Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 31 - 40

Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 31 - 40

Ps. 31,4

„Du wollest mich aus dem Netz ziehen, das sie mir gestellt haben; denn Du bist meine Stärke.“

Unsere geistlichen Feinde sind eine Schlangenbrut, und suchen uns mit List zu umgarnen. Das vorstehende Gebet hält uns die Möglichkeit vor, dass der Gläubige wie ein Vogel könne im Netz gefangen werden. Der Vogelsteller beginnt sein Werk mit solcher Gewandtheit und Schlauheit, dass einfältige Seelen unversehens vom Netz umstellt sind. Unsere Schriftstelle aber enthält auch die Bitte, dass der Gefangene selbst aus Satans Schlingen möchte erlöst werden; das ist ein Gott wohlgefälliges Verlangen, ein Verlangen, dem Erhörung zugesagt ist: Aus dem Rachen des Löwen und aus dem Bauch der Hölle vermag die ewige Liebe den Heiligen zu erretten. Es bedarf wohl einer starken Kraft, um eine Seele aus dem Netz der Versuchung zu erlösen, und einer mächtigen Kraft, um einen Menschen aus den Schlingen boshaftiger List zu befreien; aber der Herr ist jeder List und Gewalt gewachsen, und die mit allergrößter Sorgfalt gestellten Netze des Jägers sind nie im Stande, die Auserwählten des Herrn festzuhalten. Wehe denen, die Andern Netze stellen; wer Andere versucht, wird selbst gräulich umkommen.

„Denn Du bist meine Stärke.“ Welche unaussprechliche Lieblichkeit tritt uns in diesen wenigen Worten entgegen! Mit welcher freudigen Ergebenheit können wir alle Mühsale ertragen, und wie gerne und willig unterziehen wir uns allen Leiden, wenn wir uns an die himmlische Macht und Kraft anklammern können. Die göttliche Stärke zerreißt und zerstört alle Arbeit unserer Feinde, macht alle ihre Anschläge zu Schanden und vernichtet alle ihre heillosen Absichten. O, welch ein seliger Mensch ist der, dem eine so unvergleichliche Macht helfend zur Seite steht. Unsere eigene Kraft würde uns wenig nützen, wenn wir von den Netzen boshafter List umgarnt sind, aber des Herrn Stärke ist immer siegreich; wir dürfen Ihn nur anrufen, so ist Er uns nahe und hilft uns. Wenn wir uns im Glauben ganz allein auf die allgewaltige Kraft des starken Gottes Israels verlassen, so dürfen wir unser Gottvertrauen getrost in unsere Gebete ausgießen,

„Nie zu kurz ist Seine Rechte;
Wo ist einer Seiner Knechte,
Der bei Ihm nicht Rettung fand?“

(Goldstrahlen August 19)

Ps. 31,5

„In Deine Hände befehle ich meinen Geist; Du hast mich erlöst, Herr, Du treuer Gott.“

Diese Worte sind von heiligen Menschen in der Stunde ihres Abscheidens oft gebraucht worden. Wir können sie heute Abend mit Segen zum Gegenstande unserer Betrachtung wählen. Der Gegenstand der angelegentlichsten Sorgfalt eines gläubigen Menschen im Leben und im Tode ist nicht sein Leib oder sein Vermögen, sondern sein Geist; das ist sein höchster und teuerster Schatz, wenn dieser geborgen ist, so ist Alles gut. Was ist doch alles vergängliche Gut im Vergleich mit der Seele? Der Gläubige befiehlt seine Seele in seines Gottes Hände; sie kommt von Ihm, sie ist Sein Eigentum, Er hat sie bisher bewahret und kann sie ferner bewahren, und darum ists das Beste, dass Er sie wieder aufnimmt. Alle Dinge sind in Jehovas Händen wohl aufgehoben; was wir dem Herrn vertrauen, ist wohl geborgen, sowohl jetzt als an dem Tag der Tage, dem wir entgegen gehen. Es ist ein seliges Leben und ein herrliches Sterben, wenn wir uns der Sorge des Himmels anheimstellen können. Jederzeit sollten wir unser Alles der treuen Hand Jesu befehlen; und wenn dann auch das Leben an einem Faden zu hängen scheint, und die Schwierigkeiten sich mehren wie der Hand am Meere, so bleibt dennoch unsere Seele in süßem Frieden und fühlt sich glücklich in ihrem Ruheport.

„Du hast mich erlöst, Herr, Du treuer Gott.“ Erlösung ist eine sichere Grundlage für die Befestigung des Gottvertrauens. David hatte Golgatha nicht gekannt, wie wir, aber er ward durch manche zeitliche Erlösung gestärkt; und uns sollte die ewige Erlösung nicht noch viel lieblicher trösten und erquicken? Vergangene Errettungen sind kräftige Unterpfänder, dass wir auch jetzt auf den göttlichen Beistand rechnen dürfen. Was der Herr an uns getan hat, will Er wieder tun, denn bei Ihm ist keine Veränderung. Er ist treu Seinen Verheißungen und gnädig Seinen Heiligen; von Seinen Volk wendet Er sich nicht ab.

Wer Jesum bei sich hat, kann sicher stehen,
Und wird im Leidensmeer nicht untergehen.
Wenn ihn der Herr beschützt in Gnaden,
Was kann ihm Tod und Teufel schaden?
Er wandelt stets auf ew'gen Pfaden.„

(Goldstrahlen August 27)

Ps. 32,5

„Darum bekenne ich Dir meine Sünden, und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen; da vergabst Du mir die Missetat meiner Sünden.“

