Theremin, Franz - Christus und Petrus auf dem Meere.

Theremin, Franz - Christus und Petrus auf dem Meere.

Predigt über Evang. Matth. 14, 24 - 33.

von Dr. Franz Theremin, Königlichem Hof- und Dom-Prediger und wirklichem Ober-Consistorialrathe in Berlin.

Text: Evang. Matth. 14, 24-33.

„Und das Schiff war schon mitten auf dem Meer, und litt Noth von den Wellen; denn der Wind war ihnen zuwider. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen, und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meere gehen, erschraken sie, und sprachen: Es ist ein Gespenst; und schrieen vor Furcht. Aber alsobald redete Jesus mit ihnen, und sprach: Seid getrost, Ich bin es; fürchtet euch nicht. Petrus aber antwortete ihm, und sprach: Herr, bist du, es, so heiße mich zu dir kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her. Und Petrus trat aus dem Schiff, und ging auf dem Wasser, daß er zu Jesu käme. Er sahe aber einen starken Wind. Da erschrak er, und hob an zu sinken, schrie und sprach: Herr, hilf mir. Jesus aber reckte bald die Hand aus, und ergriff ihn, und sprach zu ihm: O, du Kleingläubiger, warum Zweifeltest du? Und sie traten in das Schiff, und der Wind legte sich. Die aber im Schiffe waren, kamen und fielen vor ihm nieder, und sprachen: Du bist wahrlich Gottes Sohn.“

Denkt euch, meine Brüder, ihr befändet euch in großer Noth und Bedrängniß, ihr zittertet vor einer drohenden Gefahr; aber gewöhnt, in dem Worte Gottes Trost zu suchen, öffnetet ihr die heilige Schrift, und läset die Erzählung, die ihr so eben vernommen habt: würde nicht an die Stelle der Angst und der Verzagtheit sogleich Vertrauen und Hoffnung treten? Würdet ihr nicht ausrufen: Herr, der du den Petrus, da er schon untersank, mit deiner starken Hand aus dem Wasser gezogen hast, du wirst auch mich erfreuen und erretten?

O es liegt eine Fülle des Trostes in diesem Evangelium! Nach allen Richtungen strahlt es über die dunkele, von Noth und Trübsal bedeckte Erde, die Versicherung der göttlichen Gnade, welche Allen ihre hülfreiche Hand bietet, um sie aus den Wogen, worein sie versinken, zu erretten, und die nichts weiter verlangt, als daß ein Jeder diese Hand im Glauben ergreife. Könnten wir den Inhalt dieser theuren Worte vollständig entwickeln, es würde Keiner unter euch, von welcher Art auch sein Kummer sein mag, ohne Stärkung hinweg gehen. Zwar können wir es nicht, wir sind nicht fähig, den Ueberfluß göttlicher Gedanken, der sich hier darbietet, uns und euch klar zu machen, doch wollen wir wenigstens so viel als möglich von diesen Beziehungen auffassen und hervorheben. In den sturmbewegten Wogen, auf denen das Schiff der Jünger schwanket, und in welche Petrus zu versinken fürchtet, sehen wir also ein Bild der mannigfaltigen Noth, welcher die Menschen hienieden ausgesetzt sind; und der Herr, der auf diesen Wogen einher geht und den Petrus aus denselben hervorzieht, werde von uns gepriesen als der Retter aus aller unserer Noth, nämlich 1 aus der Noth der Sünde; 2 aus der Noth der Trübsal; 3 aus der Noth des Todes. Gieb uns deinen Segen zu dieser Betrachtung, o Herr, daß sie uns stärken möge in dem Glauben an dich!

I.

Jesus errettet uns aus der Noth der Sünde. Von dieser sind wir überall umgeben und bedrängt, während wir hienieden wandeln, wie diejenigen, die auf dem Meere schiffen, überall von Gefahren umgeben sind. Und das Schiff, worin sich die Jünger befanden, war schon mitten auf dem Meere und litt Noth von den Wellen, denn der Wind war ihnen zuwider. Von seinem Fahrzeuge getragen, schwebt der Schiffer über den Abgründen, die sich unter seinen Füßen vertiefen; und wie leicht, wenn ihm Wind und Wellen entgegen sind und sein Fahrzeug zertrümmern, kann er nicht in diese Tiefen, aus denen keine Rettung möglich ist, versinken! Auch wir - bis wir in die sichere Arche der göttlichen Gnade aufgenommen werden, in welcher wir allen Gefahren Trotz bieten können - schwanken und schweben, unsern eigenen Kräften vertrauend, in einem gebrechlichen Kahne auf dem Meere der Welt.

