Ahlfeld, Johann Friedrich - Mag der Wechsel, der einst mit uns vorgeht, ein gnädiger sein.

Ahlfeld, Johann Friedrich - Mag der Wechsel, der einst mit uns vorgeht, ein gnädiger sein.

(1. Sonnt, nach Tr. 1848.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Ev. Lukas 16, V. 19-31.
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tisch fielen: doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarum in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarum, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass Du dein Gutes Empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses Empfangen; aber nun wird er getröstet, und Du wirst gepeinigt. Und über das Alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestiget, dass die da wollten von hinnen hinab fahren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten auferstünde.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Alle Tage dreht sich die Erde unter unseren Füßen um. Alle Tage wechselt auf derselben Licht und Finsternis. Ohne dass es dir Jemand sagt, ohne dass es dazu einer Offenbarung bedürfte, sollte Dir dieser Wechsel schon sagen: „Es ist hier Alles wandelbar, es ist Alles eitel, was unter der Sonne ist. Greife nach Gütern, die aus der Heimat herstammen, in welcher keine Veränderung ist, noch ein Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ - Wie die Erde dahin rollt, wie das bald unten ist, was jetzt oben steht, - was vor dem Angesicht der Sonne steht, das ist oben - so ist es auch mit den menschlichen Schicksalen. Wer dächte daran nicht, besonders in unserer Zeit. König David, hoch gefeiert und gepriesen von seinem Volk, König David, dem man zusang: „Saul hat Tausend geschlagen, aber David zehn Tausend,“ musste 70 Jahr alt barfuß aus der Stadt flüchten. Nebukadnezar, der stolzeste aller Könige des Altertums, ward von den Leuten verstoßen und aß Gras wie Ochsen, und sein Leib lag unter dem Tau des Himmels und ward nass, bis sein Haar wuchs so groß als Adlersfedern, und seine Nägel wurden wie Vogelsklauen. Ja, Gott hat oft die Mächtigen vom Thron gestoßen, er hat dagegen die Niedrigen erhöht. Hirtenknaben hat er zu Königen gemacht, und Könige und Königssöhne sind betteln gegangen. Kalt fasst es unser Herz an, wenn wir dies erwägen. Wir freuen uns, dass wir in dem kleinen Gebiet, das uns angewiesen ist, feststehen. Wir denken: mit dir wird ja wohl eine solche Verkehrung nicht vorgehen, denn so gewaltig wehen die Stürme Gottes nur auf den stolzen Kronenhöhen! - O du Mensch, es kann noch eine größere mit dir vorgehen. In unserem Evangelio hat uns der Herr ein Fensterlein ausgebrochen, durch das wir in die verschlossenen Stücke der göttlichen Reichsgeschichte hineinsehen können, durch das wir erkennen können, wie Gott alle Lust und Herrlichkeit der Welt dereinst stürzen und verkehren wird. Der Herr kann uns solch Fenster in die Zukunft brechen. Der vom Anfang beim Vater war, der mit dem Vater gleiches Wesens, gleicher Macht und Herrlichkeit ist, dem der Vater einen ewigen Stuhl des Regiments bereitet hat, der kann auch reden aus den Geheimnissen des Vaters. Und er redet hier so klar und so ernst. Es ist der Vorhang auf ein Weilchen weggezogen. Wer Augen hat zu sehen, der kann sehen. Wer Ohren hat zu hören, der kann hören. Ja, das ist denn doch die allergrößte Umkehrung, die geschehen kann. Große Veränderungen sind durch die Revolutionen unserer Tage vorgegangen. Grässlich ist es, wenn ein Erdbeben Städte und Fluren umschüttelt, dass Nichts übrig bleibt, als ein armer Trümmerhaufen und weite, wüste Stätten. Einen herzzerreißenden Anblick gewährte es, als nach einer Nacht an der Stätte, wo Sodom und Gomorrha, Adama und Zeboim gestanden hatten, wo das Land gewesen war wie ein Garten Gottes, am Morgen das wüste tote Meer flutete. Aber das Bild, das in unserem Evangelium uns vorgelegt wird, schneidet doch tiefer in die Seelen ein. Und es geht uns Alle so nahe an. Was wollen wir uns aus diesem Bild für unser Herz nehmen? Die Bitte:

Mag der Wechsel, der einst mit uns geschieht, ein gnädiger sein.

