Theremin, Franz - So kommt der Glaube aus der Predigt

Theremin, Franz - So kommt der Glaube aus der Predigt

So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes.
Epistel an die Römer, K. 15. V. 17,

Welche herrliche Erläuterung zu diesen Worten liefert nicht jene große und gewaltige Predigt, welche Petrus an dem ersten christlichen Pfingstfeste hielt! Der Geist Gottes hat sich so eben unter Windesbrausen und Feuerflammen auf die Jünger herabgelassen; seine Wirkungen erregen das Staunen der versammelten Menge; da erhebt sich Petrus, um zu predigen, und sein Predigen kommt durch das Wort Gottes; es ist eine Frucht der Erleuchtung, die ihm durch den Geist Gottes zu Theil geworden ist, und in welcher er die ewigen Rathschlüsse zum Heil der Menschen im Zusammenhange schaut; es ist gestützt auf die Zeugnisse der unter Leitung eben dieses Geistes geschriebenen Bücher des alten Bundes; es ist eine Verherrlichung Jesu als des Gestorbenen, des Auferstandenen, durch den allein die Menschen selig werden können; es ist eine Ausforderung, Buße zu thun, sich auf den Namen Jesu Christi taufen zu lassen, um Vergebung der Sünden zu empfangen. Und aus dieser Predigt kommt der Glaube. Ein Wiederglanz des Lichtes, das sich in das Herz des Petrus ergossen hatte, ergießt sich durch ihn in die Herzen derer, die ihn hören. Ihr Männer, lieben Brüder, - so sprechen sie zu dem Petrus und zu den andern Aposteln - was sollen wir thun? Dreitausend von ihnen lassen sich taufen; dreitausend unsterbliche Seelen werden durch den Glauben an Christum beseligt für Zeit und für Ewigkeit.

Wie manche Predigt ist nicht seitdem in so vielen verflossenen Jahrhunderten, in so vielen zur Ehre des Herrn erbauten Kirchen gehalten worden! Wie manche Predigt wird noch gehalten werden, bis die Anzahl derjenigen erfüllt ist, die auch durch dieß Mittel für den Himmel sollen vorbereitet werden! An dem Gedächtnißfeste des Tages, wo die Predigt des Petrus gehalten ward, geziemt es sich wohl, daß wir das Predigen, diesen wichtigen Theil des Gottesdienstes - ich sage nicht den wichtigsten, denn das Sakrament ist ohne Zweifel wichtiger als die Predigt - zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. Wir wollen sie darstellen, erstlich in ihrem Ursprunge, dem Worte Gottes: das Predigen kommt durch das Wort Gottes; und zweitens in ihrer Wirkung, dem Glauben: der Glaube kommt aus der Predigt. Erleuchte uns, Geist Gottes, daß wir vom Predigen recht predigen mögen!

Wenn wir nicht von Kindheit an gewohnt wären, die Predigt des göttlichen Wortes zu hören, so müßte in der That diese Einrichtung uns befremden. Ein Mensch tritt auf vor anderen Menschen, von denen manche ihm an Stand, Ansehn, Geistesgaben, Wissenschaft, ja selbst an Frömmigkeit überlegen sind; und er darf ihnen Alles sagen, was nach seinem Ermessen zu ihrem Heile dient, sie mögen es nun annehmen oder verwerfen, sich darüber erfreuen oder betrüben, sie mögen ihn tadeln oder ihn loben; er darf ohne alle diese Rücksichten zu ihnen sprechen, er soll es sogar, und nicht selten thut er es auch. Woher hat er dieses Recht? Hat er selbst es sich beigelegt? Das wäre eine unerhörte Anmaßung. Haben Menschen es ihm gegeben? Hätten Menschen es ihm gegeben, so hätten sie es ihm auch schon längst wieder genommen. Menschen haben ihn zwar in sein Amt eingeführt, indem sie einer bestimmten, vorgeschriebenen Ordnung folgten; aber das Amt der Lehrer selbst, das ist nicht von Menschen, das ist von dem Herrn selbst eingesetzt durch das Wort: Gehet hin und lehret alle Völker; und schon in diesem Sinne, weil es in göttlichem Auftrage, nach einem ausdrücklichen Worte des Herrn geschieht, kommt das Predigen durch das Wort Gottes.