Unsere Leidenschaften sind die Stürme, welche die Wellen erregen, an denen wir hoch hinauf und dann tief hinunter fahren. Und wenn sie uns gegen die Untiefen und Klippen der Sünde werfen, wenn dann unsere Kräfte nicht genügen, wenn die durch Menschenhand zusammengefügten Theile des Fahrzeuges sich von einander trennen - dann sinken auch wir hinab, tief und tiefer, in einen Abgrund, den kein Gnadenlicht erhellt, wo fürchterliche Ungeheuer wohnen, und aus welchem keine hülfreiche Hand uns hervorziehen wird!

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meere. Wer ist es, der einherwandelt auf der Fluth, als wäre sie ein fester Boden, der durch keine Schwere in das flüssige Element niedergezogen, durch keine Welle aufwärts und abwärts getragen, dessen Sohle kaum von der Feuchtigkeit benetzt wird? Wer ist es, der hindurchgeht durch die menschlichen Angelegenheiten, ohne das Verderben zu theilen, wovon sie ergriffen sind; durch alle Stürme der Leidenschaften, die ihn umtoben, ohne sich dadurch bewegen zu lassen; der überall von Sünden umgeben, sich auch von der geringsten Befleckung rein erhält? Wer ist es? - Da ihn die Jünger sahen auf dem Meere gehen, erschraken sie, und sprachen: es ist ein Gespenst, und schrieen vor Furcht. Ein Gespenst, so rufen auch jetzt noch manche, ein durch Schwärmerei erzeugtes Trugbild ist jener Christus, von dem ihr uns erzählt, der die göttliche Natur mit der menschlichen verbunden, der den Elementen unumschränkt geboten, der überall versucht, doch immer die Sünde von sich entfernt gehalten, und durch seinen Tod alle, die an ihn glauben, von der ewigen Verdammniß errettet haben soll. - Aber also bald redete Jesus mit ihnen und sprach: seid getrost, ich bin's, fürchtet euch nicht! O theure Stimme, die durch das Geräusch des Windes und der Wellen, durch den Lärmen des täglichen Lebens und der weltlichen Angelegenheiten, durch das Geschrei des Unglaubens hindurch, von den empfänglichen Herzen vernommen wird! - Vernahmet ihr sie schon, meine Brüder? Fühltet ihr schon, Christus sei nicht, wozu der Unglaube ihn machen will, nicht ein Gespenst, sondern der lebendige Gottessohn, der wahre Heiland, der von der Sünde, die ihm fremd war, und deren Strafe er trug, erlösen kann? Fühltet ihrs? Dann werdet ihr auch in eben dem Eifer entbrennen, von welchem wir hier den Petrus ergriffen sehen.

Petrus aber antwortete ihm, und sprach: Herr, bist du es, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser. Die begnadigte Seele brennt vor Verlangen, Christo, durch Heiligung, ähnlich zu werden. Auch sie will schweben über den Wogen dieser Welt, ohne in ihre Lüste niederzutauchen; sie will, trotz den widrigen Winden, die sie aufhalten und zurücktreiben, trotz den sich hebenden und niedersinkenden Wellen, ihren Gang zu Christo, wohin alle ihre Wünsche gerichtet sind, fortsetzen. Wird der Herr dies Verlangen gut heißen? Wird er dem Petrus gestatten, auf den Wellen zu ihm zu kommen? Wird er alles das billigen, was die Seele in der Gluth ihrer ersten Liebe zu ihm unternimmt? Kann nicht das himmlische Feuer noch mit irdischen Elementen, der Trieb der Gnade mit den Trieben der Natur gemischt sein? Kann der, welcher Jesu nahen will, nicht auch, vielleicht ohne daß er selbst es wisse, den Wunsch hegen, von den Menschen bewundert zu werden? Kann er nicht, nur auf den Ruhm des Gelingens blickend, vergessen, sich gegen die Gefahren und die Schwierigkeiten zu rüsten? Das alles mag sein; ja man kann zugeben, daß es sich fast immer so verhält. Aber sollen wir nur dann erst handeln, wenn unser Handeln ganz rein ist? Dann würden wir nimmer zum Handeln kommen! Der Herr muntert uns auf, so bald nur der Antrieb, der dem Unternehmen zum Grunde liegt, lobenswert! ist. Das Unreine, das noch daran hängt, wird durch die Prüfung, die er uns bereitet, ausgeschieden werden! Er spricht zu dem Petrus: Komm her!

