Quandt, Emil - Jonas, der Sohn Amithai. I. Jonä Flucht.

Quandt, Emil - Jonas, der Sohn Amithai. I. Jonä Flucht.

Kapitel 1.

In Jesu Namen. Amen.

Das Buch des Propheten Jonas, dessen andächtiger Betrachtung diese Bibelstunden gelten, ist eines der wichtigsten Bücher alten Testamentes. Wohl ist es nur klein, es umfasst nur vier Kapitel, und diese Kapitel zusammen haben nur 48 Verse. Aber das Große sitzt diesem biblischen Buche innerlich.

Was ihm zuvörderst in unsern Augen große Wichtigkeit verleihen muss, ist, dass im neuen Testamente dieses Buches dreimal Erwähnung getan wird und zwar jedes Mal von dem Herrn Jesu selbst, nämlich Ev. Matth. 12,39-41; 16,4; Ev. Luk. 11,29,30;32. Der Heiland deutet uns in diesen Stellen den Propheten Jonas als ein Vorbild seiner selbst und stellt uns die Niniviten, denen Jonas predigte, als Vorbild für unsre Buße hin. Es ist klar, dass ein alttestamentliches Buch, welches der Heiland selber empfiehlt, vor andern wert ist, von seinen Jüngern gelesen und betrachtet zu werden.

Demnächst ist das Buch Jonä deshalb wichtig, weil es, so zu sagen, ein Stück neuen Testamentes mitten im alten Testamente ist, eine Art Apostelgeschichte vor der Apostelgeschichte, das Missionsbuch des alten Bundes. Jonas ist der Missionar unter den Propheten. Es war sonst im ganzen alten Bunde, vor der Erscheinung des Sohnes Gottes im Fleisch, das Wort Gottes nur dem Volke Israel vertraut, und die Heiden ließ Gott ihre eigenen Wege gehen. Das Buch Jonä aber berichtet die Sendung eines Propheten zu einem großen Heidenvolk, zum Volke Ninives und bildet dadurch eine Weissagung und Ahnung von dem großen Missionsbefehl des neuen Testamentes: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Heiden.“

Zugleich eröffnet uns dies Buch sehr tiefe Blicke in das menschliche Herz, in des Herzens Eigensinn und Torheit, aber auch in des Herzens Zerknicktheit und Umwandlung. Wenn man das Buch Jonä gründlich liest und betrachtet, so liest man damit zugleich in den Blättern der eigenen Seele und lernt sich selber erkennen.

Endlich ist das Buch Jonä darum eingehender Betrachtung wert, weil es ein Wunderbuch ist. So viel Kapitel es hat, so viel große Wunder berichtet es auch. Dieser Wunder wegen hat schon mancher weltlich gesinnte Bibelleser den Kopf über dies Buch geschüttelt und es ganz und gar bei Seite getan. Aber auch Gläubige sind der Wunder wegen auf allerlei bunte Gedanken geraten, haben gesagt, das Buch enthalte nicht Geschichte, sondern Gesichte oder gar Gedichte. Aber wer so etwas ausspricht, tut dem Herrn Christus Gewalt an, der sich ja dann bei seiner Berufung auf Jonas und die Niniviten auf eitle Fabeln berufen hätte. Was das Buch sein will, wahre, wirkliche Geschichte, das ist es auch; es ist ein unter tiefer Beschämung und heiliger Selbstverleugnung auf Trieb des göttlichen Geistes niedergeschriebenes Sündenbekenntnis des durch lauter Wunder von Gott zurecht gebrachten Propheten Jonas. Gott helfe uns, dass die nähere Betrachtung und Erwägung des Einzelnen uns in Buße und Glauben stärke.

Vers 1. „Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohne Amithais und sprach:“ „Es geschah“ so beginnt das ganze Buch. Es steht nicht da: „Es kam ein Gesicht, ein Traum oder dass etwas über Jonas,“ sondern: „es geschah.“ Es ist also klar, das Buch selber gibt sich als eine Erzählung von etwas, was wirklich geschehen ist, als wahre Geschichte. Es gilt, dies „es geschah“, von Anfang bis zu Ende des Buchs, auch bei solchen Wundern, die wir mit unserm Verstande uns nicht reimen können, im Glauben festzuhalten. Was uns dies Buch erzählt, ist Alles, Großes und Kleines, Wunderbares und Natürliches, wirklich geschehen.