Und dieser Mensch trägt eine Lehre vor, als Richtschnur des Erkennens und Handelns, deren Geltung er nicht abhängig macht von der Zustimmung derer, die ihn hören, sondern die er hinstellt als ewige Wahrheit, auch wenn kein Einziger sie annehmen sollte. Woher hat er diese Lehre? Hat er selbst sie erdacht; hat er sie als etwas von andern Menschen Erfundenes überkommen? Wenn das wäre, so dürfte er sie nicht für untrüglich ausgeben, denn das ist menschliche Lehre ja niemals; so würde er nach den Wünschen der Versammlung, bald etwas weglassen, bald etwas hinzufügen: aber das thut er ja nicht; er soll es wenigstens nicht thun. Woher kommt also sein Predigen? Durch das Wort Gottes! Gott, der ihn gesendet hat, Gott, in dessen Auftrag er in der Mitte seiner Zuhörer sieht, Gott hat selbst gesprochen, hat ihm sein Wort auf die Zunge gelegt, und er verkündigt das Wort Gottes.

Gott hat gesprochen! Nicht nur als er durch sein allmächtiges Wort Himmel und Erde hervorrief aus dem Nichts; nicht nur als er sprach: Es werde Licht, und das Licht sich verbreitete; - sondern auch zu den Menschen, als sie gefallen waren, und das anerschaffene Licht in ihnen sich verdunkelt hatte, so daß sie den Weg zu Gott nicht mehr finden konnten, hat er gesprochen durch besondere Offenbarungen, er hat ihnen seine Rathschlüsse zu ihrem Heil und die Bedingungen ihrer Seligkeit kund gethan. Gesprochen hat er zu Abraham und ihn und seine Nachkommen berufen; gesprochen hat er zu Moses in der Wüste aus dem brennenden Busch; gesprochen hat er zu dem Volke Israel aus den Flammen, aus den Rauchwolken und aus den Donnern des Sinai; gesprochen hat er zu den Propheten und durch sie zu dem Volke, welchem sie sein Wort verkündigten. Doch ihr Wort war nur wie ein Licht, das da schien an einem dunkelen Ort, bis der Tag angebrochen und der Morgenstern aufgegangen war in den Herzen. Er ging auf; das Licht, das wahrhaftige, kam in die Welt; das Wort, welches im Anfang, welches bei Gott und welches göttlicher Natur war, durch welches alle Dinge gemacht sind, das Wort ward Fleisch, und es wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Die im Herzen des Vaters verborgenen Rathschlüsse, die Niemand erforschet als der Geist, die Niemand kennet als der Sohn, der von Ewigkeit im Schooße des Vaters gewesen ist, die werden uns enthüllet durch Christum. Er kehrt in den Himmel zurück, und seine göttliche Zunge schweiget; aber siehe! als der Tag der Pfingsten erfüllet war, da lassen sich feurige Zungen herab auf die Häupter der Apostel; es ist der Geist, der ausgeht vom Vater und vom Sohne, der Vertraute aller göttlichen Geheimnisse, es ist der Geist der Wahrheit, den ihnen Christus vom Himmel sendet, um sie in alle Wahrheit zu leiten. Was sie, durch ihn erleuchtet, gesprochen und geschrieben haben, das ist untadelhaft, untrüglich, voll göttlicher Weisheit, wie die Worte des Herrn selbst. Das Wort Gottes, das er geredet hat durch die Propheten, und am letzten durch Christum und seine Apostel, bewahrt und von menschlichen Zusätzen rein erhalten durch eben den Geist, der es eingegeben hatte - wir besitzen es in diesem heiligen Buche. Dieses Wort, welches nicht vergehet, wenn auch Himmel und Erde verschwinden; dieses Wort, welches bleibet in Ewigkeit, während die Herrlichkeit menschlicher Lehre nichts ist als eine bald verwelkende Blume des Grases - dieß Wort ist das Fundament des evangelischen Predigers; hierauf sieht er fest gegründet; und Alles, was das Wort redet, das darf auch er reden, denn die Lehre ist nicht sein, sondern Gottes.

