Quandt, Emil - Die sieben pastoralen Sendschreiben der Offenbarung Johannis - VII. Das Sendschreiben an den Engel in Laodicea.
Offenb. Joh. 3. 14-22.
Und dem Engel der Gemeine zu Laodicea schreibe: Das sagt Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Kreatur Gottes: Ich weiß deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts; und weißt nicht, dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufest, das mit Feuer durchläutert ist, dass du reich wirst, und weiße Kleider, dass du dich antust, und nicht offenbaret weide die Schande deiner Blöße; und salbe deine Augen mit Augensalbe, dass du sehen mögest. Welche ich lieb habe, die strafe und züchtige ich. So sei nun fleißig, und tue Buße. Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür austun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir. Wer überwindet, dem will ich geben mit mir auf meinem Stuhl zu sitzen; wie ich überwunden habe, und bin gesessen mit meinem Vater auf seinem Stuhl. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt. Amen.
Laodicea, eine alte phrygische Stadt, die ursprünglich Diospolis, dann Rheos hieß und schließlich zu Ehren der Giftmischerin Laodice, der Gemahlin des syrischen Königs Antiochus des Zweiten, Laodicea genannt wurde, war in der apostolischen Zeit eine Nachbarstadt von Kolossä, mittelgroß, wohlhabend besonders durch Schafzucht; die glänzend schwarze Wolle der laodicenischen Schafe war weit und breit berühmt und ein beliebter Handelsartikel. Zwischen der christlichen Gemeinde zu Laodicea und der zu Kolossä bestand nach Koloss. 4, 15. 16 eine lebhafte Verbindung; es ist anzunehmen, dass Epaphras, Pauli Freund und Mitarbeiter, wie die Gemeinde zu Kolossä, so auch die zu Laodicea gegründet hat; Paulus gibt ihm Koloss. 4, 13 das schöne Zeugnis, dass er großen Fleiß hat um die Brüder zu Kolossä und Laodicea. Nach Koloss. 4, 14 ist es sehr wahrscheinlich, dass zur paulinischen Zeit ein gewisser Nymphas der Vorsteher der laodicenischen Gemeinde war; die Gemeinde versammelte sich in seinem Hause. Nach Kolosser 4, 16 hat der Apostel Paulus eine besondere Epistel an die Laodicener geschrieben; wenn dieselbe nicht etwa identisch ist mit der paulinischen Epistel an die Epheser, so ist sie uns verloren gegangen. Die alte Stadt Laodicea ging schon im Jahre 66 nach Christi durch ein Erdbeben vollständig unter. Hundert Jahre später wurde unter dem Kaiser Mark Aurel in der Gegend der untergegangenen Stadt eine neue, großartige Stadt mit dem alten Namen Laodicea aufgebaut; das ist das Laodicea, in welchem im 4. und 5. Jahrhundert nach Christo verschiedene berühmte Synoden abgehalten wurden; auch dieses neue Laodicea ist schon seit Jahrhunderten ein Trümmerhaufen.
