Quandt, Emil - Selig sind, die da geistlich arm sind.

Quandt, Emil - Selig sind, die da geistlich arm sind.

Beichtrede über Matth. 5, 3 Von D. E. Quandt, Superintendent und 1. Direktor des Predigerseminars in Wittenberg.

„Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr!“ Mit diesem Worte eröffnet der königliche, hohepriesterliche Prophet Jesus Christus, unser Meister, seine Predigt auf dem Berge. In diesem Eingangsworte ist eigentlich schon die ganze Bergpredigt im Kleinen enthalten. Der Herr lehrt in der ganzen Bergpredigt nichts mehr und nichts weniger, als wie die Leute beschaffen sein müssen, die da wollen ins Himmelreich kommen und teilnehmen am Genusse seiner Güter und Schätze. Sie sollen demütig sein und sanftmütig, sie sollen die Feinde lieben und die Flucher segnen, sie sollen nicht heucheln, sie sollen nicht sorgen, sie sollen bitten, suchen und anklopfen, sie sollen nicht bloß Gutes sagen, sondern Gutes tun: so und weiter noch malt der Heiland in drei Kapiteln die Beschaffenheit derer aus, die ins Himmelreich gelangen wollen. Aber das ganze Gemälde liegt schon in diesem ersten Striche vorgezeichnet: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr.“

Die Bergpredigt ist auch eine Beichtpredigt, wenigstens für uns, die wir nicht mehr den Jesus im Fleische, sondern den verklärten Jesus vor uns haben. Wenn der Herr in der Bergpredigt leitet und lädt zum Himmelreich, so leitet und lädt er uns damit zugleich zum größten Schatz des Himmelreichs auf Erden; zum Sakrament des Nachtmahls. Und wenn er in der Bergpredigt sagt, wie die Leute sein müssen, die Glieder des Himmelreichs werden wollen, so sagt er uns damit zugleich, wie diejenigen geartet sein müssen, die im Himmelreiche seinen heiligen Leib essen und sein Blut trinken wollen. „Selig sind, die geistlich arm sind,“ spricht er, „denn das Himmelreich ist ihr.“ Damit lehrt uns denn der göttliche Bergprediger: Wer die Seligkeit des Himmelreichs im Sakramente schmecken will, muss arm sein und elend. Wen das Abendmahl reich machen soll, den muss die Beichte erst arm machen.

1.

Zum Volke sprach der Herr vom Berge, zum Volke und zu den Jüngern. Das Volk und die Jünger - sie bildeten zwar eine große, aber auch eine arme Gemeinde. Die Berggemeinde prangte nicht in Purpur und köstlicher Leinewand, sondern hatte wohl nur Arbeiterröcke und Fischerkleider aufzuweisen; sie saß nicht auf gepolsterten Kirchenstühlen, sie lagerte im Gras. Sie war arm.

Eine Beichtgemeinde pflegt jener Berggemeinde im Äußerlichen sehr zu gleichen. Sie pflegt unter ihren Gliedern nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle zu zählen. Zum Tisch des Herrn drängt sich in der Regel nur, was töricht ist vor der Welt und schwach und arm.

Denn das Gleiche zieht das Gleiche an. Der große Bergprediger ist selbst ein Armer auf Erden. Ob er wohl reich war, ward er arm um unsertwillen. Füchse haben Gruben, Vögel haben Nester; aber des Menschen Sohn hatte nicht, da er sein Haupt hinlegte, hatte als Kind keine Wiege, als Mann kein Haus, als Sterbender kein Sterbebette. Was Wunder, wenn sich in den Tagen seines Fleisches die Armen und Geringen um ihn scharten. Was Wunder, wenn zu seinem Tisch noch heute arme und geringe Gäste eilen.

Ist's nun diese äußerliche Armut, die der Herr als Bedingung fordert, damals für den Eintritt ins Himmelreich, heute für den Genuss seines Abendmahls? Hat also der Beichtiger die Dürftigen und Bettelnden ohne weiteres würdig und wohlgeschickt zu nennen für das Abendmahl, den Reichen aber, die sich etwa nahen, zuzurufen das Wort des Herrn an den reichen Jüngling: „Verkaufe alles, was du hast!?“ Soll die Beichte uns alle machen zu Bettlern nach dem Fleische?

