Spurgeon, Charles Haddon - Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen.

Spurgeon, Charles Haddon - Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen.

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass des Menschen Sohn verkläret werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle, und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte. Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.
Joh. 12, 23-25.

Es begehrten einige Griechen, Jesum zu sehen. Sie waren Heiden, und es ist eigentümlich, dass sie gerade zu dieser Zeit eine Zusammenkunft mit dem Herrn suchten. Ich denke die Worte: „Wir möchten Jesum gerne sehen,“ meinten nicht, dass sie ihn bloß anschauen wollten, denn dazu hätten sie auf öffentlicher Straße Gelegenheit gehabt; sondern sie wollten ihn sehen, wie wir einen Mann zu sehen wünschen, mit welchem wir gerne eine Unterredung hätten. Sie begehrten, ihm vorgestellt zu werden und einige Worte der Belehrung von ihm zu erhalten.

Diese Griechen waren die Avantgarde der großen Schar, welche Niemand zählen kann aus allen Sprachen, Zungen und Völkern, welche noch zu Christo geführt werden sollen. Der Herr fühlte sicher ein freudiges Erregen bei ihrem Anblick, aber er sagt nicht viel darüber, denn seine Gedanken waren gerade jetzt mit seinem großen Opfer und dessen Früchten beschäftigt; und doch war dieses Zusammentreffen mehr oder weniger die Veranlassung zu den Worten unseres Textes, wie sie der Evangelist hier verzeichnet hat.

Ich bemerke, dass der Herr hier seine Menschlichkeit hervorhebt und sich als Menschensohn bezeichnet. Er hatte das freilich früher schon getan, aber hier geschah es mit neuem Nachdruck. „Die Stunde ist da, dass des Menschen Sohn verkläret werde.“ Nicht als Davids, sondern als Menschen Sohn redet er von sich. Nicht länger hebt er vorwiegend die jüdische Seite seiner Mission hervor, obschon er nicht gesandt war, denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel. Als sterbender Erlöser stellt er sich in die Reihe der Menschen, nicht als Abrahams „oder Davids,“ sondern als Menschen Sohn - Bruder der Heiden, sowohl als der Juden. Lasset uns niemals die seine Menschheit Jesu aus dem Auge verlieren. In ihm werden alle Glieder der Menschheit unter ein Haupt gefasset, denn er schämt sich nicht, die Natur der allgemeinen Menschheit zu tragen: Schwarze und Weiße, Prinz und Bettler, Gelehrte und Ungelehrte sehen in seinen Ackern das Blut rinnen, durch welches die ganze Menschheit zu einer Familie vereinigt wird. Als Menschensohn ist Jesus aufs Innigste verwandt mit allen Menschen, die auf dieser Erde wohnen.

Jetzt, da diese Griechen gekommen waren, spricht unser Heiland von seiner herannahenden Herrlichkeit. „Die Stunde ist gekommen, dass des Menschen Sohn verkläret weide.“ Er sagt nicht, dass des Menschen Sohn gekreuziget werde,“ obschon dieses der Fall war und die Kreuzigung vor der Verklärung kommen musste; aber als diese Erstlingsfrüchte der Heiden zu ihm kamen, denkt er an seine Herrlichkeit. Obschon er seinen Tod nicht vergessen hatte, so redet er doch lieber von der Herrlichkeit, die seinem Opfer folgen werde. Bedenkt, meine Brüder, dass Christus in den Seelen, welche er rettet, verherrlicht wird. Wie sich ein Arzt durch seine Heilungen Ehre erwirbt, so wird der Herr durch die geretteten Seelen verherrlicht. Wenn diese ernsten Griechen kamen und sprachen: „Herr, wir möchten Jesum gerne sehen,“ so war das nur ein grüner Halm, aber derselbe war doch ein Unterpfand der reichen Ernte in der Zukunft und ein Morgenrot der Herrlichkeit des Kreuzes.

Ich denke auch, dass das kommen dieser Griechen teils Veranlassung war, warum der Herr das Gleichnis von dem Weizenkorn gebrauchte. Es wird uns gesagt, dass der Weizen in den Geheimnissen der Griechen eine große Rolle spielte. Doch das ist von weniger Bedeutung, als dass der Herr eben im Begriffe war, die jüdische Hülse, - wenn ich so sagen darf - in welcher sein Leben geborgen war, zu brechen. Ich meine damit: Früher sagte der Herr, dass er nicht gesandt sei als nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel, und als er die „Siebzig“ aussandte, ermahnte er sie nicht auf der Heiden Straße, noch in der Samariter Städte zu gehen. Jetzt aber bricht das kostbare Weizenkorn durch die äußere Schale. Selbst ehe es in die Erde gelegt wird, um zu sterben, fängt das göttliche Korn an, seine lebendige Kraft zu zeigen, und der wahre Christus wird offenbart. Der Christus des Herrn, obschon Davids Sohn, war auf der Seite Gottes weder Jude noch Grieche, sondern Mensch, und die innige Sympathie seines Herzens umschlang die ganze Menschheit.

In unserem Texte haben wir zwei Hauptpunkte, welche wir betrachten werden. Zuerst eine tiefe, wichtige Lehre und dann zum andern eine praktische moralische Anwendung.

Unser Heiland offenbarte seinen Jüngern mehrere Lehren, welche man auf den ersten Blick als sich widersprechend betrachten möchte. Zunächst, dass er, so herrlich er auch war, noch musste verkläret werden. „Die Stunde ist gekommen, dass des Menschen Sohn verkläret werde.“ Jesus war immer herrlich. Es war herrlich, dass er, des Menschen Sohn, eins war mit Gott. Unser Heiland offenbarte ebenfalls große Herrlichkeit während seines Erdenlebens in der Vollkommenheit seines moralischen Charakters. Und wie er umher ging und wohl tat, wie er sich in Gehorsam dem Vater weihte, wie er die Anerbietungen des Satans zurückwies und die ganze Welt verschmähte - alles dies war Herrlichkeit. Ja, es würde nicht unrecht sein, wenn ich sagte, dass Jesus niemals herrlicher dastand, als da er während seines Lebens verborgen einherging, verachtet und verworfen wurde und bei alle diesem der treue Diener Gottes blieb und zugleich die Menschheit in innigster Liebe auf seinem Herzen trug. Der Apostel spricht: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit,“ worin er nicht nur von seiner Verklärung, sondern von dem heiligen Wandel im täglichen Leben unseres Heilandes redet. Heilige, göttliche Naturen sehen die Herrlichkeit seines Lebens, die Herrlichkeit der Gnade und Wahrheit, wie sie vorher nie in einem Menschen geleuchtet hatten. Trotz dieser Herrlichkeit sollte er doch noch mehr verkläret werden. Noch größere Herrlichkeit musste ihm durch sein Sterben, Auferstehen und den Eingang hinter den Vorhang zu Teil werden.

Ein anderer scheinbarer Widerspruch ist der, dass die Herrlichkeit des Herrn durch Erniedrigung kommen musste. Er sagt: „Die Stunde ist gekommen, dass des Menschen Sohn verkläret werde,“ und dann redet er von seinem Tode. Die größte Fülle seiner Herrlichkeit besteht darin, dass er sich entäußerte und gehorsam ward bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Es ist sein höchster Ruhm, dass er für sich keinen Ruhm suchte. Seine Krone erhält von seinem Kreuz neuen Glanz; sein ewig Leben wird dadurch ruhmvoller, dass er der Sünde zu einem Male gestorben ist. Diese holden Wangen würden in den Augen der Erlösten nicht die Schöne haben, wenn sie nicht um unsertwillen geschlagen wären. Diese teuren Augen würden uns nicht so göttlich glänzen, wären sie nicht zum Heil der Sünder im Tode gebrochen. Seine Hände sind wie Gold mit Edelsteinen besetzt; aber die größte Zierde derselben sind die Male der rauen Nägel. Als Sohn Gottes war alle Herrlichkeit von Natur sein; aber als Menschensohn trägt er seine gegenwärtige Herrlichkeit vom Kreuze und der Schmach, welche ihn umfing, als er unsere Sünde trug an seinem Leibe. Dies sollten wir nie vergessen. Wenn ihr Jemand leichtfertig über die Lehre von der Versöhnung reden hört, so steht auf und vertheidigt dieselbe, denn aus derselben strahlt die größte Ehre für unsern Herrn und Meister. Jene sagen: „Er steige herab vom Kreuz, so wollen wir an ihn glauben.“ Wenn er dies täte, was bliebe dann dem Glauben noch übrig? Am Kreuze und vom Kreuze und durch das Kreuz stieg Jesus zu seinem Thron empor, und des Menschen Sohn hat beute besondere Ehre und Herrlichkeit im Himmel, weil er getötet ward und durch sein Blut uns Gott erkauft hat.

Der nächste wunderbare Gedanke ist: Jesus musste jetzt allein stehen oder ewig allein bleiben. Merkt die Worte des Textes: „Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein.“ Des Menschen Sohn musste allein sein im Grabe, oder er würde allein sein im Himmel. Er musste, dem Weizenkorn gleich, in die Erde fallen, und dort in der Einsamkeit des Todes liegen, oder er würde allein bleiben. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich leicht erklären: Hätte Christus als des Menschen Sohn nicht die Kelter allein getreten, hätte er nicht unter den Zweigen der Oelbäume in Gethsemane gekämpft und gerungen, und wäre er nicht sozusagen in die Erde gesunken, bis er starb, hätte er nicht ausgerufen am Kreuze: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ so dass er, wie ein begrabenes Weizenkorn verlassen und allein fühlte, er hätte uns nicht erlösen können. Wäre er nicht wirklich gestorben, so wäre er als Mensch allein, ewig allein geblieben - nicht ohne den Vater und den Heiligen Geist, nicht ohne die Scharen der Engel; aber er hätte keinen andern Menschen in seiner Gesellschaft gehabt. Unser Heiland Jesus Christus kann aber nicht allein sein. Ein Haupt ohne seine Glieder ist ein abstoßender Anblick, man schmücke es so viel man will. Wisset ihr nicht, dass die Kirche sein Leib ist und die Fülle dessen, der Alles in Allem erfüllet? Ohne sein Volk wäre Christus ein Hirte ohne Schafe gewesen; es ist aber keine große Ehre, ein Hirte zu sein ohne Herde.

Er wäre ein Bräutigam gewesen ohne Braut; er aber liebte seine Auserwählte so sehr, dass er seinen Vater verließ und ein Fleisch mit ihr wurde. Er hielt fest an ihr und starb für sie, denn hätte er das nicht getan, so wäre er ein Bräutigam gewesen ohne Braut. Dieses konnte nimmer sein. Sein Herz ist nicht derart, dass er sich in selbstsüchtigem Glück erfreuen kann und dasselbe mit Niemand teilen mag. Wenn ihr das Hohelied Salomons, wo das Herz des Bräutigams offenbart wird, gelesen habt, so habt ihr gefunden, dass er die Gesellschaft seiner Liebe, seiner Taube, seiner Auserwählten begehrt. Seine Lust war bei den Menschenkindern. Der Einsiedler in seiner Zelle mag eine redliche Meinung haben, aber an Dem, dessen Kreuz er zu ehren vorgibt, findet er dazu keine Aufmunterung. Jesus war ein Freund der Menschen, der sie nicht zu meiden, sondern die Verlornen zu retten suchte. In Wahrheit sagte man von ihm: „Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen.“ Er ziehet sie Alle zu sich, und darum ward er erhöht von der Erde. Und doch hätte dieses Ideal der Menschheit im Himmel müssen allein sein, wenn er nicht in Gethsemane, vor Pilatus, vor dem Gericht, vor seinen Peinigern und am Kreuz allein gewesen wäre. Wäre dieses kostbare Weizenkorn nicht in die düstere Einsamkeit des Todes versenkt worden, es wäre allein geblieben, seitdem es aber erstorben ist, „bringt es viele Frucht.“

Dieses bringt uns zu dem vierten scheinbaren Widerspruch: Christus muss sterben, um Leben zu geben. „Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.“ Jesus musste sterben, um Andern Leben zu geben. Leute, welche nicht denken, verwechseln Sterben mit Nichtexistieren und Leben mit Existieren sehr verschiedene Begriffe. „Die Seele, die sündigt, soll sterben,“ sie soll nicht aufhören zu existieren, sondern sterben, indem sie getrennt wird von Gott, welcher das Leben ist. Es gibt viele Leute, die existieren, und doch haben sie kein wahres Leben und werden das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihnen.“ Das Weizenkorn stirbt, wenn es in die Erde fällt. Wollen wir damit sagen, dass es aufhört zu sein? Durchaus nicht. Was ist der Tod? Es ist das Zurücktreten dessen, was Leben besitzt, in seine vorigen Elemente. Bei uns ist es die Trennung des Leibes von der Seele; bei dem Weizenkorn ist es die Auflösung der Elemente, welche das Korn bildeten. Unser Heiland sah die Verwesung nicht, aber seine Seele war eine Zeit lang vom Leibe getrennt, und er war gestorben; und ohne, dass er wirklich und tatsächlich gestorben war, konnte er Niemand das Leben geben.

Geliebte Freunde, dieses zeigt uns den Kernpunkt des Christentums: Christi Tod ist das Leben seiner Lehre. Seht: Wäre Christi Lehre oder sein Vorbild der Hauptpunkt gewesen, so hätte er durch seine Lehre und sein Vorbild neues Leben und wahres Christentum mitteilen können. Aber er sagt, wenn er nicht sterbe, so könne er keine Früchte bringen. Sagt man mir, dass dieses geschah, weil sein Tod der Schluss seines Vorbildes und das Siegel seiner Lehre war? Ich gebe dieses zu; aber wenn seine Lehre und sein Leben die Weise gewesen wären, geistliches Leben mitzuteilen, ohne sein Versöhnopfer, warum verlängerte dann der Herr nicht sein Leben auf Erden? Die Tatsache ist, dass Niemand unter uns Etwas vom geistlichen Leben erfahren kann, ohne die Versöhnung, durch Christum geschehen. Es gibt keinen Weg, auf welchem wir zur Erkenntnis Gottes gelangen können, ohne das Blut Jesu Christi, durch welches wir einen Zugang haben zum Vater. Wenn, wie Manche uns sagen, der sittliche Teil des Christentums von größerer Bedeutung ist, als seine besonderen Lehren, warum ist denn Christus überhaupt gestorben? Das Sittliche wäre besser durch ein langes Leben in Heiligkeit zum Vorschein gekommen. Er möchte, wenn es ihm so gefiele, bis heute gelebt und gepredigt haben und immer noch seinen Zeitgenossen ein gutes Vorbild geben; aber er versichert uns, dass er nur durch seinen Tod „viele Früchte“ bringen könne. Wie, nicht mit all seinem heiligen Leben? Nein. Nicht durch seine unvergleichlichen Lehren? Nein. Nicht einen einzigen von uns hätte er retten können vom ewigen Tode, ohne dass durch sein Opfer eine Erlösung zu Stande gekommen wäre. Nicht einer von uns hätte können zum göttlichen Leben kommen, wenn Christus nicht für uns gestorben und auferstanden wäre.

Brüder, alles geistliche Leben in der Welt ist das Resultat von dem Kreuzestode Christi. Wir leben in einer Dispensation, die uns diese Wahrheit andeutet. Zuerst kam das Leben in diese Welt durch die Schöpfung. Dieses ging in Eden verloren. Seitdem ist Noah der Vater unseres Geschlechts, und das Leben durch Noah kam zu uns durch vorbildlichen Tod, Begräbnis und Auferstehung. Noah ging in die Arche und wurde eingeschlossen und somit begraben. In dieser Arche ging Noah sozusagen unter die Toten, kam heraus in eine neue Welt und stand gleichsam auf, als die Wasser sich verliefen. Das ist die Art des Lebens heute. Wir sind gestorben mit Christo, begraben mit Christo, auferstanden mit Christo, und es gibt kein wahres geistliches Leben in dieser Welt, ohne dasjenige, welches durch den Tod, Begrabensein und Auferstehung mit Christo zu uns gekommen ist. Wisst ihr davon zu sagen, teure Freunde? - Denn wenn ihr davon nichts wisst, so kennt ihr auch nicht das Leben aus Gott. Ihr kennt wohl die Theorie, aber nicht die Kraft der Erfahrung in eurer Seele. Wenn irgendwo die Lehre von der Versöhnung angegriffen wird, lasst uns sie vertheidigen. Lasst uns der Welt sagen, dass, während wir das Leben Jesu höher schätzen als sie, so wissen wir doch, dass das Vorbild Christi Niemand rettet, sondern nur sein Tod um unsertwillen. Wenn unser teurer Heiland auch diese neunzehn hundert Jahre unter uns gewandelt und mit heiliger Begeisterung sein Wort und Leben uns vorgehalten hätte - geistliches Leben wäre dadurch nicht gewirkt worden. Ohne Sterben bringt er keine Früchte. Wenn du das Leben suchst, mein teurer Leser, du findest es nicht als unwiedergeborener Mensch in dem Versuch, dem Vorbilde Jesu zu folgen. Du magst dadurch fromm werden, aber geistliches Leben und ewige Seligkeit wird darin nicht gefunden. Du musst glauben an Jesum, dass er für dich gestorben ist. Du musst verstehen lernen, dass das Blut Jesu Christi des Sohnes Gottes rein macht von aller Sünde. Wenn du einmal diese Wahrheit gelernt hast, so wirst du auch sein Leben mit Nutzen betrachten können; aber es sei denn du beachtest, dass das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben muss, sonst wirst du keine Früchte davon genießen und auch an den Seelen Anderer keine wahrnehmen.

Noch eine Lehre lernen wir aus dem Tode des Herrn, nämlich dass wir in Folge desselben Großes erwarten können. „Wenn es aber stirbt, so bringt es viele Früchte.“ Manche Leute scheinen in der Tat nur einen kleinen Heiland zu haben. Ich habe schon Solche getroffen, die meinen, Christus sei für die guten Leute von der Zoar- oder Ebenezergemeinde gestorben, und sie erwarten, dass einige wenige - und sie sorgen durch Streitigkeiten dafür, dass derselben täglich weniger werden - endlich den Herrn für die Rettung der kleinen Schar preisen werden. Ich will diese lieben Leute nicht beschuldigen, aber ich wünschte, ihre Herzen würden erweitert werden. Wir kennen heute noch nicht alle Früchte, welche dem Herrn Jesu erwachsen werden. Mag einst ein Tag kommen, wenn die Millionen dieses Landes den Herrn mit einer Stimme preisen? Ich warte auf den Tag, wenn die Herrlichkeit des Herrn die Erde bedecken wird, wie die Wasser die Tiefe, wenn die Könige vor dem Sohne Gottes niederfallen und alle Nationen ihn preisen werden. „Das ist zuviel erwartet,“ sagt Jemand; „die Missionen machen langsame Fortschritte.“ Ich weiß alles das, aber Missionen sind nicht der Same; alles, was wir erwarten, kommt von dem Weizenkorn, welches in die Erde fiel und starb, dieses wird viele Früchte bringen. Wenn ich bedenke, wie mein teurer Heiland Gott und Mensch ist in einer Person; wenn ich an seine unaussprechliche Herrlichkeit denke, welche er bei Seite legte, und die furchtbaren Leiden, die er erduldete, so möchte ich fragen, ob Engel den Wert des Opfers zu schätzen vermögen, welches er darbrachte? Gott nur kennt die Liebe Gottes, welche sich in dem Tode seines Sohnes offenbarte; und glaubt ihr, dass all dieses Planen und Arbeiten und Opfern der ewigen Liebe nur ein kleines Resultat liefern werde? Das wäre nicht die Weise Gottes. Das Resultat muss mit den Mitteln übereinstimmen, die Folgen müssen der Ursache angemessen sein. Der Herr wird ewiglich regieren. Hallelujah! Ah, wie die Seufzer vom Kreuze die Engel in Erstaunen setzten, so sollen über die Früchte des Kreuzes die Seraphim staunen, wenn sie die Fülle der Herrlichkeit bewundern, welche dem schmachvollen Tode Christi entsprungen ist. O meine Lieben! Große Dinge sind die Folgen des Opfers Christi. Habt Mut, ihr Niedergeschlagenen! Seid tapfer, ihr Streiter des Kreuzes! Sieg folgt euren Fahnen! Wartet geduldig, wirket in Hoffnung, leidet freudig, denn das Reich ist des Herrn, und er ist der Regent unter den Völkern.

Nun noch einige praktische Anweisungen. Merkt, was wir von dem Herrn gesagt haben, gilt in einem gewissen Sinne auch von jedem Kinde Gottes: „Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.“ Dieses ist in so weit anwendbar auf uns, als der folgende Vers andeutet: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“

Zuerst müssen wir sterben, wenn wir leben wollen. Es gibt kein geistliches Leben für dich, für mich oder irgend Jemand, ohne dass man in dasselbe hinein stirbt. Ich muss sterben. Hast du glauben an dich? Er muss sterben. Das Todesurteil muss über Alles ausgesprochen sein, erst dann wird man zum Leben eingehen. Die vernichtende Kraft des göttlichen Geistes muss zuerst gefühlt werden, ehe man dessen belebendes Wehen in der Seele erfährt: „Das Heu verdorret, die Blume verwelket; denn des Herrn Geist bläset darein.“ Du musst durch das Schwert des Geistes erschlagen werden, ehe der Hauch des Geistes dich kann lebendig machen.

Dann müssen wir Alles aufgeben, um es zu behalten. „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren.“ Bruder, du kannst niemals geistliches Leben, Hoffnung, Freude, Frieden und den Himmel haben, ohne dass du Alles der Hand des Herrn übergibst. Du sollst Alles haben in Christo, sobald du willig bist, nichts Eigenes für dich zu haben. Du musst die Waffen deiner Rebellion begraben, die Fahnen deines Hochmuts einziehen, du musst Alles, was du bist und hast, der Hand Gottes übergeben, und wenn du so in deinem Willen nicht Alles verlierst, so verlierst du Alles in der Tat, ja, du hast es bereits verloren. Eine völlige Übergabe an Gott ist die einzige Weise, es zu behalten. Manche Kinder Gottes haben dies buchstäblich erfahren. Ich kannte eine Mutter, die hielt dem Herrn ihr Kind zurück, und das Kind starb. Reiche Leute verehrten ihren Reichtum; da sie aber Kinder Gottes waren, so hat der Herr ihre Götzen in Stücke zerschlagen. Ihr müsst Alles verlieren, wenn ihr es erhalten wollt, und auch das Theuerste hingeben, wenn es euch bleiben soll.

Wir müssen uns selbst verlieren, um uns selbst zu finden. „Wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Ihr müsst ganz aufgeben, euch selbst zu leben, und dann erst werdet ihr selbst leben. Der Mensch welcher sich selbst lebt, lebt nicht; er verlieret die Essenz, die Krone und Freude des Lebens; aber wenn ihr für Gott und Andere lebt, so werdet ihr das Leben des Lebens finden. „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das Übrige alles zufallen.“ Es gibt keine größere Freude, als dass man sich in der Freude Anderer verliert.

Noch eins: Wenn ihr erwartet, das Werkzeug zum Leben für Andere zu werden, so müsst ihr in einem gewissen Sinne sterben. „O,“ sagt ihr, „sollte es wirklich zum Tode kommen?“ Nun, es mag nicht, aber man sollte dafür vorbereitet sein. Wer ist wohl unserem Geschlecht zum größten Segen geworden? Ich will es euch sagen. Ich glaube wir verdanken unsere Religionsfreiheit größtenteils den armen Männern und Frauen, welche um ihres Glaubens willen getötet wurden. Viele derselben konnten nicht von der Kanzel herab predigen, aber sie hielten größere Predigten auf dem Scheiterhaufen, als alle Reformatoren von der Bühne herabdonnern konnten. Sie fielen in die Erde und erstarben, und ihre „viele Frucht“ bleibt bis auf den heutigen Tag. Der selbstaufopfernde Tod der Heiligen war das Leben und Wachstum der Kirche. Wenn wir einen großen Erfolg erzielen, eine große Wahrheit feststellen, einen großen Zweck verfolgen wollen, so müssen wir unser ganzes Leben diesem einen Gegenstand widmen. Man kann Anderen nichts geben, das man nicht zuerst von sich selbst nimmt. Demjenigen, welcher den Dienst des Herrn leicht findet, wird es am Tage der Rechenschaft schwer werden. Eine Predigt, welche nichts kostete, ist auch nichts wert; wenn sie nicht von Herzen kommt, geht sie auch nicht wieder zu Herzen. Der Tod geht dem Wachstum voran. Der Heiland Anderer kann sich selbst nicht helfen. Wir dürfen deshalb Diejenigen nicht beklagen, welche dem schlimmen Klima Afrikas zum Opfer fallen, wenn sie nur für den Herrn sterben; noch dürfen wir murren, wenn von den besten Dienern des Herrn an Gehirnerschlaffung dahinsterben. Es ist die Ordnung im Haushalt Gottes, dass dem Tode Wachstum folgt.

Und du, lieber Freund, darfst nicht sagen: „O, ich kann nicht länger lehren in der Sonntagsschule; ich arbeite so hart während der Woche, dass ich - ich -“ soll ich den Satz vollenden: Du arbeitest während der Woche so hart für dich, dass du nicht einen Tag für den Herrn arbeiten kannst? Ists das? „O nein, nicht gerade das, aber ich bin so müde.“ Schon wahr, aber denke an deinen Herrn. Er wusste, was es heißt, für Andere zu arbeiten, und doch wurde er nie müde, Gutes zu tun. Du wirst nie dahin kommen, dass du Blut schwitzest, wie er. Komm, liebe Seele, du willst doch nicht als müßiges Korn allein in der Kiste liegen. Willst du sein, wie das Korn in der Hand jener Mumie unfruchtbar und vergessen? Oder willst du wachsen? Ich höre dich sagen: „Säe mich irgendwo hin.“ Ich will es zu tun versuchen. Ich lege dich in das Sonntagschulfeld oder das Traktatverteilungsland oder den Straßenpredigtacker. „Aber wenn ich zu große Anstrengungen mache, so bringts mich an den Rand des Todes.“ Und wenns dich ins Grab bringt, so bestätigst du den Text: „Wenn es aber erstirbt, so bringt es viele Frucht.“ Diejenigen, welche sich in letzter Zeit im Dienste des Herrn das Leben verkürzt haben, sind nicht so zahlreich, dass wir aus diesem Grund einen großen Verlust von Menschenleben zu befürchten hätten. Es ist wenig Bedürfnis vorhanden zu unserer Zeit, gegen den Fanatismus aufzutreten; die Selbstsucht zu bekämpfen, wäre viel nötiger. O meine Brüder, lasst uns uns zu einer höheren, würdigeren Weihe für Gott und seine heilige Sache erheben! Möchten wir in Zukunft suchen, gleichsam begraben, verborgen, gestorben und dennoch ein fruchtbares Korn zur Verherrlichung Gottes zu sein!

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