Steinhäuser, Hermann - Der Mahnruf des scheidenden Jahres, Gott, der alles in allem ist, auch in uns alles sein zu lassen.

Steinhäuser, Hermann - Der Mahnruf des scheidenden Jahres, Gott, der alles in allem ist, auch in uns alles sein zu lassen.

Am Sonntage nach Weihnachten 1851.

Herr, unser Gott, du Ewiger und Unermeßlicher, dich beten wir an; zu dir, über Welt und Raum, schwingen wir uns empor, wir, die wir von gestern her sind, und deren Tage verschwinden, wie ein Rauch. Wir messen unseres Lebens Länge nach Jahren. Womit sollen wir deines Lebens Länge messen? Mit Jahrtausenden? Sie sind vor dir wie ein Tag, sie schwinden in nichts vor deiner Ewigkeit. Wir sorgen und streben, wir hoffen und ringen, und bleiben oft weit vom Ziele, irren oft auf falschen Wegen, und führens nicht aus, was wir unternommen haben; müssen oft gehen, wohin wir nicht wollten, und an uns erfahren, was wir fern von uns zu halten gedachten. Du aber erfüllest alles mit deiner Macht und Kraft, was du anfängst, das führest du auch zu Ende. Die Sonnen und Monde wandeln auf dein Gebot, das Jahr vollendet seinen Kreis und bringt seine Frucht, Ueberfluß und Mangel, wie du ihm es heißest; der Menschen und der Völker vielfach verschlungene Pfade ordnen sich nach deinem Willen, der du alles in allem bist. O möchtest du auch in uns alles sein, daß wir dich fürchten, daß wir dich lieben, nach dir uns sehnen und dein Angesicht im Gebet und Flehen suchen. Hilf uns dazu um deines heiligen Namens und um deines lieben Sohnes Jesu Christi willen. Amen.

Mit flüchtigen Schritten eilt das Jahr seinem Ende entgegen. Wenige Tage noch, so hat es seinen Lauf vollendet, und ein neues ist es, das sich vor uns aufthut und uns empfängt - wenn wir bis dahin noch leben. Oder kannst du zurückbleiben in dem alten, wenn die andern hinüber in das neue treten? Wenn die Flucht der Zeit dich ängstigt, kannst du sprechen: rauschet an mir vorüber, ihr Tage, und ihr Menschen, ihr flüchtigen Kinder des Tages, eilet voraus, ich will zurückbleiben und meinen Weg langsamer wandeln! Ja, wenn wir es könnten, es würden viele so sprechen. Was ist das für eine Macht, die dich fortführt, fortträgt, mit deinem Willen und wider ihn, dich und alle andern mit dir?

Wo du selbst nicht stillstehen kannst, da schaust du auf das, was nun hinter dir zum Stillstand gekommen ist, auf deine Vergangenheit. Dem letztvergangenen Jahre zunächst wendest du deine betrachtenden Blicke zu. Ist alles in demselben so gegangen, wie du es wünschtest? wonach du strebtest, hast du es erreicht? was du hofftest, ist es freundlich gekommen? was du besaßest, ist es dir geblieben? Manches wird so gekommen sein, wie du es gehofft und erstrebt hast, manches aber auch ganz anders. Du wirst Wege gegangen sein, die, du selbst wolltest, und Wege, die du nicht wolltest, die du widerstrebend, mit Bangen, mit Traurigkeit betreten hast. Und wohin die Wege, die du aus eigenem Entschluß und mit Freuden betreten hast, noch führen werden, das ist dir verborgen. Dein eigenes und unser aller Leben, der Einzelnen und ganzer Völker Geschick, es ist ein wunderbares Zusammensein von eigener Bestimmung und von einem unwiderstehlichen, von außen kommenden Einfluß, von lange vorhergesehenen und berechneten und von unerwartet eintretenden Ereignissen. Was wir selbst vermögen mit unserer Kraft und Einsicht, das ist das wenigste. Woher kommt das andere? wessen Macht ist es, die in unserem eigenen, die in aller Menschen Leben thätig ist? Wohin wir sehen, es ist alles in Bewegung; von wem gehet sie aus? es ist alles im Wechsel; von wem wird er bestimmt? Ist es Zufall? ist es blindes Geschick, eine Notwendigkeit, die nichts von sich weiß? Der ist es, der selbst keinem Wechsel unterworfen ist, der unwandelbar, in sich selbst ruhig und gewiß ist, von dem aller Wechsel und alle Bewegung ausgeht, ein Unsichtbarer, von dem alles Sichtbare abhängt. Der ist es, den kein Verstand erfassen, kein Wissen begreifen, kein Forschen ergründen kann, und der doch dem einfachen Gemüthe, dem reinen Herzen so nahe ist, und von ihm erfaßt und ergriffen und geliebt wird; unser Gott, der allmächtige Herr des Himmels und der Erde, unser Gott, der liebende Vater in Christo, er ist es, der alles mit seiner Kraft erfüllt und nach seinem Rathe alles leitet, der da alles in allem ist, und der auch in uns alles sein will; der da will, nicht allein, daß wir von ihm abhängen, sondern daß wir es auch wissen und dessen uns freuen, und nicht allein, daß wir sein Gebot kennen, sondern daß wir es auch ehren und thun. Ihn sollen wir suchen, gleichwie er uns suchet.

Erheb' ihn ewig, o mein Geist,
Erhebe seinen Namen!
Gott, unser Vater, sei gepreist,
Und alle Welt sag' Amen!
Und alle Welt fürcht' ihren Herrn,
Und hoff' auf ihn, und dien' ihm gern!
Wer wollte Gott nicht dienen?

Text: Brief Judä, Vers 24. 25.
„Dem aber, der euch kann behüten ohne Fehl, und stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden, dem Gott, der allein weise ist, unserm Heilande, sei Ehre und Majestät, und Gewalt, und Macht, nun und zu aller Ewigkeit!“

Auf wen weist uns das Wort der Schrift? Auf den, der über alles ist, und zu seiner Herrlichkeit uns führen kann. Was in der Welt ist, ohne denken zu können, ohne sich seiner selbst bewußt zu werden, das ist ihm in allem unterworfen, das muß sich bewegen und verändern, oder ruhen und bleiben, wie Gott will; das ist nichts als ein blindes Werkzeug in seiner Hand. Aber den Menschen hat er nach seinem Bilde geschaffen, ihm hat er den freien Willen gegeben. Darum kann der Mensch sich auch von ihm abwenden, kann suchen, sich von ihm los zu machen, gottlos zu werden, das heißt aber nichts anderes, als sein eigenes Verderben suchen. Er kann es, aber dazu ist ihm der Wille nicht gegeben; sondern dazu, daß er Gott suche, nach ihm sich sehne, seinem Willen mit Freuden gehorche, und auf sein Heil vertrauensvoll warte, das heißt dazu, daß er ihn alles in sich sein lasse aus Liebe, gleichwie die todte Natur ihn alles sein läßt aus Zwang. Ach, daß er es in uns wäre, daß wir die Vergänglichen uns hielten an den Unvergänglichen, daß wir die Schwachen in ihm dem Mächtigen unsere Kraft, wir die Unreinen in ihm dem Reinen unsere Heiligung, wir die Bekümmerten in ihm dem Seligen unsere Freude suchten, daß er uns alles in allem wäre! Dazu mahnt uns dies scheidende Jahr. Wir sind bereit, auf seinen Ruf zu hören.

Warum lasset das scheidende Jahr den Mahnruf an uns ergehen, Gott, der alles in allem ist, auch in uns alles sein zu lassen.

Gott alles in uns sein zu lassen, dazu mahnt uns diese Zeit des scheidenden Jahres, obwohl sie nicht allein, sondern nur mit gesteigertem Nachdruck. Im Grunde mahnt uns dazu jeder einzelne Tag. Denn jeder Tag ist ein Jahresschluß und ein Jahresanfang, Es hat aber nicht jede Zeit dieselbe Gewalt über uns. Die gegenwärtige hat sie mehr, als manche andere. Darum sind wir auch geneigter, zu bedenken, warum sie diesen Mahnruf an uns ergehen läßt. Das thut sie aber darum: sind wir dieser Mahnung bisher eingedenk gewesen, so

  1. haben wir in dem alten Jahre nichts verloren, und wollen wir derselben eingedenk bleiben, so
  2. werden wir in dem neuen Jahre viel gewinnen.

I.

Wenn es ein Mittel gäbe, das uns vor jedem Verluste schützen könnte, meint vielleicht mancher, das wäre eine herrliche Gabe und eine wunderbare zugleich. Da wollte ich kommen und sie suchen, und nicht eher ruhen, als bis ich sie gefunden hätte. Aber dein Wort ist vergeblich. Solch ein Mittel giebt es nicht. Wenn das Jahr herum ist, und ich hätte sonst nichts verloren, habe ich dann nicht das Jahr selbst verloren? Kannst du auch die vergangenen Tage wiederbringen? Diese Tage, in denen ich froh war mit den Meinen, in denen ich in Gesundheit und Kraft wandelte, in denen mir glückte, was ich unternahm, sind sie nicht unwiederbringlich verloren, sind sie nicht ausgestrichen aus dem Buche meines Lebens? Wird mir auch der Frühling des vergangenen Jahres noch einmal wiederkommen? dieselben Blüthen noch einmal blühen? Ach, und wie gering ist meiner Jahre Zahl! Mit jedem, das gegangen ist, bin ich dem Ende um eines näher, näher dem Ziele, da man in einen Sarg mich legen und der Erde wieder geben wird, was von der Erde genommen ist. Wenn ich nicht sterben müßte, so sollte der Verlust eines Jahres mich nicht kümmern. Aber nun ist es ein schwerer Verlust, und je höher jemand in seinen Jahren ist, desto größer und unersetzlicher.

Ein anderer kommt und sagt, die Zeit allein verloren zu haben, sollte mich nicht so sehr bekümmern; aber ich habe auch von meinem Geld und Gut verloren. Wenn ich jetzt am Jahresschluß Abrechnung halte, und an das denke, was ich am Anfange desselben besaß und was ich im Verlauf desselben zu gewinnen hoffen konnte, da muß sich wohl mein Blick trüben; denn ich bin zurück gekommen, anstatt vorwärts zu kommen. Und war das letzte nicht in so mancher Hinsicht ein schweres und trauriges Jahr? Unsere Hoffnungen waren so groß, die Aussichten so verheißend, in so reicher Fülle schien die Natur ihre Gaben bringen zu wollen. Was aber ist uns geworden? Ist die Antwort darauf nicht eine Klage über geringen Verdienst, über theures Brod, und zum Theil über ungesunde Nahrung?

Und größer wird die Zahl derjenigen, welche klagen, daß sie verloren haben. Sie wird vermehrt durch diejenigen, deren Gesundheit in dem letzten Jahre erschüttert worden ist. Früher so kräftig, keine Witterung konnte sie anfechten, keine Arbeit wurde ihnen zu schwer. Jetzt hat ihre Kraft abgenommen; jetzt wird die Hand so bald matt; jetzt werden sie von Schmerzen heimgesucht, die sie früher nur dem Namen nach kannten. Ist Gesundheit nicht mehr, als alles andere irdische Gut? können wir sagen, wer sie verloren, der habe keinen Verlust erlitten?

Ist nunmehr die Reihe derer, die da klagen, daß sie verloren haben zu Ende? Ach nein, du gedenkst derjenigen, die das Freudengewand ab und das Trauergewand angelegt haben, deren Auge noch voll Thränen, deren Herz noch voll Kummer ist über das Scheiden derjenigen, die der Tod von ihnen genommen hat. Bist vielleicht selbst einer von denen, die so bittern Verlust erlitten haben? Sollen wir die Gestalten deiner theuren, geliebten Todten vor deinen Augen vorüber führen, damit dein Schmerz wieder aufwache in erneuter Heftigkeit? Sollen wir dich, du Schwergeprüfter, erinnern an die, die im verflossenen Jahre heimgegangen sind? an deinen Vater, dessen letzter Seufzer ein Segenswunsch für dich gewesen ist? an deine Mutter, die so schwer vom Leben geschieden ist um deinetwillen? an dein Kind, das du nicht lassen wolltest, und das du doch von deiner liebewarmen Brust weg in das kalte Grab legen mußtest? an deinen Gatten, der dir der treueste Freund gewesen ist, dessen Herz dir offen stand, wie dein eigenes? Ach, wir haben es nicht nöthig, dich erst daran zu erinnern. Du selbst stehst oft im Geist an ihrer Gruft, du selbst kannst sie nicht vergessen, und manche Thräne wirst du noch um ihretwillen weinen.

Wie? dürfen wir denn nun nur noch fragen, ob du verloren hast? Was sollen wir sagen, wenn die Erinnerung an solche Verluste uns vorgehalten wird? Womit wollen wir unser Wort festhalten, daß es auf uns ankomme, ob wir verlieren oder nicht; und wenn wir verloren haben, daß wir seien, wie diejenigen, die nichts verloren haben? Sollen wir Gleichgiltigkeit fordern von dem Menschen, der der Bedürfnisse so viele hat; Sorglosigkeit von dem, der so vielen Gefahren ausgesetzt ist; Unempfindlichkeit von dem gefühlvollen Herzen? Nein, sondern das Wort Gottes soll unser Trost und unsere Stärke sein! Das wollen wir thun, dem uns zuwenden, „der uns kann behüten ohne Fehl, und stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden“; zu unserm Gott wollen wir uns wenden, „dem allein weisen, unserm Heilande, dem Ehre ist und Majestät, und Gewalt, und Macht, nun und zu aller Ewigkeit.“ Wenn jemand klagen müßte, ich habe meinen guten Namen verloren, und ist dies meine eigene Schuld; ich habe mein reines Gewissen, ich habe meinen frommen Sinn, ich habe meinen Glauben verloren, das wäre ein Verlust, schwerer und größer, als irgend ein anderer. Aber bist du von Gott nicht gewichen, hast du gestrebt, ihn immer zu deinem höchsten Gute zu machen, ihn dein Alles sein zu lassen, wird dann nicht auch alles, was sein ist, dein sein? sein Friede, seine Kraft, sein ewiges Leben nicht auch das deine? Wirst du dann dich fürchten, zu sterben? Nein, du wirst sagen: „Sterben ist mein Gewinn.“ Wenn eine Roth dich heimsucht, wirst du verzagen? Nein, du gedenkest dessen, der gesagt hat: „es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.“ Du fühlst dich reich unter Entbehrungen, und du bist es auch, weil Gott in deinem Herzen wohnet. Wenn du schwach und krank bist, du bist doch stark, es zu tragen, und zu hoffen auf den, der da weit thun kann über unser Bitten und Verstehen, von dem es heißt, „die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln, wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.“ Wenn du weinst um deine Todten, und Gottes Rathschluß nicht ergründen kannst, du getröstest dich des Wortes: „selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben.“ Sie sind noch dein, wiewohl sie gestorben sind; der Tod kann sie dir nicht nehmen. Und fühlst du dich schwach, und mußt du bekennen, noch vermag ich nicht ganz des Lebens Schmerz zu überwinden, noch ist mir Gott nicht alles geworden, strebe darnach, daß er es werde. An einen, dem er es war, laß dich erinnern, an den Apostel Paulus; vielleicht lernst du noch mit ihm sprechen: „in allen Dingen laßt uns beweisen als die Diener Gottes, als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertödtet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, und die doch viele reich machen; als die nichts inne haben, und doch alles haben.“

II.

Daß wir doch so aus vollem Herzen sprechen könnten, so würden wir nicht allein jederzeit mit Dank in die Vergangenheit, sondern auch mit Freude in die Zukunft blicken. Das scheidende Jahr mahnt uns, Gott alles in uns sein zu lassen, denn dann werden wir auch in dem neuen Jahre, dem wir entgegengehen, viel gewinnen. Möchtest du nicht gewinnen? möchtest du nicht deiner Sorgen, deines Kummers ledig werden? O so komm und höre auf das Wort, das die Schrift dir ans Herz legt. Bald wird der letzte Glockenschlag dieses Jahres verklungen sein. Was für ein Jahr wird das neue werden? Aus dem dunkeln Schooße der Zukunft tritt es uns entgegen, wie alle andern. Freude und Schmerz, Erfüllung und Versagung wird es bringen, wie alle andern. Aber doch liegt es uns nahe, gerade dem jetzt kommenden Jahre eine ganz besondere Stellung anzuweisen, mit höhern Erwartungen ihm entgegen zu sehen, als vielen andern Jahren, Gesteigerte Hoffnungen, gesteigerte Befürchtungen sind auf dies Jahr gerichtet. Bleiben wir bei den Hoffnungen. Was hoffen wir von ihm? Wir hoffen und wünschen, es möge der Friede zwischen den Völkern nicht gestört; es möge die Ruhe im Innern erhalten werden; es möge der Handel einen erhöheten Aufschwung nehmen; die Gewerbe blühen; eine reich gesegnete Aerndte uns erfreuen; der allgemeine Wohlstand in schnellem Wachsthum zunehmen; diejenigen, die mit Sorgen kämpfen, die Fülle haben; und in welches Haus wir auch treten, Zufriedenheit und Frohsinn diejenigen beglücken, die dort wohnen. Und für dich selbst wirst du hoffen und wünschen, wenn du glücklich eintreten kannst in das neue Jahr, daß du so auch es beschließen mögest; und wenn du Sorgen mit hinübernimmst, daß sie sich zerstreuen; und wenn du einen Verlust erlitten hast, daß es dir dafür einen Ersatz bringe; und wenn du krank sein solltest, daß es wieder mit voller Kraft und fröhlicher Gesundheit dich ausrüsten möge.

Oder sollte jemand etwas dem Entgegengesetztes wünschen? Darin stimmen die Wünsche der Menschen überein, ganz abgesehen davon, wie sie zu ihrem Gott stehen, ob sie ihn lieben oder verachten, suchen oder fliehen. Und darin stimmen auch weiter diese Wünsche überein, daß es ungewiß ist, ob sie sich erfüllen werden.

Hier aber, im Hause Gottes, suchen wir mehr, als bloß Wünsche. Diese werden uns, und vielleicht noch mehr zum Herzen dringend, von den Unsern dargebracht. Am ersten Morgen des neuen Jahres kommen sie mit herzlichen Wünschen für unser Glück zu uns, sie, die uns lieben und kennen, und wissen, was wir bedürfen und wonach vor allem wir uns sehnen. Hier, in Gottes Hause suchen wir Verheißungen, die gewiß sind, an deren sicherer Erfüllung wir nicht zweifeln dürfen. Und wir suchen sie nicht vergebens. Aber an eine Bedingung sind sie gebunden, nämlich daran, daß wir streben, Gott, der da alles in allem ist, auch in uns alles sein zu lassen.

Dann werden wir lernen, die Ereignisse in dem Leben der Menschen und in unserm eignen mit einem frommen Sinn zu betrachten. Wir gewöhnen uns so leicht, die Ereignisse des Lebens nur nach menschlichen Ansichten zu beurtheilen; halten uns für diejenigen, welche alles allein thun, deren Klugheit alles ordnen und vorbereiten, deren Kraft alles ausführen müsse; wollen Gottes Hand nicht darin wahrnehmen, die Führung dessen nicht erkennen, der „allein weise, und dem Macht und Gewalt ist nun und zu aller Ewigkeit.“ Wenn wir es lernten, seinen Gang immer deutlicher zu erkennen in dem Gang der menschlichen Ereignisse, da hätten wir schon viel gewonnen. Noch mehr Gewinn steht uns in Aussicht. Wenn Gott in uns ist, so wird es uns immer mehr gelingen, den Schein vom Wesen zu unterscheiden, den Schein zu meiden, das Wesen zu suchen. Daß der Schein trügt, das, meinst du, sei eine alte, längstbekannte Wahrheit - und legst doch vielleicht noch so großen Werth auf ein schönes Kleid, bist noch so betrübt, wenn eine irdische Hoffnung in nichts verschwindet; giebst dir noch so viel Mühe, deinem Nächsten anders zu erscheinen als du wirklich gestaltet bist. Ist das nicht ein Zeichen unserer Zeit, daß sie auf den Schein einen so großen Werth legt? Wie viele Enttäuschungen würden ihr erspart geblieben sein, wenn sie immer nur nach dem Wesen gefragt hätte! Trage Verlangen nach deinem Gott, du wirst noch mehr gewinnen. Du wirst lernen, demüthig sein. Wenn jemand mit seinem Werke zufrieden wäre, nicht wüßte, was er an sich aussetzen sollte, der suche Gottes Angesicht. Wie unvollkommen wird ihm dann sein Wandel, wie gering sein Wissen, wie unbedeutend sein Verdienst erscheinen! Die Demuth wird von vielen gering geachtet; die wenig sind, wollen das meiste gelten. Und doch ist sie ein unschätzbares Gut, die Quelle erneuter Kraft und herrlicher Thaten. Demüthig vor Gott und entschlossen gegenüber der Welt, das gehört ebenso zusammen, wie hochmüthig vor Gott, und furchtsam vor den Menschen. Lasset uns Gott suchen, so wird unser Gang gewiß sein in seinem Wort, und kein Unrecht über uns herrschen. Wir werden nicht ängstlich fragen, was werden die Leute zu dem sagen, was wir thun; denn wir sind schon mit uns zu Rathe gegangen, ob es Gott gefallen werde. An Festigkeit des Handelns, an Ausdauer unter Hindernissen, an entschiedener Richtung auf das, was gut und recht ist, werden wir gewinnen; und auch an einer ruhigen Stimmung unsers Gemüthes, an Gleichmuth im Wechsel des Lebens und unter drohenden Gefahren, an freudiger Zuversicht auf Gottes nie ausbleibende Hilfe. Mag das äußere Leben in unruhiger Bewegung sein, Leid und Freud kommen und gehen, wir werden davon wohl bewegt, aber wir werden dadurch nicht außer uns gebracht werden. In trüben Tagen hoffen wir auf Gottes Huld und getrösten uns ihres wiederkehrenden Glanzes; in heitern Tagen danken wir seiner Gnade, und machen uns darauf gefaßt, daß der Wechsel des Glücks uns nicht allzusehr betrübe. Nach oben ist allezeit unser Blick gerichtet; nach oben, von wannen unsere Hilfe kommt, und wohin unser Lauf führt; nach oben, wo die Herrlichkeit unser wartet, die uns in Christo bereitet ist.

Denket hinaus in die Zukunft, das jetzt noch nicht einmal begonnene neue Jahr an seinem Ende, und wir wären im Laufe desselben frömmer, wahrhafter, demüthiger, entschiedener im Handeln, zufriedener im Herzen, gläubiger im Hoffen geworden, wäre das kein Gewinn, den es uns gebracht hätte? Wahrlich, ein großer Gewinn! Viele achten ihn wenig. Wir nicht. Lasset uns darnach streben, daß wir Theil haben an diesem Gewinn! Amen.

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