Nein, was im Geist gesprochen ist, darf nicht aufs Fleisch gedeutet werden. Dass mehr die Armen, als die Reichen sich ins Himmelreich und an das Mahl des Himmelreiches drängen, hat seinen Grund ganz wo anders als im Willen Gottes. Gott will, dass allen geholfen werde, den Armen, wie den Reichen; er gebietet allen Menschen an allen Enden Buße zu tun; er hält jedermann den Glauben vor. Heiland predigt's auch dem reichen Nikodemus mit freundlichen Lippen, dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Was der Herr in Beziehung auf die äußerliche Armut von den Gästen seines Reiches und seines Tisches fordert, das sagt St. Paulus mit dem kurzen Worte: „Die da kaufen, sollen sein, als besäßen sie es nicht.“ Ob du viel, ob du etwas hast von den Gütern dieser Erde, vor deinen Herrn, zu seinem Tisch sollst du treten, als besäßest du nichts. Nicht als Herr oder als Knecht, nicht als Frau oder als Magd darfst du hier erscheinen, sondern du musst kommen als arme Kreatur des Staubes, welche die Hand des allmächtigen Gottes erschaffen, und der dieselbe Hand für ein paar Erdenjahre mehr oder weniger Erdengüter geliehen hat. Denk an deinen Eintritt in diese Welt: „Nackend lag ich auf dem Boden, da ich kam, da ich nahm meinen ersten Odem.“ Denk an deinen Austritt aus dieser Welt: „Nackend werd' ich auch hinziehen, wenn ich werd' von der Erd' als ein Schatten fliehen.“ Denk an den ersten Artikel deines Glaubens; o, der erste Artikel kann einen recht arm machen, dass man spricht: Er ist der allmächtige Gott, und ich bin eine Scherbe von den Scherben dieser Erde. So sprich, so denke: das sind Beichtgedanken. Wen das Abendmahl reich machen soll, den muss die Beichte erst arm machen.

2.

Doch die Erkenntnis unsrer äußerlichen Armseligkeit, so heilsam sie ist, ist immer noch nicht die geistliche Armut, die der Herr seligpreist, welcher der Herr im Sakramentsgenuss Leben und Seligkeit schenkt. Der Herr wendet sich mit seinem Wort: „Selig sind die geistlich Armen“ nicht an den auswendigen Menschen, sondern an den inwendigen Menschen. Nach ihrer auswendigen Seite können die Menschen geschieden werden in Reiche und Arme, in Millionäre und in Bettler; aber nach ihrer inwendigen Seite ist kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollen, sie sind allzumal arm, bettelarm. Diese inwendige Armseligkeit, diesen Jammer der Seele erkennen und bekennen: das heißt geistlich arm sein. Solche Erkenntnis und solches Bekenntnis fordert der Herr von seinen Gästen.

Es gibt Arme, die sich nicht schämen, ihre leibliche Armut in der Welt zur Schau zu tragen, und wenn sie bettelnd vor der Tür des Reichen stehen, können sie nicht Worte genug finden, um ihr Elend recht groß zu machen, die aber sich sträuben mit Hand und Fuß, den Bankrott ihrer Seele zu erklären, die Bettelarmut ihres inwendigen Menschen zu gestehen, und die in der hochmütigen Rede derer zu Laodicea verharren: „Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts!“ Solche Arme sind unwürdig und ungeschickt, das Sakrament würdig zu empfangen; denn sie sind nicht geistlich arm.

Es gibt Reiche, es gibt Gewaltige und gnädige Herren, die vor dem blutigen, bleichen Mann im Purpurkleid ihren Purpur ablegen, die vor dem König in der Dornenkrone ihre goldene Krone niederwerfen und kniebeugend stammeln: „Herr, gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.“ Solche Reiche sind würdig und wohlgeschickt zum Himmelreich, zum Reichsmahle an Jesu Tisch. Denn sie sind geistlich arm.

Unter Reichen, unter Armen so viele ihrer übereinstimmen in dem hochmütigen Ephraimswort (Hosea 12, 9): „Ich bin reich, ich habe genug; man wird mir keine Missetat finden in aller meiner Arbeit, das Sünde sei“, siehe, das sind verkehrte Herzen, an denen der Herr Gräuel hat, Hoffärtige, denen er widersteht. Aber unter Armen, unter Reichen so viele ihrer die Hüllen zerreißen, mit denen der Satan die Sünden des inwendigen Menschen verhüllt, so viele ihrer mit erschrockenen Gebeinen ihre Sünden bekennen und ihre Missetaten gestehen und sprechen mit dem verlorenen Sohne: „Vater, ich habe gesündigt in dem Himmel und vor dir!“ - siehe, das sind geistlich Arme, denen der Herr die Türen seines Hochzeitssaales weit austut, das sind Demütige, und den Demütigen gibt er Gnade.