Er darf strafen ohne Unterschied den König wie den Bettler, er darf Allen das tiefe Verderben aufdecken, das sie in ihrem Busen tragen und das doch so Wenige sehen mögen; er darf die im Schwange gehenden Irrthümer und Lasier - diese oft hochgepriesenen Irrthümer, diese oft glänzenden Laster - vor den Richterstuhl des göttlichen Gesetzes fordern; er darf es, denn er thut es nicht selber, das Wort Gottes thut es, welches spricht: Sie sind alle abgewichen und allesammt untüchtig geworden. Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten; und das, wenn es also strafend aus seinem Munde ertönt, jenes zweischneidige Schwert ist, das durchdringet, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Er darf Geheimnisse verkünden, die in einer Höhe, wozu kein menschlicher Geist sich erheben kann, verborgen liegen, das Geheimniß von der wesentlichen Einheit und der persönlichen Verschiedenheit des Vaters, des Sohnes und des Geistes, und von der Verbindung der göttlichen und menschlichen Natur in Christo; er darf es, denn das Wort nennt ja besonders den Vater, den Sohn und den Geist; das Wort saget von Christo: Er ist Gott über alles gelobet in Ewigkeit; und wenn es durch seinen Mund diese hohen Dinge verkündet, dann ist es dem Adler gleich, der die Erde verläßt, den Blicken entschwindet, die Sonne aufsucht, und sie in der Nähe begrüßt. Er darf den zerschmetterten, durch den Donner des Gesetzes in den Staub niedergestreckten Sünder aufrichten durch die Versicherung: Deine Sünden sind dir vergeben, so du glaubest an Christum. Denn das Wort spricht: Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Dieß ist sein schönstes Vorrecht, dieß ist die größte Wohlthat, die ein Mensch dem andern erweisen kann, dieß ist die erhabenste Bestimmung seines Amtes, das von ihr in der Schrift das Amt, das die Versöhnung predigt, genannt wird. Und von denjenigen, die es weislich und gläubig ausüben, ja von denen gilt wahrhaft, was der Prophet spricht: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König. Er darf, wenn die Versammlung, die ihn umgibt, wegen der vielen Unglücklichen, die darunter seyn mögen, ihm erscheint, wie eine schwere Wolke, aus welcher bald Thränen wie Tropfen herabfallen werden, er darf zu ihr sprechen: Weine nicht, denn also hat ja das ewige Wort zu der Mutter des todten Jünglings gesprochen; er darf hinzusetzen: Ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sey, die an uns soll geoffenbaret werden. Er darf denen, welche ihn befragen um die vollkommenste Einrichtung ihres äußern und inneren Lebens, nach der sichern Anweisung des göttlichen Wortes, das da ist eine Leuchte unsern Füßen und ein Licht auf unsern! Wege, Christum als Muster aufstellen, und zu ihnen sprechen: Christus hat uns ein Vorbild gelassen, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußtapfen; er darf sie auffordern, mit Hülfe der göttlichen Gnade dahin zu streben, daß sie sagen können wie der Apostel: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.

Dieß Alles darf er. Zwar so lange sein eigener Glaube noch mehr Verstandes- als Herzenssache, und von geringer Erfahrung begleitet ist, wird er sich dieser hohen Vorrechte nur schüchtern und furchtsam bedienen. Ist aber sein Glaube erstarkt, ist er nicht nur ein Licht im Geiste, sondern auch eine Flamme im Herzen, hat er die Wirkungen desselben in seinem Innern erfahren; hält er sich selbst, wie Paulus, für den vornehmsten unter den Sündern, hat er für sich selbst nur in Christo Ruhe des Gewissens gefunden, ist er selbst in den bängsten Augenblicken seines Lebens nur durch Christum getröstet worden, strebet er selbst dahin, ganz mit Christo eins zu werden, und Alles abzuthun, was ihn scheidet von dem Herrn: dann wird er sein Amt mit großer Freudigkeit und Kühnheit verwalten, und das Wort Gottes wird in seinem Munde immer mehr die ihm eigene Kraft offenbaren.

Wenn er aber nicht glaubt? - Furchtbare Frage, die sich jedoch so mächtig aufdringt, daß wir sie nicht zurückweisen können! - Wenn er zu den vielen Unglücklichen gehört, die es jetzo gibt, für die das Wort der Schrift kein Wort Gottes ist, darf er es dann verkündigen, darf er die Sünder strafen, darf er ihnen durch das Verdienst Christi Begnadigung verheißen, darf er sie trösten durch die Hoffnung des Himmels, wo Christus die Seinigen um sich versammelt? Furchtbar nannte ich diese Frage, weil es ein furchtbarer Fall ist, den sie voraussetzt, und weil es furchtbar seyn würde, sie falsch zu beantworten; aber die richtige Antwort ist leicht, sie bietet von selbst sich dar. Wer nicht glaubt, der soll auch nicht predigen, denn es heißt: Ich glaube, darum rede ich. Wie? Er sollte von der Verderbtheit der Menschen reden, während er seine natürlichen Kräfte bewundert; er sollte Christum den eingebornen Sohn Gottes nennen, während er ihn für einen Menschen hält; er sollte das Verdienst seines Todes preisen, während er meint, durch eigenes Verdienst selig zu werden; er sollte die Hoffnung des ewigen Lebens auf das Wunder des Ostertages gründen, während er diese Thatsache in Zweifel zieht - das sollte er, und er müßte nicht fürchten, wenn er es thäte, daß eine Stimme vom Himmel ihm zuriefe: Du hast nicht Menschen sondern Gott gelogen, und daß er wie Ananias und Sapphira todt zu Boden gestürzt würde? Wahrlich, dem gewissenhaften Manne würde es nicht nur besser, sondern auch viel leichter erscheinen, irgend ein ehrliches Gewerbe zu treiben, und wenn er das nicht vermöchte, sein Brot an den Thüren zu betteln, als hier sonntäglich am Altare oder auf der Kanzel Dinge auszusprechen an die er nicht glaubt, zum Schaden seiner Brüder und zu seiner eigenen Verdammniß!

Sollte es denn aber außer dieser groben Heuchelei nicht noch einen andern Ausweg geben? Könnte man nicht bei gewissen gewaltigen und schwer zu vermeidenden Worten, sich etwas Anderes denken, als was der Gebrauch mit sich bringt; und dann von dem Kern der christlichen Lehre künstlich ablenkend, Menschenworte statt des göttlichen Wortes verkündigen? Das kann man allerdings - das heißt, die Möglichkeit ist vorhanden; ob man es aber darf, ob ein rechtschaffener Mann es thun wird - das ist eine andere Frage. Christus hat uns nicht gesagt: Predigt ein jeder, was euch gut dünkt, und wohin euer Sinn sich neigt; sondern er hat uns befohlen zu predigen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden. Der Apostel Paulus bezeugt, daß er den gekreuzigten Christum predige, und er will keine Veränderung der Lehre gestatten. So jemand euch Evangelium predigt, spricht er, anders, denn das ihr empfangen habt, der sey verflucht. Die Kirche ruft einen Menschen in ein Amt und unterrichtet ihn von den Pflichten, die er übernimmt; eine Stätte hat sie ihm bereitet, wo er stehn und sprechen soll; mit Glockenklang werden die Christen zusammengerufen, um ihn zu hören. Und nun erscheint dieser Mensch, und predigt - was? Christum? Nein, sich selbst und seine Weisheit. Das mag er anderswo thun, wo es wenigstens dazu dienen kann, die Zeit anständig hinzubringen. Aber hier suchen wir nicht Zeitvertreib, hier suchen wir, was bessert und selig macht, und das kann nicht menschliche Weisheit, das kann nur das Wort Gottes.

Wenn nun aber das Wort Gottes für diejenigen, die es hören sollen, eine zu starke Speise ist, die sie nicht ertragen; wenn sie verlangen, daß man es mit menschlicher Weisheit versetze, um es schmackhaft zu machen; wenn sie sonst sprechen: Diese Rede ist hart, wer kann sie hören; wenn sie sonst nach Steinen greifen, das heißt, wenn sie Schmähworte und Unglimpf nicht sparen: sollte dann dem Diener Jesu Christi nicht einige Nachgiebigkeit geziemen? Nein, er soll sich steinigen lassen wie Stephanus, und eben so wenig als dieser das Wort der Wahrheit zurückhalten. Er soll sich freuen, wie die Apostel, daß er würdig gewesen, um Christi willen Schmach zu leiden; denn welche Ehre gibt es wohl, die der Schmach Jesu Christi gleich käme? Sonst ging man mit Freuden für ihn in den Tod: jetzt sollte man nicht um Seinetwillen geringe Kränkungen der Eigenliebe ertragen? Wir zwar, o wir Glücklichen! wir fühlen uns zu dem Zeugniß gedrungen, daß wir um Christi willen wenig oder nichts gelitten haben, daß uns vielmehr um Seinetwillen überschwenglich viel Gutes widerfahren ist. Anderswo mag die Predigt des Evangeliums gebunden seyn: hier ist sie frei. Anderswo mag man vor dem Worte von dem Kreuze Christi die Ohren verschließen, hier verlangt man es zu vernehmen. Haben wir bei Dir, theure Gemeine, uns einiges Vertrauen erworben, so ist es nur, weil wir nun schon seit mehreren Jahren, Dir immer Christum, zwar in großer Schwachheit, aber Du wirst es uns vielleicht bezeugen, immer aufrichtig und gläubig verkündigten. Glücklich ist die jetzige Zeit für uns; glücklich ist sie auch für Euch, o Ihr Christen. Das Evangelium hat seine Feinde, wir wissen es; aber es hat auch unter uns seine Freunde, und ihrem Verlangen willfahrend, gibt der Herr ihnen das Wort mit großen Schaaren von Evangelisten. Er sendet einen gnädigen Regen, und sein Erbe, das dürre ist, erquickt er. Oeffne deinen Mund, durstende Erde; öffnet Euch, Ihr Herzen, nehmet auf die Predigt des Wortes, daß aus der Predigt der Glaube komme.

Denn wir haben Euch nun zweitens die Predigt des Wortes in ihrer Wirkung darzustellen - dem Glauben: Der Glaube kommt aus der Predigt. Wir glauben, wenn wir das göttliche Wort in uns aufnehmen und wenn es seine Früchte in uns hervorbringt. Wir glauben, wenn wir unser Sündenelend fühlen, dem Wahne des eignen Verdienstes entsagen, in Christo den Sohn Gottes erkennen und uns das Verdienst seines Todes aneignen; wenn wir eine feste Zuversicht auf Gottes Barmherzigkeit setzen, und von ihr mit völliger Gewißheit auch die ewigen Güter, die wir noch nicht besitzen, erwarten; wenn wir in unaussprechlicher Dankbarkeit unser Herz dem himmlischen Vater weihen, wenn wir es Christo öffnen, daß er darin geboren werde, eine Gestalt gewinne, es zu seiner ewigen Wohnung mache. Das heißt glauben, und dieser Glaube kommt aus der Predigt des Wortes.

Wie, ist es möglich? Solche große, wunderbare Wirkungen sollte die Predigt hervorbringen? Nicht eigentlich die Predigt selbst, sondern das Wort Gottes in der Predigt. Die Predigt thut nichts, als daß sie das Wort Gottes Euch nahe bringt, daß sie es euren Ohren ertönen läßt; was nun weiter geschieht, das ist allein dem Worte Gottes zuzuschreiben. Die Predigt wird zwar ein jeder, der sie hält, so viel er vermag, mit allem demjenigen ausstatten, was Theilnahme erwecken und unterhalten kann; er wird sich dazu der ihm verliehenen Gaben, ja selbst der Uebung bedienen, die er sich in menschlicher Kunst und Wissenschaft erworben hat. Und er darf es, sollte ich meinen, wenn es aus reiner Liebe zu dem Herrn ohne Dünkel und Anmaßung geschieht. Christus nimmt alsdann die ihm gewidmete Bemühung seines Dieners eben so freundlich auf, wie er die Liebeserweisung jenes Weibes aufnahm, das ein duftendes Wasser über ihn ausgoß; er vertheidigt ihn wohl gegen ungerechten Tadel und sagt von ihm, wie von jener: Laßt ihn mit Frieden, was bekümmert ihr ihn? Er hat gethan, was er konnte. Aber alle diese menschlichen Beiwerke, die, so lange das Wort Gottes von Menschen gepredigt wird, unvermeidlich sind, vermögen hier nichts, wenigstens nicht den Glauben zu bewirken; das vermag nicht die Klarheit und Bündigkeit des Vortrags, nicht die unüberwindliche Zusammenstellung der Beweise, nicht die hinreißende Beredsamkeit, nicht das aus dem Herzen zu dem Herzen sprechende Gefühl; das vermag kein Prediger, und wenn er auch zu den Hochbegabtesten und Hocherwecktesten gehörte. Es wäre Frevel, Gotteslästerung, wenn er diese Wirkung von seiner eigenen Kraft erwartete, oder, nachdem sie erfolgte, sie ihr zuschreiben wollte. Dieß Alles vermag allein das Wort Gottes; dieß stürzt den Sünder zu Boden; dieß erhebt ihn im Glauben an Christum; dieß prägt ihm tief die Gewißheit ein, daß er zu den Begnadigten gehört; dieß ist der göttliche Keim, aus welchem, wie Petrus sagt, die neue Geburt im Innern hervorgeht.

