Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Sechstes Kapitel. Die Waldenser in Böhmen.

Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Sechstes Kapitel. Die Waldenser in Böhmen.

„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ Schiller.

Die Geschichte Böhmens bietet in mancher Beziehung eine Parallele zu der des südlichen Frankreichs. In beiden Ländern blühten ehemals geistige Bildung und Wohlstand; von beiden konnten die angrenzenden Staaten hoffen, das Licht der reinen Lehre zu empfangen; beiden erlagen endlich unter ähnlichen Schicksalen den Blitzen des Vatikans.

Wie wichtig wäre es für uns, wenn es sich erweisen ließe, dass auch in Böhmen die Waldenser es waren, welche die Wiederherstellung der christlichen Kirche angebahnt! Leider sind die geschichtlichen Nachrichten teils zu wenig begründet, teils zu abgerissen, als dass man es wagen könnte, überall ein vollkommen sicheres Urteil zu fällen. Das wird sich jedoch mit ziemlicher Gewissheit ergeben, dass ein Zusammenhang der reformatorischen Bestrebungen in Böhmen mit den Waldensern nicht zu verkennen sei.

Um die Mitte des neunten Jahrhunderts war durch zwei Brüder, Methodius und Cyrillus, die christliche Religion, und zwar in der Weise der griechisch-katholischen Kirche, nach Mähren gekommen. Von da verpflanzte sich dieselbe bald in das benachbarte Böhmen und fand dort, nachdem, im Jahre 871, der Herzog Borzivoy mit seiner Gemahlin Ludmilla die heilige Taufe empfangen hatte, sehr schnellen Eingang unter dem Volke.

Überall entstanden christliche Kirchen, in welchen die neue Wahrheit in der Landessprache gepredigt, und das Abendmahl, seiner Stiftung gemäß, mit Brot und Kelch gefeiert wurde. Das Heidentum zerfiel immer mehr. Dieses Aufblühen der griechischen Kirche sah der römische-Hof mit eifersüchtigem Blicke, und bot alle Mittel auf, dieselbe aus Böhmen zu verdrängen und dafür seine Lehren und Gebräuche einzuführen.

Dies gelang dem Papste Johann XIII. schon im Jahre 967 unter dem Herzoge Boleslaus, dessen Schwester Mlada förmlich zur römischen Kirche übertrat, und, von Rom zurückgekehrt, auch ihren Bruder zu einem solchen Religionswechsel vermochte. Die Großen des Reiches folgten dem Beispiele des Fürsten; das Volk aber konnte nicht so schnell zum Abfall von der griechischen Kirche bewogen werden. Anfangs war Allen, welche der letzteren treu blieben, freier Gottesdienst gestattet; aber die Päpste arbeiteten immer ernstlicher darauf hin, sich die Alleinherrschaft zu erringen und Alles aus dem Wege zu räumen, was sich vor ihrer dreifachen Krone nicht beugen wollte.

Nachdem noch im J. 977 die einstweilige Erlaubnis zum Gebrauch der slavischen Volkssprache beim Gottesdienst gegeben worden war, verbot dies Papst Gregor VII. in einem Schreiben an den Herzog Wratislaw, vom J. 1079, auf das entschiedenste.1)

Ebenso wurde von Rom aus auf die Ehelosigkeit der Priester und auf die Abendmahlsfeier ohne den Kelch gedrungen.

Die griechische Kirche verlor immer mehr an Stärke; ihren Anhängern schwand unter fortwährenden geheimen Bedrückungen Mut und Freudigkeit dahin. Um diese Zeit, d. h. in der letzten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, flüchtete sich nach dem Zeugnis mehrerer Schriftsteller ein Teil der aus Lyon vertriebenen Waldenser auch nach Böhmen. Peter Waldus soll selbst, nachdem er kurze Zeit in der Picardie und in Deutschland gewirkt, mit einem Gehilfen, Namens Hieronymus, nach Böhmen gekommen und daselbst gestorben sein. Zateck, oder Saatz, und Launa, zwei nahe bei einander an dem Fluss Eger gelegene Städtchen, werden als die Orte dieser waldensischen Niederlassung genannt.

Die neuen Ankömmlinge wurden in Böhmen mit offenen Armen aufgenommen und fanden unter dem nach evangelischer Wahrheit dürstenden, und mit dem Umsichgreifen des Papsttums unzufriedenen Volke einen außerordentlichen Anhang. Der Gottesdienst wurde meist heimlich, an manchen Orten aber selbst öffentlich gehalten.