Davids Sünden verursachten ihm tiefen Kummer. Die Wirkung desselben prägte sich in seinem äußern Anblick aus: „Seine Gebeine verschmachteten,“ „sein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.“ Er konnte keine Hilfe finden, bis dass er vor dem himmlischen Gnadenthron ein unumwundenes Bekenntnis ablegte. Er sagt uns, dass er es eine Zeitlang verschweigen wollte, und sein Herz ward immer mehr vom Kummer daniedergebeugt. Gleich einem Alpensee, dessen Abfluss von Felsen versperrt ist, schwoll seine Seele an von den Strömen der Sorge. Er suchte nach Entschuldigungen; er strebte, seinen Gedanken eine andre Richtung zu geben durch Zerstreuungen: alles umsonst; seine Angst wuchs wie eine Eiterbeule, und weil er den scharfen Schnitt des Bekenntnisses nicht wagen wollte, litt sein Geist furchtbar von brennenden Schmerzen und fand keine Ruhe Tag und Nacht. Endlich sah er ein, dass er in reuiger Demut zu seinem Gott umkehren, oder jämmerlich umkommen müsse; und so eilte er zum Gnadenthron und schlug das Buch seiner Missetaten vor dem Allwissenden auf und bekannte die Bosheit seiner Wege in den ergreifenden Worten, wie sie uns in den sieben Bußpsalmen aufgezeichnet sind. Als er dies einfache und doch für den Stolz so schwere Werk vollbracht hatte, empfing er auf einmal das Siegel der göttlichen Vergebung; die verschmachteten Gebeine wurden fröhlich, und er ging aus seiner Kammer und pries die Seligkeit des Menschen, dem die Übertretungen vergeben sind. Sieh, das ist der Wert eines von der Gnade gewirkten Sündenbekenntnisses! Es ist köstlicher denn alle Reichtümer; denn überall, wo ein echtes, aufrichtiges Bekenntnis ist, wird die Gnade gern gewährt, nicht weil etwa Reue und Bekenntnis sich die Gnade verdienen, sondern um Christi willen. Gelobt sei Gott, dass für jedes gebrochene Herz eine Heilung möglich ist! Der Born, der uns reinigt von aller unserer Sünde, fließt ununterbrochen in alle Ewigkeit. Wahrlich, o Herr, Du bist ein Gott, der gern vergibt, „barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue.“

Ps 32,10

Wer auf den Herrn vertraut, den wird die Barmherzigkeit umfangen.

O schöner Lohn des Vertrauens! Mein Herr, gewähre ihn mir völlig! Mehr als alle andren Menschen fühlt der Vertrauende sich als einen Sünder; und siehe, die Barmherzigkeit ist für ihn bereitet: er weiß, dass er selbst kein Verdienst hat, aber die Barmherzigkeit kommt und hält Haus für ihn in freigebigster Weise. O Herr, gib mir diese Barmherzigkeit, so wie ich Dir vertraue!

Beachte, meine Seele, was für eine Leibwache du hast! Wie ein Fürst mit Soldaten umgeben ist, so bist du mit Barmherzigkeit umfangen. Vorn und hinten und an allen Seiten sind auf ihren Rossen diese Wachen der Gnade. Wir wohnen im Mittelpunkt eines Reiches der Barmherzigkeit, denn wir wohnen in Christo Jesu.

O, meine Seele, in welcher Atmosphäre atmest du! Wie die Luft dich umfängt, ebenso tut es die Barmherzigkeit deines Herrn. Für den Gottlosen ist viele Plage, aber für dich sind so viele Güter da, dass deine Plage nicht der Erwähnung wert ist. David spricht: “Freut euch des Herrn, und seid fröhlich, ihr Gerechten, und rühmet alle, ihr Frommen.” Im Gehorsam gegen diese Vorschrift soll mein Herz in Gott triumphieren, und ich will meine Freude verkünden. Wie Du mich mit Barmherzigkeit umgeben hast, will ich auch Deine Altäre, o mein Gott, mit Liedern des Dankes umgeben!

Ps. 33,13

„Der Herr schauet vom Himmel und sieht aller Menschen Kinder.“

Vielleicht zeigt uns kein Redebild Gott in einem gnadenreicheren Licht, als wenn es von Ihm heißt, Er steige hernieder von seinem Thron und komme vom Himmel herab, um mitleidsvoll auf die Leiden der Menschen zu achten und die Not der Menschenkinder sich zu Herzen dringen zu lassen. Wir lieben Ihn; denn da Sodom und Gomorrha mit Gottlosigkeit erfüllt waren, wollte Er diese Städte nicht zerstören, bevor Er dieselben nicht mit seiner persönlichen Heimsuchung begnadigt hätte. Wir können nicht anders, wir müssen unser Herz in Liebe gegen unsern Herrn ausschütten, der aus der höchsten Herrlichkeit sein Ohr zu uns herabneigt, und es an die Lippen des sterbenden Sünders legt, dessen ermattete Seele sich nach Versöhnung und Frieden sehnt. Was können wir anders als Ihn lieben, dieweil wir wissen, dass Er auch die Haare auf unserm Haupte alle zählt, auf jeden unserer Tritte achtet, und uns auf allen unsren Wegen leitet? Besonders nahe tritt uns diese Wahrheit und bewegt unser Herz, wenn wir bedenken, wie aufmerksam Er ist, nicht allein auf die zeitlichen Bedürfnisse seiner Kreaturen, sondern ganz besonders auf ihre geistlichen Anliegen. Obgleich ein unermesslicher Abstand besteht zwischen dem endlichen Geschöpf und dem unendlichen Schöpfer, so sind doch beide durch unzerreißbare Bande miteinander verbunden. Wenn eine Träne aus deinem Auge fällt, so glaube nicht, dass Gott sie nicht wahrnehme; denn „wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmet sich der Herr über die, so Ihn fürchten.“ Dein Seufzen kann das Herz Jehovahs bewegen; dein Lispeln zieht sein Ohr zu deinen Lippen nieder; dein Gebet kann seiner Hand Stillhalten gebieten; dein Glaube kann seinen Arm bewegen. Stelle dir nicht vor, Gott throne in der Höhe, ohne deiner zu gedenken, noch deiner Tritte zu achten. Der Herr sieht auf dich, wie arm und elend du auch seiest. Denn des Herrn Augen schauen alle Lande, dass Er stärke die, so von ganzem Herzen an Ihm sind.

