Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 91 - 100

Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 91 - 100

Ps. 91,3

„Er errettet mich vom Strick des Jägers.“

Gott errettet die Seinen in einem doppelten Sinn vom Strick des Jägers. Vom Strick und aus demselben. Er errettet sie vom Strick, Er lässt sie nicht hineingeraten; und wiederum: wenn sie darin gefangen sind, erlöst Er sie daraus. Dem einen ist die erste Verheißung köstlicher; für die andern ist die zweite von größerem Wert. „Er errettet mich vom Strick des Jägers.“ Wie das? Trübsal ist oft das Mittel, wodurch uns Gott errettet. Gott weiß, dass unser Abfall uns schnell ins Verderben stürzt, und darum schickt Er gnädig seine Zuchtrute. Wir fragen: „Herr, warum tust Du das?“ und wissen nicht, dass unsre Trübsal dazu dienen musste, uns vor größerem Übel zu bewahren. Viele sind so vom Verderben erlöst worden durch Kummer und Kreuz; das verscheuchte die Vögel vom Netz. Ein anderemal bewahrt Gott die Seinen vor dem Strick des Jägers, indem Er ihnen geistliche Stärkung gewährt, so dass sie, wenn sie zum Bösen versucht werden, sagen können: „Wie sollte ich ein solch großes Übel tun, und wider Gott sündigen?“ Aber wie ists doch etwas so Seliges, dass, wenn der Gläubige in einer bösen Stunde ins Netz fällt, Gott ihn dennoch daraus erlösen will! O Abtrünniger, erschreck, aber verzage nicht. Bist du gleich irre gegangen, so höre dennoch, was dein Erlöser spricht: „Kehrt wieder, ihr abtrünnigen Kinder, denn ich bin barmherzig.“ Aber du sprichst, du könnest nicht umkehren, denn du seiest gefangen im Netz. Dann höre diese Verheißung: „Er errettet dich aus dem Strick des Jägers.“ Du wirst dennoch errettet werden aus allem Übel, in das du geraten bist, und ob du gleich nicht aufhören sollst, Buße zu tun über deine Abwege, so will doch, Der dich geliebt hat, dich nicht verlassen noch versäumen. Er nimmt dich mit Ehren an und gibt dir Freude und Wonne, dass auch die Gebeine, die Er zerbrochen hat, sich freuen müssen. Kein Vogel des Paradieses wird umkommen im Strick des Jägers.

„Jesu, hilf siegen, Du Fürste des Lebens!
Sieh' wie ich schweb' in Gefahren und Not!
Schwach ist mein Wollen, mein Ringen vergebens,
Furchtbar die Macht, die mich täglich bedroht.
Stehst Du mir, Jesu, nicht schützend zur Seite,
Wie kann ich kämpfen und siegen im Streite?“

Ps. 91,4

Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln; seine Wahrheit ist Schirm und Schild.

Ein herablassendes Gleichnis in der Tat! Gerade wie eine Henne ihre Brut beschützt und ihr gestattet, unter ihren Flügeln zu nisten, so will der Herr sein Volk verteidigen und ihm erlauben, sich in Ihm zu verbergen. Haben wir nicht kleinen Küchlein unter den Federn ihrer Mutter hervorgucken sehen? Haben wir nicht ihren schwachen Schrei zufriedener Freude gehört? So lasst uns Schutz suchen in unsrem Gott und überreichlichen Frieden empfinden in dem Bewusstsein, dass Er uns bewacht.

So lange der Herr uns bedeckt, trauen wir. Es würde seltsam sein, wenn wir es nicht täten. Wie können wir misstrauen, wenn Jahwe selbst Haus und Heim, Zuflucht und Ruhe für uns wird?

Dies getan, gehen wir aus, in seinem Namen zu kämpfen, und erfreuen uns derselben wachsamen Obhut. Wir brauchen Schirm und Schild, und wenn wir unbedingt Gott vertrauen, so wie das Küchlein der Henne vertraut, finden wir, dass seine Wahrheit uns von Kopf bis zu Fuß wappnet. Der Herr kann nicht lügen; Er muss seinem Volk treu sein; seine Verheißung muss feststehen. Diese sichere Wahrheit ist der einzige Schild, den wir brauchen. Hinter Ihm trotzen wir den feurigen Pfeilen des Feindes.