Mit den Anhängern der immer mehr zerfallenden griechischen Kirche traten die Waldenser in ein Freundschaftsbündnis. Ob auch in Glaube und Gottesdienst mannigfach verschieden, so waren sie doch eins im Hasse gegen die Herrschaft des römischen Bischofs, eins in dem Gebrauche der Landessprache, eins in der Feier des Abendmahls mit Brot und Kelch.

Diese Verbindung diente zur gegenseitigen Unterstützung gegen den gemeinschaftlichen Feind; sie war aber keine gänzliche Verschmelzung und Vermischung. Denn die Waldenser in Böhmen unterhielten mit ihren Glaubensgenossen in Frankreich und Piemont einen fortwährenden innigen Verkehr, der auf brüderlicher Gemeinschaft des Glaubens beruhte. Sie unterstützten sich gegenseitig mit Geld; besonders von den Tälern Piemonts kamen Prediger (Barben) zu den Brüdern nach Böhmen, und diese schickten, wie uns der Geschichtsschreiber Leger versichert, ihre Jünglinge in die Täler, damit sie dort im heiligen Amte unterrichtet würden. Diese Verbindung und Unterstützung, über welche sich noch um das Jahr 1330 die römischen Katholiken bei König Johann beschwerten, wurde gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts durch ein trauriges Ereignis unterbrochen. Aus den Tälern Piemonts kamen zwei Prediger 2) nach Böhmen, um dort den Waldensern das Evangelium zu verkünden. Aber sei es aus Unvorsichtigkeit, sei es weil sie sich hatten bestechen lassen - sie entdeckten der römischen Geistlichkeit die Orte, wo alle Waldenser sich zu versammeln pflegten. Über diese erging nun eine schwere Verfolgung, welche sie ihren italienischen Glaubensgenossen mit der Bitte meldeten, ihnen keine Prediger mehr zu senden, deren Treue sie nicht erprobt hätten.

Unleugbar kam durch die Waldenser ein neues Lebenselement nicht bloß in die ihrem Ersterben nahe griechische Kirche, sondern auch in die böhmische Christenheit überhaupt. Die Saat des rein evangelischen Glaubens, welche sie überall ausstreuten, wohin sie kamen, musste ihre Früchte tragen. Die Regierung Karl IV. begünstigte das erwachte geistige Leben. Er gründete im Jahre 1348 die erste Universität Deutschlands zu Prag, „damit,“ wie er sich selbst ausdrückte, „die Böhmen nicht mehr genötigt wären, ihren unablässigen Heißhunger nach den Früchten der Wissenschaft durch Betteln bei den Ausländern zu stillen.“ Aus Karls unmittelbarer Umgebung erstanden mehrere tüchtige Zeugen der Wahrheit. Der Stadtpfarrer zu Prag, Conrad von Nordhausen, einem Orte in Österreich, geißelte mit außerordentlicher Beredsamkeit, unter dem höchsten Beifall des Volkes, die Schlechtigkeit seines Zeitalters und ermahnte zur Buße und zu wahrer Frömmigkeit. Sein von König Karl IV. hoch geehrter Amtsgenosse Johann Militz, zu Kremsier in Mähren geboren, drang auf die Abendmahlsfeier unter beiden Gestalten. Matthias von Janow aus Prag, ein Schüler von Militz, wies sogar auf die Notwendigkeit einer Reformation der Kirche hin.

Die Werke des Widerchrists, dessen Zeit nun gekommen, sagte er, seien die Fabeln und Menschenerfindungen, welche in der Kirche herrschten, die Verehrung der Bilder und Reliquien. Ein jeder Mensch, eine jede Stadt habe einen eigenen Christum, weil man die Heiligen für Christum annehme. Alles, was durch der Menschen Selbstsucht in die Kirche eingeführt worden, sei nicht von Gott und Gottes Geiste und darum auszurotten und wegzuwerfen. Die Herrschaft des Papstes sei ein Missbrauch. In den ersten Zeiten der christlichen Kirche habe unter den Bischöfen vollkommene Gleichheit bestanden. Mit hoher Verehrung spricht Matthias von Janow von der Heiligen Schrift. Er nennt dieselbe seine Freundin und seine Braut, die er schon von Jugend auf geliebt habe. Aus ihrem Reichtum schöpfte er alles Licht und allen Trost; durch sich selbst klar und einleuchtend seien ihre göttlichen Wahrheiten. „O wie hat sie mich gespeist mit dem Brote des Lebens!“ ruft er begeistert aus. „Wie hat sie mich mit dem Wasser der Erkenntnisgetränkt in den Finsternissen, in welchen ich schwebte! Während Andere zu ihrem Schutze Reliquien und die Knochen verschiedener Heiligen mit sich überall herumtragen, habe ich mir die Bibel zur beständigen Gefährtin meiner Pilgrimschaft erwählt.“ Der evangelische Mann, welchen Karl IV. sogar zu seinem Beichtvater sich erwählt hatte, wurde auf Antrieb des römischen Hofes aus dem Lande verwiesen, musste mit der Widerrufung seiner Lehre die Erlaubnis zur Rückkehr erkaufen und starb als Privatmann im Jahre 1394.