Vers 14. Und dem Engel der Gemeinde zu Laodicea schreibe: Das sagt Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Kreatur Gottes. Dem lauen, eingebildeten Vorsteher von Laodicea kündigt sich der Herr mit dreifacher Bezeichnung an. Er tritt ihm zunächst gegenüber als der Amen; es ist das eine Bezeichnung, die in der ganzen Bibel nur hier vorkommt. Denn wo das Wort Amen sonst in der Bibel vorkommt, ist es die kirchliche Bekräftigungsformel, entsprechend den deutschen Ausdrücken: „Das ist gewisslich wahr“, „ja, ja, es soll also geschehen!“ Diese adverbiale Formel ist zum sächlichen Hauptwort zweimal in der Bibel gemacht, nämlich Jesaias 65, 16: „Wer sich segnen wird auf Erden, wird sich segnen mit dem Gott des Amens“ (Luther zu frei: „in dem rechten Gott“) und 2. Korinth. 1, 20: „Alle Gottverheißungen sind Ja in Jesu Christo und sind (das) Amen in ihm“; in beiden Stellen ist damit die absolute Übereinstimmung von Wort und Wesen ausgesagt. In unsrer Stelle aber heißt es nicht: „Ich bin das Amen“, sondern einzigartig: Ich bin der Amen. Der Herr bezeichnet sich damit offenbar als den Inhaber aller Wahrheitsfülle, als die ewige Wahrheit und Gewissheit selbst. Die zweite Selbstbezeichnung: „Der treue und wahrhaftige Zeuge“ ist weniger die Übersetzung des hebräischen Ausdrucks „der Amen“, als vielmehr die Beschreibung des Amen, wie derselbe sich kraft seiner innerlichen Wahrhaftigkeit seiner Gemeinde gegenüber verhält. Sie steht in Zusammenhang mit Offenb. Joh. 1,5, wo Christus wegen seines durch sein Leben und Sterben für die Wahrheit abgelegten Zeugnisses der treue Zeuge heißt; hier heißt er auch noch der wahrhaftige, der sich in Allem, was er verheißt und droht, zuverlässig bewährt hat, bewährt und bewähren wird. Er ist der, der Wort hält und treues Zeugnis auch von den Seinen fordert; das soll den Engel aus seinem schlaffen, matten Christentum aufrütteln. Wenn die beiden Bezeichnungen: „Ich bin der Amen“ und „ich bin der treue und wahrhaftige Zeuge“ eng zusammen gehören und sich gegenseitig ergänzen und erklären, so tritt die dritte Selbstbezeichnung Christi als etwas Besonderes und Eigenartiges auf. Christus nennt sich den Anfang der Kreatur (oder Schöpfung) Gottes. Das deutsche Wort Anfang gibt den griechischen Ausdruck nur höchst unvollkommen wieder; man muss sich mit dem lateinischen Worte Prinzip helfen. Christus ist nach seiner Gottheit das Prinzip der Kreatur, der Ausgang und Ursprung der Schöpfung, ihr Urbild, ihre Bedingung, ihr Zweck. Das ganze Universum ist von Gott dem Vater in ihm gedacht und gewollt und geworden, wie das der Prolog des Ev. Johannis und Koloss. 1,14-17 weiter ausführen. Der an der Spike der geretteten und zu rettenden Menschheit steht, steht auch an der Spike der ganzen Schöpfung; der Urquell des ewigen Lebens ist zugleich der Urquell alles Lebens in der Welt. Es ist behauptet worden, dass diese Selbstbezeichnung Christi als des Prinzips der Schöpfung Gottes keine besondere Beziehung auf die Gemeinde in Laodicea involviere. Allein der, von dem alle Dinge stammen, hat auch über alle Dinge Macht; dem Allmächtigen ist kein Ding unmöglich; er kann auch noch einer lauen Gemeinde Lebenskraft einhauchen, auch halberstorbenen Seelen noch zum Licht und Leben helfen, er allein dessen mag sich der Engel von Laodicea inmitten der ernsten Erinnerung, die ihm wird, getrösten. Es muss dahingestellt bleiben, ob in der Benennung Christi als des Prinzips der Kreatur Gottes eine gegensätzliche Beziehung zu etwaigem Engeldienst in Laodicea nach der Weise der Kolosser (Koloss. 2, 18) liege oder zu geistreichen philosophischen Spekulationen über den Ursprung der Dinge, wie sie zu Kolossä beliebt gewesen zu sein scheinen; allerdings wird die Entwicklung der kolossischen und der ihr benachbarten und verbundenen laodicenischen Gemeinde wohl gleichen Schritt gehalten haben.
