Spurgeon, Charles Haddon - Sara und Hagar, die Vorbilder von zwei Bündnissen

„Das sind die zwei Testamente, eines von dem Berge Sinai, das zur Knechtschaft gebieret“
Gal. 4,24

Gesetz und Gnade sind so voneinander verschieden und einander entgegengesetzt, wie nicht leicht etwas in der Welt. Und doch findet es der Mensch so gar schwer, den rechten Unterschied zwischen Gesetz und Gnade zu machen. Der, der den wahren Unterschied zwischen Gesetz und Gnade zu treffen weiß, hat unstreitig das Innerste der Gottesgelehrsamkeit erfasst. In jeder Wissenschaft gibt es immer etwas, das sehr einfach und leicht ist, wenn wir es gelernt haben, das aber im Anfang dasteht wie eine hohe Türschwelle vor einem Eingang. Ein erleuchteter Christ erkennt wohl klar genug den Unterschied zwischen Gesetz und Gnade, und doch fühlt er stets in sich eine Neigung, beide Dinge zu verwechseln, obwohl sie wie Licht und Finsternis, wie Feuer und Wasser einander entgegengesetzt sind. Fortwährend bemüht sich der Mensch, teils unabsichtlich und unwissentlich, teils absichtlich aus Gesetz und Gnade eine Mischung zu machen, wo doch Gott beide ganz bestimmt getrennt hat.

Wir wollen daher aus den Vorbildern der Sara und der Hagar einige Lehren geben zum besseren Verständnis des wesentlichen Unterschieds zwischen den Bündnissen des Gesetzes und der Gnade. - Bemerken wir einiges über die zwei Frauen Sara und Hagar, die Paulus als Sinnbilder vorstellt; - bemerken wir die zwei Söhne, Ismael und Isaak; - reden wir von Ismaels Betragen gegen Isaak; und - sehen wir auf die verschiedenen Schicksale von beiden.

1)

Paulus sagt, die zwei Frauen, Hagar und Sara, bedeuten zwei Testamente oder Bündnisse. Der erste Bund, vorgestellt durch Hagar, ist der Bund der Werke, der so lautet: „O Mensch, da hast du mein Gesetz; wenn du es halten wirst, so verpflichte ich mich auf meiner Seite, dass du leben sollst durch die Beobachtung meines Gesetzes. Ich verspreche, dich in den Himmel zu führen, wenn du mein Gesetz vollkommen, ganz und gar fleckenlos halten wirst. Wirst du es aber übertreten und eine einzelne Vorschrift unbeobachtet lassen, so werde ich dich auf ewig verdammen.“

Dies ist der Bund, der durch Hagar symbolisiert wird. Dieser Bund wurde auf dem Sinai unter Sturm, Feuer und Rauch geschlossen - ja, dieser Bund wurde schon im Garten Eden vorgelegt, als Gott zu Adam sprach: „Des Tages, da du davon issest, sollst du des Todes sterben!“ So lange Adam nicht von dem verbotenen Baum aß und rein und sündlos blieb, sollte er ganz gewiss leben und selig sein. Dies ist der Bund des Gesetzes oder der Hagar-Bund.

Der Sara-Bund dagegen ist der Bund der Gnade, der nicht zwischen Gott und Menschen, sondern zwischen Gott und Jesus Christus geschlossen worden ist und so lautet: „Jesus Christus seinerseits verpflichtet sich, die Strafe der Sünden seines ganzen Volkes zu tragen, ihre Schulden zu bezahlen, ihrer Ungerechtigkeiten auf sich zu nehmen.“ Der Vater dagegen verspricht: „Alle diejenigen, für die der Sohn stirbt, gewisslich zu retten, und ihnen, da sie von Natur böse Herzen haben, sein Gesetz ins Herz zu geben, damit sie nicht mehr davon weichen; und da sie noch Sünden haben, so will er sie ihnen vergeben und derselben ewig nicht mehr gedenken.“ Der Bund der Werke lautet: „Tue das und lebe, o Mensch!“ Aber der Bund der Gnade lautet: „Tue das, o Christus, und der Mensch soll leben!“ Dies ist der Unterschied der Bündnisse. Der Eine wurde mit dem Menschen, der andere mit Christus gemacht. Der Gnadenbund enthält keine Bedingungen, oder wenn er je Bedingungen enthält, so gibt er sie dem Menschen. Er gibt Glauben, er gibt Buße, er gibt gute Werke und Seligkeit ganz umsonst; auch hängt unser Beharren in diesem Bund keineswegs von uns selbst ab. Der Bund wurde gemacht zwischen Gott und Christus, er wurde unterschrieben, versiegelt, gültig gemacht und in allen Stücken wohl geordnet.