Wenn es auch sich nicht erweisen lässt, so liegt doch die Vermutung nahe, dass diese Männer nicht ohne Berührung mit den Waldensern waren. Es ist nicht der griechische, sondern der evangelische Glaube, den sie vertreten, gegenüber den Irrlehren und Missbräuchen der römischen Kirche; und gerade in Österreich und Mähren, woher die beiden ersten stammen, hatten sich viele Waldenser niedergelassen.3)

An das mutige Wirken der genannten Glaubenskämpfer, welchen auch noch ein Johann von Stiekno4) an die Seite zu stellen wäre, schließt sich die reformatorische Tätigkeit von Johann Hus unmittelbar an. Von einem näheren Eingehen auf die Lehren und Schicksale dieses außerordentlichen, durch die Bibel und die Schriften Wiclifs erweckten Mannes kann hier natürlich nicht die Rede sein. Sein Märtyrertod, an seinem zwei und vierzigsten Geburtstage5), den 6. Juli 1415, rief Tausende seiner bisher stillen Anhänger zum offenen Kampfe. Dieser Kampf wurde mit furchtbarer Leidenschaft und Grausamkeit geführt. Die verschiedenen Elemente aber, aus welchen die Hussiten zusammengesetzt waren, sowie die Ausartung eines großen Teils unter ihnen, führten eine Trennung herbei, wodurch die äußere Kraft der Gesamtheit gebrochen wurde.

Die laxere Partei kümmerte sich um die Glaubenslehre des Hus so viel wie nichts, sie begehrte nur den Gottesdienst in der Volkssprache und den Kelch beim Abendmahle und schloss sich in fast allen anderen Punkten an die römische Kirche an. Man nannte sie Kelchner, Kalixtiner oder Utraquisten. Die Partei der Taboriten, so genannt von Berg und Stadt Tabor bei Prag, beharrte auf Allem, was Hus gelehrt, mit schwärmerischer Begeisterung, welche nicht selten in wilden Fanatismus ausartete. Sie drangen auf Reinheit und Einfachheit in allen Glaubensartikeln und Kirchengebräuchen und verwarfen Alles, was in der Heiligen Schrift nicht begründet war. Den Taboriten, welche in den schroffsten Gegensatz zu Rom traten und eine gänzliche Umgestaltung der Kirche bezweckten, schlossen sich die bisher in stiller Verborgenheit lebenden böhmischen Waldenser zum größten Teile an, weshalb auf Jene oft der den Letzteren beigelegte Name „Pikarden“ übergetragen wurde. Wenn auch die Taboriten sich zunächst auf die Lehre von Hus stützten, so ist doch ein Einfluss der Waldenser, welche selbst in Prag eine kleine Gemeinde bildeten, besonders auf Gottesdienst und Sitte, nicht zu verkennen. Nur führte der Fanatismus der Taboriten auch in der Lehre zu manchen Übertreibungen, welche den Waldensern fremd waren. Dagegen verwarfen sie alle, in der Schrift nicht begründeten Menschensatzungen, die Ausschmückung der Kirchen und der beim Gottesdienst fungierenden Geistlichen, das Fegfeuer, die Verehrung der Heiligen, die Ohrenbeichte und Messe. Sie erkannten die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben für die Grundlehre des Christentums und als Bedingung zur Teilnahme an den Segnungen der Kirche. Die Bibel lasen sie in der Landessprache, in welcher auch der ganze Gottesdienst gehalten wurde. Sie nahmen nur zwei Sakramente an, Taufe und Abendmahl, und wollten bei der Feier derselben alle Zeremonien entfernt wissen. Das heilige Abendmahl feierten sie ganz in waldensischer Weise, unter freiem Himmel, oder in einem Privathause. Ein gewöhnliches Tuch von Leinwand wurde auf einen Tisch gelegt: der Priester kniet mit den Brüdern nieder, neigt das Haupt zur Erde und betet das Vaterunser. Hierauf erhebt er sich und spricht laut in der Volkssprache die Worte der Einsetzung. Man bedient sich nicht der runden Hostie, sondern gebrochener oder zerschnittener Brotstückchen; der Wein befand sich nicht in einem Kelche, sondern in einem einfachen Becher von Zinn, Eisen, Ton oder Holz.6) Die Taboriten nannten sich Brüder und Schwestern. Ihre Kleidung war einfach. Die Geistlichen trugen Bärte und graue Röcke. Tanz und Würfelspiel war verboten.

