Ahlfeld, Johann Friedrich - Fahre auf die Höhe!

Ahlfeld, Johann Friedrich - Fahre auf die Höhe!

(5. Sonnt, nach Tr. 1848.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Ev. Lukas, 5,1-11.
Es begab sich aber, da sich das Volk zu ihm drang, zu hören das Wort Gottes, und er stand am See Genezareth und sah zwei Schiffe am See stehen, die Schiffer aber waren ausgetreten und wuschen ihre Netze: trat er in der Schiffe eines, welches Simonis war und bat ihn, dass er es ein wenig vom Land führte. Und er setzte sich und lehrte das Volk aus dem Schiff. Und als er hatte aufgehört zu reden, sprach er zu Simon: Fahre auf die Höhe und werft eure Netze aus, dass ihr einen Zug tut. Und Simon antwortete und sprach zu ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich das Netz auswerfen. Und da sie das taten, beschlossen sie eine große Menge Fisch, und ihr Netz zerriss. Und sie winkten ihren Gesellen, die im anderen Schiff waren, dass sie kämen und helfen ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Schiffe voll, also, dass sie sanken. Da das Simon Petrus sah, fiel er Jesu zu den Knien und sprach: Herr, gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch, Denn es war ihn ein Schrecken angekommen und alle, die mit ihm waren, über diesen Fischzug, den sie mit einander getan hatten; desselbigen gleichen auch Jakobum und Johannem, die Söhne Zebedäi, Simonis Gesellen. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht; denn von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie führten die Schiffe zu Lande und verließen alles und folgten ihm nach.

„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr (Amos 8,11 und 12), dass ich einen Hunger in das Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn zu hören, dass sie hin und her, von einem Meer zum anderen, von Mitternacht gegen Morgen umlaufen, und des Herrn Wort suchen, und doch nicht finden werden.“ Diese Zeiten, die der Prophet Amos, der Hirt von Thekoa, weissagt, waren gekommen. Alle Tage waren die Scharen der Hungrigen auf den Füßen, das Wort des Herrn zu hören. Wie die Bienen hinziehen, wo die Linden blühen oder die Heide auf der Heide, so zogen die Scharen hin nach dem Baum des Lebens, der da duftete Gott zu einem süßen Geruch. War er in der Wüste, so zogen sie in die Wüste; war er am Ufer des Meeres, so waren sie auch am Ufer des Meeres. Sie suchten ihn, und er suchte sie. Aber leider waren Viele da, die ihn doch nicht fanden, ob sie gleich vor ihm standen; und Viele waren, die sich nicht finden ließen, ob er sie gleich dicht vor sich hatte und mit aller Liebe nach ihnen suchte. Es war aber ihre Schuld. Sie suchten einen Anderen, als er war, und er suchte Andere, als sie bisher waren. -

Wir sehen ihn heute am See Genezareth. Er ist in das bewegte Leben am Ufer dieses Sees getreten. Die Mannschaft zweier Schiffe, von denen eines Petro gehörte, ist in halber Ruhe. Sie haben aufgehört zu fischen, sie flickten ihre Netze. Da nutzt er gleich eins der leeren Schiffe als Kanzel oder Predigtstuhl, und das Volk lagert am Ufer und hört seine Rede. Von der Rede berichtet uns aber Lukas kein Wort. „Er lehrte das Volk aus dem Schiff,“ das ist alles, was er uns erzählt. Warum schweigt er so ganz und gar? Darum, weil er uns das, was Christus gelehrt hat, nicht mit Worten, sondern mit Taten erzählen will. Ja, Geliebte, es gibt eine Schrift, eine Lehrweise, die ins Leben verfasst ist, die mit lebendigem Griffel geschrieben ist. Diese brauchte Christus gar oft. Und da erscheint er umgekehrt als wir. Wenn wir uns müde gelehrt haben, dann sind wir müde, dann sind wir am wenigsten noch zur Tat aufgelegt. Und wenn er fertig ist mit einem Lehrstück, dann führt er es ihnen gleich in der Tat vor. Er hat es erst ausgedrückt mit Worten, dann drückt er es mit dem Leben aus. Er ist wie ein Meister, der erst seinen Leuten den Riss vorlegt und dann hinterher gleich das Gebäude lebendig ausführt. Wer den Riss nicht gesehen hat, sieht aber hernach das Gebäude, der kann sich daraus den Riss denken. Und wir können uns aus dem nachherigen Werk auch deutlich genug die Predigt denken, die er vorher gehalten hat. Wir fassen sie nach dem Werk, nach dem weiteren Text in das Wort zusammen:

Fahre auf die Höhe!