Vers 15. Ich weiß deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist; ach, dass du kalt oder warm wärest! Ich weiß deine Werke, sagt der Herr; und sofort beginnt der Tadel gerade wie in dem Sendschreiben an Sardes. Der Herr tadelt, dass der Engel weder kalt, noch warm, also, wie es im folgenden Verse auch ausdrücklich heißt, lau ist; und er wünscht ihm, dass er entweder kalt oder warm wäre. So einfach die Worte lauten, so sind sie doch für das Verständnis von nicht unerheblichen Schwierigkeiten gedrückt. Die Schwierigkeiten liegen in dem Worte kalt. Wir verstehen es leicht, wenn von dem laodicenischen Vorsteher gesagt wird, er sei nicht warm, und wenn gewünscht wird, dass er warm wäre. Ihm fehlte die Wärme des Glaubens, ihm fehlte die Glut des h. Geistes, der den Glauben wirkt und durch den Glauben wirkt; er war von dem heiligen Feuer einst angeflammt und mehr oder minder durchglüht, wie wäre er sonst ein Christ, ja der Vorsteher einer christlichen Gemeinde geworden? Das Feuer war auch noch nicht ganz ausgebrannt, aber es war sehr niedergebrannt; die Lebensluft war lau und flau geworden. Welch' ein Wunsch ist da natürlicher, als der, dass das heilige Feuer neue Nahrung erhalten und wieder hell und heiß auflodern möchte, dass der Engel und seine Gemeinde wieder warm würden in dem Herrn und für den Herrn. Aber es wird von dem Engel auch gesagt, dass er nicht kalt sei, und es wird gewünscht, dass er, statt lau zu sein, wie er ist, er nicht bloß warm wäre, sondern entweder kalt oder warm. Ist die Wärme die Wärme des Glaubens, das Feuer des Heiligen Geistes, dann kann die Kälte doch nur das Gegenteil davon sein, die Kälte des Unglaubens, der kohlenlose Herd des Geistes dieser Welt. Aber ist denn das ein frommer Wunsch, dass ein lauer Christ lieber ein Unchrist, ein Widerchrist, zum mindesten ein Nichtchrist sein möge? Man hat diese Frage bejahen zu können gemeint, in dem Gedankengange, dass kalt insofern besser wäre, als lau, weil es die Möglichkeit offen ließe, dass die Kraft des Heiligen Geistes Eingang finden und Bekehrung bewirken könne, während das Laue schon eine Einwirkung des Heiligen Geistes erfahren habe, die aus Mangel an Empfänglichkeit ohne Erfolg geblieben sei, so dass auf eine Bekehrung nicht mehr zu hoffen sei. Aber die ganze Tendenz gerade dieses Sendschreibens spricht gegen solchen Gedankengang; es soll ja doch gerade durch dieses Sendschreiben ein lauer Mann, eine laue Gemeinde bekehrt werden und der Herr erwartet geradezu ihre Bekehrung, wie die Verse 18 bis 21 zeigen; namentlich beweist Vers 20 zur Evidenz, dass das Laue, ebenso gut wie das Kalte zur Wärme erweckt werden kann. Wenn hier kalt und warm in gleich guter Bedeutung und in gleichem Gegensatz zum Lauen stehen, so wird man den Vergleichungspunkt in einer Sache zu suchen haben, bei der sowohl das Kalte als das Warme das Normale und Gesunde und das Laue das Fehlerhafte und Ungesunde ist. Der starke Ausdruck des folgenden Verses, der von dem Ausspeien des Lauen redet, zeigt uns die Sache, auf die es ankommt. Die biblischen Worte kalt, warm, lau beziehen sich auf das Bild von Speise und Trank. Es gibt sowohl kalte, als warme Speisen und Getränke, die jedes in seiner Art genießbar und schmackhaft sind; dagegen laue Speisen, laue Getränke schmecken übel, erregen Übelkeit, drängen zum Ausspeien. Der Herr wirft so dem Engel vor, dass er weder warm sei wie eine wohlzubereitete Speise, noch kalt wie frisches Wasser, wie eine frische Frucht, und wünscht ihm, dass er eins von beiden wäre. Vollbefriedigend ist auch diese Auslegung nicht, einmal deswegen nicht, weil man den Eindruck nicht los wird, dass kalt und warm hier doch Gegensätze bedeuten sollen, und dann, weil es im Griechischen doch eigentlich nicht warm heißt, sondern heiß, siedend und siedend-heiße Speise erst recht nicht gesunde Speise wäre. So wird man sich vielleicht entschließen müssen, zwar den Gegensatz von kalt und warm als von ungläubig und gläubig anzuerkennen, aber hinzuzudenken, dass in dem Ungläubigen das Gefühl seines Bedürfnisses, die Buße und das Heilsverlangen eher aufkommen, als in dem, der nicht Glauben genug hat, um gläubig zu heißen, und nicht Unglauben genug, um ungläubig zu heißen.