Komm, meine Seele, birg dich unter diesen großen Flügeln, verliere dich unter diesen weichen Fittichen! Wie glücklich bist du!

Ps. 91,5

„Dass du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen der Nacht.“

Was ist das für ein Grauen? Vielleicht der Feuerruf, oder das Geräusch von Dieben, oder eingebildete Erscheinungen, oder der Schrecken plötzlicher Krankheit, oder schnellen Todes? Wir leben in einer Welt voller Angst und Tod, und wir dürfen uns daher in den Nachtwachen so gut auf schlimme Überraschungen gefasst machen, als unter dem Glanz der glühenden Sonne. Aber das Alles sollte uns nicht anfechten, denn trotz allem drohenden Grauen haben wir die Verheißung, dass nichts zu fürchten braucht, wer an den Herrn glaubt. Und warumsollte er auch? Oder, fassen wir es persönlicher, warumsollten wir es? Gott, unser Vater, ist bei uns, und bleibt bei uns durch alle einsamen Stunden; Er ist ein allmächtiger Hüter, ein schlummerloser Wächter, ein treuer Freund. Nichts kann uns begegnen ohne Seine Zulassung, denn selbst die Hölle muss Seine Herrschaft anerkennen. Finsternis ist nicht finster bei Ihm. Er hat verheißen, dass Er um Sein Volk will eine feurige Mauer sein, und wer kann durch eine solche Schutzwehr brechen? Weltkinder mögen sich wohl fürchten, denn über ihnen waltet ein eifriger Gott, in ihnen schlägt ein unruhiges Gewissen, und unter ihnen droht eine gähnende Hölle; wir aber, die wir in Jesu ruhen, werden von alle dem errettet durch Seine reiche Gnade. Wenn wir einer törichten Furcht die Zügel schießen lassen, so schänden wir unser Bekenntnis, und sind schuld, dass Andere an der Wahrheit des gottseligen Lebens zweifeln. Wir sollten uns fürchten zu erschrecken, damit wir nicht den Heiligen Geist durch törichten Unglauben erzürnen. Darum hinweg mit allen törichten Ahnungen und grundlosen Befürchtungen; Gott hat noch nicht vergessen, uns gnädig zu sein, noch uns von Seinen lieblichen Gnadenverheißungen ausgeschlossen. Es mag wohl Nacht werden in unserer Seele, aber wir brauchen uns nicht grauen zu lassen, denn der Gott der Liebe ist unwandelbar. Kinder des Lichts können wohl in Dunkelheit eingetaucht werden, aber sie sind deshalb nicht verworfen, nein, sie können vielmehr ihre Erwählung bekräftigen durch ihre Zuversicht auf ihren himmlischen Vater; die Heuchler aber haben keinen Frieden. „Er wird dich mit Seinen Fittigen decken, und deine Zuversicht wird sein unter Seinen Flügeln.“ (Goldstrahlen April 22)