Kalixtiner und Taboriten bekämpften sich mit der höchsten Leidenschaft. Die Erbitterung der Letzteren erreichte den höchsten Grad, als Jene, den 30. November 1433, zu Prag mit den Römisch-katholiken einen Vertrag, die sogenannten Compactata, abschlossen. Es kam bei Bömischbrod, den 30. Mai 1434, zwischen beiden Parteien zur Schlacht, in welcher die Taboriten eine gänzliche Niederlage erlitten. Der Friede zwischen den Katholiken und Kalixtinern dauerte nicht lange, da Jene die Bestimmungen des Vertrages nicht hielten, diese nach immer größerer Ausdehnung desselben strebten. Der Kampf begann aufs Neue, und die Kalixtiner schickten eine Gesandtschaft nach Konstantinopel, um mit der griechischen Kirche, von welcher ihre Vorfahren das Christentum empfangen hatten, und mit deren Glaubenslehren sie in der Hauptsache übereinstimmten, wegen einer Vereinigung zu unterhandeln. Die Griechen entsandten ein freundschaftliches Schreiben den Brüdern in Böhmen und versprachen insbesondere ihre Geistlichen weihen zu wollen. Den Abschluss der Unterhandlungen verhinderte die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453.7)

Auch nach der Niederlage bei Bömischbrod bestanden die Taboriten, ob auch in geringerer Anzahl, fort und bewahrten die Reinheit ihres Glaubens, wie die Einfachheit ihres Gottesdienstes. Im Jahre 1453 aber zerstörte König Georg Podiebrad ihren Hauptsitz und den Mittelpunkt ihres Wirkens, die Stadt Tabor, und seit dieser Zeit verschwinden sie als besondere kirchliche Partei aus der Geschichte. Vernichtet waren sie aber nicht. Die Zerstreuten fanden sich allmählig wieder zusammen und, ergriffen von der Reinheit ihrer Lehre, schlossen sich die Edelsten unter den Kalixtinern ihnen an. König Podiebrad verstand sich endlich dazu, ihnen einen Strich Landes bei Lititz, an den schlesischen Gebirgen, als Wohnplatz anzuweisen. Dort vereinigten sie sich nun zu einer neuen Gemeinde und nannten sich Brüder des Gesetzes oder der Regel Christi, Vereinigung der brüderlichen Kirche, Einigkeit der Brüder. Sie beschlossen, sich gänzlich von jeder Gemeinschaft mit der römischen Kirche loszusagen, an der Reinheit des evangelischen Glaubens, der Einfachheit des Gottesdienstes und der Sitten festzuhalten, den Fanatismus und die Schwärmerei der früheren Taboriten aber durchaus von sich fern zu halten, und lieber alles zu leiden, als das Schwert gegen ihre Feinde zu ergreifen. Mit außerordentlicher Schnelligkeit verbreiteten sich diese böhmischen Brüder, wie sie nun genannt wurden, über die Grenzen des Landes hinaus, und fanden Eingang unter, allen Ständen des Volkes. Dies veranlasste gegen sie von Seiten der Katholiken und Kalixtiner die blutigsten Verfolgungen. Alle nur erdenkbaren Martern, durch Kerker, Feuer und Wasser, wurden gegen sie angewendet. Sie flohen in die Waldungen, bargen sich in Höhlen, und wurden darum, spottweise, auch Grubenheimer genannt.