Vers 16. Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Es ist ein Verwerfungsurteil im schärfsten Tone, das hier über den lauen Pastor von Laodicea gefällt wird; während es unser größtes Heil ist, wenn der Herr uns im Munde hat, uns als die Seinen bekennt, so ist es umgekehrt das schrecklichste Unheil, wenn der Herr uns aus seinem Munde ausspeit, denn er will dann nichts mehr von uns wissen, und wir haben keinen Teil an ihm. Wir erkennen, dass dem Herrn ein Dahinleben in geistlicher Lauheit in tiefster Seele zuwider ist. Wer, ohne vom Geiste des Herrn erfüllt und durchglüht zu sein, ihn doch satt und sicher zu haben meint; wer in falscher Genügsamkeit mit dem, was er als Christ geworden ist, alle tieferen Geistes- und Herzensbedürfnisse je länger, je mehr zurückdrängt, geht der Gemeinschaft mit Christo und der Gnade Gottes verlustig. Doch haben wir in diesem Verse nicht ein unwiderrufliches letztes Urteil über Laodicea und seinen Engel; noch hat ihn der Herr im Munde und er will ihn nach Vers 18 bis 21 nicht ausspeien, wenn er auf des Herrn Stimme hört und seinen Sinn ändert.
Vers 17. Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts und weißt nicht, dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. Die törichte Selbstzufriedenheit des Engels wird gegeißelt. Es gehört das eben mit zum Wesen der Lauheit im Christentum, dass man in eitlen Selbstbetrug sich einspinnt und bei allem geistlichen Elend sich für ein großes Licht im Herrn hält. Ich bin reich und habe mich bereichert (Luther: ich habe gar satt), denkt und spricht der Engel. Es ist natürlich vom geistlichen Reichtum die Rede, vom Besitz der wahren Güter des Lebens, und man kann hier nicht auf Ev. Matth. 13, 22 zurückgreifen, wo von dem Betrug des äußeren Reichtums gesprochen wird. Der Engel dünkt sich von Hause aus geistlich reich, im Besitz des vollen, wahren, seligmachenden Christentums, und meint im Laufe der Zeit sich noch mehr bereichert zu haben, ein immer ausgezeichneterer Christ geworden zu sein, so dass er nichts mehr bedürfe, sondern an Gütern und Schätzen des Reiches Gottes Alles im Überfluss besitze. Eine ungeheuerliche Verblendung! Er weiß nicht, dass er elend und jämmerlich ist, wörtlich der Elende und der Jämmerliche, der dem Herrn längst als elend Bekannte, der vor dem Auge des Herrn mehr als alle Andre erbärmlich Dastehende, der, auf den man mit Fingern weisen muss wegen seiner Jämmerlichkeit; es erinnert an das „siehe der Mensch!“ Ev. Joh. 19,5. Die Bezeichnung „jämmerlich, erbärmlich“ hebt das Bemitleidenswerte an ihm hervor. Sein Elend und seine Erbärmlichkeit ist dreifacher Art. Er ist arm; gerade die Güter des Lebens, die er reichlich zu besitzen wähnt, fehlen ihm. Er ist blind; die Wahrheit und die richtige Erkenntnis, die er zu haben wähnt, sind ihm abhandengekommen. Er ist bloß oder nackt; es fehlt ihm das Kleid der Gerechtigkeit des Herrn, das er doch zu tragen meint. Sein Christentum ist lauter Wahn und Einbildung; die Reichtumsfülle, in der er schwelgt, ist gar nicht vorhanden, sondern es ist das reine geistliche Elend da. So träumt der Kranke von herrlichen Luftschlössern mit Pracht und Herrlichkeit und liegt doch in Wirklichkeit auf dürftigem Siechenbette in elender Hütte mit hippokratischem Gesichtszug, ein fast aufgegebener Mann. Das Menschenherz, auch das Pastorenherz ist ein wunderliches Ding, das sich oft gerade dann, wenn die Wirklichkeit Alles zu wünschen übrig lässt, in den stolzesten Träumen und in den maßlosesten Phantasien wiegt. Mancher Geistliche glaubt ein Heiliger oder ein Märtyrer zu sein und ist nichts weiter, als ein eitler, eingebildeter Mann.
