn auch nicht mehr zu fragen: „Herr warum ließt du die betrübte Zeit über uns kommen?“ Wir wissen es. Amen.

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Fundament
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