Wir betrachten, um diese Bitte recht lebendig zu machen,

  1. Den Reichen und den Armen.
  2. Den Armen und den Reichen.

Du aber, Herr Jesu Christ, der du arm geworden bist, damit du uns reich machst, gib uns die rechten, ewigen Güter. Herr Herr, die heiligen, teuren Stücke evangelischen Glaubens, das sind die rechten himmlischen Gold- und Reichsgulden. Lass uns an diesen nicht Mangel leiden. Und die heilige Liebe aus dir geboren, samt allen christlichen Tugenden, die daran hangen, das ist das rechte und echte Silber. Daran mache uns reich. Damit lass uns brüderlichen Handel und Wandel treiben. Ja, lass uns diese Güter nicht entbehren, die nicht Rost und Motten fressen, und denen die Diebe nicht nachgraben. Amen.

I. Der Reiche und der Arme.

Unser Evangelium fängt an: „Es war ein reicher Mann.“ Schon dies Wort: „Es war“ klingt und schneidet wie ein scharfes Schwert. Er war und ist nicht mehr. Seine Herrlichkeit ist dahin, es ist aus mit ihm. - Aber dahin sind wir noch nicht. Wir müssen erst in sein Leben hinein schauen. Er war ein Jude. Wir erkennen dies aus der Antwort Abrahams: „Sie,“ nämlich die Brüder des reichen Mannes, „haben Mosen und die Propheten, lass sie dieselbigen hören.“ Wir wollen in sein Haus und Zimmer hineingehen. Wir wollen sein Treiben ein Weilchen ansehen. Also „es war ein reicher Mann.“ Dass er ein reicher Mann war, kann ihm nicht zur Sünde angerechnet werden. Reichtum ist eine Gabe Gottes. Er gibt ihn, wem er will. Er gibt ihn, dass er uns und Anderen die Pilgerfahrt erleichtere nach dem Jerusalem, das droben ist. Er gibt ihn, dass der Reiche selber lebe mit den Seinen, dass er damit Seufzer stille, Tränen trockne und am Reich Gottes baue. Aber fällt dir Reichtum zu, so hänge dein Herz nicht daran. Fällt dir Reichtum zu, so lass ihn dir nicht zum Fallstrick und zur Sünde werden. Sehen wir uns aber um, wozu ihn dieser Reiche brauchte. Zu zweierlei. Er kleidete sich in Purpur und köstliche Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Also etwas Gutes auf den Leib und etwas Gutes in den Leib, das waren die beiden Aufgaben seines Lebens. Viele Gäste lud er sich zusammen. Manch schönes Wort, manche Schmeichelei mag ihm von den Tischfreunden zugesprochen sein, aber die Ehre Gottes schwieg an seinem Tisch und lag danieder. Manch fröhlich Lied mag gesungen sein. Aber es ging, wie Jesaias schreibt: „Sie haben Harfen, Psalter, Pauken, Pfeifen und Wein bei ihrem Wohlleben, und sehen nicht auf das Werk des Herrn und schauen nicht auf das Geschäft seiner Hände.“ Sie führten ein lustiges Leben nach der Weise: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Es will uns vorkommen, als ob wir im Haus eines Obersten unter den Sadduzäern wären. - Wie stand es in dem Haus um den Glauben oder um das Gesetz? Darüber war man weg. Drüben oder drunten im Reich der Qual bittet der Reiche den Abraham, dass er Lazarum zu seinen Brüdern sende, auf dass sie nicht auch kämen an diesen Ort der Qual. Abraham antwortete: „Sie haben Mosen und die Propheten, lass sie dieselbigen hören.“ Der Reiche antwortete: „Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“ Er aber sprach: „Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob einer von den Toten auferstünde.