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Keller, Samuel - 1. Korintherbrief

Keller, Samuel - 1. Korintherbrief

Kapitel 1

„Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn.“
1. Kor. 1, 9

Wie oft hieß es in meinem und deinem Leben: du warst nicht treu. Wieviel Unterlassung und Versäumnis! Wie wenig entsprach unser Werden und Wachsen der auf uns gewandten Mühe und der gewinnenden Barmherzigkeit Gottes. Denken wir nur den heute durchlebten Tag daraufhin noch einmal durch. Hätten wir da nicht anders reden oder dort nicht liebreicher oder tapferer oder demütiger sein sollen? Je heißer wir uns sehnen, von der eigenen Unvollkommenheit und Untreue loszukommen, desto stärkeren Widerhall müßte es in unserer Seele wachrufen: Dein Gott ist treu! Dieser Ton ist nicht hart, nein, seine Treue wird hier gedacht im Zuge der Barmherzigkeit, daß er uns beruft zur Gemeinschaft Jesu Christi! Wie viel Vergebung, wie viel Freundlichkeit, wie viel Trost und Kraft liegt in dieser Gemeinschaft, und wie mutet uns die Vorstellung an, daß Gott gerade in solchem Liebeswerk nicht ablassen will noch kann, weil er treu ist. Wer das wirklich glaubt, der spürt doch, wie die erregten Wellen der Vorwürfe, Anklagen Stimmungen und Verstimmungen sich legen müssen; denn die Wirkung solcher Gottestreue auf uns heißt Friede.

Herr, unser Gott! Wir bedürfen als letzten Ton, als Schlußakkord, am Ende jedes Tages deines Friedens. Bestätige uns den Bund der Vergebung. Laß die Gemeinschaft mit Jesu lebendig hervortreten und gib uns deinen Frieden. Amen.

Kapitel 2

„Niemand weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen.“
1. Kor. 2, 11

Unser Geist hat nicht nur die Kenntnis aller inneren Vorgange in uns, als einer, der sie kontrolliert, sondern er ist sich auch seiner Verantwortlichkeit über dieselben Gott und Menschen gegenüber bewußt. Nur durch seine Schuld können seelische oder sinnliche Eindrücke sich zu solchen Gefahren auswachsen, daß Sünden daraus werden. Wenn er jede von außen anfliegende oder von innen (aus dem Unterbewußtsein) aufsteigende Regung sofort abweist, verliert sie ihre Entwicklungsmöglichkeit. Das kann man an mancher Lust, mancher Verliebtheit, manchem Zweifel, mancher Versuchung sehr deutlich beobachten. Daher muß unser Geist seine Oberleitung vom Geiste Gottes erhalten; anders kann der letztere über unsere Persönlichkeit keine Herrschaft ausüben. Die Vermittlung zwischen dem Heiligen Geist und unserer Persönlichkeit ist unser eigener Geist. Zu einem Geistesmenschen wird man nur dadurch, daß Gottes Geist immer mehr Besitz ergreifen kann von unserem Geist, daß unser Geist dem Geiste Gottes gehorsam ist. Heiligung heißt dann vor allen Dingen, daß man Raum im eigenen Geist schaffe für Gottes Geist.

Lieber Heiland, erbarme dich unser! Hier liegt viel Unterlassung und Versäumnis von unserer Seite vor, Unlust, uns deinem Geist zu überlassen. Vergib solche Schuld und überströme uns mit deiner Liebe, daß wir immer mehr Verlangen bekommen, uns für dich offen zu halten. Amen.

