Stähelin, Ernst - Die Sünde, ihr Wesen und ihre Folgen.

Stähelin, Ernst - Die Sünde, ihr Wesen und ihre Folgen.

„Es gehört nicht eben eine besondere Tiefe der Betrachtung, sondern nur ein geringer Grad sittlichen Ernstes dazu,“ hebt das Buch eines berühmten Theologen1) über unsern Gegenstand an, „um vor einer Erscheinung des menschlichen Lebens sinnend stehen zu bleiben und immer wieder den forschenden Blick ihr zuzuwenden. Es ist die Erscheinung des Bösen; das Vorhandensein eines Elementes von Störung und Entzweiung gerade da, wo die Forderung der Einheit und Harmonie mit dem größten Nachdrucke sich geltend macht. Dieses Element tritt uns überall entgegen, wenn an unserm Geiste die Geschichte des menschlichen Geschlechtes, der Gang seiner Entwicklung im Ganzen und Großen vorüberzieht. Es verräth uns in den mannigfaltigsten Wirkungen seine Gegenwart, wenn wir die engsten Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft ins Auge fassen; wir können uns sein Dasein nicht verbergen, wenn wir in unser eigenes Inneres schauen. Es ist ein nächtlicher Schatten, der alle Kreise des menschlichen Lebens verfinstert, den wir immer auf's Neue die heitersten, lichtesten Gestalten desselben verschlingen sehen.“

Und wohl, meine Freunde, dürfen wir hinzusetzen, daß wenn über irgend einen Punkt unseres Wesens und unserer Zustände alle Menschen, so viele ihrer sind, in ihren Aussagen übereinstimmen, so über diese Thatsache von dem Vorhandensein eines Bösen in uns und unter uns, von der tiefen Unvollkommenheit der menschlichen Natur, und damit alles dessen, was von ihr ausgeht und mit ihr zusammenhängt. Denn zuerst erfährt das doch ein Jeder schon an sich selbst. Während er es im Innersten empfindet, daß er ursprünglich göttlichen Geschlechtes ist, geschaffen zu Frieden und Freude und vollem Genügen, sieht er sich in der That in das ganz Entgegengesetzte verstrickt und dahingegeben. In seinem gesammten Wesen ist Eines gegen das Andere und hemmt und hindert es in seiner freien Bewegung. Der Einsicht des Verstandes widerstreitet die Lust des Herzens; was der Geist wünscht und erstrebt wird von dem Fleisch darniedergehalten und vereitelt, unsere besten Gedanken und Entschlüsse, von denen wir wissen, daß ihre Verwirklichung unsern innersten Bedürfnissen entspräche, sind wir nicht im Stande zur Ausführung zu bringen. In irgend einer Weise kommt es immer wieder vor, und bleibt es immer wieder bei dem, was der Apostel sagt: „Was ich will, das thue ich nicht, sondern was ich nicht will, das thue ich.“ Und wie dieser Zwiespalt in unserm Innwendigsten uns zu keinem ganzen, dauernden Frieden, zu keinem vollen Genusse irgend einer Art kommen läßt, wissen wir Alle, und vernehmen es wie mit einer Stimme, wo nur immer ein Menschenmund sich aufthut, um über die Freude und das Leid des Lebens, über das Geschick und Ergehen unseres Geschlechtes ein Zeugniß abzulegen. „Das Beste ist nie geboren zu werden,“ ruft der größte griechische Dichter aus, zur Zeit da seine Vaterstadt in der höchsten Blüthe des Glanzes und Glückes stand, „und wer ein Liebling der Götter ist, der stirbt in der Kindheit!“ „Wenn des Menschen Leben auch noch so köstlich ist,“ stimmen die Sänger des alten Bundes bei, „so ist es Mühe und Arbeit; er ist voller Unruhe; was er auch thut und hat, es ist eitel und Jammer.“ „Ja wahrlich,“ heißt es in dem Prediger Salomo, ganz ebenso wie bei dem Dichter der Griechen, „die Todten, die schon gestorben sind, sind mehr zu preisen als die Lebendigen, die das Leben haben. Und wer noch nicht ist, ist besser denn alle Beide.“ Und ich brauche es nicht erst zu sagen, wie diese Rede im Laufe der Jahrtausende in keinem Stücke anders geworden, wie man nicht im Geringsten den christlichen Begriff von der menschlichen Bestimmung und dem menschlichen Verderben zu haben braucht, um es auf das schmerzlichste zu empfinden, daß unser Wesen in seiner tiefsten Tiefe gestört und zerrüttet ist, und mit herzzerreißendem Bekenntnisse auszurufen wie Schiller es thut:

„Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“

Und selbst, wenn der Eine oder Andere in unserer Mitte das nicht so lebendig empfände, wenn er seine Ansprüche an inneres Glück und Genügen so weit herabdrückte, daß er über den eigenen unbefriedigenden Zustand sich in Leichtsinn hinwegsetzte, und mit den mehr äußeren Gütern, Genüssen und Freuden sich begnügen wollte, die ja allerdings vorhanden sind, und zu denen er immer noch die Fähigkeit in sich trägt: findet er dann nicht draußen in der Welt, in der Gemeinschaft der anderen Menschen, völlig dasselbe wieder, dem er entfliehen, dessen Bitterkeit er sich fern halten möchte? Tritt ihm nicht auch da überall eine Zerrüttung und Verkehrung entgegen, die gar oft seine Wünsche durchkreuzt und vereitelt, die Freude ihm verbittert, ihm Böses und Widerwärtiges darreicht statt des Guten, nach dem er die Hand ausstreckt? Selbstsucht, Neid, Haß, Lüge, Falschheit, Zorn, Ungerechtigkeit, Unfreundlichkeit und wie die Sünden alle heißen, die den Verkehr der Menschen unter einander stören und vergiften, begegnen ihm wohin er sich wendet, und geben ihm auf das Empfindlichste zu fühlen, wie es mit der sittlichen Beschaffenheit unseres Geschlechtes steht. Und bezeichnend genug ist es - ja wahrlich! bezeichnend genug auch für seinen eigenen Zustand - daß er nun über dieses Verderben der Andern, über das Unrecht, das ihm angethan wird, keineswegs so leicht sich hinwegsetzt, wie über die eigenen Mängel und Verkehrungen. Da im Gegentheil stimmt er aus vollem Munde bei, daß man wenig Gutes finde und erfahre unter den Menschen, sondern zumeist Kränkung und Beleidigung und Unwahrhaftigkeit und Lieblosigkeit; denen, die ihm irgendwie entgegenstehen, schreibt er alles Schlimme zu, und ist weit entfernt, seine günstige Meinung von der menschlichen Natur auf sie anzuwenden; mit den Propheten und Aposteln ruft er von ihnen aus: „Es ist Keiner unter ihnen, der Gutes thue, auch nicht Einer!“ und denkt nicht daran, daß sie ihrerseits ganz ebendasselbe und mit ganz gleicher Wahrheit von ihm behaupten; daß er seinen Nächsten durchaus das Nämliche zufügt, was er von ihnen erfährt, daß ihre Verkehrung, für die er so scharfe Augen hat, ihm ohne Weiteres ein Spiegel sein kann seiner eigenen, die er sich nicht eingestehen will.

Also das ist sicher und unzweifelhaft, und wird in irgend einer Weise durch das Zeugniß Aller bestätigt: eine Verkehrung, ein Verderben ist vorhanden in dem Menschengeschlechts ohne daß irgend ein Punkt seiner Zustände, irgend ein Verhältnis das von ihm ausgeht, davon verschont bliebe. Und wie das schon in den Worten: „Verderben und Verkehrung“ liegt: nicht in dem ursprünglichen Wesen des Menschen kann dieser traurige Stand der Dinge begründet sein, sondern diesem ursprünglichen Wesen zum Trotz und zuwider muß er sich gebildet haben, sonst würden wir ihn ja nimmermehr als eine Ungehörigkeit, als ein fremdes und widerstrebendes Element in unserer Natur empfinden. Wären wir von vorneherein auf die Selbstsucht angelegt: was wüßten wir dann überhaupt von der Liebe und ihren Forderungen, und wie könnte es uns peinlich berühren, wenn sie verletzt wird? Hätten wir nie etwas von Einheit unserer gesammten Persönlichkeit, von innerer Freude, von vollem Genügen unseres Inwendigen in uns getragen, noch den Beruf erhalten, darnach zu trachten und es endlich zu erlangen: woher käme dann die innige Sehnsucht, das brennende Hungern und Dürsten nach diesen Gütern, das uns Alle in irgend einem Maaße hin- und hertreibt und verzehrt?

Woher das unheilbare Unbehagen, in das der Zwiespalt unseres Herzens uns versetzt? Woher überhaupt diese ganze schmerzliche Unruhe jedes Einzelnen unter uns und unseres ganzen Geschlechtes, diese schweren trüben Stunden, die Keinen verschonen, sobald er etwa einmal aus dem zerstreuenden Geräusche der Welt hinaus gerissen wird und allein ist mit sich selbst? Dieß innere Nichtsattsein und Nicht-satt-werden-können, das wir durch die uns zu Gebote stehenden Güter vielleicht wohl auf eine kurze Zeit zu beschwichtigen, aber nimmermehr wirklich abzustellen vermögen, das immer von Neuem hervorbricht, und wohl Jedem von uns während seines Lebens etliche Mal das Bekenntniß des Paulus auspreßt: „O ich elender Mensch!“ Ja, meine Freunde, woher das Alles, wenn unser gegenwärtige Zustand doch der ursprüngliche und unserm Wesen angemessene wäre, wenn wir uns nie in einem andern befunden hätten und nie einen andern erlangen sollten? Man kann doch nicht vermissen, was man nie besaß, wovon man nichts weiß, was gar nicht erfordert wird von der natürlichen Anlage und Beschaffenheit. Und wenn also wir Menschen in unserer jetzigen Lage uns unbefriedigt fühlen und darunter leiden und nach etwas Besserem verlangen, so leuchtet es demnach von selber ein, daß wir uns früher in einer andern Lage müssen befunden, daß wir etwas müssen verloren haben, daß unser gegenwärtiger Zustand unserm eigentlichen Wesen und unserer innern Anlage nicht entsprechen kann. „Die Sünde selbst,“ sagt Augustin mit einem seiner tiefsinnigen Worte, „ist ein Zeugniß für eine ursprünglich anders und höher geartete Bestimmung und Wesenheit des Menschen, weil er ja auch in ihr im Grunde nicht Böses, sondern Gutes, Glück, Heil und Freude für sich sucht.“ Wir müssen demnach irgendwo und -wie einen Fall gethan haben, wir müssen um unsere besten Güter gekommen, wir müssen gestürzte Könige sein, die nun umherirren in der Verbannung und ihr Brod essen im Staube. „Ja, fürwahr, du bist hienieden nicht an deinem Platze und nicht in deiner rechten Ordnung,“ ruft ein großer französischer Denker2) aus, „eine einzige gute Regung deines Herzens, die dich besser machen möchte, eine einzige Stunde der innern Unruhe beweist dir das deutlicher, als alle Reden der Philosophen die das Gegentheil beweisen können.“ Und ein Anderer fügt bei: „Weder der Zustand der rohen Natürlichkeit, in dem der Wilde lebt, noch der unserer verderbten Civilisation kann der richtige sein; unser Inneres weist uns hin auf ein einfaches, in Gott sich bewegendes, mit Gott in Gemeinschaft stehendes Leben. Unsere jetzige Beschaffenheit zeugt in unwidersprechlicher Weise von einem Falle der Menschheit, der allein den Schlüssel zu ihrer ganzen Geschichte enthält. Darum geht die Welt (nämlich die unerlöste, die unchristliche) in sittlicher Beziehung immer zurück, während der Geist immer vorwärts zu kommen sucht; daher ist in der gegenwärtigen Lage die höchste Weisheit des Menschen nur ein Zurückschauen, nur ein sich Zurückerinnern an die Vergangenheit, und die Tugend nur eine Rückkehr zu Gott. Durch alle Religionen schimmert diese große Wahrheit hindurch. Im ganzen Weltall gibt es keine Wissenschaft, welche sich mit den geistlichen Dingen beschäftigt, die nicht darauf beruhte.“

Und wer diese verschiedenen Religionen und Wissenschaften außerhalb des Christenthums auch nur oberflächlich kennt, der weiß es zur Genüge, wie richtig in der That diese letztere Aussage ist. Unter jedem Volke, das irgend eine Ueberlieferung und Literatur besitzt, lebt auch die Sage von einem „goldenen Zeitalter „, wie die griechischen und römischen Schriftsteller es nennen, wo die Erde noch von selbst hervorbrachte was ihre Bewohner bedurften, wo die Götter noch unter den Menschen wandelten und von ihnen geliebt wurden und mit ihnen verkehrten, wo die Herzen noch rein waren, noch unschuldig, noch nicht durch Laster und Leidenschaften entartet, wo noch Friede und Freude wohnte überall und der Wolf neben dem Lamme weidete, ohne ihm ein Leides zu thun. Aber diesem goldenen Zeitalter, fügen sie dann bei, sei ein silbernes gefolgt, diesem silbernen ein ehernes, diesem ehernen ein eisernes: - eben das der Härte und Ungerechtigkeit, und Friedlosigkeit, in dem wir jetzt uns befinden. Aber wie das möglich war? warum es so kam? wie unser Geschlecht in solchen Verfall gerathen konnte? das weiß Keiner von ihnen genügend aufzuhellen. Sie stehen vor dem Verderben da als vor einem großen, schweren Räthsel, und tragen am Ende Sünde und Schuld und Streit bis in ihren Himmel und ihre Götter hinein, um das dunkle Verhängniß irgendwie zu erklären, unter dem der ganze Weltkreis gebannt liegt.

Nur Eine Ueberlieferung unter ihnen allen weiß über diesen Punkt Aufschluß und giebt eine vollkommen klare, mit der Geschichte und dem Bewußtsein der Menschen auf das Beste zusammenstimmende Lösung des Räthsels. Nämlich die Ueberlieferung des Volkes Israel, die Ueberlieferung der Bibel, die eben nicht eine bloß menschliche Ueberlieferung ist, sondern die Offenbarung Gottes an unser Geschlecht über seinen himmlischen Beruf und den Weg, der dazu führt. Und diese Ueberlieferung gibt uns nun, in wenige Worte zusammengefaßt, die Auskunft: Der Grund und die Ursache dieses ganzen verdorbenen und zerrütteten Zustandes, in dem das Menschengeschlecht sich hienieden befindet, ist die Sünde; und die Sünde ist ihrem innersten Wesen nach das sich Losreißen und Losgerissensein des Geschöpfes von seinem Schöpfer, so daß das Geschöpf durch und für sich selber etwas sein und das Ziel erreichen will, nach dem sein Herz sich sehnt, das Ziel: herrlich und glücklich und selig zu werden, während es doch in der That nur in Gott das besitzen, nur in Gott den Frieden und das volle Genügen haben kann, auf das hin sein Wesen angelegt ist.

Lassen Sie mich, meine Freunde, diese allgemeine Bestimmung aus dem biblischen Gedankenkreise heraus nun im Nähern entwickeln, und dabei zugleich das Weitere daran knüpfen, was über den Ursprung solcher Sünde und ihre allgemeine Verbreitung unter den Menschen zu sagen ist, soweit der für solche Darstellung überaus beschränkte Raum es mir gestattet. Sie werden sich dann selber überzeugen, wie durchaus vernunftgemäß und der ganzen Art unseres Wesens entsprechend die Antwort auf die große Frage sich darstellt; namentlich, wenn Sie auch Ihr Gewissen und Ihre Erfahrung in diesem Punkte, - an der es ja wahrlich Keinem von uns fehlt - dabei zu Rathe ziehen.

Der Gott, der die Liebe ist, hat, wie wir das schon in der letzten Vorlesung mit so ausgezeichneter, folgerichtiger Beweisführung andeuten hörten, das Menschengeschlecht dazu in das Leben gerufen, daß es mit ihm in Liebesgemeinschaft trete, sich von ihm lieben lasse und ihn wieder liebe, und in dieser Liebesgemeinschaft ewige Seligkeit habe, so wie er selber selig ist. Denn das wissen wir ja Alle: Lieben und geliebt werden ist Seligsein. Schon von der irdischen Liebe, von der Liebe der Geschöpfe unter einander, wird es mit allem Rechte von Jedermann anerkannt, daß sie das Herz glücklich und wonnevoll mache über Alles, was ihm sonst geboten werden kann; um wie viel mehr wird das also von der reinen, alle Höhen und Tiefen umfassenden Liebe Gottes gelten müssen, bei der es keine Hemmung, keine Unvollkommenheit irgend einer Art mehr gibt, und die zugleich auch jegliches Andere in sich schließt, was ihm zugehört, so daß wir durch sie in einem großen Liebesbunde stehen mit Allem was lieben kann und der Liebe werth ist im Himmel und auf Erden. Darum, meine Freunde, mußte denn schon das Gesetz des Alten Bundes und nachher der Erlöser wieder sagen: Alles, was dir obliegt, o Mensch, Alles, was zur Erfüllung deiner Bestimmung nöthig ist, faßt sich zusammen in das Eine Wort: „Habe Liebe - Liebe zu Gott und zu deinen Mitgeschöpfen. Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen und von ganzer Seele und deinen Nächsten als dich selbst. Das ist das vornehmste und größte Gebot, darin sind enthalten das Gesetz und die Propheten.“

Nun aber leuchtet es wiederum Jedermann von selber ein, daß wirkliche Liebe nur aus der Freiheit kommen, nur eine freie sein kann. Wo irgend ein Zwang, eine Nöthigung besteht, komme sie von innen oder von außen, da ist keine Liebe mehr. Durch ihr eigenstes Wesen schließt die Liebe alles Derartige von sich aus. Von dem Hausthiere, das an seinem Herrn hängt und ihm gehorcht, weil es eben so in seiner Natur liegt, kann man doch nicht sagen, daß es ihn liebe, denn seine Anhänglichkeit ist nur ein Instinkt, der von dem einen Meister ohne Weiteres auf einen andern übergeht, und dem Schlechtesten, Verruchtesten sich zuwendet, wie dem Besten. Solche Liebe ist keine Seligkeit, solche Liebe kann mit Gott nicht in Gemeinschaft stehen und ihn umfassen. Mit klarem Bewußtsein und freier Wahl, weil er ihn als das beste und liebenswertheste Gut erkennt, muß sich an ihn hingeben wer in ein Liebesverhältniß mit ihm treten will. Und wenn nun die Menschen zu einem solchen bestimmt sind, so konnten sie also nicht anders, denn als Freie geschaffen werden, mit freiem Willen, in welchem die Möglichkeit liegt, dieser Liebesbestimmung zu folgen oder sie zu verweigern, zu lieben oder nicht zu lieben. In dem himmlischen Berufe des Menschen selber, in seinem Berufe zur Gottesgemeinschaft liegt demnach die Möglichkeit des Abfalls, die Möglichkeit von diesem Berufe abzuweichen und das Ziel desselben zu verfehlen. Und eben dieß Letztere wird nun zunächst durch das Wort „Sünde“ ausgedrückt. Die hebräischen und griechischen Bezeichnungen hiefür, die in der Bibel sich finden, bedeuten fast ausnahmslos ein Abweichen vom rechten, vorgezeichneten Weg, das Gehen auf einer krummen und verkehrten Straße, die nicht zum Ziele führt, und eben darum auch das Verfehlen dieses Zieles selber, wie der abgeirrte Wanderer es verfehlt oder der unachtsame Schütze und Schleuderer.

Daraus aber wird es nun auch von selber ohne Weiteres klar, worin die Sünde eigentlich besteht. Ist das dem Menschen vorgesteckte Ziel die Liebe, und ist die Sünde das Abirren von diesem Ziele, die Verfehlung desselben: nun, so muß sie also nothwendigerweise der Mangel an Liebe sein, die Lieblosigkeit mit dem bezeichnendsten und erschöpfendsten Ausdrucke: die Selbstsucht. Der Mensch wird zum Sünder und irrt von seiner Bestimmung ab, indem er, statt in der Liebesgemeinschaft mit Gott sein Bestehen zu haben und in ihr Alles zu suchen, was er bedarf: Leben, Glück, Seligkeit, sein Bestehen durch sich selber haben will und dieses Alles durch sich selber zu erreichen gedenkt.

Er mag sich nicht hingeben, er mag nicht abhängig sein, wie das Wesen der Liebe es erfordert; er mißbraucht seine Freiheit dazu, einen eigenen, einen andern Willen zu haben als den Willen Gottes und seinen Weg einzurichten nach diesem eigenen Willen. Dieß ist die eigentliche Wurzel, der Kern, und wenn wir so sagen dürfen: der Lebensgeist aller und jeder Sünde.

Aber wie viele verschiedenen Zweige wachsen nun aus dieser Einen Wurzel hervor, und in wie mannigfachen Gestalten wird dieser Geist zu Fleisch und Blut! Denn indem auch in dem sündlichen, selbstsüchtigen Herzen das Bedürfniß nach Glück und vollem Genügen fortlebt, muß es nun dieses Bedürfniß ganz unvermeidlicher Weise durch diejenigen Güter zu befriedigen suchen, die ihm außer Gott zu Gebote stehen, und keine hingebende Liebe von ihm verlangen, sondern sich ihm im Gegentheil zum beliebigen Gebrauche darzubieten scheinen. Es wendet sich vom Schöpfer zu dem Geschöpfe, von Gott zu der Welt, von dem Unsichtbaren zu dem Sichtbaren, um hier zu gewinnen, was ihm Noth thut, und sein Hungern und Dürsten zu stillen. Da gedenkt dann der Eine - ein Jeder je nach Natur und Anlage - durch die Lüste des Fleisches sich genug zu thun, der Andere durch möglichst ausgedehnten Besitz der weltlichen Güter, der Dritte durch das Gewinnen einer hohen, beherrschenden Stellung unter seinen Mitgeschöpfen, und was dergleichen mehr ist. Weniger sinnlich geartete Naturen, die an Solchem kein Gefallen finden, lassen das Aeußere, so zu sagen die Materie dieser Dinge bei Seite, und suchen sie gleichsam nur in geistiger Weise zu genießen. Mit dem Geist umfassen und schauen sie an die Fülle der Schöpfung und der Güter der Welt; in dem was irdische Kunst und Wissenschaft heißt, Erkenntniß des Schönen und Anziehenden, trachten sie zu erwerben was ihr Inneres begehrt.

Allein da ereignet sich nun etwas ganz Eigenthümliches, Unerwartetes und Unvorhergesehenes, das aber doch im Grunde durchaus natürlich ist, und aus der Beschaffenheit unseres Wesens mit Nothwendigkeit hervorgeht. Indem dieses nämlich, auf die Gemeinschaft mit Gott angelegt, durchaus gemacht ist zu liebender Hingabe und Abhängigkeit: zeigt es sich nun mit Einem Male, daß wir durch die Lossagung von Gott doch in keiner Weise selbständig geworden sind, wie wir es hofften, sondern nur den Gegenstand unserer Hingabe und Abhängigkeit gewechselt haben. Wir gedachten die Welt zu genießen und zu gebrauchen als Freie, als Solche, die sie beherrschen; aber siehe da! indem wir uns mit ihr einlassen, erweist sich unser durch die Abkehr von Gott allein auf die eigene Kraft beschränkter und aus seinem rechten Centrum herausgerückter inwendiger Mensch als viel zu schwach, um Herr über sie zu werden und zu bleiben. Der ihr zugewendete Theil unserer Natur, das Fleisch und Blut, wie die Schrift es nennt, das der mit Gott geeinigte Geist sich hätte dienstbar machen können und sollen, und es durch solche Dienstbarkeit verklären und auch selber vergeistigen, reißt sich nun ebenso von diesem seinem kraftlos gewordenen Herrn los, wie er sich von Gott losgerissen hat, verbündet sich gleichsam mit den weltlichen Dingen, die durch unsere Verkehrung auch in eine verkehrte Stellung zu uns gerathen sind, und zieht uns so mit übermächtiger Gewalt in sich hinein. Wir wollten die Welt gewinnen, und wir verlieren uns an sie; wir wollten von der Höhe freier und eigener Bestimmung herab uns aus ihr erwählen was uns beliebt und gefällt, und wir müssen inne werden, daß, wo wir zu diesem Zweck mit ihr in Berührung treten, sie uns festhält und auf ihre niedrige Art einzugehen zwingt. Mögen wir nun immerhin erkennen, daß wir in ihr doch nicht finden was wir suchten, daß wir durch sie noch nicht zu dem Genügen und Seligsein gelangen, das wir begehren: wir können uns ihr nicht mehr entwinden, und können es immer weniger, je mehr durch die Gemeinschaft mit ihr das sinnliche Element in uns sich verstärkt und das geistige am Ende auch seinerseits versinnlicht und verweltlicht wird. Die Lüste und selbstsüchtigen Bestrebungen irgend einer Art, denen wir zuerst mit Freiwilligkeit uns hingaben, werden uns so zu Bürden, zu Leidenschaften, indem sie uns nicht gewähren, was wir von ihnen erwarteten, und uns doch auch nicht wieder loslassen wollen. Wie ein übermächtiger Strom den Schwimmer, der sich unvorsichtig und seine Kraft überschätzend hineingestürzt, treiben sie uns abwärts, immer abwärts, immer weiter hinweg von unserm ursprünglichen Ziele, immer mehr von Gott uns scheidend, immer mehr unsern ewigen Beruf uns verdeckend, immer mehr uns herniederziehend in eine Tiefe, da wir das was droben ist, völlig aus dem Auge und Sinne verlieren. „Wer Sünde thut, der wird der Sünde Knecht,“ ruft darum die Schrift aus. Wer nicht Gottes sein will, der ist deßhalb doch nicht sein eigen, sondern macht sich das zu Gott, und gehört dem an, was nicht Gott ist, und also seinem eigentlichen, innersten Wesen unmöglich genügen kann, sondern im Gegentheil dasselbe unterdrückt und zerstört.

Und brauche ich es nun erst noch nachzuweisen, wie aus solchem Zustande nicht nur nach innen, sondern auch nach außen jede Art von Störung und Zerrüttung der ursprünglich von Gott gewollten Verhältnisse folgen muß? Indem die Selbstsucht die eigentliche Triebfeder ist, die jedes Einzelnen Sinn und Thun beherrscht, begegnet ja überall die Selbstsucht der Selbstsucht, und da die Güter, die Besitzthümer, die Genüsse dieser Welt nicht unbeschränkt sind, sondern die Menschen sich in sie theilen müssen, so muß nothwendigerweise die Selbstsucht des Einen sich durch die Selbstsucht des Andern gehindert, beschränkt, beeinträchtigt sehen und darum mit ihr in Kampf gerathen. Und so schreitet denn die bloße Selbstsucht weiter fort zur Feindschaft gegen die Andern, wenigstens gegen die, die ihr irgendwie im Wege stehen. Sie wird zu Haß, Neid, Bitterkeit mit allem, was daraus folgt und daran hängt. „ Wir lieben nicht nur unsere Nächsten nicht, sondern wir sind von Natur auch geneigt, sie zu hassen,“ sagt der Katechismus unserer Kirche. Und wir werden, wenn wir die Sache von dieser Seite her in's Auge fassen, ihm zugeben müssen, daß er damit in keiner Weise über die Wahrheit hinausgeht. Denn auch wo wir unsere Nächsten lieben, - wie wir es nennen, - da ist es ja keine wirkliche Liebe, sondern ein Lieben wieder aus Selbstsucht. Wir lieben sie, weil sie die Unsrigen sind und uns darum ein gewisser natürlicher Zug zu ihnen hintreibt, oder weil wir irgendwie Genuß, Freude von ihnen empfangen, durch ihre Gemeinschaft die Leere unseres Innern einigermaßen auszufüllen hoffen.

Mit all' diesen Auseinandersetzungen haben wir nun aber eine Seite unseres Gegenstandes noch nicht berührt. Die Sünde ist nämlich nicht nur Verirrung, Verfehlung des Zieles, Unseligkeit, sondern auch Schuld und Uebertretung; eine Schuld, die, wenn es überhaupt eine vergeltende Gerechtigkeit gibt, unvermeidlicher Weise derselben anheimfallen muß. Denn nicht so irren wir ja, daß wir den rechten Weg nicht wüßten, und nicht in der Weise verläugnen wir den Willen Gottes und unsern Beruf, daß wir von diesem Willen und Berufe durchaus keine Kenntniß hätten, sondern in irgend einem Maße ist vielmehr jeder dieser Irrenden und Fehlenden sich bewußt, daß er abgewichen ist von dem ganz bestimmt ihm vorgezeichneten Wege, und fort und fort in solcher Abweichung sich bewegt; daß er mit seinem Zustand und Benehmen sich in unablässigem Widerspruch befindet gegen das, was im höchsten Sinn das Recht und die Ordnung ist, und also unrecht daran thut, ein Unrecht damit begeht. Es ist, wie uns Allen bekannt, das Gewissen, das auch da, wo es dem Menschen an einer äußeren Offenbarung des göttlichen Wortes fehlt, diesen Willen ihm in das Herz schreibt und solches Bewußtsein der Verfehlung gegen die höhere Ordnung in ihm wach erhält. Das Gewissen, diese allerwunderbarste und übernatürlichste Kraft in dem menschlichen Wesen, die von all den übrigen mannigfachen Gaben, die wir in uns tragen, dadurch sich unterscheidet, daß während diese uns dienen und wir nach Belieben über sie schalten und walten können zu unsern Zwecken, es im Gegentheil unabhängig dasteht neben unserm Willen und mit einer Gewalt, die wir nie völlig zu unterdrücken vermögen, den Anspruch erhebt, diesen Willen seinerseits zurechtzuweisen und zu leiten nach seinen Zwecken. Und diese seine Zwecke sind, wie wir wissen, gerade die entgegengesetzten von denen unsers verkehrten Willens und unsrer dem Fleische verfallenen Natur. Mag es auch selber mitleiden unter unserer Verkehrung und dadurch mannigfach getrübt werden, so hört es doch nicht auf, aus der Verirrung und dem Sündenzustand beständig uns hinzuweisen auf das Gegentheil desselben, auf das Gute, und damit auf das eine höchste Gut, von dem alles Gute kommt, auf Gott. Indem es in uns lebt und zeugt, kann es Keinem ganz verborgen bleiben, daß er mit seinem selbstsüchtigen fleischlichen Sinne und Thun irgend einer höhern heiligen Ordnung widerstrebt, irgend ein ewiges Gesetz verletzt, irgend eines Frevels sich schuldig macht an einer über ihm waltenden, gerechten und die Gerechtigkeit wollenden Macht. Und wenn er nun dessenungeachtet in dem Zustande und Verhalten beharrt, von dem er doch Solches empfindet: sagt es uns da nicht unser Rechtsgefühl von selber, daß sein verkehrtes Wesen in diesem Falle nicht mehr nur ein Uebel, ein Unglück, gleichsam eine Krankheit ist, wie man die Sünde wohl zuweilen anzusehen liebt, sondern ein bewußtes Unrechtthun, eine bewußte Verachtung der ihm gebietenden Gewalt, eine Verläugnung seiner Bestimmung und dessen, von dem sie herrührt, wider besseres Wissen und Gewissen? Das aber eben macht die Schuld aus im eigentlichsten und vollsten Sinne des Wortes, und dasselbe Gewissen, das vor der Abirrung uns gewarnt, bezeugt uns dieß auch in der allerunverkennbarsten Weise. Nicht umsonst reden wir von einem schlechten, einem schuldbeladenen Gewissen, von einem Gewissen, das sich fürchtet und sich verbergen möchte im Dunkel wie Adam, da er übertreten hatte.

Und kaum brauche ich nun noch weiter daran zu erinnern - denn es versteht sich ja ganz von selber, daß je klarer und bestimmter uns kund gethan ist was wir sein und thun sollen: um so mehr unsere Verschuldung sich steigert und gleichsam einen bösartigeren Charakter annimmt, wenn wir nun dennoch im Abweichen und Widerstreben dagegen beharren. „Durch den Erlaß des Gesetzes,“ bemerkt in diesem Sinne der Apostel Paulus, „ist die Sünde noch sündiger geworden, als sie vordem gewesen war;“ und in noch viel höherem Grade muß dieß also von der vollkommensten Offenbarung des göttlichen Liebeswillens in Christo gelten. Da kann es nun zu jener völlig ausgesprochenen, durch und durch bewußten Feindseligkeiten gegen die Weisungen von oben her kommen, welche der Herr die Sünde gegen den heiligen Geist nennt, die nicht mehr vergeben werden könne. Da mag der Apostel sagen: „Wem das Evangelium Christi nicht zu einem Geruche des Lebens zum Leben wird, dem wird es zu einem Geruche des Todes zum Tode.“ Und wir brauchen nur daran zu denken, wie wir selber etwa den Ungehorsam unserer Kinder ansehen und beurtheilen, wenn sie nicht nur überhaupt Unrechtes thun, sondern auch auf unsere ausdrücklichen und immer ausdrücklicheren Verbote keine Rücksicht nehmen, und so von dem Elternwillen und der Eltern-Autorität geradezu sich lossagen: wir brauchen, sage ich, nur hieran zu denken, um uns alsobald auf das Lebendigste zum Bewußtsein zu bringen, wie unsere Sünde vor Dem erscheinen muß, der uns ein heiliges Liebesleben zur Aufgabe stellte, und es uns fort und fort von innen und außen einschärft, daß dieß in der That sein Willen und Gebot an uns sei.

So steht denn der Sünder da zugleich als verirrt und verschuldet, zugleich als dem Uebel und der Strafe anheimgefallen. Denn daß es eine Bestrafung von Gott aus gibt und geben muß, wird ja dem einfachsten Nachdenken ohne Weiteres klar, wenn uns anders dieser Gott nicht zu einem Spotte werden soll, über den wir selber die Achseln zucken. Oder was würden wir - um die eben gebrauchte Vergleichung noch einmal anzuwenden - von einem Vater halten, der seinen Kindern zwar alltäglich ein Gebot oder Verbot einschärfte, aber es dann doch ohne irgend eine Ahndung geschehen ließe, wenn das Kind das gerade Gegentheil seines Gebotes thäte? Einem jeden Beschauer, wie dem Kinde selbst würde solch ein Mensch als ein jämmerlicher Schwächling erscheinen, dessen Person und Wort am Ende nur noch Verachtung und Gelächter erregte. Und diese Jämmerlichkeit und Verächtlichkeit sollten wir auch auf unsern Gott übertragen? und nicht vielmehr erkennen, daß das Gerechtigkeitsgefühl, das in uns selber wohnt, und das für jede Schuld Sühnung und Strafe fordert, in noch viel höherem und heiligerem Maße in dem wohnen muß, nach dessen Bild wir gemacht sind, so daß wir ja wohl in einem gewissen Sinne von uns auf ihn schließen dürfen und müssen? Wie nun aber von Gott nichts Willkürliches ausgeht, sondern Alles, was er thut, in der Natur der Sache selber begründet ist und sich mit Nothwendigkeit daraus ergibt, so ist auch die Strafe, welche er über die Sünde verhängt, keine willkürliche, von außen kommende, sondern eine solche, deren vollkommene Gerechtigkeit einem Jeden einleuchtet, weil sie eben aus der Sünde eigenem Wesen hervorgeht, und nichts Anderes ist als ihre Frucht und Vollendung. „Was der Mensch säet, das wird er erndten,“ sagt die Schrift, indem sie dieß in ein Wort zusammenfaßt. Und wenn nun die Sünde die Selbstsucht säet, d. h. das Sichlosreißen von Gott und das Sichhängen an das Kreatürliche, was wird, was kann sie dann Anderes erndten als die Trennung von ihm, das endlich völlige Geschiedensein von ihm, und das Untergehen in der vergänglichen Creatur, deren Schicksal sie nun theilen muß, nachdem sie gemeinschaftliche Sache mit ihr machte? Gott aber ist unwidersprechlicher Weise der alleinige Urquell alles Lebens und aller Güter, und von ihm geschieden sein heißt also: geschieden sein von allem Leben und allem Guten, heißt mit einem Worte: der Tod. „Der Tod ist der Sünde Sold,“ ruft der Apostel aus; „wenn die Lust empfangen hat,“ schreibt Jakobus, „so gebieret sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebieret sie den Tod.“ Und nie ist etwas mit strengerer logischer Folgerichtigkeit geredet worden. Denn da die Sünde das Bestreben ist, von Gott sich loszumachen und immer völliger von ihm sich loszumachen, so kann ja das Ziel, bei dem sie anlangt, kein anderes sein, als daß sie endlich wirklich von ihm loskommt; aber damit auch zugleich loskommt von Jeglichem, was wahrhaftiges Leben heißt und im Begriffe des Lebens liegt. Der irdische, natürliche Tod ist da selbstverständlich nur ein Vorspiel des ewigen, des andern Todes, wie ihn die Schrift nennt, der als das Letzte, das Aeußerste dasteht, was die Sünde, ohne es zu wissen und zu wollen, anstrebt und erreicht. Wir können uns hier nicht darüber verbreiten, in welchem Zustande derselbe im Näheren besteht; ohnehin werden wir in der Besprechung über das künftige Leben wieder darauf zu reden kommen. Für unsern heutigen Zweck genügt es zu bemerken, daß dieser ewige Tod das Nämliche ist, was in der Schrift, als von der strafenden Gerechtigkeit Gottes ausgehend gedacht, die Verdammniß heißt; jenes: „Hinweg von mir in die Finsterniß!“ aus dem Munde des Herrn. Gott straft den Menschen eben damit, womit er gesündigt, eben damit, daß er die Sünde ihren Willen vollbringen, ihr Ziel erreichen läßt. Der Sünder verdammt zugleich sich selbst und wird zugleich verdammt, scheidet zugleich sich selbst vom Leben, und wird zugleich davon geschieden; es kann Keiner sagen, daß ihn ein Schicksal treffe, das seinem Vergehen nicht entspricht, einem Jeden widerfährt nur was er gewollt.

Was er gewollt und doch nicht gewollt. Denn das ist eben ein weiterer Charakterzug der Sünde, der so durch und durch zu ihrem Wesen gehört, daß sie ohne ihn sich gar nicht denken läßt, daß sie die Lüge ist. Oder wie könnte sie je den Menschen zu ihrem Willen verführen, wenn sie in ihrer wahren Gestalt, mit ihren wirklichen Folgen sich ihm darstellte, und ihn also erkennen ließe, daß er seine Bestimmung zur Seligkeit zerstört und der Knechtschaft des Nebels anheimfällt, so er sich ihr ergibt? Niemand will sich ja doch solch ein Loos erwählen, sondern auf das Gegentheil: auf Gut und Genuß geht ein Jeder aus. Und nur dadurch, daß sie uns Derartiges verspricht, daß sie uns vorzuspiegeln weiß, wie gerade sie dieses Gewünschte gewähre, verlockt sie auf ihre Wege. Nie tritt sie anders an uns heran, als indem sie einen Gewinn, ein erhöhtes Leben, eine erhöhte Freiheit uns in Aussicht stellt, wenn wir ihr folgen; und zwar zunächst nur um einen kleinen Preis, etwa um eine einzelne That eigenwilligen Ungehorsams, der ohne weitere Folgen bleiben werde. Zugleich verläugnet sie ihren allumfassenden Charakter und verbirgt ihre Macht des Gefangennehmens und Herrschens über den, der sich ihr einmal zugewandt. Das einzelne Böse, zu dem sie auffordert, läßt sie nicht von Anfang an als ein solches erscheinen, in dem auch bereits das allgemeine Princip des Bösen gesetzt sei, vielmehr gibt sie sich die Miene, das Gesetz des Guten noch anerkennen zu wollen, und im Uebrigen auch selber ihm zu huldigen. So überlistet sie uns, so verstellt sie vor uns ihr wahres Wesen, so bringt sie uns dahin, daß wir in ihr die Erfüllung unserer Wünsche und Bedürfnisse zu ergreifen meinen, während wir im Gegentheil mit jämmerlich betrogener Hand die Zerstörung und Verkehrung derselben an uns reißen. Unter dem Versprechen der Lust für das Fleisch und der Befriedigung für die sinnlichen Begierden lockt sie in ihre Schlinge, - und wer ihr folgt, dem raubt sie in Wahrheit auch das berechtigte von Gott gewährte Wohlsein des Fleisches, zerrüttet seine Gesundheit, stumpft seine Sinne ab, nimmt die äußern Mittel ihm hinweg. Mit der Aussicht auf eine Stellung, die allen Ansprüchen und Rechten genug thue, treibt sie zu ehrgeizigem Streben, und in der That erfährt, wer darauf eingeht, das Schicksal des Tantalus, wonach Genugthuung und Erreichung solcher Stellung immer weiter von ihm fliehen, je unabläßiger er die Hand darnach ausstreckt, bis er endlich wohl in der Tiefe endigt, statt auf dem verheißenen Gipfel der Höhe. Und wenn nun dem Betrogenen die Augen aufgehen, wenn er es inne wird, wie ihm in jedem Stücke gerade das Widerspiel dessen zu Theil wird, was ihm zugesagt wurde und was er in den ersten Zügen des Bechers gekostet, wenn das Böse seine anfängliche Maske fallen läßt und vor ihm steht in seiner ganzen häßlichen Verderbensgestalt der Feindschaft wider Gott und die eigene Seele: so kommt diese Erkenntniß jetzt zu spät, um ihn noch zu erretten. Die Sünde hat ihren Zweck erreicht. Die Schlingen, in welche ihre Lüge ihn lockte, halten ihn nun allzufest, als daß er sich ihnen wieder zu entwinden vermöchte, obwohl er sie jetzt als Schlingen des Elendes erfunden. „Der Teufel ist ein Lügner und Mörder von Anfang an,“ ruft darum der Herr aus, „wenn er Lügen redet, so redet er was ihm recht eigen ist, denn er ist der Vater derselben.“ Er verheißt Leben, Lebensfülle, Lebensfreude: Alles in höherem Maße als bisher, und bringt in der That das Leben um, das künftig verheißene und das noch vorhandene bis in den ewigen Tod.

Freilich indem ich dieses letztere Wort des Herrn anführe, habe ich damit einen Namen genannt, der vielleicht bei Manchem von Ihnen ein bedauerndes Lächeln hervorrufen wird. Keine Lehre der Schrift hat in neuerer Zeit mehr Anfechtung erfahren und zwar mehr Anfechtung der verächtlichsten und wegwerfendsten Art, als die von dem Teufel, und in zahlreichen Kreisen wird der kaum dem Rufe eines abergläubischen Finsterlinges entgehn, der in irgend einem Sinne daran festhält. - Die Zeit erlaubt es uns nun allerdings nicht, solchen Aeußerungen mit einer eingehendern Rechtfertigung entgegenzutreten. Aber die folgenden beiläufigen Bemerkungen werden Sie mir doch gestatten. Die Schrift weiß selbstverständlich nichts von jener Teufelsgestalt, welche die Sage und Volksphantasie sich zunächst gemacht haben, und welche sogar ein eben erschienenes hiesiges Buch als „zähnefletschenden, geschweiften und gehörnten Untergott“ ihr wieder unterzuschieben keinen Anstand nimmt, indem es in diesen wie in andern Stücken darauf ausgeht, ihre Lehre zur Carikatur zu machen. Der Schrift ist der Satan wesentlich das Haupt des außermenschlichen Reiches des Bösen und der Versucher und Verführer der zum Bleiben in Gott bestimmten Geschöpfe. Und was liegt nun in der Annahme eines außermenschlichen Bösen und seiner Einwirkung auf uns der Vernunft und Erfahrung Widersprechendes? Oder wer hat auch nur von Ferne die Unmöglichkeit der Existenz solch eines außermenschlichem Bösen nachgewiesen? Ja noch mehr, wenn wir Ernst machen mit dem, was wir uns eben aufzeigten: daß die Sünde ihrem Wesen nach die Lüge ist, und nur durch verführende Lüge an uns herankommen kann; müssen wir dann nicht ganz nothwendiger Weise auch einen Lügner und Verführer annehmen, der ihr auf diese Weise Eingang bei uns verschaffte? Wäre ohne das nicht die menschliche Sünde selber eine teuflische d. h. eine aus ureigenstem Selbstwollen und Selbstbewußtsein hervorgegangene Empörung gegen Gott, für die es dann keine Rettung mehr geben könnte? während uns so der Trost bleibt, daß wir von Anfang an wie später immer von Neuem durch Lug und Betrug ueberlistete sind, welche eben darum die Wahrheit wieder frei machen kann.

Es bleibt uns nun, nachdem wir so das Wesen der Sünde nach jeder Seite hin uns zur Darstellung gebracht, noch die Besprechung der sogenannten Erbsünde und der abweichenden Meinungen übrig, welche dieser Darstellung pflegen entgegengestellt zu werden. Aber ehe wir hiezu übergehen, werden Sie mir wohl noch einige Minuten für eine kurze Zwischenbetrachtung gönnen, ja dieselbe sogar von mir fordern. Denn indem noch eine Frage, nämlich die nach dem Ursprunge des Bösen und seiner Anfänge unter uns nur um so lebhafter sich uns aufdrängt, je mehr seine ganze Furchtbarkeit sich vor uns enthüllt hat, tritt vor unser Aller Geist jene merkwürdige Erzählung der ersten Capitel der Schrift, die uns hierüber Aufschluß geben will; und wir werden das Bedürfnis; nicht abweisen können, sie jetzt am Schlusse unserer Auseinandersetzung darauf hin anzusehen, wie sie sich zu dem eben Gesagten verhalte. Und nichts ist nun wunderbarer, als die Wahrnehmung: wie schon in ihr, die doch so überaus einfach und für jedes Kind verständlich auftritt, Alles und Jegliches zur Anschauung kommt, was irgendwie das Wesen der Sünde ausmacht, und uns bisher aus dem entwickelteren biblischen Gedankenkreise und der eigenen Erfahrung entgegentrat. Ein Kindermährchen erscheint die Geschichte und aller Tiefsinn der größten Denker hat sich an ihr versucht, und sie nicht ausgeschöpft, so daß dabei wohl die Frage sich aufdrängt: wer weiß, selbst vom Standpunkte der bloßen Vernunft betrachtet, eine einleuchtendere Erklärung des in Frage stehenden Räthsels? welche alte Tradition? welche neue Menschenweisheit der Weisen? Wenn von irgend einer Stelle der heiligen Schrift, so gilt es von ihr, was das Sprüchwort sagt, daß die Bibel ein Strom sei, durch den das Lamm hindurchwate und in dem doch der Elephant keinen Grund finde.

Denn was uns zuerst über den seligen Friedenszustand des Elternpaares im Umgang mit Gott und das erste Gebot Gottes an sie berichtet wird, deutet doch offenbar auf das hin, was wir beim Beginn unserer Auseinandersetzung uns sagten: daß nämlich der Mensch zur Liebesgemeinschaft Gottes bestimmt sei, und daß diese Liebesgemeinschaft ferner mit freier Selbstbestimmung von ihm erwählt und eingegangen werden müsse, anhebend mit dem glaubenden, gehorsamen Wandeln in den göttlichen Weisungen, durch das sein Wille immer mehr hineinwachsen und Eins werden solle mit dem heiligen Willen des Schöpfers. An jenem Gebote Gottes soll diese freie Selbstbestimmung zuerst sich erproben. Der Mensch soll sich entscheiden, ob er in der vertrauensvollen, kindlichen Hingabe an Gott sein Glück und Bestehen suchen will oder auf einem selbstgewählten Wege, der auch die Abweichung von dem göttlichen Willen nicht scheut: „Du sollst nicht essen von dem Baume der Erkenntniß des Guten und Bösen,“ d.h. du sollst die Erkenntniß des Bösen dir nicht erwerben durch böses Thun, so daß du im Augenblicke, da du es erkennst, ihr auch selber anheimfällst; sondern indem durch mein Gebot vor deinen Geist die Möglichkeit des Gehorsams oder Ungehorsams sich stellt, du aber den Gehorsam erwählst, wird dir ja nun von selber dein Gutes zum bewußten Guten und tritt dir damit in klaren und erkannten Gegensatz gegen das Böse, das du von dir abwiesest. Nicht nur gut und heilig bleiben sollte der Wille des Menschen, sondern er mußte zum bewußt-heiligen Willen erhoben werden; das war der erste Schritt, den er zu seiner ewigen Bestimmung hin zu thun hatte.

Aber indem er nun dem Zuge seiner bisher noch reinen Natur sich überlastend, hierauf einzugehen scheint, tritt die böse Versuchung von außen her an ihn heran, die von Gott zugelassen wird als Werkzeug der von ihm verordneten Prüfung. Ganz so wie wir ihre Art uns vorhin schilderten, und wie wir sie tausendfach an uns erfahren, geht sie dabei zu Werke. Zuerst mit der groben Lüge, die dem Menschen das Gebot Gottes in Zweifel ziehen will: „sollte Gott das wirklich gesagt haben;“ und als das Weib mit der einfachen Erzählung der faktischen Wahrheit darauf antwortet, und ihren Gehorsam als etwas sich von selbst Verstehendes ausspricht, kommt die feinere Lügenwendung, die das Vertrauen zu Gottes Liebesmeinung zu erschüttern sucht: „Gott hat euch das nur geboten, damit ihr ihm nicht gleich werdet, damit ihr nicht allzuhoch emporkommet, versuchet es nur, esset, ihr werdet dann ihm gleich werden und wissen, was gut und böse ist;“ gerade so, wie auch heut zu Tage noch die von Gott gegebene Heilsordnung, das Christenthum mit seinen Forderungen als eine Anstalt dargestellt wird, das Menschengeschlecht zu verdummen, es niederzuhalten, es an der Erreichung seines vollen Glückes und seiner höchsten Höhe zu verhindern. Und wie mischt sich überdieß in jedem Stücke Schwarz und Weiß, Lüge und Wahrheit in dieser für immer vorbildlichen Schlangenrede! Das von Gott gesteckte Ziel des Menschen läßt sie vollkommen gelten und bezeugt es selber. Ja, erkennen, was gut und böse ist und Gott gleich werden: dazu soll der Mensch ja wirklich kommen; „wir wissen aber, wenn es erscheinen wird was wir sein sollen, daß wir ihm gleich sein werden,“ ruft der Apostel aus. Aber über den Weg zum Ziele redet die Versuchung die Lüge. „Sucht das nicht durch Gott und nicht durch das Bleiben in seinem Wort, sucht es vielmehr, indem ihr mit selbsteigenem Willen und Kraft es an euch reißet. Dieß ist der einzig mögliche und würdige Weg eurer Entwicklung; der Ungehorsam gegen Gott wird euch zum Durchgangspunkte zur Vollkommenheit und Vollendung, ohne den ihr nie hiezu gelangen, ohne den ihr bleiben werdet in der Kindheit und Erkenntnißlosigkeit und Niedrigkeit.“ Das ganze System des Pantheismus als der feinsten Lüge ist hierin schon enthalten. „Ja, es gibt ein höchstes Gut,“ klingt es hier wie dort „ja ihr seid zu diesem höchsten Gute bestimmt und sollt es ergreifen, aber nicht auf dem Wege des gehorchenden Glaubens und der hingebenden Liebe ergreift es, sondern vielmehr so, daß ihr von dieser niedrigern Stufe euch emporhebt zu der höhern der Selbständigkeit und des Thuns aus dem eigenen Wesen heraus.“ Und das nun überlistet das Weib, das leuchtet ihm ein. Die Lust: den eigenen Willen, die eigene Kraft dem Willen Gottes gegenüber zu erproben, übernimmt sie. „Und das Weib schauete an, daß von dem Baume gut zu essen wäre und lieblich anzusehen, daß es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte, und nahm von der Frucht und aß, und gab ihrem Manne auch davon und er aß.“ Und alsobald trat es nun ein, was wir in unserer Darstellung als die unumgängliche Folge solcher Abkehr von der Gemeinschaft mit Gott weiter uns schilderten. Zuerst die Emancipation des Fleisches von dem Geist, mit dem es bisher in unbefangener Natürlichkeit Eins gewesen war. Nun erhebt der Leib seine besondern Ansprüche; nun wird dem Menschen, der unabhängig für sich selbst dastehen wollte, der Anblick dieser seiner leiblich beschränkten, endlichen, thierisch organisirten Individualität eine beschämende, mit dem erwachten Stolze contrastirende Erscheinung. Ja „es werden seine Augen aufgethan,“ wie die Schlange es verheißen, aber nicht, um sich zu schauen gleich wie Gott, sondern um sich zu schauen in höchst ungöttlicher Niedrigkeit und Zugehörigkeit zu der Creatur: „sie wurden gewahr, daß sie nackend waren und suchten ihre Blöße zu bedecken.“ - Zum Andern war nun auch der Trieb der Unwahrhaftigkeit, des vorspiegelnden Lügenwesens der Sünde in sie selber eingedrungen. Sie belügen nun sich selbst, wie die Sünder es thun, sie suchen nun Gott zu belügen und können damit doch das böse Gewissen, das Gefühl der tiefinnersten Scheidung von ihm und der Schuld vor ihm nicht los werden. Sie fliehen vor Gott, sie suchen sich vor ihm zu verbergen, sich in unwahrer Weise vor ihm zu entschuldigen. - Und endlich vollzieht sich denn auch sofort jene schon zum Voraus angekündigte unvermeidliche Folge des sich Losreißens von dem Urquell des Lebens. „Welches Tages ihr davon esset, werdet ihr des Todes sterben.“ Der Lebensbaum des Paradieses bildet die von Gott den Menschen immer von Neuem zuströmende Lebenskraft ab, so lange er in seiner Gemeinschaft beharrt. Das Ausgetriebenwerden des Abgefallenen aus dem Paradiese und von diesem Lebensbaume deutet darauf hin, daß in der Loslösung von Gott sein irdischer und kreatürlicher Leib der Bedingung alles Irdisch-Kreatürlichen, der Vergänglichkeit anheimfällt, und sein ganzer aus der Einheit und normalen Entwicklung gewichener Organismus sich nun aufreiben und zerstören werde im Widerstreite seiner auseinandergerissenen Elemente, wenn er anders nicht wieder zurückgeführt werden kann zur Einheit mit Gott und dadurch auch mit sich selber.

Dieß, meine Freunde, ist es, was die Schrift mit unübertrefflicher Klarheit und Wahrheit über den Eintritt der Sünde in unser Geschlecht uns berichtet. Weiter hinauf, bis zur Erklärung des Ursprungs des Bösen überhaupt, führt sie uns allerdings nicht, und wir wollen es uns gerade heraus sagen: solch eine Erklärung, die eine wirkliche Klarheit gibt und unserm Verstande einleuchtet, ist auch gar nicht möglich und denkbar. Denn das Böse, als das Widerspiel der wahren Vernunft, der Vernunft Gottes ist ja eben seinem Wesen nach das Vernunftlose, das Unvernünftige, das in blinder Willkür von der Norm der Vernunft Angewendete. Wie sollte da seine Entstehung durch vernünftige Gründe sich darthun, seine Möglichkeit und Wirklichkeit auf dem Wege vernünftiger Schlüsse sich beweisen lassen? Wir können es anschauen als Thatsache, wir können es beobachten in seinem Eindringen und seiner Einwirkung auf uns; aber wir können nicht sagen, warum es zu Stande kam, warum der erste freie Wille, der von Gott sich abwandte, für diese Richtung sich entschied.

Bei Weitem verständlicher und erklärlicher dagegen ist uns eine andere Thatsache, auf die unsere Betrachtung uns noch führen muß: diejenige nämlich, die unter dem Namen der Erbsünde ihre kirchlich-wissenschaftliche Fixierung gefunden hat. Wir wissen Alle, was durch dieses Wort gesagt werden soll. Es erklärt uns die Wahrnehmung, daß Alle, die unserm Geschlechte angehören, ohne irgendwelche Ausnahme als von Gott Abgewandte und Sünder erscheinen, und zwar gleich von Anfang, gleich von ihren ersten Lebensäußerungen an so sich erweisen; es erklärt uns diese Wahrnehmung durch die Hindeutung auf den Zusammenhang zwischen den Nachkommen und den Stammeseltern, wonach die verkehrte Willensrichtung und Gesammtbeschaffenheit, welche in diesen durch die Sünde bewirkt wurde, sich nun von ihnen aus auch weiter fortpflanze, gleichsam vererbe auf Jeglichen, der von ihnen herkomme, auf jeglichen Menschen. Auch das ist nun freilich eine der Lehren, die in unserer Zeit mit ganz besonderer Ungunst aufgenommen und angefochten werden. Man erklärt diese Annahme für eine schreiende Herabwürdigung des menschlichen Wesens, für eine Verletzung und Läugnung der Freiheit, für eine Lästerung der göttlichen Gerechtigkeit, und was dergleichen mehr ist. Aber, meine Freunde, können alle diese Deklamationen gegen die Theorie etwa die Thatsache selber wegräumen, um die es dabei sich handelt? Können ihre Wortführer uns irgend einen Menschen aufweisen, der durchaus vollkommen ist, vollkommen wie der Vater im Himmel? der da liebt Gott von ganzem Herzen und aus allen Kräften und seinen Nächsten als sich selbst, wie das von der Idee des sündlosen Menschen gefordert wird? Und wenn sie das nicht können, wie anders wollen sie dann die Erscheinung dieser allgemeinen Sündhaftigkeit unseres Geschlechtes erklären? Etwa durch die sonderbare Annahme, daß ein jeder Mensch wieder seinen besondern Sündenfall thue, und, um mit dem Apostel zu reden, sündige in gleicher Weise wie Adam? Oder durch die wahrhaft oberflächliche Behauptung, daß bei ursprünglich reinem und rechtschaffenem Innern doch eben die verfehlte Erziehung und das böse Beispiel von außen her einen Jeden endlich zum Sünder mache? Aber sehen wir es denn nicht alltäglich mit unfern eigenen Augen an unsern Kindern, daß schon, ehe sie noch mit Bewußtsein zu sündigen vermögen, ehe nur von Erziehung und Beispiel die Rede sein kann, gleich ihr erstes Sinnen und Thun ein Sinnen und Thun der Selbstsucht ist, des Trotzes, des Widerspruches, des Ungehorsams, bei aller relativen Unschuld, die sie von uns Erwachsenen voraus haben? Ja, machen sie uns auch nur in ihrer allerfrühesten Zeit, bevor sie noch irgend etwas wissen, also auch nichts wissen von Gut und Böse, wenn sie da gelegentlich ihr zorniges Geschrei anheben, den Eindruck von reinen, heiligen, in voller Rechtbeschaffenheit sich befindenden Wesen? Oder erinnern sie uns nicht vielmehr auf das Lebhafteste und zu der Eltern eigener Beschämung an jenes Wort des Psalmisten: „Ich bin in Sünden geboren und meine Mutter hat mich in Sünde empfangen?“ Und ist es nun irgendwie etwas Unvernünftiges und der Erfahrung Widersprechendes: diesen unvollkommenen, verkehrten Zustand aus der Abstammung von ebenso beschaffenen Erzeugern abzuleiten? Spricht nicht die allerunbestrittenste, augenfälligste Erfahrung auf das Bestimmteste für diese Erklärungsweise? Sehen wir denn nicht die Kinder auch in jedem andern Stücke irgendwie das Bild ihrer Eltern an sich tragen? Pflanzt nicht auch die Gestalt sich fort, die Gesichtszüge, die Begabung, die Gemüthsart, die Seelenzustände? Und nur das Sündliche in dem Allem sollte hievon ausgeschlossen sein? Der Wille sollte mitgetheilt werden, aber die verkehrte und gespaltene Willensrichtung nicht? Die Naturbeschaffenheit sollte sich fortpflanzen, aber nicht ihre Zerrüttung und Störung? Nehmen wir denn nicht schon in den Leibeskrankheiten, die sich so häufig von den Eltern auf ihre Kinder, ja durch ganze Geschlechter hindurch vererben, das gerade Gegentheil wahr? - Sie sehen selber, in welche Sonderbarkeiten und Unwahrscheinlichkeiten wir uns verirren, wenn wir hier gegen die Lehre der Schrift streiten wollen, die mit Allem, was wir vor Augen haben und erleben, so wohl übereinstimmt.

Nur von einem Einwurfe gegen die Aufstellung einer allgemeinen und uranfänglichen Verdorbenheit der menschlichen Natur durch den Sündenfall kann ich anerkennen, daß er einen gewissen Schein der Berechtigung habe. Nämlich von dem, der sich etwa so ausdrücken läßt: „In diesem Falle ist ja Jeder von uns Spätergebornen unschuldig an seiner Sündhaftigkeit, und eine schreiende Ungerechtigkeit Gottes ist es, daß er ihn dennoch darin geboren werden, damit seines ewigen Zieles verfehlen und der Unseligkeit anheimfallen läßt.“ - „Warum,“ fährt man dann etwa fort, „schafft er nicht jeden Menschen von Neuem, unmittelbar, von sich selber aus, und giebt ihm damit dieselbe Wahlfreiheit, die unser Stammvater besaß? Dann allein würde in Wahrheit ein Jeglicher erndten was er gesäet hat; so aber müssen wir erndten und schmecken, was wir doch wahrlich nicht selber gesäet und bereitet haben!“ Allein, meine Freunde, auch auf diese Einwendung ist die Antwort im Grunde nicht schwer. Denn wer auch nur ein wenig Einsicht in das Wesen der Religion besitzt, der sieht leicht, daß darin Alles auf eine Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit angelegt ist. Die Menschheit soll ein Ganzes sein und bilden, einen zusammenhängenden Organismus, und dazu gehört denn nothwendig, daß sie von einem Ausgangspunkte ausgehe und nicht unzählige, von einander unabhängige Menschheiten neben einander stehen. Nicht als einzelne Individuen, sondern als Glieder des Gesammtwesens, als Menschheit im Ganzen und Großen, sind wir zur Gemeinschaft Gottes erwählt. Von einer Fülle, von einer Vollzahl der zur Seligkeit Berufenen redet die Schrift; einen Leib, sagt sie, solle die himmlische Gemeinde ausmachen, an dem alle Glieder unter sich auf das Engste zusammengehören, und Christus, der Menschensohn, das Haupt ist. Darum ist auch jener ersten grundlegenden Bedingung der Würdigkeit zum Himmelreiche: „Du sollst lieben Gott deinen Herrn,“ die andere gleich: „und deinen Nächsten als dich selbst.“

Von einer Ungerechtigkeit Gottes weiterhin kann aber auch bei der Annahme einer Erbsünde deßhalb nicht die Rede sein, weil er ja für diese Erbsünde und Alles was aus ihr entspringt, eine Erlösung und Befreiung gestiftet hat, und nun nur noch der seines Zieles verfehlt und verloren geht, der aus selbst-eigenem bewußten Willen und Entschluß diese Erlösung anzunehmen und auf ihre Ordnung einzugehen sich weigert. Neben der Erbsünde gibt es nun durch die Erlösung auch einen Erbsegen, den wir unsern Kindern in der Taufe mittheilen, und dessen Kraft, wo man sie ergreift und gebraucht, die Kraft jener übermag. Neben dem ersten Adam gibt es nun einen zweiten, von dem ein neues, gottgefälliges, ewiges Leben ausgeht, wie von jenem ein sündiges und zum Tode führendes. Nun kann nichts Anderes mehr verderben und verdammen, als das beharrliche Vonsichweisen des Erlösers, das eines Jeden eigene selbst erwählte Schuld ist. „Ich richte Niemanden,“ spricht er, „wer nicht an mich glauben will, der ist schon durch sich selber gerichtet.“

Aus diesem Zustande aber, wie ihn so die Lehre von der Erbsünde uns nachweist, ergibt sich nun allerdings mit Nothwendigkeit: daß wir uns nicht selber von unserer Sündhaftigkeit zu befreien, nicht selber zu dem Zustande umzuwandeln vermögen, der für die Erreichung unserer himmlischen Bestimmung von Nöthen ist. Denn wenn die Sünde in einer verkehrten Willensrichtung besteht, und diese verkehrte Willensrichtung schon gleich von Anfang an in uns wohnt und uns beherrscht: wo bleibt uns dann in unserem eigenen Wesen ein Mittel übrig, das ihr zu widerstreiten und sie wieder zurechtzubringen im Stande wäre? Kann der verkehrte und zugleich entkräftete Wille sich etwa selber helfen? Das wäre ungefähr so möglich und vernünftig gedacht, wie, wenn mir die Vergleichung erlaubt ist, die Erzählung jenes Lügners, der sich an dem eigenen Zopfe aus dem Sumpfe wollte herausgezogen haben. Und da alles Uebrige in uns durch den Willen bestimmt wird und seine Richtung empfängt, also Alles durch seinen Antrieb der Selbstsucht dient: wo sonst im Umkreise unseres Ichs könnten wir da die noch reine, unberührte, recht geartete Kraft finden, durch die es uns möglich wäre, ihn wieder zurückzuwenden auf die rechte Bahn? Nein, die Sünde fordert einen Besieger und Erlöser, der außerhalb ihres Bereiches steht, der uns gleichsam vom festen Boden her die Hand reicht, um uns emporzuziehen aus ihrem Sumpfe.

Und nun lassen Sie mich zum Schlusse noch in der gedrängtesten Kürze Einiges über das bemerken, was neben diese, wie Sie sich selbst überzeugt haben werden, so logisch zusammengeschlossene, mit Vernunft und Gewissen und Erfahrung so vollkommen übereinstimmende biblische Lehre von der Sünde als hauptsächlichste Gegenlehre hingestellt zu werden pflegt, in welcher sich so ziemlich Alles zusammengefaßt findet, was überhaupt in dieser Beziehung sich sagen läßt. Denn mit derartigen Anschauungen wollen wir uns doch nicht weitläufig beschäftigen, die es etwa gleich von vorneherein für eine Beschimpfung der Menschenwürde und Menschenehre erklären, von einer solchen Sündhaftigkeit und Entstellung seines Wesens zu reden, und die verletzte Ehre dadurch wieder herzustellen meinen, daß sie diese Sündhaftigkeit einfach abläugnen und den Menschen als im Wesentlichen immer noch recht und gut geartet darstellen. Solchen Rednern könnten wir ja nur erwiedern: „Ihr wisset in Wahrheit nicht, was ihr sprechet! Nicht die Schrift ist's, die mit ihrer Aussage, sondern ihr selber seid es, die mit dergleichen Behauptungen die Menschenehre und Menschenbestimmung auf das Tiefste herabwürdigt und ihrer königlichen Krone beraubt. Denn wenn ihr sagt: „Wie der Mensch ist, ist er gut genug, auch in dieser seiner Unvollkommenheit sehen wir doch immer noch sittliche Kräfte in ihm, mit denen wir uns vollkommen zufrieden geben können, so daß er weder sein Ziel verfehlt noch fremder Hülfe bedarf,“ - wenn ihr Solches saget, welche ärmlich niedrigen Begriffe müsset ihr dann nicht haben von des Menschen Ziel und Werth und Wesen und Aufgabe, von dem sittlich Guten überhaupt und von der Stufe desselben, zu der er berufen ist. Da redet doch wahrlich die Schrift anders von ihm. Die bezeugt: So edel ist des Menschen Wesen, zu so Hohem angelegt und berufen, daß schon der geringste Fehler, der geringste Flecken an ihm unerträglich ist und seiner Bestimmung widerspricht. So lange er noch nicht geradezu heilig ist wie Gott selbst, und ihm gleich in der Lichtsgestalt und der Klarheit der reinen Liebe; so lange ist er noch nicht, was er sein soll, was er sein kann, was er sein wird.“ Ja! eben darum, weil die Offenbarung Gottes auf diese höchste, uns jetzt fast noch unbegreifliche Höhe uns stellt, erblickt sie uns gegenwärtig noch so tief in der Tiefe, in der Armuth, im Elend und der Finsterniß. Höher ist der Menschen Geschlecht nie geehrt worden und kann nie höher geehrt werden, als indem man ihm zuruft: „Ihr seid jetzt noch nichts von dem, was ihr einmal sein werdet! so unendlich weit hinaus geht das euch zugedachte Königthum über die abgerissene Knechtesgestalt, in der ihr gegenwärtig einhergehet.“

Dagegen gibt es nun eine Auffassung der Sünde, die das Alles mehr oder weniger anerkennt, aber dafür hält: Der gegenwärtige Zustand sei eben nur ein unvermeidlicher, ja nothwendiger Durchgangspunkt zu dieser höchsten Höhe. Das was die Schrift Sünde nenne, sei in der That weder eine Schuld noch eine Verirrung, sondern nur eben noch ein Mangel an Entwicklung und Reife, gleichsam eine Kindheit, eine niedrigere Stufe im Gange der Menschheit, über die sie schon herauskommen werde. Aehnlich wie das Kind die Mannestüchtigkeit noch nicht besitze, zu der es doch berufen sei, ohne daß man ihm diesen Mangel deßhalb zur Last legen könne, so verhalte es sich auch mit der Menschheit und ihrer sogenannten Sünde. Sie brauche nur ihr Wesen nach allen Seiten hin weiter zu entwickeln und fortzuschreiten, wie sie es ja in der That unaufhörlich thue, so werde sie sich nach und nach schon aus dem Fleische und der Selbstsucht hinausarbeiten, und zu dem Zustande gelangen, den die Bibel als den der vollkommenen Liebe und Erkenntniß und Seligkeit, als den des Himmelreiches bezeichne.

Aber, meine Freunde, ist es nun nicht zuerst unser Gewissen, an das wir ja in unserer Frage immer wieder appelliren müssen, das dieser Anschauung auf das allerbestimmteste widerspricht? Denn nach ihr ist ja die Sünde, wenigstens als die niedrigere Entwicklungsstufe, von Gott selber gesetzt und gewollt, und also kein Unrecht, keine Uebertretung. Warum aber empfinden wir sie nun doch unablässig als solche, so daß wir ein „böses Gewissen“ über ihr bekommen, und Ruhe und Frieden uns dabei verloren geht? Warum beurtheilen wir Alle, ja wir Alle miteinander, bei uns selbst, wie bei unsern Nächsten das Sündliche denn doch so ganz anders, als das bloß Unentwickelte und Mangelhafte? Dem Kinde macht sein kindisch-unverständiges Wesen Niemand zum Vorwurf; von der niedrigeren Stufe fordert Niemand die Früchte der höheren: aber die Sünde machen wir uns zum Vorwurf und sind innerlich genöthigt sie uns dazu zu machen, und das Thun des Guten wird auf jeder Stufe des Lebens durch unser eigenes Wesen wie durch das Bewußtsein der Andern von uns gefordert. Und ist es denn ferner mit dem Begriffe des heiligen Gottes irgendwie vereinbar, daß er Sünde, d. h. Widerspruch gegen sich und Zerrüttung seiner Ordnungen, selber setzt und anordnet, wenn auch nur als vorübergehenden Durchgangspunkt? Es leuchtet von selber ein, daß die beschriebene Anschauung eben nur mit einem durch und durch anders gearteten als dem christlichen, dem heiligen Gottesbegriffe sich vertragen kann, der uns in der letzten Vorlesung in seiner allseitigen Notwendigkeit dargethan wurde.

Das ist eine Instanz, die gegen diese Theorie ihr Veto einlegt. Eine zweite aber ist die Erfahrung. Oder wie? Ist es denn wirklich so, daß der Mensch durch die physische und intellektuelle Entwicklung sittlich besser wird und mehr und mehr aus der Sünde herauskommt? Ja, aus gewissen, niedrigen, thierischen Formen derselben macht er allerdings mit dem zunehmenden Verstande und der höhern Bildung sich los, obschon bekanntlich auch aus diesen nicht immer; aber ihren eigentlichen Kern, die Selbstsucht Gott und den Menschen gegenüber, überwindet und beseitigt er auch diese durch solches Wachsthum? Pflegt diese nicht vielmehr nur zuzunehmen mit dem zunehmenden Menschen, so daß das Kind gemeiniglich noch näher daran ist, Gott zu lieben von ganzem Herzen und seinen Nächsten als sich selbst, als der entwickelte Mann? Und wenn es bei den einzelnen Menschen sich so verhält, wie könnte es dann mit der Menschheit im Ganzen und Großen einen andern Gang nehmen? Man redet viel von ihren Fortschritten, auch in sittlicher Beziehung; aber man vergißt, daß bei dem Theile der Menschheit, den man dabei im Auge hat, eben das Christenthum dazwischen gekommen ist, das die Gewalt der Sünde, auch außerhalb des Kreises der eigentlichen Gläubigen, in tausendfacher Weise bricht und zurückdrängt. Bei dem übrigen Theile unseres Geschlechtes dagegen finden wir nirgends sittlichen Fortschritt, sondern überall sittliches Zurückkommen und zwar je länger je mehr. Wir haben der Zeugnisse noch genug übrig, wie anders, wie unvergleichlich viel besser er einst mit den Völkern Amerika's, der Südsee, China's, Indiens in dieser Beziehung gestanden, um mit aller Sicherheit unser Urtheil aussprechen zu können. Woher aber diese Erscheinung, wenn jene Theorie richtig ist; wenn auch ohne göttliche Erlösungskräfte schon der natürliche Lauf der Dinge die Befreiung von der Sünde und das Ersteigen immer höherer Stufen der sittlichen Beschaffenheit mit sich bringt?

Nein, meine Freunde! es wird bei dem sein Verbleiben haben müssen: Die Sünde ist eine Feindschaft wider Gott, und es ist hier kein Unterschied, wir Alle sind in ihr, wir Alle sind darum von Natur Kinder des Zornes. Dem eigenen Willen, der eigenen Kraft ist es nicht möglich, das zu ändern; - aber verloren und ohne Rettung sind wir deßhalb doch nicht. Indem der erste Mensch zum Sünder wird, und das Gericht über ihn ergeht, erklingt vielmehr zu derselben Zeit auch die geheimnißvolle Verheißung eines dereinstigen Sieges über sie, einer dereinstigen Erlösung von ihr. „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Derselbe soll dir den Kopf zertreten und du wirst ihn in die Ferse stechen.“ Das will heißen: Von nun an wird Kampf und Krieg sein zwischen der Macht des Bösen, zwischen der Sünde und dem Menschengeschlecht nach seinem eigentlichen, innersten, auf Gott angelegten Wesen. Das wird die Arbeit, die Noth, der große Lebensstreit der Menschheit sein, so lange ihre Geschichte währet: zu ringen mit dem sündlichen Verderben, das nun einmal in ihre Mitte eingedrungen ist und ihrer völlig Herr zu werden begehrt. Aber nicht dem Bösen, nicht der Sünde wird in diesem leidensvollen Kampfe der endliche Sieg bleiben, sondern dem Geschlechte des Weibes. Aus dessen eigenem Schooße wird Einer aufstehen, Einer, der ihm angehört, vom Weibe geboren wie sie Alle, der die gewaltige Gegnerin niedertritt und ihre überwältigende Kraft ihr raubt, ob auch mit Wunde und Blut. - Und wie nun der erste Theil dieser Weissagung sich erwahrt hat, und er vor unseren Augen immer noch andauert, der unaufhörliche Streit zwischen der Menschheit und dem Verderben, so wissen wir, daß auch deren weitere Erfüllung nicht ausgeblieben, daß er wirklich erschienen ist, der Ueberwinder, und wir nun durch ihn einem besiegten und besiegbaren Feinde gegenüberstehen, eine versöhnte Welt betreten, den Weg wieder geöffnet sehen, der emporführt zu unserem Gott und unserer himmlischen Bestimmung.

1)
Julius Müller, die Lehre von der Sünde
2)
St. Martin
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