“ - Der Glaube an Gottes Gesetz war bei ihm und seinen Brüdern dahin. Es war für sie alt und kalt und grau geworden. Die rechte Frische, dass es Gottes Gesetz sei, war herunter. An diese Stelle war ein anderer Glaube getreten. O wir sehen es so oft in unserem Volk: wo der Glaube an den lebendigen Gott und an seinen lieben Sohn und an den Dienst der heiligen Engel, die Gott zu seinen Boten braucht, erstorben ist, da tritt der Aberglaube ein, da glaubt man an Gespenster. An Gott will man nicht glauben, so glaubt man an die Toten, die umgehen sollen. Von Gott war Saul abgefallen, da glaubte er an die Hexe zu Endor. Die Schrift schlagen Viele jetzt nicht mehr auf, aber die Karte lassen sie sich schlagen. An Gottes Wort glauben sie nicht mehr, dafür aber an die Punktierbücher und Träume. Die Sehnsucht zum Glauben steht tief in den Herzen. Sie will nicht heraus, der Mensch muss einen heiligen Halt haben. Fällt man nun ab von den rechten Artikeln des Glaubens, so sucht man sich trügerische. Wo man nicht mehr betet, da flucht man. Wo Jesus Christus weicht, zieht der Teufel ein. - Du hast nun das Bild von diesem Haus: Schöne Kleider; aber um den Rock der Gerechtigkeit kümmerte man sich nicht. Gut zu essen und zu trinken; aber das Brot des Lebens verachtete man. Gottvergessenheit und Unglaube, daneben Aberglaube. - Wenn wir nun gleich einmal ein Wenig hinausgreifen in die weiteren Stücke des Evangeliums und lesen: „Da er nun in der Hölle und in der Qual war,“ dann möchtest du fragen: „Womit hat denn der Mann das verschuldet? Er hat keinen totgeschlagen, er ist nicht als Meineidiger, nicht als Dieb, als Ehebrecher geschildert: warum denn dieser harte Ausgang?“ Ja noch mehr, er scheint auch Werke der Barmherzigkeit getan zu haben, denn ohne Grund hat sich der arme Lazarus nicht gerade vor seine Tür gelagert. Er bekam doch Brosamen von seinem Tisch. Hat sie der Herr nicht gegeben, so haben sie Knecht und Magd hinausgetragen. Und der Herr hat es geschehen lassen, hat sie darum nicht aus dem Dienst gejagt. Warum nun hat der Mann dies schwere Ende? Darum, dass er seinen Gott vergessen hat. Mit allen Almosen kann sich kein Mensch den Himmel erkaufen. Seine Tür wird nur aus Gnaden aufgeschlossen. Man kann auch ein bürgerlich ganz ehrbares Leben führen, so dass einem Niemand Etwas nachsagen kann, und dabei ist doch das Herz ferne von Gott. - Meinst du nun, dass dieser reiche Mann wahrhaft reich gewesen sei? Nein, er war in seinem Reichtum bettelarm. Es fehlten ihm die Grund- und Kerngüter, das himmlische Gold, der Glaube, das himmlische Silber, die aus Gott geborene Liebe. Und wenn stille Stunden kamen, wenn die Gäste fort waren, wenn die Musik schwieg, wenn die Schmeicheleien, mit denen man seine Seele berauschte, aufhörten, und er nüchtern ward, dann war er so arm, so leer. Ja, er mag dann manchmal gefühlt haben, dass er ein reicher Bettler sei. - Lieber Christ, schaue in dein Haus und in dich. Sind das auch deine beiden Lebensaufgaben: ein gut Kleid auf den Leib, und ein gut Gericht auf den Tisch, und daneben Gottvergessenheit? Meinst du auch, mit solcher bürgerlichen Ehrbarkeit sei es genug? Glaube es nicht. Das reicht lange nicht. Du steckst in tiefem Selbstbetrug. Das Herz muss mehr haben. Du kannst eine kleine Zeit dich damit begnügen. Aber immer kommen in den Stunden, wo die Lust schweigt, Stimmen aus der Tiefe, die da klagen:

Wie bin ich doch so arm und leer,
So arm an rechter Habe!
Die Freude stirbt je mehr und mehr,
Ich steh' an hohlem Grabe.

