Thomasius, Gottfried - Wie der Herr den Glauben in den Herzen der Menschen weckt.

Thomasius, Gottfried - Wie der Herr den Glauben in den Herzen der Menschen weckt.

Predigt
über Ev. Matth, 15, 21 - 28.
von
G. Thomasius,
drittem Pfarrer an St. Lorenzen in Nürnberg.

Text: Ev. Matth. 15, 21 - 28.
Und Jesus ging aus von dannen, und entwich in die Gegend Tyrus und Sidon. Und siehe, ein cananäisches Weib ging aus derselbigen Grenze, und schrie ihm nach, und sprach: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner; meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn, und sprachen: Laß sie doch von dir, denn sie schreiet uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen von dem Hause Israel. Sie kam aber, und fiel vor ihm nieder, und sprach: Herr, hilf mir. Aber er antwortete, und sprach: Es ist nicht fein, daß man den Kindern das Brodt nehme, und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Weib, dein Glaube ist groß! dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.

Unsre Textgeschichte ist dem natürlichen Menschen, wie so viele andre in der Schrift, ein dunkles Räthsel; er versteht es nicht mit seinem fleischlichen Auge, er kann es nicht zusammenreimen mit seinen sonstigen Vorstellungen; er findet vieles darin, was ihm anstößig und unwürdig erscheinet, er weiß es nicht, was er daraus machen soll. Aber dem Auge des Glaubens ist es göttliche Kraft und göttliche Weisheit; denn es läßt uns einen Blick in die dunklen Wege des Herrn thun, in die verborgenen Wege, die er seine Heiligen führt, um sie im Ofen der Trübsal zu läutern und ihren Glauben viel köstlicher zu machen als das vergängliche Gold und Silber im Feuer bewähret; es erinnert uns an die Wahrheit jener schönen Verheißung, die einst der Höchste seinem Volke Israel in Zeiten großer Bedrängniß gab: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht ein wenig vor dir verborgen; aber mir ewiger Gnade will ich mich dein erbarmen (Jes. 54, 7). Zugleich aber lernen wir das Wohlverhalten kennen, das der Mensch in solchen Fällen beweisen muß, wenn ihm die Prüfung zur Läuterung seines Glaubens dienen und eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit werden soll. Lasset uns also dieses Evangelium auslegen, auf uns anwenden, um aus demselbigen zu lernen

  1. Wie der Herr den Glauben in den Herzen der Menschen weckt.
  2. Wie er ihn prüft und läutert.
  3. Wie er ihn durch die Prüfung stärkt und endlich belohnt.

I.

Von Galiläa aus war Jesus mit seinen Jüngern in die heidnische Gegend von Tyrus und Sidon gegangen. Dort wohnte dazumal ein Weib, wie es scheint, eine Wittwe, mit ihrer einzigen Tochter, die der Trost ihrer Augen, die Hoffnung ihres Alters, der Stab ihrer Wittwenschaft war; und diese ihre Tochter lag hart darnieder an einem Leib und Seele zerrüttenden Leiden, und war vom Teufel übel geplaget. Dawider konnte denn keine menschliche Liebe rathen und helfen, denn gegen des Satans Macht und List ist alle Kunst und Wissenschaft dieser Welt viel zu gering, und wenn die Mutter vielleicht auch eine Zeitlang gehofft und alle denkbaren Rettungsmittel angewandt, ja in der Nähe und Ferne nach Trost und Rath sich umgesehen hatte, so mußte sich's doch bald ausweisen, daß das Alles ganz umsonst und vergeblich war. Darüber versank sie denn ohne Zweifel in eine tiefe Traurigkeit - wer sich jemals in einer ähnlichen Lage befand, mag das nachempfinden - und wird oft ihr Lager mit Thränen genetzt und ihre Hände zu dem ihr noch unbekannten Gott erhoben haben, daß er doch ihr großes Elend ansehen, und ihr Einziges, was sie noch auf Erden bat/ ihre liebe Tochter von der schweren Plage erretten möge; - aber es war da kein Aufsehen und keine Antwort. - Als sie nun aber hörete, daß Jesus nicht ferne sei, daß der Mann, der bereits seit 2 Jahren in Israel umherging und wohlthat und die Krankheiten und Seuchen seines verschmachtenden Volkes heilte, daß dieser Mann auch in ihre Nähe gekommen sei, da ging ihr mit einem Male ein Stern der Hoffnung auf, und sie eilt ihm unverzüglich nach, ob sie etwa bei ihm das fände, was sie bisher vergebens gesucht hat in der weiten Welt.

