Steinhofer, Friedrich Christoph - Von der freien Gnade.

Worin bestehet der besondere Gnaden-Ruf? – Unter vielerlei Beweisungen göttlicher Erbarmungen, die nicht an den Fingern herzuzählen sind, vornehmlich darin: wenn Gott sein Auge besonders auf einen richtet, nach dem Vorsatz seines Wohlgefallens seiner gedenkt, ihn mit besonderer Kraft seiner göttlichen Rührung an’s Herz dringet, ihm seinen elenden Zustand in’s Licht stellet, aus seiner Trägheit mit mächtigem Ernst aufwecket, und ihn zu seiner Gemeinschaft in seinem Reich so durchdringend ruft, und ziehet, daß der Mensch nicht umhin kann, zu merken: „Ei das ist besonders auf mich gemeint! Das ist Gottes Stimme, Wille, Antrag und Kraft an mich! Gott will etwas an mich! Er hat sich zu mir genahet! Er hat es jetzt besonders mit meinem Herzen zu thun! Er hat in Gnaden an mich gedacht! Wie ist mir doch jetzt ums Herze, als mir noch nie gewesen ist!“ Und das kann sich ereignen bei wirklichem Gehör des gepredigten Worts, daß einem einmal ein Schwert durch die Seele dringt, oder eine Macht Gottes das Herz überfällt, oder ein lieblicher Wind durch’s Herze wehet, als er sonst niemals empfunden hat. Es kann auch bei anderer Gelegenheit geschehen, daß ihm ein Wort, so er vormals in Unachtsamkeit vorbeigehen lassen, durch den Geist Gottes mit einem neuen Eindruck im Herzen aufgehet: oder ihn sonst die Hand Gottes angreifet; oder durch Trübsale zum Besinnen bringt; oder durch andere Beihülfe das Heil seiner Seele wichtig macht. O was gehet nicht unter den Menschen vor, wenn an darauf achten wollte. die Zeit ist zu kurz, die Zeugnisse der Schrift, und die vielen Exempel, davon dieselbe voll ist, deßfalls anzuführen. Es wird es mancher aus Erfahrung bezeugen können, wie ihm bei dieser oder jener Gelegenheit ein mächtiger Schlag ans Herz gekommen, dessen er sich nicht erwehren konnte; da er vorher oftmals Gottes Wort und vielleicht eben dieselbe Wahrheiten gehöret, aber die sanfte Rührungen und Ahndungen des guten Geistes bis dahin ausgeschlagen hatte.


Wann geschiehet nun dieser besondere Gnaden-Ruf? Nicht immerdar, nicht an einem fort; wie dagegen mancher den allgemeinen Gnaden-Ruf unzähligemal in öffentlicher Predigt vernommen hat, sondern zu einer besondern Stunde. Diesem widerfähret er um die dritte, jenem um die sechste, neunte, oder auch eilfte Stunde. Denn die um die eilfte Stunde angeredet wurden, warn auch schon zur dritten und sechsten Stunde auf dem Markt gestanden; (nach dem Gleichniß zu reden). Sie haben also gesehen und gehöret, daß der Hausvater andere in ihre Nähe ruft. Und das hätte sie auch können aufmuntern nach Arbeit zu fragen, und ihn anzusprechen. Sie bleiben aber gerne müssig, bis er gerade an sie kommt. Diese hättens wohl verschuldet gehabt, daß er sie gar zurückließe. Aber sein Erbarmen ist unendlich; er will sie, nach langer Versäumniß, doch nicht dahinten lassen. Ihr Lieben! Ich kann keinem versprechen, daß, wenn er die kräftige Ueberzeugung des Worts, das ihm gepredigt wird, und die Exempel derer, die sich dadurch zum Herrn bekehret haben, muthwillens ausschlägt und verachtet, ihm noch eine solche besondere Stunde kommen werde. Es darf keiner in seinem Müßiggang auf dem Markt der eiteln Welt stehen bleiben, und denken: Es muß mir auch so kommen, wenn er so lang vom Sinn des Hausvaters, von seinem Weinberg, von guter Arbeit und dergleichen gehört hat. Ich kanns wohl auch keinem absprechen. Denn es ist freie Gnade. Es stehet bei dem Herrn allein, wie er mit einer jeglichen Seele handeln will. Wer will hier sagen: Was machest du? Aber wenn keine solche besondere Stunde sich ereignet, so ist niemand entschuldigt, sondern er wird ums eines Unglaubens willen, so er gegen den vielfältigen Antrag des Gnadenworts bewiesen, verdammt. Geschiehts aber, so ist er ein besonderes Exempel der Barmherzigkeit Gottes gegen den Widerspenstigen und Undankbaren; und er wird die freie Gnade Gottes mit desto größerer Beschämung zu preisen haben.

Und das ist alsdann der Sinn der begnadigten Sünder, daß sie aus der reichen Gnade leben, die ihnen umsonst von Gott widerfahren ist, daß sie von ihrem geschenkten Groschen zehren, und Gott in Christo preisen. Lieber Vater! was hast du an mir ersehen, daß Du mich nicht dahinten lassen wolltest? Warum stehe ich nicht mehr auf dem Markt? Warum liege ich nicht noch in meinem Verderben, und unter der Macht der Finsterniß? Dein freies Erbarmen hat sich zu mir geneigt! Du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen: Du bist mir zu stark geworden! Warum hast Du mich nicht lassen meine verkehrte Wege fortlaufen, wie ich noch viele Tausende um und neben mir auf der Welt sehe? Ich danke es Deiner freien Gnade; das ist Deine Wahl nach dem Vorsatz Deines Willens! Ich habe nichts um Dich verdienet! Ewiglich will ich Deine Gnade rühmen. Sie soll mein Grund sein, worauf ich bestehe. Laß mich nur werden und sein zum Lob der Herrlichkeit Deiner Gnade, (Ephes. 1,7.) in der Gemeinschaft aller Deiner Auserwählten, die durch’s Blut des Lammes erkaufet sind von der Erden!


So kann und soll man seinen Beruf und Erwählung alsdann feste machen, 1 Petr. 1,10. in der Erkenntniß unsers Herrn Jesu Christi, und niemals vergessen der Reinigung seiner vorigen Sünden. So wird man durch lauter Gnade behalten, bis uns reichlich dargereicht wird der Eingang zu seinem ewigen Reich; da die Zahl seiner Auserwählten wird voll und beisammen sein, herausgerufen und zusammen gebracht aus allerlei Geschlecht und Zungen, und Volk und Heiden. Und was ist alsdann ihrer aller Sinn und Lobspruch? Nichts anders, als die freie Gnade zu preisen, und Gott darüber Ehre und Dank zu geben, daß sie da sind. Heil sei unserm Gott und dem Lamm! Offenb. 7,10. Allein durchs Blut des Lammes sind wir durchkommen, zu stehen vor dem Stuhl Gottes in seinem Tempel. V. 15. Das ist das herrliche Ziel unserer Berufung. Dahin verhelfe uns die Gnade durch die blutige Erlösung Jesu Christi unsers Herrn!

Quelle: Krummacher, Emil Wilhelm - Goldene Worte über die theure Lehre von der freien Gnade
Elberfeld 1832. Bei Wilhelm Hassel

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