Petrus trat aus dem Schiffe, und ging auf dem Wasser, daß er zu Jesu käme. Unbeschreibliche Freude, daß ihm eben das gelingt, was er in seinem Herrn angestaunet hatte! Unbeschreibliche Freude für denjenigen, der sich zur Nachfolge Jesu Christi entschloß, daß er durch seine Begeisterung emporgetragen wird über den irdischen Dingen, daß er sich gleichsam entbunden. fühlt von den Gesetzen der Schwere, welche alles Uebrige niederzieht in die Wogen der Welt; daß sein Wandel nicht mehr auf Erden, sondern jetzt schon im Himmel ist! Solche Entzückungen gewährt die göttliche Gnade den aufrichtigen und feurigen Gemüthern, welche den Weg des Heiles betreten haben; die ersten Schritte werden ihnen leicht; die ersten Zeiten nach der Bekehrung sind gewöhnlich unaussprechlich frohe und glückliche Zeiten. - Sie müssen aufhören; die heilige Freude, die den Christen erfüllt, und die ein stolzes Selbstgefühl in ihm erregen könnte, muß gedämpft werden. Petrus sahe einen starken Wind, da erschrak er, und hob an zu sinken. Daß sich ein neuer Sturm erheben, und die Wellen gegen ihn führen würde, das hatte er nicht gedacht, das war ihm ganz unerwartet. Da es nun dennoch geschieht, erschrickt er, und in seiner Verwirrung, wo er mehr auf den Sturm und auf die Wellen, als auf Christum sieht, fängt er an zu sinken. Auch du hattest geglaubt, begnadigte Seele, es hätten nun alle Versuchungen für dich aufgehört, oder die, welche sich zeigten, würden dir nur Gelegenheit geben, eine glänzende Vollkommenheit zu entwickeln. Aber siehe, da erhebt sich ein Sturm! Käme, er von Außen, wäre es eine Anfechtung, welche das freimüthige Bekenntniß des Glaubens dir zuzog, einer solchen würdest du dich freuen. Aber sie geht aus deinem eigenen Innern hervor; Leidenschaften, die du längst besiegt glaubtest, regen sich und zeigen, daß sie immer noch vorhanden sind. - Die äußern Prüfungen, die hinzukommen, sind von der Art, wie sie nur für die gewöhnlichen sündlichen Weltmenschen einzutreten pflegen, wie du sie für dich niemals erwartet hättest. Du wirst irre an dir selbst, an dem Herrn und an seiner Gnade, und weil dein Vertrauen zu ihm geringer ist, als deine Furcht vor der Versuchung, fängst du an, der Versuchung nachzugeben. Petrus erschrak, und hob an zu sinken; aber zugleich schrie er und sprach: Herr, hilf mir! Auch du sankest, und bist in dieser Versuchung wohl nicht rein von aller Sünde geblieben. Da verschwand es, das stolze Selbstgefühl, das auch den Frommsten beschleicht; da erkanntest du, daß die göttliche Gnade uns nicht auf einmal das nöthige Maß der Kraft für den ganzen Lebensweg verleiht, sondern, daß sie in jedem einzelnen Falle, in jedem Augenblick immer aufs Neue angefleht werden muß! Da riefst du: Herr, hilf mir! - Jesus aber reckte bald die Hand aus, ergriff den Petrus, und sprach zu ihm: O du Kleingläubiger, warum Zweifeltest du! So ergriff der Herr auch dich mit seiner gewaltigen Hand; und er, welcher dich von den Strafen der Sünde befreiet hatte, rettete dich von der Sünde selbst, in welche zu versinken du Gefahr liefest.

Und hier spricht vielleicht Jemand unter Euch: Ich muß es bekennen, mehr als an dem Petrus, mehr als an denen, die ihm ähnlich sind, hat der Herr an mir gethan. Denn ich gehörte ihm nicht, ich suchte ihn nicht, ich wollte nicht zu ihm kommen. Ich suchte nur das, worauf meine Neigung gerichtet war, und indem ich es zu erlangen strebte, ging ich nicht auf festem Boden, sondern wagte mich hinaus auf ein schwankendes, untreues Element. Schon öffnete es sich, um mich zu verschlingen, schon zogen mich Mächte der Finsterniß; schon sank ich - o gefahrvolles Sinken, wo man nicht weiß, daß man zu Grunde geht, wo man nicht einmal wünscht, gerettet zu werden! Und dennoch - ungerufen, ungebeten - kam der Herr, und rettete mich, und stellte mich auf einen sichern Felsen, und gab mir, als er mich schon der Gefahr entrückt hatte, das Gefühl, wie entsetzlich sie gewesen. -

Nun, meine Brüder, so preiset ihn denn alle; Ihr, für die er gestorben ist; Ihr, die er vor, die er nach der Bekehrung errettet hat; preiset ihn als den Erretter aus der Noth der Sünde.