Du musst dir bekennen, dass du ohne die heiligen Gnadengüter des Glaubens mitten im größten Reichtum, in Genuss und Gesellschaft, in prächtigen Kleidern und Geschmeiden bettelarm bist. - Doch genug. Wir sind lange genug in dem Haus gewesen. Wir wollen hinausgehen. Ja wir treten zur Tür hinaus. Da finden wir den anderen Mann. Es war ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tisch fielen. Doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. - Eile nicht vorbei an ihm, lieber Christ. Wohl mögen die Gäste des Sadduzäers sich mit Auge und Wort nicht lange bei ihm aufgehalten haben, Sie wollten sich den letzten Klang der Freude durch keinen Misston verderben lassen. Wir aber wollen hier stehen bleiben, wir müssen hier stehen bleiben. Er ist arm. Sein Gewand mag wunderlich abgestochen haben von dem verbrämten Purpurkleid des Reichen. Er ist krank. Ihm mag die Lust in dem Haus hart in die Ohren geklungen haben. Er ist hungrig. Aus Hunger hat er sich dahingeschleppt, ob ihm ein mitleidiger Diener von den Brosamen mitteile. Drinnen alles voll Gäste; um ihn die Hunde, die ihm seine Schwären lecken. - Nicht wahr, der ist recht arm. Schmerz, Hunger und Verlassenheit waren über ihn gekommen. Gleich eine ganze Gesellschaft von Plagen. Denn eine Not kommt selten allein. Wir wissen nicht einmal, ob ein Baum vor dem Haus stand, dass er vor dem Sonnenbrand geschützt war. - Und doch war er in seiner bittersten Armut reicher, als der Reiche in seinem Reichtum. Wenn auch kein Baum dastand, so hatte er doch seinen Schirm. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: „Mein Fels und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ Die Gnade seines Gottes war sein Kleid. Die fröhliche Hoffnung auf den, der abwischt alle Tränen von unseren Augen, so dass hinfort nicht mehr ist Tod, Schmerz und Geschrei, war seine Gesundheit. Und die Engel Gottes waren seine Gesellschaft. Wie sie sich um ihn kümmerten, hören wir ja hernach noch. Bessere Gesellschafter gibt es nimmer. Da war ihm denn wohl mitten im Elend. Dr. Luther hatte in seinem Siegel ein Kreuz und eine Rose. Und ein alter schöner Spruch legt dies aus: Ein Christenherz auf Rosen geht, Selbst wenn es unterm Kreuze steht. So war er in aller seiner Trübsal fröhlich und selig. Es muss so gewesen sein. Es könnte sonst nicht heißen: Er ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. - Also du Gebeugter, du Geschlagener, du Armer, du Kranker, du Verlassener fürchte dich nicht, verzage nicht. Wenn du auch draußen liegst vor der Tür des Glückes, wenn du nur drinnen liegst in der Hütte der Gnade, so hast du doch ein gutes Lager. Die Gnade Gottes ist dein Pfühl1), und seine Barmherzigkeit deine Decke. Ob du auch hart liegst nach der Meinung der Welt, du bist doch gut gebettet. Bald wird sich dazu deine Lage verkehren.