Da kommt sie also zu dem rechten Helfer; der kann's thun, was sie in der Angst des Herzens begehrt, der kann die Stricke des Teufels zerreißen, die ihr armes Kind gefangen halten: er hat schon so Vielen über Bitten und Verstehen geholfen, er hat den Blinden das Gesicht, den Tauben das Gehör gegeben, er hat Aussätzige rein gemacht von ihrer unheilbaren Krankheit, und Jairi Töchterlein vom Tode erweckt - so wird's ihm ja auch ein Leichtes sein, das Gebet einer armen Wittwe zu erhören; und wie sollte er das nicht? wie sollte er sie ungehört und ungetröstet von sich weisen, da bisher noch niemand vergeblich seine Gnade gesucht und seine erbarmende Allmacht angerufen hat.

So denkt das Weib in ihrem Herzen und hat also schon den Anfang des Glaubens an Christum; denn sie traut ihm beides zu, daß er helfen kann, und daß er auch helfen will. - Sagt! wie ist dieser Glaube in ihr entstanden, da sie doch eine Heidin ist, und vordem den lebendigen Gott nicht kennt? Die Antwort ist leicht, m. Gel. - Das schwere Leiden, das ihre Tochter traf, hat die Sehnsucht nach Hülfe und die Verkündigung von der Nähe des Herrn hat das Licht der Hoffnung in ihr geweckt. Das Leiden hat er ihr zwar nicht selbst aufgelegt, denn es war eine Plage vom Satan, aber seine Weisheit hat es zugelassen, daß sie unter demselben arm und elend werde und sein gnadenreiches Angesicht suchen lerne; - seine Liebe aber hat es so gelenkt, daß eben, als die Noth am größten war, die Botschaft von seiner Ankunft in ihre betrübte Seele dringen muß. Auf ähnliche Weise erweckt der Herr noch immer den Glauben in den Seelen der Menschen. -