Ps. 91,9

„Der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht.“

Die Israeliten waren in der Wüste einem beständigen Wechsel ausgesetzt. Wenn die Feuersäule stillstand, wurden die Zelte aufgeschlagen; aber des andern Tages, noch ehe die Sonne aufgegangen war, ertönte die Posaune, die Bundeslade wurde vorangetragen, und die feurige Wolkensäule zeigte den Weg durch die Engpässe des Gebirges über Abhänge hin oder die dürren Sandflächen der Wüste entlang. Kaum hatten sie Muße, ein wenig zu rasten, so hörten sie schon wieder den Ruf: „Macht euch auf! hier ist eures Bleibens nicht; ihr müsst weiter ziehen, hinauf nach Kanaan!“ Sie blieben nie lange an einem Ort. Weder Brunnen noch Palmenbäume hielten sie zurück. Dennoch hatten sie eine bleibende Heimat in ihrem Gott; seine Wolkensäule war ihr Obdach, und ihre nächtliche Flamme das Herdfeuer. Sie mussten weiter ziehen von Ort zu Ort, unter beständigem Wechsel, ohne Rast und Ruhe, und hatten nie Zeit, sich gemächlich einzurichten, dass sie hätten sagen können: „Nun sind wir geborgen; an diesem Orte wollen wir bleiben.“ „Wir fahren wohl dahin, wie ein Strom,“ spricht Mose, „aber Du, Herr Gott, bist unsre Zuflucht für und für.“ Der Christ weiß von keinem Wechsel bei Gott. Er kann heute reich sein und morgen arm; er kann heute krank sein und morgen gesund; er kann heute voller Freude und Wonne sein und morgen voller Furcht und Trauer; aber es gibt keinen Wechsel und keine Veränderung in seinem Verhältnis zu Gott. Hat mich der Herr gestern geliebt, so liebt Er mich heute wieder. Meine unwandelbare Ruhestätte ist mein hochgelobter Herr. Ob Hoffnungen zerrinnen, ob Erwartungen getäuscht werden, ob Freuden verwelken, und fressender Meltau mir alle Blüten zerstöre: so habe ich dennoch nichts verloren von alledem, was ich in Gott besitze. Er ist „mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge.“ Ich bin ein Pilger auf dieser Erde, aber in meinem Gott bin ich geborgen, und bei Ihm wohne ich sicher. In dieser Welt bin ich ein irrender Wanderer, aber in Gott habe ich eine gewisse Zuflucht. „Der Herr ist meine Zuversicht, Mein bester Trost im Leben! Dem fehlt es nie an Heil und Licht, Der sich an Ihn ergeben.“

Ps. 91,14

Er kennet meinen Namen, darum will ich ihn hoch stellen.

Spricht der Herr dies zu mir? Ja, wenn ich Seinen Namen kenne. Gelobt sei der Herr, ich bin Ihm nicht fremd. Ich habe Ihn versucht und Ihn erprobt und Ihn erkannt, und deshalb vertraue ich Ihm. Ich kenne Seinen Namen als einen sündehassenden Gott, denn durch Seines Geistes überführende Macht bin ich gelehrt, dass Er nie das Böse übersehen will. Aber ich kenne Ihn auch als den sündevergebenden Gott in Christo Jesu, denn Er hat mir alle meine Übertretungen vergeben. Sein Name ist Treue, und ich weiß das, denn Er hat mich niemals verlassen, wenn auch die Leiden sich auf mich gehäuft haben.

Die Kenntnis ist eine Gabe der Gnade, und der Herr lässt sie den Grund sein, weshalb Er eine andre Gnadengabe gewährt, nämlich das Hochstellen. Dies ist Gnade auf Gnade. Beachtet, dass die Stellung gefährlich sein kann, wenn wir hoch klimmen; aber wenn der Herr uns dahin stellt, ist sie sicher. Er mag uns erheben zu großer Wirksamkeit, zu außerordentlicher Erfahrung, zu Erfolg in Seinem Dienste, zur Führung Seiner Arbeiter, zum Platze eines Vaters unter den Kleinen. Wenn Er das nicht tut, so mag Er uns hoch stellen durch nahe Gemeinschaft, klare Einsicht, heiligen Triumph und Vorgefühl ewiger Herrlichkeit. Wenn Gott uns hoch stellt, kann Satan selber uns nicht herabziehen. O, dass es so mit uns diesen ganzen Tag lang wäre!