Seele, die du an dem Erdenufer hangest,
Eile, dass du auf die Glaubenshöh' gelangest,
Selbst gerettet andere Seelen fangest.

Herr Jesu, führe uns auch weg vom Ufer menschlicher Sicherheit und Klugheit. Führe uns hin auf die freie Höhe des Glaubens. Gewinne du uns dort ganz und bereite uns dir zu Dienern, auch Andre zu gewinnen. Herr, rücke uns heute einmal so recht weg von den Ufern und Stützen menschlicher Zuversicht. Lass uns rechte Ruhe in dir, allein in dir finden. Amen.

I. Seele, die du an dem Erdenuser hangest.

Am Ufer des galiläischen Meeres stehen wir. Ein Häuflein Fischer hat seine Netze gewaschen. Sie sind des Fischens überdrüssig. Sie haben nichts gefangen. Sie haben die ganze Nacht am Ufer auf und ab gefischt. Und als Jesus zu Petro spricht: „Fahre auf die Höhe, dass du einen Zug tust“ - da tut es dieser nur aus Rücksicht auf Jesum und aus Gehorsam, aber noch nicht aus Glauben. Er will es dem Mann von Nazareth zu Gefallen tun. -

Teure Gemeinde, bei dieser Gelegenheit tun wir gleich einen recht klaren Blick in Petri Glauben. Mit seinem Glauben ging es ihm wie mit seinem Schiff. Mit diesem wollte er nicht weit vom Ufer weg. Am Ufer, meinte er, hätte er sonst gefangen, und wenn er wieder fangen sollte, müsste es auch da geschehen. Und mit seinem Glauben wollte er noch nicht vom Ufer des menschlichen Verstandes und der menschlichen Einsicht weg. Er kannte den Jesus schon. Er mochte ihn mehr denn einmal gehört haben. Er achtete ihn, er ehrte ihn. Sein Herz schlug zu ihm, wie zu einem hochgeehrten Freunde. Aber ein lebendiger Glaube war noch nicht da. Er ruhte mit seiner Seele noch nicht in ihm und seinem Wort. Auch wenn Jesus redete, legte er das Wort noch auf die Waage seiner Klugheit; er wog es, er prüfte es, und wenn er hier ja sagt, ist dies mehr ein Wort der Hochachtung, als des Glaubens. Noch hatte er das teure Bekenntnis nicht abgelegt: „Wir haben geglaubt und erkannt, dass du bist Christus des lebendigen Gottes Sohn. Wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ - Lieber Christ, wo liegt das Schifflein deines Glaubens? Du weißt doch, wie der natürliche, törichte Verstand irdische und himmlische Güter ansieht. Die irdischen Güter: ein schöne Fläche gutes Land, ein schönes Haus mit Brandmauern, das reiche Zinsen bringt, ein gutes Kapital, ein blühendes Geschäft, und eine gute Gesundheit dazu, die kommen ihm vor wie ein festes Land. Der alltägliche kluge Verstand redet dir ein: „Auf solche Dinge musst du halten, das ist die Hauptsache!“ Ein Weltkind lacht, wenn man ihm sagt: „Es gibt herrlichere und festere Güter.“ Es stößt dabei wohl mit dem Stab auf seinen Acker oder klopft an seine Hausmauern und spricht: „Sieh, das sind feste Güter. Ich weiß, was ich habe.“ Im Stillen muss es sich freilich auch sagen: „Acker und Haus kannst du nicht mitnehmen; dein letztes Stückchen Land ist gar klein, und dein letztes Haus ist nur eben für einen groß genug, und zwar für einen, der still liegt.“ -