Gab sich schon bei den Taboriten ein unverkennbarer Einfluss der Waldenser zu erkennen, so ist dies bei ihren gleichsam geläuterten Nachkommen, den böhmischen Brüdern, in noch weit höherem Grade der Fall. Bei ihnen scheint das waldensische Element die Oberhand gewonnen zu haben. Dies beweist insbesondere die, im Gegensatz zum taboritischen Fanatismus, bei den Brüdern heimische Freiheit von aller Schwärmerei; ein Vorzug, welcher die Waldenser von allen Sekten des Mittelalters unterscheidet. Die Bischöfe der Brüder waren wohl nichts anders, als die Oberhirten (Moderatoren) der Waldenser. Die Brüder hatten, wie die Waldenser, ihre Ältesten; von den Gemeinden gewählte Geistliche; eine strenge vortreffliche Kirchenzucht und Synoden, welche in der Regel auf abgelegenen Bergen gehalten wurden. Eine solche Synode fand im Jahre 1467 in dem Dorfe Lotha, bei Reichenau, statt. Der Zweck der Versammlung war, aus der Mitte der Brüdergemeinde selbst Geistliche zu erwählen, während bisher übergetretene kalixtinische, oder römische Priester das Predigtamt versehen hatten. Durch das Los, welches man für eine Willenserklärung Gottes ansah, wurden drei Männer zu geistlichen Hirten erwählt. Diese mussten nun aber auch ordiniert, in ihr heiliges Amt eingeweiht werden. Da die Brüder unter sich keine dafür geeigneten Personen hatten, oder auch, um dem Vorwurfe zu begegnen, als seien ihre Seelsorger, weil von keinem Bischofe geweiht, keine rechten Geistlichen, so wandten sie sich an die Waldenser, welche an der österreichischen Grenze wohnten, und Bischöfe hatten, deren Ordination sogar bis auf die Zeiten der Apostel zurückgeführt wurde. Die Abgesandten der Brüder waren aber nicht Jene zu Lotha gewählten drei Geistlichen, sondern drei andere Männer, welche bereits die Ordination empfangen hatten. Der eine war früher ein kalixtinischer, der zweite ein römischer, der dritte ein waldensischer Priester gewesen.8)

Die Zusammenkunft, deren Ort uns nicht angegeben wird, war für beide Teile tröstend und erhebend. Der waldensische Bischof Stephanus begrüßte, nebst einem anderen Bischof und mehreren Ältesten, die Abgeordneten der Brüder, und machte ihnen Mitteilungen über den apostolischen Ursprung, die Glaubenslehre und die Leiden der Waldenser in Italien und Frankreich. Dann erzählten die Böhmen ihre Trennung von der römischen Kirche und den Kalixtinern, was die vollständigste Billigung fand und herzliche Freude erregte. Stephanus erteilte hierauf den dreien Abgeordneten aus der Brüdergemeinde, auf ihr Verlangen, die bischöfliche Weihe durch Auflegung der Hände und erteilte ihnen die Vollmacht, auch Andere ordinieren zu können. Von den Segenswünschen der Waldenser begleitet, kehrten die neuen und eingeteilten Bischöfe der nun eigentlich erst vollständig konstituierten Brüdergemeinde zu den Ihrigen zurück. Diese vernahmen mit Freuden das Geschehene. Es wurde eine weitere Synode berufen. Die von Stephanus zu Bischöfen Geweihten erhielten auf derselben den Namen Senioren, und Einer aus ihnen, Michael von Zamberg, ordinierte nun die zu Lotha gewählten Geistlichen.

Diese Senioren hatten darüber zu wachen, dass Ordnung und Zucht in der Brüdergemeinde bestehe, und besonders dafür zu sorgen, dass keine Zwietracht und Uneinigkeit in derselben hervortrete. Obgleich dem Range nach unter einander ganz gleich, führte Einer die Oberaufsicht. -Um die Waldenser Österreichs und die ihnen so verwandten böhmischen Brüder war nun ein neues Band der Gemeinschaft geschlungen. Beide Teile dachten ernstlich daran, sich zu einer Gemeinde zu verbinden. Die Brüdergemeinde schickte deshalb nochmals einige Abgeordnete nach Österreich. Diese erklärten, wie die Brüder von der Reinheit der Lehren und Sitten der Waldenser sich angezogen fühlten und eine nähere Verbindung von Herzen wünschten. Tadelswert fänden sie jedoch, dass dieselben die Wahrheit nicht freimütig und offen bekannten; sogar, um Verfolgungen zu entgehen, die römischen Kirchen besuchten und der Messe beiwohnten. Die Waldenser gingen auf den Vorschlag der Vereinigung freudig ein, bekannten in Demut, dass sie von dem Ernst und der Glaubenstreue ihrer Väter abgewichen seien, und versprachen, zu der Tugend derselben zurückzukehren. Schon war man nahe daran, die Gemeinschaft zu vollziehen, da brach eine schwere Verfolgung über die österreichischen Waldenser aus. Der Bischof Stephanus wurde mit mehreren Anderen zu Wien: verbrannt; die Übrigen zerstreuten sich nach allen Richtungen hin. Ein großer Teil flüchtete nach Böhmen und Mähren, und vereinigte sich mit der Brüdergemeinde, welche dadurch einen bedeutenden Zuwachs erhielt.