Ps. 92,4

„Herr, Du lässt mich fröhlich singen von Deinen Werken.“

Glaubst du, dass dir deine Sünden vergeben sind, und dass Christus eine völlige Versöhnung für dieselben dargebracht hat? Was für ein fröhlicher Christ musst du also sein! Wie musst du dich erhoben fühlen über alle Traurigkeit und Trübsal dieser Welt! Was kann dir alles andre schaden, was noch kommen mag, da dir nun deine Sünden vergeben sind? Luther hat gesagt: „Schlag' zu, denn mir sind meine Sünden vergeben; wenn Du mir nur vergeben hast, so schlag' nur zu, so heftig Du willst;“ und in ganz gleichem Sinne kannst du sagen: Sende Krankheit, Armut, Verlust, Kreuz, Verfolgung, oder was Du nur immer willst. Du hast mir vergeben, und meine Seele ist fröhlich. Lieber Christ, dieweil du nun errettet und selig geworden bist, so sei dankbar und voller Liebe. Klammere dich an das Kreuz, an dem deine Sünden sind gekreuzigt worden; diene Dem, der dir gedient hat. „Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ Gib nicht zu, dass dein Eifer sich verflüchtige und verzehre in einer bloß vorübergehenden Wallung des Dankens und Lobpreisens; sondern beweise deine Liebe mit herzlichen, tiefempfundenen Zeichen deiner Hingabe an Ihn, liebe die Brüder Dessen, der dich geliebt hat. Ist irgend wo ein Mephi-Boseth, der lahm oder ein Krüppel ist, so stehe ihm bei um Jonatans willen. Ist irgend ein armer, schwergeprüfter, gläubiger Bruder, so weine mit ihm und trage sein Kreuz um Des willen, der über dich geweint und deine Sünden getragen hat. Weil dir um Christi willen solche freie Vergebung zuteil geworden ist, so gehe hin und verkündige andern die frohe Botschaft von der vergebenden Gnade. Gib dich nicht zufrieden mit dieser unaussprechlichen Gnade für dich allein, sondern verkündige weit umher das Wort vom Kreuz. Heilige Freude und selige Freiheit machen dich zu einem guten Prediger, und die ganze Welt kann dir ein Ort zur Verkündigung der göttlichen Gnade sein. Ein fröhliches, heiliges Wesen ist die eindringlichste Predigt, aber das muss dir der Herr schenken. Bitte heute darum, ehe du in das geschäftige Weltleben hinausgehst. Wenn wir uns freuen über des Herrn Werk in uns, so können wir nicht zu fröhlich sein.

Ps. 92,13

Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf Libanon.

Diese Bäume werden nicht von Menschen gezogen und beschnitten; Palmen und Zedern sind „Bäume des Herrn,“ und seine Sorgfalt ist es, durch die sie grünen; ebenso ist es mit den Heiligen des Herrn, Er selbst trägt Sorge für sie. Diese Bäume sind immer grün und schön in allen Jahreszeiten. Gläubige sind nicht zuweilen heilig und zuweilen ungöttlich: sie stehen in allen Wettern in der Schönheit des Herrn da. Überall sind diese Bäume bemerkenswert; niemand kann eine Landschaft betrachten, in der Palmen oder Zedern sind, ohne dass seine Aufmerksamkeit sich auf diese königlichen Gewächse richtet. Die Nachfolger Christi werden von allen Beobachtern beobachtet: gleich einer Stadt, die auf einem Berge liegt, können sie nicht verborgen bleiben.

Das Kind Gottes grünt wie ein Palmbaum, der mit all seiner Kraft nach oben strebt in einer aufrechten Säule ohne einen einzigen Zweig. Er ist ein Pfeiler mit einem herrlichen Knauf. Er hat keinen Auswuchs zur Rechten oder zur Linken, sondern sendet seine ganze Kraft himmelwärts und trägt seine Frucht so nahe dem Himmel wie möglich. Herr, erfülle dieses Vorbild in mir!

Die Zeder trotzt allen Stürmen und wächst nahe beim ewigen Schnee, der Herr selbst füllt sie mit einem Saft, der ihr Herz warm und ihre Zweige stark erhält. Herr, lass es so mit mir sein, ich bitte Dich. Amen.