Das Gebiet des Glaubens sieht die Welt und der kluge Verstand an wie ein Meer. Es ist ihm ein Ungewisses. Er zweifelt daran, ob es Grund habe. Er sagt: „Da hab' ich keinen Grund und Boden unter meinen Füßen!“ Und doch, liebe Christen, haben wir da einzig und allein festen Grund und Boden. Unser Wissen ist Stückwerk. Es kommt ein Anderer, der über uns kommt. Unsere Güter sind wie Sand am Ufer des Meeres. Die nächste Welle der Zeit spült sie fort. „Was sind unseres Lebens Güter? Eine Hand voller Sand, Kummer der Gemüter.“ Nur was wir im Glauben haben, ist das wahrhaft Gewisse. Es reicht hinüber in das Land, da keine Veränderung, da kein Wechsel mehr ist zwischen Licht und Finsternis. - Nun lieber Christ, wo liegt da das Schifflein deines Glaubens? Bist du hinausgefahren auf die Höhe? Nein, auch du, der du deinen Heiland lieb hast, auch du, der du deinen Glauben bekennst, auch du, der du den Wellenschlag von der Höhe her in deinem Herzen fühlst, auch du hältst dich noch klüglich in der Nähe des alten Ufers dieser Welt. Ja, du sagst: „Der Herr ist das Licht, das in die Finsternis geschienen hat, der Herr ist auch mein Licht.“ Aber daneben suchst du dir noch eine eigene Lampe anzuzünden. Du willst dir leuchten mit Deiner eigenen Weisheit. Du berätst dich mit Fleisch und Blut. Du ehrst ihn mit den Lippen, und doch, wenn die schwere Frage an dich kommt: „Wer soll mir leuchten durch die Kreuzgänge des Lebens?“ dann greifst du zuerst nach dem Irrlicht der Welt. -

Du sagst: „Der Herr ist mein Stecken und Stab.“ Das klingt gar schön. Aber wenn wir dein Herz so recht durchschauen könnten, so ist der Mammon, so ist deine eigene Kraft, so sind deine Freunde eine Krücke neben diesem Stab. Sage, wenn du dich stützen willst, wonach greifst du dann zuerst? Nach diesen morschen Stützen. Obgleich du weißt, dass sie gar leicht brechen, dass in ihnen der Wurm der Vergänglichkeit wühlt, so ist doch dein erster Griff nach ihnen. Obgleich du weißt, dass sie treulos sind und die Hand dessen durchbohren, der sich aus sie stützen will, so ist doch dein erster Griff nach ihnen. - Du sagst: „Der Herr ist mein Born, Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle.“ Dessen ungeachtet gräbst du dir falsche Brunnen, die kein Wasser halten. Auch du liegst mit deinem Schifflein an dem Ufer der Welt. - Du sagst: „Der Herr ist meine Gerechtigkeit.“ Das klingt gar köstlich. Das ist der echte Morgenklang der christlichen und evangelischen Kirche. Und doch, wenn du an das Gericht denkst, so fällt dir gleich das Register deines eigenen Verdienstes ein, und du hast nicht übel Lust, deinem Gott ein Exempel vorzurechnen, in dem du von ihm noch herausbekommen willst. - Bist noch nicht auf die Höhe gefahren. Hast in einzelnen Stunden Anker gelichtet, Segel gespannt und den Kompass gerichtet. Hast dich aber dann nicht weggetraut vom Ufer, weil du bange warst, du möchtest verderben. -

Hatten Jene an ihrem Ufer nichts gefangen, so fängst du an diesem noch weniger. Gerade an den Ufern leidet das Schiff die größte Gefahr. An den Ufern geht die Brandung, die das Schiff zerschellt. An den Ufern stehen die Felsen, gegen die es geworfen wird. Wisse, in diesem Halbwerk zwischen Gott und Welt hast du den gefährlichsten Standpunkt. Zuerst bist du allen Gefahren ausgesetzt. Wenn du wandelst im Rat der Gottlosen, dann bist du auch ein Gottloser; und wenn du wandelst in der Nähe dieses Rats und du fliehst nicht, dann wirst du bald ein Gottloser. Wer auf den Weg der Sünder tritt, der ist ein Sünder; wer aber neben dem Weg der Sünder hergeht und flieht nicht, der wird bald ein Sünder. Wer da sitzt, da die Spötter sitzen, der ist ein Spötter; und wer neben ihnen sitzt und flieht nicht, der wird bald ein Spötter. Wer sich hält zu den Aufrührerischen, der ist ein solcher; und wer in gutem Verkehr steht mit ihnen, der wird leicht einer werden. Das sind die Gefahren solcher Nachbarschaft. -