II.

Zweitens sollen wir ihn aber auch preisen als den Erretter aus der Noth der Trübsal, denn auch dies liegt in der Erzählung unsers Textes, auf deren Anfang wir wiederum zurückgehen. Schon war das Schiff, welches die Jünger trug, mitten auf dem Meere, und litt Noth von den Wellen, denn der Wind war ihnen entgegen. Christus befand sich nicht in ihrer Mitte; er war auf dem Ufer zurückgeblieben, und nachdem er das Volk von sich gelassen hatte, war er auf einen Berg gestiegen, um allein zu sein und zu beten. Aber hatte er wohl seine Jünger aus den Augen verloren? Nein, von der Höhe des Berges folgten ihnen seine Blicke; und alles, was sie betraf, das wußte er, daran nahm er Theil, als wäre er leiblich zugegen. - Auch wir schiffen auf einem Meere, wo bald günstige Winde unsern Lauf beschleunigen, bald auch Stürme sich erheben, die uns zurückhalten, uns auf Untiefen und Klippen werfen. Schneller, als die Veränderungen auf dem Wasser, ist der Wechsel des Glückes auf der Erde. An dem einem Tage gelingt Alles nach Wunsch, an dem andern kommt man mit der größten Anstrengung nicht aus der Stelle; an dem einem sind Umstände und Menschen uns gewogen; an dem andern findet man in ihnen eine Feindliche, widerstrebende Gewalt. Dies Alles sieht von der Höhe des Berges, wo er mit seinem Vater allein ist - nein von der Höhe des Himmels, wo er zur Rechten seines Vaters sitzt, dies Alles weiß der Herr; ja, dies Alles hat er von Ewigkeit gewußt und geordnet, und mit teilnehmender Regung seines göttlichen Herzens begleitet er sowohl die Freuden, die er uns schenkt, als die Beschwerden, die er uns auferlegt.

Doch dieser so gewöhnliche Wechsel kleiner Freuden und kleiner Beschwerden, soll durch ein großes, anhaltendes Leiden, oder wenigstens durch die Furcht vor demselben unterbrochen werden. In der vierten Nachtwache, bei ungewisser Dämmerung sehen wir, wie es daher schreitet und uns näher und näher, kommt. Näher und näher kommt der Augenblick, wo wir vielleicht die Nachricht empfangen werden, daß ein Schlag. unser Lebensglück getroffen hat, von welchem es sich nie mehr erholen kann. Näher und näher der Augenblick, wo wir erkennen werden, daß unser Ringen gegen Menschen und Umstände vergeblich ist, und daß wir unterliegen müssen. Näher und näher der Augenblick, wo das geliebte Leben, für welches wir so lange gezittert haben, ein Raub des Todes wird. Und was ist es denn eigentlich, das in dieser Entscheidung uns naht; welches ist die Ursach, die Kraft, auf welche wir sie zurückführen sollen? Es ist ein Gespenst! rufen einige. Es ist eine Macht, in welcher kein Bewußtsein und keine Erkenntniß wohnt, weder von ihr selbst, noch von uns; die mit blinder, unbeugsamer Nothwendigkeit das herbeiführt, was sich aus den starren Gesetzen der Dinge entwickelt; die gleich eisern und gefühllos uns zu dem Gipfel des Glückes erhebt und in die Tiefen des Elends hinabstürzt; die weder bei dem einen, noch bei dem andern, sich unser Heil zum Ziele gesetzt hat, sondern die es thut, sie weiß selbst nicht warum; die es nur thut, um es zu thun. - Es ist ein Gespenst, riefen die Jünger, und schrieen vor Furcht; denn wahrlich, hier bleibt nichts, übrig, als zu schreien und zu zittern; oder - was noch schlimmer ist - sich der, vermeinten Notwendigkeit mit finsterm Trotz gegenüber zu stellen.