„Er schaut deiner Füße Tritt';
Sieh, wie sein Auge wacht!
Wo du gehest, geht Er mit,
Und bewahrt dich Tag und Nacht.
Er hat seine starke Hand
Dir zum Schutze vorgewandt.“

Ps. 33, 21

„Unser Herz freuet sich seiner.“

Es ist etwas so Seliges darum, dass sich die Christen auch im tiefsten Elend und im größten Unglück freuen können; obgleich Trübsal sie umgibt, so singen sie dennoch; singen, wie manche Vögel am besten im Käfig. Ob die Wellen immer höher und höher schwellen und hoch über ihr Haupt hinbrausen, so steigt dennoch ihre Seele bald empor zur Oberfläche und schaut das Sonnenlicht vom Angesicht Gottes; sie haben einen Rettungsgurt bei sich, der ihr Haupt allezeit über Wasser erhält und sie trägt, dass sie singen können mitten im Schrecken des Sturmes: „Du, Gott, bist noch bei mir.“ Wem gebührt nun die Ehre? O, wem anders als Jesu; das alles kommt von Jesu. Trübsal bringt nicht notwendig zugleich den Trost mit für den Gläubigen, aber die Gegenwart des Sohnes Gottes, der bei ihm im Feuerofen stehet, erfüllt sein Herz mit Freude. Er ist krank und leidend; aber Jesus besucht ihn und erquickt ihn auf seinem Krankenbett. Er liegt im Sterben, und die kalten schauerlichen Wellen des Jordan umspülen ihn bis an den Mund, aber Jesus fasst ihn in seine Arme und ruft ihm zu: „Fürchte dich nicht, mein Lieber, Sterben ist Erben; die Fluten des Todes haben ihren Quell im Himmel; sie sind nicht bitter, süß sind sie wie Nektar, denn sie entströmen dem Throne Gottes.“ Und wenn der scheidende Heilige die Strömung durchschreitet, und wenn sich die Wellen um ihn her auftürmen, und wenn das Herzblut stockt und der Blick erstarrt, dann flüstert ihm dieselbe Stimme ins Ohr: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott.“ Und wenn er den Gestaden der unbekannten Ewigkeit naht, und schon zurückschaudert vor den Toren des Schattenreichs, spricht Jesus: „Fürchte dich nicht, es ist deines Vaters Wohlgefallen, dir das Reich zu geben.“ So gestärkt und getröstet fürchtet sich der Gläubige nicht, zu sterben; ja, er freut sich abzuscheiden, denn weil er Jesum erblickt hat als den Morgenstern, so sehnt er sich, Ihn anzuschauen und sich an seinem Anblick zu weiden als an einer hellstrahlenden Sonne. Wahrlich, die Gegenwart Jesu ist der ganze Himmel, nach dem uns verlangt.

„Jesu, Jesu, komm zu mir,
O, wie sehn' ich mich nach Dir!
Jesu, Deine Lieb' allein
Kann mein armes Herz erfreu'n!“

Ps. 33,21

Denn unser Herz soll sich seiner freuen, weil wir auf seinen heiligen Namen getraut haben.

Die Wurzel des Glaubens bringt die Blume der Herzensfreude hervor. Zuerst mögen wir uns nicht freuen, aber das kommt seiner Zeit. Wir vertrauen dem Herrn, wenn wir traurig sind, und zur rechten Stunde vergilt Er unsre Zuversicht so, dass unser Glaube sich in Genuss verwandelt und wir uns in dem Herrn freuen. Zweifel brütet Elend aus, aber Vertrauen wird auf die Länge zur Freude.

Die Gewissheit, die der Psalmist in diesem Verse ausdrückt, ist wirklich eine Verheißung, die in den Händen heiliger Zuversicht uns vorgehalten wird. O, dass wir Gnade hätten, sie uns anzueignen. Wenn wir uns nicht in diesem Augenblick freuen, so sollen wir es doch künftig tun, so gewiss Davids Gott unser Gott ist.

Lasst uns über des Herrn heiligen Namen nachsinnen, damit wir Ihm umso besser vertrauen und umso rascher uns freuen. Er ist Seinem Wesen nach heilig, gerecht, wahrhaftig, gnädig, treu und unveränderlich. Soll man einem solchen Gott nicht vertrauen? Er ist allweise, allmächtig und allgegenwärtig, können wir uns nicht freudig auf Ihn verlassen? Ja, wir wollen dies tun. „Jehovah-Jireh, 1. Mose 22,14. Der Herr sieht“ wird versehen, „der Herr des Friedens“ wird Frieden senden, „der Herr, der unsre Gerechtigkeit ist“, wird rechtfertigen, „hier ist der Herr,“ Hes. 48,35, wird ewig nahe sein. Die Deinen Namen kennen, werden Dir trauen, und die Dir trauen, werden sich Deiner freuen, o Herr.

Ps. 34,8

Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so Ihn fürchten und hilft ihnen aus.

Wir können die Engel nicht sehen, aber es ist genug, dass sie uns sehen können. Es ist ein großer Bundesengel da, den wir nicht gesehen haben und doch lieben, und sein Auge ist stets bei Tag und Nacht auf uns gerichtet. Er hat ein Heer von Engeln unter sich, und Er lässt sie Wächter über seine Heiligen sein, und sie vor allem Übel behüten. Wenn Teufel uns Schaden tun, so tun lichte Wesen uns Dienste.

Beachtet, dass der Herr der Engel nicht kommt und geht und uns nur vorübergehend besucht, sondern dass Er und seine Heere sich um uns her lagern. Das Hauptquartier der Armee des Heils ist da, wo die leben, deren Vertrauen auf den lebendigen Gott steht. Dieses Lager umgibt die Gläubigen, so dass sie von keiner Seite angegriffen werden können, wenn der Gegner nicht durch die Verschanzungen des Herrn der Engel brechen kann. Wir haben einen festen Schutz, eine immerwährende Wache. Bewacht von den Boten Gottes, sollen wir nicht durch plötzliche Angriffe überrascht oder durch überwältigende Mächte verschlungen werden. Aushilfe ist in diesem Spruch verheißen - Aushilfe von dem großen Herzog unserer Seligkeit, und diese Aushilfe sollen wir immer wieder erhalten, bis unser Krieg beendet ist und wir das Feld des Kampfes mit der Heimat der Ruhe vertauschen.