Wir sind von Natur unbekümmert um unser ewiges Heil, wir fühlen unser natürliches Elend nicht, wir merken es nicht, wie sündlich und verderbt wir sind, und fragen darum auch nicht nach dem Weg zum Leben, und nach der Gnade Gottes, sondern gehen allermeist ganz sicher und leichtfertig dahin. Aber da läßt es seine Weisheit zu, daß uns etwa eine Noth oder schwere Plage begegnet, ja er legt uns wohl selbst eine Last auf, von der uns keine menschliche Hülfe befreien kann, er nimmt uns ein großes Gut vom Herzen weg, er führt uns in die Hölle hinein und verschließt den Himmel über unserm Haupte, also daß uns um Trost sehr bange wird, und unser ungläubiges Herz zu verzagen beginnt; und siehe! - dann fängt es an, sich nach einem Helfer umzusehen, und den Gott zu suchen, den es vielleicht seit Jahren sündlich und undankbar vergessen hat, dann erwachen auch solche Menschen, die in tiefer Sicherheit gelegen haben, aus ihrem harten Schlafe und es bewährt sich an ihnen der Ausspruch der Schrift: Die Anfechtung lehret aufs Wort merken; wenn Trübsal da ist, so suchet man dich; wenn du sie züchtigest, so rufen sie ängstlich. - Wer unter uns hätte das nicht schon an sich erfahren? Oder der Herr verkündigt den Sichern sein Gesetz mit lautem Posaunenton und rührt ihr erstorbenes Gewissen mit dem Geiste seines Mundes an, daß sie auffahren mit Schrecken, und in seinem Lichte die Finsterniß, die in ihnen ist, erblicken. Da fällt dann der stolze Bau ihrer eigenen Gerechtigkeit unter seiner gewaltigen Hand zusammen, ihre Seele sieht die zahllose Menge ihrer Sünden und die Größe ihrer Schuld; ihre Ohren hören Gottes gerechtes Gericht; ihr Herz verzagt in ihrem Leibe und es erwacht ein leises Rufen, ein heimliches Sehnen nach Einem, der aus dieser Hölle herausführen, der die Stricke des Satans zerreißen könnte. Kommt nun das gnädige Wort des Lebens einer solchen, an sich verzweifelten Seele entgegen, hört sie die Botschaft von einem Heiland, der in die Welt gekommen ist, um die Sünder selig zu machen, von einem Mittler, der am Kreuze starb, um uns vom ewigen Tod zu erlösen, - so kann es geschehen, daß ein Funke des Glaubens sich in ihr entzündet und daß sie anfängt, mit jener Kananitin zu beten: Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Aber dieser Glaube ist alsdann noch sehr klein und schwach, denn er ist nur die Frucht eines heilsamen Erschreckens, aber keiner gründlichen Buße, es fehlt ihm noch die tiefere Erkenntniß der Sünde und ihres grundverderbten Wesens - man beruhigt sich leicht wieder über den Zustand seines Herzens, man vergißt über der leiblichen Hülfe die höhere Sorge für's Geistige - man eignet sich entweder den Trost der Gnade zu leichtfertig zu, oder man fast ihn nicht fest genug in die Seele, und fällt so leicht wieder in die alte Sicherheit und Sündenliebe zurück. Tausende haben diese traurige Erfahrungen an sich gemacht, und auch das Weib in unserm Evangelium würde sie gemacht haben, wäre ihr der Herr nicht durch eine strenge, aber sehr heilsame Führung zu Hülfe gekommen. -

II.

