Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 27

Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 27

- Ein Psalm Davids. Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten! Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen! - So die Bösen, meine Widersacher und Feinde, an mich wollen, mein Fleisch zu fressen, müssen sie anlaufen und fallen. - Wenn sich schon ein Heer wider mich legt, so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht. Wenn sich Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf ihn. - Eins bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn, und seinen Tempel zu betrachten. - Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er verbirgt mich heimlich in seinem Gezelt und erhöht mich auf einem Felsen, - und wird nun erhöhen mein Haupt über meine Feinde, die um mich sind; so will ich in seiner Hütte Lob opfern, ich will singen und lobsagen dem Herrn. - Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich. - Mein Herz hält dir vor dein Wort: „Ihr sollt mein Antlitz suchen!“ Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz. - Verbirg dein Antlitz nicht vor mir und verstoße nicht im Zorn deinen Knecht; denn du bist meine Hilfe. Lass mich nicht und tue nicht von mir die Hand ab, Gott, mein Heil! - Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich; aber der Herr nimmt mich auf. - Herr, weise mir deinen Weg und leite mich auf richtiger Bahn um meiner Feinde willen. - Gib mich nicht in den Willen meiner Feinde; denn es stehen falsche Zeugen wider mich und tun mir Unrecht ohne Scheu. - Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde das Gute des Herrn im Lande der Lebendigen. - Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!

Überschrift und Inhalt

Ein Psalm Davids. Aus der Überschrift kann man nicht entnehmen, wann dieser Psalm geschrieben worden ist. Aber der Inhalt gibt uns einige Hinweise darauf:

Der Verfasser wird von Feinden verfolgt; er ist vom Hause des Herrn ausgeschlossen; er nimmt Abschied von Vater und Mutter und leidet unter üblen Verleumdungen. All dies trifft zu der Zeit zusammen, als der Edomiter Doeg bei Saul gegen David hetzte. Der Psalm ist ein Lied fröhlicher Hoffnung. Der Psalm ist ein Lied für alle, die gelernt haben, sich in Zeiten der Trübsal auf den Arm des Allmächtigen zu stützen. Die Worte dieses Psalms können in dreifacher Weise verstanden werden: als Worte Davids, als Worte der Gemeinde und als Worte Jesu Christi.

Einteilung: Das Bekenntnis festen Vertrauens auf Gott (Verse 1-5); die Liebe zur Gemeinschaft mit Gott (Verse 4-6); das Gebet (Verse 7-12); das Bekenntnis der Glaubenskraft und eine Ermutigung (Verse 15-14).

Auslegung

V. 1 „Der Herr ist mein Licht und mein Heil.“ Hier ist ganz persönliche Gemeinschaft mit Gott. David sagt: „Mein Licht, mein Heil.“ Er ist sich dieser persönlichen Gemeinschaft mit Gott ganz sicher, und deshalb spricht er davon so frei und offen. „Mein Licht.“ Göttliches Licht kommt bei der Wiedergeburt ins Herz hinein. Es ist der Vorbote des Heils. Wo nicht genug Licht ist, um die eigene Finsternis zu erkennen und sich nach Jesus zu sehnen, ist auch kein Anzeichen des Heils. Das Heil findet uns in der Finsternis, lässt uns aber nicht darin. Das Licht scheint denen, die im Todesschatten sitzen. Wenn wir uns bekehrt haben, ist Gott unsere Freude, unser Trost, unser Führer und Lehrer; er ist in jeder Hinsicht unser Licht. Er ist das Licht in uns, das Licht um uns herum und das Licht durch uns hindurch. Beachte, dass es nicht nur heißt: Der Herr gibt Licht. Sondern David sagt: „Der Herr ist Licht.“ Der Herr gibt nicht nur das Heil, sondern ist auch das Heil selbst. Wer sich im Glauben Gott anvertraut, erhält alle Segnungen des Bundes geschenkt. Nicht jedes Licht ist die Sonne, aber die Sonne ist Quelle allen Lichtes. David zieht nun daraus die Folgerung in Form einer Frage: „Vor wem sollte ich mich fürchten'!“ Das ist eine Frage, die zugleich Antwort ist. Wir brauchen die Mächte der Finsternis nicht zu fürchten, denn der Herr, unser Licht, vernichtet sie. Wir brauchen vor der Verdammnis der Hölle nicht zu erschrecken, denn der Herr ist unser Heil. Das ist eine ganz andere Herausforderung als die des prahlerischen Goliath (1. Sam. 17), weil sie auf einem ganz anderen Grund ruht. Sie beruht nicht auf der trügerischen Stärke von Waffen oder auf der Kraft des Fleisches, sondern auf der wirklichen Macht des allmächtigen „Ich bin“. „Der Herr ist meines Lebens Kraft.“ Ein leuchtendes, kämpferisches Wort! Die Hoffnung Davids ruht auf drei festen Grundlagen, die nicht zerstört werden können: Licht, Heil, Kraft. Unser Leben bezieht alle Kraft aus Gott, der es geschaffen hat. Wenn er uns stark macht, können uns alle Machenschaften des Feindes nicht schwächen. „Vor wem sollte mir grauen?“ Diese kühne Frage umfasst Gegenwart wie Zukunft. Wenn Gott für uns ist, wer kann gegen uns sein, jetzt und für alle Zeiten?