Aber alsobald redete Jesus mit ihnen und sprach Seid getrost, ich bin es; fürchtet euch nicht! - Es ist kein Gespenst, es ist keine eiserne Nothwendigkeit, es ist Christus selbst, der in der herannahenden Entscheidung uns naht. Eben die Liebe, die ihn drang, vom Himmel herab zu kommen und am Kreuze für uns zu sterben, die drängt ihn auch jetzt, zu uns zu kommen und uns beizustehen. Unser Schicksal liegt in seiner Hand; was daraus hervorgehen wird, wissen wir nicht; indeß wissen wir dies Eine: Er ist bei uns; was kümmert uns alles andere? Er wird unser Herz stärken, daß wir die Prüfung ertragen, ja daß sie uns zum Heile diene, sie möge nun mit unserer Rettung oder mit unserm leiblichen Untergang enden. - Seid getrost, ich bin es; fürchtet euch nicht! - O hörtet ihr doch immer diese Stimme, meine Brüder! Arme, unglückliche Menschen! denen der Unglaube die Ohren verschließt, die Augen blendet, und die ein furchtbares Gespenst sehen, da sie doch - Christum sehen könnten! Arme, gläubige, aber schwachgläubige Menschen, die im Glücke so viel von der Gnade des Herrn zu erzählen wußten, und denen nun der Kummer das Vertrauen entzieht, daß auch sie anfangen, Gespenster zu sehen! Der Herr klopft an ihre Thür, doch sie vernehmen seine Stimme nicht.

Aber hier ist einer, der sie vernimmt, der mit dem Petrus in der Gluth seiner Begeisterung ausruft: Herr, bist du es, so heiße mich zu dir kommen auf dem Wasser! So fühle ich mich gestärkt durch deine Stimme und durch deine Gegenwart, daß ich nicht nur das, was du den Mehresten auferlegst, die gewöhnlichen Leiden des Lebens gern ertrage; sondern, daß ich auch noch größere Lasten zu übernehmen, noch in größere Gefahren mich zu stürzen bereit bin. Ja, Herr, stelle mich auf eine schwindlige Höhe, führe mich über Klippen und Abgründe, laß mich wandeln auf einem Wege, den noch Keiner gewandelt ist, - ich bin entschlossen, ihn zu gehen, wenn ich auf demselben nur zu dir gelangen, nur deiner Ehre dienen kann. - Schwerlich sind wohl solche Wünsche ganz das Werk der Gnade, aber sie sind auch nicht ganz das Werk der Natur; es ist etwas darin, das der Herr mißbilliget; es ist etwas darin, das ihm gefällt; er gewährt sie, damit die Gesinnung, aus welcher sie entsprangen, durch Erfahrung geläutert werde; er spricht zu dem Petrus: Komm her! Schnell wird nun der seltsame, ungewohnte, gefahrvolle Gang angetreten; die Begeisterung trägt empor über die Fluthen; die ersten Schwierigkeiten werden mit einem glücklichen Ungestüm besiegt, um so leichter besiegt, da man sie noch nicht in ihrer ganzen Furchtbarkeit und Größe kennt; von dem Angesichte Jesu Christi strahlt ein Glanz durch die Nacht und flößet Muth in das Herz. Aber dieser Schein verdunkelt sich, die Begeisterung schwindet, das Herz ermattet; man fängt an mit Nüchternheit die Umstände, worein man versetzt ward, zu beurtheilen und zu prüfen. Wie so. tief, so entsetzlich, so dunkel sind die Abgründe, die unter den Füßen sich öffnen! Bei dem geringsten Anstoß würde man hinein fallen! Da erhebt sich der Wind; da thürmen sich die Wellen! Ja nun ist alles verloren, man muß es aufgeben, man wird es nicht vollbringen können! So zitterte Petrus, als er auf dem Wasser ging; solche Augenblicke der Unentschlossenheit, des Zweifels, mögen auch für ihn, da er Jesum durch seinen Märtyrertod verherrlichen sollte, sie mögen für manche andere Glaubenshelden in ihren höchsten und schwersten Prüfungen gekommen sein. Aber mit der Angst, die sie ergriff, flammte auch der Glaube mächtiger auf, so daß sie riefen: Herr, hilf mir! Der Herr, der ihnen stets nahe war, ergriff sie mit seiner mächtigen Hand, und stärkte sie durch seine Gnade, daß sie bis ans Ende erdulden konnten, was er ihnen zu ihrer Prüfung und zu seiner Ehre auferlegt hatte.

