Koch, K. - Der Ararat und die Sintflut.

Koch, K. - Der Ararat und die Sintflut.

K. Koch in Berlin.

Ein mächtiges Gebirge, der Kaukasus, zieht sich im Südosten Europas vom schwarzen bis zum kaspischen Meere und bildet die natürliche Grenze zwischen unserm vaterländischen Erdteil und Asien, der Wiege der Menschheit. Seine Spitzen überragen die Wolken und liegen zum Teil bereits in einer Höhe, wo Eis und Schnee nicht mehr von den erwärmenden Strahlen der Sonne geschmolzen werden. Als hätte der Allmächtige selbst die Grenze Asiens und Europas bezeichnen wollen, so deutlich erscheint, hervorgerufen durch nie schmelzenden Schnee, eine weiße, aber großartige, dem Schöpfer würdige Linie von Nordwest nach Südost und 200 Meilen lang. Seine höchste Spitze führt den Namen Elbrus und erhebt sich nicht weniger als 17350 Fuß über den Spiegel des schwarzen Meeres. Sie hat demnach eine Höhe, die ein Weniges weniger beträgt als die, welche man erhält, wenn man den 3580 Fuß hohen Brocken auf den höchsten Berg in ganz Europa, auf den 14800 Fuß hohen Montblanc, setzt.

Übersteigt man die kolossale Völkerscheide, so gelangt man alsbald an den Fuß eines zweiten, minder mächtigen Gebirges, was ein für biblische Geschichte und namentlich für die zweite Verbreitung des menschlichen Geschlechtes durch Noah außerordentlich wichtiges Land im Norden umsäumt. Dieses Land, Armenien, weicht wesentlich von den Ländern Europas dadurch ab, dass es zwar Hochland ist, aber nicht eine einzige große Hochebene darstellt, sondern aus einer Reihe über einander liegenden Terrassen besteht, die von mehr oder minder hohen Gebirgen ringsum umschlossen sind und deshalb das Ansehen einer großen und breiten Talebene haben.

Eine der schönsten und zum Teil fruchtbarsten Talebenen breitet sich im Süden des nördlichen Gebirgwalles, der von den dortigen Völkern der untere Kaukasus genannt wird, aus und besitzt im Durchschnitt eine Höhe von nahe 3000 Fuß. Die nach Norden sanft aufsteigende Ebene führt meist nach der großen darin liegenden Stadt den Namen „Ebene von Eriwan“, während sie in den ältern Zeiten besser „die große Araxes-Ebene“ genannt wurde; denn mitten durch sie fließt der eine der vier Flüsse des Paradieses, der Araxes1).

Nach allen Seiten hin schließen hohe Berge die Araxes-Ebene ein, aber drei Berge sind es namentlich, die vor allem die Augen auf sich lenken. Im Süden erhebt sich der größte von ihnen als ein mächtiger Koloss bis zu einer Höhe von über 16000 Fuß und hängt nach Osten mit einem fast 4000 Fuß niedrigeren zusammen. Beide gleichen zwei Wächtern der Ebene, einem Greis, denn ewiger Schnee bedeckt sein Haupt, und einem Jüngling, der gleichsam vom Vater geführt wird. Es sind diese Wächter der große und kleine Ararat. Sie hängen nach Süden mit dem Gebirgszuge zusammen, der die Araxes-Ebene von einer anderen um 2000 Fuß höher gelegenen scheidet, stehen aber sonst als isolierte Berge da und verlaufen sich außerdem in der Ebene. Der dritte Berg liegt im Nordwest und führt bei den türkisch redenden Umwohnern den Namen Alagöz d. i. Gottesauge. Er steht noch isolierter als die beiden Ararats, denn nur nach Norden hängt er kaum durch eine unbedeutende Erhöhung mit dem untern Kaukasus zusammen; er besitzt bei einer bedeutenden Breite eine Höhe von nahe 13000 Fuß.

Ein eigentümliches Gefühl regt sich in der Brust des gläubigen Christen, wenn er zum ersten Mal den Berg erblickt, auf dem die Arche wiederum festen Fuß fasste und von wo aus durch Noah die Erde zum zweiten Male bevölkert wurde.

Aber auch der in starren Formen sich gefallende Anhänger der morgenländischen Kirchen erhebt, wenn er den heiligen Berg erblickt, die Hand, um zum Zeichen seiner Verehrung ein Kreuz zu schlagen. Nicht weniger verbeugt sich der Anhänger des Islam ehrfurchtsvoll beim Anblick des auch im heiligen Berges und spricht in Demut die Worte: „Gott ist groß“. Das Andenken an die wunderbare Errettung des menschlichen Geschlechts ist wach geblieben bei den Bewohnern jener Gegenden und eine Menge Sagen und Erzählungen, die zum Teil alsbald erwähnt werden sollen und wohl gesammelt zu werden verdienen, sind im Munde des Volks.