Sie hatte sich hoffnungs- und vertrauungsvoll an Jesum gewendet, sie hatte mit inbrünstigem Flehen gebeten: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner, meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget; und wer auch nur ein Weniges von seinen bisherigen Wundern und Thaten in Israel gesehen hatte, der konnte nichts anders erwarten, als daß er auch hier alsobald sein Ja und Amen sprechen werde; aber von dem Allen geschieht jetzt hier nichts: und er antwortete ihr kein Wort, sagt das Evangelium - er würdigt sie keines Anhörens, er gönnt ihr keinen Blick des Trostes, er sieht sie nicht einmal an in ihrem Jammer, er läßt sie liegen in ihrem Elende, wie jener Levite jenen unter die Mörder gefallenen Israeliten, und gehet vorüber, während sie ihm noch nachruft und nachweint, daß es auch ein Herz von Stein erbarmen möchte, aber sein Herz, das Herz des größten Menschenfreundes, bewegt und erbarmt es scheinbar nicht. Da sind die Jünger noch mitleidiger als der Meister, die können ihr Klagen und Rufen nicht ohne Rührung und Theilnahme anhören, legen sich darum ins Mittel und wollen Fürbitte thun für das arme verstoßene Weib und sagen: Laß sie doch von dir, denn sie schreit uns nach; aber auch die weist er ab mit dem Bescheid: ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen aus dem Hause Israel, als ob so eine gläubige demüthige Seele, wie diese, nicht auch zu dem wahren geistlichen Israel gehöre - und so wandelt er unverzüglich seine Straße fort. - Ist das der nämliche Heiland, höre ich euch sagen, der erst vor Kurzem den Mühseligen und Beladenen zugerufen hatte: Kommt her zu mir, ich will euch erquicken? Derselbe Jesus, der sich sonst so herzlich freut, wenn er Glauben, auch nur eines Senfkorns groß, an einem Menschen findet, derselbe holdselige Mund, der mit den Müden redet zur rechten Zeit, daß sie nicht sollen hinunterfallen ins Verderben, und zu den Verlornen spricht, wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen? - Ja, er ist es, m. L., es ist derselbe Jesus, und das harte Verfahren, das wir hier verwundernd anstaunen, ist nicht minder weise und gnädig, als wenn er anderwärts mit zuvorkommender Liebe hört und hilft. Seine Gedanken, die er über dieses Weib hat, sind Gedanken des Friedens; er will sie sehr hoch erheben, darum beugt er sie aufs tiefste nieder, er will den kleinen Funken ihres Glaubens zur hellen Flamme anfachen, darum läßt er sie ihre Ohnmacht zwiefach fühlen und nimmt ihr jede Hoffnung auf Errettung weg, damit sie nachmals seine Hülfe desto herrlicher, nicht nur zum Heile ihrer Tochter, sondern ihrer eigenen Seele erfahren und desto freudiger rühmen lerne: Es ist Niemand heilig, wie der Herr, und ist außer ihm kein Heiland, es ist kein Hort, wie unser Gott ist (i. Sam. - Auf ähnliche Weise verfährt seine Weisheit noch immer mit den Menschen. - Soll uns in Zeit und Ewigkeit geholfen werden, so müssen wir von ihm unser zeitliches und ewiges Heil erwarten, wir müssen seine Gnade mit heißem Verlangen suchen, sein Wort mit festem Glauben, sein Verdienst mit lebendiger Zuversicht ergreifen, wir müssen uns aufgeben, und uns ganz in seine freie Gnade ergeben, ihn allein unser Licht und Heil, unsers Herzens Trost und unser Theil sein lassen. Dies aber thun und können wir nicht, bevor wir die völlige Unzulänglichkeit jeder menschlichen Hülfe erkannt, bevor wir erfahren