Steinhäuser, Hermann - Der sicherste Grund, auf den wir die Hoffnung einer glücklichen Zukunft stellen können, ist eine treue Hingabe an Christum.

Steinhäuser, Hermann - Der sicherste Grund, auf den wir die Hoffnung einer glücklichen Zukunft stellen können, ist eine treue Hingabe an Christum.

Am Sonntag nach dem Neujahr 1853.

Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi sei mit euch allen. Amen.

So ist uns nun schon der zweite Morgen aufgegangen in dem neuen Jahre. Ein ganzer Tag liegt schon zwischen uns und ihm. Wir schauen zurück auf das, was wir in demselben Erfreuendes und Schmerzliches erfahren, was wir gewonnen und verloren, was wir Gutes vollbracht und worin wir gesündigt haben - und es steht alles unabänderlich fest, es kann nichts hinweggenommen, und es kann nichts hinzugethan werden. Hinter uns in dem Vergangenen giebt es keine Hoffnung mehr. Auf das Vergangene können wir nur zurückblicken mit Dank oder mit Klage, mit Freude oder mit Beschämung. Aber vor uns liegt das Unbestimmte, das Reich des Möglichen und darum der Hoffnung. Die Tage, die da kommen, kommen nicht mit leeren Händen, sie bringen etwas mit sich. Könnte es denn nicht unser Glück, unsere Freude sein, das, wonach unser Herz sich sehnt? Du begnügst dich nicht, es zu wünschen, du hoffst auch, es werde so sein. Hoffend und verlangend sind deine Blicke der Zukunft entgegengewendet.

Was würde das Leben für uns sein ohne die Hoffnung! was dem Glücklichen sein Glück, wenn er nur in der Gegenwart, nicht auch in der Zukunft leben könnte! wie wollte der Unglückliche seinen Schmerz tragen, wenn nicht eine freundliche Aussicht ihm bliebe, er werde vorübergehen! Die Hoffnung ist ein willkommner Gast im Kreise der Glücklichen; an ihrer Hand wollen sie den Weg des Lebens weiter wandeln. Die Hoffnung ist ein segnender und ersehnter Bote des Himmels für die Trauernden, Licht zu bringen in dunkle Herzen und ein freundliches Lächeln auf bleiche, abgehärmte Wangen. Wenn jemand gar nichts mehr hoffte, wenn er so abgeschlossen hätte mit seinem Leben, daß er auch nicht auf ein erfreuendes Ereigniß mehr rechnete, daß er Verzicht darauf geleistet hätte, es werde je wieder der trübe Himmel über ihm sich aufheitern, je wieder ein heller, sonniger Tag sein Herz erwärmen, das wäre der Unglücklichste unter allen Unglücklichen, wenn es überhaupt möglich ist, daß je auch der letzte Hoffnungsschimmer einem Menschen verlöschen sollte. Hofft doch der Gefangene auf den Tag seiner Befreiung, da seines Kerkers düstere Pforten sich öffnen sollen; und der schwer Erkrankte auf die Wiederkehr seiner Kraft; der Vereinsamte auf Linderung seines Kummers, und daß theilnehmende Herzen ihm bleiben werden, die ihn trösten und aufrichten. Wie solltet denn ihr den kommenden Tagen nicht hoffend entgegensehen?