Doch warum denken wir uns solche seltene außerordentliche Fälle? Laßt uns lieber die Belehrungen unsers Textes auf die ganz gewöhnlichen Leiden anwenden, mit denen wir täglich zu kämpfen haben. Zuweilen ist unser Herz so erfüllt, so gehoben durch die Verheißungen des göttlichen Wortes, daß wir den Widerwärtigkeiten einen festen Muth entgegensetzen, und daß die Hoffnung eines günstigen Ausganges uns nicht verläßt. Aber oft auch beschleicht uns eine des Christen unwürdige Verzagtheit. Alles, was wir von der Gnade des Herrn, von der Kraft des Gebets gehört und geglaubt und durch eigene Erfahrung bestätigt gefunden haben, das wird aufs Neue von uns in Frage gestellt und bezweifelt. Warum sollte mir gerade Hülfe zu Theil werden; - hat nicht mancher vergeblich darauf gewartet? Warum sollte gerade mein Gebet Erhörung finden; - ist nicht das Flehen so manches frommen Christen unerfüllt geblieben? Ja, ich muß die Hoffnung aufgeben: diese Krankheit ist tödtlich; diese Verwirrung, worein meine Angelegenheiten gerathen sind, ist unauflöslich; diese Mächte der Finsterniß, die sich über meine Umgebungen gelegt hat, ist unbesiegbar. Ich werde mit den Meinigen zu Grunde gehen. - Und wenn du in der That zu Grunde gingest, wäre es nicht die verdiente Strafe deiner Verzagtheit? Siehe, du fängst schon an zu sinken, aber das kommt daher, weil du nicht glaubst und nicht betest. Der Sturm wird noch stärker; die Schläge werden gewaltiger und folgen schneller auf einander: das soll dich aufschrecken aus deiner Trägheit; das soll deine Drangsale auf die Spitze treiben, um dich zu überführen, daß keine so groß sind, woraus der Herr nicht erretten könnte. Endlich erwacht der Glaube, endlich rufst du: Herr, hilf mir! Klammerst dich krampfhaft an seine Hand, die er dir durch Sturm und Ungewitter reichet: und siehe! nun zieht er dich empor: nun bist du gerettet. - Jetzt aber, was geziemt dir? - Ihm zu danken, und ihm zu vertrauen in Zukunft als dem Erretter aus aller Trübsal. Denn die mit Schiffen auf dem Meere fuhren, die des Herrn Werke erfahren haben, und seine Wunder im Meere, wenn er sprach, und einen Sturmwind erregte, der die Wellen erhob, und sie in den Himmel fuhren, und in den Abgrund fuhren, daß ihre Seele vor Angst verzagtes und sie zum Herrn schrieen in ihrer Noth, und er sie aus ihren Aengsten führete, und stillte das Ungewitter, daß die Wellen sich legten, und sie froh wurden, daß es stille geworden war, und er sie zu Lande brachte nach ihrem Wunsch: die sollen dem Herrn danken um seine Güte, und um seine Wunder, die er an den Menschenkindern thut.

III.

Drittens wird unser Evangelium, dessen Sinn wir noch nicht erschöpft haben, auch überhaupt nicht erschöpfen können, uns zeigen, wie uns Christus aus der Todesnoth errettet. - Wir haben nun schon lange auf dem Meere des Lebens geschifft; mannigfaltig und verschieden sind unsere Schicksale, unsere Erfahrungen gewesen; bald heiterer Himmel und Sonnenschein, und dann Ungewitter und Sturm. Aber das Schiff ist noch unversehrt; unsere Lust an der Fahrt hat nicht abgenommen, und es scheint auch, diese werde nicht sobald ein Ende finden, da, so weit die Augen reichen, noch kein Ufer sich zeigt. - Aber siehe, da wandelt eine Gestalt neben dem Schiffe; wohin es sich auch wende, immer ist sie da; sie hat etwas Unheimliches, wovor uns bange wird. Sie ist groß und erhaben, und ein Schimmer geht von ihr aus, der aber durch die Wolken, welche sie vom Haupt bis zu den Füßen umhüllen, gedämpft wird. Sie nahet dem Schiffe, sie winkt; da steigt Einer hinaus, denn es ist unmöglich, dem Winke nicht zu folgen - wir begleiten ihn eine Zeitlang mit unsern Augen, aber dann ist er plötzlich im Dunkel verschwunden. Noch Einer - so werden wir ja bald alle, welche mit uns die Fahrt begonnen hatten, verlieren! Dann wird die Reihe auch an uns kommen, er wird auch uns winken - wer wird uns winken? Nun wer anders, als der Tod! Und was ist der Tod? Ein Gespenst! Sie sprachen: es ist ein Gespenst, und schrieen vor Furcht.

In der That denken die Menschen unter dem Tode sich etwas Gespenstisches. Wie sollten sie nicht? Sie verweilen ja nur bei den Erscheinungen, welche das Auge wahrnehmen, welche der irdische Sinn sich vorstellen kann, bei diesem Erlöschen der Augen, diesem Ausbleiben des Athems, diesem Erstarren der Glieder, dieser eisigen Kälte, welche sie durchzieht, bei dieser traurigen Auflösung, wodurch das, was Erde war, wieder in Erde verwandelt wird, bei diesem .dunkeln Grabe, worein man es versenkt, bei den Schmerzen, welche in dem Sterbenden selbst dem Tode vorangehen, bei denen, welche er in den Hinterbliebenen erregt. In diesen Vorstellungen arbeitet die Einbildungskraft; sie schaffet daraus etwas Persönliches, eine Gestalt; und diese ist dann in der That etwas so Unheimliches, daß man es wohl für ein Gespenst halten, und aus Furcht davor aufschreien möchte.

Und alsobald redete Jesus mit ihnen, und sprach: Seid getrost, ich bin es, fürchtet euch nicht! Nicht ein Gespenst, nicht den Tod sollt ihr im Tode, ihr sollt mich selbst darin sehen. Seid ihr nicht. durch mich erschaffen? Wird euch nicht Athem und Leben durch mich erhalten? Bin ich euch nicht so nahe, daß ihr in mir lebet und webt? Bin ich es nicht, der ich bis hierher unter Sturm und Sonnenschein eure Fahrt gelenkt habe? Und nun, da sie aufhört, meintet ihr, daß ich fern von euch sein könnte? Nein, mein Wert, das Leib und Seele durch unsichtbare Bande verknöpfte, trennt sie auch wieder; meine Hand ist es, welche die, Seele aufnimmt, und sie schwebend erhält über dem Abgrund des Nichts, aus welchem ich sie hervorzog, und in den ich sie nicht zurück sinken lasse. Denn ich bin die Auferstehung und das Leben, ich bin der Feind des Todes, und überlasse ihm nichts von dem, was mir gehört! Alles bewahre ich, und führe es, auch wenn es zerstört scheinen sollte, einem höhern Leben entgegen. Alle, die in den Gräbern schlafen, werden meine Stimme hören, und daraus hervorgehen. Wenn ihr sie also jetzt vernehmet meine Stimme, wenn ich zu euch spreche: Kommt her, um euch aus dem irdischen Leben abzurufen: so ertöne sie euch sanft, wie die Stimme des Freundes, der den Freund, wie die Stimme des ältern Bruders, der den jüngern in das Haus des Vaters, wie die Stimme des Hirten, der das Schaaf in die sichere Hürde ruft: Seid getrost, ich bin es, fürchtet euch nicht!

Bist du es, o Herr, so rufet nun die gläubige Seele. O, wenn du es bist, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser. Diese Wogen, die vor mir brausen, schrecken mich nicht mehr; Sehnsucht hat die Furcht überwunden; ich habe Lust abzuscheiden und bei dir zu sein, was auch viel besser wäre. Wie lange habe ich nicht schon diese Meere durchfahren; wie lange, gleich einem Sklaven, angeschmiedet auf der Bank gesessen und das beschwerliche Ruder geführt! Es ist wohl Zeit einmal, daß die Arbeit aufhöre und daß die Ruhe beginne. Zu so manchem der mir theuer war, hast du schon gesprochen: Komm her! Sprich es nun auch zu mir. Denn ehe du es sprichst, o Gebieter über Leben und Tod, wagen sich nicht meine Füße, wagen sich nicht einmal meine Gedanken und Wünsche über den Bord, der mich tröget, hinaus. Hast du es aber gesprochen, so schreite ich mit leichtem Geistergang über die Wogen, in welche ich eben so wenig, als du selber, versinke, und komme zu dir!

So werdet Ihr nicht selten in frommer Begeisterung rufen, Ihr gläubigen Seelen. Doch nun ist der ersehnte, aber immer ernste und schauervolle Augenblick erschienen, nun spricht der Herr: Komm her! - Wird jetzt die Sehnsucht beim Herannahen der Erfüllung nicht erkalten? Wird der Muth und der Glaube, zumal wenn der Uebergang langsam ist vom Leben zum Tode, nicht erschüttert werden? Wird nicht ein Sturm sich erheben, ein Sturm angstvoller, trostloser Gedanken, die das Versinken in die Untiefen der Unseligkeit als etwas Mögliches darstellen? Keiner wage zu behaupten, daß ihm dies nicht begegnen könne. Keiner wage, einem Andern, dem es widerfuhr, deshalb den Glauben abzusprechen.

