Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Das Buch Hiob.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Das Buch Hiob.

Die Ermahnung zur Weisheit, wie sie das Spruchbuch enthält, steckt dem Menschen ein unendlich hohes Ziel. Weil man in Israel nach der göttlichen Weisheit suchte, sah man auch, wie weit unsre Gedanken hinter dem Licht und der Vollkommenheit derselben zurückbleiben, wie vieles uns im Gange unsers Lebens dunkel und rätselhaft bleibt. Das Buch Hiob, hebt einen dunkeln Punkt an unserer menschlichen Existenz hervor, an welchem immer neu im Blick auf Gott ein heißes: warum und wozu? zu entspringen pflegt. Genoß ein frommer Israelite in seinem Hause und Felde Wohlstand und Gedeihen, dann erschien ihm das Leben nicht schwarz und rätselvoll. Er freute sich zufrieden und dankbar der göttlichen Gaben und erweckte in seiner Seele nicht eine unersättliche Gier nach unerreichbarem Glück. Solcher Wohlstand kann aber auch aus dem Hause des Frommen weichen. Und wenn statt dessen Armut und Krankheit bei ihm einkehren, dann wird freilich das Leben schwer. Wie soll man das Leiden tragen, fromm tragen? Das ist das Anliegen, welches den Dichter des Hiob bewegt.

Wir würden uns das Verständnis des Buche erschweren, wenn wir's eine „Theodicee“, eine Rechtfertigung Gottes nennen wollten. Es handelt sich dem Buche gar nicht in erster Linie um die Gründe des göttlichen Handelns, weshalb Gott auch seinen Frommen Jammer schickt. Sein Hauptgegenstand, den es uns beschauen heißt, sind Hiob und seine Freunde, der Mensch im Unglück, wie er schwankt, strauchelt, in seinen Gedanken thöricht wird, sich durchkämpft und den Sieg behält. Zu solchem Siege ist's freilich eine kräftige Hilfe und Stütze, wenn wir auch die Absicht Gottes im menschlichen Leiden erfassen und seine Weisheit und Güte auch jetzt erkennen. Das hilft uns zur Unterwerfung unter Gott und zur Bewahrung des Glaubens und der Anbetung Gottes. Umgekehrt werden uns blinde, verkehrte Gedanken über Gottes Regierung in der Art, wie sie die Freunde Hiobs haben, zur Anfechtung. Darum will uns das Buch allerdings auch Gottes Walten zeigen nach seinem verborgenen Grund, aber nicht so, daß es nun disputierte über das Recht und Unrecht der göttlichen Weltregierung, sondern seine Absicht, die dem Buch Maß und Grenze setzt, ist die, die gerade Straße zu zeigen, die der Mensch im Unglück gehen soll. ES ist geschrieben als Anweisung, wie man Unglück rein und richtig erträgt. Dieses praktische Ziel hat die Weisheit Hiobs mit derjenigen des Spruchbuchs völlig gemein.

Die geschichtliche Einleitung. 1 u. 2.