II. Der Arme und der Reiche.

Unser Text enthält fürder, geliebte Christen, zwei Abdankungen. Obgleich nun der Arme in seinem Elend zuerst hingestorben ist, wollen wir doch die des Reichen voran nehmen. Der Reiche starb und ward begraben. Das ist Alles, was von ihm gesagt werden kann. Er mag ein großes Leichengefolge gehabt haben. Es mag viel Prunkens mit dem Aschenhaufen getrieben sein. Es mag ihm ein kostbar Denkmal voll Lobens und Rühmens gesetzt sein, denn der Stein ist geduldig. Dennoch klingt das Wort: „Er starb und ward begraben“ bei ihm so arm und hohl, dass man die Erde auf den Sarg und das göttliche Gericht auf die Seele fallen hört. Jetzt merken wir schon, wer nun der Arme ist. Ist doch diese Armut des Reichen schon darin angedeutet, dass uns sein Name nicht einmal aufbehalten ist. Ein Reicher ohne Gottseligkeit fällt hin wie ein schönes Blatt im Herbst. Er ist auch bloß ein natürliches Gewächs, und wer schreibt diese alle ein? - Von Lazarus heißt es: „Und es begab sich, da der Arme starb, ward er getragen von den Engeln in Abrahams Schoß.“ Schon dies Wort zeigt, wer der wahrhaft Reiche war. - Es mag bei ihm kein Mensch mit zur Leiche gegangen sein. Er ist aus der Armenkasse begraben worden. Es hat Mühe und Laufens gemacht, ehe man nur Träger zusammenfinden konnte, die ihre Schultern hergaben zu einem Werk der Barmherzigkeit. Es ist ja jetzt noch so. Wenn er einer unserer Städte angehört hätte, wäre er hingetragen ohne Kruzifix und Leichentuch. Aber alles Grabgefolge, alle Ehre des Sadduzäers will Nichts sagen gegen das Gefolge des Lazarus, das ihn zum ewigen Leben trug. Er ward getragen von den Engeln in Abraham Schoß. - Doch wir gehen wieder einen Schritt zurück. Von Lazarus heißt es: „Er starb;“ von dem Reichen heißt es auch: „Er starb.“ Beide Wörter klingen ganz gleich. Sie sind aber wie zwei gleiche Schalen, in deren einer eine bittere, in der anderen eine süße Frucht steckt. - Der Reiche starb. Er musste sterben. Er musste doch nun seine Güter lassen. Er musste doch nun seinem lustigen Leben Ade sagen. Wenn er sich auch ans Leben anklammerte, wie ein Schiffbrüchiger an den letzten Balken, der neben ihm schwimmt, er musste doch loslassen. Wenn er auch alle Ärzte seiner Stadt kommen ließ, sie zuckten doch zuletzt mit den Achseln und sprachen oder dachten wenigstens - denn die Ärzte gehen gegen Totkranke selten mit der Wahrheit ehrlich heraus -: „Für den Tod ist kein Kraut gewachsen.“ Er konnte nicht singen: „Mit Fried und Freud fahr ich dahin rc.“ Sein Lied steht im Sirach (41, v. l): „O Tod, wie bitter bist du, wenn an dich gedenkt ein Mensch, der gute Tage und genug hat, der ohne Sorge lebt, dem es wohl geht in allen Dingen und noch wohl essen mag.“ Er fuhr hin mit Herzeleid und Verzweiflung. - Anders steht es um das Totenbett des Armen. Haben ihn die Engel getragen in Abrahams Schoß, so haben sie auch schon um sein Sterbelager gestanden. Er ging fröhlich. Viel hatte er nicht dahinten zu lassen. Mit viel Banden war er nicht an die Erde gebunden. Auch für ihn steht ein Lied im Sirach: „O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen, der alt und schwach ist und in Sorgen steckt.“ Er mag manchmal geseufzt haben: „Herr, spanne mich aus! Ach Herr, wie so lange!“ Er war bereit. - Lieber Christ, betrüge dich aber ja hier nicht. Darum, dass du des Lebens satt und überdrüssig bist, bist du noch nicht reif für den Himmel. Darum, dass du von der Erde weg willst, kommst du in den Himmel noch nicht hinein. Wer seiner armen baufälligen Hütte überdrüssig ist, den nimmt darum der König nicht in seine Burg. Es gehört mehr dazu. Lazarus ist nicht von den Engeln heimgetragen, weil er arm, elend, voller Schwären war, sondern weil er in aller Armut ein Kind Gottes auf Erden gewesen war. Unter dem zerrissenen Kleid wohnte der Himmel schon. Darum war er bereit. Bist du auch bereit? Bist du heute bereit? Bist du bereit, ohne dass der Sturm der Krankheit die Wurzeln des Lebens locker gemacht hat? In der Stadt Unna in Westfalen brannte einst mehrere Tage lang ein heftiges Feuer. Die Chorknaben standen den ganzen Tag und zogen die Sturmglocke. Endlich ward man Herr über das Feuer. Ein Chorknabe kam und verkündigte es dem, der gerade die Glocke zog. Zugleich sagte er ihm an, dass morgen die Schule wieder angehe. Der Läuter antwortete: „Ich habe meine Lektion gelernt. Ich muss können: „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende.“„ Kaum hatte er das ausgesagt, so stürzte der Stein, durch den der Strick ging, locker gezogen durch das lange Läuten, herunter und erschlug den Knaben auf der Stelle. Er hatte seine Lektion gelernt. Lazarus hatte die seine auch gelernt. Er war in die hohe Kreuzschule gegangen. Man sah es dem armen Bettler vor der Tür gar nicht an, dass er auf der hohen Schule Gottes war. Hast du, lieber Christ, deine Lektion auch gelernt? Welche denn? fragst du. Die: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Erneuert euch im Geist eures Gemüts, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen. Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche Gott, der gerechte Richter, mir an jenem Tage geben wird; aber nicht allein mir, sondern Allen, die seine Erscheinung lieb haben.“ - Hast du deine Lektion gelernt, dann können wir weiter gehen. - Von dem, den wir nun den Armen nennen, heißt es: „Da er nun in der Hölle und in der Qual war.“ Das ist die völlige, die größte, die unvergängliche Qual. Ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen. Alle Sünde steht in der Erinnerung auf wie die Toten am Tag des Gerichts. Das Gewissen beißt immerfort, es wird nicht alt, und sein Zahn nicht stumpf. Die verführten oder versäumten Seelen fallen auf den Verführer wie Felsblöcke, von denen er zerschmettert und doch nicht getötet wird. So fielen auf den Armen die fünf Brüder, die er mit in den Strudel der Sünde hineingezogen und drinnen gelassen hatte. Und alle diese Pein hat kein Ziel noch Ende.