haben, daß auf nichts Vergängliches und Irdisches ein sicherer Verlaß ist, daß alle andern Stützen brechen, wie das schwache Rohr, das vom Sturme dahinfällt, daß keine menschliche Vernunft und Weisheit, keine eigene Tugend und Gerechtigkeit etwas gilt und vermag, um aus den Stricken des Feindes, aus der Gewalt des Verderbers zu retten. Und eben damit wir dieß lernen, führt uns die Weisheit des Höchsten nicht nur häufig in Noth und Verlassenheit hinein, sondern läßt uns auch, wenn wir darinnen sind, oft lange vergeblich rufen und seufzen, ohne zu hören und zu antworten, um uns Alle andern Götzen, auf die wir noch hoffen, wegzunehmen, unsere ganze Ohnmacht vor die Augen zu stellen, und ein recht dringendes Verlangen nach seiner Gnade in uns zu wirken. Und das thut er allermeist an solchen, die „bereits angefangen haben, sich im Glauben zu ihm zu kehren, denn bei ganz verstockten Gemüthern ist selbst dieses Mittel oft umsonst. So mußte schon ein David klagen: Wie lange willst du meiner so ganz vergessen und verbirgst dein Angesicht vor meinem Schreien, wie lange soll ich sorgen und mich ängstigen in meinem Herzen täglich? - Sei mir gnädig, denn ich bin schwach, heile mich, denn ich bin sehr erschrocken und meine Seele ist sehr erschrocken; ach Herr, wie so lange! So mußte ein Paulus dreimal vergeblich zum Herrn rufen, daß der Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlug, von ihm weiche, damit er seine eigene Schwachheit inne werde, und an der Gnade seines Heilandes ihm genügen lasse. - Und so hast du es vielleicht schon erfahren, m. B - , in jenen schweren Stunden, als hie eine Tiefe und da eine Tiefe brauste, als große Wasser dir an die Seele gingen und doch kein Ausweg und keine Errettung zu sehen war. Ach, da hast du wohl deine Augen zu den Bergen aufgehoben, von welchen sonst so oft die Hülfe erschien, du hast um Erlösung von dem Uebel, um Abwendung der Gefahr, um Verschonung, um Gnade gebeten, und gleich wohl hat der Herr sein Angesicht vor dir eine Weile verborgen, er ging vorüber, wie an dem Kananäischen Weibe, als hörte er dich nicht, und keine Antwort aus seinem Munde, kein Blick des Trostes aus seinem sonst so milden Auge fiel in deine müde Seele. Gewiß, m. L. - es sind das sehr verborgene und dunkle Wege des Höchsten, es sind sehr schwere Prüfungen, die der Herr über uns verhängt, aber sie sind uns dennoch heilsam und gut, sie sind uns heilsamer, als Tage der Freude und der Erhörung, denn da wird es offenbar, was in dem Herzen ist, da macht man große Erfahrung von der eigenen Schwachheit, da sieht man, wie gar nichts alle Menschen sind, da lernt man sich selber aufgeben und Gottes Gnade suchen und schätzen; ja, da wird der Glaube erst recht zum Glauben, indem er die Hand des Herrn ergreift wie Petrus, als er in den Wellen versinken will. Darum wohl dem Menschen, der in der Noth festhält mit Glauben und Gebet an Gott, - seines Trostes und seiner Hülfe wartet vom Morgen bis zum Abend und wieder vom Abend bis zum Morgen, unter seine gewaltige Hand sich beugt und sein Vertrauen nicht wegwirft, welches eine große Verheißung hat: Der wird dem Herrn noch danken, daß er seines Angesichtes Hülfe und sein Gott gewesen ist, er wird ihm danken, wie David, und bekennen: Ehe ich gedemüthigt war, irrte ich, nun aber halte ich dein Wort, es ist mir lieb, daß du mich gedemüthigest hast, daß ich deine Rechte lerne! -