Kapitel 3

„Wir sind Gottes Mitarbeiter.“
1. Kor. 3, 9

Im letzten Grunde sind das alle Menschen; auch Gottes Gegner. Denn was sie tun mögen, wird von ihm seinen Plänen dienstbar gemacht, daß sich immer wieder das Wort erfüllt: die Menschen gedachten es böse zu machen, Gott aber hat alles wohlgemacht. Darin wird ihr Gericht bestehen, daß sie einst mit Entsetzen einsehen müssen: was wir als seine Todfeinde gegen ihn taten, ist alles ausgeschlagen zu seines Reiches Nutzen. - Aber wir wollen in ganz anderem Sinn Gottes Mitarbeiter sein: daß wir seine Absichten vorauserkennen und in dieser Richtung nun uns alle Mühe geben, ihm Wege zu bahnen. Es versteht sich von selbst, daß wir über solchen Dienst an uns und andern selbst am meisten Freude, Anregung und Segen erhalten. Wenn es sich in einer Sache, an die wir viel Mühe und Liebe gewandt hatten, nachher herausstellt, daß es Gottes Wille gewesen war, daß wir in der Richtung seiner Pläne gebaut hatten, dann ist die Freude, die uns erfüllt, kaum mit irgend etwas auf Erden zu vergleichen. Gott arbeitet und nimmt seine Kinder zu kleinen Dienstleistungen hinzu. Sein Tun und unser Mühen muß zusammenklingen. Aber freilich gilt es vor allem seinen Willen erkennen und sich von seinem Geist führen lassen.

Herr, gib uns Klarheit über das, was du getan haben willst. Gib uns, was du befiehlst, und dann befiehl, was du willst. Dein sei alles: Zeit und Gelegenheit, aber auch Sieg und Segen! Amen.

„Es ist alles euer.“
1. Kor. 3, 21

Auch dieses Wort ist einer von den Märtyrern der Schrift, der aus seinem Zusammenhang gerissen, in allerlei Formen gequetscht wird und unter solcher Folter gezwungen wird, wer weiß was auszusagen. Tut man dem Wort aber keinen solchen Zwang an, sondern liest Vers 21-23 durch, so merkt man, was es will. Unter der Bedingung, daß ich Christi wahres Eigentum geworden bin, daß ich in Christo geborgen und gebunden bin schließt dieses Wort wie ein Federdruck eine zentnerschwere Klosterpforte auf. Jetzt ist alles euer: Paulus oder Apollos, Goethe oder Schiller, Natur oder Kunst, Wissen oder Leben, Schönheit oder Gedanken - eigenes Werden oder Menschenliebe, oder sonst, was für weltweite Gegensätze du zu umspannen imstande bist. Denn dein in Christo-Sein schließt die Sündenliebe aus, und alles andere steht dir offen. Du darfst von edlen Menschen viel haben, du darfst für edle Zwecke schaffen, du darfst alles, seit dir der Rücken gedeckt ist in Christo, und es gibt für dich überhaupt nur eine einzige Grenze: was dich und Christus scheiden würde, was sich störend zwischen dich und Christus schieben wollte, das kannst du nicht wollen.

Meine ganze Seele, Jesus jauchzt dir zu! Seit ich dich kenne und habe, darf ich die ganze Welt, für deren Erlösung du starbst und an deren Verklärung du schaffst, auch lieb haben und ihr helfen wollen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat! Amen.

Kapitel 4

„Dafür halte uns jedermann: für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“
1. Kor. 4, 1

Daß wir so etwas von uns selbst sagen, macht die Sache noch nicht zur Wirklichkeit, sondern wir sollen so leben und arbeiten, daß andere diesen Eindruck von uns bekommen: Dieser Mensch ist kein Menschenknecht, sondern redet in Christi Vollmacht, und er hausiert nicht mit Menschenfündlein, sondern verwaltet Gottes heimliche Schätze, die der Welt verborgen sind. Gilt das Wort in erster Linie auch den Predigern, so ist doch von solcher Regel kein wahrhaft gläubiger Christ ausgenommen, der seines Herrn Wort in den Mund nimmt. Von Christo her zu andern Menschen gesandt, die Hände gefüllt mit den geheimnisvollen Schätzen Gottes: Friede, Vergebung, Reinheit und Kraft, Trost und Freude! Lege diesen Maßstab nicht immer an die Predigt deines Geistlichen, sondern an dein eigenes Leben. Können die andern, die dich näher kennen lernen, den Eindruck nicht verwinden: dieser Mann handelt in Christi Auftrag und teilt Gottes Gaben aus? Oder bleibt alles an deinem eigenen Wesen und Denken haften? Dann verlierst du den Anspruch auf den Trost Christi, wenn dir Trost am nötigsten sein dürfte und wenn du Kraft brauchst, wird die Ebbe in deiner Gedankenkasse offenbar.