Sie zeigt uns zunächst am Beispiel Hiobs die Last, die auf den Menschen fallen kann. Daß der Böse leidet und untergeht, das wird von unserm Buche niemals als rätselhaft behandelt. Mit erwecktem Gewissen wird dem Gottlosen jeder Anspruch auf Glück versagt. Aber von seiner Frömmigkeit hofft der Mensch zunächst Glück zu ernten. Wenn er Gott dient, wie sollte Er ihn nicht bewahren und beschirmen? Allein auch die Frömmigkeit ist nicht dazu da, um uns unser Glück zu garantieren. Hiob war fromm und doch verwandelt sich sein Glück plötzlich in das äußerste Elend. Aber deßhalb gibt er Gott nicht den Abschied, sondern zeigt mit seiner Ergebung und Anbetung allen Leidenden den rechten Weg. Schon damit ist der inwendige Zweck und Wert des Leidens beleuchtet. Es hat Hiob den Anlaß und die Nötigung gebracht, Gott in einer Weise zu ehren, wie er's im Glück niemals konnte, und dieser Zweck und Nutzen des Leidens wird dadurch noch deutlicher gemacht, daß uns die Erzählung zu den Ereignissen auf Erden hinzu noch deren verborgene Veranlassung vor Gottes Thron erzählt. Hiob leidet, weil sein himmlischer Verkläger jetzt noch den Mund gegen ihn aufthun darf, weil sein Glück die Aufrichtigkeit seines Gottesdienstes zweifelhaft macht. Es soll sich erweisen, ob er Gott umsonst dient, um der Wahrheit und Größe Gottes willen, nicht nur wegen seiner Gaben und Belohnungen. So spricht das Buch die große Lehre und den reichen Trost, welchen es den Leidenden gibt, gleich in seinem Eingang aus. Gott läßt seine Frommen deshalb leiden, weil dadurch ihr Gottesdienst als rein erwiesen wird. Lassen sie sich auch durch ihr Unglück nicht von Gott scheiden, so machen sie vor Gott, Engeln und Menschen offenbar, daß sie mit ihrer Frömmigkeit nicht ihren eigenen Vorteil, sondern die Majestät und Ehre Gottes vor Augen haben. Die folgenden Teile des Buchs geben auf die Frage: Warum müssen wir leiden? Keine andere und größere Antwort. Sie erläutern aber dieselbe dadurch, daß sie den Irrweg der unreinen, auf's Glück gerichteten Frömmigkeit uns vorführen. Deshalb wird Hiob mit seinen Freunden zusammengebracht, und im Kampf, der sich zwischen ihnen erhebt, wird offenbar, wie falsch jene anspruchsvolle Frömmigkeit ist und was eine gottesfürchtige Ergebung wie die Hiobs in sich schließt.

Hiobs Gespräch mit seinen Freunden. 3-31.

Nach der Meinung der Freunde ist Frömmigkeit und Glück untrennbar bei einander und sie berufen sich hiefür auf die richterliche Gerechtigkeit Gottes. Wer fromm ist, den segnet und dem hilft er; wer gottlos ist, den läßt er untergehen; denn er vergilt dem Menschen nach seinem Werk. Nun ist Gott freilich unser Richter und Bergelter; aber er ist noch mehr. Da die Freunde nicht mehr von Gott zu sagen wissen, so haben sie einen kümmerlichen Gott und das Buch will uns an Hiob wie an den Freunden zeigen, daß man im Leiden zu Fall kommt, wenn man in Gott nur den Richter kennt, der mit gerechtem Maß unsere Thaten lohnt oder straft.

Ihrer Lehre wegen müssen die Freunde Hiob notwendig Unrecht thun und ihm sein Leiden erst recht bitter machen. Wir wissen aus den ersten Kapiteln des Buchs, daß Gottes Huld und Wohlgefallen auch am Tage seines Unglücks ungetrübt und ungeschmälert über Hiob steht. Das ist jedoch für die Freunde ein unfaßlicher Gedanke. Leiden und dennoch bei Gott in Gnaden stehen - das ist nach ihrer Lehre unmöglich. Wer wie Hiob leidet, muß als ein von Gott gestrafter Sünder gelten. Sie sprechen ihm zu allem, was er verloren hat, auch noch Gottes Wohlgefallen ab, und wollen ihn nötigen zu glauben, Gott habe Mißfallen an ihm. Dadurch machen sie Hiob seine geduldige Treue an Gott schwer und bringen ihn in Verwirrung. Er blickt nicht tiefer in Gottes Rat hinein als die Freunde, und versteht sein Schicksal so wenig als sie. Er läßt es sich in der That zeitweise von ihnen aufreden, daß Gott ihn richte. Aber das verdunkelt ihm Gottes Angesicht völlig. Hat ihm Gottes Gerechtigkeit sein Geschick bereitet, dann hat Gott eine furchtbare Gerechtigkeit und ist ein Richter ohne Erbarmen, der den hilflos in seine Hand gegebenen Menschen grausam peinigen kann.

Es entstehen also aus jener anspruchsvollen Frömmigkeit zwei Abwege. Im Glück macht sie übermütig und aufgeblasen, wie wir's an Hiobs Freunden sehen, die ungescheut über der Menschen Sünde und Gerechtigkeit urteilen. Und im Unglück führt sie zum Verzagen, wie wir's an Hiob sehen, der in seinem himmlischen Richter nur noch die herzlose Gewalt entdeckt.