Vers 18. Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das mit Feuer durchläutert ist, dass du reich wirst; und weiße Kleider, dass du dich antust und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße; und salbe deine Augen mit Augensalbe, dass du sehen mögest. Das erste ausdrückliche freundliche Wort des Herrn in diesem Sendschreiben. Es heißt nicht auslegen, sondern einlegen, wenn man das „ich rate dir“ ironisch fasst oder auch als ein Zeichen der zwischen dem Engel und dem Herrn eingetretenen Entfremdung, wonach der Herr ihm gar nicht mehr mit Ermahnung komme, sondern eben nur noch mit gutem Rate. Durch solche Künsteleien der Auslegung wird dem Verständnis der apokalyptischen Sendschreiben nichts weniger als ein guter Dienst getan. Der Herr gibt dem Engel von Laodicea seinen guten Rat aus Gnaden und in allem Ernste, weil er will, dass allen Menschen geholfen werde, auch den lauen Christen; weil er will und wünscht, dass der laue Repräsentant der lauen laodicenischen Gemeinde die Lauheit überwinde und in Wirklichkeit erlange, wieder erlange, bis ans Ende erlange, was er im Wahn schon zu besitzen, ja im Überfluss zu besitzen meinte. Er glaubt reich zu sein und ist arm; gnadenvoll rät ihm der Herr, dass er von ihm kaufen solle mit Feuer durchläutertes Gold, damit er in Wirklichkeit reich werde. Es gibt kein anderes Kaufen im Reiche Christi als Buße tun und glauben, das „kaufet“ ohne Geld und umsonst bei dem Propheten Jesaias (Jes. 55, 1) schließt den Kaufpreis des Bußglaubens nicht aus, sondern ein. Das mit Feuer durchläuterte, d. h. das lautere, gediegene Gold, das den armen Engel reich machen soll, ist hier nicht der in Prüfungen bewährte Glaube, denn durch den Glauben soll ja eben erst das Gold gewonnen werden, sondern es ist das in dem Verdienste Jesu Christi wurzelnde Heilsgut, das der Engel im Glauben sich an eignen, wieder aneignen soll; wie das durchs Feuer geläuterte Gold so lauter ist das Verdienst Jesu Christi, es ist das allein echte, reich machende Gut, dem gegenüber alle andern Güter des Lebens nichts weiter sind, als eine Hand voller Sand. Die weißen Kleider, mit denen der Engel die Schande seiner Nacktheit bedecken soll, sind hier nicht, wie in dem Sendschreiben an Sardes, die Feierkleider der ewigen Herrlichkeit, sondern die der Glaubensgerechtigkeit, wie sie hier auf Erden schon aus der gläubigen Annahme des Heils in Christo folgt. Die Augen salbe, die den blinden Engel sehend machen soll, ist das Licht der Wahrheit aus dem Heiligtum, die Erleuchtung des Heiligen Geistes durch das Wort der Wahrheit gemäß Psalm 119, 104 und 105: „dein Wort macht mich klug, darum hasse ich alle falschen Wege; dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“
Vers 19. Welche ich lieb habe, die strafe und züchtige ich; so sei nun fleißig und tue Buße. Der erste Satz nennt ein allgemeines Gesetz im Reiche Gottes auf Erden; der zweite Satz zieht daraus eine spezielle Folgerung und Mahnung für den Engel von Laodicea. Es ist immer des Herrn Art, diejenigen, die er lieb hat, seine Jünger, seine Anhänger, seine Christen (das griechische Wort für lieben geht auf die Liebe zu den Gläubigen), wenn sie lässig und schlaff geworden sind und in der Gefahr stehen, des Christentums verlustig zu werden, durch rückhaltlose Aufdeckung ihres bedenklichen Seelenzustandes und durch Überführung davon