Redenbacher, Wilhelm - Die Menschheit in der Sünde

Redenbacher, Wilhelm - Die Menschheit in der Sünde

Herr, wir haben missgehandelt und bekennen dir unsre Missetat. Vergib uns, o Herr! lass uns nicht in unsern Sünden sterben, und lass die Strafe nicht ewig auf uns bleiben; sondern wollest uns Unwürdigen helfen nach deiner großen Barmherzigkeit, so wollen wir unser Leben lang dich loben. Denn dich lobt alles Himmelsheer, und dich soll man preisen immer und ewig. Amen.

Text: Psalm 14, 2. 3.

Der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe, ob Jemand klug sei und nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen, und allesamt untüchtig; da ist Keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer.

Wie muss ein Engel sich ausnehmen, Geliebte! der nichts weiß, nichts will, als Gottes Willen, der auf seinen Schöpfer schaut, am Wink seiner Augen hängt, auf das Wort seines Mundes lauscht, und mit heiliger, seliger Lust seine Befehle ausrichtet! Wie muss der Mensch Anfangs gewesen sein, den Gott ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes geschaffen hatte, an dem seine Liebe, seine Reinheit, seine Wahrheit strahlte, in dem sein göttlicher Wille mit heiligem Schöpfersfinger tief eingegraben stand, und der in süßer Unschuld seines Herzens auf das Innigste und Nächste mit seinem Gott verkehrte! Aber welch eine Veränderung nach dem leidigen Sündenfalle, welch andere Gestalt der Menschen!

„Der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe, ob Jemand klug sei, und nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen und alle samt untüchtig; da ist Keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer.“ Es ist das eine Klage Davids über das allgemeine Verderben auf Erden. Wie? gibts denn nicht auch noch Fromme auf Erden? Liebe Freunde, es wird im Text von der natürlichen Beschaffenheit der Menschen geredet; und auch der Wiedergeborene, Bekehrte, hat am neuen Gottesmenschen doch immer noch etwas vom alten Naturmenschen, und wird unserm Spruche nicht ganz entrinnen können; und wer sich meint ausschließen zu dürfen, der ist noch gar nicht bekehrt.

Wir betrachten jetzt kürzlich:

Die Menschheit in der Sünde.

In Allem, werte Zuhörer! haben wir zuerst auf das lautere Zeugnis der Wahrheit, auf das Wort der Schrift zu hören; und es ist unleugbar, dass die Schrift den Zustand der Menschheit durchweg als einen verdorbenen, ja als einen sehr verdorbenen beschreibt. Gott selbst spricht 1 Mos. 8, 21: Das Tichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Hiob fragt 14, 4: Wer will einen Reinen finden bei denen, da Keiner rein ist? David seufzt Psalm 51, 7: Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeugt. Der Prediger Salomo bezeugt 7, 21: Es ist kein Mensch auf Erden, der Gutes tue und nicht sündige. Jesaias bekennt 64, 6: Wir sind allesamt wie die Unreinen, und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid; wir sind alle verwelket, wie die Blätter, und unsere Sünden führen uns dahin, wie ein Wind. Christus sagt Joh. 3, 3. 6: Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und wenn nicht Jemand von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Paulus Röm. 3, 23: Es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten, Johannes 1 Br. 5, 19: Die ganze Welt liegt im Argen. Solche Sprüche in Menge stehen neben dem Text: Gott schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe, ob Jemand klug sei, und nach Gott frage; aber sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig, da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer.