Die Unterredung wird von Hiob veranlaßt. Die Freunde sitzen von der Trostlosigkeit seines Elends überwältigt 7 Tage schweigend vor ihm, und führen ihn damit in eine harte Versuchung. Dieses Schweigen verkündigt ihm auf's beredteste die Größe seines Sturzes; darum bricht er in einen Jammerruf aus, mit welchem er nur noch den Tod für sich begehrt. 3. Er hat damit die Ergebung des ersten Anfangs, mit der er Gott gepriesen hat, bereits verlassen, obgleich er noch kein Wort direkter Auflehnung gegen Gott ausspricht. Er verzichtet aber ganz auf Gottes Hilfe und wirft alle Hoffnung weg. Darin liegt der Keim der Anfechtung. So heftig er's begehrt, so kann er eben doch nicht sterben, sondern muß leben und leiden. Da wird die Klage: warum bin ich nicht tot? zu einem Vorwurf gegen Gott. Nun werden die Freunde beredt; sie rügen Hiobs hoffnungslose Verzweiflung. Ueberaus fein hat das Buch gleich durch diesen Eingang hervorgehoben, wie unfähig die Freunde sind, Hiob zu trösten. Sie verstehen nicht zu trösten, sondern nur zu rügen und zu richten. Sie sind wie ihr Gott. Ihr Gott richtet nur, sie verstehen auch nichts höheres.

Das Gespräch verläuft nicht in raschem Wechsel von Rede und Gegenrede, sondern die Freunde sagen der Reihe nach ihren Spruch und Hiob antwortet jedem derselben. Die Reden sind dichterisch in Form von Liedern gehalten. Dreimal gehen die Sprüche der Reihe nach herum, nur daß beim dritten Gang der dritte Freund, der auch früher am kürzesten und erregtesten sprach, das Wort nicht mehr nimmt. Darauf faßt Hiob das Ergebnis des Kampfs zusammen in einem Selbstgespräch.

Mild und nach seiner eigenen Meinung tröstlich erinnert Eliphas Hiob an Gottes Gerechtigkeit. Kein Unschuldiger ist je verdorben; damit soll sich Hiob trösten. Keiner ist rein vor Gott, daher soll er sich vor Gott demütigen und deshalb sein Leiben willig annehmen. Ruft er zu Gott, so wird ihm seine Hilfe widerfahren, und mit heller Verheißung malt ihm Eliphas diesen fröhlichen Ausgang seines Lebens ab. 4. 5.

Aber Hiob heißt das ein bitteres, grausames Wort, einen Spott mit der unsäglichen Größe seines Schmerzes, und bleibt ungetröstet bei seinem hoffnungslosen Rufen nach dem Tod. 6.7.

Warum ist der Trost der Freunde für Hiob kein Trost? Sie verweisen ihn auf sich selbst, auf seine Frömmigkeit, als auf den Grund seiner Hoffnung, auf seine Sünde, als auf den Grund seines Leidens. In beidem folgt er ihnen nicht. Er hat zu schweres erlebt, als daß er sein Glück nochmals auf seine Frömmigkeit gründen könnte, und er hat Gott zu aufrichtig gedient, als daß er sein Unglück als seinen verdienten Lohn betrachten könnte. Die Rechnung der Freunde stimmt nicht zum bisherigen Gang seines Lebens, wird vielmehr durch denselben umgestürzt. Darum kann er sie nicht auf die Zukunft anwenden.

Nun erhitzt sich das Gespräch. Die Freunde nehmen sich der göttlichen Gerechtigkeit an, als würde sie Hiob verleugnen. Der Frevler geht unter! Das ist die Wahrheit, an welcher Hiob nach Bildads Rat sein Schicksal messen soll. 8.

Hiob ergreift den Gedanken der Freunde, zeigt ihnen aber, wie trostlos er ist. Wer ist hier Richter? Der Allmächtige gegen das nichtige Menschenkind. Der Allmächtige behält immer recht. Und eine Gerechtigkeit, die den redlichen Menschen seiner Sündhaftigkeit wegen so vernichtet, wie es Hiob jetzt erfährt, wird zum grausamen Belieben. 9. 10.

Sagt Hiob: ich bin zu hart gestraft! so antwortete Zophar: nein, noch zu wenig! und der Weg zur Rettung heißt für dich Reue und Buße. 11.

Hiob aber hält an seinem Rechte fest, obgleich er seine Nichtigkeit tief empfindet und wohl weiß, daß vor Gottes Macht keine menschliche Größe etwas bedeutet. Dennoch ist er gewiß, daß er vor Gott für sein Recht Anerkennung fände, wenn er ihm nur begegnen könnte. Allein undurchdringlich erhebt sich vor ihm das Dunkel des Todes, der alles hoffnungslos begräbt. 12-14.

Damit daß Hiob festhält, daß er auch vor Gott recht hat und behalten wird, trotzdem sein Geschick nichts davon zeigt, vielmehr gerade das Gegenteil vermuten läßt, damit richtet er sich innerlich auf. Das ist sein Sieg über die Verzweiflung und seine Bewahrung vor der Verleugnung Gottes.

Im zweiten und dritten Gesprächsgang erneuern die Freunde immer wieder ihren einzigen Gedanken, daß der Frevler untergehe. Eliphas läßt sich schließlich dahin treiben, Hiob bestimmte Versündigungen zu nennen, womit er sein Geschick verdient habe, etwa durch Bedrückung Armer und durch Gottesvergessenheit. Bildad dagegen zieht sich in seinem letzten Wort wieder auf Gottes unvergleichliche Erhabenheit und aller Menschen unvermeidliche Sündhaftigkeit zurück. Hiob dagegen wird immer bestimmter und zuversichtlicher in seinen Erklärungen. Er hält seinen Freunden die Größe seines Jammers vor, die ihrer Erklärung spottet; er weist sie hin auf die zahlreichen Beispiele, wo der Frevler in reichem Glücke stirbt und Gottes Gericht nicht sichtbar wird, und er bezeugt ihnen, daß er in Gott dennoch seinen Rächer hat, welcher sein Recht an den Tag bringen wird, wenn er auch nicht weiß wie, und obgleich Gott jetzt verborgen ist. 15-26.

Da Hiob unbeweglich den Lehrsatz der Freunde verwirft, so verstummen diese, und Hiob behält das Wort allein zu einem Selbstgespräch. 27-31.

Zunächst anerkennt auch er Gottes richtende Hand im Geschick der Missethäter,1) und beugt sich alsdann vor der Unerforschlichkeit der göttlichen Weisheit. So reich der Mensch an Erfindung und Kunst ist, die Weisheit findet er nicht. Gott hat sie sich selber vorbehalten und des Menschen Beruf lautet nicht: denken wie Gott und der Dinge Grund und Ziel verstehen, sondern das Böse meiden und Gott fürchten. 27 u. 28.

Damit leitet Hiob die kühnen Worte, die er im Drange des Streits geredet hat, auf ihr rechtes Maß zurück. Sprach er vom Glück der Frevler, die unerreicht von Gott im Frieden ihre bösen Thaten üben und genießen, so hat er dies nicht so gemeint, als ob seine Rache über die Missethäter käme; und wenn er klagte, daß er weder Grund noch Ziel des göttlichen Handelns sehe, und es schien, als ob er Gott des Unrechts beschuldigte, so war dies nicht so geredet, als ob er sich unterstünde, Gottes Handeln zu deuten. Er weiß wohl, daß er als der Unwissende spricht, als Mensch, der keinen Teil an Gottes Weisheit hat.

Und nun schaut er zurück auf sein einstiges Glück und stellt seine jetzige Erniedrigung in Schmach und Schmerz daneben und prüft sich nochmals selbst, ob denn wirklich seine Versündigung an diesem Wechsel schuld sei. Und auch jetzt spricht sein gutes Gewissen rein und laut.

