Tauler, Johannes - Medulla Animae - Fünftes Kapitel. Gewisse Hindernisse und einige Beförderungsmittel der Vollkommenheit.

Tauler, Johannes - Medulla Animae - Fünftes Kapitel. Gewisse Hindernisse und einige Beförderungsmittel der Vollkommenheit.

Das erste Hindernis gegen Gott und Seine Gnade in uns ist die ungeordnete noch nicht besiegte Natur, die mit regelloser Lust und Liebe an den Geschöpfen haftet. Auf Menschen dieser Art wirken die zeitlichen und zufälligen Dinge gewaltsam ein; jetzt lieben sie, bald verabscheuen sie; da ist keine Ruhe, da ist stete Bewegung; Gottes Liebe kann in ihnen nicht Wurzel fassen, sie verlieren sie vielmehr, und bleiben gebrechliche, sündliche, unerstorbene Menschen.

Die Eigenliebe, der Eigenwille, der Eigensinn, das Suchen seiner selbst ist das zweite Hindernis der Vollkommenheit; wo diese sind, da ist nicht Friede, nicht Ruhe; da ist Zerstreuung des Herzens, da ist Zwiespalt und Unfriede. Denn wer Gott nicht über alle Dinge und mehr als sich selbst sucht und liebt, der wird weder um die Ehre Gottes, noch um die Tugend, noch um Gott Selbst sich viele Sorge machen; sein Ich, sein Vorteil, seine Ehre, seine Lust ist sein Gott, und der Gegenstand seiner Sorge; die Versuchung in vielseitiger Gestalt überfällt ihn, der Irrtum mischt sich allenthalben ein, und seine Niederlage ist entschieden.

Das dritte Hindernis ist unser leichtfertiges Außensein, unser Herumtreiben in Gesellschaften, unser unnützes und zweckloses Schwätzen, unser unberufenes Einmischen in allerlei Dinge; sollten wir da den vertrauten Umgang und die Süßigkeit des Herrn nicht verlieren?

Unsere Heftigkeit, unser unüberlegtes vorschnelles Wesen, unsere Kühnheit, die unserem inneren Auge den kleinen Fehler entrückt, uns dafür gleichgültig macht, und uns so die Reinheit des Herzens, den Frieden der Seele raubt, ist das vierte Hindernis.

Als das fünfte dürfen wir jenes eitle Wohlgefallen an uns selbst und an unsern vermeinten guten Werken, die doch keineswegs unser, sondern des Herrn sind, betrachten; wir freuen und rühmen uns unserer Taten, und unser hoffärtiges Herz wünscht und sucht Bewunderung von andern; da muss ja wohl die Demut zu Grund gehen, und der Herr wird das stolze Herz verlassen und Sich ihm entziehen.

Unser vorschnelles kühnes Aburteilen über das, was wir sehen und hören, unser böser schändlicher Argwohn, unsere Missgunst ist das sechste Hindernis, das uns alle brüderliche Liebe raubt.

Unsere Trägheit und Kälte im Gebete raubt uns, als das siebte Hindernis, alles Sehnen, alles liebende Verlangen nach Gott.

Die Unachtsamkeit auf uns selbst, auf unser Inneres, auf den Grund von innen, ist das achte Hindernis; wir entsprechen den guten Einsprechungen Gottes nicht durch Verleugnung unserer selbst, wir merken nicht auf den in uns gegenwärtigen und in uns sprechenden Gott, mit lebendiger Begierde Seines Wortes an uns, und weil wir unser Gemüt von dem einfachen und klaren Licht in uns ab- und auf das Mannigfaltige nach außen hin wenden, so verhindern wir die göttliche Erleuchtung, bleiben uns selbst unbekannt, sind im Gemüt zerstreut, unstet und unersättlich in den Sinnen.

Neuntens, wir wirken nicht sowohl aus innerem Trieb, als aus Gewohnheit; wir halten mehr auf gewisse Weisen und Einrichtungen, sehen mehr auf die Größe und Verschiedenheit unserer guten Werke, als auf die reine Meinung und innige Liebe zu Gott; darum erfahren wir auch nicht, und werden nicht inne des in uns mit der Fülle Seiner Gnaden lebenden Gottes.

Endlich, dass wir das, was wir von Gott allein empfangen sollten, von den Kreaturen, gleichsam als wären es ihre, nicht Gottes Gaben, annehmen, und des Herrn vergessen, uns quälen und ängstigen, was und wie wir es erhalten können, und nicht auf den Herrn wahrhaft vertrauen, das ist das zehnte Hindernis, welches uns nie zur wahren Gemütsruhe und zur echten Gelassenheit an Ihn gelangen lässt.

Zur Beförderung der Vollkommenheit, und als Gegenmittel der erstgenannten Hindernisse des Fortschreitens im Guten, dienen uns sieben andere Punkte, welche, wenn wir sie im Leben und durch Übung erreichen, uns höchst nützlich und förderlich sein werden.

Das erste ist die reine Meinung zu Gott in allen Dingen, stete Selbstverleugnung und Tötung der Eigenliebe.

Das zweite, wenn wir Alles zum Besten deuten, und alles, was wir sehen oder hören, als Beförderungsmittel unserer Seligkeit gebrauchen.

Drittens, soll uns eine allgemeine Liebe gegen alle Menschen beseelen, sie alle, wie jeden einzelnen, müssen wir wie unsere Brüder lieben, und von dem Abwesenden nichts anderes reden, als was wir in seiner Gegenwart von und über ihn sprechen würden.

Viertens, sollen wir alles, was wir erhalten, als von der Hand Gottes selbst gegeben, empfangen und annehmen, uns Ihm samt allen Geschaffenen aufopfern, und alles als ein ewiges Opfer zu Seiner Verherrlichung Ihm darbringen; so stehen wir im Bund mit Ihm, er mit uns, wir mit und in Ihm, und wir werden Ruhe finden und Friede in allen Dingen.

Fünftens, wir sollen mit Allem, was der Herr über uns verhängt und ordnet, zufrieden sein, so, dass wir weder über Ihn noch über Menschen Klage führen, als sei uns zu viel oder zu wenig geschehen, sondern mit Allem zufrieden, ohne eigenes Wählen und Wollen großmütig ausdauern, so wird auch hier uns Friede werden und Freude.

Sechstens, soll unser Inneres so geordnet sein, dass wir ganz und in allen Dingen Gottes, und Er hinwieder uns Alles in Allem sei, wir Ihn in allem Geschaffenen, und dieses zusammen wieder in Gott finden, erkennen und lieben, und dieses geschaffene All in seiner wahren und erhabensten Ansicht als einen Strom der Allmacht und Liebe, urspringend aus dem Gott der Liebe, betrachten.

Siebentens, unser Gemüt soll rein und lauter, ledig und unwandelbar, erhaben über alles Vergängliche in Gott sein und bleiben, in uns selbst wohnend, und lebend in Einheit, innig und eifrig in unsern Übungen, anhangend dem Allmächtigen mit aller Liebe und allen Kräften des Gemüts, und so ein Vorbild werden allen Menschen in der Tugend und einem heiligen Wandel, dass wir sie alle durch unsere Worte, Werke, durch unsere Weise und Wandel zu Gott führen und leiten. Die Armut soll uns nicht Zwang, sie soll freier Wille sein; Geduld im Leiden, Selbstverleugnung, unmittelbarer Gehorsam gegen Gott; Feindesliebe darf dem wahren Tugendfreunde nie fehlen, denn dadurch muss und wird es sich vorzüglich zeigen, ob wahre Gottesliebe und echtes geistliches Leben in uns sei.

Damit wir aber zu den erstgemeldeten Tugenden desto besser und gewisser gelangen, und sie sicherer bewahren können, so sollen wir auch in folgenden Lehren uns üben:

Wir müssen öfters unser Herz mit heißem Gebet zu Gott erheben, um Seine göttliche Gnade und Hilfe zu erlangen, da wir ja aus uns selbst nichts Gutes vermögen. Haben wir uns vergessen, und sind auch nur in geringe Gebrechen und Fehler gefallen, so wollen wir unverzüglich mit herzlicher Reue in uns selbst ein- und zu Gott zurückkehren, mit dem ernstlichsten Vorsatz, Beichte und Buße zu verrichten, und uns möglichst zu bessern; überdies dem hochwürdigsten Geheimnis des Leidens und Todes des Herrn in der Messe mit innigstem Dank täglich beiwohnen; denn in diesem heiligsten Opfer erneuert sich uns täglich die unbegreifliche Liebe Gottes, nach welcher unser wahrhaft liebenswürdigster Herr Sich uns Armen gegeben und hinterlassen hat. Mit kräftiger Neigung und frommer reiner Meinung wollen wir das hochwürdige Sakrament alle Tage herzlich und im Geist zu empfangen begehren durch die Hände aller Priester, wo immer sie in der Welt dieses Heilige Geheimnis verrichten und austeilen, und solches mit den Priestern Gott dem himmlischen Vater sowohl für uns, als alle Menschen, Lebendige und Abgestorbene, aufopfern, das wird uns wohl sehr ersprießlich und heilsam sein; denn so empfangen wir geistlicher Weise den nämlichen Leib des Herrn von allen Priestern dies- und jenseits des Meeres, und vielleicht besser und kräftiger, als der Priester selbst. Wir sollen uns, besonders auf die heiligen Festtage, zur wirklichen Empfangung des Heiligen Sakramentes vorbereiten; sollte uns aber der wirkliche Genuss desselben nicht werden, so wollen wir in wahrer Gelassenheit zufrieden sein, und uns demütig in unsere Nichtigkeit zurückziehen, uns dennoch bereiten, es geistlicher Weise zu empfangen, damit wir der unermessenen Liebe Gottes wenigstens nach unserem geringen, jedoch besten Vermögen entgegenkommen.

Ferner sollen wir mit großer Begierde das Wort Gottes nach der allgemeinen Lehre der heiligen Kirche predigen und auslegen hören, und selbiges selbst lesen, mehr, um danach zu leben, als solches allein zu wissen; nach diesem sollen wir eine Weile in uns selbst bleiben, als wenn wir den heiligsten Leib des Herrn selbst empfangen hätten; - denn auch das Wort des Herrn ist die Speise der Seele, und diese Speise soll nun in uns wirken, und dann an solchen Tagen jede, auch sonst nicht sündliche Gesellschaft, die uns an erst genannten Tugenden dennoch hindern, oder uns in sonstige Fehler und Gebrechen hinleiten, und uns fahrlässig machen könnte, sorgsam und angelegentlich vermeiden.

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autoren/t/tauler/medulla_animae/tauler-medulla_animae_-_kapitel_5.txt · Zuletzt geändert: von aj
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