O richte du Schmerzbeladener, du, den die Sorge drückt, der du ein Leid mit herüber genommen hast in das neue Jahr, richte vertrauend deine Blicke hinaus in die Zukunft, es wird wohl anders und besser werden. Und du, der du dich glücklich fühlst, dem der Jugend schöner Frühling noch blühet, der du in voller Kraft noch wirkest, dem des Berufes Arbeit und des Hauses Glück das Leben verschönert, hoffe voll fröhlichen Vertrauens, noch manche Freude, noch manch liebliche Blüthe, noch manch süße Frucht werde die Zukunft dir reichen, dir und den Deinen. Wir wissen es wohl, unbeständig ist das Glück und ungewiß unsere Hoffnung. Aber doch hoffen wir nicht ins Unbestimmte hinaus; doch haben wir einen festen Grund, auf welchen wir unser Verlangen nach einer glücklichen Zukunft stellen können. Es ist nicht alles ein betrüglicher Grund, auf dem der Mensch, der vergängliche Sohn der Stunde, seine Hoffnungen und Entwürfe aufbaut. Wir sind schwach, wir vermögen es wenig, zu enthüllen, was die Zukunft in ihrem Schooße birgt; aber wir vermögen doch auch selbst viel dazu beizutragen, daß unsere Zukunft sich freundlich gestalte. Wir vermögen es, wenn wir nur den nicht verlassen, der unser Licht und unsere Kraft, unser Heil und unser Leben sein will, und der es auch ist, wenn wir ihn lieb haben und ihm treulich dienen, er, dessen gnadenreiche Ankunft in der Welt wir in den letztvergangenen festlichen Tagen mit dankbarer Freude gefeiert haben.

Text: Lucas 2, 33 - 40.
„Und sein Vater und Mutter wunderten sich deß, daß von ihm geredet ward. Und Simeon segnete sie, und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, und es wird ein Schwerdt durch deine Seele dringen, auf daß vieler Herzen Gedanken offenbar werden. Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuels, vom Geschlecht Asers, die war wohl betaget, und hatte gelebt sieben Jahre mit ihrem Manne, nach ihrer Jungfrauschaft, und war eine Wittwe bei vier und achtzig Jahren, die kam nimmer vom Tempel, dienete Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Dieselbige trat auch hinzu zu derselbigen Stunde, und pries den Herrn, und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung zu Jerusalem warteten. Und da sie es alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder nach Galiläa, zu ihrer Stadt Nazareth. Aber das Kind wuchs, und ward stark im Geist, voller Weisheit; und Gottes Gnade war bei ihm.“

Eine frohe Hoffnung auf eine bessere Zukunft ihres Volkes, und nicht ihres Volkes allein, sondern auch aller andern Menschen, war es, wovon der fromme Simeon und die hochbetagte Prophetin Hanna erfüllt waren, auf eine bessere Zukunft, die durch den von Gott verheißenen und nun endlich erschienenen Heiland kommen sollte. Mit Freuden gaben sie Zeugniß von dieser ihrer Hoffnung, als sie ihn erblickten, der dies Heil den Menschen bringen sollte; segneten ihn und seine Aeltern, und priesen Gott, der ihn nunmehr gesendet hatte. Das Glück, welches Christus bringen sollte, war freilich zunächst kein irdisches. Es waren andere Güter, welche zu bringen er bestimmt war, wie auch Simeon selbst in dem, unserm Texte vorausgehenden Abschnitte aussprach, als er betete: „meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel,“ Aber das ist die segnende Kraft der himmlischen Gabe, die er brachte, daß sie auch über ihren nächsten Kreis hinaus, daß sie auch auf unsere irdischen Verhältnisse wohlthätig und beglückend einwirkt. Wer, wie einst Simeon und Hanna, seine Hoffnung auf Christum setzt, daß durch ihn eine bessere Zeit herbeikommen solle, der wird auch in Bezug auf seine eigene Zukunft nicht vergeblich hoffen. Wer zu ihm sich wendet, an ihn sich anschließt, und treu bei ihm bleibt, der wird auch bei äußerlich wechselnden Schicksalen nicht unglücklich sein, sondern einer immer schöneren und beglückenden Zukunft entgegengehen. Dieser uns erhebenden und erfreuenden Wahrheit wollen wir jetzt, wo wir noch am Anfange eines so wichtigen Zeitabschnittes stehen, unser Herz öffnen.

Der sicherste Grund, auf den wir die Hoffnung einer glücklichen Zukunft stellen können, ist eine treue Hingabe an Christum.

Denn durch ihn

  1. überwinden wir die Sünde;
  2. bleiben wir in der Liebe;
  3. werden wir fest im Glauben.

I.