Wann aber ist es geschehen? Wann lebte der Prophet Jona? Aus unserm Buche selbst geht für die Zeitbestimmung nur so viel hervor, dass Jona lebte, als Ninive noch stand, denn zur Stadt Ninive wurde er gesandt. Nun wissen wir aber aus der Weltgeschichte, dass die große Stadt Ninive ums Jahr 606 vor Christo von den Medern und Chaldäern erobert und zerstört worden ist. Jonas muss also mindestens etliche Jahre vor dem Jahr 606 vor Christo gelebt haben. Wir können aber die Lebenszeit unseres Propheten noch näher bestimmen aus einer andern Stelle der Bibel, wo seiner noch Erwähnung getan wird. Wir lesen nämlich 2 Kön. 14,25 von dem Könige Israels Jerobeam II. folgendes: „Er brachte wieder herzu die Grenze Israels von Hemathan bis ans Meer, das im blachen Felde liegt, nach dem Wort des Herrn, des Gottes Israels, das er geredet hatte durch seinen Knecht Jona, den Sohn Amithais, den Propheten, der von Gath-Hepher war.“ Danach also hat Jonas in der Zeit der Regierung Jerobeams II. oder noch früher gelebt. Jerobeam II. aber war König über Israel von 825-784 vor Christo. Somit wird also die Geschichte, die in unserm Buche erzählt ist, ungefähr ums Jahr 800 vor Christo geschehen sein, also jetzt vor 2666 Jahren; und Jonas selbst hat also noch vor dem großen Propheten Jesaias gelebt und ist etwa ein Zeitgenosse gewesen der kleinen Propheten Hosea, Joel, Amos.

Jonas heißt unser Prophet. Jonas ist ein hebräisches Wort und heißt zu Deutsch: Taube. Noch einmal begegnet uns dieser Name und zwar im neuen Testamente; der Vater des Apostels Petrus hieß auch Jonas. Die Namen der heiligen Personen stimmen oft sehr überein mit ihrem Wesen und Charakter. Eine Taube hieß Jonas, und ohne Falsch wie die Tauben zeigt er sich in der Geschichte, die er von sich erzählt; wie er's meint, und wenn es noch so töricht ist, so spricht er's, und auch mit seinen gröbsten Fehlern hält er nicht hinter dem Berge. O dass doch auch wir nun dieses Jonasbuch mit einer rechten Jonasseele, das ist mit recht einfältigem, lauterem Gemüt betrachten möchten. Jonas bezeichnet sich weiter als den Sohn Amithais; Amithai das heißt „wahrhaftig, redlich, gerade aus“; es muss wohl die Geradheit und Aufrichtigkeit der ganzen Familie eigen gewesen sein. Seinen Prophetentitel gibt sich Jonas in diesem ganzen Buche nicht; ist auch nicht nötig; denn damit, dass das Wort des Herrn zu ihm geschieht, ist er reichlich als Prophet beglaubigt. In jener oben erwähnten Stelle 2 Könige 14,25 wird er aber auch ausdrücklich Prophet genannt; und es wird uns da auch sein Stammort genannt, nämlich Gath-Hepher, das heißt, der kleine Flecken Gath im Bezirke Hepher im Stamme Sebulon. Der Kirchenvater Hieronymus, welcher 400 Jahr nach Christo, also 1200 Jahr nach dem Propheten lebte, erzählt, dass man zu seiner Zeit zu Gath noch das Grab des Propheten Jonas gezeigt habe.