Kein Unglück ist in aller Welt,
Das mit der Zeit nicht endlich fällt
Und ganz wird aufgehoben.
Die Ewigkeit nur hat kein Ziel.
Sie treibet fort und fort ihr Spiel,
Lässt nimmer ab zu toben;
Ja wie mein Heiland selber spricht,
Ihr Wurm, ihr Feuer stirbet nicht.

Wenn man durch die Wüste zieht, so findet man doch zuweilen eine fruchtbare Stelle mit Quellen und Bäumen. Die Verdammnis hat Nichts von dem. Durch die Hölle fließt kein Bach der Erquickung. In jenen Nächten fällt kein Tau mehr. Sie sehen drüben die Gefilde, auf die die Gnade Gottes niedertaut, aber sie können nicht hinüber. - In dieser Dürre ruft der ehemalige reiche Mann den Abraham an: „Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarum, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge, denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ Jetzt hat es sich völlig umgekehrt. Der Reiche ist zum Bettler geworden. Er bettelt hinüber nach der Pforte des Himmels. Lazarus, der einst hungrig vor seiner Tür gelegen, soll hinüber kommen, soll ihm ein Almosen aus dem Reich der Gnade bringen, soll ihm mit einem Tropfen vom Wasser des Lebens seine Zunge kühlen. Lazarus ist eine kurze Zeit ein Armer gewesen; dieser ist in Ewigkeit ein Armer, und sein Betteln hilft ihm Nichts. Abraham sagt ihm: Das geht nimmer. Es ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass, die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns hinüberfahren. - Da erkennst du, dass es einen Abschluss gibt. Der Mensch wächst nur bis zu einer gewissen Zeit. Der Baum hat nur eine gewisse Jahreszeit, in der er zur Blüte kommen muss. Die Seele hat nur die Zeit bis zum Tod, in der sie zur Buße, zum Glauben, zum neuen Leben kommen muss. Himmel und Hölle haben keine Gemeinschaft mit einander. Sie fließen nicht in einander über. Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen. Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und danach das Gericht. Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein Jeglicher empfahe, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse. Was dann versäumt ist, ist ewig versäumt. - Nachdem der arme Reiche sich hat über sich selbst zufrieden geben müssen, fällt ihm etwas Anderes aufs Herz. Seine Sünden gegen seine Brüder steigen im Gedächtnis auf. Er war vielleicht der älteste oder reichste gewesen. Er hatte den Ton angegeben, und sie hatten mit eingestimmt. Er bittet Abraham, dass er den Lazarus als Boten an sie sende, der ihnen von ihres Bruders Elend erzähle, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Aber er erhält eine kalte Antwort: „Sie haben Mosen und die Propheten, lass sie dieselbigen hören!“ Gott hat seine Heilsordnung für die Erde getroffen. Lass sie nach den Gnadenmitteln greifen. - Noch einmal will der Verlorene eine Einrede machen. Er will den Abraham überreden, wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, würden sie Buße tun. Dieser aber spricht es fest aus: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob einer von den Toten auferstünde. Und das billig. Moses ist Gottes Bote, sein Gesetz ist Gottes Stimme. Die Propheten sind Gottes Knechte, ihre Weissagung