zur Buße zu bewegen. Das hat der Herr nun auch jetzt an dem Engel von Laodicea getan durch seine scharfe und ernste Rüge; das Wort, das Luther mit strafen verdolmetscht hat, meint das Strafen mit Worten, was wir eben Rügen nennen; das Züchtigen meint die heilsame Zucht der Gnade, zu der die Rüge als eins ihrer Hauptstücke gehört. So streng der Herr gerade dem Engel von Laodicea gegenüber seine Worte gesetzt hat, so dass er ihm nur Tadel und nicht ein einziges Wörtlein des Lobes spendete, so soll doch der Engel wissen, dass es die Liebe seines Heilands ist, die ihn züchtigt, die Liebe, die nichts weiter will, als ihn und die Gemeinde zurückzubringen auf den rechten Weg. Freilich auch die Anstrengungen der rügenden Liebe wären vergebens, wenn der Engel sie nicht verstände. Aber der Herr versieht sich zu dem Engel eines Besseren; er vertraut, dass der Engel nun fleißig sein werde zur Buße. So sei nun fleißig und tue Buße, diese Doppelmahnung ist als eine einheitliche aufzufassen; die Buße, die Sinneswandlung, die Bekehrung ist die große Hauptsache, auf die es für den Engel ankommt; für diesen Zweck soll der Engel fleißig sein, Eifer beweisen.
Vers 20. Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an; so Jemand meine Stimme hören wird und die Tür austun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir. Es ist das eines der hervorragendsten Worte von unsterblicher Kraft und Schönheit, die die sieben Sendschreiben enthalten. Es ist oft besungen worden; ich erinnere nur an das schöne Abendmahlslied des Freiherrn von Pfeil, dessen erste Strophe lautet:
„Auf mein Herz, dein Heil ist nahe,
tu' die Tür auf und empfahe
den, der anklopft; wer ihn hört
und den Eingang ihm gewähret,
zu dem will er sich in Gnaden
und ihn mit zum Nachtmahl laden“1),
und an das wundervolle Adventslied von Gerok, dessen erste Strophe lautet:
„Ich klopfe an zum heiligen Advent
und stehe vor der Tür!
Selig, wer des Hirten Stimme kennt
und eilt und öffnet mir!
Ich werde Nachtmahl mit ihm halten,
ihm Gnade spenden,
Licht entfalten,
der ganze Himmel wird ihm aufgetan,
ich klopfe an!“ 2)
Die prosaische Auslegung dieses köstlichen Verses seitens der gläubigen Schriftausleger ist eine zwiespältige. Die eine Auslegung, die eschatologische, findet eine Parallelstelle in Luk. 12, 36: „Seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wenn er aufbrechen wird von der Hochzeit, auf dass, wenn er kommt und anklopft, sie ihm alsbald auftun“, und deutet den Vers als Ankündigung der Parusie des Herrn. „Ich stehe vor der Tür“ heißt dann so viel als: die Wiederkehr des Herrn ist nahe; das Hören und Öffnen der Tür ist die Annahme und Beherzigung dieser Ankündigung; so kann der Herr, wenn er wiederkommt, uns zum Heile kommen und im Reiche der Vollendung uns an jenem Mahle teil nehmen lassen, davon er Ev. Matth. 26, 29; Luk. 22, 29. 30 geweissagt hat. Die andre Auslegung, die geistliche, verkennt zwar nicht, dass der Vers auch Beziehungen auf die Parusie des Herrn zulässt und dass der Blick des Glaubens immer auf dieselbe gerichtet sein muss, findet aber als nächsten Sinn unsrer Stelle eine Beschreibung der geistlichen Einkehr des Herrn in das bußfertige, gläubige Menschenherz. Die Parallele liegt für diese Auslegung in Hohelied 5, 2, wo die Braut die Stimme des Bräutigams vernimmt: „Tue mir auf, liebe Freundin, meine Fromme; denn mein Haupt ist voll Taues und meine Locken voll Nachttropfen.