Zu diesem Propheten Jonas, dem Sohne Amithais, aus Gath-Hepher geschah das Wort des Herrn. Auf welche Weise es zu ihm geschah, ist nicht gesagt. Wir wissen also nicht, ob der Herr von Mund zu Mund mit ihm geredet, wie einst mit dem Manne Mose, oder ob er ihm sonst wie durch seinen Geist das Wort ins Herz legte. Wenn wir aber auch nicht wissen, wie das Wort des Herrn an Jona geschah, so wissen wir doch, welches Wort des Herrn an ihn geschah. Denn also sprach der Herr:

Vers 2. „Mache dich auf und gehe in die große Stadt Ninive und predige darinnen; denn ihre Bosheit ist heraufgekommen vor mich.“ Da haben wir den Inhalt des Wortes des Herrn, das an Jonas geschah. Es enthält den Befehl, das Vaterland zu verlassen und zu den Heiden Ninives zu gehen und ihnen zu predigen; und eine Begründung dieses Befehls; er sollte das tun, weil die Bosheit der Stadt zu Gott hinaufgekommen.

Sehen wir uns zuerst die Stadt an, zu welcher Gott den Propheten entsendete. Aus unserem prophetischen Buche selbst geht so viel hervor über Ninive: Sie war eine große Stadt (V. 2) und zwar drei Tagereisen groß (Kap. 3, 3), in welcher waren mehr denn 120.000 Menschen, die nicht wussten Unterschied, was rechts oder links ist, also mehr als 120.000 ganz kleine Kinder (Kap. 4,11). Aus außerbiblischen Schriften wissen wir, dass sie 12 deutsche Meilen im Umfang hatte, und mit Mauern umgeben war, auf denen vier Wagen nebeneinander fahren konnten und die 100 Fuß hoch waren; noch einmal so hoch als die Mauern, waren die 1500 Türme, die inmitten der Mauern standen. Die Stadt lag am linken Ufer des großen Tigrisstromes, gegenüber dem heutigen Mosul. Die Gebäude, unter denen sich zahlreiche Schlösser und Paläste befanden, waren aus Ziegelsteinen erbaut; die Dächer waren von Holz mit Schnitzarbeit, ausgelegt mit Elfenbein, Gold und Edelstein. Die Stadt hatte ihren Namen von ihrem Erbauer Ninus und war Jahrhunderte lang die Hauptstadt des mächtigen assyrischen Reiches, dessen Könige dem Volke Israel so oft Angst und Schrecken bereiteten und endlich sogar die zehn Stämme in die assyrische Gefangenschaft fortführten. Diese gewaltige Stadt wurde im Jahre 606 vor Christo von den Medern und Persern gänzlich zerstört, wie das die Propheten Nahum, Zephanja und Hesekiel ihrem eignen Volk zum Trost vorher verkündigt hätten. Mehr als zwei Jahrtausende waren seit dem Falle Ninives vergangen und alle Spuren, wo diese weltberühmte Stadt einst gestanden, waren verloren gegangen, als man im Jahre 1820 auf die seltsamen Ruinenhügel am Tigris aufmerksam wurde. Es fanden nun namentlich seit dem Jahre 1842 die großartigsten Ausgrabungen an verschiedenen Punkten statt. So hat man denn bis jetzt etwa zehn Paläste des alten Ninive ausgegraben, wo eine Reihe von Zimmern und Sälen, oft 70 an der Zahl, 50-200 Fuß lang, um große Hofräume herum liegen. An den Türen und Toren hat man ungeheure geflügelte Tiergestalten ausgegraben, an den Wänden hat man Gips- und Marmorplatten mit wohlerhaltenen Inschriften gefunden. Vieles von diesen alten Herrlichkeiten ist in die großen Museen von London und Paris gewandert und dient zum Zeugnis, wie wahr die Berichte der Alten sind, die mit dem Berichte des Jonas über Ninive zusammenstimmen.