und ihre Strafe ist sein Wort. Wer Gott nicht gehorcht, wie soll der einem Gespenst gehorchen, das keine Beglaubigung hat! Noch hat kein solches einen Menschen zur Buße geführt. - Mein lieber Christ, merke dir nun, was du in der Zucht und an der Heiligung deiner Kinder, Geschwister und Freunde hier versäumt hast, das kannst du nimmer wieder gut machen. Was du an ihrem Seelenverderben verschuldet hast, das kannst du nimmer wieder zurücknehmen. Deine verwahrlosten Kinder werden dir wie Steine auf dem Herzen liegen, noch viel schwerer, als dem reichen Mann seine Brüder, denn für Kinder bist du noch verantwortlicher, als für Geschwister. Auch da ist kein Trost. - Hat denn aber Abraham, den der Verlorene so freundlich „Vater Abraham“ begrüßt, kein Tröpflein Linderung? Er hebt freundlich an. Jener hat „Vater“ gesagt, er sagt „Sohn“: Gedenke, Sohn, du hast dein Gutes Empfangen in deinem Leben. Dein Gutes, das du dir in Blindheit erwählt hattest, hast du empfangen. In deinem Leben, das du dir zum Hauptleben gemacht hattest, hast du es empfangen. Du hast deinen Teil. O des armen Trostes! Denke dir, dich hungerte. Du klagtest es Jemand, und dieser spräche: Erquicke dich doch an der Brotrinde oder an den Träbern, die du vorgestern gegessen hast. Das wäre eben solcher Trost. Und besserer kann in Ewigkeit nicht gegeben werden. Das ist die tiefste Armut. - Gehen wir noch einmal aus dem Zimmer des reichen Mannes - es ist nun freilich kein Prunkzimmer mehr - hinaus, nein, wir müssen jetzt sagen hinein zu Lazarus. Seine Traurigkeit war vorüber. Seine Schwären waren heil. Seine Krankheit hatte ein Ende. Sein Herr hatte ihn gesund gemacht. - Seine Armut war vorbei. Zu betteln brauchte er nicht mehr. Er war Gottes Erbe in allen himmlischen Gütern. Er lag nicht mehr vor der Tür. Er war drinnen in der himmlischen Königsburg. Sein Herr hatte ihn reich gemacht. - Seine Verlassenheit, wo die Hunde seine einzigen Freunde waren, war aus. Er stand im Kreis der Engel. Die Seligen, die alten Pilger Gottes, waren sein Umgang. Sein Herr hatte ihm Gesellschaft gegeben. Da vergisst sich Alles, was man erduldet hat. Des Lebens Leiden haben dann nicht mehr zu bedeuten, als ein schwerer Traum, wenn man aufgewacht ist vom Schlaf, und die liebe Sonne einem hell ins Gesicht scheint. Sie helfen nur dazu, dass man sich der Seligkeit desto herzlicher freut und seinen Gott desto brünstiger lobt. Sie sind der finstere Grund, auf dem die Schriftzüge der Gnade um so heller strahlen. - Der arme Lazarus war reich, überschwänglich reich. - Mein Christ, welchen Wechsel willst du haben? Hier in Herrlichkeit und Sündenlust leben und dereinst draußen als Bettler vor der Gnadentür liegen, oder hier Verleugnung, Armut, Schmach, Schande, Krankheit und Hunger mit Christo tragen und dereinst in der Friedenshütte der ewigen Barmherzigkeit wohnen? Noch ist deine Abdankung nicht geschehen. Noch kannst du wählen. Wähle in Gottes Namen recht! Amen.

1)
mittelhochdeutsch pfülw(e), pfulwe, althochdeutsch pfuluwo, pfuluwi(n), im 8. Jahrhundert von lateinisch pulvinus → la „Kissen, Polster“ entlehnt
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