V. 2 „So die Bösen, meine Widersacher und Feinde, an mich wollen, mein Fleisch zu fressen, müssen sie anlaufen und fallen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Als Übeltäter mir nahten, um mein Fleisch zu fressen, meine Bedränger und meine Feinde - sie strauchelten und fielen.“) Dieser Vers berichtet von einer früheren Errettung. Hier haben wir ein Beispiel dafür, wie Erfahrung genutzt werden sollte, um den Glauben in Zeiten der Erprobung stark zu machen. Jedes einzelne Wort in diesem Vers ist lehrreich. „Die Bösen.“ Es ist ein gutes Zeichen, wenn die Bösen uns hassen. Wenn gottesfürchtige Menschen unsere Feinde wären, würde uns das großen Kummer bereiten. Der Hass der Gottlosen aber ist besser als ihre Liebe. „Meine Widersacher und Feinde.“ Da sind viele von ihnen und viele Arten von ihnen; aber alle sind sich einig in ihrer Missgunst und in ihrem Hass. „An mich wollen“ - sie gingen zum Angriff über und sprangen auf ihr Opfer los wie Löwen auf ihre Beute. „Mein Fleisch zu fressen“ - wie Kannibalen wollten sie alle Glieder Davids zerreißen und ein Festessen ihrer Bosheit veranstalten. Den Feinden unserer Seele fehlt es nicht an Gewalttätigkeit; sie üben keinerlei Nachsicht und verdienen deshalb auch selber keine. In welcher Gefahr befand sich David! Beinahe geriet er in die Klauen und Krallen seiner zahlreichen, mächtigen und grausamen Feinde. Aber siehe, wie er sich trotzdem in völliger Sicherheit befand, und wie seine Feinde völlig besiegt wurden! „Sie müssen anlaufen und fallen.“ Gottes Odem blies sie um. Es gab Steine auf dem Weg, an die sie überhaupt nicht dachten. Sie stolperten schmählich. Das geschah buchstäblich in Gethsemane, als die Häscher vor Jesus zurückwichen und zu Boden stürzten. Jesus ist darin ein prophetisches Vorbild für alle Gläubigen, die sich von ihren Knien erheben und durch die Kraft des Glaubens ihre Feinde niederwerfen.

V. 3 „Wenn sich schon ein Heer wider mich legt, so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht.“ Das Herz des Soldaten zittert unter der Spannung, bis der eigentliche Kampf beginnt. Das feindliche Heer, das sich zum Kampf bereit macht, flößt oft größere Furcht ein als dasselbe Heer nachher im Kampf. Der Dichter Young spricht von solchen, „die tausend Tode sterben in der Furcht vor einem.“ Für ängstliche Gemüter ist der Schatten eines gefürchteten Unglücks viel schlimmer als das Unglück selbst. Der Glaube aber stärkt den Mut. „Wenn sich Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf ihn.“ Wenn es dann wirklich zum ersten Speerwurf kommt, wird der Schild des Glaubens den Stoß auffangen. Und wenn es zum Krieg kommt, wird das Banner des Glaubens den Sieg davontragen. Der Gläubige wird nicht mutlos, auch wenn der Krieg lange dauert und eine Schlacht der anderen folgt. Lieber Leser, dieser dritte Vers ist die logische und tröstliche Folgerung aus dem zweiten Vers. Vertrauen ist ein Kind der Erfahrung. Bist du aus großen Gefahren errettet worden? Dann richte deine Standarte auf, wache an deinem Lagerfeuer und lass den Feind wüten!