In diese Stadt zu gehen erhält Jonas von Gott dem Herrn den Auftrag. Er sollte sich aufmachen aus seinem Vaterlande und aus seiner Freundschaft und gen Ninive wandern und „wider sie“ (wie statt „darinnen“ buchstäblicher zu übersehen ist) predigen. Er sollte also drohen, Gottes Strafe verkündigen. Warum? „Denn ihre Bosheit ist heraufgekommen vor mich,“ spricht der Herr. Große Städte, große Sünden - das gilt nicht bloß heute, das galt auch schon im Altertum. Ninive war eine Stadt der Blutschulden, der Tyrannei und Unzucht. Der Herr hatte in großer Langmut das große Sündigen der großen Stadt mit angesehen, nun aber war das Maß ihrer Sünden vor ihm erfüllt. „Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein; was mit Langmut er sich säumet, holt mit Schärf' er wieder ein.“ Das sollte Jonas der Stadt predigen, ob sie vor Abend noch erkennen möchte, was zu ihrem Frieden diente und Buße täte und sich selber richtete, damit sie nicht von Gott gerichtet würde.

Nun, was Gott gebeut, das muss geschehen. Wird nun Jonas dem Wort des Herrn gehorchen und sich seines Auftrages entledigen? Hören wir:

Vers 3. Aber Jonas machte sich auf und flohe vor dem Herrn und wollte aufs Meer und kam hinab gen Japho. Und da er ein Schiff fand, das aufs Meer wollte fahren, gab er Fährgeld und trat darein, dass er mit ihnen aufs Meer führe vor dem Herrn.

„Aber,“ so beginnt der Vers; welch' ein sonderliches, tiefeinschneidendes Aber! Gott befahl: „Mache dich auf und gehe gen Ninive“, aber, aber Jonas machte sich auf und floh vor dem Herrn. Gottes Wege waren nicht seine Wege, Gottes Gedanken kreuzten sich mit seinen Gedanken; statt aber seinen Willen unter Gottes Willen zu beugen, versuchte er, Gottes Willen unter seinen Willen zu beugen und seinen Willen trotz Gott und wider Gott durchzusetzen. Es liegt aber in seinem Benehmen eine zwiefache Sünde: 1) Ungehorsam wider Gott, 2) Flucht vor Gott.

Suchen wir nach den Gründen seines Ungehorsams. Man hat gesagt: Jonas war ein Ebräer, Gott schickte ihn zu Heiden, die noch dazu Feinde und Dränger seines Volkes waren, sein Patriotismus litt es nicht, dass er nach Ninive zog. Es mag das auch eine Triebfeder zum Ungehorsam gewesen sein, aber gewiss nicht die eigentlich bewegende. Man hat gesagt: Jonas war ein einzelner Mann, Ninive eine riesige Weltstadt, er musste von vorn herein verzagen daran, als ob er, der Einzelne, unter den Tausenden und Abertausenden irgend etwas ausrichten könnte. Auch das mag bei seinen Gedanken mit untergelaufen sein. Aber die eigentliche Triebfeder zu seinem Ungehorsam nennt uns der Prophet selbst Kap. 4,2, wo er zum Herrn spricht: „Ach Herr, das ist es, das ich sagte, da ich noch in meinem Lande war, darum ich auch wollte zuvorkommen zu fliehen auf das Meer; denn ich weiß, dass Du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt Dich des Übels gereuen.“ Er fürchtete für seine Ehre, wenn er Ninive predigte! Er sollte Gottes Strafe verkündigen und wussten, dass Gott die Strafe hinterher reuen würde, wenn Er Buße sah in Ninive. Dann hätte die große Menge der Heiden in der Weltstadt des armen jüdischen Propheten und seiner Drohungen lachen und spotten können und sprechen: „Der will ein Prophet sein und uns das Schicksal von Sodom und Gomorrha weissagen, und siehe, es bleibt Alles beim Alten und nichts von dem trifft ein, das er gesagt!“ Diese Schmach war es, die Jonas scheute, die ihn zum Ungehorsam trieb.