Aber wie mag solches geschehen, ruft Ihr vielleicht, wie läßt es sich erklären, daß das Wort Gottes, allein dadurch, daß es uns dargeboten wird, so große Dinge hervorbringt, so gänzlich den Zustand unseres Innern verändert? Erklären? Ich weiß es nicht. Es ist damit, wie mit vielen unzweifelhaften Thatsachen, die sich auch nicht erklären lassen. Und soll denn durchaus erklärt werden, so mache ich mir gern das eine Wunder durch das andere klar. Gott, denke ich, sprach zu Anfang, da ward Himmel und Erde aus dem Nichts hervorgerufen; Gott spricht immer noch zu uns: wie sollte denn sein Wort nicht den neuen Menschen in uns schaffen können?

Bestätigt denn aber auch die Erfahrung das, was hier der Predigt nachgerühmt wird? Die Predigt des Petrus, ja die brachte eine große, wunderbare Wirkung hervor, die entschied über das Schicksal von dreitausend Menschen. Von welcher Predigt kann man jetzt etwas Aehnliches anführen? Sie ist gut oder schlecht, sie hat gefallen oder nicht gefallen; das hört man von einer jeden sagen, so daß es scheinen möchte, dieß sey Alles, was von einer Predigt gesagt werden kann. Daß aber ein verstockter Sünder gerührt und zur Buße erweckt worden, daß unter den Zuhörern Einer ungläubig gekommen und gläubig hinweggegangen, daß ein zürnendes, erbittertes Herz mit Liebe und Versöhnlichkeit erfüllt worden sey: solche Wirkungen einer Predigt möchten wohl nicht leicht angeführt und nachgewiesen werden können!

Und überhaupt, meine Brüder, sind Wirkungen rein geistiger Art, wie diese, nicht leicht anzuführen oder nachzuweisen. Ihre Natur bringt es mit sich, daß sie im Innern verborgen bleiben; derjenige, auf dessen Predigt ein solcher Segen gelegt ward, erfährt nicht immer etwas davon; derjenige, der den Segen empfing, und der aus der Predigt einen Keim des ewigen Lebens mit hinwegnahm, ist sich vielleicht selbst dessen nicht bewußt, und weil dieser Keim in einer andern Zeit aufgegangen ist, so glaubt er seine Bekehrung und seine Erweckung einem andern Umstande zuschreiben zu müssen. Aber trotz dem Allen behaupte ich, daß es keinen einzigen gläubigen Verkünder des göttlichen Wortes, daß es keinen einzigen treuen und fleißigen Hörer desselben gibt, der nicht solche Erfahrungen an sich und an Andern gemacht hätte. Und Ihr, denen keine solche Beispiele bekannt sind, wollt Ihr Euch von den Wirkungen des evangelischen Predigtamtes überzeugen - so denkt es Euch einmal hinweg, und fragt Euch, wie es dann um die Kirche, die Christenheit und den Glauben stehen würde. Gäbe es keine Stätte, wo nach göttlichem Rechte das Wort Gottes verkündiget wird; wo man Jahr für Jahr ungescheut dasjenige aussprechen darf, was die Welt verleugnet und verspottet; wo die Gläubigen und die Ungläubigen, die Einen zu ihrer Freude, die Andern zu ihrer Beschämung ein Zeugniß hören, welches sie erkennen läßt, daß der Glaube denn doch keinesweges von der Erde verschwunden sey: - ach! meine Brüder, ohne eine solche Einrichtung, wie viel allgemeiner und verderblicher würden die Fortschritte des Unglaubens gewesen seyn!

Doch wir haben ja mehr als solche Betrachtungen; wir haben ja etwas, das über solche Erfahrungen hinausgeht und den Mangel derselben ersetzen könnte; wir haben die Versicherung unseres Textes: Der Glaube kommt aus der Predigt; wir haben die herrliche Verheißung Gottes durch den Propheten: Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin kommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen: also soll das Wort, das aus meinem Munde gehet, auch seyn. Es soll nicht wieder leer zu mir kommen, sondern thun, das mir gefällt und soll ihm gelingen, wozu ich es sende. Warum sollten wir also hier nicht immer getrosten und frohen Muthes erscheinen? Warum sollten wir nicht den Gedanken der Nutzlosigkeit unseres Predigens als eine Anfechtung des Unglaubens verscheuchen? Warum sollten wir nicht unsere eigene Verzagtheit schelten, wenn sie uns von unsern Worten, die uns so kalt, trocken und unkräftig erscheinen, durchaus keine Wirkung erwarten läßt? Predigen wir denn uns selbst? Wir predigen ja Christum, wir stellen ihn, sein unermeßliches Verdienst, sein Erlösungswerk dar in dem Maße, als es uns gegeben ward, es aufzufassen. Ist gleich in unserer Predigt viel von menschlicher Schwachheit, so ist darin doch Etwas von göttlicher Kraft; und auf dieser muß Gottes Segen ruhen, aus dieser muß in Euch der Glaube kommen.

Dabei hängt freilich viel von eurer Empfänglichkeit ab, von der Stimmung, in welcher Ihr Euch befindet, von den Antrieben, die Euch hierher geführt haben. Diese Antriebe werden gewiß immer bei Einigen die reinsten und lautersten seyn. Andere hingegen kommen - sie wissen selbst nicht warum. Sie kommen, weil ein zufälliger Umstand sie bestimmte, weil Neugier und Schaulust sie trieb. Sie kommen, weil sie etwas suchen, das sie beurtheilen und tadeln können; so daß man zu ihnen sagen möchte, was Joseph zu seinen Brüdern sagt: Ihr seyd nicht gekommen, Speise zu kaufen, sondern als Kundschafter, um zu sehen, wo das Land offen ist. Zwar, meine Brüder, aus welchen Gründen Ihr auch erschienen seyn mögt, wir werden Euch immer von Herzen willkommen heißen; wir werden Euch niemals sagen, Ihr hättet besser gethan, Euch nicht einzufinden. Denn was Ihr auch mit eurer Gegenwart gemeint haben mögt, die Gnade kann es damit besser gemeint haben, als Ihr. Das Wort Gottes, dem Ihr auswichet, hier kann es Euch doch nahe gebracht werden, und beim Hinausgehen nehmet Ihr es vielleicht mit in euerm Herzen, als einen Stachel der das alte Leben zerstört, und als den Keim eines bessern Lebens. Dieß kann geschehn; aber die Gnade, die es bewirkt, weicht doch in solchen Fällen von ihrer gewöhnlichen Ordnung ab, und mit völliger Sicherheit können wir Euch nur dann einen reichen Segen von der Anhörung des göttlichen Wortes versprechen, wenn Euch nach diesem Segen verlangt, und wenn Ihr ihm eure Herzen geöffnet habt.

Das Wort Gottes - so ungefähr denke ich, müßte ein jeder zu sich reden, ehe er sich an diesen Ort begibt, - das Wort Gottes werde ich hören! Merke es dir wohl, meine Seele: nicht ein Mensch, sondern Gott wird mit dir sprechen. Ich werde zwar einen Menschen sehen und hören; aber möchte er doch mit seiner ganzen Eigenthümlichkeit vor mir verschwinden, auf daß ich die Gegenwart Gottes um so lebhafter fühlte! Ein Mensch wird mir das Wort Gottes in dem Maße, als er es in sich aufgenommen hat, verkündigen; und indem er in den Schätzen desselben wühlt, wird er auch irgend ein Kleinod an den Tag bringen, das mir, mir selber, nicht durch ihn, denn er weiß nichts von den Bedürfnissen meines Herzens, nein, das durch den Geist Gottes selber mir bestimmt ist; eine Enthüllung einer mir unbekannten Sünde, eine schnelle Lösung eines Zweifels, der mich quälte, eine Stärkung meiner guten Vorsätze, einen Trost in den langjährigen Leiden meiner Seele. O! ich will aufmerken, daß dieß Kleinod mir nicht entgehe, ich will es ergreifen und mir aneignen, ich will es wohl verwahrt in meinem Innersten mit davon tragen. Bin ich nicht überaus glücklich, daß ich das Wort Gottes mit meinen Brüdern hören kann? Manche, die es sehnlich wünschen mögen, manche arme Kranke können es nicht. Wie lange werde ich es noch können? Wie, wenn dieß mein letzter Kirchgang wäre? Ich will es so ansehen, will mit solcher Hingebung die Predigt des göttlichen Wortes hören, als ob ich sie hier auf Erden zum letzten Male hören sollte.

Doch nicht nur die Augenblicke vor der Predigt, auch die Augenblicke, die darauf folgen, sind wichtig für die, welche hörten; und der Segen, den sie davon tragen, der darf nicht wieder vergeudet, der muß treu und sorgsam bewahrt werden. Wird er das, wenn man, so bald der Gottesdienst zu Ende ist, nur der Aeußerlichkeiten desselben sich erinnert, um sie zu besprechen und zu beurtheilen? Wenn man untersucht, ob die Predigt gut oder schlecht war - da man doch nach christlicher Liebe voraussetzen sollte, wenn sie aus dem Worte Gottes kam, könne sie nicht anders als gut gewesen seyn; wenn man fragt, ob die Versammlung groß oder klein, oder ob sie ein anderes Mal größer oder kleiner war - da man sich doch lieber erinnern sollte, daß Christus nicht da, wo mehrere Tausende, sondern auch schon, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt wären, versprochen hat, unter ihnen zu seyn; wenn man so genau sich erkundigt, ob die Großen des Landes, und welche von ihnen zugegen waren - da ihre Anwesenheit uns erbauen, nicht Zerstreuung und Neugier veranlassen sollte - wenn man, sage ich, an solchen Aeußerlichkeiten hängen bleibt, wird dann der Segen, den man vielleicht aus der Predigt mit hinwegnahm, wird er bewahrt, oder wird er nicht vielmehr vergeudet? Wird nicht der Geist Gottes betrübt und sein Gnadenlicht, das er in uns entzündete, gedämpft? Wäre es nicht besser, solcher Betrachtungen und Urtheile sich gänzlich zu enthalten, und wenn man dazu nicht stark genug ist, sie wenigstens so schnell als möglich abzumachen, und dann zu dem Wesentlichen überzugehen? Die Schrift in die Hand zu nehmen, aus welcher die Predigt geflossen ist, und zu der die Predigt zurück führen muß; sich vor dem Angesichte Gottes zu sammeln, und ihn zu bitten, daß man doch nach dieser abermaligen Anhörung seines Wortes, minder unentschieden im Glauben, minder kalt in der Liebe, minder träge in guten Werken senn möchte?

Sie müssen groß senn die Segnungen der Predigt, sie müssen denen, welche die Predigt des Petrus begleiteten, ähnlich senn, wenn das Wort von eurer Seite so empfänglich aufgenommen, so treu bewahrt, und - das muß ich freilich hinzusetzen - wenn es von unserer Seite treu und gläubig verkündigt wird. Wohlan, so laßt uns denn heute an diesem Pfingstfeste - der Tag ist es werth! - ein Bündniß mit einander schließen, dessen Gegenstand die Predigt, dessen Zweck sey, Alles, was ihren Segen schmälert, zu entfernen. Wir wollen immer fleißiger in dem Worte forschen, daß es uns immer mehr durchdringe und belebe, und daß in unsern Predigten des Unsrigen immer weniger werde; wir wollen Gott immer eifriger bitten, daß er uns mit Kühnheit, ja, wenn es seyn muß, mit Verwegenheit ausrüste, um Euch selbst das, was Euch am tiefsten schmerzt, so bald es Euch heilsam ist, zu sagen. Ihr dagegen, meine Brüder, gelobet, daß Ihr das, was wir sagen, als Gottes, nicht als Menschen Wort, aufnehmen; daß Ihr, wenn Ihr kommt, wenn Ihr hier seyd, wenn Ihr von hinnen geht, alles Menschliche, Aeußerliche, welches ja nur eine vorübergehende Erscheinung ist, fallen lassen, und Euch allein an das, was Gott zu Euch gesprochen hat, halten wollt. Wir geloben, wenn wir hier erscheinen, im Stillen für Euch zu beten; betet auch Ihr alsdann im Stillen für uns.

Laß Dir dieß Bündniß gefallen, o Gott, und gib uns von beiden Seiten die Gnade, es zu halten. Segne die Predigt deines Wortes zum kräftigen Bollwerk gegen den Unglauben, zum reichen Erweckungsmittel des Glaubens. Bilde Du zu allen Zeiten gläubige Verkündiger deines Wortes, und die Kraft des Vorgängers müsse immer durch die seines Nachfolgers übertroffen werden. Und jetzt, wo wir am Schlusse dieser Predigt gläubig und hoffnungsvoll zu Dir empor blicken, erfülle uns mit der Zuversicht, daß wir, trotz unsrer Schwachheit, an diesem heiligen Pfingsttage nicht vergeblich gesprochen haben. Amen.

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