Warum bleibt Hiob seinen Freunden überlegen? Nicht weil er eine bessere Lehre hätte oder Gottes Absicht in seinem Schicksal verstünde. Im Gegenteil, indem auch er die Vergeltungslehre auf dasselbe anwendet, macht er sie vollends finster und unwahr, so daß ihm die Gerechtigkeit in Willkür sich verwandelt und von Gott nichts übrig bleibt als die zwar unbegrenzte, aber erbarmungslose Macht. Hiob hat aber dies vor seinen Freunden voraus, daß er das göttliche Geheimnis in seinem Schicksal spürt und ehrt, und den Grund desselben im verborgenen königlichen Willen Gottes sucht. Seine Stärke ist die unverfälschbare Wahrhaftigkeit, mit der er den wirklichen Gang seines Lebens nicht aus den Augen läßt. Die Freunde formen im Vollgefühl ihrer Weisheit das, was sie sehen, um nach ihrer frommen Theorie. Weil Hiob nach derselben ein Sünder sein muß, schließen sie keck: er ist es auch, und alle Bezeugungen seiner Unschuld sind für sie verloren. Das heißt Hiob: zu Gottes Ehre lügen. Hiob aber läßt sich sein Gewissen nicht übertäuben und fälschen, das ihn nicht verklagt. Daß er unschuldig leidet, das ist sein sicheres gewisses Erlebnis, das er sich nicht verdunkeln läßt, mag auch alle Theorie daran zerbrechen und sich keine Erklärung finden für das, was er erlebt. Deshalb ist er in seinen Gedanken Gott viel näher, ob er ihn auch noch nicht kennt, dem Gott der freien Güte, wie ihn uns der Eingang des Buches zeigte, der weder mit Hiobs Unglück dessen Sünde strafte noch mit Hiobs Glück dessen Rechtthun lohnte, der vielmehr seine guten Gaben aus freigebigem Herzen schenkt, aber auch des Menschen ganzes Herz und reine Liebe für sich begehrt und ihm darum seine Gaben auch entziehen kann in königlicher Freiheit, damit der Mensch ihn auch ehre in Not und Tod und Untergang.

Darf sich ein Mensch so auf seine Gerechtigkeit und sein reines Gewissen stützen, wie es Hiob thut? Man hat das oft „die alttestamentliche Schranke“ des Buches genannt, das noch nicht die volle Erkenntnis der Sünde habe, wie sie das Neue Testament gewährt. Hiob müßte, meinte man, die Erinnerung der Freunde demütiger annehmen, daß niemand vor Gott rein ist. Aber die Bußpredigt der Freunde ist himmelweit von der apostolischen Predigt entfernt, daß sich kein Fleisch vor Gott rühmen dürfe. Die Freunde rühmen sich und machen zwischen sich und Hiob bösen Unterschied und stellen sich auf eine stolze Höhe weit über Hiob empor. Wer aber nach des Apostels Sinn allem Fleisch den Ruhm und die Gerechtigkeit versagt, der spricht sie zuvörderst sich selber ab und erhebt nicht sich selbst über die andern, sondern spricht: hier ist allzumal kein Unterschied. Davon sind die Freunde weit entfernt. In ihren Augen besteht allerdings ein Unterschied zwischen denen, die Gott straft, und denen, die er des Glückes würdig achtet. Sie reden von Hiob wie die Juden vor Jesus von den durch Pilatus Ermordeten, und verdienen und empfangen darum auch keine andre Antwort, als die, welche Jesus jenen Juden gab: meint ihr, jene seien Sünder gewesen mehr als ihr? Luk. 13, 1 ff. Hiob leugnet nicht, daß auch er an der allgemeinen Sündhaftigkeit wie alle Anteil habe. Aber dieselbe erklärt sein besondres Schicksal nicht. Weil er härter geschlagen wurde als viele, müßte er nach der Lehre der Freunde auch schwerer gesündigt haben als sie. Dem widerspricht er mit gutem, aufrichtigem Gewissen. Wer aber Gott redlich sucht und dient, der hat ein gutes Gewissen, im Alten wie im Neuen Testament, und darf dasselbe reden lassen vor Gott und Menschen, vor allem gegen eine hochmütige Bußpredigt wie die der Freunde, welche die andern erniedrigt und sich selbst erhöht.

Das Ende, zu dem Hiob nach seinem Gespräche mit den Freunden kam, war dies, daß sein Geschick ein Rätsel sei, welches Gott allein lösen kann. Den Erklärungsversuch der Freunde, daß er sein Leiden verdient habe, hat er siegreich abgewehrt. Aber warum es über ihn kam, das weiß er nicht. Nun tritt, um diesem Rätsel seine Lösung zu geben, noch ein Redner, Elihu, auf, der bisher nicht genannt und den andern Freunden nicht beigesellt war. Er stimmt weder Hiob noch seinen Freunden zu, sondern tritt gegen beide streitende Teile in die Schranken.

Elihus Reden. 32-37.