Wunderst du dich darüber, mein Christ? Ach, dann wisse, dass Tausende auch von Christen trotzen ihrem Gott und sind ihm ungehorsam aus Angst vor Schmach und zu diesen Tausenden wirst du am Ende selbst gehören! Wie Viele, zu denen des Herrn Wort geschieht: „Bekehre dich vom Wandel nach der Welt Weise und werde gläubig an Jesum Christ!“ handeln gegen dies Wort aus keinem andern Grunde, als aus Angst vor Schmach; „was würden die Leute sagen, wenn ich fromm würde! sie würden mich einen Pietisten, einen Mucker schelten!“ das ist die Angst, die sie abhält, dem Worte ihres Gottes gehorsam zu werden. Ja auch, wie mancher Prediger, zu dem das Wort des Herrn geschieht: „Predige Buße und Glauben!“ entzieht sich diesem Befehl und predigt Gott zum Trotz allerlei Anderes, danach den Leuten die Ohren jucken, und zwar aus purer Angst vor Schmach, weil er fürchtet, den Leuten zu missfallen, leere Kirchen zu bekommen. und des etwas. O es gibt der Jonasse viel, die die Scheu vor der Schande zum Ungehorsam wider Gott treibt; und Leute wie Moses sind allewege rar, von dem geschrieben. Hebr. 11: „Durch den Glauben erwählte Moses viel lieber mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben und achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum, denn die Schätze Ägyptens: denn er sah an die Belohnung.“

Damit haben wir uns den Ungehorsam Jonä zu erklären gesucht, aber wie ist seine Flucht vor Gott zu erklären? „Er floh vor dem Herrn,“ so lesen wir, „und wollte aufs Meer (buchstäblich übersetzt: nach Tarsis, einer phönizischen Handelsstadt im äußersten Westen, in Südspanien); und da er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat darein, dass er mit ihnen gen Tarsis führe vor dem Herrn!“ Nach Ninive, das im Osten lag, sollte er gehen; nach Tarsis, das im Westen lag, wollte er gehen und meinte, damit dem Herrn entfliehen zu können. Wie konnte er das meinen? War er denn nicht ein schriftgläubiger Israelit? Ja, war er nicht ein vom Geiste Gottes besonders erleuchteter Mann, ein Prophet des Herrn? Wusste er denn nicht, was David wusste: „Wo soll ich hingehen vor Deinem Geist und wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesichte? Führe ich gen Himmel, so bist Du da! Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist Du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meere, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen und Deine Rechte mich halten!“? gewiss, das Alles wusste Jonas wohl; er kannte die Psalmen sehr gründlich, wie wir das noch näher bei Betrachtung des zweiten Kapitels unseres Buches erkennen werden. Wenn aber Jonas die richtige Erkenntnis von der Allgegenwart Gottes hatte, wie töricht war es denn von ihm, Gott entfliehen zu wollen! Ja wohl, töricht, aber menschlich! Es ist eine alte Erfahrung, dass Fehler des Herzens Fehler des Verstandes nach sich ziehen; aus der Abkehr des Herzens von Gott folgt immer auch Verfinsterung der Erkenntnis Gottes; aus religiösen Verkehrtheiten entspringen religiöse Irrtümer. So war es vor Jona: Adam und Eva wandten zuerst ihr Herz von Gott, dann bildeten sie sich ein: Gott sei nur neidisch und er sei zu hintergehen; darum versteckten sie sich vor Gott. So ist es auch nach Jona, auch unter uns. Schrift und Vernunft sagen jedem Menschen, dass er Gott nicht entfliehen könne; und doch versuchen's diejenigen, die ihr Herz von Gott abgewandt haben, der Stimme Gottes im eignen Herzen zu entfliehen, indem sie mit Arbeit oder Vergnügen dieselbe so viel als möglich übertäuben. Ja, gerade heutzutage ist die Flucht vor Gott eine weitverbreitete Torheit; jeder Unbekehrte ist auf dieser unglückseligen Flucht begriffen.