III.

So sehen wirs nun auch hier an der Wittwe in unserm Evangelium. Die hatte sich durch die Behandlung, die sie von Jesu erfuhr, nicht abschrecken lassen, je weiter er sich von ihr entfernte, desto höher stieg ihre Sehnsucht; ihr Glaube war unter der Prüfung gewachsen, es wurde ihr immer gewisser, daß sie hier, oder sonst nirgends die ersehnte Hülfe finden müsse - sie trauts ihm zu, daß er doch noch ihre Bitten hören werde, weil er schon so viele Bitten erhört hat - und kommt darum aufs neue, und füllt vor ihm nieder und spricht: Herr, hilf mir! - Nun sollte man freilich denken, - es sei genug, es müsse die Prüfung ihr Ende erreicht haben, und sogleich der Lohn für die bewiesene Treue erfolgen. - Aber es war noch nicht genug; es war nicht genug, daß sie ihre ganze Hülfslosigkeit erkannte; sie sollte auch ihre Unwürdigkeit und Sündhaftigkeit fühlen lernen. - Sie war der Gnade werth, noch einmal sehr tief niedergebeugt zu werden, um desto gründlicher von den Schlacken, die noch an dem Gold ihres Glaubens hafteten, gereinigt, desto herrlicher erfreut, desto höher belohnt zu werden. - Der Anfänger und Vollender des Glaubens wollte das gute Werk, das er in ihr angefangen, nicht unvollendet lassen, und dieß konnte nur durch eine neue Prüfung geschehen. Darum schlägt er ihr abermals ihre Bitte ab, und zwar noch härter und schärfer, als er das zweitemal gethan hat - er spricht zu ihr - wie mit wegwerfender Verachtung: Es ist nicht sein, daß man den Kindern ihr Brod nehme und werfe es vor die Hunde - nimmt ihr also gar noch den letzten Trost von der Seele weg - sagt ihr, sie sei eine unwürdige Heidin, die keine Gnade verdiene, die keinen Anspruch auf das Kindesrecht der Nachkommen Abrahams habe, nennt sie mit dem allerkränkendsten Namen und beschließt sie ganz unter die Sünde und Verdammniß. - Aber wie wohl besteht sie die schwere Versuchung! - sie wendet sich nicht im Unmuth von dem Herrn weg - sie läßt sein strenges Wort über sie gelten, sie gibt ihm Recht in seinem gerechten Urtheil :md ihr Glaube findet das Ja heraus, das in seinem Nein verborgen liegt. Ja, Herr, - so wendet sie ein - ich weiß es wohl, daß ich keinen Anspruch auf deine Gnade habe - aber doch — o schönes Wort des kindlichen Vertrauens - aber doch essen die Hündlein von dem Brosamlein die von ihres Herrn Tische fallen - als wollte sie sagen, wie unwürdig und unwerth ich auch in deinen Augen sei, wie wenig ich auch verdiene, ein Kind deines Reiches zu heißen, so mußt du doch auch mein Herr und Erlöser sein, - ich bedarf um so mehr deiner Hülfe, je elender ich bin, und die wirst, ja die kannst du mir nicht versagen - weil du getreu bist und dich nicht selbst verleugnen kannst, darum weiche ich nicht von deinen Füßen, bis du mich Körest, darum lasse ich dich nicht, du segnest mich denn! - So kämpft sie mit dem Herrn den guten Kampf des Glaubens und überwindet ihn selbst mit seinem Wort, wie einst der Erzvater Jakob am Bache Pniel; so wird sie eine rechte Israelitin und empfängt nun auch die Krone, um die sie so heldenmüthig gerungen hat! - O, Weib! dein Glaube ist groß; ruft ihr der Erlöser zu, - verwundert über einen solchen Glauben, wie er ihn in Israel nicht gefunden hat, und wie er ihn auch unter uns wohl schwerlich finden würde. - Ja, er ist groß, dein Glaube, du Tochter Abrahams aus den Heiden, groß, weil er aus dem Worte Gottes geboren, in der Anfechtung bestanden, in der Prüfung geläutert, in der Züchtigung gewachsen und so stark geworden ist, daß ihm selbst der Herr nicht länger widerstehen kann. Darum spricht er nun auch zu ihr: dir geschehe, wie du willst, und belohnet ihren großen im Feuer bewährten Glauben mit großer überschwänglicher Gnade. Er gibt ihr zwiefach so viel, als sie von ihm gebeten hat, er segnet sie leiblich und geistlich - leiblich, denn ihre Tochter war gesund zu derselbigen Stunde, und geistlich, - denn ihre eigene Seele ist genesen; nachdem sie gedemüthigt und zerschlagen worden, hat sie den rechten einigen Helfer aus allen Nöthen, den Retter vom geistigen und ewigen Tod gefunden. Sie glaubet an sei neu Namen, darum hat sie das ewige Leben. Bei einer frühern Erhörung ihres Gebets hätte sie vielleicht auch ihr Kind geschenkt erhalten, aber nimmer wäre sie zu einer so lebendigen Erfahrung von der Barmherzigkeit des Herrn und zu dem innern bleibenden Segen gelangt, der ihr jetzt zu Theil geworden ist, denn jetzt kann sie sagen und rühmen: Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes, denn er hat seine Magd angesehen; siehe, nun müssen mich seligpreisen alle Geschlechter der Erde.