Ps. 34,21

Er bewahrt ihm alle seine Gebeine, dass derer nicht eins zerbrochen wird.

Diese Verheißung bezieht sich nach dem Zusammenhang auf den viel leidenden Gerechten: „Der Gerechte muss viel leiden, aber der Herr hilft ihm aus dem allen.“ Er mag an Hautwunden und Fleischwunden leiden, aber kein großer Schaden soll geschehen, „keines seiner Gebeine soll zerbrochen“ werden.

Dies ist ein großer Trost für ein leidendes Kind Gottes, und ein Trost, den ich anzunehmen wage; denn bis zu dieser Stunde habe ich keinen wirklichen Schaden erlitten von meinen vielen Trübsalen. Ich habe weder Glauben, noch Hoffnung, noch Liebe verloren. Nein, anstatt diese Knochen des Charakters zu verlieren, haben sie vielmehr an Stärke und Kraft gewonnen. Ich habe mehr Erkenntnis, mehr Erfahrung, mehr Geduld, mehr Festigkeit, als ich hatte, ehe die Leiden kamen. Nicht einmal meine Freude ist vernichtet worden. Manche Striemen habe ich durch Krankheit, Todesfälle, Niedergeschlagenheit, Verleumdung und Widerstand erhalten; aber die Striemen sind geheilt, und es ist kein komplizierter Knochenbruch, nicht einmal ein einfacher, da gewesen. Der Grund ist nicht weit zu suchen. Wenn wir auf den Herrn vertrauen, so bewahrt Er all unsre Gebeine; und wenn Er sie bewahrt, so können wir gewiss sein, dass nicht eins von ihnen zerbrochen wird.

Komm, mein Herz, traure nicht. Du fühlst Schmerzen, aber keine Gebeine sind zerbrochen. Ertrage Hartes und biete der Furcht Trotz.

Ps. 35,3

„Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe.“

Was lehrt mich dies liebliche Gebet? Es soll heute mein Abendgebet sein; aber zuvor möchte ich gerne Belehrung und Erbauung daraus schöpfen. Die Stelle zeigt mir vor Allem, dass David von Zweifeln heimgesucht ward; denn wie hätte er sonst beten können: „Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe,“ wenn er nicht manchmal von Zweifeln und Ängsten erfüllt war? Darum will ich ganz getrost sein; denn ich bin nicht der einzige unter den Heiligen, der sich über seinen Kleinglauben zu beklagen hat. Wenn ein David zweifelte, so darf ich nicht schließen, ich sei kein Christ, weil ich Zweifel empfinde. Unsere Schriftstelle erinnert mich, dass David sich nicht zufrieden gab, wenn er von Zweifeln und Befürchtungen zu leiden hatte, sondern dass er seine Zuflucht sogleich zum Gnadenthrone nahm, und um Versicherung bat; denn das achtete er mehr, denn viel feines Gold. Auch ich muss nach einer bleibenden Gewissheit streben darüber, dass ich angenehm gemacht bin in dem Geliebten, und darf mir keine Ruhe gönnen, wenn Seine Liebe nicht ausgegossen ist in mein Herz. Wenn mein Bräutigam mich verlassen hat, so muss und will meine Seele fasten. Auch das erfahre ich, dass David wusste, wo er völlige Versicherung erlangen konnte. Er nahte sich seinem Gott im Gebet und rief: „Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe!“ . Ich muss viel mit Gott allein sein, wenn ich ein deutliches Gefühl der Liebe Jesu in mir erfahren will. Wenn mein Gebet ermattet, dann wird das Auge meines Glaubens trübe. Viel im Gebet, viel im Himmel, lässig im Gebet, lässig im Wandel. Ich sehe, dass David keine Ruhe hatte, bis ihm seine Versicherung aus göttlicher Quelle zufloss. „Sprich zu meiner Seele.“ Herr, sprich Du es! Nichts Geringeres, als ein göttliches Zeugnis im Herzen kann den wahren Christen befriedigen. Noch mehr: David ruhte nicht, bis seine Versicherung einen lebendigen persönlichen Grund empfangen hatte. „Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe.“ Herr, wenn Du zu allen Heiligen so sprächest, nur zu mir nicht, so wäre es nichts. Herr, ich habe gesündigt, ich verdiene das Lächeln Deiner Liebe nicht: ich darf kaum darum flehen; aber ach! sprich zu meiner Seele, ja zu meiner Seele: „Ich bin Deine Hilfe.“ (Goldstrahlen März 5)

Ps. 36,8

„Sie werden trunken von den reichen Gütern Deines Hauses.“

Die Königin von Saba war erstaunt über den Reichtum der Speisen auf Salomos Tische. Sie konnte sich nicht mehr enthalten und verwunderte sich, als sie sah, wie vielen Vorrat ein einziger Tag erforderte; sie erstaunte ob der Menge der Diener, ihrem Amt, ihrer Kleidung und ihrer Speise. Aber was ist doch das alles gegen den Haushalt des Gottes der Gnade? Zehntausend mal tausend seiner Angehörigen werden tagtäglich gespeist, sie sind hungrig und durstig und kommen verlangend zum täglichen Gastmahl, aber keiner kehrt je ungesättigt von dannen zurück; es ist genug vorhanden für einen jeden, genug für alle, genug für immer. Wenngleich die Menge derer, die an Jehovahs Tische speisen, unzählig ist wie die Sterne am Himmel, so empfängt dennoch ein jeglicher seinen Teil Speise. Überlege, wieviel Gnade ein einziger Heiliger bedarf; soviel, dass nur der Unendliche ihm für einen Tag das Nötige zu verschaffen imstande ist, und doch deckt der Herr seinen Tisch nicht bloß für einen, sondern für viele Heilige, und nicht nur für einen Tag, sondern für ein Geschlecht nach dem andern. Achte wohl auf die reichliche Fülle, wovon in unserer Schriftstelle die Rede ist; die Gäste am Festmahl der Gnade werden nicht nur gesättigt, sie werden „trunken“, und nicht nur mit gewöhnlicher Speise gesättigt, sondern „trunken“ von den reichen Gütern aus Gottes eigenem Hause; und solche Bewirtung ist zugesagt und zugesichert durch eine wahrhafte Verheißung allen Menschenkindern, die unter dem Schatten der Flügel Jehovahs trauen. Ich meinte einmal, wenn ich nur die Überbleibsel, die vom Gnadentische des Herrn wieder fortgetragen werden, bekommen könnte, so wäre ich glücklich, wie das kananäische Weib, welches sprach: „Aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen;“ aber kein Kind Gottes wird je mit Brosamen und Überresten abgefertigt; gleich Mephiboseth essen sie alle an des Königs Tische. In den Gütern der Gnade wird uns allen ein übervolles Maß zugemessen, wie dem Benjamin; wir bekommen zehnmal mehr, als wir erwarten durften, und ob unsre Bedürfnisse gleich groß sind, so sind wir doch erstaunt über die Fülle der Gnade, welche uns Gott in unserer täglichen Erfahrung zu genießen gibt.