Auf der anderen Seite hast du keinen Segen, so du dich nicht ganz mit Herz und Seele in deinen Gott senkst. Überall fordert er ganze, gläubige, feste Herzen. „Wehe denen, die weder kalt noch warm sind, wehe denen, die da lau sind, ich werde sie ausspeien aus meinem Mund. Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade. Niemand kann zwei Herrn dienen, entweder er muss den einen lieben und den anderen hassen, oder er muss dem einen anhangen und den anderen verachten.“ Was von Israel an den Grenzen der Kanaaniter wohnte, oder was die Kanaaniter unter sich wohnen hatten, das ward ab und zu selbst in kanaanitische Sünde hineingezogen, und Gott musste durch große Trübsal diese Stämme reinigen und das Unreine herausschmelzen, was sich hineingezogen hatte. Er gibt in dies halbe Wesen nimmer seinen vollen Segen. Kannst dabei nicht innerlich fröhlich und selig werden. Nur wer sich ganz auf den Herrn wirft, nur wer danach ringt, ihm ganz zu dienen mit ganzer Treue, nur wer seinen ganzen Verlass auf ihn setzt, dem gibt er das Zeugnis des Heiligen Geistes in das Herz, dem schüttet er zur guten Stunde seine himmlische Erquickung in die Seele. So du aber an den Ufern der Welt und des Fleisches mit deinem Schifflein hin und her fährst, verstößt dich die Welt, und Gott verstößt dich auch. Was sagst du zu einem Menschen, der etwa in unserem Vaterland mit halbem Herzen dem König und mit halbem Herzen dem Feinde diente? Wer soll ihn lohnen, wer soll ihn als seinen Teil ansehen? Keiner.

Jeder wird sagen: „Du bist nicht mein, denn du bist nicht ganz mein.“ Jene Fischer fingen Nichts an ihrem Ufer. Du rettest mit dem Handeln und Schwanken zwischen Gott und Welt nicht einmal deine eigene Seele. So lange die Schiffer mit ihrer Schifffahrt sich an den Ufern hielten, ist es keinem gelungen, die neue Welt zu entdecken, - du wirst auch die Welt der Gnade und Herrlichkeit nicht entdecken. Und weil du nicht aus einem vollen, geretteten, seligen Herzen zeugen und reden kannst, wird es dir auch schwer werden, eine andere Seele zu retten. Darum fahre auf die Höhe!

II. Eile, dass du auf die Glaubenshöh' gelangest.

Der Herr spricht zu Petro: „Fahre auf die Höhe und werft eure Netze aus, dass ihr einen Zug tut.“ Petrus hätte wohl dieses Befehls lachen mögen. Nur aus Achtung und Scheu vor Jesu tat er es nicht. Er dachte: „Dort, wo ich das Ufer aus dem Auge verliere, dort in den tiefen Wassern soll ich Fische fangen!“ Er tat es nur aus Gehorsam. Du Mensch, fahre auf die Glaubenshöhe! Wo ist diese? Da, wo ich die Ufer menschlichen Verlasses aus den Augen verliere. Da, wo ich singe: „Aus Gott, und nicht aus meinen Rat“ rc. Allein zu dir, Herr Jesu Christ, Mein' Hoffnung steht auf Erden rc.“ Da wo ich mein Gut Nichts achte gegen das eine höchste Gut. Da, wo ich meine volle Schwachheit erkenne und keinen anderen stark weiß, denn den allmächtigen Gott. Da, wo ich mich als armen Sünder erkenne und keinen anderen Gerechten weiß, als Jesum Christum, in dem und durch den auch ich gerecht werden will. Da ist diese Höhe. Soll ich aber jene Güter, die ich etwa habe, wegwerfen? Nein, du sollst sie aber in die Hand des Herrn geben, dass du sie mit seinem Siegel bezeichnet wieder bekommst. Du sollst sie nicht mehr ansehen, als ob sie dein seien. Sein sind sie. -