V. 4 „Eins.“ Geteilte Bestrebungen führen zu Zerstreuung, Schwachheit und Enttäuschung. Der Mann, der nur ein Ziel hat und eine einzige Sache verfolgt, wird Erfolg haben. Alle unsere Bestrebungen und Wünsche sollten zusammengefasst werden und sich auf himmlische Dinge richten. „Eins bitte ich.“ Was wir nicht sofort erlangen können, dürfen wir erbitten. Gott beurteilt uns nach den Wünschen unseres Herzens. Bei seinen Kindern nimmt Gott den Willen für die Tat. „Eins bitte ich vom Herrn.“ Das ist die richtige Zielscheibe unserer Wünsche. Das ist die Quelle, aus der wir schöpfen. Das ist die Tür, an die wir anklopfen. Das ist die Bank, von der wir bald abheben können. Erbitte von Menschen - und du liegst in der Gosse wie Lazarus. Bitte den Herrn - und Engel tragen dich in Abrahams Schoß. Alles, was wir vom Herrn erbitten, sollte geheiligt sein, sollte demütig, ergeben und beständig vorgetragen werden. Und es ist gut, wenn alle unsere Bitten zu einer einzigen zusammenschmelzen, wie es hier bei dem Psalmsänger ist. Man sollte erwarten, dass David in dieser furchtbaren Lage um Ruhe, Sicherheit und vieles andere bitten würde. Aber nein: Er hat sein Herz an das Beste gehängt und lässt alles andere beiseite, „Das hätte ich gerne.“ (Elberfelder Übersetzung: „Nach diesem will ich trachten.“) Heilige Wünsche müssen zu entschlossenem Handeln führen. Ein altes Sprichwort sagt: „Wünscher und Woller sind keine guten Haushalter.“ Und: „Wünschen füllt keinen Sack.“ Wünsche sind Saatkörner, die in den fruchtbaren Boden entschlossenen Handelns gesät werden müssen, sonst bringen sie keine Ernte ein. Unsere Wünsche sind Wolken ohne Regen, wenn ihnen kein praktisches Handeln folgt. „Dass ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang.“ David möchte immer im Palast wohnen, um mit dem König zusammen zu sein. Weit davon entfernt, durch die ständigen Dienste im Tempel angeödet oder gelangweilt zu werden, verlangt ihn danach, sie sein Leben lang als größte Freude ausführen zu dürfen. Vor allem will er dem Hause Gottes ganz angehören, ein Kind im Hause Gottes sein und beim Vater im Vaterhaus leben. Das ist auch unser herzlichster Wunsch. Wir sehnen uns nach dem himmlischen Vaterhaus, der Heimat unseres Herzens. Wenn wir dort für immer wohnen können, kümmern wir uns wenig um gute oder schlechte Tage in diesem armseligen irdischen Leben. „Zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn.“ (Elberfelder Übersetzung: „Anzuschauen die Lieblichkeit des Herrn.“) Das ist eine Aufgabe für die Anbeter Gottes auf Erden und im Himmel. Wir dürfen die Versammlungen der Gläubigen nicht aufsuchen, um zu sehen oder gesehen zu werden oder den und jenen Prediger zu hören. Wir kommen in den Gottesdienst mit dem tiefen Verlangen, unseren liebenden himmlischen Vater besser kennenzulernen, mehr von Jesus zu erfahren und den Geist Gottes in Liebe zu bewundern und in Ehrfurcht anzubeten! Welch ein herrlicher Ausdruck ist das: „Die Lieblichkeit des Herrn.“ Lieber Leser, denke über dieses Wort nach. Noch besser: Schau den Herrn im Glauben an! Wie wird es sein, wenn einst jeder treue Jünger Jesu „den König sehen wird in seiner Schöne!“ (Jes. 53, 17). „Und seinen Tempel zu betrachten.“ (Elberfelder Übersetzung: „Und zu forschen in seinem Tempel.“) Wir sollten unsere Zusammenkünfte im Hause des Herrn benutzen, um zu forschen und zu suchen. Wir fragen nach dem Willen Gottes. Wir fragen, wie wir den Willen Gottes erfüllen können. Wir fragen nach der himmlischen Stadt und suchen mehr Gewissheit. Im Himmel haben wir es nicht mehr nötig, zu fragen und zu forschen; dort werden wir erkennen, wie wir erkannt sind. Aber jetzt sollen wir noch zu Jesu Füßen sitzen und alle unsere Kräfte und Fähigkeiten benutzen, um von ihm zu lernen.