Ps. 36,9

„Bei Dir ist die lebendige Quelle.“

Es gibt in unserer inneren Erfahrung Zeiten, wo menschlicher Rat und menschliche Teilnahme, ja, selbst die Tröstungen der Religion uns nicht zu trösten noch zu helfen vermögen. Warum lässt der Gott der Gnade solches zu? Vielleicht darum, dass wir uns zu sehr von Ihm abgewendet hatten, so dass Er sich veranlasst sieht, uns alles wegzunehmen, worauf wir uns zu verlassen pflegten, auf dass wir möchten zu Ihm getrieben werden. Es ist etwas Seliges, wenn wir am Born der Quelle leben dürfen. So lange unsre Gefäße mit Wasser gefüllt sind, geben wir uns zufrieden wie Hagar und Ismael, ob wir gleich in die Wüste ziehen müssen; wenn sie aber leer sind, so hilft uns nichts andres mehr, als: „Du, Gott, siehest mich.“ Es geht uns wie dem verlornen Sohn, wir lieben die Treber, die die Schweine essen und vergessen unsers Vaters Haus. Bedenkt es, dass wir auch aus den äußern Formen unsers Gottesdienstes Treber machen können; sie sind etwas Köstliches; wenn wir sie aber an Gottes Stelle setzen und Gott selber darüber vergessen, so sind sie ohne allen Wert. Alles kann zum Götzen werden, wenn es uns von Gott fern hält; selbst die eherne Schlange ist ein „Nehustan“ (2 Kön. 18, 4), wenn wir ihr räuchern und sie statt Gott anbeten. Der verlorne Sohn war nie besser daran, als da er sich nach seines Vaters Kuss sehnte, denn damals fand er den rechten Halt wieder. Unser Herr sucht uns in unserm Lande mit Teuerung heim, damit wir uns umso mehr nach dem Himmel sehnen. Die Beste Lage, in der sich ein Christ befinden kann, ist, wenn er ganz und unmittelbar von der Gnade Gottes lebt, wenn er da steht, wo er am Anfang seines geistlichen Lebens stand, „als die nichts inne haben und doch alles haben.“ Wir wollen auch keinen Augenblick dem Gedanken Raum geben, dass unsre Seligkeit in unserer Heiligung stehe, oder in unserer Selbstverleugnung, in unsern Gnadenerfahrungen oder Gefühlen, sondern wir wollen erkennen, dass wir selig sind, weil Christus ein vollgültiges Versöhnungsopfer, für uns dargebracht hat; denn wir sind vollkommen in Ihm. Wir besitzen nichts, worauf wir uns verlassen können; sondern trauen allein auf das Verdienst Jesu. Sein Leiden und heiliges Leben gibt uns allein einen sicheren Grund völliger Zuversicht.

Ps. 36,9

„In Deinem Licht sehen wir das Licht.“

Kein Mund vermag dem Herzen die Liebe Christi zu schildern, bis der Herr Jesus selber sie in demselben kund tut. Alle Beschreibungen bleiben matt und unzureichend, wenn sie der Heilige Geist nicht mit Leben und Kraft erfüllt; bis dass unser Immanuel sich uns innerlich offenbart, sieht Ihn die Seele nicht. Wenn du die Sonne betrachten möchtest, so würdest du wohl schwerlich alle gewöhnlichen Beleuchtungsmittel zusammennehmen und auf solche Weise das herrliche Licht, das den Tag regiert, zu beleuchten suchen. Nein, wer weise ist, weiß wohl, dass die Sonne sich selber offenbaren muss, und dieses gewaltige Licht kann nur durch seinen eignen Glanz erkannt werden. Und so verhält es sich mit Christo. „Selig bist du, Simon, Jona Sohn,“ sprach Er zu Petrus, „denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart.“ Reiniget und veredelt Fleisch und Blut durch die sorgfältigste Erziehung, erhebt die Kräfte des Gemüts zur höchsten Stufe geistiger Vollendung; das alles kann euch Christum nicht offenbaren. Der Geist Gottes muss mit Macht kommen und den Menschen mit seinen Flügeln überschatten, und dann muss in diesem geheimnisvollen Dunkel des Allerheiligsten der Herr Jesus sich dem geheiligten Blick offenbaren, wie Er sich den verblendeten Menschenkindern nicht offenbart. Christus muss sein eigner Brennspiegel sein. Der große Haufen dieser blödsichtigen Welt nimmt nichts wahr von den unaussprechlichen Herrlichkeiten Immanuels. Er kommt ihnen ungestalt und lästig vor, wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich, die von den Toren verschmäht, von den Stolzen verachtet wird. Nur wo der Geist das Auge mit Augensalbe gesalbt, das Herz mit göttlichem Leben erfüllt und die Seele zu einem himmlischen Sinne erzogen hat, nur da wird Er verstanden. „Euch nun, die ihr glaubet, ist Er köstlich;“ euch ist Er der Grund- und Eckstein, der Fels eures Heils, euer eins und alles; andern aber ist Er „ein Stein des Anstoßens und ein Fels der Ärgernis.“ Selig ist, wer die Offenbarung unsres Heilandes empfängt, denn ihm ist die Verheißung gegeben, dass Er Wohnung bei ihm machen will. O Jesu, unser Herr, unser Herz steht Dir offen, komm herein, und ziehe ewiglich nicht wieder fort. Zeige Dich uns! Beglücke uns mit einem Strahl Deiner Liebe!

Ps. 37,3

Traue auf den Herrn und tue Gutes; so sollst du in dem Lande wohnen und wahrlich, du sollst gespeist werden.

Traue und tue sind Worte, die gut zusammengehen in der Ordnung, in welcher der Heilige Geist sie gestellt hat. Wir sollten Glauben haben, und dieser Glaube sollte Werke tun. Vertrauen auf Gott treibt uns zu heiligem Thun an: wir hoffen Gutes von Gott, und dann tun wir Gutes. Wir sitzen nicht still, weil wir trauen, sondern wir raffen uns auf und erwarten, dass der Herr durch uns wirken wird.

Es ist nicht unsre Sache, zu sorgen und Böses zu tun, sondern zu trauen und Gutes zu tun. Wir trauen weder ohne zu tun, noch tun wir ohne zu trauen.

Die Gegner würden uns ausrotten, wenn sie könnten; aber durch Trauen und Thun wohnen wir in dem Lande. Wir wollen nicht nach Ägypten ziehen, sondern bleiben in dem Lande Immanuels - der Vorsehung Gottes, dem Kanaan der Bundesliebe. Man kann uns nicht so leicht los werden wie des Herrn Feinde voraussetzen. Sie können uns nicht hinauswerfen, noch herausstampfen: wo Gott uns einen Namen und einen Platz gegeben hat, da bleiben wir.

Aber wie steht´s mit der Vorsorge für unsre Bedürfnisse? Der Herr hat ein „wahrlich“ in diese Verheißung hineingelegt. So gewiss Gott wahr ist, soll sein Volk gespeist werden. Es ist ihre Sache, zu trauen und zu tun. Wenn nicht von Raben gespeist oder von einem Obadja, oder von einer Witwe, sollen sie doch irgendwie gespeist werden. Hinweg, ihr Befürchtungen!

Ps. 37,4

„Habe deine Lust an dem Herrn.“

Der Sinn dieser Worte muss denen, die einem lebendigen Leben in der Gottseligkeit ferne stehen, im höchsten Grade auffallen, aber dem ernsten, gläubigen Christen sind sie weiter nichts als die Bestätigung einer erkannten Wahrheit. Das Leben des Gläubigen wird hier beschrieben als Freude und Wonne in Gott, und wir werden befestigt in der Überzeugung, dass die wahrhafte Gottesfurcht überströmt von Glück und Seligkeit. Gottlose Menschen und bloße Namen-Christen sehen in der Frömmigkeit nie etwas Erfreuliches: für sie ist dieselbe ein Sklavendienst, eine lästige Pflicht, eine Nötigung, aber nie und nimmer eine Freude und Erquickung. Wenn sie sich überhaupt zum Christentum bekennen, so geschiehts entweder aus Eigennutz, weil sie hoffen, dadurch etwas zu gewinnen, oder aus Furcht, weil sie sich nicht unterstehen, anders zu handeln. Der Gedanke an Freude und Wonne in einem gottesfürchtigen Wandel ist den meisten Menschen etwas so Befremdendes, dass in ihren Redensarten keine zwei Begriffe so weit auseinander gehen, wie die Worte: „Heiliges Leben“ und „Wonne.“ Aber solche Gläubige, die Jesum Christum erkennen, wissen aus Erfahrung, dass Glückseligkeit und Glauben so innig miteinander verknüpft sind, dass auch die Pforten der Hölle sie nicht auseinander zu reißen vermögen. Wer Gott von ganzem Herzen lieb hat, findet jederzeit, dass seine Wege liebliche Wege sind, und alle seine Steige sind Friede. Solche Freude, solche Fülle der Wonne, solche überströmende Glückseligkeit entdecken die Heiligen in ihrem Herrn, dass sie, weit entfernt, Ihm aus bloßer Gewohnheit zu dienen, Ihm freudig nachfolgen, ob auch alle Welt seinen Namen ärger verabscheut als das Böse. Wir fürchten Gott nicht aus irgend welchem Zwang; unser Glaube ist kein Gefängnis, unser Bekenntnis keine Kette, zum heiligen Leben werden wir nicht mit Gewalt geschleppt, wir werden nicht wie Sklaven zu unserer Pflicht geknechtet. Nein, unsre Frömmigkeit ist unsre Freude, unsre Hoffnung ist unser Himmel, unser Wandel ist unsre Wonne, unsre Liebe ist unsre Lust. Freude und wahre Gottesfurcht sind miteinander verwachsen wie Wurzel und Blüte; so untrennbar wie Wahrheit und Gewissheit; sie sind wahrlich zwei herrliche Kleinode, die nebeneinander schimmern in goldener Fassung. „Habe deine Lust an dem Herrn; der wird dir geben, was dein Herz wünscht.“

Ps. 37,4

„Habe deine Lust an dem Herrn; der wird dir geben, was dein Herz wünscht.“

Lust an Gott hat eine umwandelnde Macht, und hebt den Menschen über die groben Wünsche der gefallenen Natur hinaus. Lust an Jehovah ist nicht nur süß an sich, sondern sie versüßet die ganze Seele, bis das Sehnen des Herzens solcher Gestalt wird, dass der Herr sicher verheißen kann, es zu erfüllen. Ist das nicht eine erhabene Lust, die unsre Wünsche formt, bis sie den Wünschen Gottes gleich sind?