Ps. 93,2

„Du bist ewig.“

Christus ist ewig. Von Ihm können wir mit David singen: „Dein Stuhl bleibet immer und ewig.“ Freue dich, gläubige Seele, in Christo Jesu, denn Er ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Der Herr Jesus war allezeit. Das in Bethlehem geborene Kindlein war eins mit dem ewigen Wort, das da von Anfang war, und durch welches alle Dinge gemacht sind. Der Name, unter welchem Christus sich dem Apostel Johannes auf Patmos offenbarte, war: „Der da ist, und der da war, und der da kommt.“ Wäre Er nicht Gott von Ewigkeit, so könnten wir Ihn nicht mit solcher Ehrfurcht lieben; wir könnten nicht fühlen, dass Er irgend teil habe an der ewigen Liebe, die der Quell aller Bundesgüter ist; weil Er aber von Ewigkeit her bei dem Vater war, so führen wir den Strom der göttlichen Liebe auf Ihn zurück, der gleichen Wesens ist mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Und gleichwie unser Herr allezeit war, so ist Er ewiglich. Jesus ist nicht tot; „Er lebt immerdar und bittet für uns.“ Nimm in allen Nöten und Drangsalen deine Zuflucht zu Ihm, denn Er harrt allezeit und segnet dich gern. Aber der Herr Jesus wird auch ewig sein. Sollte dir Gott das Leben fristen, dass deine Tage voll würden und siebzig Jahre erreichten, so würdest du dennoch erfahren, dass der Born seiner reinigenden Gnade nie versiegt, dass sein teures Blut nicht unwirksam geworden ist; du müsstest finden, dass der Priester, der den Heilsbrunnen mit seinem eignen Blut gefüllt hat, noch lebt, und dich von aller Untugend reinigt. Und wenn dir der letzte schwere Kampf bevorsteht, so wirst du sehen, dass die Hand deines siegreichen Herzogs noch nicht schwach geworden ist; der lebendige Heiland wird den sterbenden Heiligen erquicken. Wenn du zum Himmel eingehst, so wirst du Ihn erblicken, wie Er noch in ganzer Jugendkraft dasteht; und durch Zeit und Ewigkeit wird der Herr Jesus die unverwelkliche Freude, das Leben und die Ehre seines Volkes bleiben. Lebendige Ströme fließen dir aus diesem heiligen Born entgegen. Jesus war, und ist, und bleibt immerdar. Er ist ewig in allen seinen Tugenden, in aller seiner Würde, in aller seiner Macht, und ist bereit zu segnen, zu trösten, zu bewahren und zu krönen seine Auserwählten.

Ps. 94,14

Denn der Herr wird sein Volk nicht verstoßen, noch sein Erbe verlassen.

Nein, Du willst auch nicht einen von ihnen verstoßen. Der Mensch verstößt, aber Gott nicht, denn seine Wahl ist unveränderlich und seine Liebe ewig-während. Niemand kann einen Menschen finden, den Gott verlassen hat, nachdem Er sich ihm geoffenbart hatte.

Diese große Wahrheit wird in dem Psalm ausgesprochen, um das Herz der Betrübten zu erheitern. Der Herr züchtigt die Seinen, aber Er verlässt sie nie. Das Ergebnis des doppelten Werkes des Gesetzes und der Rute ist unsre Unterweisung, und die Frucht dieser Unterweisung ist eine Beruhigung des Geistes, eine Nüchternheit der Seele, aus der Friede kommt. Die Ungöttlichen bleiben sich selbst überlassen, bis die Grube gegraben ist, in die sie fallen und gefangen werden; aber die Gottesfürchtigen werden zur Schule gesandt, um für ihr herrliches künftiges Schicksal vorbereitet zu werden. Das Gericht wird wiederkehren und sein Werk an den Empörern vollenden, aber es wird ebenfalls wiederkehren, um die Aufrichtigen und Gottesfürchtigen zu rechtfertigen. Deshalb mögen wir die Rute der Züchtigung mit gelassener Unterwerfung tragen; sie bedeutet nicht Zorn, sondern Liebe.

„Gott liebt uns als Kinder,
doch stäupt Er uns wie Sünder,
Und tut so bitter weh,
Schlägt Wunden über Wunden;
Doch ist in solchen Stunden
Er Freund und Vater mehr wie je.“

Ps. 97,1

„Der Herr ist König, des freue sich das Erdreich.“

Ursachen zur Beunruhigung sind keine vorhanden, so lange dieser köstliche Ausspruch wahr bleibt. Auf Erden stillt die Macht des Herrn die Bosheit der Gottlosen ebenso schnell wie die Wut des Meeres; seine Liebe erquickt die Seele des Elenden ebenso gern, wie sein Regen die dürren Lande. Majestätisch leuchten die Flammenblitze nieder mitten durch die schrecklichen Gewitterwolken, und die Herrlichkeit des Herrn verkündet sich in ihrer Größe durch den Fall mächtiger Reiche und durch den Sturz erhabener Throne. In all unsern Kämpfen und Trübsalen erkennen wir die Hand des göttlichen Königs.