Der vollkommene Glaube müßte freilich alle Schrecken des Todes überwinden - aber bei wem ist er vollkommen? Und daß er gerade in jenen Augenblicken seine ganze Kraft beweise, das ist immer nur ein Geschenk der Gnade, die es gewähren, aber auch versagen kann. Wir wollen sie darum bitten, wir wollen täglich unsern Glauben beleben. Sollte er jedoch angefochten werden, sollte die Menge unserer Sünden und die Furchtbarkeit des Gerichts uns erschrecken - wir wollen wenigstens nicht vor unserm Schrecken erschrecken; wir wollen zum Herrn sprechen: Sieh, o Herr, was deinem Petrus begegnete, das begegnet auch mir. Aber wie er, rufe ich dich an in meiner Noth; wie ihn, wirst du auch mich aus den Wassern hervorziehen, und meine ganze Strafe wird ein liebreicher Vorwurf sein.

In der That, meine Brüder, wie demjenigen, welcher untertaucht, der Anblick des Himmels und der Erde entzogen wird, bis er ihn beim Auftauchen wiederfindet - so möchte es auch wohl jedem Sterbenden ergehen. Es ist ihm, als führe er hinab in eine Fluth, wo er nichts mehr sieht und erkennt; mit dem bewußtlosen Trieb des Glaubens ergreift er die Hand, welche Christus ihm reicht. Er wird durch sie hervorgezogen, steht auf einer neuen Erde, und stehet einen neuen Himmel über sich.

Habt Ihr jetzt nicht, meine Brüder, das was ich zu Anfang sagte, bestätigt gefunden: daß nämlich dies Evangelium die Versicherung der göttlichen Gnade nach allen Richtungen ausstrahlt? Hat Euch nicht unsere Betrachtung gezeigt, daß es keinen bangen, angstvollen Augenblick giebt, von welcher Art er auch sein mag, in welchem sich nicht aus dieser Erzählung Trost schöpfen ließe? Sind Euch nicht, während ich sprach, manche solcher Augenblicke aus euern frühern Jahren vor die Seele getreten? Habt Ihr nicht zu Euch selber gesagt: Wahrlich, so ist es auch mir ergangen. Ich schwebte in Noth und Gefahr; ich zitterte, ich Zweifelte, ich sank - ich betete - und der Herr hat mir geholfen. Werdet Ihr nicht alle sprechen: Der glänzendste Beweis dieser errettenden, göttlichen Gnade ist uns doch an den Tagen gegeben worden, die jetzt eben wiederkehren; an diesen Tagen, wo durch jene unsterblichen Siege das Schicksal unsers Volkes so günstig entschieden, sein Heil aufs Neue so sicher begründet ward? Diese gewaltige Hand, deren Schutz wir damals erfuhren, wolle der Herr stets segnend über unser Volk und das Hans unsers Königs ausgestreckt halten! Zwar bei dem allgemeinen Gedeihen können doch dem Einzelnen bange Augenblicke bevorstehen; und einen bangen Augenblick, den des Todes, haben wir alle zu erwarten. - O, wenn Ihr sonst in diesen Augenblicken zittertet, Euch verlassen wähntet, und auch wohl zu beten vergaßet: möchte die heutige Betrachtung Euch lehren, nicht mehr zu fürchten, sondern die Nähe des Herrn zu fühlen und mit Gebet zu ihm jeden gefahrvollen Wandel anzutreten. Dann werden alle Wasser sich unter Euch befestigen, alle Wellen sich legen, und ohne zu sinken werdet Ihr euern Wandel zu dem Herrn vollbringen. Du aber, o Herr, stärke uns den Glauben! Stärke ihn uns vornehmlich in dem Augenblick, wo wir in die Fluthen des Todes sinken, daß wir nicht fürchten, darin unterzugehen, sondern hoffen, nach kurzem Dunkel zum Lichte des ewigen Lebens zu gelangen. Ergreife uns denn mit deiner starken Hand, und führe uns in den sichern Hafen, wo alle Stürme schweigen, und wo alle Schaaren der Erlöseten dich, als ihren alleinigen Erretter, ewiglich preisen! Amen.

http://glaubensstimme.de/doku.php?id=verzeichnisse:quellen:karlshuld

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/theremin/theremin_christus_und_petrus_auf_dem_meere.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain