Tersteegen, Gerhard - Schädlichkeit des Vorwitzes, wie auch der Anmaßung bei tröstlichen Gnaden-Gaben

Tersteegen, Gerhard - Schädlichkeit des Vorwitzes, wie auch der Anmaßung bei tröstlichen Gnaden-Gaben

Vor zwei Dingen müssen wir uns besonders in acht nehmen in unserer inwendigen Übung.

1. Das erste ist, daß wir nicht vermessen und vorwitzig Gott und dessen verborgene Werke erforschen sollen; daß wir auch nicht begehren, diese oder jene hohen Dinge zu wissen, oder daß Gott uns ein oder anderes offenbaren möge, worin doch keine Heiligkeit liegt, sondern wir sollen ganz einfältig in uns selber in der Gegenwart Gottes bleiben, nichts beäugend, als daß wir nur Gott einfältig, und uns selbst gründlich erkennen mögen; denn das ist besser, als den ganzen Lauf des Himmels und aller Pflanzen Kräfte wissen.

2. Das andere ist, daß, wenn etwa Gott uns würdigt, eine besondere Gnade uns einzugießen, oder daß er uns inwendig von seiner Gutheit etwas zu erkennen gibt, oder daß er sonst was merklich wirket, wir uns dessen nicht annehmen, uns erheben und uns einbilden, als wenn wir nun etwas wären, da wir doch in Wahrheit nichts sind. In unserm Grunde muß es immer so liegen, daß wir sagen:

O gebenedeiter Gott, wer bist du? und wer bin ich? Du eine unergründliche Gutheit, und ich eine unergründliche Bosheit. Die Gnade aber, die du mir jetzt mitteilst, bewahre du, Herr, in mir, und mache sie fruchtbar durch mich. Denn was nützen die Blumen, wenn nicht die Frucht darauf folgt? Damit du mögest geehret, mein Nächster erbaut und deine gebenedeite Gottheit in mir zu sein, Vergnügen haben möge.

3. Um bei Mitteilung der Süßigkeiten der Gnade nicht betrogen zu werden, sollen wir drei Stücke in acht nehmen:

I. Daß wir diese nicht begehren; II. daß wir ihnen nicht widerstehen; III. daß wir uns nicht betrüben, wenn wir solche nicht haben. Damit wir uns aber gebührend verhalten bei dem Einwirken Gottes, und in Ansehung seiner Gnaden=Gaben, so müssen wir uns inwendig und auswendig bloß und einfältig halten. Merken wir aber, daß Gott in uns wirken will, dann sollen wir unser eigenes Wirken lassen und inwendig leben und bleiben und schweigen und hören, was der Herr in uns redet. Denn er redet das verborgene Wort, wovon die Seele bebt und zerschmilzt. Sie wird bebend, wenn er sie bestraft und ermahnt; sie zerschmilzt aber, wenn er mit aller seiner lieblichen Gnade und Reichtum in sie kommt und übergibt sich ihr, daß er in ihr wohne und sein Abendmahl mit ihr halte.

4. Da wird dann der Geist trunken, verschlungen und umarmt in seiner Liebe, und die Seele zerschmilzt wie Wachs, daß Gott ihr eindrücken und mit ihr machen kann, was er will.

Denn in ihr ist nichts mehr, das widerstehet - das .Herz wird ganz brunstig und vor Freude hupfend. Da übergibt sie sich ganz mit Leib und mit Seele, und Gott verändert sie so, wie ein Eisen im Feuer durchglüht und verändert wird.

5. In dergleichen Versuchungen und Tröstungen Gottes wird die Seele sehr gestärkt und gefördert, wo sie nur nicht ihre eigene Lust und Vergnügen darin sucht, auch sich nicht betrübt, wenn sie dergleichen nicht hat, sondern gleichmäßig friedsam, frei und fleißig bleibt. Denn die Heiligkeit besteht nicht in süßen Mitteilungen, als nur so weit sie die Seele wirksam machen zum Guten. Gleichmütigkeit aber ist Heiligkeit, daß man nämlich jederzeit so bereit und fröhlich sei, Gott zu ; dienen in Widerwärtigkeit als im Wohlstand. Nein, die Seele muß ihr Vergnügen nicht setzen in ihren eigenen Schmuck, in Gaben und Tugenden, inwendig oder auswendig, sondern nur darin, daß Gott Vergnügen, Freude und Friede in ihr haben möge. Auch muß sie nicht wollen Gottes Werk begreifen, sondern sich gern von Gott begreifen lassen. Denn sonst machen wir's wie der Pfau, der seine Federn vor Stolz weit ausbreitet, doch aber betrübt wird, wenn er seine Füße ansieht. So machts der Mensch, der seinen Verstand zu weit ausbreitet, und von der Einfalt abirrt, worin der göttliche Spiegel einscheint als in das Bild der Seele (worin man alle Dinge einfältig erkennt), welches durch das eigene Besehen verfinstert wird. Wenn dann die Seelen solches in ihnen selbst merken, dann werden sie traurig, finster, ja kommen in Angst und Versuchung.

6. Man setzt manchmal in dergleichen Empfindungen eine große Heiligkeit, ist doch oft nur Unordnung und Natur; wenn nämlich die Seelen dergleichen nur nach Lust der Natur brauchen, und so heißhungrig und durstig dabei sind, daß sie sich , selbst nicht regieren können.

Damit wir nun vor dergleichen schädlichen Gebrechen mögen bewahrt bleiben, so müssen wir uns nicht so darüber verwundern, sondern aufhören mit aller eigenen Wirksamkeit, einfältig ruhen, und uns von dem Geiste Gottes regieren lassen. Dann bleiben wir ohne Schaden, und auch imstande, andern dienen zu können, und führen sodann ein beschauliches und wirksames Leben zugleich, wie auch Christus und seine liebsten Freunde getan haben.

Inwendig aber sollen wir denken: O gebenedeiter Gott, ich bin's ja nicht wert, daß du mein Herz dergestalt belehrest; doch gönne ich's dir, daß du dich also mit mir ergötzst, so oft als es dir beliebt. Denn du machst es wie die großen Herren, du willst kommen und weggehen nach deinem Belieben.

7. Zwar ist Gott immer in dem Geist da, er kommt aber mit seinen Erquickungen nicht stets herab in die Seele, als wenn es ihm gefällt. Die Seele muß ihn inzwischen nicht lieben seiner Gaben, sondern seiner selbst wegen und nichts begehren, weder Lohn noch Versicherung noch Briefe noch Ehre, Gesichte, Träume, Tröstungen, sondern Gott allein, der über alles begehrenswert und vergnügend ist. Darum richtet sie ihre Wohnung auf im Dunkeln und ruht unter dem Schatten des Höchsten, woselbst sie wunderbar geheime Freundschaft mit Gott findet, über alle Wollust, Reichtum und Begriff des Verstandes, denn da wird sie ein Geist mit Gott.

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