Spurgeon, Charles Haddon - Ruth (Andachten)

Spurgeon, Charles Haddon - Ruth (Andachten)

Ruth 1,14

„Arpa küsste ihre Schwieger, Ruth aber blieb bei ihr.“

Beide Schwiegertöchter waren von Liebe zu Naemi erfüllt, und machten sich darum mit ihr auf den Weg, als sie ins Land Juda zurückkehrte. Aber es kam die Stunde der Prüfung und Entscheidung; Naemi stellte jeder von ihnen höchst uneigennützig alle die Nöten vor, die ihrer warteten, und bat sie, umzukehren in ihrer Mutter Haus und zu ihrer Freundschaft, damit ihnen dort ein neues, liebliches Los erblühen könnte. Zuerst erklärten beide, sie wollten mit ihr zu ihrem Volk gehen und ihr Los teilen; aber auf fernere Vorstellungen hin verließ Arpa schmerzlich bewegt und mit ehrerbietigem Abschiedskuss ihre Schwiegermutter, ihr Volk, ihren Gott, während Ruth sich von ganzem Herzen dem Gott ihrer Schwiegermutter zu eigen gab. Es ist etwas andres, die Wege des Herrn zu lieben, wenn sie gemächlich durch liebliche Gefilde führen, und etwas andres, mitten unter Leiden und entmutigenden Schwierigkeiten auf dem Pfad der Frommen auszuharren. Der ehrerbietige Kuss des äußerlichen Bekenntnisses ist wohlfeil und leicht, aber das treue Festhalten am Herrn, das sich im heiligen Ernst für Wahrheit und Heiligkeit bewähren muss, ist keine so geringfügige Sache. Wie steht‘s in dieser Hinsicht mit uns? Ist unser Herz auf Jesum gerichtet, ist unser Opfer mit Seilen unserer Liebe an die Hörner des Altars befestigt? Haben wir die Kosten überschlagen, und sind wir ernstlich bereit, um des Meisters willen einen irdischen Verlust auf uns zu nehmen? Die Belohnung, die nachher folgt, ist ein unermesslicher Gewinn, denn die Schätze Ägyptens können den Vergleich mit der Herrlichkeit nicht aushalten, die hernach an uns soll offenbar werden. Von Arpa verlautet nichts mehr; in bequemer Ruhe und götzendienerischer Freude welkt ihr Leben dahin in den Tod; Ruth aber lebt fort in der heiligen Geschichte und im Himmel, denn die Gnade hat sie eingepflanzt in den edlen Stammbaum, aus dem der König der Könige entspross. Selig sind unter den Weibern, die um Christi willen allem entsagen können; aber vergessen und ärger als vergessen sollen die sein, die in der Stunde der Versuchung ihrem Gewissen Gewalt antun und umkehren zur Lust dieser Welt. Begnügen wir uns doch nie mit dem bloßen Kuss der äußerlichen Andacht, sondern möge der Heilige Geist in uns also wirken, dass wir von ganzem Herzen unserem Herrn und Heiland anhangen.

Ruth 2,2

„Lass mich aufs Feld gehen und Ähren auflesen.“

Niedergeschlagener und betrübter Christ, komm und lies heute auf in dem weiten Erntefeld der Verheißungen. Hier liegen reiche Vorräte köstlicher Zusagen, die ganz auf deine Bedürfnisse berechnet sind. Nimm die folgende: „Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen, und das glimmende Docht wird Er nicht auslöschen.“ Passt das nicht ganz für dich? Ein Rohr, hilflos, unbedeutend, elend, schwach; ein zerstoßenes Rohr, aus welchem sich kein Ton locken lässt; schwächer als die Schwachheit selber; ein Rohr, und dies Rohr ganz zerstoßen, und dennoch will Er dich nicht ganz zerbrechen; sondern Er will dich vielmehr stärken und wieder herstellen. Du bist wie ein glimmendes Docht: kein Licht, keine Wärme strömen von dir aus; aber Er will dich nicht gar auslöschen; Er will mit seinem sanften, belebenden Gnadenhauch dich anfachen, bis dass Er dich in Flammen ausbrechen sieht. Willst du gern eine andre Ähre auflesen? „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Was für liebliche Worte sind das! Dein Herz ist hart, und dein Meister weiß das, und darum spricht Er so sanft mit dir. Willst du Ihm nicht gehorsam sein und Ihm gerade in diesem Augenblick folgen? Nimm noch eine andre Kornähre: „Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob. Ich helfe dir, spricht der Herr, und dein Erlöser, der Heilige in Israel.“ Wie kannst du dich noch fürchten, wenn dir eine so wunderbare Zusicherung gegeben ist wie hier? Und so magst du zehntausend goldene Ähren sammeln wie diese: „Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke, und deine Sünde wie den Nebel.“ „Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sei doch wie Wolle werden.“ Oder diese: „Hört, so wird eure Seele leben; denn ich will mit euch einen ewigen Bund machen, nämlich die gewissen Gnaden Davids.“ Oder diese: „Der Geist und die Braut sprechen: Komm. Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Unsers Meisters Kornfeld trägt gar reichlich; betrachte die Haufen; siehe, hier liegen sie vor dir, armer, verzagter Christ! Lies sie auf, eigne sie dir an, denn Jesus heißt dich zugreifen. Fürchte dich nicht, glaube nur! Erfasse diese lieblichen Verheißungen, dresche sie aus auf der Tenne deiner Betrachtung und genieße ihres Brots mit Freuden.

Ruth 2,3

„Sie las auf, den Schnittern nach, auf dem Felde. Und es begab sich eben, dass dasselbe Feld war des Boas, der von dem Geschlecht Eli-Melechs war.“

Es begab sich eben. Freilich, es schien ein bloßer Zufall, aber wie wachte die göttliche Vorsehung so sorgfältig über dem allem! Ruth war fortgegangen, gesegnet von ihrer Mutter, unter der Obhut des Gottes ihrer Mutter, zu demütigender, aber ehrlicher Arbeit, und die Vorsehung Gottes leitete sie auf allen Schritten und Tritten. Wie wenig ahnte sie, dass sie unter den Garben auch ihren Mann finden würde, dass er sie zur Mitbesitzerin aller der weiten Ackergelände machen werde, ja, dass sie, die Fremde, in die Reihe der Vorfahren des großen Messias eintreten sollte! Gott ist sehr gütig gegen die, die auf Ihn vertrauen, und überrascht sie oft mit unerwarteten Segnungen. Wie wenig wissen wir doch, was uns morgen widerfahren mag; aber uns mag die liebliche Tatsache trösten, dass uns kein Gutes mangeln wird. Der Zufall ist verbannt aus dem Glaubensleben des Christen, denn in allem sieht er die Hand Gottes. Die kleinen Begebnisse von heute oder morgen können vielleicht Ereignisse von der größten Wichtigkeit herbeiführen. O Herr, handle mit Deinen Knechten doch auch so gnädig, wie mit Ruth.

Wie selig wäre es doch, wenn sich heute Abend, beim Umhergehen auf dem Acker der Erinnerung, begeben sollte, dass wir auf derjenigen Stelle auflesen, wo unser nächster Verwandter sich uns offenbaren will! O Geist Gottes, leite uns zu Ihm! Wir wollen lieber Ähren auflesen auf seinem Acker, als von dem Felde irgendeines andern den ganzen Ernte-Ertrag heimführen. Wo sind doch die Tritte seiner Herde, die uns zu den grünen Auen führen, wo Er weidet? Ach, wie öde und traurig ist doch diese Welt, wenn Jesus ihr mangelt! Wir könnten eher Sonne und Mond missen, als Ihn; aber wie göttlich-schön wird alles von der Herrlichkeit seiner Gegenwart verklärt! Unsre Seelen kennen die heilsame Kraft, die in Jesu wohnt, und können sich ohne Ihn nicht zufrieden geben. Wir wollen diesen Abend im Gebet verharren, bis dass es sich begebe, dass wir lesen auf einem Felde, welches unserem lieben Herrn Jesus gehört, und wo Er sich uns offenbaren will.

Ruth 2,14

„Und sie aß, und wurde satt, und ließ übrig.“

Jedesmal, wenn wir von dem Brot essen dürfen, das der Herr Jesus uns gibt, werden wir mit Ruth erquickt mit einer vollen und herrlichen Mahlzeit. Wenn Jesus uns bewirthet, geht kein Gast leer von Seiner Tafel. Unser Haupt wird gesättigt von der köstlichen Wahrheit, die Christus uns offenbart; unser Herz findet Frieden in Jesu, dem unaussprechlich lieblichen Gegenstand unserer Sehnsucht; unsere Hoffnung wird erfüllt, denn auf wen anders hoffen wir im Himmel, als auf unsern Jesus? und unser Verlangen wird gestillt, denn was können wir mehr und größeres wünschen, als dass wir „Christum gewinnen und in Ihm erfunden werden“? Jesus beruhigt unser Gewissen, bis es vollkommenen Frieden erlangt hat; Er erfüllt unsern Verstand mit der Überzeugung von der Gewissheit Seiner Lehren, unser Gedächtnis mit den Erinnerungen an das, was er getan und vollbracht hat, und unsere Einbildungskraft mit den Vorstellungen von dem, was er noch vollenden will. Gleich wie Ruth „satt ward, und ließ übrig“, so gehts auch uns. Wir haben tiefe Züge aus dem Becher Seiner Gnade getan; wir haben gedacht, alle Gaben Christi in uns aufgenommen und erschöpft zu haben; aber siehe, es blieb noch immer ein Übriges ohne Maß. Wir haben an der Tafel der Liebe Christi gesessen und gesprochen: „Nichts als das Unendliche vermag mich zu sättigen; ich bin ein so großer Sünder, dass ich ein unendliches Verdienst bedarf zum Abwaschen meiner Sünden.“ Aber unser Hunger ward am Mahl der Liebe gestillt, und immer noch ist ein Übriges da vom geistlichen Mahle. O, es gibt gewiss noch viel Liebliches im Worte Gottes, was wir noch nicht geschmeckt haben, und das wir noch eine Weile müssen unberührt lassen; denn wir habens wie die Jünger, zu denen der Herr Jesus sprach: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnets jetzt nicht tragen.“ Ja, es gibt noch Gnadengüter, die wir noch nicht erlangt haben; Stätten der innigern Gemeinschaft mit Christo, bis zu welchen wir noch nicht hindurchgedrungen sind; und Höhen der himmlischen Liebe, die unser Fuß noch nicht kennt. Bei jedem Mahl, das uns der Heiland bereitet, bleiben noch viele Körbe voll Brosamen übrig. O, preisen wir doch die Gastfreundlichkeit und Freigebigkeit unseres herrlichen Boas. (Goldstrahlen März 19)

Ruth 2,17

„Also las sie auf dem Felde bis zu Abend.“

Wir wollen von Ruth, der Ährenleserin, uns heute lehren lassen. Wie sie hinausging, Ähren zu lesen auf dem Felde, so muss ich hinausgehen auf den Acker des Gebete, der Betrachtung, des Gottesdienstes, und das Wort hören, um geistliche Nahrung einzusammeln. Die Ährenleserin sammelt Ähre um Ähre für ihren Vorrat; der Lohn ihrer Arbeit wird ihr nur in kleinen Mengen nach und nach zu Teil; so muss ich mich zufrieden geben mit dem Aufsuchen einzelner Wahrheiten, wenn sich nicht eine große Fülle auf einmal darbietet. Jede Ähre trägt etwas mit bei zu einem Bündlein, und jede Belehrung aus dem Evangelium hilft, dass wir weiser werden zur Seligkeit. Die Ährenleserin hält ihre Augen offen; wenn sie träumend durch die Stoppeln schwankte, so müsste sie Abends auf die Freude verzichten, einen Vorrat heimzutragen. Ich muss in meinen geistlichen Bemühungen mich wach erhalten, sonst bringen sie mir keinen Segen; ich fürchte, ich habe schon viel verloren. Ach, dass ich doch die Gelegenheiten recht schätzte und mit größerem Fleiße sammelte. Die Ährenleserin steht bei jeder Ähre, die sie findet, still, und das habe auch ich mir zu merken. Hochfahrende Geister tadeln und verwerfen, demütige Seelen aber sammeln und empfangen Segen dabei. Ein einfältiges Herz ist eine große Hilfe, um das Evangelium mit Segen verkündigen zu hören. Das ausgestreute Wort, das die Seelen selig macht, wird nur von einem demütigen Herzen aufgenommen. Ein unbeugsamer Rücken ist ungeschickt zum Ährenlesen; herunter Stolz, du bist ein schändlicher Räuber. Was die Ährenleserin sammelt, behält sie; ließe sie die eine Ähre fallen, um eine andere aufzuheben, so wäre die Frucht ihrer Tagesarbeit gar winzig; sie ist so sehr darauf bedacht, zu behalten, als zu sammeln, und so wird zuletzt ihr Gewinn groß. Wie oft vergesse ich Alles, was ich höre; die zweite Wahrheit verdrängt die erste aus meinem Gedächtnis, und so endigt mein Lesen und Hören in viel Lärmen um nichts! Fühle ich die Wichtigkeit recht tief, Wahrheiten zu bewahren in einem feinen und guten Herzen? Ich habe immer ein großes Bedürfnis, nur hilf Du, o Herr, dass ichs auch fühle, damit michs vorwärts treibe und ich auf einem Acker lese, der dem Fleiße einen reichlichen Lohn gewähre. (Goldstrahlen August 2)

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