Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Oboth)
Sechsundfünfzigste Predigt.
Sechsunddreißigste Lagerstätte: Oboth. Text: 4. Buch Mosis 21, 10.
Einer der merkwürdigsten Namen, welche Jesus Christus führt, ist der, da er sich den Weg nennt, Joh. 14, 6.
Ein Weg gewährt die Möglichkeit, von einem Ort zu einem andern zu gelangen. Wären im Monde die kostbarsten Schätze für uns zu haben, so müssten wir darauf verzichten, weil es keinen Weg dahin gibt. Im bildlichen Sinne nennt man daher auch die Mittel, ein gewisses Ziel zu erreichen, Wege. Auch die göttlichen Fügungen werden so genannt, weil sie die Mittel sind, wodurch entweder Gott selbst sich in seinen Vollkommenheiten offenbart, oder auch Menschen zu ihrer Bestimmung führt.
Christus nun ist der Weg. Er ist der Weg, aus all' unserm Elende, aus unsern Sünden, aus dem Fluch, aus dem Zorn Gottes, aus besonderen Ängsten und Nöten herauszukommen, und zur Gnade Gottes, zur Vergebung der Sünden, zur Gerechtigkeit, zu einer heiligen Natur, zum Leben und Seligkeit zu gelangen. Wir bedürfen dazu Ihn und anders nichts wie Ihn.
Freilich aber kann kein Weg uns nützen, es sei denn, dass wir ihn einschlagen und darauf wandeln. Das gilt auch von Christo. Wie wir uns durch leibliches Wandeln mit einem natürlichen Wege in Verbindung setzen, so müssen wir auch geistlicher Weise mit diesem lebendigen Wege in Verbindung treten, welches durch den Glauben geschieht, den die Schrift auch ein Annehmen Christi, ein Hungern und Dursten nennt.
Aber was sind die geebnetsten und besten Wege für einen Lahmen? Nichts. Denn es wird ein Vermögen bei ihm vorausgesetzt, was er nicht besitzt. So ist's bei diesem Wege nicht. Er heißt sogar auch deswegen der Weg, weil er zuerst zu der Seele kommt, und dadurch alsofort dieses Lahmsein, soweit es nötig ist, wegnimmt. Eine Mutter ist auch für ihr neugeborenes Kind der Weg zum Leben, zur Erhaltung, zum Wachstum und das eben dadurch, dass sie sich des Kindleins annimmt. So Christus.
Nun heißen aber auch die göttlichen Führungen Wege, wodurch er Seelen auf diesen königlichen Weg leitet, mit demselben bekannt macht, darauf erhält und befestigt, darauf fördert, darauf wandeln lehrt und übt.
Diese Wege haben einerlei Ursprung, das Erbarmen, einerlei Grund, Christi Blut, einerlei Absicht, dass Er in der Seele eine Gestalt gewinne ein Ziel, die ewige Herrlichkeit, wiewohl sie sehr mannichfach sind. Eine Abbildung davon geben uns die Wanderungen Israels. Die christlichen Festtage leiteten unsere Blicke eine Weile anderswohin, und wir lagen stille. Lasst uns jetzt unsern Wanderstab wieder zur Hand nehmen und die sechs und dreißigste Lagerstätte besehen. Wir müssen uns abermals begnügen, unsere Betrachtung an die Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte anzuknüpfen.
Oboth heißt zuvörderst Schläuche, Gefäße von Leder, worin man in alten Zeiten den Wein fasste, wie jetzt in Fässer. Die Kinder Israel waren jetzt bis in oder an das Land Moab und Edom gekommen, wo viel und guter, besonders roter Wein wuchs. Jesaias und Jeremias gedenken des Weinstocks und der edlen Reben dieses Landes, und der Letztere vergleicht die Moabiter selbst dem Wein, wenn er sagt: Moab ist von seiner Jugend auf sicher gewesen und auf seinen Hefen stille gelegen, und ist nie aus einem Fass in das andere gegossen und nie ins Gefängnis gezogen, darum ist sein Geschmack ihm blieben und sein Geruch nicht verändert worden. Aber ich will Schröter über sie schicken, die sie ausschroten sollen, und ihre Fässer ausleeren und ihre Lägel zerschmettern sollen. Dies ist das nämliche, was Assaph im 73. Psalm also ausdrückt: es verdross mich auf die Ruhmredigen, da ich sah, dass Es den Gottlosen so wohl ging. Sie sind in keiner Gefahr des Todes, sondern stehen fest wie im Palast. Sie sind nicht im Unglück wie andere Leute und werden nicht geplagt wie andere Menschen. Ich aber bin geplagt täglich, und meine Strafe erneuert sich mit jedem Morgen.
Israel hatte hier denn wohl ein angenehmes Lager unter Weinbergen, jedoch, wenn's ihnen auch erlaubt gewesen wäre, davon zu essen: so war doch nichts da, denn es war anfangs Frühling, wie wir daraus sehen, dass sie einige Monate später Ostern feiern. So kommen manche Menschen häufig zu früh oder zu spät. David äußert sich einmal: ich bin zu Leiden gemacht, und wenn das ist; so können sie aus mancherlei Dingen hervorwachsen. Wohl dem, der Gott liebt, weil ihm Alles zur Seligkeit mitwirken muss. Wohl uns, dass wir einen Weinstock kennen und haben, welcher uns die trefflichsten Trauben trägt, welche an einem fort zeitig sind und genossen werden können. Auch rühmt die Braut Hohel. 2, 4; Er führt mich ins Weinhaus und die Liebe ist sein Panier über mir. Dies ist ein Bild reicher Tröstungen und Erquickungen, womit der Heilige Geist zuweilen schon hienieden die gläubige Seele überschüttet, und die ein Vorschmack des Himmels sind, wo sie in vollem Maße in sie ausgegossen werden sollen. Auf jeden Fall ist doch der Weinstock, wenn er gerade auch weder Trauben noch Blätter hätte, besser als die Trauben, und die Braut rühmt mit Recht die Liebe mehr denn den Wein. Mag sie betrüben, mag sie trösten, verwunden, heilen, herzen, zürnen, wenn er uns nur lieb hat. Und das hat Er ja, ach! das hat Er ja.
Ich habe zwar soeben die Vermutung eines angenehmen Lagers der Kinder Israel geäußert, allein die möchte ich doch wohl für irrig erklären. Wie? sie waren ja unter Edom gelagert, einem ihnen zwar nahe verwandten Volke, das mit ihnen den nämlichen Isaak zum Stammvater hatte, aber ihnen bitter feind, dabei einer ganz andern Religion, ja der Abgötterei ergeben und ihnen auch aus diesem Grunde gefährlich war. Neben ihnen umgaben sie nicht weniger schlimme und gefährliche Völker, wie die Moabiter und Amoriter. Ach! ja du armes Israel, du bist das geringste unter allen Völkern. Bist du denn auch wie die Sterne des Himmels, so sind jene wie der Sand am Meer. Wäre der Herr nicht bei dir, sie verschlängen dich so lebendig. Würdest du nicht durch den Herrn deinen Gott selig, so würdest du es gar nicht. Wäre der nicht deines Sieges Schwert: so hättest du keins, nicht der Schild deiner Hilfe, so wärest du wie ein Mann, der keine Hilfe hat. Nichts bleibt dir übrig, als auf den Herrn zu vertrauen, damit du so dass Land erbest, und des Herrn Berg besitzest. Finden wir nicht noch immer Christi Worte bestätigt, wenige sind, die den Weg finden, der zum Leben führt? Hat sich nicht Edom, welches von Christo nichts wissen will, schon lange her mächtig geregt, und kann Israel sich hören lassen, ohne von allen Seiten verrufen und verschrien zu werden? Zwar hat man die wahren Christen, dies Israel Gottes, bis jetzt geduldet, aber nur, weil man musste. Die Lehre von Christo ist bis jetzt noch nicht vorzutragen förmlich verboten worden. Aber die Gesinnungen der Menschen leisten uns in dieser Absicht noch für keine acht Tage Gewähr. Jedoch ist sogar noch ein Edom in uns selbst, und wer hat nicht die Hände voll, von sich selbst hinaus zu tun, wer da böse ist. Wer unrein ist, sei immerhin unrein, Israel wird denn doch glücklich durchkommen, denn Er nimmt ihn und trägt ihn auf seinen Flügeln, wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt.