Nachdem er erklärt hat, warum auch er noch reden müsse, gibt er dem Leiden des Menschen einen Zweck, an den weder die Freunde noch Hiob dachten. Gott warnt und bekehrt ihn dadurch von seinen Fehltritten. Er kann den Menschen bis nah an den Tod bringen und handelt doch nicht als zürnender Richter an ihm, sondern, wenn der Mensch durchs Leiden zu Gott zurückgerufen wird, vergibt er ihm und errettet ihn. 32. 33.

Eine zweite Rede stellt Gottes vergeltende Gerechtigkeit dar, und die dritte antwortet auf den Einwand Hiobs, daß Gottes Gericht oft ausbleibe. Ob auch Gott wartet und nicht sofort auf das Schreien der Bedrängten antwortet, so liegt ihre Sache doch vor ihm. 34. 35.

Die vierte Rede erinnert nochmals an den heilsamen Nutzen der Züchtigung, da sie den Menschen zu Gott zurückleitet, und schließt mit dem Preis der göttlichen Majestät, vor der wir uns in demütiger Furcht zu beugen haben ohne den Dünkel einer Weisheit, die Gottes Gedanken zu erkennen meint. 36. 37.

Spricht Elihu von Gottes Gericht und Hoheit und unsrer demütigen Unterwerfung unter ihn, so redet er gegen Hiob, der sich vor Gott kühn erhoben hat. Wenn er aber von Gottes gnädiger Absicht im Leiden redet, daß er uns durch dasselbe vom Bösen trennen und erretten will, so hält er den Freunden Hiobs eine neue Wahrheit vor, die weiter führt, als ihr unermüdlich wiederholter Satz, daß der Frevler verderben muß. So wird auch in der schmerzlichen Fügung göttliche Güte erkannt, und dadurch wird es Hiob erleichtert, sein gutes Gewissen und sein trauriges Los miteinander zu reimen und dieses ergeben aus Gottes Hand hinzunehmen.2)

Aber die völlige Lösung des Rätsels und das entscheidende Wort kann nur Gott selber sprechen. Auf ihn haben sich beide Teile berufen. Die Freunde meinten für seine Gerechtigkeit zu eifern, und Hiob hat an seinen Richterspruch appelliert. Er gibt nun aus dem Wetter heraus in zweimal anhebender Rede die Antwort.

Gottes Antwort. 38,1-42,6.

Gott läßt sich freilich nicht herbei, Hiob darüber Aufschluß und Rechenschaft zu geben, warum er so an ihm gehandelt hat. Er bleibt in seiner göttlichen Majestät und macht Hiob nicht zum Richter über sich. Er redet, um Hiob zur demütigen Unterwerfung vor ihm zurückzubringen. Seine leidenschaftliche Frage: warum hast du das gethan muß er bereuen lernen. Darum lehrt Gott nicht, sondern er fragt, und Hiob sollte antworten, kann es aber nicht und wird dadurch der Schranken seiner Erkenntnis überführt. Und zwar fragt Gott nicht nach verborgnen Dingen, sondern nach dem, was vor Augen liegt, nach der Einrichtung des Weltbaus, die wir täglich sehen, wie Erde und Meer und Himmel und Wetter gemacht sind und bestehen, wie die wunderbaren Gestalten der Tierwelt leben und weben, jedes mit seiner eignen Art und Gabe und nach seinem besonderen Gesetz. „Verstehst du das und kannst du das machen?“ Vor einem Nilpferd (Behemoth) oder einem Krokodil (Leviathan) stehst du machtlos da, wie viel mehr vor Gott! Da Hiob das, was er vor Augen hat und was unter ihm steht, nicht durchschauen und bemeistern kann, so soll er hieran die Distanz ermessen, die ihn von Gott geschieden hält. Er versteht Gottes Walten über den Menschenkindern noch weniger. Und Hiob beugt sich reuig und nimmt alles, was er geredet hat, zurück und tritt wieder ins ehrfurchtsvolle Schweigen vor Gott. So steht er wieder da, wie wir ihn am Anfang sahen: „Der Name des Herrn sei gelobt!“

Wäre es die Absicht des Buchs, uns die Gründe der göttlichen Regierung nachzuweisen, dann wäre es freilich seltsam, daß Gott das Wort nur dazu nimmt, um zu sagen: mein Regiment ist ein Geheimnis; ihr versteht es nicht. Dies ist jedoch nicht der Zweck des Buche, sondern es ist dazu geschrieben, damit wir Menschen wissen, was uns im Leiden obliegt, und dieser Absicht ist der Schluß vollständig angemessen: versteht ihr Gott nicht, so schweigt vor ihm und glaubt, daß Gott größer ist als euer Herz. Hiob ist am Ende des Buchs nicht klüger als an dessen Anfang, aber er ist demütiger und gottesfürchtiger, und hierin liegt des Buches Zweck.