Der kleine Ararat stellt einen spitzen Kegel dar, der nach allen Seiten ziemlich steil abfällt; aus dieser Ursache wird seine Besteigung ungemein schwierig. Der große Ararat hingegen besitzt, von Osten und Süden aus gesehen, zwar ebenfalls eine kegelige, aber nach oben mehr abgestufte Gestalt, während er, von Norden und Westen aus betrachtet, auf seiner Höhe einen Rücken zeigt, der drei neben einander liegende, von Ost nach West an Höhe abnehmende Spitzen besitzt. Während sein Abfall nach Süd und Ost ziemlich steil erscheint, ist er nach Nordwest zum großen Teil sanfter. Nur von hier aus wurde seine Ersteigung möglich. Es hat sich hier gleichsam ein Hügel angelehnt, der die Ersteigung vermittelt.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass der große Ararat in vorgeschichtlichen Zeiten einer der furchtbarsten feuerspeienden Berge war, denn namentlich in Norden und Nordwest ziehen sich noch die Zeugen des in unterirdischen Tiefen gefertigten Gesteines in Form von hartem und schwarzem Basalt und Trachyt dahin oder bedecken als Lavatrümmer weit hin die Ebene. Als später der Krater an der Spitze des Berges eingesunken und die vulkanischen Kräfte auf der ganzen Erde und so auch hier schwächer geworden waren, aber keineswegs gänzlich aufgehört hatten, erbebte immer noch in längeren oder kürzeren Zwischenräumen der Berg in seinem Innern. Nicht selten öffneten sich - und dieses geschah namentlich auf der Nordwestseite - Spalten und flüssiges Gestein trat heraus, um allmählig in seinem Lauf zu erstarren. Damit standen in der Regel sogenannte Bergstürze in Verbindung, d. h. es lösten sich einzelne beträchtliche Felsmassen und rollten den übrigen Berg herab, um alles auf dem Wege zu vernichten. Leider wurden dabei oft auch Häuser und selbst ganze Dörfer zerstört. Solcher Zerstörungen nennt die Geschichte schon in den ältesten Zeiten, denn die Sage geht z. B., dass die Gemahlin des entthronten, letzten medischen Königs, Astyages, ihren Wohnsitz an einer einst herabgestürzten Felsenwand des Ararat angewiesen erhielt. Im Jahre 341 sollen alle Berge in Armenien und zwar in Folge eines heftigen Erdbebens gewankt haben und im achten Jahrhundert kamen aus derselben Ursache gegen 10000 Menschen um. Wiederum wurden 1319 viele Dörfer zerstört. Man weiß aber jetzt, dass Auswürfe feuerspeiender Berge mit Erdbeben im innigsten Zusammenhang stehen.

Die letzte Erscheinung dieser Art geschah im Juni 1840. Furchtbare Donnerschläge gingen ihr voran. Felsen lösten sich zuerst von dem oberen Berg und rollten herab. Auf der Nordwestseite und zwar auf der als anlehnender Hügel früher bezeichneten Terrasse lag ein reiches, von prächtigen Obstgärten umgebenes Dorf, Aghurt mit Namen. In kürzester Zeit war es von den herabstürzenden Felsen in seinen Trümmern begraben und mit ihm alle Menschen und alles Vieh, was sich zu Hause befand. Über 1000 Menschen, fast sämtliche Bewohner des Dorfes, verloren ihr Leben. Doch bald öffnete sich auch der Berg und allerhand Steintrümmer mit dem aus den höheren Regionen herniedergeschmetterten, aber bald geschmolzenen Eis strömten herab. Eine Schlucht öffnete sich nach der anderen und andere, die einer früheren Eruption ihr Dasein verdankten, namentlich die berühmte Aghurischlucht, wurden dagegen ganz und gar verschüttet. Selbst Lavamassen und Feuerflammen kamen zum Vorschein. Wie gewöhnlich war diese unterirdische Explosion nicht auf den Ararat beschränkt; ein großer Teil Armeniens litt mehr oder weniger. Im Gau Scharur öffnete sich an vielen Stellen die Erde und Schlamm entströmte dem Boden. Fast 7000 Wohnungen wurden hier zerstört. In Naghdichewan stürzten fast 800, in Ordubad 460 Häuser ein. Ein ganzes Zelt mit den darin befindlichen Kurden wurde auf dem Ararat verschlungen.