„Allwaltend schaust Du vom Thron
Auf Deine Menschen nieder;
Schaust liebend Du, der Liebe Sohn,
Auf die erlösten Brüder.“

In der Hölle anerkennen die gefallenen Geister mit düsterem Mute seine unzweifelhafte Oberherrschaft. Wenn sie umhergehen dürfen, so ists ihnen nur gestattet mit schweren Fesseln an den Füßen; dem Behemoth ist ein Gebiss angelegt und ein Hamen durchbohrt die Kinnladen des Leviatan. Des Todes Geschosse sind verschlossen unter des Herrn Riegel, und göttliche Gewalt ist der Wächter über des Grabes Gefängnisse. Die schreckliche Rache des Richters aller Welt macht, dass die Feinde heulen und mit den Zähnen klappen, gleichwie Hunde, die des Jägers Peitsche fürchten. „In Deine starke Hand hat Gott Das Zepter übergeben; Du herrschst über Höll' und Tod Und über Grab und Leben.“ Im Himmel zweifelt niemand an der Machtvollkommenheit des Königs der Ewigkeit, sondern alle fallen nieder auf ihr Angesicht, und bringen Ihm ihre Huldigung dar. Engel sind seine Hofleute, die Auserwählten seine Günstlinge, und sie sehnen und freuen sich alle, Ihm zu dienen Tag und Nacht. Möchten wir bald eingehen in die Stadt des großen Königs!

„Hoch, über Erd' und Welt und Zeit
Thronst Du zu Gottes Rechten,
Ihm gleich an Macht und Herrlichkeit,
Zum Heile der Gerechten.“

Ps. 97,10

„Die ihr den Herrn liebt, hasset das Arge.“

Du hast allen Grund, das „Arge zu hassen“, wenn du nur daran denkst, wieviel Schmerz es dir schon verursacht hat. Ach, was hat doch die Sünde für eine Welt voll Unheil über dich gebracht! Die Sünde hat dich so sehr verblendet, dass du kein Auge hattest für die Schönheit und Liebenswürdigkeit deines Heilandes; sie hat dich so taub gemacht, dass du kein Ohr hattest für die zärtlichen, liebevollen Einladungen des Erlösers. Die Sünde hat deinen Fuß auf den Weg des Todes gekehrt, und in den Born deines Lebens tödliches Gift geschüttet; sie hat dein Herz befleckt und angesteckt und es zu einem „trotzigen und verzagten Ding“ gemacht. O, was warst du für ein elendes Geschöpf, als das Arge es mit dir aufs äußerste gebracht hatte, bevor die göttliche Gnade sich drein legte! Du warst ein Kind des Zorns gleich den übrigen, und „deine Füße liefen zum Bösen“ mit dem großen Haufen. So stand es mit uns allen; doch der Apostel Paulus erinnert uns: „Aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesu, und durch den Geist unsers Gottes.“ Wir haben wahrlich gute Ursache, das Arge zu hassen, wenn wir zurückblicken und sein verderbliches Wirken betrachten. Solch Unheil hat das Arge in uns angerichtet, dass es um unsre Seelen geschehen wäre, wenn nicht die allmächtige Liebe ins Mittel getreten wäre, um uns zu versöhnen. Selbst jetzt noch ist es ein rüstiger Feind, der nimmer ruht und allezeit wachsam ist, ob er uns schädigen und ins Verderben stürzen könne. Darum „hasset das Arge,“ o, ihr Christenleute, sonst trachtet ihr nach Trübsal. Wollt ihr euren Pfad mit Dornen bestreuen und euer Sterbekissen mit Disteln füllen, dann lasst nach, das „Arge zu hassen;“ wollt ihr aber ein glückliches Leben führen, und eines ruhigen, seligen Todes sterben, dann wandelt in allen Wegen der Heiligkeit und hasset das Arge bis ans Ende. Wenn ihr euren Heiland wahrhaft lieb habt und Ihn ehren wollt, dann „hasset das Arge.“ Wir kennen gegen die Liebe zum Bösen in einem Christenherzen kein kräftigeres Heilmittel als den häufigen Umgang mit dem Herrn Jesus. Haltet euch recht viel in seiner Nähe auf, so wirds euch unmöglich sein, mit der Sünde auf gutem Fuße zu stehen.