Das Wort aber, wodurch diese Lagerstätte ihren Namen hat, bedeutet nicht bloß Weinschläuche, sondern auch einen solchen, der einen Wahrsager-Geist hat, und davon angefüllt ist, wie ein Schlauch vom Wein. So kommt's z.B. Mos. 20, 27 vor. Ist ein Mann oder ein Weib ein Wahrsager, der einen Wahrsager-Geist hat, der soll des Todes sterben. Eine solche war jenes Weib zu Endor, zu welcher nach 1. Sam. 28. Saul in seiner Angst seine Zuflucht nahm, sich Rats bei ihr zu erholen, und dem sie selbst sagte, er habe ja die Oboth aus dem Lande ausrotten lassen. Bekanntlich ist das Alte Testament einige 100 Jahre vor Christo in die griechische Sprache übersetzt worden. In dieser Übersetzung heißt dies Weib eine Bauchrednerin, welcher seltsamen Kunst auch bei dem Propheten Jesaias gedacht wird. Dieses Wort Oboth bedeutet demnach Bezauberungen. Waren nun die Kinder Israel auf einen bezauberten Boden geraten so befanden sie sich freilich in sehr bedenklichen Umständen und glichen einem Wanderer, welcher auf einem gefährlichen Wege von einem dichten Nebel überfallen wird, so dass er nicht vor sich sehen kann, wie nötig dies auch wäre, also leicht in großes Ungemach gerät.
Bei der eigentlichen sogenannten Bezauberung und Zauberei wollen wir uns nicht aufhalten. Man hat alles, was dahin gerechnet wird, schon längst ins Gebiet des dümmsten und lächerlichsten Aberglaubens verwiesen, wovon ein vernünftiger Mensch nichts glaubt, und unleugbar hat der Aberglaube einen großen Teil davon gehabt. Die Kenntnis der Natur, die Bildung und Aufklärung ist, wenigstens in dem größten Teile Europas, so weit verbreitet und gefördert, dass deren nur noch wenige sind, welche an das Dasein, vielleicht selbst an die Möglichkeit der Zaubereien glauben. Gar Viele gehen so weit, dass sie sogar die Existenz der Teufel und bösen Geister und also auch die Möglichkeit ihrer Wirkungen bestreiten und leugnen und dadurch eine schlechte Ehrerbietung gegen das Wort Gottes beweisen, das dieses denn doch so deutlich lehrt, dass niemand es leugnen kann, ohne ihm geradeswegs zu widersprechen. Gewiss ist, dass das Wort Gottes keine Zauberer und keine Zauberei duldet, mag beides etwas eingebildetes sein, oder einen Grund haben. Gewiss ist es, dass sich in dem alten Heidentum viel Wunderbares ereignet hat, das sich nicht natürlich erklären lässt, so wie ihre Orakel mit dem Christentum teils verächtlich wurden, teils verstummten. So viel in der Vorzeit davon erzählt und gefabelt worden ist, so wenig ist in neuerer Zeit irgend die Rede davon. Glaubte man ehemals zu viel und ohne Grund, so hat man besonders seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts angehoben ebenfalls ohne wahren Grund zu wenig, ja fast nichts mehr zu glauben. War man damals abergläubig: so ist man jetzt ungläubig. Beides taugt nicht. Ist der Aberglaube verderblich, der Unglaube ist es noch mehr. Diesem wird ohne weiteres die Verdammnis angekündigt, die jener auch zur Folge haben kann. Übrigens brauchen wir wegen unseres Freiseins vom Aberglauben doch nicht allzu groß zu tun, und gar zu aufgeblasen zu sein. Denn einmal mag er wohl von weiterem Umfange sein und mehr ins Feine gehen, als manche denken. Der Eine erkennt das als Aberglauben, was einem Andern sehr vernünftig vorkommt.
So halten wir - um das Gesagte durch ein Beispiel zu erläutern - euer Vertrauen auf euere eigenen Einsichten, Kräfte, Tugend und guten Eigenschaften, samt euerm Hoffen auf die Güte Gottes, für lauter beklagenswerten Aberglauben, dem eine große Blindheit zum Grunde liegt, und auch an der Gottseligkeit und Seligkeit hindert, so lange ihr euch nicht für blind haltet, und euch nicht durch das Licht der Welt sehend machen lasst.
Sodann wollen wir einmal sehen, wie feuerfest ihr gegen Aberglauben und Zauberer seid, wenn jene lügenhaftige Zeichen, Wunder und Kräfte nach der Wirkung des Satans eintreten, um das Auftreten jenes Boshaftigen, wovon 2. Thess. 2 die Rede ist, zu unterstützen. Was es um die Bauchrednerei sei, die jetzt nicht selten ist, kann ich nicht sagen, denn ich weiß nicht, ob sie eine krankhafte Disposition voraussetzt, ob sie etwas natürliches ist, oder das bedenkliche und magische mit sich führt, was die griechische Bibelübersetzung darin wittert. Zur Verherrlichung Gottes aber und zur Beförderung seines Reiches dient sie nicht, kann auch nicht aus dem Glauben geschehen, ist also Sünde, und wer kann vorhersagen, zu was für bösen Zwecken dies seltsame und unerklärliche Ding noch in Zukunft mag angewendet werden, da es bis jetzt nur zur Belustigung Neugieriger gedient hat. Noch befremdender wie dies sind die Erscheinungen des sogenannten animalischen Magnetismus, wodurch Menschen in einen unbegreiflichen Zustand geraten und unbegreifliche Dinge tun und sagen, so dass man geneigt sein muss, sie für Oboths, für Leute zu halten, welche einen Weissager-Geist haben. Dass sie in ihrem exaltierten Zustande auch religiöse und fromme Sachen vorbringen, macht die Sache nicht besser, sondern bedenklicher. Jene Magd zu Philippi Ap. Gesch. 16, konnte nicht nur wahrsagen und damit viel Geld verdienen, weil sie einen Wahrsager-Geist hatte, sondern sie folgte auch Paulo nach und schrie: diese Menschen sind Knechte Gottes, des Allerhöchsten, die euch den Weg der Seligkeit verkündigen. Paulo aber tat das wehe und wandte sich um und sprach zu dem Geiste: im Namen Jesu Christi gebiete ich dir, dass du ausfahrest, welches augenblicklich geschah. Man hatte damals ganze Bücher, welche Anweisungen zu Vorwitz und zauberischen Künsten gaben; diese brachten diejenigen, welche gläubig geworden waren, zusammen und verbrannten sie, obschon sie wohl 6000 Taler wert waren. Denn das Evangelium lehrt uns nichts anders wissen zu wollen, als Jesum Christum den Gekreuzigten. Höchst bedenklich ist es demnach, wenn in dieser Zeit sogar dieses unheimliche Ding, der Magnetismus als ein Mittel zur Entdeckung höherer Wahrheiten hat benutzt werden wollen, da wir doch nicht klüger sollen sein wollen, als uns das Wort macht.
Ich breche ab. Nicht mit Unrecht flößt uns der gegenwärtige seltsame Zeitgeist Besorgnisse ein und legt uns die Frage nahe: was meinst du, will daraus werden? was werden wir noch erleben? was wird sich noch ereignen? Nicht meine ich, sollen wir die Antworten auf diese Fragen, welche die Zukunft betreffen, zu erfahren suchen, wohl aber uns desto enger in Verleugnung unsrer selbst, in Vertrauen und Liebe an den Herrn anschließen, der die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen weiß. Denn hie ist Glaube und Geduld der Heiligen. Wenn jemals, so tut's gegenwärtig not: nüchtern zu sein, zu wachen und zu beten, denn der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge.
Es gibt aber auch Bezauberungen im figürlichen Sinne, ohne dass dabei sonderlich magische oder übernatürliche Kräfte mit ins Spiel kämen. So fragt Paulus die Galater: wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorchet? Und wie mancherlei und kräftig sind nicht derartige Bezauberungen. Sie sind hauptsächlich dreifacher Art und wir wollen sie in irdische, sinnliche und religiöse abteilen. Welch eine bezaubernde Kraft wohnt nicht den irdischen Dingen und Gütern bei. Sie sind der Gott vieler Menschen, dem sie ausschließlich und unverdrossen dienen, dem sie alles aufopfern, um deswillen sie sich alle Mühen und Verleugnungen gefallen lassen, sich sogar in Leibes- und Lebensgefahr begeben, ohne sonderlich zu murren. Und was ist, wenn alles ganz vortrefflich geht, das Ziel, das sie erstreben? Dieses, dass sie ihren Nachkommen ein ansehnliches Gut vererben, wozu es doch noch die wenigsten bringen. Wir bestreiten es gar nicht, dass es nicht erlaubt sein soll, sich auf eine rechtmäßige Weise, mit Fleiß und Anstrengung ein Vermögen zu erwerben, und das Erworbene zu erhalten und zu vermehren. Gott selbst setzt den Reichen neben den Armen. Das Reichwerden liegt an der Zeit und am Glücke, Zeit und Glück aber steht in Gottes Hand. Fällt euch Reichtum zu, sagt David, so hänget euer Herz nicht dran, nicht aber, sagt er, stoßt ihn von euch. Reiche Leute können auch gottselig, so wie Arme gottlos sein, wie die Schrift und Erfahrung bezeugt. Keins von beiden macht Gott angenehm oder missfällig, und wenn Christus das Wehe! über die Reichen ausruft: so meint er damit nicht solche, welche viel Gut besitzen, dabei aber arm am Geiste sind. Indessen sagt doch Paulus von denen, die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke, und viel törichte und schädliche Lüste, welche versenken die Menschen ins Verderben und Verdammnis 1. Tim. 6, 9. Wie bezaubert irdisches Gut so viele Menschen, dass sie durch jegliches Mittel diesen Zweck zu erstreben suchen. Betrug, Hinterlist, Täuschung, Verfälschungen aller Art, Ungerechtigkeiten werden ohne Gewissensbisse, oder denselben zu trog in Anwendung gebracht, und die Sündenschuld nimmt mit dem Vermögen zu. Sie sind so bezaubert, dass sie einen zeitlichen Verlust und Schaden kaum zu verschmerzen wissen, und zugleich ganz gleichgültig, ob sie ihre Seele verlieren, so bezaubert, dass sie, ich weiß nicht, was für Mühen und Gefahren, um irdischen Gewinnes willen, geduldig übernehmen, sogar, dass sie zu Dieben werden und statt des Vorteils sich das Gefängnis erwerben - aber auf die Frage: was tust du für dein Seelenheil, verstummen müssen. Manche sind bei allem ihrem Reichtum dermaßen mit dem Geiz, der eine Wurzel ist alles Übels, gestraft, dass sie's kaum selbst genießen dürfen, will geschweigen, andern davon gönnten. Sind das nicht bezauberte Menschen, Wahnsinnige, die taube Nüsse echten Perlen vorziehen, diese wegwerfen, und jene ängstlich sammeln und bewahren. Welch ein Jammer aber, dass deren so viele sind, welche auf diesem bezauberten Boden festgebannt stehen. Glückselig die, welche rühmen dürfen er hat uns erlöst von der gegenwärtigen argen Welt und uns einen Sinn gegeben zu erkennen die Wahrheit. Wie beherzigungswert ist Johannis Wort: habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist, wie befolgungswert Christi Gebot: trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.
Nicht weniger fesselnd, nicht weniger verderblich ist der Zauber der sinnlichen Lüste und Begierlichkeiten. Wie Tyrannen führen sie unzählige Menschen wie Sklaven an den Ketten der schändlichsten, schimpflichsten, Leib und Seele verderbenden Lüste. Da gibts Wollüstlinge mit Augen voll Ehebruchs, deren Adern von unreinem Feuer glühen; Trunkenbolde, die wie Rasende ihren Wohlstand zu Grunde richten, ohne ihrer Leidenschaft Meister werden zu können, selbst wenn sie's versuchen; Spieler, die ihren letzten Groschen hinopfern, und der Verarmung und Verzweiflung, wie mit blinder Wut entgegenrennen. Wie sinnreich sind die Menschen, sich nach Möglichkeit dies Erdenleben so zu verschönern, dass sie das ewige Leben verabscheuen, was gibt's da für eine Tanzwut, die schon mancher und manche mit dem kostbaren Preis der Gesundheit und des Lebens hat bezahlen müssen, für eine Schauspielswut und was sonst alles, wodurch die verblendeten Menschen sich dieses Leben begehrungswert, das zukünftige aber ekelhaft zu machen suchen, statt das ärgernde Auge auszureißen, die ärgernde Hand, den hindernden Fuß abzuhauen und wegzuwerfen, da es ihnen doch weit nützlicher sein würde, lahm, krüppel und einäugig ins Himmelreich zu kommen, als so, wie sie da sind, ins höllische Feuer geworfen zu werden, wo Heulen und Zähneklappern ist. Wehe uns, dass wir in Oboth, in dem bezaubernden Lande wohnen, wo die meisten sich bezaubern lassen. Werdet doch endlich nüchtern aus des Teufels Strick.
Von den Bezauberungen in religiöser Beziehung, sind schon ganze Bücher geschrieben worden. Jedoch wollen wir auch hierüber einige Bemerkungen machen. Besonders bemerklich machen sich in dieser Beziehung die Religionsschwärmer, wovon man auch in unsern Zeiten verschiedene klägliche Spuren gesehen hat, wenn gleich eben nicht in unsern Gegenden, wie es etwa vor hundert Jahren doch der Fall war, und damals einem blühenden Orte in unserer Nachbarschaft seine Entstehung gab. Wie der vorherrschende Geist unserer Zeit den Meisten die Richtung gibt, dass sie die Heilige Schrift verwerfen, um ihre eigne Vernunft auf den Stuhl zu setzen, so sind noch immer hie und da solche, die beides herabsetzen und geringschätzen, um den Eingebungen eines vorgeblichen inneren Lichtes zu folgen und so auf mancherlei Abwege geraten, da sie ihre Einfälle für göttliche Eingebungen halten. Wie sehr bedürfen wir arme, irrende Menschen dessen, der hinter uns her rufe: dies ist der Weg, den geht, sonst weder zur Rechten noch zur Linken! Paulus fragt die Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorchet? Worin aber gehorchten sie der Wahrheit nicht? Darin, dass sie durchs Gesetz gerecht und unter demselben sein wollten. Man sollte gesagt haben, wenn bei einer - so wäre es bei dieser Gemeine am allerwenigsten zu besorgen gewesen, dass sie von der Gnade fallen und Christum verlieren würden. Sie liefen fein. Wer hielt sie auf? Paulus hatte ihnen das Evangelium gepredigt und war ihnen dadurch so lieb geworden, dass sie ihn, wie einen Engel Gottes, ja, wie Jesum Christum selbst aufnahmen, und ihm wohl, ich weiß nicht, was geschenkt hätten. Sie fühlten und achteten sich damals so vergnügt und selig, dass nichts darüber ging. Kaum aber traten Leute unter ihnen auf, die da predigten: das gehe aber so nicht, sich auf einmal für ganz gerecht und selig zu achten, sondern man müsse sich beschneiden lassen und das Gesetz halten: so war alles vorbei, Paulus ihnen nicht mehr lieb, seine Predigten nicht mehr angenehm, die Gnade und Christus nicht mehr genug, ihr Seligsein verschwunden und statt der Eintracht und Liebe, nistete sich Zank und Zwietracht ein, dass sie sich, wie der Apostel sagt, unter einander bissen und fraßen. Und so fragt er denn: wer hat euch bezaubert? Auf der andern Seite sahen sich die Apostel genötigt, hier gegen Sektengeist zu eifern, wo dieser sich Paulisch, jener Kephisch, andere auch nicht im rechten Sinne christlich nannten; dort dem Missbrauch der Gnade zu steuern, welche auf Mutwillen gezogen und zum Leichtsinn und Frechheit verkehrt wurde, und da allerlei einreißenden Unordnungen zu begegnen. Hier sehen wir Juden, wie mit einer zauberischen Macht an ihren läppischen Talmud gebannt, dort die Vernunftmänner so von ihrem Unglauben verblendet und da Menschen von einzelnen Irrtümern so eingenommen, dass die deutlichsten Gegengründe, wie Pfeile mit bleiernen Spitzen an ihnen abprallen, oder sie nur zu desto größerem Widerstand reizen. Überhaupt haben wir Ursache wohl zu merken, dass der Apostel Eph. 6 sagt, wir hätten mit geistlichen Bosheiten unter dem Himmel, oder in himmlischen Orten zu streiten, mit den Weltherrschern der Finsternis. Das ist sicherlich ein sehr bedenklicher und gefährlicher Stand. Hier ist mit bloßer Menschenkraft und Menschenklugheit nichts ausgerichtet, da es Kriegslisten des Teufels gibt. Hier kann nur Gott durchhelfen, hier ist Glauben notwendig, welcher der Sieg ist, der die Welt überwunden hat; daher ermahnt er auch stark zu sein in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke, stark zu sein durch Gnade, um alles wohl auszurichten und das Feld zu behalten.
So sind also auch wir gewissermaßen gelagert zu Oboth und das wohl umso mehr, je mehr wir Kanaan entgegen rücken, denn Oboth liegt nahe bei Kanaan. Auf unzählige Weise können wir getäuscht werden, ehe wir's noch bemerken. Viele liegen gefangen in des Teufels Strick zu seinem Willen, die ermahnen wir, dass sie nüchtern werden. Alle tragen wir ein Herz in unserm Busen also beschaffen, dass es sehr not tut zu beten: führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Wer aber die Größe der Gefahr recht versteht, der wird auch recht bedenken, was Salomo sagt: wenn jemand alleine wandelt, so er fällt, wer soll ihm aufhelfen? der wird demjenigen anhangen, welcher sagt: sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Getreu ist der euch rufet, der wird's auch tun. Amen.