Obwohl nun die böhmischen Brüder großenteils frühere Waldenser waren, so wollten sie sich doch niemals mit diesem Namen bezeichnet wissen, und erklärten öfters, dass ihnen derselbe fälschlich beigelegt werde.9) Dies taten sie teils deshalb, weil nicht alle böhmischen Brüder früher zu den Waldensern gehörten, teils aber auch aus Klugheit, weil es einmal dieser Name war, mit welchem Rom seine gefährlichsten und darum auch verhasstesten Gegner bezeichnete Aber trotz ihrer Weigerung wurden sie fortwährend von Feinden und Freunden Waldenser und Pikarden genannt. Von Katholiken und Kalixtinern mit gleicher Erbitterung verfolgt, suchten sie sich durch viele Glaubensbekenntnisse (von den Jahren 1431. 1443. 1461. 1473. 1504. 1511. 1524. 1535. 1564. 1609), welche sämtlich einen echt evangelischen Geist atmen, zu rechtfertigen.

Man kann sich denken, dass die kirchlichen Bewegungen, welche im 16. Jahrhunderte in Deutschland hervortraten, kaum irgendwo einen mächtigeren Anklang fanden als in Böhmen. Das durch die Waldenser und Hussiten angebahnte Werk der Reformation war hier durch die Brüdergemeinde eigentlich schon vollbracht worden. Es bedurfte nur einer neuen mächtigen Anregung, Entwicklung und Verbreitung. Schon zu Erasmus von Rotterdam schickten die Brüder, im Jahre 1511, zwei Deputierte nach Antwerpen, um sein Urteil über die von ihnen, im Jahre 1508, dem Könige Wladislaus übergebene Apologie, in welcher sie ihre Lebensweise verteidigten, einzuholen.10) Der ängstliche Erasmus weigerte sich, den Brüdern ein förmliches Zeugnis über die Apologie zu geben, da ihnen ein solches bei ihren Feinden nichts nützen, ihm selbst aber nur schaden könnte.

Mit Luther traten die Brüder in nähere Verbindung.11) Sie übersandten ihm mehrere ihrer Schriften und baten um sein Urteil. Anfangs war er aber ihnen durchaus nicht günstig und nennt sie geradezu Ketzer, weil sie nicht glaubten, dass beim Abendmahle Christi Fleisch und Blut wahrhaftig da sei. Später wurde er ihnen immer geneigter. Als die Brüder auf Luthers Ermahnung eine Erläuterung ihrer eigentlichen Meinung vom heiligen Abendmahle herausgaben, so veröffentlichte derselbe, im Jahre 1523, eine Abhandlung vom Anbeten des Sakraments, welche er ihnen widmete, unter der Aufschrift: Meinen lieben Herrn und Freunden, den Brüdern, genannt Waldenser in Böhmen und Mähren. Am Schlusse der Abhandlung gibt er ihnen das Zeugnis, dass sie gar viel näher seien dem Evangelio, denn alle Anderen, die ihm bekannt wären. Ebenso schrieb er eine sehr erbauliche Vorrede zu dem Glaubensbekenntnisse, welches die Brüder im Jahre 1532 dem Markgrafen Georg von Brandenburg überreichten, und ließ dasselbe 1533 zu Wittenberg im Druck erscheinen.

In seiner Vorrede zu dem Büchlein: Rechenschaft des Glaubens, der Dienste und Zeremonien der Brüder in Böhmen und Mähren, vom Jahre 1533, sagt Luther: „Gar oft und vielmal habe ich begehrt, dass die Leute in Böhmen, so man die Waldenser oder Pikarden genannt, mir klärlich und deutlich ihren Glauben anzeigten, damit ich doch könnte merken, wie nahe oder ferne sie von uns, oder von dem rechten christlichen Verstand wären, sonderlich weil sie gar heftiglich von den Papisten für Ketzer verdammt und ausgerufen werden, und doch bei ihnen ein so schön, scheinbarlich Wesen und ernster Fleiß in der Zucht und guter Werke gefunden ward, dass auch bei unsern Geistlichen und Mönchen desgleichen nicht zu sehen, noch zu hören war. Das ist je wahr und mussten's unsere Geistlichen selbst bekennen. Da ich nun viel ihrer Schrift und Bücher gelesen, und de doch etlicher ihrer Worte und Rede nicht verstehen konnte, die sie brauchten in den Sakramenten und Glaubenssachen (denn sie mir viel anders in den Ohren klungen, weder wir davon reden), und ich wohl weiß, dass man nicht um Worte und Rede zanken soll, wo sonst der Sinn und Meinung nicht wider einander streiten kamen - wir zuletzt auch mündlich davon zu reden. Und nach vielem Unterreden, und sonderlich des Sakraments, unsers Herrn Jesu Christi Leib und Blut halben (darin ich sie fast verdächtig gehabt hatte), fand ich sie unserm Glauben mit Worten und Sprachen ein wenig anders reden, um der Papisten (von der transsubstantiation und opus operatum) willen, aber doch im Grunde eben mit uns heiligen und gläubigen, dass im Sakrament der wahrhaftige Leib und Blut Christi empfangen werde. Da ich das Stück befand, ward ich gelinder gegen ihrem Tun, weil sie doch en sonst von der heiligen Dreifaltigkeit, von Christo, von dem ewigen Leben und von allen Artikeln des Glaubens nicht unrecht lehrten noch hielten, und beschloss, weil sie so nahe bei der Schrift geblieben, dass man sie gar unbillig Ketzer gescholten hätte.“