Versenke dich in den zweiten Artikel deines Glaubens, mein Christ; glaubst du ihn von Herzen, so mag es wohl sein, dass dich der Herr unter die geistlich Armen zählt und mit den reichen Gütern seines Hauses begnadigt. Glaubst du, dass Jesus Christus sei dein Herr, der dich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat? Höre, dich verlorenen und verdammten Menschen! wahrlich, wem das „Verloren und verdammt“ nicht eine erbauliche Redensart, sondern eine wahrheitsgetreue Beschreibung seines natürlichen Zustandes ist, wer nachdenklich und mit Ernst von sich selber bekennt: „Ich bin von Natur verloren und verdammt,“ dem strecken sich die Arme auch von selber aus nach den Schätzen der ewigen Erlösung im Blute des neuen Testaments.

O bekenne das, o glaube das, mein Christ. Komm als ein armer Sünder her, der gern aus Gnaden selig wär'! Das ist die rechte Beichtgesinnung. Wen das Abendmahl reich machen soll, den muss die Beichte erst arm machen.

3.

Wir haben aber zum Schlusse noch eines großen Unterschiedes zu gedenken, der zwischen den ersten Hörern unsers Textes und uns besteht. Jene Berggemeinde war eine Gemeinde von lauter Ungetauften, unsere heutige Beichtgemeinde ist eine Gemeinde von lauter Getauften. Jene Berggemeinde bestand also aus Armen, die erst reich werden wollten oder doch sollten in Jesu Christo. Aber eine Beichtgemeinde besteht aus Armen, die schon längst reich geworden sind in Christo Jesu.

Denn so viele ihrer getauft sind, die haben Christum angezogen. So viele aber Christum haben, haben in ihm Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit und können mit St. Paulo jubeln: „Nach seiner Barmherzigkeit macht Gott uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesum Christum unsern Heiland, auf dass wir durch desselben Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung. Das ist gewiss wahr!“

Die Taufe hat uns reich gemacht. Sie hat uns das ewige Leben, sie hat uns das Himmelreich geschenkt in Christo Jesu. Wir brauchen nicht mehr nach dem Himmelreich zu trachten, wie jene Armen am Berge. Wir haben es in Jesu Christo durch die Taufe aus Gnaden.

Aber wie einer von Geburt sehr reich sein und doch im Leben ein Erbgut nach dem andern verlieren kann, so kann einer durch die Wiedergeburt in der Taufe sehr reich sein und doch im Leben ein himmlisches Erbgut nach dem andern verlieren. Es liegt nicht an der Geburt des Reichen, dass er nachher verarmt; es liegt nicht an der Wiedergeburt, dass die Seele wieder verarmt. Wenn der Reichgeborene sein Erbe gehegt und gepflegt hätte, er hätte es behalten. Wenn der Wiedergeborene die Güter des Heils nicht aus den Händen gelassen hätte, er wäre noch heute so reich, als an seinem Tauftag.

Dass die Getauften, die Wiedergeborenen, dass ihr Getaufte und Wiedergeborene heute nicht mehr so reich seid, wie am Tage eurer Taufe, dass ihr eure Glaubenshände oft in den Schoß gelegt habt, statt mit ihnen die Schätze der Erlösung festzuhalten - auch das will die Beichtrede euch zu Gemüte führen. Es gibt Verwegene, die da sprechen: „Ich bin ein getaufter Christ, so kann es mir an der Seligkeit nimmermehr fehlen!“ sie gehören nicht an Jesu Tisch. An Jesu Tisch gehören nur solche getaufte Christen, die da bekennen: „Herr, meine Glaubenshände sind matt und zitternd, und ich fürchte, die Schätze des Heils einmal ganz aus den Händen zu lassen; darum komme ich an deinen Tisch und bitte dich, stärke durch dein Wort meinen Glauben und lege durch dein Sakrament die Gnaden der Taufe, Vergebung, Leben, Seligkeit aufs Neue ganz und voll in meine Glaubenshände!“

Zu solchem Bekenntnis gehört denn auch wieder geistliche Armut. Aus dem dritten Artikel des Glaubens ist sie zu lernen. Nur wer da glaubt, dass derselbe Heilige Geist, der mich berufen, erleuchtet, geheiligt und erhalten, mir dennoch täglich meine Sünden vergeben muss, ist im tiefsten Sinne geistlich arm und wohlgeschickt zum Abendmahl. So mache denn der Heilige Geist selber euch recht arm in dieser Beichte; je ärmer einer als Beichtkind ist, desto reicher wird er als Kommunikant. Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr. Amen.

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