Ebenso unleugbar ist es, wie viel man auch von der fortdauernden Güte und Unverdorbenheit der menschlichen Natur reden mag, dass die Erfahrung diese heiligen Aussprüche vollkommen bestätigt. Der Herr schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder Er hat schärfere, durchdringendere Augen, als wir, aber lasst uns nur mit ihm unser Geschlecht betrachten! Was für ein Anblick bietet sich ihm. dar? Er will sehen, ob sie klug seien. Sind sie klug? Was ist der Klugheit? der Weisheit Anfang? Gottesfurcht. Ps. 111, 10. Fürchten sie den Herrn? Scheuen sie seine Majestät und sein Gericht? Er will sehen, ob sie nach ihm fragen. Fragen sie nach Gott, nach seinen heiligen Sitten und Rechten, dass sie danach wandeln möchten? Fragen sie bei Allem, was sie denken und tun, beschließen und ausführen: was sagt Der im Himmel dazu? Ach, wir wissen, wie man dahinlebt, ohne sich das Mindeste um Den im Himmel zu bekümmern, oder doch viel mehr auf seinen Vorteil, auf seine Lust als auf Gott merkt. Ach, sie sind alle abgewichen, mehr oder minder, vom rechten Pfad des göttlichen Gebotes, vom Weg des Lebens, der überwärts geht; sie gehen alle in der Irre, und die Steige des Friedens kennen sie nicht. Sie sind alle untüchtig zum Dienste Gottes, zum Leben in ihm. Ihr Wille ist verkehrt und gebunden in einen andern Dienst. Der Mensch von Natur „hat zwar etlicher maßen einen freien Willen, äußerlich ehrbar zu leben, und zu wählen unter den Dingen, so die Natur begreift; aber er vermag nicht gottgefällig zu werden, Gott herzlich zu fürchten, oder zu glauben, oder die angeborene Lust aus dem Herzen zu werfen.“ (Augsb. Konf. Art. 18). Und wenn schon ein Trieb in ihm zum Göttlichen sich wendet, so hat er keine Kraft, durchzudringen, so muss er seufzen: Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Da ist Keiner, der Gutes täte, ein wahrhaft Gutes, oder ein Gutes, dem sich das Böse nicht anhinge, auch nicht Einer. Der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder was sieht er? Sie waren seine Kinder, mit seinem Bilde geziert; aber sie sind eine verkehrte Art, sie sind untreue Kinder geworden, sie sind nun der Menschen Kinder, vom Fleisch Geborene. Sie haben wohl noch Spuren ihrer ursprünglichen Herrlichkeit, edle, treffliche Anlagen, Regungen eines besseren, göttlichen Sinnes, und was das Beste ist, sie haben noch die Empfänglichkeit, wieder erneuert zu werden zu Gottes Bilde; aber es ist nicht zu verhehlen, dass eine große Unordnung und Zerrüttung in dieses Gebilde gekommen ist, und dass es sich mit Sünden befleckt, die unzählig und gräulich sind.

Liebe Zuhörer! Es kommt alles vor Gott auf das Herz des Menschen an wie aber sieht es darinnen aus? Was für bittere Wurzeln stecken in diesem Boden, was für böses Gewürm regt sich in dieser Grube, was für Schlamm und Unrat trübt diesen Brunnen. Da wohnt und treibt durcheinander Hoffart, Wollust, Habgier, Neid, Zorn, Lügenliebe usw. Und wes das Herz voll ist, des geht bei aller Zurückhaltung und Verstellung Mund und Leben nur zu reichlich über. Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsches Zeugnis, Lästerung. Welche Sünden geschehen auf Erden! öffentliche und heimliche, ach heimliche, die keine Sonne bescheint, die sich in ihr Element, die Finsternis, verbergen; aber sind nicht die öffentlichen schon wie Sand am Meere und wie Bergeshöhen? Wir wollen jetzt nicht auf die weite blinde Heidenwelt hinweisen, die in Abgötterei, tierischen Gelüsten und teuflischen Gräueln dahinlebt, die zum Teil das Fleisch und Blut ihrer Mitmenschen mit entsetzlicher Wollust hinunterschlingt; die Christenheit, diese Christenheit, in welche Licht und Leben von Oben nun so viele Jahrhunderte hineinscheint, zeigt ja sattsam das Verderben unserer Natur. Sollen wir noch namentlich davon reden? Wie da Übermut und Ausgelassenheit, Unmäßigkeit und Unzucht, Falschheit und Treulosigkeit, Härte und Unbarmherzigkeit, Feindschaft und Streit, Ungehorsam und Widerspenstigkeit, Gottes- und Menschenverachtung rc. rc. noch immer im Schwange geht? Nehmt eine große Stadt, was für Sünde und Torheit umfangen ihre Mauern! Nehmt ein geringes Dorf, wie viel Torheit und Missetat wohnt drin! Aber geht in den kleinen Raum eines Hauses, einer einzigen Familie, - welche Wunden und Schäden! Und geht in den engen Raum eines Herzens wieder, welch eine Welt voll Ungerechtigkeit!

Wir sagen wiederholt, dass wohl ein Unterschied sei unter den Menschen, unter Bekehrten und Unbekehrten, unter Christen und Heiden, selbst unter besseren und noch schlechteren Heiden; doch sind wir von Natur alle voll Irrtum und Elend, und auch nach der Bekehrung bleibt leider genug; und hierin ist kein Unterschied, dass sie allzumal Sünder sind. O Mensch, du Krone der Schöpfung, was ist aus dir geworden! Wie bist du gefallen, du schöner Morgenstern!