Philipp Melanchthon lobte in einem Briefe, vom Jahre 1535, besonders die Kirchenzucht der böhmischen Brüder, die er ebenfalls Waldenser nennt.

Auch mit den anderen Reformatoren, z. B. Bucer in Straßburg, Theodor Beza und Johann Calvin in der Schweiz, standen die böhmischen Brüder in Verkehr und erhielten von denselben Gutachten, Ermahnungen und Zeugnisse.

Auf ein Schreiben, welches, im Mai d. J. 1560, die Ältesten der Brüdergemeinde von Karmel in Böhmen, „die man gewöhnlich Waldenser heißt,“ an Calvin gesandt hatten, antwortete dieser unter Anderem also:

„Als mir der Bruder, der mir Eure Briefe einhändigte, Eure Aufträge besonders auseinandersetzte, so machte ich die Bemerkung, dass er nicht bloß zu mir, sondern auch an alle meine Amtsgenossen abgeschickt sei und bat ihn daher, das Nämliche in unserer Versammlung nochmals vorzutragen. Ich will also jetzt im Auftrag Aller meine Antwort Euch erteilen. Vor allen Dingen sagen wir Euch ganz besonderen Dank dafür, dass ihr den Entschluss gefasst habt, Brüder an uns zu schicken, welche Zeugen und gleichsam Bürgen Eurer Liebe und brüderlichen Zuneigung sein sollten. Diese Eure Freundschaft haben wir umso lieber entgegengenommen, weil sie aus einem echten Gefühl der Frömmigkeit hervorging. Wir wünschen gleichfalls, dass Ihr Euch unserer willigen Geneigtheit, Eure heilige Gemeinde zu fördern, überzeugt halten möchtet, und obwohl wir durch so viele Länder voneinander getrennt sind und überall uns von Feinden umgeben sehen, die fast den ganzen Erdkreis in ihrer Gewalt haben, so ist es für uns süß und angenehm, wenigstens diesen Trost unserer Getrenntheit genießen zu können. Lasst uns also in gegenseitiger Übereinstimmung das Zeugnis ablegen, dass wir Einen Vater im Himmel haben, und dass wir unter Christus, dem Haupte, Einen Körper bilden.“

Hierauf folgt ein Urteil über Spaltungen, welche zwischen den böhmischen und polnischen Brüdergemeinden bestanden, nebst eindringlicher Ermunterung zur Aussöhnung und gegenseitigen Verständigung. Der schöne Brief schließt mit den Worten: „Lebt wohl, biedere, verehrte Brüder. Wir bitten den himmlischen Vater, dass er Euch durch seinen Geist immer lenken, Euch beschirmen, durch seine Gaben Euch bereichern und Eure heiligen Arbeiten segnen möge.“12)