Herr Jesus, ich fürchte mich vor mir selbst und dem Meinen. Lehre mich deinen Willen erkennen und ausrichten. Offenbare mir zuerst deine Geheimnisse, daß ich sie kund tun kann als dein Wort und damit wirken kann dein Werk. Amen.

„Nun suchet man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden.“
1. Kor. 4, 2

Untreue löscht alle andern guten Eigenschaften eines Mannes aus, der einen Vertrauensposten bekleidet. Er kann sich mit keinem Lob über andere Leistungen oder Erfolge gegen den Blick der Vernichtung wappnen, womit sein Herr am Tage des Gerichts den Überführten straft: „Untreue!“ Wenn man im geistlichen Dienst seine Ehre, seinen Vorteil, seine Anerkennung, seine Bequemlichkeit sucht und nicht das Interesse seines Herrn, wird man untreu erfunden. Die Gefahr, sich über diesen Punkt selbst zu täuschen, ist bei den Eifrigsten und Erfolgreichsten am größten. Da mischen sich in die gesteigerte Tätigkeit so leicht falsche Triebe. Menschen, die einen loben und beräuchern, verwirren das klare Selbstgericht, und allmählich wird man ein Opfer aller dieser falschen Vorstellungen. An andern sehen wir bisweilen, wie ihre Vielseitigkeit sie verdirbt; über uns selbst können wir im gleichen Augenblick ganz verblendet bleiben. Da ist es noch ein Segen, wenn vielleicht ein feindlicher Tadel, der uns zuerst nur verletzt, uns die Augen öffnet und wir den Abgrund erkennen, an dem wir wandeln. Nur nicht im unklaren, wem unsere Treue gehört.

Herr Jesu, es steht zu viel auf dem Spiel für meine arme Seele und meine Arbeit. Erbarme dich meiner und hilf mir nach deiner Barmherzigkeit. Strafe meine Untreue jetzt und vergib mir. Mach du mich treu. Amen.

„Mir aber ist es ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht.“
1. Kor. 4, 3

Das hat mancher dem großen Apostel nachgesprochen, der weniger Grund dazu gehabt hat als er. Denn es gehört doch ein tadelloses Gewissen und ein unbeflecktes Herz dazu, seinen menschlich-befangenen, engherzigen Richtern mit einem solchen Wort entgegentreten zu können. Paulus lehnt sie alle im voraus ab. Aber daß er sich auch selbst nicht richten wolle, könnte befremdlich klingen, wenn man nicht aus dem folgenden Verse den Grund erfahre. Weil der Herr allein richtig seines Knechts Arbeit beurteilt und gerecht rechten wird, hat es nach beiden Seiten keinen besonderen Sinn, wenn Paulus von seinem eigenen Gericht viel abhängig machen wollte. Beurteilt er sich zu gut, dann könnte diese Selbsttäuschung ihm schaden - fällt seine Zensur in kleinmütiger Stunde zu schlecht aus, könnte er alle Lust zur Weiterarbeit verlieren. Gott ist größer als unser Herz. Wollen wir stets im Blick auf sein genaues, aber gerechtes Urteil leben und arbeiten, dann wird der Weg lichter und leichter. Für die Fehler und Schwachheiten, die uns unterlaufen, gibt es bei demselben Richter nur eine wundersame Vergebung, wenn er die Aufrichtigkeit des Herzens vorfindet. Laßt uns nicht nach Menschen uns richten, sondern nur auf Jesum schauen.