Wie fange ich es aber an, dass ich auf die Höhe fahre? Ein Schiffer, wenn er ausfährt, lichtet die Anker, spannt die Segel, stellt das Steuer. Was von deinem Herzen in die Erde eingesenkt ist, das zieh heraus. Winde den Anker heraus aus der Tiefe. Dein Gebet, das Wort und das Sakrament, das sind die Segel, in die der Gnadenodem bläst, um dich vorwärts zu treiben. Wenn du anfängst, dein Heil allein in Christo zu suchen, dann stellst du das Steuer. Sauer wird dies Alles. Du musst dich losreißen von deinen alten Schoßsünden. Du erhältst Befehl von Gott, dass du nicht mehr hinter dich schauen sollst. Das ist schwer. Das Haupt will immer herum, wie bei Lots Weibe. Die Welt spottet deiner. Sie sagt wohl: „Der nimmt das Ungewisse für das Gewisse.“ Sie mag es nicht leiden, dass sie mit all ihrer Klugheit, mit all ihrem Prunk, mit Kunst und Wissenschaft, mit all ihren Freuden, die Tiefe, das arme, klippenreiche Ufer sein soll. Sie mag es nicht glauben, dass das alte verachtete Evangelium, über das sie sich weit hinausdünkt, mit seinem Kreuz, mit seiner Dornenkrone, mit all dem Spott, den es 2000 Jahre hindurch erduldet hat, die Höhe sein soll. Sie will es nicht glauben, dass das arme, äußerlich sonnverbrannte Christenleben einen solchen inwendigen Goldglanz hat. Sie selbst hält sich für die Höhe. Sie hat ihr Nest, wie jener König von Babel, in den Himmel gesetzt. -

Nun lieber Christ, wenn dein natürlicher Mensch nicht fort will, tu es auch einmal diesem Jesu von Nazareth zu Gefallen. Auch du, der du dich noch nicht hast finden können in seine Gottheit, in der er von Ewigkeit beim Vater war, du musst doch bekennen: „Er ist ein weiser und treuer Mensch gewesen. Sein Wort leuchtet wie geschliffener Kristall. Und eine Opferkraft hat er doch auch vor meinen Augen gehabt, in der es ihm schwer einer nachtut.“ So tue es einmal auf sein Wort wie jener Petrus, um der Achtung und Ehrfurcht willen, die er so unwillkürlich einflößt. Denke an das Wort: „So Jemand will des Willen tun, der wird inne werden, ob diese Rede von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede.“ Wohlan denn, winde die Anker aus in deiner Seele und fahre auf die Höhe! Weißt du schon, wie es dir in der ersten Zeit vorkommt? Wie wenn du nun gar nichts hättest, wie wenn du so recht klein wärst, wie wenn du so recht arm und unsicher wärst. Der Petrus dachte auch bei seinem Dahinfahren: „Da habe ich doch nichts.“ Aber wie du von der Welt abfährst, fährst du in ihn hinein. Als Petrus mit ihm hinsteuerte, da bekam er immer mehr Verlass auf ihn. Auch in dich zieht ein die Sicherheit, dass du in Gott ruhst, und die Größe, dass du Gottes Kind bist, und der Reichtum, dass du alle Güter für Nichts achtest gegen die überschwängliche Gnade. Dann wird es dir eine Höhe in dem ganz anderen Sinn. Wer auf einem hohen Berg steht, der sieht die Nebel der Erde tief unter sich liegen und hinschleichen. Auch die Fluten können nicht zu ihm heraus, selbst die Gewitter müssen sehr hoch gehen, wenn sie ihn berühren sollen. Auf dieser deiner Höhe liegen die Sorgen unten als die Nebel. Das Wogen des armen Lebens liegt tief unten, und die Donner der Trübsal hörst du wohl, aber sie rühren dich nicht an. Zorn, Hass, Habsucht, Wollust und Ungeduld, alles liegt im Staub. Aber vor dem Hochmut hüte dich, dass er nicht mit auf den Berg steige. Er fährt gern mit auf die Höhe, um dort das ganze Schiff zu zertrümmern. Kannst du ihn abhalten, dann fühlst du: „Hier ist meine Seele gerettet.“ Und wie ist sie gerettet? Ich halte sie nicht mehr in meiner Hand. Der Herr hält sie in seiner Hand, er, der da spricht: „Ich kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie mir aus der Hand reißen.“ Im Gegenteil begnadigt er dich, dass du