Und nun wollen wir das Sinnbild näher ansehen. Sara - das Vorbild des neuen Gnadenbundes, war die ursprüngliche Frau Abrahams. Ehe er etwas von Hagar wusste, war Sara sein Weib. Ebenso war der Gnadenbund der ursprüngliche Bund Gottes.

Manche Gottesgelehrte lehren, Gott habe den Menschen aufrichtig geschaffen und einen Bund mit ihm gemacht; als aber der Mensch in die Sünde geraten sei, so sei Gott später auf den Gedanken gekommen, einen neuen Bund mit Christus zu machen zum Heil seines Volkes. Dies ist ein völliger Irrtum; der Bund der Gnade wurde vor dem Bund der Werke gemacht, denn Christus war vor Grundlegung der Welt das Haupt und der Stellvertreter. Daher steht geschrieben, dass wir erwählt seien nach der Vorerkenntnis Gottes des Vaters durch den Gehorsam und die Besprengung des Blutes Jesu Christi. Wir waren schon lange vor unserem Fall von Gott geliebt, und er liebte uns nicht nur aus Mitleid gegen uns, sondern er liebte uns als seine Kreaturen. Er liebte uns nicht erst nach dem Sündenfall, sondern er liebte uns schon, ehe wir sündigten. Er machte den Gnadenbund, ehe wir durch den Werkbund fielen. Gnade war vor dem Gesetz, sie kam lange vor der Verkündigung des Gesetzes in die Welt. Lange bevor Adam im Garten Gottes stand, hatte Gott sein Volk zum ewigen Leben verordnet, damit es durch Jesus Christus gerettet werden sollte.

Merket ferner: Sara war zwar die ältere Frau, aber Hagar gebar dem Abraham den ersten Sohn. Genauso war Adam, der erste Mensch, gleichsam der Sohn der Hagar; obwohl vollkommen rein und fleckenlos geboren, war er doch nicht der Sohn der Sara, als er im Garten war und auf einige Zeit unter dem Werkbund lebte. Tatsünden wurden ihm zum Fall; hätte er die Sünde unterlassen, so hätte er ewig leben dürfen. Es stand ganz in seiner Gewalt, ob er Gott gehorchen wollte oder nicht. Sein Heil beruhte einfach auf dem Gebot: „Wenn du diese Frucht anrührst, so stirbst du; wenn du mein Gebot bewahrst, so lebst du!“ Adam war zwar vollkommen, aber eben doch nur ein Ismael, er war kein Isaak bis nach seinem Fall, wo sein Heil von der lauteren Gnade Gottes abhing. Gelobt sei Gott, wir sind nun nicht mehr unter Hagar, also keine Hagarener seit Adams Fall. Sara hat Kinder geboren; der neue Bund - „die Mutter unser Aller“ - ist gekommen.

Ferner bemerken wir: Hagar war nicht zum Weibe Abrahams bestimmt, sie hätte nichts als die Magd der Sara sein sollen.