O, sehet es an, meine Liebsten, dieses edle Exempel des Glaubens, sehet es an, ihr Seelen, wenn solche unter uns sind, denen Gott für eine Zeitlang das Licht seines Angesichtes verbirgt, ihr Angefochtenen und Bekümmerten, die ihr schon zur Erkenntniß der heilsamen Wahrheit, zum Glauben an Christum gelangt seid, doch aber bisher umsonst um die Gewißheit der Gnade, um die Freudigkeit des Geistes, um das süße, selige Gefühl des göttlichen Friedens gebeten habt: wähnet nicht, daß euer Gebet unerhört geblieben sei vor eurem Vater im Himmel; es ist schon im Rothe seiner Gnade das Amen dazu gesprochen, aber seine Weisheit verziehet mit der Erfüllung ein wenig, damit ihr es zuvor noch lebendiger erfahret, daß der sündige Mensch aus sich selbst nicht das Geringste vermag, daß er kein Licht und keinen Trost in sich selber hat, und verlassen ist, so lang er sich auf sein eigenes Herz verläßt, weil Alles allein eine Gabe der Gnade ist, und nur als Gnade empfangen werden kann. Habt ihr dieses erfahren, m. G., und seid ihr in solcher Erfahrung arm an eigener Gerechtigkeit, klein und schwach in euren Augen, aber stark im Glauben geworden, siehe, dann gehet euch alsobald die Sonne der Gnade auf und ihr sprechet mit David: So sei nun wieder zufrieden meine Seele, denn der Herr thut dir Gutes, - er erfreuet dich mit Freuden von seinem Angesicht und erquicket dich um seines Namens willen. - Werdet also nicht irre, m. L., wenn euch solches widerfährt, zweifelt nicht, murret nicht im Unverstande wider die Wege des Höchsten, lernet aber vielmehr, was alsdann dem Christen geziemt: nämlich anhalten im Gebet, aushalten im Kampfe, festhalten an Gott und an dem Worte seiner Gnade. Ach, m. L., wie beschämend ist hierin für uns das Beispiel dieses kananäischen Weibes, wie leicht werden wir müde und verdrossen, wenn uns auch nur eine kleine Heimsuchung widerfährt, wie bald ermatten wir im Gebet, wenn die Antwort nicht sogleich erfolgt, wie schnell werfen wir unser Vertrauen weg, welches eine so große Verheißung hat? Darum bleibt auch unser Glaube so schwach, und kalt und wir erfahren so wenig von den reichen Strömen der göttlichen Gnade. - Und dennoch ist uns die Ausübung dieser Pflicht viel leichter gemacht als jener Glaubensheldinn aus den Heiden; sie wußte nur wenig von dem lebendigen Gott, sie hatte nur den Namen des Herrn und das Gerücht von seinem Thaten vernommen, wir aber haben die Heilige Schrift, die den ganzen Rath Gottes zu unserer Seligkeit enthält, wir haben das lebendige Wort des Herrn, voll großer und theurer Verheißungen, die allzumal Ja und Amen sind. An die haltet euch, m. B. die fasset fest im Glauben; die lasset euer Licht auf dunkeln Wegen, euern Schild in Anfechtungen, euer Schwerdt im Kampfe sein; damit stärket euch, wenn es hart hergeht, damit tröstet euch, wenn schon der Himmel über eurem Haupte dunkel werden will. Wenn euer eigenes Gewissen euch verklagt, wenn Gottes Gesetz euch je verklagt und verdammt, so gebet ihm recht in seinem Gericht; aber haltet ihm zugleich das große Wort des Apostels entgegen, daß Gottes Gnade größer ist, als unser Herz und daß Niemand uns beschuldigen und verdammen kann, weil Christus für uns gestorben ist, ja vielmehr auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und uns vertritt. - Und wenn es kommt, daß ihr lange anzuklopfen und zu bitten scheint, so werdet darum doch nicht läßig in eurem Gebet, sondern stehet im Glauben und zweifelt nicht, daß die Erhörung doch zu seiner Zeit erfolgen werde. Thut Gott so vieles auch ohne unser Gebet, wie vielmehr sollte er nicht seine Auserwählten retten, die Tag und Nacht zu ihm rufen? ich sage euch, er wird sie retten in einer Kürze. Er hat verheißen, das Gebet des Glaubens zu erhören und seine Verheißung trüget nicht, seine Antwort fehlet nicht. Es ist noch Niemand zu Schanden worden, der auf den Herrn gehoffet hat; noch Niemand verschmähet worden, der ihn angerufen hat; denn der Herr ist gnädig und barmherzig, und vergibt Sünde und hilft in der Noth. Das Ende hats noch immer ausgewiesen, daß seine Wege eitel Güte und Weisheit sind und alle fromme Herzen bis auf den heutigen Tag habens erfahren, daß, so wir Etwas bitten im Namen seines Sohnes, so erhöret er uns. Was sollen wir uns also heute von ihm erbitten, meine Liebsten? Wir wollen ihn bitten, daß er uns ein reiches Maaß der Demuth und einen starken lebendigen Glauben verleihe, weil der unsrige dem glimmenden Dochte gleicht, der dem Erlöschen nahe ist. Wir sagen zu ihm: Herr, hilf unserm Unglauben, Herr, stärke unsern Glauben! Und er, der überschwänglich thun kann über Alles, was wir bitten und verstehen, wolle diese Bitte zum Preise seines großen Namens erhören! Dazu sagen wir fröhlich: Amen! Amen.

Quelle: Fliedner, Theodor - Ein Herr, ein Glaube

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