III. Selbst gerettet andere Seelen fangest.

Heraus war Petrus aus dem Bereich seiner alten Klugheit. Auf Christi Wort steuert er auf die Höhe, auf Christi Wort wirft er das Netz aus und beschließt eine große Menge Fische, und ihr Netz zerriss. Da winkten sie ihren Gesellen, die im anderen Schiff waren, dass sie kamen und helfen ihnen ziehen. Und sie kamen, halfen, und füllten beide Schiffe voll, also dass sie sanken. Mein Christ, wirf dich ganz auf deinen Herrn. Suche einmal allein das Eine, das not ist.

Seele, willst du dieses finden,
Such's bei keiner Kreatur.
Lass, was irdisch ist, dahinten.
Schwing dich über die Natur.
Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet,
Wo alle vollkommene Fülle erscheinet:
Da, da ist das beste, notwendigste Teil.
Mein Ein und mein Alles, mein seligstes Heil.

Groß ist Gott im Reich der Natur. Wunderbar sind darin seine Wege. Aber tausendmal größer ist er im Reich der Gnade. Fahre nur hin auf die Höhe der Gnade, du wirst einen gewaltigen Zug tun. Du fängst zuallererst dich selbst. Du siehst, was du für ein elender armer Sünder bist. Du siehst deinen Kleinglauben im hellsten Licht. Du lernst dich schämen vor der göttlichen Barmherzigkeit. Vor dieser Sonne wird dir deine innere Nacht so klar, dass du Gottes Wort umkehren und bekennen musst: „Mein Tag ist wie die Nacht, wie die Finsternis mein Licht.“ Sieh, da hast du dich doch einmal selber, wie du bist. Sonst bekommst du dich niemals. Du malst dir ja täglich ein falsches Bild von dir. Du lügst und schmeichelst dir in seinen Zügen etwas vor. Du denkst, du kennst und hast dich; und es ist nicht wahr. Nun hatte sich Petrus ganz. Er erkennt und fühlt sich so schlecht und verderbt, dass er Christum bittet aus dem Schiff zu gehen, weil die Wohnstätte eines armen Sünders, wie er, für den heiligen, unbefleckten Gottessohn zu schlecht sei. Wie Christus die Fische aus den Tiefen des Meeres herausgerufen hatte, so hatte er auch die Sünden des Petrus aus den Tiefen und Schluchten des Herzens herausgerufen. Petrus kam sich vor, als ob er mit seiner Person und seiner Nähe den Herrn beflecke. Wenn doch alle Gnade und Barmherzigkeit Jesu Christi an uns dieselbe Wirkung täte! Wenn doch unter seinen Gnadentaten die Sünden, die in den verborgenen Tiefen des Herzens ruhen, da keine Sonne hinunterscheint, da kein Netz hindringt, so ins Oberwasser kämen! Wir würden auch rufen: „Ich bin nicht wert, dass ich ein Christ heiße. Herr, gehe von mir hinaus!“ Aber dann geht er gerade nicht. Ich kann es mir denken, wie er sich jetzt erst im Schiff recht festsetzte. Holt sich doch ein armer Seelsorger, der erst mit einer Familie stehend verhandelt hatte, wenn es in derselben zu einem ehrlichen Sündenbekenntnis kommt, dann gerade einen Stuhl, um sich fest zu setzen. Wie sollte dieser rechte himmlische Seelsorger und Seelenretter nun aus dem Schiff gegangen sein! Solche Herzen will der Heiland haben, denen Nichts groß ist, denn er selbst, denen Nichts klein ist, denn sie selbst. Ans ihnen kann er Etwas machen. -