V. 5 Dieser Vers nennt einen ganz besonderen Grund für den Wunsch des Psalmisten, mit Gott Gemeinschaft zu haben:

Er weiß sich dadurch in der Stunde der Gefahr geschützt. „Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit.“ Wenn andere ihn verlassen - Gott schenkt ihm den sichersten Schutz in der äußersten Gefahr. Das königliche Zelt stand im Mittelpunkt des ganzen Heeres. Rundherum hielten Soldaten Wache. So ist der Gläubige geborgen und geschützt, nicht durch seine eigene Kraft, sondern durch die Herrschaft Gottes und durch seine Allmacht, „Er verbirgt mich heimlich in seinem Gezelt.“ Niemand durfte das Allerheiligste betreten; wer es wagte, wurde mit dem Tode bestraft. Wenn der Herr sein Volk dort verbirgt und schützt: Welcher Feind wird es wagen, dort einzudringen? „Er erhöht mich auf einem Felsen.“ Unwandelbarkeit, Ewigkeit und AIlmacht stärken den Gläubigen. Wie herrlich ist der Stand eines Menschen, den Gott selbst hoch über seine Feinde erhebt und auf einen unerschütterlichen Felsen stellt! Wir sehnen uns danach, bei dem Herrn zu wohnen, der sein Volk so wirksam beschützen kann.

V. 6 „Und wird nun erhöhen mein Haupt über meine Feinde, die um mich sind.“ David rechnet fest mit dieser Erhöhung.

Die Gottesmänner der alten Zeit beteten im Glauben; sie zweifelten keinen Augenblick und redeten von der Erhörung ihrer Gebete mit völliger Gewissheit. David war durch den Glauben so sicher, dass er den Sieg über alle seine Feinde davonträgt, dass er schon überlegte, was er tun wird, wenn seine Gegner besiegt zu seinen Füßen liegen. „So will ich in seiner Hütte Lob opfern.“ Die Stätte, nach der er sich während des Kampfes sehnte, sollte seine dankbare Freude sehen, wenn er triumphierend heimkehrte. Er redet nicht von Freudenfesten, die gefeiert werden sollen. Das Lob Gottes ist für ihn der passendste Dank für solche göttliche Befreiungstat. „Ich will singen.“ Das ist der natürlichste Ausdruck der Dankbarkeit. „Und lobsagen dem Herrn.“ Das Gelübde wird durch die Wiederholung bekräftigt und durch den Zusatz erläutert: „Dem Herrn.“ Alle Dankbarkeit gehört dem Herrn. Mag schweigen, wer will; der Gläubige singt, damit sein Lob gehört wird, weil sein Gebet erhört ist. Mag die Eitelkeiten der Welt loben, wer will; der Gläubige weiht sein Lob allein dem Herrn.

V. 7 „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe.“ Das Pendel des geistlichen Lebens schwingt zwischen Flehen und Loben. Die Stimme, die eben noch gesungen hat, beginnt wieder zu flehen. David war ein guter Soldat und wusste, wie er seine Waffen am besten gebrauchen konnte. Er kannte sich auch mit den Waffen des Gebetes sehr gut aus. Achte darauf, wie sehr es ihm daran liegt, wirklich gehört zu werden! Die Pharisäer kümmerten sich nicht im geringsten darum, vom Herrn gehört zu werden, solange sie von Menschen gehört wurden und ihrem Stolz durch laute Frömmigkeit schmeicheln konnten. Aber für den echten Gläubigen ist das Ohr des Herrn alles. Es ist gut, auch in der persönlichen Andacht laut zu beten; man wird nicht so leicht abgelenkt. „Sei mir gnädig.“ Gnade ist die Hoffnung der Sünder und die Zuflucht der Gläubigen. Wer erhörlich beten will, wendet sich immer wieder und ausschließlich an die Gnade. „Und erhöre mich!“ Wir dürfen erwarten, dass unsere Gebete erhört werden. Wenn Gebetserhörungen ausbleiben, sollten wir uns ebensowenig zufrieden geben, als hätten wir einem Freund in wichtigen Angelegenheiten geschrieben und noch keine Antwort erhalten.

V. 8 Wir lernen aus diesem Vers, dass wir dem Herrn antworten müssen, wenn wir wollen, dass der Herr uns antwortet. Der Wille Gottes sollte im Herzen des Gläubigen ein Echo finden wie die Klänge des Alphorns in den Felsen der Alpen. Beachte, dass der Befehl in der Mehrzahl steht und darum an alle Gläubigen gerichtet ist: „Ihr sollt mein Antlitz suchen.“ Der Mann Gottes weiß sich persönlich angesprochen: „Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz.“ Die Stimme des Herrn ist sehr wirksam da, wo alle anderen Stimmen versagen. Die Antwort erfolgt sofort: kaum gesagt, schon getan. Sowie Gott sagt: „Suche!“, sagt das Herz: „Ich suche.“ Wenn wir doch mehr von dieser heiligen Bereitwilligkeit hätten! Wenn wir doch gefügiger in der Hand Gottes und empfindsamer für die Berührung durch den Geist Gottes wären!

V. 9 „Verbirg dein Antlitz nicht vor mir.“ Der Befehl, das Antlitz des Herrn zu suchen, wäre sinnlos und grausam, wenn der Herr sich zurückziehen würde. Dann könnten wir sein Antlitz überhaupt nicht finden. Ein Lächeln des Herrn ist der größte Trost, sein Ergrimmen der furchtbarste Schrecken. „Und verstoße nicht im Zorn deinen Knecht.“ Andere Knechte wurden verstoßen, weil sie untreu waren. So geschah es mit Davids Vorgänger, Saul. Daran dachte David. Er war sich selbst vieler Verfehlungen bewusst, so dass er herzlich darum bittet, Gott möge ihm in Langmut seine Gnade erhalten. „Denn du bist meine Hilfe.“ (Elberfelder Übersetzung: „Denn du bist meine Hilfe gewesen.“) Wir können uns diesem Bekenntnis anschließen. Viele Jahre hat Gott uns durch alle Anfechtungen hindurch aufrecht erhalten, und wir müssen und wollen ihm dafür herzlich danken. Man sagt, dass Undankbarkeit zum Wesen des gefallenen Menschen gehört; für den erneuerten, geistlichen Menschen ist Undankbarkeit etwas Unnatürliches und Verabscheuungswürdiges. „Lass mich nicht und tue nicht von mir die Hand ab.“ Ein Gebet für die Zukunft mit einer Begründung aus der Vergangenheit. Wenn der Herr uns verlassen will, warum hat er dann überhaupt sein Werk mit uns angefangen? Wenn er uns jetzt verlässt, wäre doch alle frühere Hilfe nur vergeudete Mühe. Die erste Bitte bezieht sich auf die augenblickliche Not Davids, die zweite auf die endgültige Entziehung der Gnade. Gegen beides muss gebetet werden. Wir haben unwandelbare Verheißungen, auf die wir uns berufen können. „Gott, mein Heil!“ Das ist ein wunderbarer Gottesname, über den wir lange nachdenken können.

V. 10 „Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich.“ Auch diese innigsten menschlichen Beziehungen zerbrechen. Aber selbst wenn die größte Liebe versiegt, gibt es doch einen Vater, der uns nie vergisst. Einige der größten unter den Heiligen wurden von ihren Familien verstoßen und verfolgt um der Gerechtigkeit willen. „Aber der Herr nimmt mich auf.“ Er wird meine Sache zu der seinigen machen, mich aus meinen Schmerzen aufrichten, mich auf seinen Armen tragen, mich über alle meine Feinde erhöhen und mich schließlich in seine ewige Wohnung aufnehmen.

V. 11 „Herr, weise mir deinen Weg.“ David betet nicht darum, seinen eigenen Weg gehen zu dürfen. Er lässt sich belehren über den Weg, den er nach dem Willen Gottes gehen soll. Diese Bitte offenbart, wie demütig David war. Er wusste um seine eigene Unwissenheit. Aber sein Geist war willig, sich belehren zu lassen, und sein Herz war bereit, zu gehorchen. „Und leite mich auf richtiger Bahn.“ David suchte Hilfe und Leitung. Wir brauchen nicht nur eine Landkarte, sondern auch einen Führer. Ein Weg wird hier gesucht, der offen, ehrlich und gerade ist, im Gegensatz zu den versteckten, gewundenen und gefährlichen Wegen der Hinterlist. Aufrichtige Menschen spekulieren nicht auf hinterlistige Art und unternehmen keine zweifelhaften Dinge. Schlichte Aufrichtigkeit ist der Beste Geist für den Bürger des Himmels. Wir wollen alle hinterlistigen Kunstgriffe und weltlichen Schlauheiten den Bürgern dieser Welt überlassen - die Bürger des neuen Jerusalems sind nur schlichte Menschen. „Um meiner Feinde willen.“ Sie würden uns fangen, wenn sie könnten. Aber der Weg einer offenen, einfachen Ehrlichkeit ist vor ihrer Wut sicher. Auf diesem Weg können sie uns nichts anhaben. Man kann immer wieder beobachten, wie Ehrlichkeit und Einfachheit die Schläue der Gottlosen verwirrt und zerstört! Wahrheit ist Weisheit.

V. 12 „Gib mich nicht in den Willen meiner Feinde.“ Ich wäre wie ein Opfer, das man den Löwen vorwirft. Ich würde zerrissen und verschlungen. Gott sei Dank, dass die Feinde nicht mit uns machen können, was sie wollen. Die Scheiterhaufen würden sonst bald wieder lodern. „Denn es stehen falsche Zeugen wider mich.“ Verleumdung ist eine uralte Waffe aus dem Arsenal der Hölle und wird immer wieder gebraucht. Wie geheiligt ein Mensch auch leben mag, immer gibt es Leute, die ihn verleumden. „Und tun mir Unrecht ohne Scheu.“ (Elberfelder Übersetzung: „Der da Gewalttat schnaubt.“) Diese Gottlosen können nicht reden, ohne gleich die Gläubigen zu verfluchen. So war Paulus vor seiner Bekehrung. Alle, die Gewalttat schnauben, können nichts anderes erwarten, als in die Hölle geschickt zu werden. Dort atmen sie heimatliche Luft. Mögen sich die Verfolger hüten!

V. 13 „Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde das Gute des Herrn im Lande der Lebendigen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Wenn ich geglaubt hätte, das Gute des Herrn zu sehen im Lande der Lebendigen…;“) Herzschwäche ist eine verbreitete Krankheit. David wäre beinahe zusammengebrochen. Aber der Glaube stärkt das Herz und schützt vor dem Zusammenbruch, Hoffnung ist der Balsam des Himmels für die Leiden unseres Lebens. In diesem Land des Todes ist es unser größtes Glück, dass wir nach unserem Erbteil im Land des Lebens ausschauen können. Dort hat die Güte Gottes alle Bosheit der Menschen verbannt. Die Gemeinschaft Heiliger Geister beglückt die verfolgten Gläubigen, die unter den Menschen verachtet werden. Wir müssen glauben, um schauen zu können; nicht sehen wollen, um glauben zu können. Wir müssen die gesetzte Zeit abwarten und unseren Herzenshunger mit dem Vorgeschmack der ewigen Güte Gottes stillen.

V. 14 „Harre des Herrn!“ Harre im Gebet vor seiner Tür! Harre in Demut zu seinen Füßen! Harre aus in seinem Dienst! Harre an seinem Fenster in froher Erwartung! Irdische Gönner zeigen Bittstellern nach langem Warten nichts weiter als die kalte Schulter. Wer seinen Gönner im Himmel hat, ist besser dran! „Sei getrost!“ Das ist das Motto des Soldaten. Es soll auch mein Motto sein. Mut ist das, was wir brauchen, wenn wir Soldaten des Königs Jesu Christi sind. „Sei unverzagt!“ (Elberfelder Übersetzung: „Dein Herz fasse Mut!“) Wenn das Herz stark ist, wird das ganze Leben voll Kraft sein. Ein starkes Herz gibt einen starken Arm. Diese Kraft kommt von Gott. Suche sie bei ihm. „Und harre des Herrn!“ Das ist Davids Bekenntnis und zugleich ein Befehl Gottes.

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