„Wer will das Arge hassen,
Muss Jesum liebend fassen.“

Ps. 97,11

„Licht ist gesät für die Gerechten, und Freude für die aufrichtigen Herzen.“

Gerechtigkeit kostet dem oft viel, der auf alle Gefahr hin daran festhält, aber am Ende wird sie die Kosten einbringen und einen unendlichen Gewinn liefern. Ein heiliges Leben gleicht dem Säen des Samens: viel wird ausgeworfen und scheinbar ist es in dem Boden begraben, um nie wieder eingesammelt zu werden. Wir irren uns, wenn wir eine sofortige Ernte erwarten; aber der Irrtum ist sehr natürlich, denn es scheint unmöglich, Licht zu begraben. Doch das Licht wird „gesät“, sagt der Text. Es liegt verborgen: Niemand kann es sehen, es ist gesät. Wir sind ganz gewiss, dass es sich eines Tages offenbaren muss.

Völlig gewiss sind wir, dass der Herr eine Ernte bestimmt hat für die Säer des Lichtes und dass sie dieselbe einheimsen sollen, ein jeder für sich selbst. Dann wird ihre Freude kommen. Garben der Freude für Samen des Lichtes. Ihr Herz war aufrichtig vor dem Herrn obwohl die Menschen dies nicht glauben wollten und sie sogar tadelten: sie waren gerecht, obwohl andre sie öffentlich zu großer Strenge beschuldigten. Sie hatten zu warten, wie der Ackersmann auf die köstlichen Früchte der Erde wartet: aber das Licht war für sie gesät, und Freude war für sie bereitet von dem Herrn der Ernte. Mut, Brüder, wir brauchen nicht in Hast zu sein. Lasst uns „in Geduld unsre Seelen besitzen,“ denn bald sollen unsre Seelen Licht und Freude besitzen.

Ps. 100,2

„Dienet dem Herrn mit Freuden.“

Freude am Gottesdienst ist ein Zeichen der Begnadigung. Wer Gott dient mit traurigem Antlitz, weil er etwas tut, was ihm nicht gefällt, dient Gott ganz und gar nicht; er huldigt dem Herrn zum Scheine; aber es fehlt das innere Leben. Unser Gott begehrt keine Sklaven zum Dienst an Seinem Throne; Er ist der Herr des Reichs der Liebe, und will, dass Seine Diener sich in die Livree der Freude kleiden. Die Engel dienen ihrem Herrn mit Lobpreisen, nicht mit Seufzen und Stöhnen; ein Murren oder Grämen wäre ein Laut der Empörung unter ihrer Heerschar. Aller Gehorsam, der nicht freiwillig ist, ist Ungehorsam, denn der Herr sieht das Herz an, und wenn Er sieht, dass wir Ihm aus Zwang dienen, und nicht aus freier Liebe zu Ihm, dann verwirft Er das Opfer unsers Gehorsams. Ein Gottesdienst, der mit Freuden geschieht, ist Herzensdienst und wahrhaftiger Gottesdienst. Nehmet dem Christen die Freudigkeit des freien Entschlusses, so raubt ihr ihm das Zeugnis, dass sein Gottesdienst aufrichtig und ernst sei. Wenn ein Mensch in den Kampf muss getrieben werden, dann ist er kein Vaterlandsfreund; wer aber in den Kampf stürmt mit flammendem Auge und freudigem Antlitz, mit dem Schlachtgesang im Munde: „Süß ist der Tod fürs Vaterland,“ der zeigt, dass er sein Vaterland von Herzen lieb hat. Freudigkeit gibt Kraft und Mut; in der Freude des Herrn sind wir stark. Sie hilft alle Schwierigkeiten überwinden, alle Hindernisse besiegen. Sie ist für unsere Pflichterfüllung das, was das Oel für die Räder eines Eisenbahnzuges. Ohne Oel wird die Achse bald heiß und es begegnet ein Unfall; und wenn keine heilige Freude vorhanden ist, die unsere Räder salbt, dann wird unser Geist in seinem Laufe bald gehemmt. Ein Mensch, der in seinem Gottesdienst fröhlich ist, zeigt, dass der Gehorsam sein Element ist; er darf jauchzen und singen vor seinem Herrn.

