Tauler, Johannes - Medulla Animae - Drittes Kapitel. Von zwei Beweggründen unserer Werke, dem falschen und dem wahren, wie wir den ersten wohl erkennen und ihm entsagen sollen.

Tauler, Johannes - Medulla Animae - Drittes Kapitel. Von zwei Beweggründen unserer Werke, dem falschen und dem wahren, wie wir den ersten wohl erkennen und ihm entsagen sollen.

Weil alle guten und bösen Werke ihren Wert und Verdienst aus dem Grund, aus welchem sie entspringen, aus der Meinung und Liebe, mit welcher sie verrichtet werden, nehmen, auch unsere ganze Seligkeit an diesem guten Grund, an einem lauteren Suchen Gottes und einer seiner selbst verzichtleistenden Meinung gelegen ist (die jedoch nur wenige haben); dagegen die Sünde und alles Übel, auch die ewige Verwerfung aus einem bösen, falschen, sich selbst nur suchenden und bezweckenden Grund, aus einem ungelassenen Gemüte urständen: so wollen wir unter Gottes Beistand den Unterschied bezeichnen und angeben, wie wir einen von dem Anderen, den bösen und falschen von dem guten erkennen können.

Die ewige Wahrheit sagt1): „Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle, und ersterbe, so bleibts allein, stirbt es aber, so bringt es viele Frucht.“ Diese Wahrheit aus dem Mund der ewigen Wahrheit vorgetragen, lehrt uns in einem Bild aus der Natur genommen, dass, wenn wir immer an Tugenden fruchtbarer und vollkommener werden wollen, wir eben auch uns absterben müssen; denn wie das Weizenkorn, oder jeder andere Same, wenn er nicht zuvor sich selbst gänzlich entwird, und seiner gegenwärtigen Gestalt erstirbt, keine andere Form erhalten kann: eben so wenig können wir Jesu Christo eingepflanzt und mit Ihm vereinigt, mit Seinem Tugendschmuck umkleidet werden, wenn wir nicht alle unsere Gebrechen ablegen, denselben absterben, und auf Alles und Jedes verzichten, worin wir uns noch suchen, uns finden, lieben und meinen, es betreffe nun den Geist oder die Natur. Das wird aber nur der tun können, der die Dinge kennt, woran sein Herz noch klebt, dem das Hindernis bekannt ist, das sich störend zwischen Gott und ihm gestellt hat, was er denn nieder reißen und welchem er ersterben soll; denn nur Kenntnis unserer selbst zeigt uns die nötige Selbstverleugnung. Und weil, leider! in dieser wichtigen Sache so viele blind sind, und irre gehen, so will ich einigermaßen den Grund der Bosheit aufdecken, aus welchem diese Hindernisse zwischen Gott und dem Menschen entstehen; und diese Kenntnis ist uns wirklich nützlicher und heilsamer, als wenn wir die Weisheit der Engel und den Verstand aller Heiligen besäßen, diesen schlimmen Grund aber nicht kennen.

Dieser verderbte Grund ist ohne alle wahre Liebe; weder Gott liebt er noch den Menschen, er liebt nichts, als sich selbst; und obgleich er zuweilen den Schein annimmt, als liebe er Gott oder den Menschen: so ist dieser Schein nichts als eine ungeheure Lüge und Falschheit; traust du ihm, er wird dich betrügen, gibst du dich hin, er verderbt dich, er heuchelt dir Liebe, und er hat sie nur gegen sich. Er hält sich selbst für gut, und berühmt sich öfters seines Tuns und Lassens, besonders in solchen Dingen, die tugendlich und gut scheinen; er gibt dieselben als den höchsten Tugendruhm aus, - der blinde Lügner, der sich das zurechnet, was doch einzig Gottes und nicht des Menschen ist! und obgleich er im Grund die Tugend keineswegs liebt, so will er doch ihretwegen gelobt und geehrt sein. Seines Nächsten Gebrechen ahndet und tadelt er scharf, ja sogar fremde Tugend; er will nämlich nicht zugeben, dass jemand außer ihm gut und tugendhaft sei, ja nicht einmal sein könne, da das Gute und die Tugend zumal in ihm allein rein und vollkommen ist; dass er selbst noch, wie andere, gebrechlich und elend sei, das glaubt er nicht, noch weniger kann er es bekennen, er will und muss allemal Etwas sein, obgleich er mit dem Grund aller Bosheit beladen ist. Die Sünde ist ihm weder schwer noch groß, ihm ist sie gar nichts; das ist aber eben der offenbarste Beweis, wie entsetzlich er noch zurückstehe, wie er alles wahren Lichtes durchaus ermangele, wie ungeheuer blind er sei, da er nicht die Tugend, und nicht einmal die Sünde kennt. Ach! wüsste und erkennte er, dass die Sünde ein Abscheiden von Gott ist, ihm würde wohl das Herz brechen, ehe er sündigte!