Unsre törichte Weise ist, zu wünschen und dann ans Werk zu gehen, um das zu erlangen, was wir wünschen. Wir gehen nicht zu Werk auf Gottes Weise, d.h. wir trachten nicht am ersten nach Ihm und erwarten dann, dass uns „solches alles zufallen“ werde. Wenn wir unser Herz mit Gott erfüllen lassen wollen, bis es vor Freuden überfließt, dann will der Herr selbst Sorge tragen, dass uns kein Gutes mangeln soll. Anstatt nach der Freude weit umher zu suchen, lasst uns daheim bleiben mit Gott, und Wasser aus unserer eigenen Quelle trinken. Er kann viel mehr für uns tun, als alle unsre Freunde. Es ist besser, sich mit Gott allein zu begnügen, als umher zu gehen und nach den armseligen Kleinigkeiten der Zeit und der Sinne zu trachten und zu schmachten. Für eine Weile mögen wir Enttäuschung haben, aber wenn diese uns näher zu dem Herrn bringen, sind sie etwas, was ungemein zu schätzen ist, denn sie werden uns zuletzt die Erfüllung aller unserer rechten Wünsche sicheren.

Ps. 38,21

„Verlass mich nicht, Herr; mein Gott, sei nicht ferne von mir.“

Häufig beten wir, Gott möge uns nicht verlassen in der Stunde der Trübsal und Versuchung, aber wir vergessen dabei nur zu leicht, dass wir zu allen Zeiten nötig haben, solches zu bitten. Es gibt in unserm Leben keinen einzigen Augenblick, wie heilig er auch sei, wo wir seines Beistands und seiner stärkenden Kraft entraten könnten. Im Licht wie in der Finsternis, in seiner Nähe wie in der Stunde der Versuchung, ist uns die Bitte vonnöten: „Verlass mich nicht, Herr, mein Gott.“ „Erhalte mich durch Dein Wort, dass ich lebe; stärke mich, dass ich genese.“ Wenn ein kleines Kind gehen lernt, so bedarf es ununterbrochen der Aufsicht und des Beistandes. Wenn das Schiff vom Steuermann verlassen wird, kommts sogleich vom Kurs ab und treibt als ein Spielball der Wellen ziellos umher. Wir können die beständige Hilfe von oben nicht entbehren. So wollen wir denn täglich darum bitten: „Verlass mich nicht. Vater, verlass Dein Kind nicht, sonst fällt es von Feindeshand. Hirte, verlass Dein Lamm nicht, sonst verirrt es sich von der Herde und ihrer sicheren Hut. Großer Gärtner, verlass Deinen Pflänzling nicht, sonst welkt er ab und stirbt. Verlass mich nicht, o Herr, in diesem Augenblick, und verlass mich nie zu irgend einer Zeit meines Lebens. Verlass mich nicht in meinen Freuden, sonst nehmen sie mein Herz gefangen. Verlass mich nicht in meinen Leiden, sonst murre ich wider Dich. Verlass mich nicht, wenn Du mir Buße schenkst, ich möchte sonst die Hoffnung der Vergebung verlieren und in Verzweiflung stürzen; und verlass mich nicht zur Zeit meines freudigsten und stärksten Glaubens, sonst artet der Glaube in Vermessenheit aus. Verlass mich nicht, denn ohne Dich bin ich schwach, aber mit Dir bin ich stark. Verlass mich nicht, denn mein Pfad ist gefährlich und voller Fallstricke, und ohne Deine Führung bin ich verloren. Die Henne verlässt ihr Küchlein nicht, so bedecke denn auch Du mich mit Deinen Fittichen, und lass mich unter Deinen Flügeln eine Zuflucht finden. Sei nicht ferne von mir, Herr, denn Angst ist nahe, denn es ist hier kein Helfer. Verlass mich nicht, Herr, mein Gott, sei nicht ferne von mir. Eile, mir beizustehen, Herr, meine Hilfe!“

„Mein Stab, mein Hort, mein Licht!
Ach Gott, verlass mich nicht!“

Ps. 38,21.

Herr, mein Gott, sei nicht ferne von mir.

„Abgötterei und Lügen lass ferne von mir sein.“ Spr. 30, 8.

Hier treten uns zwei große Lehren entgegen: wovor wir uns sollen behüten lassen, und was wir erbitten sollen. Der seligste Stand eines Christen ist auch sein heiligster Stand. Gleichwie die Wärme zunächst der Sonne am größten ist, so ist die größte Glückseligkeit da, wo wir Christo am nächsten sind. Kein Christ kann sich glücklich fühlen, wenn seine Blicke von Gott ab und auf eitle Dinge gerichtet sind; er findet keine Befriedigung, wenn seine Seele nicht freudig in den Wegen Gottes geht. Die Welt kann anderswo Vergnügen finden; er nicht. Ich tadle ungöttliche Menschen nicht darüber, dass sie ihren weltlichen Vergnügungen nachrennen. Warum auch? Lasst sie ihre Genüge haben. Es ist ja doch Alles, was sie zu genießen haben. Ein gottseliges Weib, die an ihrem unbekehrten Manne verzweifelte, war stets außerordentlich liebevoll gegen ihn, weil sie sagte: „Ich fürchte, dass dies die einzige Welt ist, wo er noch glücklich sein kann, und darum geht mein Sinnen und Trachten dahin, ihn darin so glücklich zu machen, als es mir möglich ist.“. Aber Christen suchen ihre Wonne in höheren Dingen, als in den gehaltlosen Tändeleien oder sündlichen Freuden der Welt. Jedes eitle Streben ist für wiedergeborene Seelen sehr gefährlich. Wir haben von einem Naturforscher gehört, der in eine Grube fiel, während er zu den Sternen hinauf schaute; aber wie tief fallen die, die abwärts schauen. Ihr Fall ist schrecklich. Kein Christ fühlt sich ruhig, wenn seine Seele träge und sein Gott ferne von ihm ist. Der wahre Christ ist jederzeit wohl geborgen, denn unerschütterlich fest steht sein Heil in Christo; aber er darf sich nie einer sicheren Ruhe hingeben hinsichtlich seines Wachstums in der Heiligung und seiner Gemeinschaft mit Jesu, so lange er hienieden wandelt. Selten wagt sich der Satan an einen Christen, der Gott nahe lebt. Wenn der Christ sich von Gott entfernt, geistlich ermattet und sich an eitlen Dingen zu sättigen sucht, dann glaubt der Teufel, dass der rechte, günstige Augenblick für ihn gekommen sei. Dir steht er Auge in Auge dem Kind Gottes gegenüber, das in seines Meisters Dienst tätig ist; aber der Kampf ist meistens kurz. Ach, schenke uns Gott die Gnade, dass wir in aller Demut vor Ihm wandeln! (Goldstrahlen Juni 13)