Jonas suchte auf seiner Flucht zunächst die Stadt Sapho auf. Das ist dieselbe Stadt, die im neuen Testamente Joppe heißt, wo der Apostel Petrus bei dem Gerber Simon am Meere wohnte und die Tabea erweckte. Sie lag ungefähr zwölf Meilen von Jerusalem, am mittelländischen Meer und war im Altertum der wichtigste Handelsplatz des gelobten Landes. Die Stadt steht noch heute unter dem Namen Jaffa und ist berühmt durch die prächtigen Gärten, in deren Mitte sie liegt; es ist jetzt in der Stadt seit einigen Jahren sogar eine evangelische Gemeinde und Schule. Hier in Sapho fand der Flüchtling ein Handelsschiff, das schon segelfertig war, nach Tarsis zu fahren. So bezahlt er denn das Fährgeld und tritt ein, und die Seereise beginnt. Er scheint also Glück zu haben auf seiner Flucht; aber Glück und Glas, wie leicht bricht das! Der große Gott ist auch ein Gott des Meeres; auch auf dem Meere war Jonas ihm nicht entflohen, das sollte er bald inne werden.

Vers 4. Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen und erhob sich ein groß Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. Siehe da, so bald meldet sich der Herr, um dem Flüchtling seine Allgegenwart zu beweisen! Das Schiff hat die Anker gelichtet ohne irgend ein Anzeichen, aus dem der Seemann erkennt, dass ein Ungewitter im Anzuge sei; wäre das der Fall gewesen, so wären die Schiffer sicherlich noch im bergenden Hafen geblieben. Wenn sich nun doch so rasch und ungeahnt eine plötzliche Windsbraut erhebt, die das Schiff unter dem Anprall der wütenden Meereswogen also schüttelt, dass es zu zerbersten droht; so offenbart sich dadurch die gewichtige Hand des Herrn, die den Wind über das Meer hinschnellte, zum Händegreifen deutlich und gab dem Propheten die große Lehre: Wenn zwei Schiffe aufeinanderstoßen, sinkt das schwächere Fahrzeug, und wo ein Mensch gegen Gott beharrlich anrennt, geht er zu Grunde! Sollte Gott seinen ewigen Kurs ändern? Nein, Gott verändert sich nicht, der Mensch muss sich ändern! Wie? Wird Jonas sich diese Lehre zu Herzen nehmen? Der der sanften Stimme Gottes ungehorsam war, wird er sich unter seine Donnerstimme beugen? Der in guten Tagen seinem Gott entfloh, wird er am bösen Tage zu ihm zurückkehren? Ach, das menschliche Herz ist ein sehr, sehr trotziges Ding. Wie oft muss Gott die Leute schlagen, aber sie fühlen es nicht, wie oft sie plagen, aber sie bessern sich nicht, sondern haben ein härter Angesicht denn ein Fels; und wollen sich nicht bekehren! Wir sehen das an Jonas.

Vers 5. Und die Schiffsleute fürchteten sich, und schrien ein jeglicher zu seinem Gott, und warfen das Gerät, das im Schiff war, in das Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. Also das heidnische, aus aller Herren Ländern zusammengewürfelte Schiffervolk merkt, dass die Gottheit ihre Hand im Spiele, oder vielmehr im bitteren Ernste hat, und schreit ein jeglicher zu seinem Gott; aber der Prophet will nichts sehen, will nichts merken, will auch jetzt noch, will noch weiter seinem Gott entfliehen, flieht vom Verdeck ins Innere des Schiffes, flieht vom Wachen in den Schlaf! Ja, das ist der Fluch der Sünde, dass sie fortzeugend Böses muss gebären; das ist der Fluch des Ungehorsams und der Flucht vor Gott, dass sie das Herz immer verkehrter, den Verstand immer finsterer macht.