Was ist unsicherer als die Hoffnung? was ist wandelbarer, als das Glück? Wie so viel Noth und Elend, wie so viel Jammer und Klage ist auf Erden. Das Unglück sucht sich zu verbergen, es mag nicht offen vor den Menschen sein Angesicht zeigen. Offen hervor tritt die Fröhlichkeit und das Glück. Aber doch vermag es sich nicht so zu verbergen, daß wir es nicht sehen, daß wir seine Größe und Ausdehnung nicht erkennen, daß wir uns darüber nicht betrüben, ja daß wir nicht bisweilen darüber erschrecken sollten. Hast du nicht schon bittere Armuth gesehen, oder wenigstens davon gehört, von dem Mangel in seiner traurigsten Gestalt? da du fragtest, wo ist das Lager, auf dem ihr schlafet? und man wies dir den nackten Boden zu deinen Füßen; womit kleidet ihr euch? und du dich verwundertest, daß man das Kleider nannte, was man dir wies; womit macht ihr euern Kindern eine Freude zu dem Feste? und man sagte, wir haben nichts zu essen! Du kamst in ein anderes Haus, da war alles vorhanden, was zu des Leibes Nahrung und Nothdurft gehört. Aber der Kummer saß mit an dem Tisch; und die Betrübniß verscheuchte jeden fröhlichen Gedanken; der Schmerz stöhnte vom Krankenlager; oder der Unfriede schritt durch das Haus, und feindseliges Zerwürfniß hatte die Herzen verbittert, die sich am liebsten haben sollten. Hast du nicht schon manchen gesehen, gebeugt unter seiner Last, nicht fröhlich dahin schreitend, wie die andern; du brauchtest ihn nicht zu fragen, ob er unglücklich sei; du wußtest es, als du ihn sahest. Und wie viele nagende Sorgen mögen deinen Blicken verborgen bleiben? wie viel Unzufriedenheit und stilles Leid vorhanden sein, von dem du nicht einmal etwas ahnest. Ja, wie viel Leid trägst du vielleicht in der eigenen Brust, und wen giebt es, der nicht wenigstens einen Antheil hätte an dem Schmerz und den Sorgen des irdischen Lebens.

Haben denn diese alle nicht einmal hoffend in ihre Zukunft hinausgeblickt? sind nicht auch die Unglücklichen eingetreten in das Leben mit Ansprüchen an das Glück, und mit der frohen Erwartung, es werde ihnen manch süße Frucht in den Schooß legen? Worin liegt denn der Grund, daß diese Erwartungen so bitter getäuscht worden sind? Ist es nur die Unbeständigkeit des irdischen Lebens, die andern und uns selbst die Sonne des Glücks verdunkelt? ist es nur die Unvollkommenheit, dieser unzertrennliche Begleiter alles Irdischen? oder etwa der Zufall, was den einen auf eine kürzere Zeit betrübt, dem andern ein schweres Leiden bringt, und einen dritten in den tiefsten Abgrund des Unglücks hinabstürzt?

Es giebt viel Leid in der Welt, das den Menschen ohne sein Verschulden trifft; aber noch weit mehr Leid giebt es, das nicht vorhanden sein würde, wenn nicht er selbst es sich zugezogen hätte. Wenn nicht die Christenliebe, die wir dem Nächsten schuldig sind, uns wehrte, und wenn nicht das Gefühl der eigenen Verschuldung uns Schweigen auferlegte, wir würden zu so manchen Unglücklichen sagen müssen, klage nicht die Zeit und die Verhältnisse an, als seist du das unschuldige Opfer eines traurigen Verhängnisses, klage dich selbst an, gedenke an das Wort des Propheten: „es ist deiner Bosheit Schuld, daß du so gestraft wirst; also mußt du inne werden, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn deinen Gott verlassen.“ An einzelnen Beispielen tritt dies deutlich hervor; an vielen andern würden wir es auch wahrnehmen, wenn uns alle einzelnen Verhältnisse genau bekannt wären. Du kennst vielleicht einen, der lebte in günstigen Verhältnissen; der Weg zum Glück war ihm geebnet; alles bot ihm die Hand, sein Fortkommen zu erleichtern und eine ehrenvolle Stellung ihm zu verschaffen. Und was ist aus ihm geworden? Er lebt in Sorge und Elend; gemieden von seinen frühern Genossen; verachtet von denen, die ihn kennen; verurtheilt von der öffentlichen Meinung; allen zur Last, und sich selbst am meisten; ohne Ehre, ohne Liebe, ohne gesegnetes Wirken. Und was hat ihn dahin gebracht? Die Sünde ists gewesen. In seinem Antlitz steht es geschrieben, in seinen Augen ist es zu lesen, aus seinen rohen Worten ist es zu hören: „die Sünde ist der Leute Verderben!“ Ja, tausend qualvolle Stunden, tausend vernichtete Hoffnungen, unzähliger Menschen verfehltes Leben, unzähliger Familien untergrabenes Glück und zerrüttete Verhältnisse predigen es laut, drohend, erschütternd in die Welt hinein: „die Sünde ist der Leute Verderben!“

Doch nicht andere wollen wir anklagen, uns selbst, uns selbst wollen wir richten! Wie viel weniger würde uns fehlen, wie viel froher würden wir sein, wie viel vertrauensvoller der Zukunft entgegensehen können, wenn wir nimmer von Gott gewichen wären. Wenn wir keine Sünde je gethan hätten, wenn niemand in der Welt Sünde thäte, was müßte das für ein Leben sein! Welch ein Jahr würde sich vor uns aufthun, wenn es nicht bloß ein neues Jahr der Gnade, sondern auch ein Jahr der Heiligung wäre. Aber wenn wir nicht zu hoffen wagen, es würden alle Menschen von ihren Sünden lassen, können nicht wir es thun? Haben wir nicht einen Helfer und Beistand, einen Retter und Erlöser? Zu ihm, unserm Herrn, wollen wir von neuem uns wenden, bei ihm bleiben in treuer Gemeinschaft, durch ihn der Sünde absterben und Gott dienen. Fromm, wie Simeon, gottesfürchtig, wie die Prophetin Hanna, lasset uns sein, und wie sie eine bessere, glückliche Zukunft durch Christum hoffen, so werden wir nicht bloß der ewigen Güter gewiß sein, sondern auch das irdische Leben wird sich Uns freundlich gestalten, unser Herz leichter schlagen, und manch stiller Kummer fern von unserer Wohnung bleiben. In deines Hauses liebendem Kreise, in deines Berufes segnender Wirksamkeit, in deinem Umgange mit der Welt wirst du den Segen verspüren, der von oben kommt, wirst du glücklich und froh sein, und es wahrnehmen, dein Glück ruhe auf einem sichern Grunde.

II.

Auch im Umgange mit den andern wirst du das erfahren. Denn bleiben wir in Christo, so bleiben wir auch in der Liebe. Damit wir uns unsers Glückes freuen und auf seinen Bestand hoffen können, dazu bedürfen wir auch der andern neben uns, und zwar nicht bloß derjenigen, die mit uns in der engsten Verbindung stehen. Wenn du wüßtest, daß diejenigen, die dich kennen, dir nichts Gutes wünschen; daß sie dich mit feindseligen Blicken betrachten; darauf ausgehen, dich zu kränken; daß sie deiner Zurücksetzungen, deiner fehlgeschlagenen Unternehmungen sich freuen: du würdest sehr darunter leiden müssen; das würde dir viel unruhige Stunden bereiten; es würde auch dein Vertrauen in eine glückliche Zukunft dadurch erschüttert werden. Nichtwahr, es gehört zu deinem Glücke, daß man dich achtet; daß man dir wohlwill; daß man einen freundlichen Antheil an allem nimmt, was dir begegnet, und auch bereit ist, dir zu helfen, wo Hilfe Roth thut. Nun vermagst du es freilich nicht immer, mit allen in Frieden zu leben. Allen es recht zu machen, ist noch niemandem möglich gewesen. Wer es allen recht machen wollte, hat es in der Regel zuletzt mit allen verderben. Und wenn du an Christo fest hältst, so wirst du dir manchen Feind machen, wie er selbst sagt: „der Jünger ist nicht über seinen Meister, haben sie mich verfolget, sie werden euch auch verfolgen.“ Aber vieler und gerade der Besten Achtung und Liebe kannst du dir doch zuwenden, und zwar am sichersten durch deine eigene Liebe. Hast du nicht bloß schöne Worte auf den Lippen, sondern auch die rechte Gesinnung im Herzen, und die liebende That allezeit in Bereitschaft, so wird dir auch der Segen dieser Liebe nicht vorenthalten werden, daß man sich dir in herzlichem Wohlwollen zuwendet.

Eine reiche Quelle des Glückes ist uns in der Liebe zu dem Nächsten eröffnet. Die Liebe giebt; aber mehr, als sie giebt, empfängt sie zurück. Sprich, der du gern wohlthust, hast du nicht schon manchmal eine innige Freude empfunden, wenn du den dankbaren Blick, das verklärte, in froher Ueberraschung zu dir aufschauende Auge dessen sahest, dem du eine unerwartete Hilfe gewährt hattest! Sprich, der du einen Kranken besucht, der du ihn in seinem einsamen Schmerze getröstet und aufgeheitert hast, hattest du keine Freude darüber, daß du das gethan? Sprich, der du in ein Haus gingst, in welches Trauer eingezogen war, und den Klagenden dich nahtest mit dem rechten Troste, nicht mit menschlichem Troste, der nicht nachhält, sondern mit dem Troste aus Gottes Wort, durch Stärkung des Glaubens und durch Hinweisung auf den Ewigen, den Herrn der Lebendigen und der Todten: und du sahest, dein Wort blieb nicht ohne Wirkung, die geängsteten Herzen wurden wieder ruhiger, und die Niedergebeugten richteten sich wieder auf, ist das nicht dir selbst eine herzinnige Freude gewesen? O, nicht ohne Grund sagt der Apostel: „die Liebe ist das Band der Vollkommenheit.“ Sie veredelt uns selbst und beglückt den Nächsten; sie vereinigt uns unter einander als die Kinder Gottes, und lasset uns die seligsten Freuden genießen, das Glück, wohlzuthun und zu segnen, und das Glück, gesegnet und geliebt zu werden.