Hiobs Rechtfertigung vor den Freunden. 42,7-17.

Gottes Rede an Hiob enthielt bereits eine Widerlegung der Freunde. Allerdings hat auch Gott Hiob getadelt wegen der Überhebung seiner Worte, aber er hat ihn nicht verdammt, sondern freundlich zurechtgebracht und dadurch bezeugt, daß er seiner Gnade teilhaft sei. Nun wendet er sich jedoch noch ausdrücklich gegen die Freunde und heißt sie Gottes Zorn durch Opfer versöhnen, wobei Hiob ihr Fürsprecher bei Gott sein soll. Um Hiobs willen sollen ihnen ihre falschen Reden verziehen sein. So werden die Freunde jählings aus ihrer stolzen Höhe herabgestürzt. Dem Scheine nach waren ihre Worte weit frömmer als die Hiobs; doch vor Gott hat Hiob wahr und fromm geredet. Hiob hat die Gerechtigkeit Gottes geehrt, dadurch daß er an sie glaubte, auch als Gott sein Verfolger schien; die Freunde haben sie geschändet, dadurch daß sie, um Gottes Gerechtigkeit zu erheben, Hiob unrecht thaten. Hiob hat die Weisheit Gottes gepriesen, dadurch daß er sein Schicksal ein Geheimnis bleiben ließ; die Freunde haben sie erniedrigt, dadurch daß sie alles deuten und verstehen wollten. Darum wird Hiobs Wort gelobt und der Freunde fromme Reden sind vor Gott Sünde gewesen.

Aber Gott rechtfertigt Hiob auch mit der That und stattet ihn aufs neue mit allem aus, was zum Glück auf Erden gehört, mit Gesundheit und Reichtum und Söhnen und Enkeln und Mädchen in blühender Schönheit und mit langem Leben bis zur Sättigung.

Man hat geurteilt, dieser Schluß passe nicht recht zum Zweck des Buchs, das uns Gott ohne eigennützige Begier nach seinen Gütern und Gaben dienen heißt. Das Buch stellt ohne Zweifel Gott über alle seine Gaben, vergißt aber deshalb mit der ganzen Bibel das Bedürfnis unsrer irdischen Natur nicht. Es empfindet die drückende peinliche Schwere des Mangels und schätzt die Fülle der irdischen Güter nach ihrem erfreuenden Wert. In diesen Gaben heißt es den, der sie besitzt, die göttliche Güte genießen. Es sagt uns freilich aufs deutlichste, daß Gott uns dieselben auch nehmen kann, und wir sie ihm willig hinzugeben haben. Aber das letzte Wort des Buchs ist nicht das, daß Gott uns die erfreuenden Gaben der Erde nimmt, sondern daß er sie uns gerne gönnt und gibt.