Unter diesen Umständen erklärt es sich von selbst, dass der Ararat zu den unfruchtbareren Bergen gehört. Ein Drittel ist mit ewigem Eis und Schnee bedeckt. Die häufigen Felsstürze und Ergüsse von Lava- und Schlammströmen haben allmählig alle fruchtbare Erde vernichtet. Bevor es dem Zahn der Zeit möglich war, die Oberfläche des Trümmergesteines zu zersetzen und dadurch die Bildung einer neuen Pflanzendecke zu bedingen, erbebte der Berg von Neuem, Felsen lösten sich und stürzten herab, um Alles unter ihren Schutt zu begraben. Es kommt noch dazu, dass der Ararat keine Quellen besitzt und demnach kein Bach, geschweige denn ein Fluss, auf dem heiligen Berg seine ersten Wasser erhält. Wälder findet man nirgends. Nur zwischen dem großen und kleinen Ararat steht man unbedeutendes Birkengestrüpp. Sonst wächst noch Wachholder und Zwergmispel hier und da. Vor der letzten Katastrophe bot noch die Umgebung des nun auch untergegangenen Dorfes Aghuri einen freundlichen Anblick bar. Nur räuberische Kurden beziehen mit ihren Herden im Hohen Sommer die reichern Matten in der Nähe des ewigen Schnees, wo außerdem noch wilde Ziegen eine ziemlich sichere Zufluchtsstätte gegen Verfolgung gen besitzen.

So ist heut zu Tage der Berg beschaffen, von dem uns Moses erzählt, dass Noah mit seiner Arche auf ihm zuerst wieder festen Fuß gefasst hatte. 150 Tage war damals die Erde so mit Wasser bedeckt, dass selbst die höchsten Berge nicht mehr sichtbar waren. Das Andenken an jene uralte Zeit ist aber nicht allein bei den christlichen Bewohnern Armeniens wach, auch Türken und Perser erzählen ihren Kindern von der Sintflut. Die letzteren nennen den Ararat selbst Kuhi-Nuh, d. h. Noah-Berg.

Als Noah mit seiner Familie die Arche verließ, verliefen rasch die Wasser. Nachdem der neue Vater der Menschen auch alles Vieh, was er auf Befehl Gottes mit sich geführt, aus seinem Verschluss getan und seiner Freiheit wieder gegeben hatte, blickte er nach Norden und sah zum ersten Male wiederum eine schöne Ebene am Fuße des gegenüberliegenden Gebirgszuges. Dort wurde später die Stadt Eriwan erbaut, ein Name, der von dem armenischen „Serewil d. h. erscheinen“ abgeleitet, mit diesem Umstand in Verbindung steht. In der Stadt Naghdichewan (Nachitschewan auf vielen Karten) im Osten des Berges und im Norden des Araxes ließ sich Noah mit seiner Familie nieder. Von hier aus geschah demnach die zweite Verbreitung des menschlichen Geschlechtes. Noch zeigt man die Stelle, wo der Erzvater Noah begraben liegen soll. Das Wort Naghdichewan bedeutet übrigens im Armenischen „die erste Niederlassung.“

Die Mutter aller Menschen, die Frau des Noah, starb, der Sage nach, im Südost des Ararat und wurde auch dort begraben. Später siedelten sich Menschen daselbst an und nannten den Ort „Marant oder Mairant“ d. h. „Mutter dort“. Die ersten Weinreben soll Noah auf den schon mehrmals erwähnten Hügel, der sich im Nordwest dem Ararat anlehnt, gepflanzt haben. Als aber der Wein, den der Erzvater aus den süßen Trauben bereitet hatte, so stark war, dass Noah von ihm trunken wurde, soll Gott selbst den dortigen Weinstock unfruchtbar gemacht haben. Keine genießbare Traube wuchs seitdem mehr an ihm. Auch hier siedelten sich später Menschen an und nannten den Ort, wo Noah die ersten Weinreben gepflanzt hatte, Aghuri, ein Name, der dieses bedeutet.