“ Der Herr steht vor der Tür des Herzens; das Herz hat ihn nicht mehr, aber soll ihn wieder haben; der Herr klopft an mit seinem Worte und bei dem Engel von Laodicea mit dem Worte dieses Sendschreibens; wohl dem Engel, wenn er die Stimme seines Heilandes, die ihm aus dem Worte entgegentönt, nicht überhört, sondern hört, wenn er den Regungen des h. Geistes, der an seinem Herzen arbeitet, Folge gibt und sein Herz weit auftut für den Herrn, es in Buße und Glauben ihm erschließt. Der Herr hält dann geistlicher Weise Einkehr bei ihm und hält das Abend mahl mit ihm, schenkt ihm den Trost der Sündenvergebung und den seligen Frieden Gottes; und der begnadigte Sünder hält das Abendmahl mit dem Herrn, erquickt ihn mit den Früchten des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Das Bild vom Abendmahl ist von der Gastfreundschaft entlehnt und bedeutet das innige Freundschaftsverhältnis, in welchem die bekehrte Seele zu ihrem Heiland und er zu ihr steht.
Vers 21. Wer überwindet, dem will ich geben mit mir auf meinem Stuhl zu sitzen, wie ich überwunden habe und bin gesessen mit meinem Vater auf seinem Stuhl. Diese Verheißung für den Überwinder geht nun allerdings, wie alle ähnlichen Schlussverheißungen der Sendschreiben, auf die Zukunft, auf das Reich der Herrlichkeit. Auch Laodicener können noch überwinden; auch laue und flaue Christen können sich noch in der Kraft des h. Geistes ermannen und ihrem Herrn Ehre machen in der Zeit, und werden dann von ihm geehrt werden in Ewigkeit. Wie der Herr selbst, nachdem er überwunden, zur Rechten seines Vaters thront, indem ihm gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, so will er Allen, die im Glauben an ihn überwinden, Anteil geben an seiner königlichen Herrschaft.
Vers 22. Wer Ohren hat, zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt. Die Rüge und die Drohung an den Engel von Laodicea soll sich jeder zu Herzen nehmen, der bisher in lauem und eingebildetem Christentum dahinlebte. Der überschwänglich großen Verheißung soll sich jedes bußfertige und gläubige Glied der streitenden Kirche getrösten und der Erfüllung gewiss sein im Glauben an den Amen, welcher ist Jesus Christus.
Wenn der Engel von Sardes trotz seines guten Rufes im geistlichen Tode lag, so zeigt der Engel von Laodicea, dass er auch nicht weit ab ist vom geistlichen Tode; er ist ein lauer und in seiner Lauheit dünkelhafter Mann. Er prahlt, Alles zu haben, was zu einem guten Christen und zu einem guten Pastor gehört und hat von Allem so ziemlich nichts. Diese Seite des Engels ist dem Herrn widerwärtig wie laues Wasser. Aber kein Mensch ist so blasiert, dass er nicht noch irgendwo an seinem Herzen ein weiches Fleckchen hätte, wo ihm geistlich beizukommen ist. Der Herr fasst den Engel von Laodicea an der Seite, an der er noch zu gewinnen ist, mit herrlichen Lockungen der Liebe und großartigen Verheißungen an; und wir denken uns, dass der Herr auch dies letzte Sendschreiben nicht vergeblich geschrieben hat, sondern dass der Engel von Laodicea und die Laodicener, die mit ihm Buße getan und den Herrn wieder in ihre Herzen aufgenommen und in herzlicher Anhänglichkeit an den Herrn überwunden haben, im Reiche der Herrlichkeit mit ihm herrschen werden in Ewigkeit. Damit auch wir dahin gelangen, wollen wir fleißig sein und Buße tun.