Herr Jesus, du bist uns zum Richter und zum Retter bestellt. In deinen Händen wollen wir bleiben. Mach du es mit uns nach deiner Güte und Treue. Verlaß uns jetzt nicht in der Arbeit, damit wir dich nicht zu scheuen brauchen am Tage des Gerichts. Amen

„Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.“
1. Kor. 4,5

Bis dahin nicht richten! Oh, wie wäre das so schön! Und doch ist das nicht nur so ein frommer Wunsch des Apostels, wie wenn ein Kind seufzt: „Ach, daß doch alle Tage Sonnenschein wäre!“, sondern es ist eine berechtigte Mahnung. Jetzt ist die Zeit zum Einladen und Werben; wenn Jesus wiederkommt, ist die Zeit zum Richten. Er wird solches Gericht vollziehen; was mischst du dich in sein Vorrecht, indem du jetzt über deinen Bruder zu Gericht sitzest, ob er „entschieden“ oder „mit dem Geist getauft“ sei? Dein Urteilsspruch hat soviel Kraft wie das Lallen unmündiger Kinder; wozu belastest du mit einer solchen unnützen Sache dein Gewissen und des Bruders Herz. Lehrer und Führer der Unmündigen müssen freilich wachen, ob sich nicht eine seelengefährliche Lehre einschleichen will. Aber davon ist hier nicht die Rede, sondern von dem unberufenen, lieblosen Aburteilen über den Nächsten, worin viele ihre vornehmste Stärke haben. Wenn wir Gläubigen frei wären von solcher üblen Unart des Richtens, brauchte der Herr nicht so manche Demütigung über uns kommen zu lassen. Wollen wir schon durchaus richten, so lasset uns ein jeder sich selbst richten. Das hat eine Verheißung.

Lieber Heiland, vergib uns all unser liebloses, voreiliges Richten und mache den Schaden gut, den wir damit etwa schon angerichtet haben. Schenk uns tragende, schweigende Liebe zu den Brüdern aus deinem Schatz von Liebe. Amen.

„Denn wir sind ein Schauspiel worden der Welt und den Engeln und den Menschen.“
1. Kor. 4, 9

Sind wir uns dessen bewußt, daß andere Menschen uns zuschauen, während wir auf der Bühne unseres Lebens hantieren, kann das uns zum Ansporn dienen, uns Mühe zu geben und uns vor gewissen Fehlern zu hüten. Wer will sich von andern Menschen in unwürdigen Albernheiten oder gar Schlechtigkeiten beobachten lassen! Dadurch wird eine Art christlicher Schauspielerei ausgebildet, die von den geheimen Vorgängen sehr absticht. Vergegenwärtigen wir uns aber nach dem Worte unseres Textes, daß wir an der Welt, die das Werden und Wirken unserer Persönlichkeit ziemlich richtig einschätzt (auch wenn sie uns haßt), eine stete Kontrolle haben, dürfen wir schon besser darauf achten, die beiden Seiten unserer Buchführung, die öffentliche und die geheime, in Einklang zu bringen. Nur an wem nichts zu verraten ist, der kann mit Freimut auftreten. Das Ganze wird noch um eine starke Schattierung intimer und einschneidender, wenn wir an die Lage denken, aus der uns die Engel zuschauen. Vor Geistwesen wie diesen, liegt vielleicht auch unsere Gedankenwelt offen! Schlechtes sinnen macht schwach und schafft böse Lust für die darauffolgenden Kämpfe. So sollte auch unsere ganze Gedankenwelt rein und edel sein bis ins kleinste.

Vor dir, Herr, sind wir stets entdeckt. Oft hat mich das schon aufs tiefste beschämt, daß du alle meine Gedanken kennst und mich doch noch liebst. Herr, reinige mein Herz und meine Gedanken, damit alles harmonisch und wahr sei. Amen.

Kapitel 6

„Ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes.“
1. Kor. 6, 11

Früher ist mir diese Stelle nie aufgefallen, obschon ich das Neue Testament über vierzigmal in verschiedenen Sprachen gelesen habe. Heute aber blieb mein Auge daran haften und ich fragte mich: ist das Selbstwiderspruch des Apostels, der sonst die Rechtfertigung allein durch den Glauben lehrt? Natürlich nicht. Der Glaube ist die Hand; der selig und gerecht macht, bleibt der Heiland, und sein Geist bedient sich dabei des Geistes des Menschen, der allein fähig ist, sein Zeugnis zu vernehmen. Glauben ist eine bestimmte, durch Gottes Geist in unserm Geist gewirkte Fähigkeit, Gnade von oben zu verstehen und zu nehmen, die der ungläubige natürliche Mensch nicht hat. Wir nehmen im Glauben Gerechtigkeit, die es nur im Namen Jesu gibt, und daß wir das tun können, wirkt der Geist Gottes in unserem Geist. Alles, was wir dazu tun können, ist, daß wir unsern Geist als offenes Organ für Gottes Wirkung hinhalten; es ist nur die Entscheidung: ich will nicht widerstreben, ich will mit mir tun lassen, was jetzt Gott mich will erfahren lassen. Unglauben ist der Wille, der Gott und Christo sich nicht ergeben und hingeben will. Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche, ist der tiefste Grund alles Unglaubens.