Gerade in dieser Stunde gibt er dem Petrus das Siegel seines Apostelamts in die Hände. Er spricht zu ihm: „Fürchte dich nicht, denn von nun an wirst du Menschen fangen.“ Was Jesus an Petro mit dem Fischfang getan hatte, das legt er ihm für sein Apostelamt auf. Der Jesus, dem der Vater Alles unter seine Füße getan hat, die Vögel in der Luft, die Fische im Meer und was im Meer geht, will dem Petrus ebenso die Menschen ins Netz treiben, wie er ihm heute die Fische hineingetrieben hat. Er hat Wort gehalten. Durch die eine Predigt am Pfingstfest, durch den einen geistlichen Fischfang hat er gleich dreitausend Seelen in die Kirche gewonnen. Aber er ist auch ausgezogen mit ganzem Glauben, mit ganzer Predigt. -

„Seelen retten“ ist ein rechtes Losungswort dieser Zeit geworden. Der geistliche Stand fühlt die Schuld, die er durch Säumnis in diesem seinem Amt auf sich geladen hat. Innere und äußere Mission schließen ein Bündnis mit einander für die Christen- und Heidenlande. Anstalten für verwahrloste Kinder werden gegründet in allen Provinzen unseres Vaterlandes. Überall will man Seelen retten. Es wird auch Zeit, man hat sie lange genug ins Verderben laufen lassen. Wisst aber, es wird uns nur gelingen, wenn wir auf die Höhe fahren. Zuerst auf die Höhe des Glaubens. Wenn wir uns aus dem Evangelio nur so herausnehmen, was wir mit unserem Verstande begreifen können, wo wir dem Herrn in seinen Taten nachkommen, wo wir ihm seine Worte nachreden können, dann sind wir nicht auf die Höhe gefahren. Wir kreuzen umher an der Verstandesküste und fangen Nichts. Nur wer im kühnen Wagnis auf das Wort seines Heilandes die Vernunft gefangen nimmt unter den Gehorsam des Glaubens, nur der wird rechten Erfolg haben im Beruf „Menschen zu fangen.“ In seinem Herzen heißt es: „Ich glaube, darum rede ich. Ich kann es ja nicht lassen. Mein Herr hat mich so selig gemacht, dass ich Alles in diese Seligkeit hereinziehen möchte.“ Wie ein freigewordener Sklave am allereifrigsten daran arbeitet, auch die Ketten anderer zu brechen, so möchte auch ein begnadigter Christ Alle aus dem Fluch der Sündenknechtschaft erlösen. Es wird ihm auch an Etlichen gelingen, denn sein Herr arbeitet in ihm und durch ihn. Er ist auf die Höhe gefahren. -

Fahre auf die Höhe in deinem Bekenntnis. Verkündige deinem Hause, deinen Freunden die großen Taten Gottes ganz und unverkürzt. Viele wollen es damit anfangen, dass sie nur das den Leuten predigen, was dem Verstand am nächsten liegt. Sie meinen damit wieder die Seelen am ersten zu gewinnen. Aber sie irren sich. Sie kreuzen auch nur an der Verstandesküste herum. Gerade die großen Heilstaten Gottes, die über Menschentat und Menschenverstand hinausgehen, sind die gewaltigsten Hammerschläge, unter denen das trotzige und verkehrte Ding, genannt Menschenherz, am ersten weich, demütig und empfänglich wird. Ich habe noch nie gelesen, dass bei einem Wort, dem jeder nüchterne Verstand Beifall zollt, etwa: „Was du willst, dass dir die Leute tun sollen, das tue ihnen auch,“ ein Mensch von seinen Sünden wach geworden und zum neuen Leben durchgedrungen sei. Aber gerade unter den Gnadentaten, die in unseren Kopf nicht hineinwollen, dass z. B. Christus unter der Last unserer Sünde Blut geschwitzt, dass er am Kreuz unsere Sünde getragen hat, sind dem Vater Kinder geboren wir Tautropfen aus der Morgenröte. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Unser Bekenntnis ist das Schwert in diesem Sieg. Dem Schwert aber darf man Schneide und Spitze nicht abschleifen.

