Thomas von Kempen - Buch 4 - Kapitel 15

Thomas von Kempen - Buch 4 - Kapitel 15

Daß man die Gnade der Andacht nur durch Demuth und Selbstverläugnung erlange.

Stimme des Geliebten.

1. Du mußt die Gnade der Andacht ohne Unterlaß suchen, inständig erbitten, geduldig und zuversichtlich erwarten, dankbar annehmen, demüthig bewahren, fleißig gebrauchen, und Zeit und Maaß der himmlischen Heimsuchung Gott, bis er kommt, überlassen.

Demüthigen mußt du dich vorzüglich, wenn du wenig oder keine Andacht in dir spürest; aber du darfst nicht allzu niedergeschlagen, noch über Gebühr betrübt werden.

Gott gibt oft in einem Augenblick, was er lange Zeit versagt hat; er gibt manchmal am Ende, was er im Anfange des Gebetes zu geben zögerte.

2. Wenn die Gnade immer schnell verliehen würde und nach Wunsch gleich da wäre: so würde das der schwache Mensch nicht wohl ertragen.

Darum muß man in guter Hoffnung und demüthiger Geduld die Gnade der Andacht erwarten. Wenn sie dir aber nicht verliehen oder auch heimlich entzogen wird: so schreibe es dir und deinen Sünden zu.

Bisweilen ist es ein Geringes, was die Gnade hindert und verbirgt; wenn anders das ein Geringes und nicht vielmehr etwas Großes zu nennen ist, was uns eines so großen Gutes beraubt.

Hast du aber dieses Geringe oder Große entfernt und vollkommen besiegt: so wird dir werden, um was du gebeten hast.

3. Denn sogleich, wie du dich Gott von ganzem Herzen ergeben hast, und nicht dieses oder jenes nach deinem Wunsch und Willen suchst, sondern dich ganz in seine Hände befiehlst; sobald wirst du dich mit ihm vereinigt finden und beruhigt; weil dir nichts so gut zusagen und gefallen wird, als Gottes Wille und Wohlgefallen.

Wer also sein Augenmerk mit einfältigem herzen zu Gott empor gerichtet und sich von aller ungeordneten Liebe oder Abneigung gegen irgend ein geschaffenes Ding frei gemacht hat: der wird am geschicktesten sein, die Gnade zu empfangen, und würdig der Gabe der Andacht.

Und je vollkommener Einer den niedrigen Dingen entsagt, und je mehr er sich selber durch Selbstverachtung abstirbt, desto reichlicher kehrt sie ein, und desto höher erhebt sie das freie Herz.

4. Dann wird er schauen und vor Entzücken überströmen, und staunen, und sein Herz in ihm sich erweitern, daß die Hand Gottes mit ihm ist, und daß er sich ganz und auf ewig in die Hand des Herrn gelegt hat. Siehe, also wird gesegnet der Mensch, der Gott mit seinem ganzen Herzen sucht und seine Seele nicht an’s Eitle hängt. Ein Solcher wird bei dem Genusse des heiligen Abendmahles die große Gnade erlangen, mit Gott innig vereinigt zu werden, weil er nicht sieht auf die eigene Andacht und den eigenen Trost, sondern über alle Andacht und allen Trost auf Gottes Ehre und Verherrlichung.

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