Diesen traurigen Zustand der gefallenen Menschheit, von der Feder ein mitleidendes Glied ist, müssen wir aber auch erkennen, Geliebte! Die Schrift verlangt durchaus, dass wir unsere Sünde erkennen. Gott spricht Jer. 3, 12. Ich bin barmherzig und will nicht ewig zürnen, allein erkenne deine Missetat, und dass du wider den Herrn, deinen Gott, gesündigt hast. Was hilfts auch, seine Missetat leugnen; was hilfts, die Augen zudrücken vor seiner eignen Gestalt und Hässlichkeit, und der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, und seine Augen sind heller als die Sonne, und sehen Alles, und schauen auch in die heimlichen Winkel? So genügt uns auch kein oberflächliches, leichtfertiges Erkennen, ein gründliches muss es sein, ein Hineinsehen und erwägendes Hineingehen in die Tiefe der Verdorbenheit des menschlichen Herzens und in die Größe unserer Schuld vor Gott; dass man nicht bald sich beruhige und in sicherer Lust fortlebe, sondern auch seine Sünde fühle und herzlich darüber betrübt werde, mit Abscheu von ihr weg, mit Sehnsucht nach dem Besseren, nach dem Helfer sich kehre. Johannes ruft durch die Wüste: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeikommen! (Matth. 3, 2). Jesus selber ruft: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeikommen! (Matth. 4, 17). Petrus ermahnt: So tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden (Apost. Gesch. 3, 19)

Liebe Brüder und Schwestern! So seht und geht denn hinein, recht hinein in eure eigentliche Herzens- und Lebensnot. Prüft euch mit aller Sorgfalt, und zwar in dem klaren Spiegel des göttlichen Gesetzes, „denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ Röm. 3, 20. Haltet euch jedes der heiligen zehn Gottesgebote fest vor die Seele, nicht bloß nach seinem buchstäblichen, sondern noch vielmehr nach seinem geistlichen Sinn, den uns der Herr in der Bergpredigt aufs schließt; und fragt euch bei jeglichem: Wie habe ich es gehalten von Jugend auf? Hierauf gebt euch, soviel ihr nur könnet, eine treuliche Antwort. Ermesst dabei, wie strafbar die Übertretung eines Gesetzes sein müsse, das die höchste Heiligkeit hat, weil es von dem obersten Gesetzgeber und König der Welt ausgeht. Erwägt noch, dass dieser Gesetzgeber beginnt: „Ich bin der Herr, dein Gott,“ dass es euer guter, lieber Gott und Vater ist, den ihr durch Übertretung hintansetzt. So werden euch die Augen des Geistes aufgehen über euch selbst, ihr werdet zu einer gründlichen, wirksamen Sündenerkenntnis gelangen, ihr werdet Buße tun.

Freilich, liebe Freunde! „die Buße zu Gott“ will unserer Zeit nicht mehr gefallen, die nur ein heiteres Christentum liebt. Aber was notwendig ist, das sollte sich Jeder gefallen lassen. Es ist wahrhaftig kein Glück, immer nur so heiter und lustig zu sein; wir kennen den, der da spricht: Selig sind die Leidtragenden! Durch diese Traurigkeit geht's zur wahren Fröhlichkeit und Sonnenhelle. O wie viel betrübter in der Tat steht's um die, welche alle ernsten Gedanken fliehen, als um die, welche oft mit Wehmut und Erschrecken vor ihrem beleidigten Gott sich beugen! Antwortet euch nur selbst: Wann war David besser beraten, da er seine Untat verschweigen wollte, oder da er sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen? Wann war Petrus tröstlicher bestellt, da er sich der gelungenen Verleugnung freuen mochte, oder da er von Jesu Blick getroffen hinausging, und weinte bitterlich? Wann war Magdalena glücklicher zu preisen, da sie in schnöden Wollüsten schwelgte, oder da sie mit ihren Tränen die Füße Jesu netzte? Warum wollten wir denn die Schmerzen der Heilung fürchten, und den Schaden unbeachtet lassen, bis er unheilbar ist?

Scheut also das ernste Christentum nicht, und denkt überhaupt, dass wir uns nicht selber ein Christentum machen dürfen nach unseres Herzens und Fleisches Gelüsten, sondern dass wir das Christentum an- und aufnehmen müssen, wie es uns die Schrift bietet. Sie aber vergleicht den Menschen einem verirrten und verlorenen Schafe, einem verlorenen Sohne, und zeigt, wie der verlorene Sohn in sich schlagen und mit sehr ernsten Gedanken sein Elend beherzigen muss, bis ihm in des Vaters Armen wieder wohl werden kann, bis er in der trauten Heimat wieder die ersten Freudenlieder singt.

So seid denn von Herzen bußfertig, Geliebte! Forscht und sucht euer Wesen vor Gott, und wenn ihr euch findet, was ihr seid vor seinem heiligen Angesichte, so legt die Hände zusammen in Demut und Wehmut, und sprecht: Vater, ich habe gesündigt vor dir im Himmel, und bin nicht wert, dass ich dein Kind heiße. Keiner ist's wert; kein Mensch mag rechtfertig bestehen vor Gott. Selig, wer sich am Kreuz Christi niederlegt, und nichts von eigner Gerechtigkeit will, sondern Alles von Gottes Gnade und Christi Verdienst erwartet. Amen.

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