Interessant ist auf jeden Fall die Sage, welche ich mehr als einmal aus dem Munde der Armenier vernahm, dass Noah keineswegs die Niederlassung zuerst auf dem Ararat versucht habe. Im Norden des Ararat, weniger mitten im kaukasischen Gebirge, sondern mehr nach Westen hin, steigt nämlich der bereits gleich im Eingange erwähnte Elbrus noch über 1000 Fuß höher als der Ararat empor. Natürlicherweise musste auch der erstere früher aus den Wassern herausragen, als der letztere. Man erzählt nun auch, dass in der Tat Noah zuerst den Elbrus erblickt habe und freudig ihm zugesteuert sei. Der Gipfel des genannten Berges ist aber steil und die Arche vermochte keineswegs so zu landen, dass Menschen und Tiere bequem heraus konnten. So oft Noah es auch versuchte, so glitt doch stets das Schiff wiederum in die Fluten herab. Die Sage erzählt aber, der Berg habe sich bei jedem Versuch der Landung gebeugt. Darüber sei Noah erzürnt und habe den Berg und die Menschen, die einst darum wohnen würden, verflucht. Es wohnen aber seit undenklichen Zeiten die Tscherkessen in der Nähe des Elbrus und machen aus ihren wenig zugänglichen Tälern Einfälle in die nördlichen und südlichen Gegenden.

Da wandte sich Noah wiederum nach Süden und erblickte nun die abgerundete Spitze des Ararat. Rasch steuerte er mit seiner Arche dahin und der Berg nahm ihn mit allem, was zu ihm gehörte, auf. Dafür segnete der Erzvater den Berg mit seiner ganzen Umgebung und die Menschen, welche diese bewohnen würden. Es sind dieses aber die Armenier, welche sich seit undenklichen Zeiten über das nach ihnen benannte Hochland ausgebreitet haben. Durch sie wurde das Christentum schon zu Anfang des vierten Jahrhunderts in den nördlichen Gegenden Vorderasiens verbreitet. Während die meisten Völker, von den fanatischen Muhamedanern heimgesucht, den Glauben ihrer Väter mit der Irrlehre des falschen Propheten vertauschten, hingen Armenier und die benachbarten Grusier oder Georgier desto treuer an den Worten Jesu.

Dass der Berg Ararat von jeher die Aufmerksamkeit der christlichen Völker und namentlich frommer Seelen in Anspruch nahm, ist gewiss sehr natürlich. Es wurden schon in der frühesten Zeit Versuche gemacht, seinen Gipfel zu erklimmen und die Arche zu erschauen. Schon zu Ende des vierten Jahrhunderts verließ ein Bischof von Nifibis (Mebbin), Jakob mit Namen, das südliche Armenien und reiste nach dem Ararat. Er war ein frommer, heiliger Mann und erbat sich von Gott die hohe Gnade, die Reste der heiligen Arche schauen zu dürfen. Mit zahlreicher Begleitung versuchte er von Nordwest die Ersteigung. Doch bald ergriff Alle - denn es war ein Heiliger Tag - ein heftiger Durst; da bat der Bischof Jakob von Nifibis den höchsten Gott um Wasser und siehe da, es sprudelte alsbald aus dem Felsen ein reiner Quell und sprudelte seitdem als die einzige Quelle bis zu der verhängnisvollen Katastrophe von 1840. Neu erkräftigt setzte der Zug seine Wanderung fort, aber bald überfiel den Bischof Jakob von Neuem die Müdigkeit. Er legte sich mit Gebeten zu Gott, um die Erhörung des innigsten Wunsches und schlief ein. Da erschien ein Engel und verkündete ihm, dass keinem Sterblichen erlaubt sei, die Heilige Arche zu erschauen; doch ihn, den Gläubigen und Frommen, wolle der allgütige Vater im Himmel nicht allein erhören, sondern ihm auch als Zeichen der himmlischen Gnade ein Stück der heiligen Arche überlassen. Bischof Jakob erwachte und fand neben sich das göttliche Geschenk.

Seitdem hat man wiederholt Versuche gemacht, die Höhe des Ararat zu erklimmen. Vergebens. Der neuesten Zeit war es allein vorbehalten, Männer der Wissenschaft und des Glaubens zu besitzen, die allen Mühen und Entbehrungen trotzten, und die geheiligte Höhe erstiegen. Deutsche waren es aber bis jetzt fast nur, die glücklich den Gipfel erreichten. Der erste, der ihn am 9. Oktober 1829 betrat, war der Professor Parrot in Dorpat. Später bestiegen Kolonisten aus der Nähe von Tiflis den Ararat. Seitdem ist er wiederholt, auch von russischer Seite, erstiegen worden. Der letzte, der überhaupt die naturhistorische Beschaffenheit des Ararat sich zu seiner wissenschaftlichen Aufgabe gestellt hatte, war Professor Abich. Der Bekanntmachung seiner höchst interessanten Untersuchungen sieht man bald entgegen.

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heute: Aras
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