Ps. 39,1

„Ich will mich hüten.“

Mit-Pilger, sprich nicht in deinem Herzen: „Ich will hiehin und dahin gehen, und nicht sündigen;“ denn du bist nie und nirgends so außer aller Gefahr des Sündigens, dass du dich der Sicherheit rühmen dürftest. Die Straße ist sehr sumpfig, es wird dir schwer fallen, deinen Pfad so auszuwählen, dass deine Kleider nicht verunreiniget werden. Diese Welt ist wie Pech; du musst dich sehr in Acht nehmen, wenn du sie anrührst, dass du dich nicht besudelst. Es lauert an jeder Straßenecke ein Räuber auf dich, der dich deiner Kostbarkeiten berauben will; in jeder Freude schläft eine Schlange; und wenn du noch den Himmel erreichst, so ists ein Wunder der lautern göttlichen Gnade, die du der Macht deines himmlischen Vaters verdankst. Nimm dich in Acht. Wenn ein Mensch eine Bombe in der Hand trägt, so weiß er, dass er sich keinem brennenden Lichte nahen darf; und so musst du dich hüten, dass du nicht in eine Versuchung gerätst. Sogar dein tägliches Thun ist wie ein scharfgeschliffenes Werkzeug; du musst sorgfältig damit umgehen. Es ist nichts in dieser Welt, was eines Christen Frömmigkeit förderlich wäre, sondern Alles ist für ihn verderblich. Wie sehnlich solltest du darum zu Gott aufblicken, damit Er dich bewahre! Dein stetes Gebet sollte heißen: „Stärke mich, dass ich genese.“ Hast du gebetet, so musst du auch wachen; musst wachen über jeden Gedanken, jedes Wort, jede Tat mit heiligem Eifer. Stelle dich nicht unnötigerweise der Gefahr bloß; wenn du aber auf einen gefährlichen Posten berufen wirst, wenn dir befohlen wird, dahin zu gehen, wo die feurigen Pfeile hin und her fliegen, dann gehe nicht ohne deinen Schild; denn wenn dich der Feind ein einziges Mal ohne Schutz findet, so frohlockt er, dass die Stunde des Sieges für ihn gekommen ist, und streckt dich alsobald nieder mit seinen Waffen, dass du schwer verwundet daliegst. Zwar kann er dich nicht töten; wohl aber darf er dich verwunden. Seid nüchtern und wachet, denn, euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, welchen er verschlinge.“ Darum behüte deine Wege und wache im Gebet. Niemand hat je übel daran getan, dass er zu wachsam war. Möge Gott der Heilige Geist uns auf allen unfern Wegen leiten, so werden sie allezeit dem Herrn wohlgefällig sein. (Goldstrahlen März 14)

Ps. 39,12

„Ich bin Dein Pilgrim.“

Ja, o Herr, ich bin ein Pilger, ein Fremdling bei Dir, aber doch nicht von Dir. Deine Gnade hat alle meine natürliche Entfremdung von Dir wirksam entfernt; und nun wandle ich in Deiner Gemeinschaft durch diese sündige Welt als ein Pilgrim im fremden Lande. Du bist ein Fremdling in Deiner eignen Welt. Der Mensch vergisst Deiner, verunehrt Dich, untersteht sich, Gesetz und Sitte zu ändern und kennt Dich nicht. Dein teurer Sohn kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf. Er war in der Welt, und die Welt ward durch Ihn erschaffen, und die Welt erkannte Ihn nicht. Nie war je ein buntgefiederter Vogel unter dem einheimischen Gevögel so fremd, wie Dein geliebter Sohn unter den Brüdern seiner Mutter. Was kann michs denn noch befremden, wenn ich als Jünger und Nachfolger Jesu hienieden unbekannt und ein Fremdling bin? O Gott, ich möchte da kein Bürgerrecht besitzen, wo mein Herr Jesus ein Fremdling ist. Seine durchgrabene Hand hat die Seile gelockert, die einst meine Seele an diese Erde fesselten, und nun bin ich ein Fremdling geworden im Lande. Meine Sprache scheint diesen Babyloniern, unter denen ich wohne, eine ausländische Mundart, meine Sitten sind ihnen auffallend, mein Tun ist ihnen befremdend. Ein Hottentotte würde sich in meiner Heimat behaglicher fühlen, als ich mich je im Umgang mit Sündern fühlen könnte. Aber das ist das Liebliche meines Loses; Ich bin ein Fremdling bei Dir, „Dein Pilgrim“. Du bist mein Mitgenosse in der Trübsal, mein Mitpilger. O, welche Wonne, in so seliger Gemeinschaft zu pilgern! Brennt nicht mein Herz in mir, wenn Er mit mir redet auf dem Wege; und ob ich gleich ein Wanderer bin, so bin ich doch weit glücklicher als die, die auf Thronen sitzen, und fühle mich heimischer bei Ihm, als die, die in getäfelten Häusern wohnen, bei ihren Schätzen.

„Mein Leben ist ein Pilgrimstand,
Ich reise nach dem Vaterland,
Nach dem Jerusalem dort oben.
Da, wo die hehre Gottesstadt
Mein Herr und Heil gegründet hat,
Da werd' ich einst Ihn ewig loben.
Mein Leben ist ein Pilgrimstand,
Ich reise nach dem Vaterland.“

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/spurgeon/p/spurgeon-psalm_31-_40.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain