Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 21 - 30

Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 21 - 30

Ps. 22,1

Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen.

Hier erblicken wir den Heiland in der tiefsten Tiefe seiner Leiden. Kein andrer Ort bezeugt die Bangigkeit und Schmerzen Jesu so laut wie Golgatha, und kein andrer Augenblick seiner großen Trübsal ist so voller Todesschrecken, wie der Augenblick, wo sein Schrei die Luft durchschneidet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ In diesem Augenblick vereinigte sich große leibliche Erschöpfung mit der furchtbarsten geistigen Qual ob der Schmach und dem Fluch, durch welche Er hindurchgehen musste; und damit sein Leiden die höchste Stufe erreiche, erduldete Er eine innere Seelenangst, die alle Worte übersteigt, eine Bangigkeit, die in dem Gefühl des Verlassenseins vom Vater ihren Grund hatte. Dies war die schwarze Mitternacht seiner furchtbarsten Schrecknisse; jetzt stieg Er hinab in den tiefsten Abgrund seines Leidens. Kein Mensch vermag sich zu versenken in den vollen Inhalt dieser Worte. Manche von uns meinen zuweilen, sie müssten ausrufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Es gibt Zeiten, wo das strahlende Lächeln unsers Vaters von Wolken und düstern Schatten verhüllt ist, aber wir müssen bedenken, dass Gott uns in Wahrheit nie verlässt. Es ist bei uns nur ein scheinbares Verlassensein von Gott, aber bei Christo wars ein wirkliches Verlassensein. Wir bekümmern uns über eine kleine Entziehung der Liebe des Vaters; aber Gottes wirkliches Abwenden seines Antlitzes von seinem Sohn - wer vermag zu schätzen, welch eine tiefe Seelenpein Ihm dies verursachte?

Lass mich Gottes Zorn erkennen,
Teures Heil! in Deiner Not;
Denn sie war der Hölle brennen.

Uns gibt gar oft der Unglaube diesen Angstruf ein; bei Ihm wars der Ausdruck der furchtbarsten Wahrheit, denn Gott hatte sich Ihm wirklich eine Zeitlang entzogen. O du arme, betrübte Seele, die sonst im Sonnenschein des göttlichen Angesichts wohnte, jetzt aber im Dunkel der Bangigkeit schmachtet, halte daran fest, dass Er dich nicht wirklich verlassen hat. Gott ist auch in Wolken so gut unser Gott, wie wenn Er im vollen Glanz seiner Gnade leuchtet; wenn aber schon der Gedanke, dass Er uns verlassen habe, uns in schwere Kämpfe hineinführt, wie groß muss erst das Leiden unsers Heilandes gewesen sein, als Er ausrief:

Ps. 22,7

Alle, die mich sehen, spotten meiner, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf.

Spott und Hohn hatten großen Anteil an den Leiden unsers Herrn. Judas verhöhnte Ihn im Garten; die Hohenpriester und Schriftgelehrten verlachten und verspotteten Ihn; Herodes verachtete Ihn; die Kriegsknechte und Diener schmähten Ihn und misshandelten Ihn aufs empörendste; Pilatus und seine Söldlinge machten sich lustig über sein Königtum, und am Kreuz umschwirrten Ihn von allen Seiten wie vergiftete Pfeile die entsetzlichsten Scherze und die scheußlichsten Schmähreden. Hohn und Spott ist immer schwer zu ertragen; aber wenn wir in großen Nöten sind, wird er so unbarmherzig, so grausam, dass er bis ins tiefste Fleisch einschneidet. Denkt euch den gekreuzigten Heiland, von übermenschlicher Todesangst und leiblichen Qualen gemartert, und dann denkt euch diese mitleidslose Menge; sie schütteln alle die Köpfe und zischen und martern mit herzloser Härte des heillosesten Spottes ein armes, leidendes Opfer! O, gewiss, es muss in dem Gekreuzigten etwas mehr gewesen sein, als ihre Augen wahrnehmen konnten, sonst hätte nicht eine solche große wirre Menge Ihn so einmütig mit ihrer Verachtung geehrt. War es nicht ein böses Urteil der Selbstverdammung dieser bösen Welt, dass sie im Augenblick ihres höchsten scheinbaren Triumphs doch am Ende diese allüberwindende Güte, die an dem Kreuze thronte, nicht anders verhöhnen konnte, als mit dem Zeugnis seiner aufopfernden Liebestreue? O Jesu, Du „Allerverachtetster und Unwertester, so verachtet, dass man das Angesicht vor Dir verbarg,“ wie konntest Du für Menschen sterben, die Dich so arg misshandelten? O, das ist überschwängliche, göttliche Liebe, eine Liebe über alle Maßen! Auch wir haben Dich verachtet in den Tagen unserer Unwissenheit, und auch seitdem wir wiedergeboren sind, haben wir die Welt, Deine Feindin, in unserm Herzen wieder überhand nehmen lassen, und doch blutetest Du, um unsere Wunden zu heilen, und starbest, um uns das Leben zu geben! Ach, dass wir Dich doch in aller Menschen Herzen erhöhen könnten auf einem herrlichen, erhabenen Thron! Wir möchten gern Dein Lob verkünden über Länder und Meere hinaus, bis dass Dich endlich die Menschen so einmütig anbeten, wie sie Dich einst verachteten!

„Ach, Du hast ausgestanden
Spott, Lästerung und Hohn,
Verachtung, Schmach und Schanden,
Du großer Gottes-Sohn!“

Ps. 22,13

Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt.

Hat je Himmel und Erde einen schmerzlicheren Anblick erlebt? An Seele und Leib fühlte sich unser Herr matt wie Wasser, das auf den Boden geschüttet wird. Das Aufrichten des Kreuzes und seine Befestigung in der Erde hatte seinen armen Körper aufs heftigste erschüttert, hatte jede seiner Muskeln auseinander gerissen, alle seine Nerven aufs furchtbarste aufgeregt, und alle seine Gebeine mehr oder weniger verrenkt. Von der Last seines eignen Leibes gemartert, fühlte Er, wie während sechs langer, banger Stunden jeder Augenblick die Qual steigerte. Das Gefühl der Ermattung und der körperlichen Schwäche war übergroß; Er war in seinen eignen Augen nichts mehr als lauter Elend und ohnmächtiges Siechtum. Als einst Daniel das große Gesicht erblickte, beschrieb er seine Empfindung mit diesen Worten: „Es blieb aber keine Kraft in mir, und ich ward sehr ungestaltet und hatte keine Kraft mehr;“ wieviel mehr musste unser größerer Prophet zittern und zagen, als Er das erschreckliche Gesicht schaute vom Zorn Gottes und diesen Gerichtszorn in den eignen Eingeweiden wüten fühlte! Für uns wären solche Empfindungen, wie unser Herr sie schmecken und trinken musste, unerträglich gewesen, und eine barmherzige Ohnmacht hätte sich unser erbarmt; Er aber war verwundet und fühlte bei vollem Bewusstsein das bohrende Schwert; Er trank den Kelch, und kostete jeden Tropfen seiner Hefe.

Ach, das hat unsere Sünd'
Und Missetat verschuldet,
Was Du an unserer Statt
Aus freier Lieb' erduldet!„

Wenn wir jetzt vor dem Thron unseres erhöhten Heilands liegen, so wollen wir bedenken, womit Er diesen Thron zu einem Thron der Gnade für uns zubereitet hat; wir wollen im Geiste seinen Kelch trinken, damit wir mögen Stärkung empfangen für die Trübsalsstunden, die unser warten. An seinem natürlichen Leibe litt jedes Glied, und so muss auch seine Gemeinde, das ist sein geistlicher Leib, in jedem ihrer Glieder teilhaben an seinem Leiden; aber gleichwie sein Leib aus allen Schmerzen und Leiden unversehrt hervorging zur Herrlichkeit und Kraft, so wird auch sein geistlicher Leib unversehrt durch den Feuerofen gehen, und wird an seinen Gliedern kein Brand zu riechen sein.

Ps. 22,14

Mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.

Unser hochgelobter Herr litt unter einer furchtbaren Zerknirschung und Zerschmelzung seiner Seele. „Wer ein fröhliches Herz hat, der weiß sich in seinem Leiden zu halten; wenn aber der Mut liegt, wer kann es ertragen?“ Eine tiefe Niedergeschlagenheit des Geistes ist das schwerste aller Leiden; alles andre ist nichts dagegen. Wohl mochte der leidende Heiland zu seinem Gott schreien: „Sei nicht ferne von mir; denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.“ Mehr als zu jeder andern Zeit hat ja ein Mensch seinen Gott nötig, wenn ihm das Herz im Leibe zerschmilzt vor Schwermut. Lieber Bruder, komm jetzt mit mir zum Kreuz, und bete demütig den König der Herrlichkeit an, der einmal viel tiefer eingetaucht war in geistige Nöten und innerliche Ängsten, als irgend einer unter uns; und achte, wie Er so ganz dazu angetan ist, ein treuer Hoherpriester zu werden, der da Mitleiden haben könnte mit unserer Schwachheit. Möchten doch vor allem jene unter uns, deren Traurigkeit in der Entziehung des Gefühls von der Liebe des Vaters ihren Grund hat, in einen vertraulichen und innigen Umgang mit dem Herrn Jesu treten. Gebet nicht Raum der Verzweiflung, denn unser Meister ist uns durch alle Dunkelheiten hindurch vorausgegangen. unsere Seelen mögen wohl manchmal von Ungeduld und Furcht gequält werden und fast verschmachten vor Sehnsucht, ob sie das Licht vom Angesicht des Herrn erblicken möchten; aber dann wollen wir uns aufrichten an der lieblichen Gewissheit, dass unser großer Hohepriester Mitleid mit uns hat. unsere Angsttröpflein müssen verschwinden vor dem Meere seiner Leiden; aber wieviel höher sollte eben darum unsere Liebe steigen! Brich herein, du starke und tiefe Jesusliebe, wie das Meer heraufwallet zur Flutzeit, überströme alle meine Kräfte, ersäufe alle meine Sünden, schwemme hinweg alle meine Sorgen, hebe empor meine erdengefesselte Seele, und trage sie hinauf zu meines Herrn Füßen, und lass mich dort zurück als eine arme zerbrochene Schnecke, die seine Liebe aus dem Meeresgrund herausgespült hat, - die unwert und unwürdig, Ihm nur zuflüstern möchte, dass sein lauschendes Ohr in ihr den schwachen Widerhall vernehmen könne von den mächtigen Wogen seiner Liebe, die mich zu seinen Füßen hingelegt hat, mir zur ewigen Wonne und Seligkeit.

Ps. 23,4

Kein Unglück fürchte ich; denn Du bist bei mir.

Sieh, wie unabhängig von allen äußern Umständen und Verhältnissen der Heilige Geist einen Jünger Christi machen kann! Welch ein herrliches Licht kann in uns scheinen, wenn um uns her Alles dunkel ist! Wie sicher, wie selig, wie ruhig, wie reich an Frieden können wir sein, wenn die Welt erzittert und die Grundfesten der Erde sich bewegen! Ja, der Tod selbst mit all seinen furchtbaren Schrecken ist ohnmächtig, die freudige Stimmung eines Christenherzens zu zerstören; vielmehr ertönt die himmlische Musik im Herzen nur umso süßer, heller und seliger, bis die letzte Wohltat, die uns der Tod erweisen kann, uns zu Teil wird, und der irdische Gesang mit den himmlischen Chören verschmilzt und die zeitliche Freude sich auflöst in ewige Wonne! O, darum lasst uns zuversichtlich hoffen auf die Macht des hochgelobten Heiligen Geistes, der uns tröstet. Liebe Seele, siehst du etwa Mangel und Armut voraus? Fürchte dich nicht, der göttliche Geist kann dir in all deinem Mangel eine größere Fülle wahrer Güter schenken, als die Reichen in ihrem Überfluss besitzen. Du weißt nicht, was für Freuden dir zugedacht sind in deiner Hütte, welche die Gnade mit Rosen der Genügsamkeit umpflanzt. Fühlst du, dass deine Körperkräfte mehr und mehr abnehmen? Blickst du langen, leidensvollen Nächten und schweren Schmerzenstagen entgegen? Ach, werde nicht traurig! Dein Tränenlager wird dir zum Throne werden. Was weißt du doch, wie jeder stechende Schmerz, der deinen Körper durchzuckt, zu einem Läuterungsfeuer werden mag, das deine Schlacken verzehrt, zu einem Strahl der Herrlichkeit, der die geheimen Falten deines Herzens durchleuchtet? Werden deine Augen dunkel? Der Herr Jesus will dein Licht sein. Verlässt dich dein Gehör? Der Name deines Jesu wird deiner Seele schönster Gesang sein, und Seine Person deine teuerste Wonne. Sokrates pflegte zu sagen: „Weise können auch ohne Gesang glücklich sein“; aber Christen können noch glücklicher sein als alle Weisen, wenn schon alle äußern Freudenquellen versiegt sind. In Dir, mein Gott, soll mein Herz frohlocken, mag auch von Außen Übels kommen, was da will! Durch Deine Güte, o Heiliger Geist, wird mein Herz unnennbar fröhlich sein, ob mir hienieden auch Alles mangle. (Goldstrahlen April 8)

Ps. 23,4

Und ob ich schon wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unglück; denn Du bist bei mir; Dein Stecken und Stab trösten mich.

Süß sind diese Worte, indem sie die Zuversicht eines Sterbebettes beschreiben. Wie viele haben sie in ihren letzten Stunden mit inniger Freude wiederholt!

Aber dieser Vers ist ebenso anwendbar auf die Angst der Seele mitten im Leben. Einige von uns sterben wie Paulus täglich durch eine Neigung zum Trübsinn. Bunyan legt das Tal des Todesschattens viel früher in die Pilgerreise hinein, als den Strom, der am Fuße der himmlischen Hügel fließt. Manche von uns sind mehrere Male durch die finstere und furchtbare Enge des „Todesschattens“ gegangen, und wir können es bezeugen, dass der Herr allein uns fähig machte, aufrecht zu stehen unter den wilden Gedanken, den geheimnisvollen Schrecken und dem furchtbaren Drucke desselben. Der Herr hat uns gestärkt und uns über aller wirklichen Furcht vor Unglück empor gehalten, selbst wenn unser Geist daniedergebeugt war. Wir sind gedrückt und unterdrückt worden, aber dennoch sind wir am Leben geblieben, denn wir haben die Gegenwart des großen Hirten gefühlt und die Zuversicht gehabt, dass sein Hirtenstab den Feind hindern würde, uns eine tödliche Wunde zu versetzen.

Sollte diese jetzige Zeit eine durch die Rabenflügel eines großen Schmerzes verdunkelte sein, so lasst uns Gott verherrlichen durch ein friedenvolles Vertrauen auf Ihn.

Ps. 23,6

Güte und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.

Ein frommer Dichter singt:

„Herr, wenn in meine Lebenszeit
Du einen Tag legst so, wie heut´,
Der andren Jahren unbekannt,
So lass ihn Dir geheiligt sein,
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
Lass mich ihn Deinem Dienste weih´n!“

Dieser Tag kommt nur einmal in vier Jahren. O, dass wir einen vierfachen Segen dafür gewinnen könnten! Bis hierher sind Güte und Barmherzigkeit, zwei Schutzwachen gleich, uns von Tag zu Tag gefolgt und haben die Nachhut gebildet, wie die Gnade die Vorhut führt; und da dieser besondere Tag einer der Tage unseres Lebens ist, werden die zwei Schutzengel auch heute mit uns sein. Die Güte, um uns mit dem Nötigen zu versorgen, und die Barmherzigkeit, um unsere Sünden auszutilgen - diese Zwillingsschwestern werden jeden unserer Schritte an diesem Tage begleiten und an jedem Tage, bis die Tage nicht mehr sein werden. Lasst uns deshalb dem Herrn an diesem eigentümlichen Tage mit besonderer Hingebung des Herzens dienen und Sein Lob höher und lieblicher singen, denn je. Könnten wir nicht heute der Sache Gottes oder den Armen eine ungewöhnliche Gabe darbringen? Mit der Erfindungskraft der Liebe lasst uns diesen neunundzwanzigsten Februar zu einem Tage machen, dessen ewiglich gedacht werden soll.

Ps. 24,4

Der unschuldige Hände hat, und reines Herzens ist; der nicht Lust hat zu loser Lehre, und schwört nicht fälschlich.

Ein äußerlich geheiligter Wandel ist ein köstliches Zeichen der Begnadigung. Es ist sehr zu fürchten, dass manche Bekenner des Evangeliums die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben derart verkehrt auffassen, dass sie alle guten Werke verachten; wenn sie das tun, dann haben sie ewige Verwerfung zu erwarten am jüngsten Tage. Wenn unsere Hände nicht rein sind, so wollen wir sie im teuern Blut Jesu abwaschen, damit wir reine Hände zu Gott aufheben dürfen, aber „unschuldige Hände“ genügen nicht, wenn sie nicht verbunden sind mit einem „reinen Herzen“. Wahre Gottesfurcht ist Herzenssache. Wir können Kelch und Schüssel auswendig waschen, so lange wir wollen, wenn aber das Innere unrein bleibt, so sind wir ganz unrein vor Gottes Angesicht, denn unsere Herzen sind mehr als unsere Hände, unser wahres Wesen; das eigentliche Leben unseres Wesens liegt in unserer inwendigen Natur, und daraus folgt, wie unumgänglich nötig unsere inwendige Reinigkeit ist. Die da reines Herzens sind, werden Gott schauen, alle Andern sind nur blinde Maulwürfe.

Der Mensch, der zum Himmel geboren ist, „hat nicht Lust zu loser lehre.“ Jeder Mensch hat seine Freuden, durch welche seine Seele erquickt wird; der Weltmensch hat seine Lust an fleischlichen Vergnügungen, welche nichts als leere Eitelkeit sind; aber der Heilige liebt bleibendere und wertvollere Güter; wie Josaphat hat er seine Lust an den Wegen des Herrn. Wer seine Freude an den Träbern hat, gehört zu den Schweinen. Macht dir die Welt Vergnügen? Dann hast du deinen Lohn und dein Teil in diesem Leben; genieße sie recht, denn du hast nichts Besseres mehr zu erwarten.

Und schwöret nicht fälschlich.“ Die Heiligen sind auch Ehrenmänner. Des Christenmenschen Ja und Nein ist sein einziger Eid; aber das ist so gut und sicher, als zwanzig Eide anderer Menschen. Falsches Zeugnis schließt Jedermann vom Himmel aus; denn der Lügner wird nicht hineingehen zum Hause Gottes, was er auch tun und bekennen möge. Lieber Freund, schlägt dich unser Schriftwort im Gewissen, oder hoffst du zu den Höhen deines Gottes zu gelangen? (Goldstrahlen Juli 4)

Ps. 24,8

Der Herr, mächtig im Streit.

Wohl mag unser Gott in den Augen der Seinen herrlich sein, dieweil sie sehen, wie große Wunder Er in ihnen, für sie und durch sie gewirkt hat. Für sie hat der Herr Jesus auf Golgatha jeden Feind überwunden und alle Waffen des Erzfeindes zerstört durch die Vollendung seines Werkes im vollkommenen Gehorsam; durch seine siegreiche Auferstehung und Himmelfahrt hat Er alle Hoffnung der Hölle völlig vernichtet und hat unsere Feinde gänzlich zuschanden gemacht, da Er durch sein Kreuz den Sieg über sie davontrug. Jeder Pfeil der Schuld, den der Satan auf uns hätte schleudern können, ist zerbrochen, denn wer mag die Auserwählten Gottes beschuldigen? Zerschmettert sind die scharfen Schwerter der höllischen Bosheit, und umsonst die beständigen Anläufe der Schlangenbrut. Denn der Lahme in der Gemeinde des Herrn macht Beute, und der schwächste Streiter wird gekrönt. Die Erlösten rühmen und preisen ihren Herrn mit Recht für das, was Er in ihnen gewirkt hat, weil die Pfeile ihrer natürlichen Bosheit geknickt und die Waffen ihrer Empörung zerschmettert sind. Welche Siege hat die Gnade in unseren boshaftigen Herzen errungen! Wie herrlich erscheint Jesus, wenn der Wille gebeugt, wenn die Sünde entthront ist! Und was uns noch Sündliches anhaftet, soll gleicherweise überwunden werden, und jede Versuchung, jeder Zweifel, jede Furcht soll gänzlich überwunden werden. In dem Salem unserer friedlichen Herzen ist der Name Jesu über alle Maßen herrlich; Er hat unsere Liebe gewonnen und wird sie behalten. Ganz ebenso dürfen wir auf Siege hoffen, die Er durch uns erkämpft. Wir überwinden weit durch Den, der uns geliebt hat. Wir werden die Mächte der Finsternis unterwerfen, die in der Welt sind, durch unseren Glauben, durch unseren Eifer und durch unsere Heiligung; wir werden Sünder für Jesum gewinnen, wir werden falsche Lehren zuschanden machen, wir werden Völker bekehren, denn Gott ist mit uns, und niemand mag uns widerstehen. Christlicher Streiter, singe deinen Schlachtgesang, und mache dich bereit zum morgenden Kampf. Der in uns ist, ist größer, denn der in der Welt ist. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge, und die Berge mitten ins Meer sänken.

Ps. 25,5

Leite mich in Deiner Wahrheit, und lehre mich; denn Du bist der Gott, der mir hilft. Täglich harre ich Deiner.

Wenn der Gläubige mit zitternden Füßen angefangen hat, in Gottes Wegen zu wandeln, so begehrt er weiter geleitet zu werden, wie ein kleines Kind, das der Mutter hilfreiche Hand aufrecht erhält, und er sehnt sich nach umfassenderer Unterweisung in den Anfangsgründen der Wahrheit. Die Grundrichtung seines Gebets ist das Verlangen nach innerer Erfahrung. David hatte viel Erkenntnis, aber er fühlte seine Unwissenheit wohl und begehrte, in der Schule des Herrn fortgebildet zu werden; viermal in zwei Versen bittet er um Belehrung in der Schule der Gnade. Es wäre gut, wenn manche Bekenner der evangelischen Wahrheit, statt ihren eigenen Ansichten zu folgen und sich neue Bahnen der Erkenntnis zu suchen, nach den guten alten Wegen der ewigen Gottes-Wahrheit fragten und den Heiligen Geist darum anflehten, dass Er ihnen ein geheiligtes Verständnis und ein gelehriges Herz schenken möchte. „Denn Du bist der Gott, der mir hilft.“ Der dreieinige Jehovah ist der Urheber und Vollender des Heils Seines Volkes. Liebe Seele, ist Er der Gott deines Heils? Ist Er der Gott, der dir hilft? Findest du in des Vaters Gnadenwahl, in des Sohnes Versöhnung und in des Heiligen Geistes Erweckung den letzten und höchsten Grund deiner ewigen Hoffnungen? Dann darfst du diese Wahrheit als dein Pfand betrachten, dass dir noch weitere Segnungen zu Teil werden sollen; wenn der Herr dich zur Seligkeit verordnet hat, so verweigert er dir wahrlich nicht, dich noch weiter in den Wegen Seines Heils zu unterrichten. Es ist etwas Seliges darum, wenn wir den Herrn mit der Zuversicht anrufen können, die wir hier bei David finden; sie gibt unserm Gebet eine große Kraft und tröstet uns in Trübsal. „Täglich harre ich Deiner.“ Geduld ist die schöne Dienerin und Tochter des Glaubens; wir harren freudig, wenn wir gewiss wissen, dass wir nicht umsonst warten. Es ist unsere Pflicht und unser Vorrecht, des Herrn zu harren im Gottesdienst, im Gebet, in der Hoffnung, im täglichen Vertrauen auf Seine Hilfe. Unser Glaube muss in der Prüfung geläutert werden, und wenn er rechter Art ist, so erträgt er auch die dauerndste Prüfung ohne Wanken. (Goldstrahlen Juli 8)

Ps. 25,18

Sieh an meinen Jammer und Elend, und vergib mir alle meine Sünde.

Wohl uns, wenn unsere Gebete um Erlösung aus unsern Leiden verbunden sind mit Bitten wegen unserer Sündennot, wenn wir da, wo die Hand Gottes schwer auf uns liegt, uns nicht gefangen nehmen lassen von unserer Trübsal, sondern auch unserer Übertretungen eingedenk sind. Es ist gut, wenn wir beides, Sünden und Sorgen, an denselben Ort bringen. David kam mit seinem Jammer und Elend zu Gott; seinen Gott bekannte David auch seine Sünden. Daraus siehst du, dass wir unsere Trübsal vor den Thron Gottes bringen müssen. Wirf deine Anliegen auf Gott deinen Herrn, denn Er zählt auch die Haare auf deinem Haupte. Gebe hin zu Ihm, deine gegenwärtige Trübsal sei, welcher Art sie wolle, so wirst du Ihn bereit und willig finden, dich zu erleichtern.

Aber wir müssen auch unsere Sünden vor den Thron Gottes bringen. Wir müssen sie zum Kreuz mitnehmen, damit das Versöhnungsblut darauf falle und ihre Schuld austilge.

Die besondere Lehre aber, die wir aus unserer Schriftstelle ziehen, ist die, dass wir mit unsern Sorgen und Sünden im rechten Geiste zum Herrn gehen. Achte darauf, dass Alles, was David hinsichtlich seines Elendes bittet, in nichts Anderem besteht, als: Sieh an meinen Jammer und Elend;„ aber die nächste Bitte ist bei weitem bestimmter, entschiedener, dringender, deutlicher: „Vergib mir alle meine Sünde.“ Manche schwergeprüfte Gläubige hätten vielleicht eher gesagt: „Nimm weg all' meinen Jammer und Elend und siehe meine Sünden an.“ Aber so spricht David nicht; er ruft aus: „Herr, was meinen Jammer und Elend betrifft, so will ich Deiner Weisheit nichts vorschreiben. Herr, siehe sie an, ich überlasse sie ganz Dir, ich hätte eine große Freude, wenn sie mir ganz abgenommen würden, aber tue nach Deinem Wohlgefallen; doch was meine Sünden betrifft, o Herr, so weiß ich wohl, was ich gerne hätte: ich brauche Vergebung, ich kann es keinen Augenblick länger ertragen, unter ihrem Fluche zu liegen.“ Ein Christ schätzt seine Leiden geringer auf der Waage, als seine Sünden; wenn seine Trübsale noch länger andauern, so kann er es wohl erdulden, aber die Last seiner Übertretungen wird ihm unerträglich. (Goldstrahlen April 11)

Ps. 26,9

Raffe meine Seele nicht hin mit den Sündern.

Furcht gab dem König David dies Gebet ein, denn es flüsterte ihm etwas zu: „Vielleicht wirst du am Ende doch noch mit den Gottlosen hingerafft.“ Diese Furcht, obgleich vom Unglauben befleckt, entspringt in der Hauptsache doch aus einer heiligen Bekümmernis, die in der Erinnerung an begangene Sünden ihren Grund hat. Auch der Mensch, der Vergebung empfangen hat, fragt ernstlich: „Wie, wenn zuletzt meiner Sünden gedacht werden sollte, und ich ausgeschlossen bliebe vom Verzeichnis der Erretteten und Seligen?“ Er denkt an seine gegenwärtige Dürre: so wenig Gnade, so wenig Liebe, so wenig Heiligung; und wenn er in die Zukunft blickt, sieht er seine Schwachheit an und die vielen Versuchungen, die auf ihn warten; und er fängt an, sich zu fürchten, er möchte fallen und dem Feinde zur Beute werden. Ein Gefühl der Sünde und des vorhandenen Bösen und sein innewohnendes Verderben zwingen ihn, mit Furcht und Zittern zu beten: „Raffe meine Seele nicht hin mit den Sündern.“ Lieber Freund, wenn auch du dies Gebet gebetet hast, und wenn dein Gemütszustand in dem Psalm, welchem es entnommen ist, richtig geschildert ist, so brauchst du nicht zu fürchten, dass du werdest mit den Sündern hingerafft werden. Hast du die beiden Tugenden, welche David besaß: den äußeren Wandel in Aufrichtigkeit und das inwendige Vertrauen auf den Herrn? Verlässt du dich auf das Versöhnungsopfer Christi, und kannst du die Hörner des göttlichen Altars mit demutsvoller Hoffnung umfassen? Ists also, dann sei versichert, dass du nicht mit den Gottlosen hingerafft wirst, denn solches Unglück ist unmöglich. Das Einsammeln am jüngsten Gericht ist leicht zu verstehen. „Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, dass man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheunen.“ Gleichest du nun dem Volk Gottes, so wirst du eingesammelt mit dem Volk Gottes. Du kannst nicht mit den Boshaftigen hingerafft werden, denn du bist zu teuer erkauft. Weil du versöhnt bist durch das Blut Christi, so bist du sein ewiges Eigentum, und wo Er ist, da müssen die Seinen auch sein. Du stehst zu hoch in seiner Liebe, als dass Er dich verwerfen könnte mit den Verworfenen. Sollte auch nur einer umkommen, der Christo teuer ist? Unmöglich!

Ps. 27,1

Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?

Der Herr ist mein Licht und mein Heil.“ Hier ist ein persönlicher Anteil vorhanden: „mein Licht“, „mein Heil“; die Seele ist dessen gewiss, und darum bezeugt sies bestimmt. In der neuen Geburt wird in die Seele Licht ausgegossen als der Vorläufer des Heils; wo nicht genug Licht ist, um uns unsere Dunkelheit zu zeigen und uns ein Verlangen nach dem Herrn Jesus einzuflößen, da ist keine Gewissheit der Seligkeit. Nach der Bekehrung ist Gott unsere Freude, unser Trost, unser Führer, unser Lehrer und in jeder Hinsicht unser Licht: Er ist Licht in uns, Licht um uns, Licht, das von uns zurückgestrahlt wird, und Licht, das uns offenbart wird. Beachte wohl, es heißt nicht bloß, dass der Herr Licht gibt, sondern: Er ist das Licht; auch nicht, dass Er das Heil gibt, sondern: Er ist das Heil; wer sich also durch den Glauben Gott zugeeignet hat, hat alle Bundesgnaden in seinem Besitz. Nachdem diese Wahrheit uns zur Gewissheit geworden ist, führt uns unser Schriftwort die Folgerung, die sich daraus ergibt, mit der Frage zu Gemüt: „Vor wem sollte ich mich fürchten?“ Eine Frage, die ihre eigene Antwort ist. Die Mächte der Finsternis brauchen wir nicht zu fürchten, denn der Herr, unser Licht, zerstört sie; und vor der höllischen Verdammnis darf uns nicht grauen, denn der Herr ist unser Heil. Das ist eine ganz andere Herausforderung als die des ruhmredigen Goliath; denn sie verlässt sich nicht auf die betrügliche Kraft eines fleischernen Arms, sondern auf die gewisse Macht des allüberwindenden Jehovah. „Der Herr ist meines Lebens Kraft.“ Hier ist eine dritte leuchtende Wahrheit, die uns zeigt, dass des Sängers Hoffnung mit einer dreifältigen Schnur geknüpft ist, die nicht reißt. Wir dürfen die Ausdrücke unseres Lobes wohl häufen, wo der Herr Seine Gnadenwirkungen so reichlich über uns ausgießt. Unser Leben empfängt alle seine Kraft von Gott, und wenn es Ihm wohlgefällt, uns stark zu machen, so vermögen alle Ränke des Widersachers uns nicht zu schwächen. „Vor wem sollte mir grauen?“ Diese kühne Frage schaut in die Zukunft, wie in die Gegenwart, „Wenn Gott für uns ist“, wer mag wider uns sein? (Goldstrahlen Juni 16)

Ps. 27,14

Harre des Herrn.

Es mag uns vorkommen, es sei etwas Leichtes um das Harren, aber es ist eine Aufgabe, die ein christlicher Streiter erst nach jahrelanger Übung lernt. Eilmärsche und Schanz-Arbeiten kommen dem Krieger Gottes leichter an, als das Stillesein und Harren. Es gibt Stunden der erwartungsvollsten Ungewissheit, wo der bereitwilligste Christ in seinem Verlangen, dem Herrn zu dienen, nicht weiß, welchen Weg er einschlagen, wofür er sich entscheiden soll. Was soll er dann tun? Sich mit Unruhe ängstigen? Soll er feige fliehen, soll er furchterfüllt zur Rechten ausweichen, soll er vermessen vorandringen? Nein, er soll ganz einfach harren. Aber: harre im Gebet. Schreie zu Gott, und wirf dein Anliegen auf Ihn; sag' Ihm, was dich drückt, was dich ängstigt, und berufe dich auf seine Verheißung, dass Er dich nicht wolle verlassen noch versäumen. In Zweifeln, wie du dich zwischen verschiedenen unvereinbaren Pflichten entscheiden sollest, ists köstlich, dass wir in Kindesdemut uns bescheiden, und in Seeleneinfalt auf den Herrn harren dürfen. Es schlägt gewiss zu unserm Heil aus, wenn wir unsere Unwissenheit fühlen und erkennen und von Herzen willig sind, uns vom göttlichen Willen leiten zu lassen. Aber harre im Glauben. Beweise dein unerschütterliches Vertrauen auf Ihn; denn ein ungläubiges, zweifelloses Harren ist nur eine Schmach für den Herrn. Glaube, dass, wenn Er dich auch bis tief in die Nacht hinein harren lässt, Er dennoch zu rechter Zeit erscheint; sein Kommen ist gewiss und verziehet nicht. Harre in stiller Geduld; lehne dich nicht auf, weil du unter der Rute der Heimsuchung still halten musst, sondern segne und preise Gott dafür. Wünsche nie, du möchtest lieber wieder zur Welt zurückkehren, sondern nimm alles so an, wies Gott schickt, und schicke dich darein mit willigem Herzen und einfältigem Gemüt, ohne allen Eigenwillen; überlass alles der Hand deines Bundes-Gottes und sprich: „Sieh, Herr, nicht mein, sondern Dein Wille geschehe. Ich weiß nicht, was ich tun soll; ich bin ratlos und weiß keinen Ausweg mehr, aber ich will harren, bis dass Du die Fluten zerteilst oder meine Feinde hinter mir zurücktreibst. Ich will harren, wenn du mich auch tagelang hinhältst, denn mein Herz verlässt sich allein auf Dich, o Gott, und mein Geist harrt Deiner in der völligen Überzeugung, dass Du dennoch mein Trost und mein Teil bist, meine Zuflucht und meine Burg.

Ps. 27,14

Harre des Herrn, sei getrost, so wird Er dein Herz stärken; harre, sage ich, des Herrn.

Harre! harre! Lass dein Harren ein Harren auf den Herrn sein! Er ist es wert, dass du auf Ihn harrest. Er täuscht niemals die harrende Seele.

Während des Harrens halte deinen Mut aufrecht. Erwarte eine große Befreiung und sei bereit, Gott dafür zu loben.

Die Verheißung, welche dich ermutigen sollte, ist in der Mitte des Verses – „so wird Er dein Herz stärken.“ Das geht sogleich auf das, wo du Hilfe nötig hast. Wenn das Herz gesund ist, so wird der ganze übrige Organismus in Ordnung sein. Das Herz braucht Beruhigung und Ermutigung, und beides wird kommen, wenn es gestärkt ist. Ein starkes Herz ruhet und freuet sich und schlägt Kraft in den ganzen Menschen hinein.

Niemand anders vermag an diese geheime Urne des Lebens zu gelangen, so dass er Stärke hinein gießen kann. Er allein, der es machte, kann es stark machen. Gott ist voll Kraft und kann diese deshalb denen mitteilen, die sie nötig haben. O, sei tapfer; denn der Herr wird dir seine Kraft mitteilen, und du sollst ruhig im Sturm und froh im Schmerze sein.

Der diese Zeilen schrieb, kann sprechen, wie David es tat: „Harre, sage ich, des Herrn.“ Ich sage es in der Tat. Ich weiß durch lange und tiefe Erfahrung, dass es gut für mich ist, des Herrn zu harren.

Ps. 28,1

Wenn ich rufe zu Dir, Herr, mein Hort, so schweige mir nicht, auf dass nicht, wo Du schweigst, ich gleich werde denen, die in die Hölle fahren.

Ein Schrei ist der natürlichste Ausdruck der Angst und die geeignetste Art, unsere Empfindungen zu äußern, wenn uns alle andern Mittel, uns verständlich zu machen, fehlschlagen; aber solch ein Aufruf muss ganz allein an den Herrn gerichtet sein, denn der Ruf zu den Menschen verhallt umsonst und ungehört. Wenn wir der Bereitwilligkeit eingedenk sind, mit welcher der Herr auf unser Flehen hört, so haben wir den allerbesten Grund, unsere Anliegen unmittelbar vor den Gott unsers Heils zu bringen. Es wäre vergeblich, wenn wir am Tage des Gerichts wollten die Felsen anrufen, aber unser Fels hört auf unser Schreien.

„Schweige mir nicht!“ Wer nur ein Lippendiener ist, begnügt sich mit seinem Beten, und wartet auf keine Erhörung; aber ein echter Beter kann das nicht; er begnügt sich nicht damit, dass das Gebet an und für sich im Stande ist, das Gemüt zu beruhigen und den eigenen Willen zur Geduld und zum Gehorsam zu führen; er muss mehr empfangen, will wirkliche Erhörung vom Himmel erlangen, sonst hat er keine Ruhe; und nach dieser Erhörung sehnt er sich bald, und wenn Gott ein wenig schweigt, so ängstigt er sich. Gottes Stimme ist oft so furchtbar, dass die Wüste darob erzittert; aber nicht minder schmerzlich ist sein Schweigen einem dringenden Beter. Wenn Gott Sein Ohr zu verschließen scheint, dürfen wir darum unsern Mund nicht auch zutun, sondern wir müssen nur umso ernstlicher rufen; denn wenig unsere Stimme vor Angst und Schmerz heiser wird, verweigert Er uns Seine Erhörung nicht lange. In was für eine schreckliche Lage kämen wir, wenn der Herr auf all unser Bitten ewig stumm bliebe? „Auf dass nicht, wo Du schweigest, ich gleich werde denen, die in die Hölle fahren.“ Des Gottes beraubt, der Gebete erhört, wären wir in einem erbarmungswürdigern Zustand, als wenn wir tot im Grabe lägen, und würden bald so tief gesunken sein, wie die Verlornen in der Hölle. Wir müssen Erhörung finden auf unsere Gebete: unser Anliegen erfordert dringend Erhörung; gewiss wird der Herr zu uns „Friede“ sagen, denn Er kann es nicht ertragen, dass Seine Auserwählten sollten umkommen, (Goldstrahlen Juli 2)

Ps. 28,9

Erhöhe sie ewiglich.

Gottes Kinder bedürfen einer Erhöhung. Sie sind von Natur sehr schwerfällig. Sie haben keine Flügel, oder wenn sie Flügel haben, so geht es ihnen wie einer Taube, die im Netz getragen wird; und sie haben nötig, dass die göttliche Gnade ihnen helfe auffahren mit glänzenden Flügeln, die wie Silber und Gold schimmern. Von selbst fliegt der Funke aufwärts, aber die sündebeschwerten Seelen der Menschen fallen zurück. O Herr! „erhöhe sie ewiglich!“ David selber sprach: „Nach Dir, Herr, verlanget mich,“ und in unserer Stelle fühlt er die Nothwendigkeit, dass auch anderer Menschen Seelen ein solches Verlangen empfinden sollten wie er.

Wenn ihr diesen Segen für euch erbittet, so vergesset nicht, ihn auch für Andere zu erflehen. Es gibt eine dreifache Weise, wie die Kinder Gottes nach dieser Erhöhung verlangen. Sie möchten gern erhöht werden in ihrem Gemüt. Erhöhe sie, o Herr; gib nicht zu, dass die Deinen der Welt gleich seien! Die Welt liegt im Argen, erhöhe sie aus dem Sumpf dieser Welt. Die Kinder dieser Welt sehen mit ihren Augen nach Reichtum: Silber und Gold; sie trachten nach eitler Lust und verlangen nach der Befriedigung ihrer Leidenschaften. Aber, o Herr, erhöhe Dein Volk über solches Alles; bewahre sie, dass sie keine Geizknechte werden, die kein anderes Verlangen haben, als immer nur Gold zusammen zu raffen! Richte ihre Herzen zu, dass sie ihren auferstandenen Herrn und Heiland suchen und nach dem himmlischen Erbe trachten! Dann bedürfen die Gläubigen der Erhöhung im Streite. Wenn der Feind ihnen den Fuß auf den Nacken gesetzt hat, dann hilf ihnen das Schwert des Geistes ergreifen und den endlichen Sieg erringen. Herr, erhöhe den Geist Deiner Kinder am Tage der Prüfung; lass sie nicht im Staube liegen und ewiglich trauern. Gestatte dem Widersacher nicht, sie schwer zu versuchen und übel zuzurichten; wenn sie aber wie Hanna lange sind verfolgt und gequält worden, so gib ihnen einen Freudengesang in den Mund von der Gnade des erlösenden Gottes.

Endlich wollen wir unsern Herrn bitten, dass Er sie erhöhe am Ende. Erhöhe sie damit, dass Du sie zu Dir heimnimmst; erhöhe ihren sterblichen Leib aus dem Grabe, und erhebe ihre Seelen in Dein herrliches Reich der Vollendung! (Goldstrahlen April 15)

Ps. 29,2

Bringt dem Herrn Ehre seines Namens.