Über den Namen und die Zeit des Verfassers besteht nirgends eine Überlieferung. Ältere Ausleger schrieben dem Buch ein hohes Alter bei, weil es nirgends auf das Gesetz und die Geschichte Israels Rücksicht nimmt. Hiob ist kein Israelite, sondern wohnt im Lande Uz, das jedenfalls jenseits des Jordans zu suchen ist, sei es mehr südlich beim Edomiterland, sei es mehr nördlich in der Nähe von Damaskus. Ebenso gehören seine Freunde den Stämmen am Rande der Wüste an. So erscheint Hiob wie eine Patriarchengestalt, in seinem Gottesdienst und seiner Lebensweise Abraham ähnlich. Der Grund, weshalb das Buch sein Beispiel unschuldigen Leidens und göttlicher Hilfe aus den Stämmen in der Wüste nimmt, wird aber einfach darin zu suchen sein, daß für jene Stämme der Vergeltungsglaube recht eigentlich der Kern und Stern ihrer Frömmigkeit war, wie er's heute noch ist. Dort fand der Dichter darum die naturwahren, lebensvollen Beispiele, an denen er seinen Israeliten zeigen konnte, daß sie mit dem bloßen Vergeltungsglauben Gottes Größe nicht umspannen, sondern ihr Verhältnis zu Gott höher und freier fassen müssen. Die ausgebildete dichterische Form und die hoch entwickelte Reife des Nachdenkens, womit die verschiedenen Stellungen der Menschen vor Gott mit einander verglichen und gegen einander abgewogen werden, führt uns sicher in eine spätere Zeit, wo sich das geistige Besitztum Israels durch seine Geschichte und durch die Gaben der Propheten, Psalm und Spruchdichter gemehrt und bereichert hat. Wir werden schwerlich stark fehlgreifen, wenn wir Hiob in die Nähe der großen Propheten stellen, etwa zwischen Jesaja und Jeremia,3) wie denn auch die prophetische Predigt zu einem großen Teil sich damit beschäftigt, Israel zum Leiden zuzurüsten und ihm in Gottes Gerichten dessen Heilsabsicht zu zeigen: wie mitten im Leiden und Sterben des Volks Gottes Gnade und Güte ihr Werk nicht aufgibt, sondern vorwärts führt, so daß das Leiden, das Gott schickt, dem Feuer vergleichbar wird, in welchem das edle Metall nicht untergeht, sondern gereinigt wird.

Das Buch ist ein erhabnes Vorbild, wie man über Gott und Göttliches nachzudenken hat. Es läßt seine Gedanken wunderbar kühn und frei emporsteigen, und ist ein Beweis zu Jesu Wort, daß die Wahrheit frei macht, und bleibt doch so demütig und bescheiden der uns überlegnen Weisheit Gottes unterthan. Es schaut Israel mitten ins Herz und sieht die Gefahr, die ihm droht. Eben diese anspruchsvolle Frömmigkeit, die auf Gottes Gerechtigkeit pocht und mit ihm rechnet und seine guten Gaben von ihm fordert und nicht leiden mag, hat Israel zu Fall gebracht. Hätte die jüdische Gemeinde das Buch Hiob verstanden, so wäre der Pharisäismus nicht gekommen und sie wäre nicht gestrauchelt an Jesu Kreuz.

1)
Diese Rede kann auffallend erscheinen, weil Hiob hier über das Los der Gottlosen redet, wie es sonst die Freunde thun. Aber die Einrede Hiobs gegen jene Schilderungen der Freunde kommt nicht daher, weil er dieselben für unwahr hielte. Das peinigende an ihren Reden ist beständig dies, daß sie eine Wahrheit auf ihn anwenden, die auf ihn nicht paßt, eine Wahrheit, als wär's die ganze! Jetzt erst, da die Freunde schweigen, kann auch er die Wahrheit, mit der sie bisher gegen ihn kämpften, in seinen Mund nehmen, und damit die Reinheit seines Gewissens bezeugen. Auch er kann vom Untergang des Frevlers reden ohne Furcht.
2)
Vielleicht haben sich die Reden Gottes ursprünglich unmittelbar an die letzten Sprüche Hiobs angeschlossen. Das plötzliche Auftreten eines vierten Freundes ist auffallend und es kostet auch einige Mühe, aufzufinden, wie das, was er sagt, sich vom vorangehenden unterscheidet und etwas neues gibt. Falls wirklich diese Vermutung das richtige trifft, dann sind die Reden Elihu's die Einlage eines späteren Verfassers der, ehe Gott das Wort ergreift, nochmals zusammenfassen wollte, was sich vom menschlichen Standpunkt aus zur Zurechtweisung Hiobs und der Freunde sagen ließ. Jedenfalls sollen diese Reden die Lösung dadurch vorbereiten, daß sie zwar Gottes Erhabenheit und Gerechtigkeit ungezweifelt bezeugen, aber im Leiden nicht nur die richterliche Vergeltung, sondern die gnädige Hand dessen erkennen lassen, der uns zu unserer Besserung straft.
3)
Vielleicht darf man aus der Ähnlichkeit des Klagerufs Jeremias 20,14-18 mit Hiob 3 schließen, daß Jeremia den Hiob gelesen hat.
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