Fahre auf die Höhe in deiner Missionsarbeit in der Kirche. Wenn du daran gehst, Seelen zu retten, siehst du dich gewöhnlich zuerst nach denen um, die noch einen hübschen Rest bürgerlicher Gerechtigkeit haben, die noch nicht zu tief gefallen und verkommen sind. Von anderen denkst du: „Da ist doch Hopfen und Malz verloren, da verschwende ich meine Arbeit umsonst.“ Du Narr, willst du wieder an der Verstandesküste herumkreuzen? Christus setzt sich zumeist unter Zöllner und Sünder. Ein Arzt geht zuerst zu seinen gefährlichsten Patienten. Ein Lotse holt zuerst das Schiff in den Hafen, das vom Sturm am ärgsten gelitten hat. Von keinem Menschen kannst du sagen: „Bei dem ist Hopfen und Malz verloren.“ Viele treiben ja nur so im Meer der Sünde umher, weil noch Keiner nach ihnen gefischt hat. Ich sage dir, es sind fromme Prediger und andere Seelenfischer in Diebeshöhlen und unter die Galeerensklaven getreten, haben den Elenden ihre Sünde und ihren Heiland gepredigt. Was ist ihnen widerfahren? Ich weiß von Keinem, der da totgeschlagen wäre. Aber ich weiß von mehr als einem, dem man dort die Hände geküsst und unter Tränen bekannt hat: „Herr, Sie sind der Erste, der nach langen Jahren ein solches Wort zu uns redet. Wir dachten, das Alles sei für uns nicht mehr da. Haben wir denn wirklich noch Teil daran? Können wir denn jetzt noch umkehren?“ An der stolzen bürgerlichen Gerechtigkeit dagegen haben sich tausend und aber tausend Prediger müde gearbeitet, wie Petrus unter dem Gestrüpp und Wurzelwerk am Ufer. Darum fahre auf die Höhe!

Fahre auf die Höhe auch in der Predigt unter den Heiden. Viele kluge Leute sagen heut zu Tage: „Was mühen sich die Missionare ab um Bekehrung der Heiden; erst bekehrt die Heiden im Vaterland!“ Wer so urteilt, sollte sich selbst recht eilig einen Missionar ausbitten. Er fährt recht an den Klippen der Verstandesküste herum. Er will Christo vorschreiben, wie er die Ausbreitung seines Reichs betreiben soll. Er will das Gebot: „Geht hin in alle Welt und lehrt alle Völker rc.“ so lange aufheben, bis es hier im Vaterland keine Sündenknechte mehr gibt. -

Hast du die Ordnung im Reich Christi zu bestimmen, oder hat er sie zu bestimmen? Noch gab es Millionen von Juden, die nicht an Christum glaubten, und doch gab der Herr Petro den Befehl, nach Cäsarea zu ziehen und den heidnischen Hauptmann Cornelius zu taufen. Dazu sage ich dir, die Kunde von den durch die Missionare bekehrten Heiden, und das gottselige Leben und Sterben vieler bekehrter Heiden, hat mehr in der alten Kirche gewirkt als ihre Bekehrer, ihre Missionare gewirkt hätten, wenn sie hier geblieben wären. Und wenn wir eifriger in der Heidenmission gewesen wären, wäre der Segen unter den schlafenden und toten Gliedern der alten Kirche noch größer. - Wir haben Nichts zu tun, als Petro im Glauben und in dem Eifer „Seelen zu retten“ nachzufahren. Der Segen ist Sache des Herrn. Aus diese Weise füllt er das Schiff seiner Kirche, bringt er es aus den Fluten der Sünde zu Lande. Herr Jesu, du himmlischer Steuermann, bringe auch uns mit zu Lande! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/ahlfeld_friedrich/ahlfeld_5_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain