Stähelin, Ernst - Die künftigen Dinge - Erste Hälfte.

Stähelin, Ernst - Die künftigen Dinge - Erste Hälfte.

Die Unsterblichkeit der Seele.

Es ist zunächst die alte Frage nach der Unsterblichkeit des menschlichen Wesens, mit der unsere heutige Besprechung sich zu beschäftigen hat. Eine Frage, von der ich freilich Anfangs der Meinung war, es bedürfe nicht erst einer Beantwortung derselben in unsrer Mitte, sondern ich könne, die allgemeine Anerkennung der Thatsache voraussetzend, alsobald zur Erörterung der weitern Punkte übergehen, die sich von da aus dem forschenden Geist aufdrängen. Aber durch eine öffentlich erklungene Stimme aus unserer eigenen Stadt bin ich zu meinem tiefen Leidwesen darüber belehrt worden, daß es sich nicht so verhält; daß vielmehr auch an dieser Stelle der Boden der bisher gültigen gemeinsamen Ueberzeugungen unterwühlt und durchbrochen ist, und demnach erst die Grundlage wiederhergestellt werden muß, auf der Alles beruht, was Gottesgemeinschaft, Heil, Friede, Leben heißt, ehe wir der Betrachtung dieser höchsten Güter selber uns zuwenden dürfen.

Die Aufgabe, die sich hiedurch mir stellt, ist nun allerdings keine leichte. Denn einerseits zieht die Kürze der uns zugemessenen Zeit der Untersuchung beschränktere Grenzen, als wir sie uns wünschten möchten, und andrerseits ist es ja eine alte Erfahrung, daß gerade bei den Wahrheiten, die als die selbstverständlichsten und am offensten zu Tage liegenden erscheinen, die wissenschaftliche Beweisführung ihre besonderen Schwierigkeiten zu bieten pflegt. Indessen gibt mir doch der eine Umstand eine gewisse Zuversicht, daß ich zum Voraus weiß, wie eben für diese Frage fast mehr als für irgend eine andere, Ihr Interesse nicht erst gewonnen zu werden braucht, sondern schon von freien Stücken dem Redenden entgegenkommt.

Denn das ist ja doch unzweifelhaft: wichtiger ist kein Wissen für den Menschen und näher kann keines ihn berühren, als das sein eigenes Schicksal, ja seine Existenz betrifft im wahrsten und vollsten Sinne des Wortes; das ihm darüber Aufschluß gibt, ob er mit all seinem Leben und Streben, mit seinem innersten Sein und Fühlen im Tode verschlungen wird von der schweigenden Nacht des Nichtseins, oder ob etwas in uns ist, das diese größte Katastrophe zu überdauern vermag und durch den Tod nur übergeführt wird in eine andere Form des Daseins. „Sein oder Nichtsein, das ist die große Frage,“ ruft der Dichter aus, indem er einen hoch begabten und tief angelegten Menschengeist mit dem sich beschäftigen läßt, was über die ganze Haltung seines Lebens entscheiden, was seinem gesamten Denken und Thun die bestimmende Richtung geben soll. „Und wenn wirklich hinter jener Pforte, dem Tode,“ fährt er fort, „noch ein Land liegt, ein unentdecktes Land, von dessen Pforten kein Wanderer wiederkehrt - was wartet dann unser in demselben: Schlafen? Träumen? und was für ein Träumen?

„Ja, da liegt's:
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt,
Das zwingt uns still zu stehn.“

Und daß damit der große Dichter, der das Menschenherz kennt wie kein Anderer, in der That das allgemeine Grübeln und Sinnen der Menschheit überhaupt ausdrückt, nicht nur das eines einzelnen, besonders gearteten Menschen, wissen wir ja alle zur Genüge. Von dem unmündigen Kinde an, das von dem Grabe seines Vaters oder seiner Mutter heimkehrt in das leere Haus und sich seine Vorstellungen macht, wo es jetzt die Seele suchen soll, die bisher mit Worten und Thaten der Liebe zu ihm gesprochen, bis zu dem tiefsinnigsten Mannesgeiste, der den Grund aller Dinge zu erkennen sucht und vielleicht zu erfassen meint, bewegen wir Alle in unserm Inneren die Frage als die höchste und größte: was wird's mit uns, wenn diese Lebensgestalt, in der wir gegenwärtig einhergehen, einmal zerfällt, wie wir denn mit unzweifelhafter Gewißheit wissen, daß sie einmal zerfallen wird? Was ist der Tod, dieß dunkle, ernste Räthsel, auf das wir Alle zugehen? Wie verhält es sich mit den Verbindungen und Beziehungen jeder Art, in denen wir hienieden stehen, die den reichsten Inhalt unseres Lebens ausmachen, und von denen wir doch im Gange der Jahre eine um die andere sich lösen und zerreißen sehen?

Und wie nun in diesen Fragen der Unmündigste und der Weiseste übereinstimmen und wie aus einem Munde reden: so nicht minder auch in der Antwort, die sie zunächst aus sich selber darauf geben und empfangen. Denn eine ganz unwidersprechliche Thatsache ist es ja, daß bei allen Völkern des Erdbodens, so weit ihre Geschichte zurückreicht und unsere Kenntniß sie umfaßt, der Glaube an die Unsterblichkeit des Menschen, an ein neues Leben desselben nach seinem Tode uns entgegentritt. Und wahrlich! nicht etwa nur als sogenannter Volksglaube, von dem in irgend einer Weise sich losgemacht hätte wer auf den höchsten Höhen der Erkenntniß und des Geistes stand; sondern ganz im Gegentheile: unter Allen, von denen man mit Wahrheit, je nach ihren Zeiten und Volksverhältnissen, Solches sagen darf, unter Allen, welche unser Geschlecht - in welchem Zeitalter und auf welchem Theile der Erde es immer sei - als seine großen Heroen und Wohlthäter auf dem Gebiete des geistigen und sittlichen Lebens verehrt, so daß es ihre Namen heilig hält wie keine anderen Namen, - unter ihnen Allen findet sich - wir dürfen wohl sagen: nicht ein Einziger, der zu dieser Lehre von der Unsterblichkeit des menschlichen Wesens sich nicht bekannt, oder sie wenigstens nicht vorausgesetzt hätte als einen Hauptgrund dessen, was an Erkenntniß und Vorschrift von ihm ausging. Darin trifft der Confucius Chinas zusammen mit dem Zoroaster Persiens, der Buddha Indiens mit dem Sokrates Griechenlands, die Philosophen Roms mit dem Paulus, und wenn man das alte Testament nur ein wenig mit geistigem Auge liest, mit dem Moses Israels, von Dem gar nicht zu reden, der in einer andern Stellung war als sie Alle, weil er von sich sagen konnte: „Der vom Himmel hernieder gekommen ist, des Menschen Sohn, der weiß was im Himmel ist.“

Und fürwahr! eine der merkwürdigsten, der am meisten zum ernsten Nachdenken anregenden Thatsachen, die es geben kann, ist nun diese allgemeine Erkenntniß, diese allgemeine Uebereinstimmung. Denn vergegenwärtigen wir uns doch die Stellung der Menschen in ihrem natürlichen, der Offenbarung entbehrenden Zustande zu der in Rede stehenden Frage. Von irgend einem unvergänglichen Leben nehmen sie nirgends um sich her etwas wahr, vielmehr herrscht überall Zerfall und Untergang und wieder zu Nicht-werden dessen, was entstanden ist. Auch die Naturwesen, die in besonderm Sinne des Wortes als belebt sich darstellen, die animalischen, zeigen sich durch und durch diesem Gesetze unterworfen. Der Mensch selber, das höchste und edelste unter ihnen, erscheint in keiner Weise davon ausgenommen. Nicht anders als das Gewächs des Feldes und das Thier, das auf der Erde geht, tritt er in das Dasein und hat eine Zeit lang sein Wesen und fühlt dann seine Lebenskraft sich erschöpfen und endlich zusammenbrechen, und geht wieder dahin wie er gekommen ist. Keine Kraft des Geistes, kein innerer Werth, keine zurückhaltenden Bande der Liebe vermögen vor diesem Schicksale zu schützen. Als eine unabänderliche Ordnung, der Nichts sich entziehen kann, tritt es von allen Seiten her, aus dem Einzelnen und aus dem Ganzen, dem überschauenden Auge entgegen: daß alles Sein nur eine vorübergehende Erscheinung ist, und bis auf die letzten Spuren wieder verschwindet. - Und all diesen ausnahmslosen Erfahrungen, all diesen sinnlichen, unbestreitbaren Wahrnehmungen zum Trotz lebt nun doch in den Gliedern unseres Geschlechts aller Zeiten und aller Orte die gewisse, unerschütterliche Ueberzeugung, daß, was sie selber betreffe, dieses Zerfallen und Verschwinden nur zum Scheine vor sich gehe, nur ihre äußere Gestalt berühre; daß ihr innerstes Dasein dadurch nicht angetastet werde, daß im Unterschiede von jeglichem Andern, was sie sehen, erleben, wissen, ihr Wesen fortbestehe ohne jemals einer gleichen Vernichtung anheimzufallen.

Woher kommt diese wunderbare Ueberzeugung und wie ist sie zu erklären? Eine schwer zu beantwortende Frage bei der überaus dürftigen Kunde, die über das Geistesleben der ältesten Menschheit auf uns gekommen ist! Die nächstliegende Erklärung scheint wohl die: daß jene hervorragenden Führer auf dem Gebiete der geistigen Dinge, deren wir vorhin Erwähnung thaten, es gewesen seien, von denen auch in diesem Stücke die über das Sichtbare hinausgehende Erkenntniß und Lehre den Völkern zukam. Aber vor den Zeugnissen der Geschichte kann diese Antwort doch in keiner Weise bestehen. Denn die Einen dieser Männer, wie z. B. Moses und Confucius, tragen die Lehre von der Unsterblichkeit gar nicht ausdrücklich vor, ja lehnen es sogar geflissentlich ab, sich einläßlicher damit zu beschäftigen, sondern setzen sie einfach voraus; der Erstere indem er z. B. von dem Lebensbaume des Paradieses redet, der unvergängliches Leben gebe, und Gott einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nennt, während doch nach dem treffenden Worte des Herrn Gott nicht ein Gott der Todten, sondern nur der noch Lebenden sein kann; der Zweite indem er, bei aller Abneigung von den zukünftigen Dingen zu reden, nichtsdestoweniger die Verehrung der abgeschiedenen Geister, die also in ihrer Abgeschiedenheit noch fortbestehen müssen, für eine der Hauptpflichten des religiösen Menschen erklärt. Und wenn Andere, wie Sokrates und die römischen Philosophen, hierin eine verschiedene Stellung einnehmen, und die Anschauung von der Fortdauer der Seele nach dem Tode allerdings von Neuem erzeugen und begründen, so erzeugen sie dieselbe eben nur von Neuem ihrem unsicher gewordenen, zweifelsüchtigen Zeitalter gegenüber, wahrend es Niemanden einfallen kann, den ersten und eigentlichen Ursprung der Ueberzeugung von ihnen zu datieren. Dieser verbirgt sich vielmehr in einem Dunkel der Vorzeit, aus dem kein Bericht mehr zu uns herüberreicht. Was wir wissen ist lediglich das, daß gleich die ersten Laute, die wir aus dem Geistesleben der hier in Frage kommenden Völker vernehmen, die Unvergänglichkeit des menschlichen Wesens als etwas ganz Selbstverständliches und allgemein Angenommenes bezeugen. Ich erinnere in dieser Beziehung nur an die eingehende Schilderung des Todtenreiches in der Odyssee und die Lehre des Pythagoras von der Beschaffenheit und dem Schicksale der Seele.

So hat man denn, und namentlich auch von bibelgläubiger Seite her, eine andere Erklärung des allgemeinen Vorhandenseins dieser Ueberzeugung versucht. „Es ist anzunehmen,“ hat man gesagt, „daß sie in einer lichteren Periode der Menschheit als in dem rohen, mannigfach getrübten, geschichtlichen Zeitalter ihren Ursprung haben; in einer Periode, die näher am Anfange liege, so daß ihr Bewußtsein von den göttlichen Dingen noch reiner und kräftiger gewesen als unter der wüsten Zersplitterung und Verwilderung des Götzendienstes. Mit dem Ansehn einer heiligen Ueberlieferung von einem besseren Geschlechte her möge dann der Glaube an die Unsterblichkeit auf die folgenden Zeitalter gekommen sein und sich seinem Wesen nach in ihnen behauptet haben, trotz aller Entstellungen und Verzerrungen, durch die er bei dem sich tiefer verfinsternden Bewußtsein hindurchgehen mußte.“ Aber auch diese Lösung der Frage vermöchte ich meinerseits mir nicht anzueignen. Denn für's Erste entbehrt sie gerade für den, der auf dem biblischen Boden steht, alles Grundes und Anhaltes. Nirgends ist in der Schrift von einer Offenbarung Gottes über diesen Punkt, oder auch nur von einem klaren Erfassen desselben durch die früheren Menschengeschlechter die Rede. Und zum Andern liegt es schon an und für sich in der Natur solch einer Erkenntniß, daß sie auch in dem tieferen und reineren Gemüthe nicht alsobald in voller Klarheit zu Tage tritt, sondern Anfangs nur gleichsam als eine Ahnung, als ein noch unbewußtes, wenn gleich schon vorhandenes Wissen in ihm ruht, aus dem sie erst allmählig, Schritt für Schritt, und durch das geistige Zusammenwirken Vieler sich weiter entwickelt zu einer bestimmten Anschauung und bewußten Ueberzeugung. Und das scheint mir denn auch die Geschichte unseres Gegenstandes, so weit ich dieselbe zu überschauen im Stande bin, durchaus zu bestätigen. Denn um mich nur auf das Ihnen am Besten bekannte Beispiel, das Volk Israel, zu beschränken, so ist es ja klar genug, daß in der ersten Periode seines Daseins und Erkennens die Lehre von der Unsterblichkeit nur wie ein verhüllter und ungehobener Schatz sich ausnimmt, von dem der Besitzer kaum etwas weiß; während sie auf den spätern Stufen seiner Heranbildung, im Buche Hiob, in den Psalmen, in den Propheten nach und nach immer schärfere Umrisse annimmt und immer wirksamer eintritt in die Denk- und Anschauungsweise, bis sie am Ende, schon längere Zeit vor der Erscheinung Christi, als die allgemeine, zur unzweifelhaften Gewißheit herausgearbeitete Ueberzeugung aller Gläubigen im Volke erscheint.

Aber auf welchem Wege und durch welche geistige Thätigkeit ist nun diese Entwicklung aus der bloßen Ahnung zur bestimmten Ueberzeugung, aus dem unbewußten Fühlen zum bewußten Wissen vor sich gegangen?

Vor Allem müssen wir natürlich daran festhalten, - denn sonst bliebe ja die ganze Erscheinung unerklärlich - daß solch eine Ahnung, der Keim solch eines Wissens in dem menschlichen Wesen überhaupt vorhanden ist, ja recht eigentlich mit zu demselben gehört. Und zwar werden wir nicht lange zweifelhaft darüber sein können, warum sich das so verhält, und auf welchem Grunde dieser merkwürdige Besitz beruht? Nämlich mit einem Worte darauf: daß der Mensch sich als ein geistiges Wesen fühlt und erkennt, als eines, das von sich selber weiß, das denken und wollen kann, und somit in noch einen andern Lebenskreis sich gestellt sieht, als in den des Sichtbaren und Natürlichen, dem die übrigen Dinge um ihn her angehören. Dieß gibt ihm von vornherein das Recht, ja nöthigt ihn dazu, sich von diesen Dingen zu unterscheiden und für sich ein anderes Gesetz des Daseins und Ergehens in Anspruch zu nehmen als das sie beherrscht. Nur von der leiblich-animalischen Seite seiner Existenzform, durch welche er denselben gleichartig und zugehörig ist, - kann er verstehen und anerkennen, daß sie ihr Schicksal zu theilen hat und somit vergänglich ist wie sie; dagegen von dem Elemente seines Wesens, das so durchaus verschieden geartet erscheint und in jedem Sinne so weit über sie hinausgeht, wird er unwillkürlich empfinden, daß dasselbe auch nach einer durchaus verschiedenen Ordnung sein Bestehen haben muß, ein durchaus verschiedenes Gesetz an sich erfahren. Und je mehr er nun von der ihn umgebenden Natur sich in dieser Weise unterscheiden lernte, um so bestimmter und klarer mußte dieses Bewußtsein in ihm hervortreten. In den Anfängen unseres Geschlechtes konnte das selbstverständlich nur in geringem Maße der Fall sein, da sein Geistesleben erst begann, während seine Naturseite schon völlig entwickelt war und also das Uebergewicht behauptete; der Mensch muß sich da noch überwiegend als ein Naturwesen und der Natur zugehörig empfunden haben. Aber im Fortgange der Geschlechter wurde das anders. Von Stufe zu Stufe nahm die Summe des Geisteslebens zu, die eines dem andern übermachte; es entstanden Gedanken, Vorstellungen, Erkenntnisse, die nichts mit der sinnlichen Natur gemein hatten und den Menschen darauf hinführten, daß er im Grunde einer ganz andern Gattung von Wesen angehöre als ihre Erzeugnisse. Und indem er nun genauer darüber reflektierte, worin der Unterschied bestehe, mußte ihm zunächst das entgegentreten: daß er, mit einem Worte gesagt, eine Person sei, selbstbewußt, sich selbst bestimmend, in Freiheit handelnd und wandelnd. Während das thierische Individuum nur ein Exemplar der Gattung ist, und wenn es diese seine Bestimmung erfüllt hat, der Vernichtung seines individuellen Daseins anheimfällt, erfand sich dagegen das menschliche Individuum als ein geistiges Einzelwesen, das von der Gattung ganz bestimmt sich unterscheidet, das für sich selbst besteht und in sich selbst seinen Zweck hat. Ja, dem tiefern Nachdenken mußte es bald verständlich werden, daß dieß nicht nur mit zu dem Wesen des Menschen gehöre, wie seine Naturseite, sondern daß es vielmehr recht eigentlich den Grund und Kern seines Wesens bilde, recht eigentlich dasjenige, was ihn überhaupt zu dem mache, als der er sich fühlte. Er lernte „Ich“ sagen im vollen Sinne des Wortes, so nämlich, daß er mit diesem Ich nicht mehr seine Naturart, sondern diese seine innerste Persönlichkeit des Selbstbewußtseins und der Selbstbestimmung bezeichnen wollte; „ich denke, darum bin ich,“ wie ein neuerer Philosoph es ausdrückt, wurde seine Ueberzeugung von sich selber; das will sagen: in der Fähigkeit des Denkens und alles dessen, was damit zusammenhängt, liegt mein eigentliches Sein; könnte ich nicht denken, so wüßte ich auch nicht, daß ich wäre, und wäre also auch nicht, d. h. ich wäre kein Ich, kein Wesen, das sich von Andern zu unterscheiden vermöchte, sondern nur ein Stück des Naturganzen.