Lieber Christ, wir wollen die Frage ins Auge fassen: Dienest du dem Herrn mit Freuden? Wir wollen der Welt und den Leuten, die unsere Gottesfurcht für Sklavendienst halten, zeigen, dass sie unsere Freude und Wonne ist! Unsere Freudigkeit müsse laut verkündigen, dass wir einem guten Herrn dienen. (Goldstrahlen, Januar 9)

Ps. 100,4

„Danket Ihm, lobt seinen Namen.“

Unser Herr möchte gern, dass alle die Seinen reich würden an hohen und seligen Gedanken über seine heilige Person. Der Herr Jesus ist nicht zufrieden, wenn seine Brüder geringe Gedanken von Ihm hegen; es ist seine höchste Freude, wenn seine Brautgemeinde mit Wonne über seine Lieblichkeit erfüllt ist. Wir sollen Ihn nicht bloß als etwas Unentbehrliches betrachten, wie Brot und Wasser, sondern als ein vorzüglich wertvolles Geschenk, als eine Gabe, die uns mit seltenem und wonnevollem Entzücken erfüllen soll. Dazu hat Er sich uns offenbart als die „köstliche Perle“ voll unvergleichlicher Schönheit, als ein „Büschel Myrrhen“ voll erfrischenden Dufts, als die „Blume zu Saron“ voll Wohlgeruchs, als die „Rose im Tal“ voll Lieblichkeit. Um uns zu hohen Gedanken über Christum aufzuschwingen, wollen wir uns der Ehre erinnern, welcher Christus im Himmel teilhaftig ist, wo die Dinge nach ihrem wahren Wert geschätzt werden. Denkt daran, wie hoch Gott seinen Eingeborenen schätzt, seine unaussprechliche Gabe, die Er uns schenkt. Erwägt, was die Engel von Ihm denken, wenn sie in ihrer höchsten Verklärung ihr Antlitz vor Ihm verhüllen. Bedenkt, was die Bluterkauften von Ihm denken, wenn sie Tag und Nacht seinen Ruhm verkündigen. Hohe Gedanken von Christo machen uns tüchtig, mit unserer Liebe beständig an Ihm zu hangen. Je mehr wir Christum erhöht sehen, und je demütiger wir uns vor seinem Stuhl beugen, umso besser sind wir imstande, Ihm zu begegnen, wie Ers um uns verdient. Unser Herr Jesus wünscht, dass wir groß von Ihm denken und uns gern unter seine Herrschaft beugen. Erhabene Gedanken über Ihn vermehren unsre Liebe. Liebe und Achtung gehen Hand in Hand. Darum, gläubiger Christ, denke recht viel an die herrlichen Vorzüge deines Meisters. Betrachte Ihn in seiner vorigen Herrlichkeit, bevor Er dein Fleisch und Blut an sich nahm! Denke an die mächtige Liebe, die Ihn von seinem Throne hernieder trieb, damit Er am Kreuze für dich stürbe! Bewundere Ihn, wie Er alle List und Gewalt der Hölle überwindet! Schaue Ihn an, den Auferstandenen, den Gekrönten, den Verklärten! Beuge deine Knie vor Ihm, dem Wunderbar, Rat, Kraft, Held, denn nur so wird deine Liebe zu Ihm das, was sie sein soll.

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