Das Gesetz war nie bestimmt, den Menschen selig zu machen, es sollte nur die Magd des Gnadenbundes sein. Als Gott auf dem Sinai das Gesetz gab, so lag es nicht in seinem Plan, dass der Mensch dadurch zur Vollkommenheit gelangen sollte. Ihr wisst auch, dass das Gesetz eine wunderbare Magd für die Gnade ist. Wer hat uns zum Heiland gebracht? War es nicht der Donner des Gesetzes, den wir in unseren Ohren vernahmen? Wir würden nie zu Christus gekommen sein, hätte nicht das Gesetz uns zu ihm getrieben. Das Gesetz offenbarte uns die Sünde. Das Gesetz ist der Sara Magd, die unsere Herzen fegt und den Staub so um uns her fliegen lässt, dass wir nach der Besprengung des Blutes Christi schreien, damit der Staub sich lege. Das Gesetz ist sozusagen der Schäferhund Jesu Christi, der die Schafe zum Hirten treibt. Das Gesetz ist der Donnerkeil, der die Gottlosen erschüttert, dass sie sich vom Irrtum ihrer Wege kehren und nach Gott fragen. O, dass wir recht den Nutzen des Gesetzes verständen und es seiner Herrin recht untertan zu machen wüssten! Allein diese Hagar will immer Herrin sein, die Sara aber kann es ihr nicht erlauben, sondern muss sie hart behandeln und austreiben. Wir müssen die Hagarener unserer Tage ebenso behandeln, d.h. wir müssen ernste Worte gegen die reden, die auf die Werke des Gesetzes vertrauen. Hagar muss in die Wildnis fliehen; wir wollen nichts mit ihr zu tun haben. Es ist jedoch eine merkwürdige Tatsache, dass die Menschen immer mehr Liebe für die gemeine und hässliche Hagar haben als für die schöne Sara; dass sie beständig rufen: „Hagar, du bist unsere Herrin!“ statt dass sie sagen: „Nein, Sara, ich will dein Sohn sein, und Hagar soll Magd bleiben!“ Gottes Gesetz soll jetzt nicht über, sondern unter dem Christen sein. Das Gesetz soll der Weg, die Regel, das Vorbild sein, das uns leitet, aber nicht der Stock, der uns treibt, noch der Geist, der uns in Bewegung setzt. Wir sind nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Das Gesetz ist gut und heilig, wenn es seine rechte Stelle hat. Niemand tadelt die Magd darüber, dass sie nicht die Frau ist; und niemand soll die Haar deswegen verachten, weil sie nicht die Sara ist. Wir wünschen auch nicht, dass das Gesetz aus der Kirche vertrieben wird, so lange es in seiner untergeordneten Stellung bleibt; aber wenn man es zur Herrin macht, so wollen wir nichts mit ihm zu tun haben; es kann uns nicht selig machen.

Ferner: Hagar war nie eine Freie, und Sara war nie eine Sklavin.

Auf ähnliche Weise war der Werkbund nie ein freier, und keines von seinen Kindern ist je frei gewesen. Alle diejenigen, die auf ihre Werke vertrauen, sind nie frei und können es nie sein, auch wenn sie in guten Werken vollkommen wären. Auch wenn sie keine Sünde hätten, wären sie doch Sklaven, denn wenn wir Alles getan haben, was wir hätten tun sollen, so ist Gott doch nicht unser Schuldner, wir sind ihm schuldig und bleiben doch noch seine Knechte. Wenn ich das ganze Gesetz hielte, so hätte ich doch noch keinen Anspruch auf die göttliche Gunst, denn ich hätte nicht mehr als meine Pflicht getan, und ich wäre dessen ungeachtet noch ein Knecht. Das Gesetz ist der strengste Meister in der Welt, kein Weiser liebt seinen Dienst; denn wenn du alles getan hast, so gibt es dir keinen Dank dafür, sondern sagt dir: „Weiter, weiter!“ Der arme Sünder, der durch das Gesetz selig werden will, ist wie ein blindes Pferd, das immer um die Mühle herumläuft und doch keinen Schritt weiter darüber hinauskommt, und noch dazu beständig gepeitscht wird; ja, je schneller es läuft, je mehr Arbeit es tut, desto mehr ermattet es und desto schlimmer wird es mit ihm. Genauso ist es mit uns: Je heiliger ein Mensch durch eigene Werke zu werden trachtet, desto mehr wird und muss er sich überzeugen von seiner endlichen Verwerfung und Verdammung mit den Pharisäern. Hagar war eine Sklavin, und Ismael war ein Sklave und konnte nichts weiter werden, so fromm und gut er auch sein mochte. Alle die Werke, die er für seinen Vater verrichten mochte, konnten ihn nicht zu einem freien Sohn machen. Sara hingegen war nie eine Sklavin. Pharao konnte sie gefangen nehmen, aber sie war auch dann keine Sklavin; Abraham, ihr Gemahl, mochte sie bisweilen verleugnen, aber sie war doch seine Gattin; Pharao musste sie bald weiter zurücksenden, und Abraham bekannte sie wieder als sein Weib.

Ebenso mochte der Gnadenbund einmal in großer Gefahr sein, und der Bundesführer mochte einmal schreien: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber;“ aber er war doch nie in wirklicher Gefahr des Untergangs. Und so mögen bisweilen die Leute unter dem Gnadenbund in die Gefangenschaft und Sklaverei geraten, aber sie sind doch frei. O, dass wir verstünden, „zu stehen in der Freiheit, womit uns Christus befreit hat.“

Noch einen Gedanken: Hagar wurde ausgestoßen mit ihrem Sohn, aber Sara nie.

Der Werkbund hat aufgehört, ein Bund zu sein. Das Volk, das auf ihn vertraute, wurde verworfen, gerade wie Ismael und seine Mutter ausgestoßen worden waren.

Der Gesetzesbund hat im Evangelium aufgehört, und alle diejenigen, die auf ihn trauen, sind von Gott verworfen. Aber Sara und ihr Sohn Isaak werden nie ausgetrieben, weil sie den freien Gnadenbund des Evangeliums vorstellen, der nicht vergehen kann. Darum, ihr Hagarener! Ihr Heuchler, die ihr nur die äußeren Zeremonien und Formen beobachten wollt - war wird es euch nützen, wenn ihr zuletzt sagen werdet: „Wo ist meine Mutter, das Gesetz?“ O, sie ist ausgetrieben, und ihr möget mit ihr ewig vergessen bleiben. Aber ein Christ kann sagen: „Jerusalem, das droben ist, das ist die Mutter der Gläubigen; dahin werde ich gehen und ewig bei meinem Gott und Vater wohnen.“

Nun wollen wir

2) die beiden Söhne betrachten.

Die beiden Frauen, Hagar und Sara, waren Bilder der beiden Bündnisse, die zwei Söhne hingegen bildeten diejenigen ab, die unter diesen Bündnissen leben. Isaak ist ein Vorbild des Menschen, der im Glauben wandelt und nicht im Schauen, und der aus Gnaden selig werden will; Ismael aber ist ein Vorbild dessen, der von den Werken lebt und durch seine eigenen guten Werke selig zu werden hofft.

Erstens: Ismael ist der ältere Sohn.

So, Geliebte, ist der Gesetzesmensch viel älter als der gläubige Christ. Wäre ich ein Gesetzler, so wäre ich heute 15 oder 16 Jahre älter als mein Christentum - denn wir werden alle als Gesetzler geboren. Es ist die Gnade, die Christen aus uns macht; es ist die Gnade, die uns frei macht und die uns unseren Stand in Christus erkennen lässt. Der Gesetzesmensch muss natürlich viel mehr aufweisen können als Isaak; und wenn die beiden Knaben mit einander ringen, so muss natürlich Isaak unterliegen, denn Ismael ist der Stärkere. Ismael wird das größte Geräusch machen, denn er ist ein wilder Mann, der seine Hand wider jedermann kehrt und jedermann wider ihn; aber Isaak ist ein friedlicher Knabe, der sich immer zu seiner Mutter hält. Wenn er verspottet wird, so geht er und sagt es seiner Mutter, dass Ismael ihn verspottet habe; aber das ist alles, was er tun kann; er hat nicht viel Stärke. So ist es noch heute. Die Ismaeliten sind gewöhnlich die Stärksten, und sie können uns tüchtig niederwerfen, wenn wir uns in Wortstreit mit ihnen einlassen. Sie rühmten sich in der Tat, dass die Isaake keine große Kraft im vernünftigen Denken - keine Logik oder Denkkunst besitzen. Aber Isaak hat sie auch nicht nötig, denn er ist ein Erbe nach der Verheißung, und Verheißung und Denkkunst bestehen nicht wohl zusammen. Seine Denkkunst ist der Glaube; seine Redekunst ist sein Eifer. Nie hoffe auf den Sieg des Evangeliums, wenn du nach der Menschen Weise darüber streitest, gewöhnlich wirst du geschlagen. Wenn du mit einem Gesetzesmenschen diskutierst, und er überwindet dich, so sage: „Ja! Ich erwartete das; es beweist, dass ich ein Isaak bin, denn Ismael wird gewiss den Isaak schlagen, und es tut mir gar nicht leid dafür. Dein Vater und deine Mutter waren in der Blüte des Lebens, und waren stark, es war also natürlich, dass du mich besiegtest, denn mein Vater und meine Mutter haben mich in ihrem Alter gezeugt.“

Aber wo lag der Unterschied der beiden Knaben? In ihrem äußeren Wesen? Es war kein Unterschied zwischen ihnen in Beziehung auf die äußeren Ordnungen, denn beide Knaben waren beschnitten. Es war keine Auszeichnung in Bezug auf äußere und sichtbare Zeichen. So, meine Geliebten, ist oft kein Unterschied zwischen Ismael und Isaak, zwischen den Gesetzesmenschen und den Christen, was äußerliche Zeremonien und Formen betrifft. Der, der durch Gesetzeswerke selig werden will, wird getauft und geht zum heiligen Abendmahl; er würde sich fürchten, wenn er ohne die Sakramente stürbe. Und ich glaube, es war kein großer äußerlicher Unterschied des Charakters der beiden Knaben. Ismael war beinahe so gut und ehrenwert wie Isaak. Abraham liebte ohne Zweifel Ismael wegen seines Charakters und betete deshalb: „O, dass Ismael vor mir leben möchte.“ Und Gott verhieß ihm auch einen großen geistlichen Segen. Auch betrübte es den Abraham, als Sara mit Ungestüm die Hagar und ihren Sohn austreiben wollte. Ohne Zweifel war Abraham anhänglich an Ismael, und diese Anhänglichkeit war gewiss bei Abraham keine unverständige. Auch finden wir im Charakter Ismaels einen schönen Zug, der uns gefallen muss. Als Abraham starb, hinterließ er dem Ismael keinen einzigen Stab oder Stein. Denn er hatte ihm vorher seinen Teil gegeben und ihn weggesandt; und doch kommt Ismael zum Begräbnis seines Vaters, den Isaak und Ismael in Machpela begruben.

Was war denn nun der Unterschied zwischen den beiden Söhnen? Paulus sagt: „Ismael wurde geboren nach dem Fleisch, Isaak aber nach dem Geist.“ Der erste war ein natürlicher, der andere aber ein geistlicher Sohn. Frage den Gesetzesmenschen. „Du sagst, du tust gute Werke, du beobachtest das Gesetz, du hast es nicht nötig, Buße zu tun?“ Nun, woher hast du Kraft zu allem diesen? Vielleicht sagt er: „Von der Gnade!“; aber wenn du ihn fragst, was er darunter verstehe, so sagt er, er habe Gnade und gebrauche sie. Der Unterschied ist also der, dass er seine Gnade gebraucht oder anwendet, während andere dies nicht tun. Somit ist es eben sein eigenes Tun. Es ist nach allem nicht die Gnade, sondern sein Gebrauchen und Anwenden, was den Unterschied macht. Aber frage den armen Isaak, wie er das Gesetz gehalten habe und was er dazu sage. Sehr schlecht, wird er sagen. Bist du, Isaak, ein Sünder? „O ja, ein sehr großer Sünder bin ich, ich habe mich unzählige Mal gegen meinen Vater aufgelehnt; ich habe mich oft von ihm verirrt.“ So hältst du dich denn nicht für so gut wie Ismael? „Nein.“ Aber es ist doch ein Unterschied zwischen dir und ihm. Was macht diesen Unterschied? „Gnade macht es, dass ich unterschieden bin.“ Warum ist aber Ismael nicht ein Isaak? Konnte er nicht ein Isaak werden? „Nein.“ sagt Isaak. „Gott ließ mich von ihm verschieden sein vom ersten bis zum Letzten; er machte mich zu einem Kind der Verheißung, ehe ich geboren wurde, und er muss mich so bewahren.“ Gnade muss alle Werke krönen in alle Ewigkeit. Ihr gebührt alle Ehre. Isaak hat mehr wirklich gute Werke, er steht dem Ismael nicht nach. Nach seiner Bekehrung dient er seinem Vater weit mehr, als der Gesetzler seinem Meister; aber ohne Zweifel würde Isaak, wenn man beider Erzählungen hören würde, sagen, er sei ein armer, elender Sünder, während Ismael sich als einen sehr ehrenhaften Pharisäer darstellen würde. Der Unterschied besteht nicht in den Werken, sondern in den Beweggründen; nicht in dem Leben, sondern in den Mitteln, womit man das Leben unterhält; nicht in dem was, sondern in dem wie man es tut. Hier liegt der Unterschied. Nicht dass die Gesetzesmenschen äußerlich schlimmer wären als die Christen; sie mögen öfters in ihrem Leben besser sein, und doch verloren gehen. Gott sagt: „Der Mensch müsse durch den Glauben selig werden.“ Der Mensch aber sagt: „Nein, ich will durch die Werke selig werden!“ Versuche es nur zu deinem ewigen Untergang. Es ist, wie wenn du einen Knecht hättest und sagtest ihm: „Geh, Johann, und tue dies und jenes im Stall!“; er geht aber und tut das Gegenteil und sagt dazu: „Herr, ich habe das Werk recht artig verrichtet.“ „Ja,“ sagst du, „aber das habe ich dir nicht zu tun befohlen!“ So hat Gott nicht befohlen, deine Seligkeit durch gute Werke zu schaffen, sondern er hat gesagt: „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der da wirket in euch das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.“ Wenn du daher vor Gott kommst mit deinen guten Werken, so wird er sagen: „Ich habe dir nie befohlen, dies zu tun. Ich sagte dir, glaube an den Herrn Jesus Christus und lass dich taufen, und du wirst selig werden.“ „Ja,“ sagst du, „ich dachte, der andere Weg wäre viel besser.“ Aber lieber Freund, deine eigenen Gedanken werden dich in die Hölle führen. Warum haben die Heiden, die nicht nach der Gerechtigkeit getrachtet haben, sie erlangt, während Israel, das der Gerechtigkeit nachjagte, sie nicht erlangt hat? Der Grund ist der: Weil die Israeliten die Gerechtigkeit nicht durch Glauben suchten, sondern durch die Gesetzeswerke.

3) Soll nun ein kurzes Wort über Ismaels Betragen gegen Isaak gesagt werden.

Die Schrift sagt, Ismael habe den Isaak verspottet. Sind nicht manche von euch Söhnen der Hagar in Zorn geraten, als ihr diese Lehre hörtet? Habt ihr nicht gesagt: Diese Lehre ist schrecklich, sie ist ganz ungerecht, dass ich, wenn ich noch so gut bin, verloren sein soll, weil ich kein Kind der Verheißung bin; es ist eine bedenklich, ja unsittliche Lehre; sie schade tun sollte verboten werden.„ Natürlich; damit beweist du, dass du ein Ismael bist, der den Isaak verspottete. Wir bedürfen kein weiteres Zeugnis. Wo die freie unumschränkte Macht Gottes gepredigt und wo es bezeugt wird, dass die Kinder der Verheißung und nicht des Fleisches Erben sind, da wird das Kind des Fleisches immer einen Lärm erheben. Was sagte Ismael zu Isaak? „Was hast du hier zu tun? Bin ich nicht meines Vaters ältester Sohn? Ich hätte alles Eigentum, wenn du nicht wärest. Bist du größer als ich?“ Dies ist die Sprache der Gesetzesmenschen. „Ist nicht Gott der Vater aller Menschen? Sind wir nicht alle seine Kinder? Diene ich nicht meinem Vater ebenso gut? Man sollte keinen solchen Unterschied machen. Ich bin so gut wie du. Du bist zwar deiner Mutter Schoßkind, aber meine Mutter ist so gut wie deine.“ Auf ähnliche Weise reden alle, die auf eigene Werke vertrauen. Sie sagen, wir sind beide gleich, was den Charakter betrifft, folglich wäre es ungerecht, wenn der eine verloren ginge und der andere gerettet würde. Viele hassen die Predigt von der freien Gnade und halten sie für lieblos und unverträglich; andere wähnen, der Prediger wolle damit nur nach Volkesgunst streben, als ob Jesus in Nazareth beim Volk beliebt worden wäre wegen seiner Lehre von der Gnadenwahl (Luk. 4,26), während sie ihn doch den Hügel hinabstürzen wollten, weil er den jüdischen Stolz demütigen und die Nazarener zu armen Sündern vor Gott machen wollte.

Wir zeigen noch

4) Was wurde aus den zwei Söhnen? Was waren ihre Schicksale?

Erstlich: Isaak bekam das ganze Erbe, und Ismael erhielt nichts.

Zwar kam Ismael nicht leer davon, denn er bekam viele Geschenke und wurde reich und groß in dieser Welt; aber er hatte keine geistliche Erbschaft. So mag der Gesetzesmensch zum Lohn für seine Gesetzlichkeit manche Segnungen empfangen; er mag geachtet und geehrt werden. „Wahrlich,“ sagt Christus, „die Pharisäer haben ihren Lohn dahin.“ Gott bringt niemanden um seinen Lohn. Wonach man strebt, das erlangt man. Gott zahlt den Menschen alle seine Schuldigkeit und noch weit mehr; und die, die sein Gesetz halten, empfangen selbst in dieser Welt große Gunstbezeugungen. Durch den Gehorsam gegen Gottes Befehl werden sie ihren Körper nicht so viel verderben wie die Lasterhaften, und sie werden ihre Ehre vor der Welt besser bewahren - Gehorsam kommt ihnen zu gute. Aber Ismael hatte kein Erbe. So, du armer Gesetzesmensch, der du zu deiner Rettung vom Tod dich auf deine Werke und nicht auf die freie Gnade Gottes verlassen willst - du wirst nicht einen Fuß breit empfangen von dem Erbe Kanaans an dem großen Tag, da Gott den Söhnen Jakobs ihr Erbteil austeilen wird. Aber wenn du ein armer Isaak, ein armer, schuldiger und zitternder Sünder bist, und wenn du sagst: Ismael hat seine Hand voll, aber ich bringe nichts in meiner Hand, sondern hänge einfach am Kreuz Christi!“; wenn du sagst: „Ich bin nichts, aber Jesus Christus ist mein Alles in Allem!“; wenn du alle Werke des Fleisches hinter dich wirfst und bekennst: „Ich bin der Vornehmste der Sünder, aber ich bin ein Kind der Verheißung, und Jesus starb für mich.“, dann sollst du ein Erbteil haben, um das dich alles ismaelitische Gespött der Welt nicht bringen und das von den Söhnen der Hagar nicht vermindert werden kann. Du magst bisweilen verkauft und nach Ägypten gebracht werden, aber Jesus wird seine Joseph und Isaak zurückbringen und sie zur Herrlichkeit erheben und setzen zur rechten Hand Christi. Ach, welche Bestürzung wird dann in der Hölle sein, wenn Leute, die äußerlich gut waren, dorthin gehen müssen. „Herr,“ sagt einer, der zur Hölle geht, „muss ich in diesen abscheulichen Kerker wandern? Habe ich nicht den Sabbat gehalten? Habe ich je in meinem Leben geflucht und geschworen? Muss ich in die Hölle gehen? Ich habe den Zehnten von aller meiner Habe gegeben; ich bin getauft worden, ich ging zum Abendmahl, ich bin immer ein guter Mensch gewesen. Es ist wahr, ich glaubte nicht an Christus; aber ich dachte nicht, dass ich Christus nötig hätte, denn ich hielt mich für zu gut und ehrenhaft; soll ich nun in der Hölle Kerker eingeschlossen sein?“ „Ja!“ wird die Antwort sein, „und unter den Verdammten sollst du den Vorzug haben dafür, dass du Christus am meisten verachtet hast. Jene haben nie einen Antichrist aufgestellt, sie haben sich der Sünde ergeben, und so tatest du auch gewissermaßen, aber du hast noch die verdammlichste Sünde damit hinzugefügt, dass du dich selbst als einen Antichrist aufgestellt und deine eigene eingebildete Güte angebetet hast.“ Dann wird Gott weiter zum Gesetzesmenschen sagen: „Sieh! An dem und dem Tag habe ich dich spotten hören über meine Souveränität; ich hörte dich sagen, es sei ungerecht auf meiner Seite, mein Volk selig zu machen und ihnen Gnade zu erteilen nach dem Rat meines Willens; du hast die Gerechtigkeit deines Schöpfers bestritten, und Gerechtigkeit sollst du jetzt haben in aller ihrer Macht.“ Der arme Mann hatte gedacht, er hätte noch einen Überschuß auf seiner Seite, aber nun findet er seinen Schatz nicht einen halben Heller wert, während Gottes große Rechnung sich auf 10.000 Millionen Talente beläuft; denn Gott hält ihm seine große Sündenrolle vor mit den Worten: „Ohne Gott, ohne Christus, entfremdet von der Bürgerschaft Israels!“ Und nun mit einem schreckliche Geheul und verzweiflungsvollen Schrei läuft er davon mit seinen kleinen Verdiensten, auf die er seine Hoffnung setzte, und ruft aus: „Ich finde, meine guten Werke waren nur Sand, aber meine Sünden waren Berge; und weil ich keinen Glauben hatte, so war alle meine Gerechtigkeit nur übertünchte Heuchelei.“

Nun noch ein Wort: Ismael wurde weggesandt, aber Isaak blieb in Abrahams Haus. So wird der auf Werke vertrauende Mensch auch weggetrieben werden. Seine Taufe, sein Abendmahl usw. wird ihm so wenig nützen wie den Heiden oder Mohammedanern. Sein Vertrauen auf Werke, wie klein es auch sei, wird seine Seele zu Grunde richten. Alles, was die Natur zusammenspinnt, wird aufgetrennt werden. Eine Seele muss einfältig und ganz auf den Bund Gottes vertrauen, sonst ist sie verloren. Es nützt nichts, zu sagen: „Ich bin kein grober, arger Sünder, kein Trunkenbold, kein Wollüstling, kein Schwörer usw..“ Das mag wahr sein, aber du bist doch ein Sünder, hast schon Arges getan in deinem Herzen. Wer aber in einem Gebot sündigt, der hat das ganze Gesetz übertreten und ist unter dem Zorn Gottes.

Auch nützt es nichts, zu sagen: „Ich glaube, Jesus Christus ist sehr barmherzig, und wenn ich nicht ganz vollkommen bin, so bin ich doch aufrichtig, und ich denke, aufrichtiger Gehorsam wird statt des vollkommenen Gehorsams genommen werden.“ Aber sage mir: „Was ich aufrichtiger Gehorsam?“ Ich kannte einen Mann, der sich wöchentlich einmal betrank; er war aufrichtig und dachte, er tue nichts Unrechtes, so lange er am Sonntag nüchtern bleibe. Aber so sind tausend schlechte Leute auch aufrichtig, wenn dies aufrichtiger Gehorsam ist. Aber ich halte dich überall nicht für aufrichtig. Wenn du es wärest, so würdest du dem Worte Gottes gehorchen, das sagt: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du selig!“ Was du aufrichtigen Gehorsam nennst, das ist eine lautere Täuschung. „Aber,“ sagst du, „ich glaube, dass nach allem, was wir getan haben, wir zu Jesus Christus gehen müssen und sagen: „O Herr, mir fehlt viel, willst du das Fehlende ersetzen?““ Ich habe gehört, dass man ehemals Hexen mit der Kirchenbibel abwog; wenn sie schwerer waren als die Bibel, so erklärte man sie für unschuldig; aber die Hexe und die Bibel in eine Waagschale zu legen, ist ein neuer Gedanke. Christus wird sich aber nicht wiegen lassen mit einem eingebildeten Narren, der Christus zur Zugabe machen will. „O,“ sagst du, „Er wird mich unterstützen im Werk der Seligkeit.“ Ja, ich weiß, das würde dir lieb sein; aber Christus ist ein ganz anderer Heiland; er ist geneigt, wenn er selbst alles allein tun darf. Er will keinen Beistand. Als er die Welt schuf, bat er den Engel Gabriel nicht, die geschmolzene Materie mit seinem Flügel abzukühlen. Er tat es selbst ganz allein. So ist es mit der Seligkeit. Er sagt: „Ich will meine Ehre keinem Anderen geben.“ Du sagst, du gehst zu Christus, und will doch auch deinen Anteil im Seligkeitswerk haben - weißt du nicht, was geschrieben steht: „Und wenn durch Gnade, so ist es nicht mehr aus den Werken; sonst ist das Werk kein Werk mehr.“ Denn wenn du beide vermischt, so verdirbst du beide, weil beide, Gnade und Werke, einander entgegengesetzt sind wie Lamm und Löwe. Wer von euch seine guten Werke wegwerfen und zu Jesus mit dem „Nichts, nichts, nichts in meinen Händen als dein Kreuz“ kommen will, dem wird Christus gute Werke genug geben, sein Geist wird in ihm wirken das Wollen und das Vollbringen und wird ihn heilig und vollkommen machen; aber wenn du in der Heiligung Christus voranlaufen willst, so hast du die Sache am unrechten Ende angefangen, du hast die Blüte von der Wurzel gesucht. Ihr Ismaele, zittert jetzt vor ihm. Aber wenn ihr Isaake seid, so erinnert euch, dass ihr Kinder der Verheißung seid. Lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch verwickeln. Stehet fest. Wir sind nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Amen. 

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