Gewisse gute Werke, von welchen er voraussieht, dass sie ihm Ruhm und Achtung zuwege bringen möchten, unternimmt er ohne Mühe und Weigerung; sollte er aber das Nämliche einzig zur Ehre Gottes, ohne dass es irgendein Mensch wisse, verrichten, wie würde er über seine Schwäche und sein Unvermögen klagen! Dass aber, leider! der menschliche Wille so leicht von Liebe und Leid der vergänglichen Kreaturen, und der eitlen Zufälligkeit abhängt, und davon beweget wird, das kommt einzig aus dem falschen sich selbst suchenden Grund. Wer seine Werke hoch achtet, und aus einer kleinen Tugend ein großes Werk macht, der wird eben dadurch verblendet in seinem Verstand; er hält sich reich, und weiß nicht, „dass er arm, elend und erbärmlich ist2).“ Gut will er scheinen, der Elende, bei allem Bösen, das er getan hat und gar wohl weiß, er pocht darauf, dass man es ihm nicht öffentlich beweisen könne; wäre er nicht verblendet und böse, und hätte wirklich das Übel nicht getan, so würde er dessen doch nicht pochen, er würde vielmehr in Dank und Demut gegen Gott erkennen, dass nicht er und seine Kraft, sondern Gottes Gnade ihn behütet habe. Auch feige gegen andere sind dergleichen Menschen; sie erkühnen sich nicht, einen andern, wo es notwendig wäre, weder mit Worten noch mit der Tat anzugehen, und zurecht zu weisen, wohl wissend, dass man dem unlautern Mahner antworten, was er nicht gerne hören, ihm sagen, und die gegebene Zurechtweisung ihm zurückgeben würde.

Andere hingegen, im nämlichen Geistesübel befangen, meinen, sie könnten den fehlenden Nächsten nicht scharf genug behandeln, sie schützen die Ehre Gottes vor, und Seine Liebe, von der sie beseelt wären; erkennten sie indessen ihre eigenen Fehler und Schwächen, sie würden des Bruders Gebrechen, wären sie auch groß, gar leicht vergessen, ihrer selbst wahrnehmen, und sich zuvor viel lieber bessern. Wagst du es, sie zurecht zu weisen, dann wirst du der Entschuldigungen und der verteidigenden Gegenbeweise eine Menge hören; wie könnten sie sich zurecht weisen und demütigen lassen? sind Andere nicht auch gebrechlich, sind sie besser wie ich? was ich getan habe, und wessen du mich mahnst, habe ich aus guter Meinung getan, es war Übereilung, ich verstand es für den Augenblick nicht besser, es war eine Schwäche, kein böser Wille! - Denn einmal können sie es nicht ertragen, dass du ihren falschen Grund ihnen aufdeckst, und zeigst, wie sie von wahrer Demut und aufrichtiger Vernichtung ihrer selbst so sehr entfremdet seien, das ist ja Lob für sie, und sie fühlen ihn; scheinen wollen sie, den Schein lieben sie, der sie verherrlicht, anders lieben sie nichts; trägt Selbstanklage dazu bei, recht gerne tun sie das, damit es ja nur heiße: welche achtenswerte Leute sind sie, welche Demut haben sie! Versuche es, tadle du sie statt ihrer, dann erblicke den Hoffart im Zornfeuer; sie schmeicheln den Menschen, denn als Menschenfreunde wünschen sie gerühmt und bekannt zu werden; strafst du sie ihrer Fehler wegen, so klagen sie über großes Unrecht, das ihnen widerfahre, denn ihr falscher Grund soll nicht an Tag kommen; beleidigst du sie, oder reizt sie sonst, so stehen sie dir im wilden Zorn entgegen, und sind im Stande, augenblicklich aller empfangenen sowohl göttlichen als menschlichen Wohltaten zu vergessen; bemerken sie aber an einem andern ein ähnliches Betragen, so werfen sie sich sogleich als Tadler und schnelle Richter auf, gerade, als wenn sie selbst nicht im gleichen Übel steckten.

Dieser falsche und traurige Grund, obgleich oft und vielseitig unterdrückt, stirbt, leider! nicht ganz in dieser Zeit; denn wie viel auch der Mensch von sich selbst ausgeht, und seiner selbst verzichtet, so findet er doch wieder genug, worin er sich von neuem lassen, und sich ersterben muss. Denn dieser falsche Grund sucht sich in allen Dingen, er schleicht sich allenthalben ein; entziehen wir ihm die zeitlichen Dinge, so hält er sich an die geistlichen, an gute fromme Übungen und Werke, und befleckt sie mit seiner Unordnung und Lust; er besitzt die Tugend nicht rein, er haftet an ihr mit Eigenheit, ihm ist die Gabe lieber als Gott, der Geber aller guten Gabe. Ja, es kann geschehen, dass man diesem verderbten Grund inwendig absterbe, und gröberen Fehlern sich entziehe; dann tritt die neue und feinere Gefahr des Truges ein, dass man meint, nun stehe es wohl mit uns, man liebe nun Gott in allen Dingen, habe sich selbst gründlich verleugnet, und - man ist auch nicht einen einzigen Schritt von sich selbst ausgegangen, und bei allem Wähnen, dass wir Gott gesucht, und in allen Dingen Ihn allein geliebt hätten, haben wir noch nicht einen Augenblick wahre Liebe, zu Ihm gehabt.

Alle diese und andere unzählige Gebrechen kommen aus diesem falschen Grund, den die Sünde gestiftet, mit Eigenliebe, Eigenwillen, Eigendünkel und eigener Lust und Neigung zu uns selbst befleckt hat, die uns denn antreiben, nur unsern Vorteil, nur unsere Lust in allen Dingen zu suchen, und zwar auf hunderterlei Weise, nicht nur in zeitlichen und irdischen Dingen, in Speise und Trank, in Kleidern und Gemächlichkeit, an Kurzweil, an neuen Zeitungen und unnützen Gesellschaften, in Trost und eitler Menschenliebe, sondern sogar in Gegenständen des Geistes, bei inwendiger Innigkeit, Süßigkeit, Gebet und Trost an Gott; so, dass wir die Gaben Gottes, das Himmelreich, ja Gott Selbst suchen mit Ungebühr, und nur aus eigener, nicht aus Gottesliebe. Wer kann ihn aufzählen, den vielseitigen beweinenswürdigen Jammer, der über uns und in uns gekommen ist? Wird uns Etwas entzogen, sogleich suchen wir einen andern Gegenstand, an dem wir mit Lust und Neigung wieder haften.

Wer nun diesen falschen betrügerischen Grund verstehen und erkennen will, der halte sich an folgende Lehre, und der Herr wird zu Seiner Zeit und nach Seinem Willen Sich Selbst in diesem Grund ihm offenbaren: Zuerst soll der Mensch seiner selbst, seiner äußeren und inneren Sinne und Kräfte fleißig wahrnehmen, dass er nie etwas Unnötiges sehe, noch höre, noch spreche, noch anrühre, noch begehre; er soll seine inneren Sinne mit allen Fleiß behüten, dass kein auswendiges Bild herein komme, und sich hier festsetze. Er muss die Einsamkeit lieben, und den Zeit und Geist tötenden Gesellschaften sich entziehen, vielmehr in sich selbst einkehren, und so verhindern, dass fremde Gestalten und Bilder nicht störend auf sein Inneres einwirken; darum entsage er alles Ernstes der eitlen Lust, und den sogenannten Ergötzungen der Welt. Dagegen sei die stete Betrachtung des Lebens und Leidens unsers Herrn Jesu Christi seine Stärkung und Beschäftigung, mit dem festen Vorsatz, Ihm nachzufolgen, und all sein Tun und Lassen nach Seinem heiligsten Leben einzurichten und zu ordnen, und wahrzunehmen, wie viel er Diesem in seinem Tun und Lassen, in Geduld und Demut, in Gelassenheit und Tätigkeit, in Mäßigkeit und Gerechtigkeit, überhaupt in allen andern Tugenden ähnlich und gleichförmig sei. Findet er nun diese Ähnlichkeit seiner mit Ihm nicht, erkennt er, wie er seinem Oberhaupt und Vorbild vielmehr noch so gar sehr unähnlich sei, so demütige er sich, erkenne sein Elend und Nichts, werfe sich mit gänzlicher Hingebung zu den Füßen des Barmherzigen und flehe Ihn an, Er möge ihm als einem Elenden und Armen zu Hilfe kommen. Dazu aber soll auch er, so viel ihm möglich, das Seine tun, dass er diesem falschen und verberbten Grund in allen Gebrechen, im Eigenwillen, in der Eigenliebe, im Eigennutz, im Eigendünkel, in der blinden eitlen Schätzung seiner selbst ersterbe; je eher dieser falsche Grund getötet wird, um so gewisser und eher wird jener Grund sich offenbaren, worin Gott wohnt. Übrigens wird dieser falsche Grund uns so lange verdeckt und unbekannt bleiben, wie lange wir noch in ihm befangen sind, und uns von demselben leiten und führen lassen, es betreffe nun den Geist oder die Natur; darum ist es durchaus notwendig, dass wir die genaueste Aufsicht auf uns haben, und worin immer wir uns in unserm Eigengesuche, in unserer Eigenliebe finden, es sei im Gehen oder Stehen, im Essen oder Trinken, in Gedanken, Worten oder Werken, oder in der Ruhe und dergleichen, uns alsobald lassen, uns ersterben und abtöten, dagegen Gottes Ehre und Wohlgefallen in allen diesen Dingen rein und lauter zu suchen, lernen sollen.

Sprichst du: wenn ich nun in allen Dingen meiner gänzlich ausgehen soll, wie bin ich noch fähig, Gott zu lieben? O, wäre es dir nur Ernst, dass du Gott lieben, und in allem dich Ihm ganz und durchaus hingeben und überlassen wolltest, Er würde dich ohne allen Zweifel bald dahin fördern, dass du Ihn auch in allen Dingen lieben würdest! Ja, entzöge er dir allen leiblichen und geistlichen Trost, alle Süßigkeit Seiner Gegenwart, und es bedünke dich dann, als sei dein ganzes Tun und Lassen Ihm missfällig, und keines Lohnes von Ihm wert, alle deine Werke und dein ganzes Streben vergeblich und unfruchtbar; erschienst du dir als der elendeste und verderbteste aller Menschen, den Gott und alle Geschöpfe billig hassen und verstoßen sollten; meintest du, du wärst von Gott und allen Heiligen verlassen, und könntest dich in dieser finsteren Lage, in diesem Seelen-Jammer in demütiger Gelassenheit Gott untergeben, und diese Leiden geduldig ertragen, in gründlicher Erkenntnis deiner Nichtigkeit, dass du aus dir nichts tun, denn nur sündigen und fehlen könnest; dabei aber doch deine gewöhnlichen Tugendübungen, die Werke der Liebe mutig und unausgesetzt fortsetztest, und dieses Jammers, wegen kein Werk der Tugend unterließt: dann sei überzeugt, und glaube gewiss, der Herr würde dich schnell dahin bringen, Ihn in allen und über alle Dinge zu lieben, und dir gänzlich zu ersterben. Denn so lange du dich selbst suchst, liebst und meinst, für deine Werke Lohn suchst, und nicht ertragen kannst, dass man dich für den halte, der du wirklich bist: so lange ist Alles in dir abgründliche Falschheit; und so lange du Jemand seiner Gebrechen wegen verachtest, und dir Gott in Seiner Strenge gegen dich, in der Trockenheit des Geistes, nicht eben so lieb ist, wie in Seiner süßen Liebe; du dich selbst für Etwas haltest, oder deines Wandels und Verstandes wegen besser als Andere willst geachtet sein, die etwa gerade nicht so leben, wie du, oder nicht so weise sind, wie du von dir wähnst; so lange du der Art bist: so lange steht es schlecht mit dir, so lange kennst du dich selbst noch nicht, so lange bleibst du ein Fremdling in deinem Haus, so lange steckst du in diesem falschen Grund, der dich verblendet, dir alle guten Werke und Übungen verdirbt, und dich einst in der Stunde des Todes, wo er endlich schreckbar genug sich dir entdecken wird, in die gräulichste Not und Angst versetzen, und dich wohl gar in den ewigen Tod führen wird. Sei deshalb alles Ernstes daran, so lange noch die Zeit der Gnade ist, unter Gottes Hilfe diesen giftigen, verderblichen Grund abzulegen, und ihm gänzlich abzusterben. Das ist wahrlich die höchste Weisheit und die beste Kunst, die du hienieden erlernen kannst; alle andere Weisheit ist dagegen reine Torheit.

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Joh. 12
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