Wir wollen dir, Herr Jesus, gehorsam sein! Wir danken dir, daß du durch deinen Geist so an uns arbeitest, daß wir sein Zeugnis nicht mehr ablehnen könnten. Lob und Preis sei dir für das Leben, das du uns gabst. Amen.

Kapitel 7

„Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“
1. Kor. 7, 23

Die Leute nehmen das Wort „frei“ gern für sich in Anspruch; ganze Herden von Parteisklaven nennen sich so. Dabei kommt es mir vor, als hätten wir viel mehr Anlage, jemandes Knecht zu sein. Am freiesten ist noch der, welcher sich dessen bewußt geworden ist, daß er Jesu Eigentum ist und dadurch nicht mehr von Menschen abhängt. Es paßt nur lange nicht auf alle Gläubigen. Sehr viele bleiben trotzdem dabei, daß Jesus sie sich erkauft hat. Sklaven anderer frommer Menschen, oder Sklaven einer christlichen Partei. Wie weit wir im Banne solcher Gerechtsamen bleiben, so viel unserer Kraft und unserer Persönlichkeit geht für das eigentliche Reich Gottes verloren. Einer ist euer Meister: Christus! Wie viel leichter wäre das Zusammenleben und das gemeinsame Wirken, wenn weniger Menschenvergötterung, weniger Menschensklaverei störend dazwischenträte. Das, was wir von Jesus empfangen haben, trennt uns von den Brüdern nicht: das eint und hält uns zusammen. Nur Sünde und irrendes Menschenwesen spaltet und scheidet. Wenn die Endzeit die eine Herde unter einem Hirten aufzeigen soll, dann wird noch viel Menschenruhm zu Wasser werden, und Jesus uns immer mehr alles werden müssen.

Lieber Herr und Gott! Wir törichten Kinder kleben wie versessen an andern Menschen. Mach uns innerlich in dem Grade von ihnen los, als du uns mit dir verbindest, und dann brauche uns wie ein Bindemittel, andere mit dir und nur dadurch mit uns zu verbinden. Amen.

„Und die sich freuen, als freuten sie sich nicht.“
1. Kor. 7, 30

Kleine Kinder, die noch nicht viel überlegen, sind ganz Schmerz, wenn sie einen haben, und ganz Freude, wenn sie etwas freut. Der Erwachsene hat seltener und spärlicher Freuden und ist doch auf Freude angelegt; darum stellt sich leicht die Gier ein, die Freude auszukosten, zu steigern, zu verlängern. Das führt zu Unnatur und jähem Umschlag in um so tiefere Verstimmung hernach. Sich recht freuen, das will gelernt sein! Unser Textwort meint: wir sollen uns nicht an irgend eine Augenblicksfreude wegwerfen oder verkaufen, weil solche Hingabe uns nachher doppelt elend macht, wenn die Freude plötzlich erstarb. Unsere Hauptsache liegt woanders; unsere eigentliche Freude ist die Lust am Herrn und die Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit. Dann sind die Erdenfreuden, die der Welt alles bedeuten, für uns nebensächliche Beigaben, an denen uns freisteht, auch ein Stück Freude zu haben, aber ohne unseren Berechtigungsschein auf die große Freude dafür zu versetzen. Gibt uns der Herr kleine Erdenfreuden, wollen wir sie dankbar genießen, aber nie vergessen: das ist für uns nicht Sinn und Zweck des Lebens.

Wir danken dir, lieber Vater, daß du in Kleinigkeiten unseres Lebens deine Größe und Liebe uns zeigst. Laß uns über den kleinen Freuden des Alltags die große Festtagsfreude der Ewigkeit nicht vergessen. Amen.

„Die dieser Welt brauchen, daß sie dieselbe nicht mißbrauchen.“
1. Kor. 7, 31

Wann tritt denn der Mißbrauch dieser Welt ein? Wenn man entweder seiner Seele Leben an die Güter dieser Welt verkauft, so daß nicht wir diese Güter haben, sondern sie haben uns - oder in selbstsüchtiger Weise nur Genuß an ihnen sucht und keine Pflicht in ihnen dem Nächsten zu dienen anerkennt. Die äußere Stellung kann es ja mit sich bringen, daß der eine ganz anders sich mit dieser Welt beschäftigt als der andere. Ein Kaufmann, der aufs Verdienen angewiesen ist, ein Fabrikant, von dessen guter Führung seines Unternehmens Hunderte von Familien mit ihrem täglichen Brot abhängen, steht anders zum Geld als der Beamte, der sein Gehalt oder seine Pension hat, oder wie der Geistliche, der sich mit den Seelen seiner Gemeinde beschäftigen soll. Da darf man nicht ungerecht aburteilen über den andern, der anders als wir sich mit dieser Welt Gütern abgeben muß. Nur wird die Grenze des rechten oder falschen Gebrauchs klar gezogen werden müssen, damit die Seele nicht notleidet. Hast du es leichter, dem Glanz des roten Goldes dich zu entziehen als der andere, dann wirf keinen Stein auf ihn, sondern biet' ihm die Hand zu der Erlangung eines Gegengewichts: daß die zukünftige Welt in sein Leben hineinkomme und etwas wirke, ehe es zu spät ist.

Herr, lehre uns gerecht und milde über andere urteilen, und scharf und deutlich für uns selbst die Grenze finden, wo für uns der Mißbrauch anfängt. Unser Herz soll dir gehören, und dann kann alles unser sein. Amen.

„Ich halte aber, ich habe auch den Geist Gottes.“
1. Kor. 7, 40

Es ist lehrreich, daß Paulus diesen bedeutsamen Satz am Schluß einer Auseinandersetzung über das Heiraten bringt, die er damit eingeleitet hatte, daß er zugestand, darüber kein Gebot des Herrn zu haben. Aber ich will daraus keine Folgerung über diese Ratschläge ziehen, sondern nur unterstreichen, daß Paulus Gegnern gegenüber, die vielleicht anderer Meinung blieben, sich darauf zurückbezieht: er sei doch vom Geiste Gottes nicht verlassen. Wollen wir ihm nicht alles nachmachen und bei jeder theologischen Streitfrage uns in solche Burg flüchten! Aber, wenn ein anderer es uns gegenüber tut, wäre es besser, man setzte die Fortsetzung des Gesprächs aus. Wir müssen den, der so spricht, doch respektieren. Ein zwingender Grund, seine Meinung anzunehmen, liegt in diesem Satz nicht; denn wir könnten für die gegenteilige Meinung dieselbe Deckung verlangen. Aber, es würde verletzen, wenn man mit stärkeren Gründen weiter disputieren wollte, nachdem der andere die Hörner des Altars angefaßt hat. Auch Gotteskinder können irren; auch treue Gläubige können Fleisch für ihren Arm halten; wir selbst irren ja auch oft.

Herr, lehre uns schweigen und lieben, wo das Reden Haß und Streit erzeugt. Bring du später die volle Wahrheit an den Tag. Dein Geist kann nie irren! Aber er kann warten, dulden, tragen, lieben. Das gib uns, o Herr Jesus! Amen.

Kapitel 9

„daß ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde.“
1. Kor. 9, 27

Ärzte und Armenpfleger sollen im Lauf der Jahre durch den täglichen Anblick menschlichen Elends so abgestumpft werden, daß kaum noch etwas Mitleid erregt. Gefahren des Berufs! Ist aber der Beruf, ein Zeuge Jesu zu sein, nicht der allergefährlichste? Man hat ununterbrochen anderer Seelenheil im Auge und keine Zeit für sich selbst. Man gewöhnt sich, den anderen, den man bekehren möchte, zum Sündenbewußtsein zu bringen und erliegt da sehr leicht zwei Gefahren. Entweder überhebt man sich bei solcher Arbeit selbst und hat kein Interesse oder Verständnis für die eigene Sünde, oder man sieht im Nächsten nur den Gegenstand unserer Arbeit und tut ihm als Menschen und Bruder unrecht. Tüchtige Reichsgottesarbeiter sind bisweilen unausstehlich im Umgang; sie vertragen keinen Widerspruch; sie tun in der Unterhaltung und im brüderlichen Verkehr, als waren die anderen alle ihre Patienten aus der Sprechstunde. Berufsfehler, die sich wie Scheidewassertropfen ätzend und verletzend in den schönsten Glanz des Eifers um des Herrn Haus einfressen. Wer sollte sich nicht fürchten, solchen Gefahren zu erliegen? Wer sollte sich im Blick darauf nicht flüchten in die Arme dessen, der uns vor jedem Fehltritt bewahren möchte?

Herr Jesu, du kannst Mitleid haben mit deinen angefochtenen, gefährdeten Dienern. Nimm dich unser herzlich an und entsündige uns von diesen Schulden. Reinige. bewahre und segne uns! Amen.

Kapitel 11

„Der Mensch aber prüfe sich selbst“
1. Kor. 11, 28

Und das nicht nur vor dem Abendmahl! Es wäre viel häufiger nötig, daß wir den Maßstab des Wortes Gottes an unser inneres und äußeres Wachstum legten, den Herzschlag unseres geistlichen Lebens untersuchten und feststellten, ob die Blutwärme unserer Liebe normal sei. Man wächst im Geistlichen viel schneller schief und krumm als im Leiblichen, und merkt den Fehler viel schwerer. Leibliche Leiden pflegen durch ihr Signal, den Schmerz, sich spürbar anzuzeigen, daß man sofort aufmerksam wird und sich nach Hilfe umsieht, während geistliche Auswüchse jahrelang sich entwickeln können, und wenn keiner uns darauf aufmerksam macht, merken wir noch gar nichts. Und wie selten sind die treuen Freunde, die einem in besorgter Liebe solche Fehler sagen! Oft müssen Feinde mit ihrem bitteren Spott uns erst aufmerksam darauf machen, und wie weh tut dann beides: die Erkenntnis, daß sie recht hatten, und die Anstrengung, das Gewächs los zu werden. Daher prüfen wir uns an Gottes Wort! Wenn eine Ermahnung in den Worten Jesu oder in den Briefen der Apostel uns übertrieben vorkommt oder fast wehe tut, dann ist sicher bei uns etwas krank.

Du aber bist unser Arzt, Herr Jesu, der nicht nur prüft und Fehler anzeigt - du kannst sie auch heilen. Erbarm dich unser und laß uns nicht in Selbstverblendung dahingehen. Offenbare uns unsern Schaden und hilf uns. Amen.

Kapitel 13

„Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen“
1. Kor. 13, 3

Selbstaufopferung bis zum Wahnsinn kennen Heiden und Mohammedaner auch; ist das gleichbedeutend mit Heiligung? Selbstaufgabe, wie der Buddhismus sie lehrt, verträgt sich mit lieblosem Herzen sehr gut; ja es ist sogar nur eine besondere Form der Ichsucht. Es gibt auch in der Christenheit solche Elendjäger, die sich nicht genug tun können in der Übernahme von Lasten und Elend. Einen solchen Elendgänger kannte ich, der meinte vor fünfzehn Jahren, er müsse jede Trübsal suchen, damit er alle Tage in „Furcht und Zittern“ bleibe. Das war sein Christentum. Gott hat ihm, seinem Hause, seiner Arbeit Berge von Leid aufgeladen, bis er endlich merkte, daß er mit dem Brennen seines Leibes keinen Schritt näher zu Gott komme. Wenn wir nicht in der Liebe Jesu einen Jungborn haben, darin wir täglich unsere Seele erfrischen, kann all das fremde Elend uns verzagt und müde machen. Ich habe viel Geld in meinem Leben weggegeben, aber selten danach Freude dadurch erlebt, weil ich nicht Zeit hatte, mir die Bittsteller genau anzusehen. Für die Ewigkeit haben alle diese Gaben wenig Sinn oder Segen: man wollte oft nur die Leute los werden, und fast täglich kommen neue Bitten. Aber Liebe kann man nicht weggeben, ohne reicher zu werden!

Herr Jesu, erbarme dich über meine Opfer. Entsündige sie, heilige sie, damit nicht alles vergeblich sei. Ich bitte dich für alle die Leute, die mich bitten! Erbarme du dich und hilf ihnen innerlich zurecht. Mir selbst zuerst alle Tage. Amen.

„Die Liebe ist langmütig“
1. Kor. 13, 4

Uns fehlt es oft an dieser Langmut für ein ganz bestimmtes Verhältnis; andern gegenüber sind wir sehr langmütig. Aber diesem einen Menschen gegenüber, dem wir schon so oft gezeigt hatten, wie er uns mit seinem Fehler das Leben verbittert, scheint es uns, als wäre es wichtiger, er bekehrte sich zu unserer Ansicht, er änderte sich endlich, als daß wir noch länger mit ihm Geduld haben sollten. Vielleicht konserviert Gott jene Art so lange, bis wir gelernt haben, sie nicht nur mit heimlichem Ächzen zu tragen, sondern so viel langmütige Liebe bekommen haben, wie uns not tat. Wir bergen uns gern in Gottes Langmut; wann werden wir so viel von unseres Vaters Art uns angeeignet haben, daß der bittere Beigeschmack der Ungeduld aus unserer Liebe weicht. Kindern und Jünglingen sieht man den Mangel an Langmut leichter nach; erwachsene, reife Christen sollten keinen Anlaß mehr zu dieser Ausstellung geben, und wenn sie selbst merken (wie ich), daß sie es doch getan, tut ihnen diese häßliche grüne Stelle am reifenden Halm überaus weh. Das kann einem einen gründlichen Bußtag bereiten, auch wenn Jubilate oder Kantate im Kalender steht.

Lieber Heiland, laß deine Langmut nicht nur meine Fehler tragen, sondern sie auch schlagen, ausmerzen, wegtreiben. Gib mir Gnade, daß ich auf diesen Punkt aus dem Seufzen über mich herauskomme in das Jauchzen über dich. Ich sehne mich nach deiner Art, deiner Liebe und Geduld. Amen.

„Unser Wissen ist Stückwerk“
1. Kor. 13, 9

Wenn in unsern Kreisen über die Grenzen menschlicher Wissenschaft geredet wird, ist man schnell fertig, allerlei Fragen der Natur, von denen man nichts versteht - manche Einwände der Bibelkritik, von denen man wenig weiß, von der Hand zu weisen: Unser Wissen ist Stückwerk! Es kommt nur auf den Glauben an! Merkwürdig, sobald es aber Punkte der eigenen Schriftauffassung oder der Heiligung oder des christlichen Lebens anlangt, finden dieselben Leute, daß der andere Spruch auf sie passe: „Ihr habt die Salbung und wisset alles.“ (Obschon dort nach den besten Lesarten „alle“ und nicht „alles“ steht!) Warum sollte man nicht auch jetzt bescheidener von seinem christlichen Wissen denken und zugeben, daß auch dieses Stückwerk ist? Wie viel Zertrennung und Sektierertum wäre nicht vorgekommen, wenn wir etwas geringer von uns selbst und unserem Wissen dächten! Es sind doch oft verschiedene Auffassungen möglich. Muß deine Rechthaberei allein angeben, was rechtgläubige Schriftlehre ist? Wenn die Liebe stärker wäre und die Demut größer, und die Erkenntnis, daß unser Wissen Stückwerk bleibt, zum Allgemeingut erhoben würde, kämen wir besser miteinander aus.

Herr, du weißt alles! Und wir müssen oft genug die Hand auf unsern Mund legen, weil wir so vieles nicht wissen. Leite du deine Leute durch deinen Heiligen Geist zur Liebe und zur Demut, damit du geehrt werdest. Amen.

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