Und aus dieser Erkenntniß, meine Freunde, mußte dann ganz von selber auch die Erkenntniß von der Unvergänglichkeit dieses Ich's, dieses menschlichen Wesens erwachsen. Daß es, so völlig von den Naturwesen unterschieden, in ihr Schicksal nicht mit verflochten werden könne, war nun an und für sich einleuchtend. Aber es kam auch noch ein Weiteres dazu. Wer einmal sprechen gelernt hat: „Ich denke, darum bin ich,“ der muß nothwendiger Weise auch weiter sprechen lernen: „Ich werde denken, darum werde ich sein.“ Denn versuchen Sie es doch einmal, ob Ihr bewußter, denkender Geist sich anders denken kann, denn als fortbewußt und fortdenkend? ob dieses ganze innere Leben, das sich so in seinem Selbstbewußtsein der Natur gegenüber erfaßt hat, die Vorstellung in sich aufzunehmen vermag, daß sein Sein sich wieder in ein Nichtsein auflösen werde, daß es am Ende doch nur, wie das Thier, ein Exemplar der Gattung sei, dessen Individualität keine Bedeutung habe, sondern einfach wieder in der Gattungsmasse verschwinde? Ohne es mit mathematischer Evidenz beweisen zu können, wie ja überhaupt das Gebiet des Geistes solcher Beweisführung unzugänglich ist, fühlen wir doch Alle, was Kebes in Platons Phädon sagt: „Die Seele ist etwas Kräftigeres und länger Dauerndes als der Körper, denn in Allem ragt sie sehr weit über ihn hervor.“ Unerträglich, ja unvollziehbar ist dem mit so reichem, lebendigem, individuellem Inhalte erfüllten Inwendigen die Aussicht, daß all dieser Inhalt doch kein wirkliches Leben habe, sondern nur eine momentane Erscheinung sei, die gleich einer Blase des Wassers auftauche und wieder zergehe. Indem wir lieben, erkennen, geistige Gemeinschaft pflegen, jenen Zug der Religion und der Kunst in uns spüren, der uns über uns selber hinausführt einem Ideale zu, wird es uns gewiß und gewisser, daß in dem Allem etwas gegeben ist, das nicht anders kann als fortleben und fortwirken und zu einem Ziele gelangen, in dem es seine Erfüllung findet.

In diesem Gefühle und Bewußtsein, in diesen Erwägungen, die sich daran knüpften, scheint mir die erste Quelle zu liegen, aus der die Ueberzeugung von der Unsterblichkeit seines inneren Wesens dem Menschengeschlechte erwuchs. Und in der That stimmt die Art, wie wir die spätern Philosophen den Erweis dieser Wahrheit führen sehen, hiemit durchaus überein.

Aber neben dieser ersten Quelle wird nun auch noch eine zweite in Betracht kommen müssen. Nämlich diejenige, die in dem sittlichen Fühlen, in dem Gewissen des Menschen liegt. Wir sind in einem frühern dieser Vorträge, in dem über das Dasein und Wesen Gottes, darauf hingewiesen worden, wie jeder Mensch, auch der am Tiefsten herabgekommene, doch immer noch irgendwie zu unterscheiden verstehe zwischen Gut und Böse. Und indem er nun diesen Unterschied macht, muß er nothwendiger Weise auch einen Unterschied machen zwischen dem Schicksale, das den Guten und den Bösen treffen werde. Denn das fühlt ein Jeder in seinem Gewissen, daß er durch das Gutesthun Gutes, und durch das Bösesthun Strafe sich zuzieht. Und doch ist es ja klar, daß in diesem gegenwärtigen Lebenszustande die Dinge keineswegs immer nach diesem Gesetze verlaufen. Ja, auch wo sie so verlaufen, entspricht das was dem Menschen an Gutem oder an Strafe widerfährt, noch bei Weitem nicht der Idee, die er von dieser Vergeltung in sich trägt. Mitten im Glücke besteht das höchste Glück des Guten doch immer darin, daß sein Inneres ihm noch ein höheres Gute verheißt; mitten in der Strafe ist die bitterste Strafe des Bösen immer die, daß sein Gewissen mit einer noch weiteren, furchtbareren Strafe ihm droht. Unabweislich kündigen also diese Empfindungen noch ein anderes Leben an, in dem Beides erst zu seiner vollen Erscheinung kommen werde; und so gewiß diese Empfindungen selber vorhanden sind, so gewiß muß auch dieses andere Leben vorhanden sein. „So ist denn das ganz sicher,“ wendet sich Sokrates am Schlusse einer solchen Erörterung zu Kebes, „und wir haben uns darin nicht getäuscht, daß es ein Wiederaufleben gibt und daß die Seelen der Todten noch ein Sein haben, und zwar so, daß es den Guten besser, den Schlechten aber schlechter ergeht.“ Und nicht nur in den Erörterungen der Philosophen, sondern auch im allgemeinen Volksglauben läßt sich deutlich wahrnehmen, wie eben aus dieser Reflektion die Ueberzeugung von einem weiteren Leben nach dem Tode ganz vornämlich mit entsprungen ist. Denn überall finden wir dasselbe gedacht als ein Leben der Vergeltung. Das wohlthätige Heldenleben eines Herakles kann keinen andern Ausgang haben als ein Emporsteigen zu den Göttern und Eingehen in ihre Verklärung und Seligkeit. Bei den Frevelthaten eines Sisyphus, eines Tantalus, der Danaiden treten dem Geiste sofort, ganz von selber, die Strafgerichte vor Augen, die ihrer in der Unterwelt warten; und schon um dieser Strafgerichte willen, welche der eingeborene Gerechtigkeitssinn unbedingt fordert, kann also das Ende ihres zeitlichen Daseins nicht als das Ende ihres Daseins überhaupt gelten. Also diese beiden Punkte sind es, aus denen die Ueberzeugung von der Unsterblichkeit unseres Wesens hervorging: zuerst die Erkenntniß der geistigen Art desselben, seiner selbstbewußten Persönlichkeit, durch die es von Allem was die vergängliche Natur ausmacht, sich so durchaus unterscheidet; und zum Andern: das unabweisliche Gefühl, daß ein Jeder erndten müsse was er gesäet hat, daß es nicht anders sein könne als daß für das Gute ein Gutes vorhanden sei und für das Böse ein Böses. Und das sind denn auch die zwei Punkte, auf die überhaupt, wie mir scheint, der Erweis der in Rede stehenden Wahrheit sich zu gründen hat.

Natürlich, daß daher gerade hierauf die Gegner ihre Angriffe richten. In Betreff des ersteren Punktes bestreiten sie durchaus, daß der Seele ein Bewußtsein von ihrer Unsterblichkeit inwohne; und „am Allerwenigsten,“ sagt der Verfasser der fünf Vorträge über Glauben und Wissen, „könnten die Bibelgläubigen sich hierauf berufen, da nach ihrer Anschauung ja die Wenigsten in den Himmel, d. h. wirklich zum ewigen Leben kämen, sondern der Hölle, also dem andern Tode verfielen, da sie dann auf alles das verzichten müßten, wovon man sage: unser Wesen verlange darnach.“ Was zunächst diese letztere Bemerkung angeht, so leuchtet die gedankenlose Verkehrung des Sachverhaltes, die darin liegt, einem Jeden von Ihnen wohl von selber ein. Denn nirgends behaupten ja doch die Bibelgläubigen: die Hölle oder der Zustand des verödeten, unseligen Daseins sei die ursprüngliche Bestimmung der meisten Menschen, sondern als ihre Bestimmung zeigen sie im Gegentheile Allen das ewige Leben, und reden von dem Verlorengehen als von der völligsten Verirrung und Verkehrung dessen, was in unserer Natur liege und von ihr gefordert werde. Daraus aber, daß solch eine Verirrung und Verkehrung möglich ist und bei Vielen eintritt, nun die Folgerung ziehen: es gebe überhaupt kein Bewußtsein und Bedürfniß einer ewigen Seligkeit und Liebesgemeinschaft, ist gerade so vernünftig, wie wenn man sagen wollte: es könne nicht in den Bedürfnissen und der Art des Menschen liegen, daß er gut regiert zu werden wünsche, da ja die Meisten unter schlechten Regierungen stünden, oder es gehöre nicht zu seinem Wesen und er habe nicht den Anspruch, sein rechtes tägliches Brod zu genießen, da es ja so Vielen nicht zu Theil werde. „Wir sind nicht gesetzet zum Zorn, sondern zum Besitze der Seligkeit in Christo Jesu,“ ruft die Schrift aus. Und daß das Bewußtsein hievon, trotz aller Entstellung und Verdunkelung, doch in jedem Menschenherzen tausendfach sich kund gibt und in den mannigfachsten Ahnungen und Hoffnungen sich wiederspiegelt; darauf können also die Bibelgläubigen am Allerersten sich berufen.

Allein auch diesem Bewußtsein, diesen Ahnungen und Hoffnungen selber wird nun wieder jede reelle Bedeutung abgesprochen. Es wird behauptet, in der Beschaffenheit unserer Seele liege durchaus nichts, was ihr das Recht gebe, ihre unvergängliche Fortdauer zu erwarten. Wenn man hiefür vorbringe: das Gefühl des Menschen sträube sich doch gegen die Vernichtung, unser Innerstes, die Gemeinschaft mit unsern Geliebten, geben uns die Gewähr, daß ein ewiges Leben in uns wohne, so seien das eben lediglich sentimental-gemüthliche Phrasen, die vor dem Denken nicht Stand halten könnten. Auch das Thier, auch der Wurm sträube und wehre sich ja gegen den Tod und sterbe doch.

Wir erkennen diese letztere Thatsache vollständig an und nehmen sie nun unsrerseits auf, um unsere weitere Erörterung daran zu knüpfen. Also: es liegt in der Natur des Lebens, sich gegen den Tod zu sträuben und ihn als etwas Ungehöriges, seinem innersten Wesen Widersprechendes zu empfinden. Schon mit dem Leben auf seinen niedrigsten Stufen, mit dem Leben des Wurmes oder noch geringer gearteter Geschöpfe ist das der Fall. Daraus wird denn wohl nothwendiger Weise folgen: daß, je höhere Stufen das Leben ersteigt, je kräftiger, je intensiver, je ausgebildeter es wird, es sich auch um so entschiedener im Widerspruche mit dem Tode findet und ihn von sich abwehrt. Und wenn wir nun ein wenig über die Sache nachdenken, so werden wir von selber auf die Vermuthung kommen: irgendwo und wie müsse das Leben wohl eine solche Stufe und Stärke erreichen, daß es diesen Widerstand, diese Abwehr wirklich durchzuführen vermöge und nicht mehr angetastet werden könne von der Zerstörung.

Denn wenn dieß nicht der Fall wäre, wenn es gar kein Leben gäbe, das den Tod in der That von sich ausschlösse: wie ließe sich dann dieser Widerspruch alles Lebendigen gegen ihn überhaupt erklären? Dann müßte es ja schon im Begriffe des Lebens an und für sich liegen, daß es wieder dem Tode verfällt, und gegen das, was in seinem eigenen Begriffe liegt, kann kein Wesen Abneigung empfinden und sich sträuben.

Und ist es da nun nicht das Nächstliegende, daß diese Stufe und Stärke des Lebens, die so dem Tode widersteht und ihn von sich abweist, eben da beginnt, wo das Leben aus dem bloßen Naturleben in jene ganz andere, unendlich viel höhere, spezifisch verschiedene Form übergeht, von der wir vorhin redeten, in die Form des selbstbewußten, des wollenden, wie wir es mit einem Worte auszudrücken pflegen: des geistigen Person-Lebens? - Daß dieses Leben mit dem des Wurmes oder überhaupt irgend eines bewußt- und geistlosen Geschöpfes sich gar nicht vergleichen läßt, haben wir bereits gesehen; aber wir dürfen nun wohl noch weiter fragen: trägt es nicht zugleich ein Lebensbewußtsein in sich, und wehrt das Zunichtewerden in einer Weise von sich ab, die mit der Abneigung unserer irdischen Natur gegen das Sterben gar nicht zusammenzustellen ist? „Ja, der äußere Mensch kann verwesen,“ sagt der Apostel, „und der innerliche erneuert sich dabei von Tag zu Tage.“ Und daß er damit die Wahrheit redet, hat uns doch wahrlich unsere eigene Erfahrung schon tausendfach bestätigt.

Wir könnten von hier aus noch zu der weitern Beweisführung fortschreiten, durch welche die Philosophie von Alters her, und auch in der neuesten Zeit wieder - von Sokrates an bis zu dem jüngern Fichte - die Unsterblichkeit des innern Menschen darzuthun sucht, und die darin besteht, daß die Seele als eine Einheit aufgezeigt wird, welche als solche unmöglich wieder vergehen könne, weil ja nur bei dem Zusammengesetzten ein Auseinanderfalten und Wiederauflösen sich denken lasse. Indessen zwingt uns sowohl der Raum dieses Vortrages als auch die Natur solch einer philosophischen Erörterung auf diese Beweisführung zu verzichten, von der wir ohnehin, offen gestanden, nicht viel Ersprießliches erwarten. Denn wie läßt es sich am Ende mit absoluter Evidenz beweisen, daß die Seele wirklich eine Einheit ist? Läßt sie sich unter das Seciermesser oder Vergrößerungsglas nehmen wie das Sichtbare und Greifbare? Es muß uns für den Augenblick genügen, den gegnerischen Einwendungen gegenüber einfach das dargethan zu haben: daß das Unsterblichkeits-Gefühl und Unsterblichkeits-Bewußtsein, welches die Menschenseele in sich empfindet, sich wahrlich in keiner Weise zu scheuen hat vor der Prüfung des forschenden Verstandes, sondern in dem tieferen Denken viel eher seine Bestätigung und erneute Begründung erfährt, als seine Widerlegung. Daß aber dieses Gefühl und Bewußtsein in der That vorhanden ist, - um dieß noch einmal zu wiederholen - und durch alle Stufen und Verzweigungen des Menschengeschlechtes sich hindurchzieht, hat die kurze historische Uebersicht uns bezeugt, mit der wir unsere Betrachtungen begannen, bezeugt uns auch der Mund der Gegner selber, wenn z. B. der Verfasser der fünf Vorträge beklagt, daß in diesem Punkte sogar viele von den in religiösen Dingen sehr Freidenkenden von den alten Vorstellungen sich nicht losmachen könnten, sondern darauf bestünden, das menschliche Gemüth habe nun einmal das unabweisliche Bedürfniß, an ein ewiges Fortleben zu glauben. Thun sie das aber, wie derselbe Redner sagt, im Widerspruche mit all ihren sonstigen Grundsätzen, „trotz Verstand und Vernunft“: was geht daraus Anderes hervor, als daß es eben in den Menschen noch etwas Tieferes und Stärkeres gibt als die Sätze seiner selbstgemachten Philosophie, nämlich den von Gott gemachten Adel seines Wesens, den von Gott ausgegangenen Lebensodem der ihn durchwebt, seine Ebenbildlichkeit mit dem Ewigen, die auch ihm die Ewigkeit verbürgt. Und diese Kräfte noch in sich wahrnehmen und spüren, von diesen Kräften sich noch überwinden und bestimmen lassen, das ist in der That kein Besiegtwerden, dessen man sich zu schämen hat; ebensowenig als der um seinen traurigen Sieg zu beneiden oder zu bewundern ist, dem es gelang, sein ewiges Ahnen niederzubeugen unter das Joch seines zeitlichen Vorstellens, und nun von sich selber zu bekennen: er achte sich eines ewigen Lebens nicht werth und wisse nichts von einem unvergänglichen Gehalte seines Wesens.

Ueberhaupt werden Sie mir erlauben, auch hier wieder darauf aufmerksam zu machen, wie verschieden doch die sogenannte Humanitätsreligion des Pantheismus und das biblische Christenthum von dem Menschen reden und ihn beurtheilen. In den niedrigsten Kreisen des animalischen Lebens sucht diese moderne Weltanschauung ihre Analogien für das menschliche Wesen. Auf einen Bandwurm und Wurm beruft sie sich, um sein Entstehen und Vergehen anschaulich zu machen. Und warum sollte sie das nicht, da ihr ja Mensch und Wurm lediglich als Erzeugnisse derselben gebärenden Natur gelten, die im Grunde Alles aus dem gleichen Stoff und zu der gleichen Bestimmung hervorbringt? Die Schrift dagegen weiß auf dieser Erde Nichts, auch das Schönste und Höchste nicht, das würdig wäre, daß des Menschen Wesen daran gemessen würde. In das Ueberirdische steigt sie empor, in die Fülle des göttlichen Lebens selber, wenn sie ein Bild für ihn sucht, wenn sie seine Art und Beschaffenheit erklären will. „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn durch den Hauch seines Mundes,“ bezeugt sie; und wiederum: „Ihr werdet ihm gleich sein, denn ihr werdet ihn sehen, wie er ist.“ - Ich denke, wir haben allen Grund, dankbar dafür zu sein, daß solch eine mächtige, unvergängliche Wortführerin die Ehrenrettung unseres Geschlechts übernommen hat gegen die hochmüthige Thorheit seiner eigenen Glieder, welche die Krone ihm vom Haupte reißen möchten.

Aber, meine Freunde, thun wir den Gegnern der Unsterblichkeit nicht Unrecht, indem wir so von ihnen sagen: sie wissen nichts von einem unvergänglichen Gehalte unseres Wesens? Denn abgesehen von den Materialisten, die ja freilich von irgend etwas Geistigem in dem Menschen nichts hören wollen, sondern Alles, was wir unter diesem Ausdrucke begreifen, lediglich als Wirkungen seiner irdischen Natur betrachten, mit der es wieder zerfallen und zergehen werde - abgesehen von diesen, sind ja die meisten Bestreiter unserer Lehre sogenannte Pantheisten, wie sie in jenem frühern Vortrage über das Wesen Gottes uns im Näheren geschildert wurden. Und diese nehmen nun doch an, daß jene Weltseele, die nach ihrer Anschauung Alles hervorbringt und erfüllt, auch den Menschen erfülle und in ihm walte, ja in ihm erst zu ihrem eigentlichen Ziele, nämlich zum Bewußtsein ihrer selbst, zum Denken und Wollen komme. Beim Absterben des einzelnen Individuums, sagen sie freilich weiter, ziehe sich diese Weltseele dann wieder aus ihm zurück, gleichsam wie die untergehende Sonne ihre Strahlen wieder an sich zu ziehen scheint, und was eine Zeitlang Einzelexistenz und Selbstbewußtsein gewesen, versinke nun wieder in dem großen, bewußtlosen, ununterschiedenen Geistesmeere des Ganzen. Aber dieß nennen sie doch auch ewiges Leben; von einer Vernichtung, sagen sie, könne da keine Rede sein, indem ja nichts verloren gehe von der Summe des Geisteswesens, sondern nur das Vereinzelte sich wieder vereinige mit dem Allgemeinen, von dem es ausgegangen.

Allein, ist das wirklich richtig? Geht bei diesem Prozesse wirklich nichts verloren von dem, was unsere geistige Art begründet und überhaupt zum Wesen des Geistes gehört? Mich dünkt: im Gegentheile Vieles, ja, um es gerade herauszusagen, Alles gehe dabei verloren, worauf es uns ankommen muß und worin unser Leben besteht. Denn es geht ja offenbar dabei verloren unser Selbstbewußtsein, unsere Persönlichkeit, unser Ich, d.h. eben das, was überhaupt unser Sein ausmacht. Nur die Substanz bleibt, aus der wir gebildet waren, aber wir selber sind nicht mehr da, wir selber sind so völlig zu Nichten geworden, als wären wir gar nie vorhanden gewesen. Das Leben, das sich wußte, das sich fühlte, das sich dachte, das sich von Andern unterschied, ist untergegangen in bewußtloser und unterschiedsloser Allgemeinheit, d.h. also mit andern Worten: in Vernichtung und Tod. Denn wenn es richtig ist: „Ich denke, daher bin ich,“ so muß es auch richtig sein: „ich denke nicht mehr, darum bin ich nicht mehr.“ Und kann es uns nun ein Ersatz hiefür sein, daß doch wenigstens unsere Substanz unvergänglich ist und fortdauert?

Unsere Substanz? Wir sind ja nicht mehr, also haben wir auch keine Substanz mehr! Ist es etwas Anderes als ein leeres, betrügerisches Wortspiel, wenn uns gesagt wird: „Ein ewiges Leben hast du nichtsdestoweniger, von ewiger Art bist du doch“? Ich bin ja gar nicht mehr, wie kann da noch von meiner Art die Rede sein? Ich bin ja gar nicht, wie kann es da noch ein Leben für mich geben? Oder wie? urtheilen denn nicht dieselben Männer, die uns mit solchen Phrasen abspeisen wollen, ganz ebenso wie wir und nennen die Dinge beim rechten Namen, wo es um unsere leibliche Existenz sich handelt. Auch mit unserm Leide geht ja völlig das Gleiche vor sich, was nach ihnen mit unserer Seele geschehen soll. Auch unser Leib geht bei seinem Absterben keineswegs verloren, so daß seine Substanz zunichte würde; er sinkt vielmehr ganz einfach wieder zurück in die Masse von der er genommen war; der Staub wird wieder zu Staub, die Erde wieder zu Erde, und ein neues Leben erwächst aus dem vermodernden Gebein. Aber sagt darum irgend Jemand, unser leibliches Leben sei unvergänglich? Ist dieses Zurückkehren in die Gesamtmasse der Natur für irgend Jemanden etwas Anderes als der Tod? Hebt es für irgend Jemanden das Gefühl und die Thatsache seiner Vernichtung nach dieser Seite hin auf? Beruhigt man sich da etwa auch mit dem Worte von Schiller, das der Verfasser der fünf Vorträge uns vorhält:

„Du fürchtest dich vor dem Tode, du wünschest unsterblich zu leben.
Leb im Ganzen, es bleibt, bist du auch längst nicht mehr da.“

Auch dieser Redner selber scheint das nicht zu meinen, sondern vielmehr - wo es den Leib angeht - Leben und Tod sehr ernstlich von einander zu unterscheiden und den letztern für das Aufhören alles dessen zu halten, wonach unser Wesen verlangt, wenn er z.B. sagt: „es brauche nicht erst den Glauben an eine künftige Vergeltung, sondern schon die bloße Klugheit lehre uns, den einzelnen Sinnengenüssen Maaß und Schranken setzen, um möglichst lang und möglichst voll das Leben zu genießen.“ Also der Erhaltung des leiblichen Lebens legt man einen Werth bei und zeigt sich dafür besorgt: denn, wenn der Leib wieder untergeht in der allgemeinen Natur, so ist es damit vorbei und Alles hat ein Ende; aber von dem Seelenleben soll das nicht gelten! Das läßt man ganz getrost in der nämlichen Weise untergehen und versinken, und gibt dann doch nicht zu, daß man es dem Tode überweise, sondern redet von einer ewigen Fortdauer desselben, nur um damit dem unvertilglichen Bedürfnisse unseres Geistes nach ewigem Leben, gegen das aufzukommen keine Philosophie sich stark genug fühlt, nicht offen widersprechen zu müssen, sondern es durch allerlei schilderndes Blendwerk an sich selber irre zu machen und über sich selber zu täuschen. Es ist in dieser Beziehung bezeichnend genug, daß selbst den scharfsinnigsten pantheistischen Denkern, wenn sie auf diesen Punkt, auf dieses ihr „ewiges Leben“ zu sprechen kommen, im eigentlichsten Sinne des Wortes die Gedanken ausgehen und sie in fast komischem Contrast mit ihrer übrigen Haltung plötzlich in eine Gefühlsschwärmerei sich flüchten, bei der dann irgend ein Gedicht, wie Rückerts sterbende Blume, oder ein Abschnitt aus Schefers Laienbrevier die Stelle der klaren philosophischen Auseinandersetzung vertreten muß.

Also Unrecht thun wir nach alle dem den Pantheisten sicherlich nicht, wenn wir von ihnen sagen: sie geben unsern innern Menschen gerade derselben Vernichtung Preis, wie unsern irdischen; ein ewiges Leben kennen sie nicht; dem Bewußtsein unserer Seele von ihrer Unsterblichkeit werden sie in keiner Weise gerecht.

Aber freilich: indem wir bei diesem Ergebnisse anlangen, taucht nun mit einem Male ein anderer Einwurf gegen uns auf, auf den auch Sie, meine Freunde, schwerlich gefaßt sein werden. Nämlich es wird uns vorgeworfen: die Hoffnung auf eine persönliche Fortdauer nach dem Tode sei im Grunde etwas Unsittliches weil Egoistisches; nur aus selbstischen Wünschen stamme sie, nur aus einer „sentimentalen Zärtlichkeit für das eigene Ich,“ wie der Verfasser der fünf Vorträge sich ausdrückt. Da stehe doch offenbar die entgegengesetzte Anschauung viel höher, die sich ohne Weiteres bereit zeige, das allgemeine Loos der Vergänglichkeit zu theilen, und die eigene Persönlichkeit willig wieder dahinströmen zu lassen in das allgemeine Leben, nachdem sie ausgerichtet, was an ihrem Orte ihr oblag.

Nun, was sollen wir hiezu sagen? Um das Geschraubte und Gemachte dieser ganzen Einrede und angeblichen Sittlichkeit darzuthun, genügt im Grunde schon die Antwort, die einmal auf einer schweizerischen Predigergesellschaft ihr entgegengehalten wurde: „Wenn es Egoismus ist, ewig leben zu wollen, nun, so ist es gerade so gut Egoismus, noch in der nächsten Minute leben zu wollen, und Jeder ist ein Egoist, der Speise und Trank zu sich nimmt oder überhaupt irgend etwas thut, um sein Leben zu erhalten.“

Aber es läßt sich auch noch bei Weitem mehr sagen als das; es läßt sich auch nachweisen, daß die Hoffnung auf ein ewiges Leben im christlichen Sinne gerade das Gegentheil des Egoismus ist und diese Verkehrung unseres natürlichen Wesens in ihrem tiefsten Grunde überwindet. - Sie erlauben mir, daß ich mich hiebei zuerst an Ihr eigenes Gefühl und Bewußtsein wende. Einer der scharfsinnigsten französischen Philosophen und Kritiker der Gegenwart, Ernst Renan, dem Christenthum als solchem nichts weniger als zugethan, wie das bei einem gebildeten französischen Katholiken leider nur zu erklärlich erscheint, hat in einer jüngst erschienenen Arbeit über die Zukunft der Religion sich doch mit allem Ernste dagegen erhoben, daß man den positiven, auf Gott und Unsterblichkeit gegründeten religiösen Glauben für eine niedrige, untergeordnete Stufe im Geistesleben der Menschheit ansehe, und dabei das folgende Zeugniß abgelegt: „Es sind vielmehr die besten Momente seines Daseins, in denen der Mensch religiös sich fühlt; gerade dann, wenn wirklich etwas Gutes in ihm lebt, empfindet er, daß dieses Gute einer ewigen Ordnung entspricht; und am allerempörendsten und unmöglichsten dünkt ihn das Zunichtewerden durch den Tod, wenn er in selbstlosem, liebendem Sinne die Dinge betrachtet. - Sagen wir es nur kühn heraus,“ fährt er gleich darauf fort, „der Mensch steht um so mehr in der Wahrheit, je religiöser er ist, je gewisser einer unendlichen, unerschöpflichen Bestimmung.“ - Und nun gestatten Sie mir die Frage: Ist das nicht auch Ihre Erfahrung? Machen Sie doch die Probe: In welchem Falle regen sich in Ihnen alle guten und edeln Elemente Ihres Wesens, in welchem Falle treten Ihnen Ihre Pflichten jeder Art am Ernstesten vor die Seele, und Ihr Inwendiges dürstet und streckt sich nach einem höhern sittlichen Zustande, als den Sie jetzt besitzen, nach Gerechtigkeit und Liebe und Vollkommenheit: - in welchem Falle geschieht das? wenn Sie sich vorstellen: mit dem Tode ist Alles zu Ende, meine Person und mein Thun, meine Bestimmung und mein sittlicher Erwerb, - oder wenn Sie sich hineinversetzen in ein weiteres Dasein, da alles was gut, schön, lieblich, wahrhaftig ist, zu seinem Ziel und seiner Vollendung kommen soll, - da die Liebe in der Liebe ruht, die Gerechtigkeit mit Gerechtigkeit sich sättigt, die Fülle des heiligen Gottes sich aufthut, um das in sich aufzunehmen, was ihm gleichartig ist und befähigt zu seiner Gemeinschaft? Ja, ich frage Sie: bei welcher von diesen beiden Vorstellungen kommt der sittliche Ernst über Ihren Sinn, und entzündet sich in Ihrem Herzen das heilige Feuer des Trachtens nach dem Höchsten und der Liebe zu allem Liebenswerthen, das die Selbstsucht des natürlichen Wesens verzehrt? O wahrlich! egoistischer sind wir nie und nie hat alles Niedrige und Gemeine freieren Spielraum in uns, als wenn wir es vergessen, daß wir zu einer ewigen Liebesgemeinschaft berufen sind, als wenn wir es aus den Augen lassen, daß wir ihn, den Heiligen und Vollkommenen einst schauen sollen wie er ist, damit wir ihm gleich werden indem wir ihn schauen, sondern uns lediglich als dieser Welt angehörig betrachten, als irdische Wesen, die darum auch irdisch gesinnt sein dürfen. -

Und dieser Sachverhalt ist denn auch ganz natürlich und erklärlich. Auch hier wieder hat ja der Pantheismus nur das Wort und den Schein, das Christenthum aber die That und das Wesen. Denn das ist allerdings richtig: das Sich-Hingeben steht höher als das Sich-selber-Festhalten und als ein Egoismus muß es in der That erscheinen, das eigene Leben bewahren wollen, nur weil es das eigene Leben ist. Aber freilich der Hingabe, die der Pantheismus lehrt, kann solch ein sittlicher Werth nicht zukommen. Denn die ist ja keine freiwillige, sondern eine erzwungene, eine unvermeidliche Naturnothwendigkeit; und mit ganz ebenso gutem Rechte, wie dieses Sich-selbst-Verlieren seiner Seele, könnte man dem Menschen sein leibliches Sterben als eine That der Selbstverläugnung zurechnen. - Das Christenthum dagegen stellt eine wahrhafte und wirkliche Selbsthingabe in Aussicht, nicht eine solche, bei der das Ich untergeht, so daß es sich gar nicht hinzugeben vermöchte, selbst wenn es wollte, sondern eine solche, die es vollzieht selbstbewußt, freiwillig, sein eigenes Wesen in der That verläugnend. Denn wie schildert das Christenthum das ewige Leben? Mit einem Wort: als ein ewiges Lieben, das, wie es schon in dem Begriffe der Liebe liegt, sich aller Selbstsucht, alles In-sich-selber-Seins und Für-sich-selber-Wollens völlig entkleidet hat und nun nur lebt in und für Gott und den Erlöser, in und für die Gemeinschaft der mitvollendeten Brüder. Und indem solches Lieben anhebt, hebt auch das ewige Leben an. „Ich lebe, aber nun doch nicht mehr ich,“ bezeugt der Apostel, „sondern Christus lebet in mir;“ „dazu ist Christus für Alle gestorben,“ erklärt er ein ander Mal, „auf daß die da leben hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.“ „Wer sein Leben erhalten will oder lieb hat,“ ruft der Herr seinen Jüngern zu, „der wird es verlieren; wer der Meine sein will, der verläugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich.“ Ich gebe es Ihrer eigenen Beurtheilung anheim, meine Freunde, ob sich in dem Allem eine sentimentale Zärtlichkeit für das eigene Ich ausspreche, oder ob nicht vielmehr dieses Sich-selbst-Verlieren und zugleich Wiedergewinnen in der vollkommensten Liebe für freie und persönliche Wesen, wie die einzig mögliche, so die einzig würdige Weise des Sich-Hingebens sei, die einzige, bei der von einem sittlichen Thun die Rede sein kann. Es hat etwas wahrhaft Empörendes, wenn der Pantheismus, der alles Ethische zerstört und in einen metaphysischen Prozeß auflöst, nun doch noch dem Christenthum gegenüber die Miene annehmen will, als vertrete er theilweise eine noch vollendetere Sittlichkeit als es.

Und solche Miene nimmt er denn in noch höherem Grade bei dem folgenden und letzten Punkte unserer Erörterung an, zu dem wir jetzt übergehen, nämlich bei jenem schon oben besprochenen Nachweise, daß die Unsterblichkeit unseres Wesens vor Allem von unserem sittlichen Bewußtsein gefordert werde. Unsere Gegner selber machen die Bemerkung, daß vor diesem Beweise alle andern in den Hintergrund treten, und daß auch die heilige Schrift ihn auf das Stärkste hervorhebe. „Ist Christus nicht auferstanden,“ sage in der That der Apostel Paulus, „und haben wir also keine Gewißheit, daß auch unser eine Auferstehung und ein ewiges Leben warte, so sind wir die Elendesten unter allen Menschen; dann lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt.“ Aber eben gegen diesen Ausspruch und die ganze Anschauung, aus der er hervorgeht, erheben sie sich nun mit einer gewissen Bitterkeit und erklären solch einen Standpunkt für einen sehr niedrigen und untergeordneten, wie er höchstens bei den Schwachen, die für ihr sittliches Leben noch einer außer ihnen liegenden Stütze bedürfen, geduldet werden könne, während die „wahrhaft sittlichen und zugleich denkenden Menschen“ längst darüber hinaus seien. Diese fänden vielmehr die Motive zur Sittlichkeit in ihr selber, und hätten nicht erst die Vorhaltung eines künftigen Lohnes oder einer künftigen Strafe zu diesem Zwecke nöthig.

Nun, meine Freunde, einiges Befremden wird es zunächst schon in uns hervorrufen, den Apostel Paulus, diesen Mann der tiefsten Erkenntniß und zugleich des brennendsten Feuereifers für alles Große, Heilige und Göttliche, der in einer Liebesglut ohne Gleichen von sich sagen konnte, was noch nie ein anderer Mensch ihm nachgesprochen hat: „Ich wünschte auch selber verbannt zu sein von Christo, wenn ich dadurch meine Brüder erretten könnte,“ - einiges Befremden sage ich, wird es schon in uns hervorrufen, diesen Mann den sittlich Schwachen und des rechten Denkens Ermangelnden beigezählt zu sehen; und nicht ohne eine leise Ironie werden wir es wahrnehmen können, wie der Eine oder Andere, von dem auch nicht das Geringste dergleichen geleistet wird, sich ohne alles Bedenken über ihn stellt als einsichtiger in den geistlichen Dingen und zu einer höhern Stufe der Sittlichkeit emporgestiegen. Und dieses Befremden wird sich noch steigern, wenn wir weiter bedenken, daß ja nicht nur der Apostel Paulus so redet, wie wir es vernahmen, sondern mit ihm auch die Andern, zu welchen die Menschheit als zu ihren Größten und Edelsten auf diesem Gebiete, als zu den Schöpfern und Quellen ihrer höhern Einsicht und ihres sittlichen Lebens emporschaut. Von demjenigen, der auch nach dem Zeugnisse seiner entschiedensten Bestreiter als der durchaus Einzige und Unvergleichliche in dieser Beziehung dasteht, gotterfüllt und heilig wie sonst nie ein Mensch, von Christo, brauche ich Ihnen das nicht erst nachzuweisen. Von selber fallen Ihnen ja alle jene Reden aus seinem Munde ein, in welchen er seine Aufforderungen zu heiligem Wandel auf das Engste mit der Verheißung eines ewigen Lebens verknüpft und in den mannigfachsten Wendungen immerfort wiederholt: „Halte die Gebote, glaube an mich, auf daß du zum Leben eingehest.“ Aber auch von einer ganz andern Seite her, von daher, wo das heidnische Erkennen und Streben auf dem sittlich-religiösen Gebiete in seiner höchsten Höhe und Blüthe sich darstellt, vernehmen wir völlig das gleiche Zeugniß. „Das müssen wir bedenken, o Männer,“ sagt Sokrates in seiner letzten Unterredung vor dem Trinken des Giftbechers, „daß es von der Unsterblichkeit der Seele abhängt, ob wir ihr zu leben und für sie zu sorgen haben oder nicht. Denn furchtbar groß erscheint dann die Gefahr, wenn man nicht für sie sorgt. Ja, wäre der Tod ein Loskommen von Allem, so wäre es ja freilich für die Schichten ein glücklicher Fund, bei ihrem Tode zugleich sowohl von dem Körper als auch mit der Seele von ihrer eigenen Schlechtigkeit losgemacht zu sein. Nun aber, nachdem die Seele sich uns als unsterblich zeigt, dürfte es für Solche keine andere Flucht vor dem Uebel und kein anderes Heil geben, als daß sie so gut und einsichtsvoll werden als möglich.“ Das ist denn doch, mit anderen Worten, ganz das Nämliche was Paulus sagt: „Hätte mit dem Tode Alles ein Ende, dann möchten wir thun was uns beliebt; nur daraus, daß es ein künftiges Leben gibt, erwächst uns die Pflicht, für unsere Seele zu sorgen und der Weisheit und dem Guten nachzutrachten.“

Ich denke, meine Freunde, was von solchen Stimmen wie aus einem Munde bezeugt wird, ist nicht mit ein paar leicht hingeworfenen Phrasen vor höherm und niedrigerm Standpunkte abgethan, sondern darf doch gewiß den Anspruch erheben, daß wir seine Meinung erst recht zu verstehen suchen, und sie dann einer gründlichen Erwägung unterziehen.

Denn für's Erste fehlt es den Gegnern doch offenbar schon an einem genügenden Verständnisse dessen, was die Aussprüche des Herrn und seiner Apostel sagen wollen, wenn sie in denselben den Gedanken ausgedrückt finden: ohne Lohnverheißung müßte Essen und Trinken und ungezügelter Genuß des Menschen einziges Ziel sein. Wem die Reden des Erlösers und die Schriften seiner Zeugen irgendwie gegenwärtig sind, der weiß, wie sie im Gegentheile auf das Allerbestimmteste gegen solch eine Lohnsucht, gegen solch einen niedrigen Knechtessinn sich erheben und nicht etwa sprechen: „Lasset uns Gott lieben, damit er uns wieder liebe,“ sondern vielmehr: „lasset uns ihn lieben, weil er uns zuerst geliebt.“ - Die Wahrheit, welche sie bezeugen wollen, ist vielmehr einfach diese: Hat der Mensch keine künftige Bestimmung, so kann er auch keiner künftigen Bestimmung leben; er ist dann lediglich für diese Erde da, und die einfachste Logik erfordert, daß er in solchem Falle auch lediglich für diese Erde lebt. Was heißt das aber: lediglich für diese Erde leben? Heißt das ohne Weiteres in allen Lüsten sich wälzen? Keineswegs! Können wir uns z. B. vorstellen, daß der Apostel Paulus selber, auch wenn er an kein anderes Leben geglaubt hätte, bei seiner hohen, durch und durch geistigen Natur, einen solchen Wandel geführt haben würde? Gewiß nicht! Sondern lediglich dieser Erde leben heißt offenbar nichts Anderes als: seinen ganzen Lebenswandel so einrichten und führen, wie es uns eben am Erfreulichsten, Vortheilhaftesten und Besten erscheint, ohne auf irgend etwas Anderes Rücksicht zu nehmen, als auf die Verhältnisse dieses irdischen Daseins. Ein Jeder folgt dann, selbstverständlich, ohne Weiteres den Anforderungen und Trieben seiner Natur. Der sinnlich geartete Mensch, - der allerdings wird, wie der Apostel sagt, essen und trinken und darauf ausgehen, sich gute Tage des Fleisches zu machen. Die edler und geistiger angelegte Persönlichkeit dagegen, die an dergleichen keinen Gefallen findet, wird ihre geistigen Bedürfnisse zu befriedigen suchen und in der Atmosphäre der unsichtbaren Güter sich bewegen. Der Rohe und Bildungslose, in dem ungezügelte Leidenschaften walten, wird den Antrieben dieser Leidenschaften sich überlassen und dadurch vielleicht auch die äußeren sittlichen Ordnungen durchbrechen und stören. Der feiner Organisierte und Kluge, der da versteht, welche schlimmen Folgen solches Gebühren nach sich ziehen muß, wird sich bemühen, eine gewisse Herrschaft über diese Naturelemente seines Wesens zu gewinnen, und in solcher Beherrschung seiner selbst durch das Leben zu gehen. Der zu Unfreundlichkeit und Neid Geneigte wird in galliger, abstoßender Haltung mit seinen Nebenmenschen verkehren; der Gutmüthige und nach Liebe Verlangende ihnen Güte und Liebe erzeigen und seine Freude darin finden, den Andern Freude zu machen. Kurz: ein Jeder wird sein Leben sich auferbauen und einrichten nach seinem Geschmacke, seinen Anlagen, seiner Einsicht, der Beschaffenheit seines Wesens; der Eine in fleischlicherer, gewaltthätigerer, unsittlicherer Weise; der Andere in Sittlichkeit, wie wir dieses Wort gewöhnlich zu brauchen pflegen, in Anstand, in Manchem was lieblich ist und wohllautet. Neben einem Sardanapal und Tiberius wird ein Titus und Marc Aurel stehen; neben einem Cäsar Borgia und Philipp von Orleans ein Spinoza und Schiller. Aber doch handeln Alle im Grund ganz aus dem gleichen Prinzipe heraus, und weder kann der Eine getadelt werden um seiner Unsittlichkeit willen, noch der Andere Lob empfangen für seine sittlichere Haltung; denn der Eine wie der Andere können ja bei ihrem Verhalten gar kein anderes Gesetz und Ziel im Auge haben, als nur eben das: den Anforderungen ihrer eigenen Natur, für deren Beschaffenheit sie doch wahrlich nicht verantwortlich sind, möglichst Genüge zu thun und sich dadurch möglichst glücklich zu machen.

Oder welche andere Rücksicht vermöchte bei ihnen in Betracht zu kommen? Von einer Pflicht der Sittlichkeit kann ja doch nicht die Rede sein. Denn zu einer Pflicht gehören immer zwei Momente: zum Ersten Einer, der sie auferlegt, und zum Andern ein vernünftiger, den Anstrengungen der Pflichterfüllung angemessener Zweck, um dessentwillen sie auferlegt wird. Nach der Anschauung, deren Consequenz wir hier darstellen, gibt es nun aber weder einen Gott, von dem eine Verpflichtung ausgehen könnte, noch einen weitern Beruf, zu dem wir uns durch sittliches Streben und Handeln tüchtig zu machen hätten. Für den Begriff eines Guten im vollen Sinn des Wortes ist also überhaupt kein Platz mehr; „das Gute ist,“ muß man nun mit den Epikuräern des Alterthums sagen, „was mir gut thut, und als der Gute und Weise hat derjenige zu gelten, der mit rechter Klarheit erkennt, was ihm zum Wohlsein gereicht und was im Gegentheile den ruhigen Lebensgenuß ihm stört, der dem Einen nachtrachtet und das Andere zu vermeiden weiß. - Daß damit nun aber die Forderung der Sittlichkeit nur noch an dem einen Rettungsanker hängt: „sei sittlich um glücklich zu sein,“ leuchtet von selber ein, und die Wortführer des Pantheismus stellen das auch gar nicht in Abrede. Neben mehreren anderen Zeugen, deren Stimmen er hiefür anführt, bemerkt der Verfasser der fünf Vorträge: „darum müsse man Maaß und Tugend üben, weil allein in dieser Weise einmal die Fähigkeit zu äußern Genüssen bewahrt und dann die höchsten Freuden des inwendigen Menschen geschmeckt werden könnten: die Begeisterung für das Schöne, Gute und Wahre.“ Nun, meine Freunde, für's Erste ist es doch wohl ein rechtes Selbstgericht, daß diejenigen, die in der Verheißung einer künftigen Seligkeit durch das Christenthum eine unwürdige Berufung auf die Lohnsucht erblicken wollen, nun selber für ihre Empfehlung der Sittlichkeit nichts Anderes vorzubringen wissen, als eben auch einen Hinweis auf Glück und Lohn, und zwar auf einen Lohn, der in jeder Beziehung so unendlich viel tiefer steht, als die durch und durch selbstlose und heilige Seligkeit in der Liebesgemeinschaft Gottes, welche das Evangelium den Christen verkündet. Zum Andern aber müssen wir ja wohl sagen: Und wenn nun Einer auf eure Ermahnung: „sei sittlich, damit du glücklich bist“ euch erwidert: „Mich macht das sittliche Streben nicht glücklich; bei dir nach deiner Naturanlage mag das der Fall sein; ich nach der meinigen dagegen fühle mich nun einmal am Glücklichsten, wenn ich recht ungehemmt meinen Neigungen und Lüsten lebe. Kommen dann einmal aus diesem Lebenswandel die schlimmen Folgen, mit denen ihr mir droht, will die Natur sich rächen, meine Mitmenschen mich verachten u. s. w., nun, so habe ich ja Macht über mein Dasein und kann es enden, sowie es mir lästig werden will“; wenn Einer so redet, - und wie viele Naturen gibt es, die zu solcher Gesinnung geneigt sind - was wollt ihr ihm dann antworten? Uber das, was ihn Glück oder Nicht-Glück dünkt, muß er doch selber der beste Richter sein, und irgend einen andern Grund, ihn zur Sittlichkeit anzuhalten, als die Rücksicht auf sein eigenes Glück, wisset ihr ja nicht und könnet ihr nicht wissen. Nein! Paulus hat nicht Unrecht, wie ihr es behauptet, sondern durch und durch Recht mit seinem Ausspruche: „Gibt es kein künftiges Leben, so dürfen und können wir wenigstens sagen, wenn wir es auch nicht gerade sagen müssen: Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt.“

Lassen Sie uns das auch noch von einer andern Seite her uns recht zum Bewußtsein bringen. Sie erinnern sich jener schönen Stelle in dem Vortrage über Natur und Gott, in der das Naturgesetz und das Tittengesetz neben einander und einander gegenüber gestellt wurden. „Denn sie können,“ sagte der Redner, „ja wirklich mit einander in Konflikt gerathen. Das Naturgesetz verlangt z. B. Befriedigung des Hungers, das Sittengesetz befiehlt: du sollst nicht stehlen, nicht tödten.“ - Und welchem von beiden haben wir nun da zu gehorchen?„

Meine Freunde, wenn wir an keine überirdische Bestimmung unserer Persönlichkeit glauben, so ist gar kein Grund vorhanden, warum wir dem Sittengesetze gehorchen sollten, wohl aber die allerstärksten Gründe, den Forderungen des Naturgesetzes Folge zu leisten. Denn daß dieses ein Recht an uns hat und den Bedürfnissen unseres Wesens entspricht, ist ja unbestreitbar: wir müssen, - um bei dem eben genannten Beispiele stehen zu bleiben - unsern Hunger befriedigen, um uns wohl fühlen zu können, um überhaupt unsere Existenz zu erhalten. Dagegen das Sittengesetz, was hat das für ein Recht an uns? Das muthet uns zu, gegen das Interesse unseres Wohlseins zu handeln, ja unser Leben zum Opfer zu bringen: wozu? und wofür? Die einzige Antwort, die sich etwa geben läßt, wäre die: aus Rücksicht auf die Andern, auf das Allgemeine. Allein was verpflichtet mich denn im Grunde zu solcher Rücksicht? In manchen Fällen allerdings die Sorge für mein eigenes Glück, weil es sich in der Welt gar nicht mehr leben ließe und auch ich nicht mehr darin leben könnte, wenn man durchaus keine Rücksicht mehr auf einander nähme, wenn das gegenseitige Eigenthum, das gegenseitige Recht nicht mehr respektiert würde. Aber wenn nun der Fall der Art ist, daß es geradezu um mein Dasein sich handelt, wie wenn ich in Gefahr bin, Hungers zu sterben: kann mich dann die Sorge für mein Glück auch noch verpflichten, mehr Rücksicht auf die Andern und ihre Rechte zu nehmen, als auf die Erhaltung meiner selbst? Das ist dann offenbar nicht mehr möglich! Jede andere Rücksicht muß vor der zurücktreten, mir mein Dasein zu bewahren; meine Natur treibt mich auf das Stärkste und Unzweideutigste dazu an; ich thue nur was ich nach ihren einleuchtendsten und berechtigsten Anforderungen thun muß, wenn ich auf jede Weise mir verschaffe, was ich nöthig habe, um mein Leben zu fristen. Und wenn nun mein Gewissen sich hiegegen sträubt, ohne mir doch einen vernünftigen Grund für sein Sträuben angeben zu können; wenn es mir sagt: „das ist nicht recht, das dient dir nicht zum Heile,“ ohne mir doch irgendwie zu erklären warum es nicht recht ist, und während ich im Gegentheile sehe, daß gerade aus dem Gehorsam gegen seine Stimme mir Unheil und Untergang erwachsen wird: auf welchen andern Schluß kann ich dann kommen, als daß dieses Gewissen eben etwas Ungehöriges und Thörichtes sei, ein krankhaftes Element in meinem Wesen, das bekämpft und unterdrückt werden müsse, wie irgend eine andere Schwachheit unserer Natur, die ihre freie Entfaltung und ihr Wohlsein störe? Und das haben denn auch wirklich die entschiedensten und consequentesten Vertreter der sogenannten „modernen Weltanschauung“ ganz offen ausgesprochen. Das Gewissen, das religiöse Gefühl ist ihnen der eine große Krankheitsstoff in dem Menschen, der ihn fort und fort an dem rechten, naturgemäße Gebrauche und Genusse seines Daseins hindert. Eine Ansicht, gegen die in der That sich nichts einwenden läßt, wenn der Mensch in dem Erdenleben aufgeht. Denn das Gewissen ist nun einmal in hundertfacher Beziehung ein Gegner der Ansprüche dieses Erdenlebens, und jedes Leben hat das Bedürfniß und das Recht und die Pflicht, sich seiner Gegner zu erwehren, namentlich wenn diesem Rechte kein anderes, von einer höhern Autorität ausgehendes entgegensteht.

Sie sehen, meine Freunde, das Sittengesetz kann nur dann einen wirklichen und einleuchtenden Anspruch auf Gehorsam an uns haben, so es sich darauf zu gründen vermag: daß wir gerade indem wir ihm gehorchen, unserm Leben in der rechten Weise dienen, unser Leben erhalten und gewinnen, selbst wenn wir es in diesem Gehorsam scheinbar verlieren müßten; während wir es im Gegentheile wahrhaft und thatsächlich verlieren, sobald wir es im Widerspruche mit ihm nach den Forderungen des Naturgesetzes zu bewahren suchen.

Mit andern Worten: das Sittengesetz hat nur in dem Falle ein über das Naturgesetz hinausgehendes Recht an uns, wenn es das Gesetz eines höhern, wichtigern, bleibendem Lebens ist, als dieses Naturlebens, wenn es mit der Versicherung an uns herantreten kann: „was ich von dir fordere, soll dich tauglich machen zu einem Lebenszustande, der in jeder Weise deinen jetzigen weit übertrifft. In dieser gegenwärtigen Ordnung der Dinge liegt deine eigentliche Bestimmung, dein eigentliches Glück, dein eigentliches Leben nicht, und darum können auch die Anforderungen, die diese Ordnung an dich stellt, nicht die obersten, nicht die wahrhaft bestimmenden für dich sein, sondern die von mir ausgehenden sind die obersten und letzten, die auf die Wahrheit deines Daseins zielen, und wo jene in Zwiespalt gerathen mit diesen, da hast du also unbedingt mir zu gehorchen.“ Denn auch unter uns Menschen hat ja jedes Gebot, unsere natürlichen Triebe und Wünsche zu bekämpfen und ihnen entgegenzuhandeln, nur in so weit ein Recht, als es Dieß um eines höhern Zweckes, gleichsam um eines höhern Vortheiles willen von uns fordert. Wie dürften wir Eltern unsere Kinder aus dem naturgemäßen Spiel- und Genuß-Bedürfnisse ihrer Jugend heraus zu der vielleicht sehr verhaßten Schule oder zu so mancher bitteren Selbstverläugnung an-halten, wenn dieß eine zwecklose Quälerei, wenn es nicht nöthig, ja unerläßlich wäre für ihr späteres Leben und ihre weitere Bestimmung? Wie kann eine Idee, welcher Art sie immer sei, und mag sie auch noch so schön sich darstellen, zu irgend einem Opfer uns ermuntern, wenn sie eingestandener Maaßen keine Zukunft hat? Niemand unternimmt ein Werk, von dem er zum Voraus weiß: ich kann es nie vollenden; Niemand lebt und stirbt für eine Sache, von der es ihm unzweifelhaft ist, daß sie mit ihm stirbt und dahingeht. Werden wir nie zu dem Ziele der sittlichen Vollendung kommen, wird unser Liebestrachten nie seine Befriedigung und Gegenliebe finden, gibt es für die Idee des Guten, die uns sich dienstbar machen will, nie eine Verwirklichung - und das Alles steht und fällt ja eingestandener Maaßen mit dem Dasein eines persönlichen Gottes und eines künftigen Lebens - wie kann, wie darf man dann vernünftiger Weise von uns fordern, oder gar uns verpflichten zu einem mühe- und opfervollen Streben nach alle dem, zu einem Streben, von dem man uns zum Voraus sagt: Es ist vergeblich, ziellos und hoffnungslos? In solchem Falle ist das Sittengesetz im Gewissen, das uns hiezu antreibt, nicht nur etwas Unnützes, nicht nur ein Räthsel, sondern geradezu eine Grausamkeit und ein Betrug, und wir können in der That nichts Besseres thun, als der Weisung jener modernen Philosophen folgen, und uns seines Einflusses auf uns so rasch und gründlich als möglich entledigen.

So ist es denn, von den verschiedensten Seiten her betrachtet, wirklich dem also, wie das gesunde natürliche Gefühl die Sache jederzeit angesehen hat und ansehen wird: mit dem Glauben an die Fortdauer unserer Person nach diesem Leben hört jeder prinzipiell^ Unterschied zwischen Gut und Böse auf; jeder unbedingt geltende Grund eines sittlichen Trachtens und Strebens fällt hinweg; die Antriebe unseres natürlichen Wesens werden zu dem höchsten und einzigen Gebote, dem wir zu folgen haben; das sich Losmachen von der Selbstsucht, das Thun des Rechten und sein Leben-führen in der hingebenden Liebe ist höchstens noch Geschmacksache, aber keine Verpflichtung mehr; Alles auf diesem Gebiete wird der subjektiven Willkür anheimgestellt, weil es nichts Objektives mehr gibt, weder einen Gott, noch eine von ihm uns gesetzte Bestimmung, die uns zur Richtschnur unseres Verhaltens zu dienen hat. - Nämlich das setze ich bei dieser ganzen Erörterung voraus, daß es Jedem von selbst verständlich ist, wie das Dasein eines persönlichen Gottes und die Unsterblichkeit unseres persönlichen Wesens durchaus unzertrennlich zusammenhängen, so daß ein deutscher Philosoph wohl sagen durfte: Noch leichter könnte man die Unsterblichkeit der Seele glauben ohne Gott, als Gott ohne die Unsterblichkeit der Seele. ) Aber wer will, wer wird, wer kann diese Consequenzen, wie wir sie eben entwickelten, wirklich ziehen? Wer vermag sie auch nur in seine Vorstellung aufzunehmen und sich das menschliche Dasein unter diesem Gesichtspunkte zu denken? Wer vermag es sich abzugewöhnen nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich das Eine gut zu nennen und das Andere böse, den Einen um seiner Sittlichkeit willen hoch zu halten, und den Andern um seiner Unsittlichkeit willen zu verurtheilen? Wir dürfen wohl sagen: geradezu Niemand vermag das, auch diejenigen nicht, die unsrer bisherigen Beweisführung nach, von ihrer Anschauung unbedingt dazu gedrängt werden. Wenn Carl Vogt, bekanntlich einer der ausgesprochensten Vertreter der „modernen Weltanschauung“, nach dem das gesamte Geistesleben des Menschen so ausschließlich auf seiner vergänglichen Leiblichkeit beruht, daß er seine Gedanken und Gefühle irgend einer Art lediglich als unwillkürliche Absonderungen der Nerven betrachtet, so wie die Speicheldrüse den Speichel und die Schleimhäute den Schleim absondern, - wenn dieser Mann in unsern eidgenössischen Räthen gelegentlich seine Abneigung gegen die gekrönten Häupter ausspricht, so ist es nicht ein unglücklich organisiertes Nervensystem, das er ihnen vorwirft, das nun einmal keine andern als tyrannische und ungerechte Gedanken absondern könne, sondern er redet von ihnen ganz bestimmt als von sittlich zurechnungsfähigen und verwerflichen Personen, die es sogar, - unbegreiflicher Weise! - in ihrer Gewalt hätten, anders zu werden.

Wem das etwa nicht ohne Weiteres klar sein sollte, der möge nebeneinander nur die folgenden Punkte erwägen. Die Unsterblichkeit unseres Wesens wird 1) von der Wahrhaftigkeit Gottes gefordert, indem er das Gefühl derselben und die Sehnsucht darnach ganz unverkennbar (wie das aus der obigen Ausführung hervorgeht) in unser Inneres legte, “ Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch ein Menschenkind, daß ihn etwas gereue.„ 2) von seiner Weisheit. Nichts schuf er ohne Zweck, und überall sind mit weiser Sparsamkeit die geringsten Mittel gewählt, um mit ihnen das möglichst Höchste zu leisten. Nun aber bleiben, sofern der Mensch dieses Leben nicht überdauert, - ganz abgesehen davon, daß seine Persönlichkeit völlig verloren ginge - gar manche Kräfte seiner Seele, die hier nicht oder nicht völlig entwickelt werden konnten, unbenutzt darin liegen und würden unbenutzt wieder zu Grunde gehen, da es keine weitere Entwicklung für sie gäbe (namentlich z, B, bei Todesfällen vor den Jahren der Reife). Seine herrlichen Anlagen wären dann vielfach die sinnloseste Verschwendung. 3) von seiner Güte und Liebe, Denn welche Güte und Liebe wäre das, die das geliebte und liebesbedürftige Geschöpf nie zum vollen Genüsse der Liebe gelangen ließe, und es am Ende, wie ein Spielzeug, wieder vernichtete? 4) von seiner Gerechtigkeit. Denn wo bliebe Vergeltung und Gericht? 5) von seiner Allmacht, (es könnte sich ja ein Jeder durch Selbstmord nach eigenem Belieben seiner Hand und Macht entziehen). U. s. w.

Ja, meine Freunde, diese Leute sind in der That besser als ihre Grundsätze; denn ihre Grundsätze kommen ans ihrem, eigenen Geiste, ihr Wesen aber ist aus Gottes Hand und Liebesgeist entsprungen und Gottes Werk ist besser als das ihrige. Aber wird es ihnen denn nicht klar, daß sie mit jedem Worte, welches in dieser Weise ein sittliches Urtheil enthält, ein Zeugniß ablegen gegen ihre eigene Lehre? nämlich ein Zeugniß davon, daß in jedem Menschen, sogar in dem, der es auf das Entschiedenste läugnet, ein Sittengesetz wohne und spreche, welches stärker ist als er selbst? Daß also nothwendig eine Ordnung der Dinge vorhanden sein müsse, mit der dieses Sittengesetz zusammenhängt, von der es ausgeht, auf die es hinzielt, der wir demnach im innersten Grunde unseres Wesens zugewiesen sind? Und insofern wir Alle dieselbe Erfahrung an uns machen, tragen also auch wir Alle das Zeugniß unsrer Unsterblichkeit und unsrer Bestimmung zu einer höhern Ordnung der Dinge schon ganz von selber unvertilglich und unauslöschlich in uns. Nur wer kein Gewissen in sich fühlte, nur wer gar nichts wüßte von Gut und Böse, oder zu wem die Stimme des Sittengesetzes, die er in sich hört, wenigstens mit keiner höheren Autorität, mit keinem tiefern Ernste, mit keiner lieblicheren Verheißung redete, als die Stimme seines Naturlebens: nur der könnte als ein Wesen sich betrachten, das keine weitere Anwartschaft besitzt, als was dieses Erdenleben ihm bietet. Aber ein Solcher wäre auch nicht mehr unseres Geschlechtes, es fehlte ihm das, was den Menschen zum Menschen macht.

Worin nun aber diese weitere Anwartschaft besteht, von der wir so wissen und fühlen, daß sie unseres Lebens Grund und Ziel ist: das soll unsere nächste und letzte Zusammenkunft des Genaueren uns vorführen.

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