Doch damit wir bleiben in der Liebe, müssen wir bleiben in Christo. Die Liebe zu dem Nächsten ist wohl leicht, das Leichteste, was es geben kann; und ist doch oft so schwer, ja das Schwerste, was von uns gefordert werden kann. Es ist das kein Widerspruch. Siehe ein Kind an, wie es liebend allen entgegenkommt, wie es jedem eine Freude machen möchte, an eines jeden Wohl und Schmerz den lebendigsten Antheil nimmt: und du wirst sagen, die Liebe ist leicht, denn sie ist das Natürliche. Du selbst bist ein solches Kind gewesen. Und nun siehe das Kind an, wenn es erwachsen ist. Wie viel Täuschung hat es erfahren müssen; wie oft ist es mit seiner warmen Liebe abgewiesen; da, wo es sich offen hingeben wollte, zurückgestoßen; da, wo es helfen wollte, mit Undank belohnt; da, wo es sich nichts Arges gedacht hatte, gekränkt und beleidigt worden. Nun sitzen die Dornen der Kränkung in seinem Herzen; nun ist derjenige, der durch die Erfahrungen des Lebens gegangen ist, vorsichtig, verschlossen, und durch die Sorge für sein eigenes Wohl vielleicht selbstsüchtig geworden. Nun will er nichts mehr wissen von der Liebe zu dem Nächsten, nun will er nichts mehr hören von Förderung eines gemeinnützigen Werkes. Ich hab's gethan, so wird er sprechen, und hatte schlechten Lohn davon. Ein jeder denke nur an sich und kümmere sich nicht um den Nächsten, so wird er am Besten durch die Welt kommen. Siehe, wie schwer ist dem die Liebe geworden. Wer soll ihr sein Herz wieder öffnen, wenn der Herr es nicht thut? er, der die Menschen nicht bloß da liebte, wo sie ihm noch nichts zu Leide gethan, sondern auch da, wo sie ihn geschmäht und verfolgt, und dem Tode überantwortet hatten? Die irdisch Gesinnten waren von ihm abgefallen; die Schwachen an ihm irre geworden; in seiner Jünger Mitte hatte der Verrath Eingang gefunden; der Jubelruf seiner begeisterten Anhänger war verstummt vor dem Geschrei eines tobenden Pöbels; die Wohlthaten von ihm empfangen hatten, kamen nicht, ihm zu danken; die nie ein Leid von ihm erfahren hatten, erhoben sich in Grimm und Haß wider sein Leben; die mit Freuden ihn hätten aufnehmen, die in Ehrfurcht vor ihm sich hätten beugen sollen, sprachen das Todesurtheil über ihn aus. Und doch hörte er nicht auf zu lieben, und doch betete er noch in des Kreuzes Qualen um Vergebung für seine Feinde. Er floh nicht den Tod; als ein Opfer der Liebe gab er sein Leben hin für eine sündhafte Welt. O wende dich zu ihm, damit nicht Selbstsucht dein Herz verhärte; halte dich zu ihm, damit du nicht ermattest und entmuthigt werdest; bleibe bei ihm, so bleibest du in seiner Liebe. Und mit ihr im Herzen blicke vertrauend hinaus in die Zukunft. Für die Liebe giebt es allezeit viel zu thun, darum blühet auch für sie allezeit ein herrlicher Lohn.

III.

Aber werden wir damit alles Leid fern von uns halten? Wenn wir den Nächsten lieben und ihm dienen, wenn wir darnach ringen, frei zu werden von der Sünde, werden nicht dennoch manche Hoffnungen ohne Erfüllung bleiben? kann nicht dennoch unsere Zukunft eine traurige werden? Von unserm Herrn selbst, auf den wir die Hoffnung einer glücklichen Zukunft gründen sollen, von ihm, der keine Sünde gethan hat und der von der aufopferndsten Liebe erfüllt war, heißt es in unserm Texte: „siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“ Und von der Maria, die es kaum ahnte, daß dem Kinde, welches sie in den Tempel gebracht hatte, eine schmerzensreiche Zukunft bereitet sein könnte, die vielmehr voll beseligender Hoffnung in dieselbe hinausblickte, sagt Simeon, und nur zu sehr ging in Erfüllung, was er sagte: ,,es wird ein Schwert durch deine Seele dringen.„ Was wollen denn wir für uns erwarten? Was wollet ihr sagen und hoffen, die ihr auch Mütter seid; die ihr voll zärtlicher Liebe ein Kind in eure Arme schließet; die ihr für sein Wohl sorget und schafft, für sein Glück hoffet und betet? Was ist verborgen in der Zukunft Schooß? Wird nicht auch durch eure Seele ein Schwert dringen? werdet ihr es auch groß ziehen? wird es nicht hinwelken vor der Zeit? und wenn ihr es groß ziehet, wird etwa eine Zeit kommen, da ihr seufzen müsset, ach, daß es Gott lieber hinweggenommen hätte an seines Lebens frühem Morgen, als daß ich nun nur mit Thränen seiner gedenken kann? Was wird dir bevorstehen, der du der Deinen treuer Versorger bist? Bis hierher ist es dir gelungen. Wenn du auch mit mancher Sorge zu kämpfen hattest, es hat dir noch nicht gefehlt. Du stehest in Ehren da; auf deiner Tüchtigkeit in deinem Berufe, auf deiner rastlosen Thätigkeit ruhet deines Hauses Gedeihen und Wohlfahrt. Aber liegt nicht eben darin der Grund deiner Besorgniß? Wie, wenn ein schneller Tod dich hinwegraffte, welchem Schicksale würden dann die Deinen preisgegeben sein? Würdest du ruhig, ohne bange Sorge deine Augen schließen können? Und wenn du am Leben bleibst, bist du denn der Deinen so sicher, daß du jetzt nicht fragen müßtest, wie wird es heute übers Jahr sein? Werden dann nicht vielleicht ein Paar Augen, die jetzt mit dir des Hauses Wohl liebend behüten, von dunkler Nacht umhüllt sein? ein Herz, das jetzt noch deine Freuden und deine Sorgen theilt, aufgehört haben, zu schlagen? Der Tod fragt ja nicht nach deiner Liebe und deiner Hoffnung. Es sind oft gerade die schönsten Blüthen, die er aus des Glückes Kranze herausnimmt. Und ist es denn nur der Tod, der uns betrübt und ängstigt? Bald kann die Stimme der Klage erschallen in einem Hause, da man eben noch fröhlich war. Unerwartet kann die Noth herbei kommen, kann Nahrungslosigkeit und Stockung der Gewerbe die Herzen schwer und die Blicke düster machen; können Menschen dir feind werden und dich kränken; kann die Krankheit einziehen mit ihren Schmerzen und schlaflosen Nächten. Schnell kommt die Krankheit herbei, langsam geht sie wieder hinweg; und so oft läßt sie, wenn sie scheidet, den Mangel zurück und die Sorge. Wer vermag die Feinde zu zählen, die unser Glück zu zerstören drohen! Müssen wir darum nicht vielmehr fürchten, anstatt zu hoffen?

So müßten wir fragen, wenn wir ohne Christum wären. Sind wir bei ihm, so verstummet die Frage der Besorgniß. Er weist uns tröstend und verheißend hinauf zu ihm, von dem er gekommen ist. Es giebt kein Ungefähr in unserm Leben. Das Wichtigste und das anscheinend Unbedeutendste kommt nicht ohne Gott und wider seinen Willen, sondern nach seinem weisen und liebevollen Rathschluß. Was uns verborgen ist, vor seinen Augen ist es klar; was uns noch treffen wird, seine Hand führt es herbei; ob du in diesem neuen Jahr dich freuen, ob du klagen wirst, er weiß es. Und von ihm gesendet muß auch der Schmerz zur Freude weiden, und das Unglück Segen sein.

Nimm es an, was dich trifft, nimm es an aus seiner Hand; was von ihm kommt, muß zu deinem Glücke sein. Kannst du es nicht fassen, warum er es sendet, vertraue und zage nicht; du wirst ihn noch preisen, der dich wohl bisweilen wunderbar, aber doch allezeit herrlich führt. Ist Gott dein Freund, was willst du sorgen? ist Gott für dich, wer mag wider dich sein? wer will dein Glück zerstören, wenn Gott es hält und schützt, wenn er es baut und fördert? Nimm deine Sorgen und wirf sie auf ihn, er sorget für dich, und wird dich nicht ewiglich in Unruhe lassen. Wie unser Herr durch Leiden zur Herrlichkeit geführt worden ist, so wirst auch du von Gott geführt werden. Deine Freude ist sein Geschenk, und dein Schmerz ist eine Gabe seiner Liebe. Zu ihm führt dich alles, Freud' und Leid; o laß zu ihm dich führen, bei ihm ist Seligkeit die Fülle. Suche ihn durch den, der uns der Weg zu ihm ist, und ohne den niemand zum Vater kommt. Bleibe bei ihm, so bleibt er bei dir; hoffe auf ihn, du wirst nicht vergeblich hoffen. Ihm und seinem Schutze besieht dein Glück, deine Hoffnung, deine Zukunft, dich und die Deinen, die du lieb hast, und du wirst mit dem Apostel sprechen können: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal, oder Angst, oder Verfolgung? In dem allen überwinden wir weit um deß willen, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.“ Amen.

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autoren/s/steinhaeuser_hermann/steinhaeuser-sonntag_nach_neujahr.txt · Zuletzt geändert: von aj
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