Werfen wir aber vorerst noch einmal einen Blick auf die heidnische Schiffsmannschaft. Wir müssen sie ja dem Jonas gegenüber allerdings loben. Denn während Jonas sich in der großen Not ebenso herzlos als unverständig zeigt, tun diese Seeleute nach ihren Kräften in der Not Alles, was recht ist, sie beten und arbeiten. Sie rufen ihre Götter um Hilfe an und vergessen doch über dem Beten nicht, selbst das Ihrige zu tun, sondern werfen zur Erleichterung des Schiffes Alles, was das Schiff belastet, Balken und Tauwerk, Warenballen und Güterkisten über Bord. Sie arbeiten, als ob alles Beten nichts hilft; sie beten, als ob alles Arbeiten nichts hilft. Willig wollen wir Christenleute von diesen Heiden lernen. In der Not des Lebens und nicht bloß in der Not, sondern im ganzen Leben werde dieses Beide allzeit bei uns gefunden: Treues Beten und fleißiges Arbeiten, treues Arbeiten und fleißiges Beten. Wir müssen doch aber andererseits die Schiffsmannschaft sehr beklagen und tief bedauern. Sie kannten den lebendigen Gott nicht, den Herrn Herrn, der da alleine hilft; sie waren arme, blinde Heiden, sie schrien in ihrer Angst ein jeglicher zu seinem Gott, sie schrien zu Baal und Astarte, zu Moloch und Nisroch, sonderlich auch wohl zu Dagon, dem phönizischen Meeresgott, und wie die Götzen sonst noch mögen geheißen haben. Ach, dass doch nicht das Geschlecht unserer Zeit, auch das sich nach Christi Namen nennt, mit der Mannschaft des Schiffes Jonä solche große Ähnlichkeit hätte! Auch heute ruft der Eine zu diesem, der Andre zu jenem Gott - denn so Viele ihrer sich abgewandt haben von dem in Christo Jesu geoffenbarten Gotte der Schrift, machen sich eigne Götter, die sie sich zurecht zimmern mit ihren eigenen Gedanken. Ach, wenn da nun noch diejenigen, die Anhänger des geoffenbarten Gottes sind, schweigen und schlafen wollten, wie sollte da das Schiff der Kirche erhalten werden in den Ungewittern dieser Welt!

Jonas freilich schwieg und schlief. O, es hat ja auch unser Heiland selber einmal auf einem viel kleineren Schifflein geschlafen mitten unter dem Unwetter auf dem Meere. Aber das war ein andrer Schlaf! Das war ein Schlaf des Friedens, wie David ihn kennzeichnet Psalm 3,6: „Ich liege und schlafe und erwache, denn der Herr hält mich!“ Aber Jonä Schlaf war ein Schlaf des Unfriedens. Er wollte um jeden Preis sich dem Auge des Herrn entziehen. Darum sucht er den verborgensten Winkel des Schiffes auf, sich vor Gott zu verbergen. Darum drückt er die Augen zu, um Gott aus den Augen zu bekommen. Darum übergibt er seine Sinne dem Schlaf, um nichts mehr zu hören noch zu sehen. Jonas schlief. Das heißt nicht weniger, als: Jonas fleh vor seinem Gott, so weit er konnte.

O, es gibt Menschen, die fliehen noch weiter vor Gott. Judas, der Verräter, floh noch weiter, da er sich selbst erhängte. Wo die Unzufriedenheit mit den Führungen Gottes gepaart mit der quälenden Erinnerung eines verschwendeten Lebens bei einem Menschen den allerhöchsten Grad erreicht, da flieht der Mensch aus dem Leben ins Sterben; Selbstmord ist die vollendetste Flucht vor Gott und damit zugleich die vollendetste Torheit. Denn noch viel weniger, als man im Leben Gott entfliehen kann, kann man im Sterben seinen Händen entrinnen; „bettete ich mir in die Hölle, spricht David, siehe so bist Du auch da!“

Vor diesem letzten Schritt blieb Jonas bewahrt. Aber er war auch so schon wahrlich weit genug gekommen! Er sollte Ninives Sünden strafen - aber wahrlich seine Sünde war größer, denn Ninives! Er sollte Heiden Buße predigen. aber wahrlich es tat nötiger, dass ihm Buße gepredigt ward! O was hat der Herr für jämmerliche Knechte! Er gebietet, sie hören nicht; er sendet sie, sie fliehen; er mahnt, sie schlafen! Mache dich, mein Geist, bereit, wache, fleh' und bete, dass dich nicht die böse Zeit unverhofft betrete; denn es ist Satans List über viele Frommen zur Versuchung kommen! Amen.

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autoren/q/quandt/jona/jona-_1._stunde.txt · Zuletzt geändert: von aj
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