1)
Siehe Pescheck, Geschichte der Gegenreformation in Böhmen. Erster Band. S. 5: „Es hat uns,“ sagt der heilige Vater, „die Betrachtung der Heiligen Schrift zu der Überzeugung geführt, dass es dem allmächtigen Gott gefallen habe und noch gefalle, den Gottesdienst in einer geheimen Sprache zu verrichten, wenn auch nicht alle, besonders ungebildete Leute, ihn verstehen. Denn würde insgemein und laut von allen gesungen, so könnte die Sache leicht in Geringschätzung und Überdruss kommen. Auch hat die Erfahrung gelehrt, dass viele Nachteile und Ketzereien dadurch (durch den kirchlichen Gebrauch der Volkssprache) entstanden sind. Es kann also nicht gewährt werden, was euer Volk unverständiger Weise verlangt, und wir untersagen es im Namen Gottes und des allerheiligsten Petrus. Euch aber beauftragen wir, dem allmächtigen Gott zu Ehren, solcher törichten Unbesonnenheit auf alle Weise euch zu widersetzen.“
2)
Leger nennt sogar ihre Namen: Daniel von Valence und Stephanus von Molines. Bd. I. S. 203.
3)
Pescheck a. a. O. S. 25. Sehr unzuverlässig und dürftig sind die Nachrichten über die Waldenser in Österreich. Der Geschichtsschreiber Perrin versichert, es seien deren dort mehr als 80.000 gewesen. Diese Angabe ist gewiss übertrieben, wenn wir sie auf die Waldenser allein beziehen; nur dann glaublich, wenn wir sie auf alle Gegner Roms ausdehnen, welche dort sich niedergelassen hatten. Die Zeiten schwerer Verfolgungen führten wohl zu einer Annäherung und teilweisen Vermischung der Religionsparteien, und die römische Kirche hatte kein Interesse dabei, noch sorgfältig zu unterscheiden, wenn einmal die Opposition gegen ihre Herrschaft erwiesen war. Jedenfalls musste die Zahl der Feinde des Papsttums in Österreich sehr stark gewesen sein. Es wird uns erzählt, dass sie dort sehr frei, und bisweilen selbst übermütig aufgetreten, dass sie besondere Schulen besaßen, dass halbe Städte von ihrer Partei gewesen, und im Jahre 1312 allein in Wien 102 Personen wegen Ketzerei verbrannt worden wären. Dass es aber auch in Österreich Gemeinden gegeben habe, welche rein aus Waldensern bestanden, darauf deutet das später erzählte Verhältnis, in welches die böhmischen Brüder wegen der Ordination der Bischöfe mit den österreichischen Glaubensgenossen traten, welchen Letzteren immer nur der Name „Waldenser“ gegeben wird. Was uns von Waldensern in Polen, Ungarn, Dalmatien, Kroatien, Slavonien, Konstantinopel, Griechenland, der Bulgarei usw. erzählt wird, ist so oberflächlich und ungenau, dass wir darauf keine weitere Rücksicht nehmen können. Es scheint hier Alles „waldensisch“ genannt worden zu sein, was gegen Rom in die Schranken trat und eine freiere Richtung beurkundete.
4)
Dieser wird gewöhnlich mit Conrad v. Waldhausen (Stiekna) für eine und dieselbe Person gehalten. S. Jordan a. a. O. S. 82.
5)
Hus war den 6. Juli 1373 geboren. Sein Märtyrertod erfolgte mithin am Tage, ja sogar in der Stunde seiner Geburt, Vormittags um elf Uhr.
6)
S. Rieger a. a. O. S. 146. Vergl. Muston, Histoire des Vaudois S. 394, Auch die Sitte, während des Gebets und besonders während des Vaterunsers zu knien, ist ganz waldensisch.
7)
S. Pescheck a. a. O. S. 32. Gieseler a. a. O. S. 450. Dieser Versuch der Kalixtiner, sich mit der griechischen Kirche zu vereinigen, ist jedenfalls von hoher Bedeutung. Er zeigt, wohin ihre religiöse Richtung ging, und wie schroff sie den Taboriten gegenüberstanden. Man könnte hiernach vielleicht geradezu griechische Hussiten (Kalixtiner) und waldensische Hussiten (Taboriten) unterscheiden.
8)
Hieraus ergeben sich auch die Bestandteile der böhmischen Brüdergemeinde, nämlich: 1) Taboriten. 2) Kalixtiner. 3) Katholiken. 4) Waldenser.
9)
Dies geschieht z. B. in einem Briefe, welchen die Brüderschaft zu Carmel in Böhmen an Calvin übersandte. Derselbe ist vom 11. Mai 1560. Auf dem Titel des von Johann Horn, i. J. 1585, herausgegebenen Brüdergesangbuchs heißt es von den Brüdern: „die man aus Hass und Neid Pikharden und Waldenser nennt.“ S. Pescheck a. a. O. S. 57.
10)
Nach Füßlin kamen diese Abgeordneten der böhmischen Brüder erst 1513 oder 1514 zu Erasmus, weil derselbe in den Jahren 1510 bis 1512 sich in England aufgehalten habe. Die Apologie von 1508 kam auch zu den Waldensern in der Dauphiné, wurde in die provencalische Sprache übersetzt, und erschien im J. 1511 im Druck. Füßlin II. 74. Leger Histoire des Vaudois I. S. 186.
11)
Schon Luthers bekannten Thesen wurde von den Feinden vorgeworfen, dass sie nach Böhmen schmeckten. Auf der Leipziger Disputation, im Jahre 1519 behauptete Dr. Eck, Luther habe nur die von der Kirche verdammten Lehren der Waldenser, Albigenser, Wiclifiten und des Hus hervorgesucht.
12)
Aus den Überresten der furchtbar verfolgten böhmischen und mährischen Brüder gingen, wie bekannt, die Herrnhuter hervor. - Der Brief ist in der Glaubensstimme unter Brief Calvin an die Brüder in Böhmen zu finden.
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