Gottes Ehre geht aus dem Wesen und den Taten Gottes hervor. Er ist herrlich in seinem Wesen, denn es ist solch eine Fülle alles dessen, was heilig und lieblich und gut ist, in Gott, dass Er voller Herrlichkeit sein muss. Und die Taten, die Er tut, müssen auch herrlich sein, denn sie fließen aus seinem Wesen; weil Er aber will, dass all sein Tun seinen Geschöpfen seine Güte und Gnade und Gerechtigkeit offenbaren soll, so wacht Er sorgfältig darüber, dass die damit verbundene Ehre nur Ihm allein gegeben werde. Auch ist nichts an uns, worin wir uns rühmen könnten; denn wer ists, der uns über andre erhebt? Und was haben wir, das wir nicht empfangen hätten von dem Gott aller Gnade? Darumsollten wir auch alle Sorgfalt anwenden, dass wir demütig wandeln vor dem Herrn! Sobald wir uns selber rühmen und herrlich machen, so lehnen wir uns als Empörer wider den Höchsten auf, als solche, die gleiche Ehre mit Ihm ansprechen, da doch in dem All der Dinge nur Raum für eine Ehre ist. Darf die Made, die eine Stunde lebt, sich gegen die Sonne erheben, die sie mit ihren wärmenden Strahlen ins Leben gerufen hat? Darf das irdene Gefäß sich auflehnen wider den Töpfer, der es auf der Scheibe geformt hat? Mag auch der Sand der Wüste rechten mit dem Sturmwind? oder mögen die Tröpflein im Ozean sich dem heulenden Orkan widersetzen? Bringet her dem Herrn, ihr Gerechten, bringt her dem Herrn Ehre und Stärke; bringt dem Herrn Ehre seines Namens, betet an den Herrn im heiligem Schmuck. Und dennoch ists im Leben des Christen vielleicht einer der schwersten Kämpfe, bis er den Spruch lernt: „Nicht uns Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gib Ehre.“ Es ist eine Lehre, die uns der Herr beständig wiederholt, ja, oft unter schmerzhafter Züchtigung einschärft. Wenn ein Christ anfängt zu rühmen: „Ich vermag alles,“ und nicht hinzusetzt: „durch Den, der mich mächtig macht, Christum,“ so wird er in kurzem seufzen müssen: „Ich vermag nichts,“ und wird sich im Staube demütigen. „Wer sich rühmen will, der rühme sich des, dass er mich wisse und kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit übt, spricht der Herr.“ Wenn wir etwas für den Herrn tun, und es Ihm gefällt, unser Tun anzunehmen, so wollen wir Ihm unsere Krone zu Füßen legen, und ausrufen: „Nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir gewesen ist!“

Ps. 29, 11

Der Herr wird seinem Volk Kraft geben; der Herr wird sein Volk segnen mit Frieden.

David hatte soeben die Stimme des Herrn in einem Gewitter gehört und seine Macht gesehen in einem Orkan, dessen Pfad er beschreibt; und nun, in der kühlen Stille nach dem Sturm, wird verheißen, dass diese überwältigende Macht, durch die Himmel und Erde erschüttert werden, die Kraft der Auserwählten sein soll. Er, der den niemals irrenden Pfeil beflügelt, will seinen Erlösten die Flügel der Adler geben; Er, der die Erde mit seiner Stimme erschüttert, will die Feinde seiner Heiligen erschrecken und seinen Kindern Frieden geben. Warum sind wir schwach, wenn wir göttliche Stärke haben, zu der wir fliehen können? Warum sind wir unruhig, wenn des Herrn eigner Friede unser ist? Jesus, der mächtige Gott, ist unsere Kraft; lasst uns Ihn anziehen, und ausgehen zu unserem Dienste. Jesus, unser teurer Herr, ist auch unser Friede; lasst uns heute in Ihm ruhen und unserer Furcht ein Ende machen. Was für ein Segen, Ihn als unsere Kraft und unseren Frieden zu haben, jetzt und auf ewig!

Derselbe Gott, der auf dem Sturme daherfährt in den Tagen des Ungewitters, wird auch dem Orkan unserer Trübsale gebieten und uns binnen kurzem Tage des Friedens senden.

Wir sollen Kraft für Stürme, und Lieder für schönes Wetter haben. Lasst uns sogleich beginnen, dem Gott unserer Kraft und unseres Friedens zu singen. Hinweg, dunkle Gedanken! Auf, Glaube und Hoffnung!

Ps. 30,5

Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens die Freude.

Lieber Christ! Wenn du in der Nacht der Trübsal trauerst, so hoffe auf den Morgen; tröste deine Seele mit der Aussicht auf die Zukunft deines Herrn. Sei geduldig, denn „Des Menschen Sohn wird kommen In seiner Herrlichkeit.“ Sei geduldig! Der Landmann harrt, bis er die Ernte einbringe. Sei geduldig, denn du weißt ja, wer Der ist, der gesagt hat: „Sieh, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.“ Und wenn du jetzt noch so elend wärest, so fasse Mut! „Hebet eure Häupter auf, Die Erlösung ist nicht ferne!“ Vielleicht ist jetzt dein Haupt mit mancherlei Dornen der Trübsal gekrönt; aber einst wird es eine Sternenkrone tragen, und es dauert bis dahin nicht mehr so lange. Oder ist deine Hand von vielen Sorgen beschwert? bald wird sie die Saiten der himmlischen Harfe rühren. Deine Kleider mögen vom Staub und Schmutz dieser Welt befleckt sein; sei getrost, einmal werden sie schneeweiß werden. Warte nur noch ein wenig. O, wie unbedeutend werden unsere Prüfungen und Leiden uns einst scheinen, wenn wir darauf zurückblicken? Wenn wir sie jetzt in der Nähe betrachten, wie unermesslich kommen sie uns noch vor; wenn wir aber zum Himmel eingehen, dann werden wir rühmen: „Nun sind die Tränen ausgeweint, Dem treusten Freund bin ich vereint!“ Alsdann werden unsere Leiden uns als leichte und bald vorübergehende Heimsuchungen erscheinen. Darum mutig vorwärts! Und wäre die Nacht auch noch so finster; es kommt der Morgen, der weit mehr ist, als alle Vorstellung derer ahnt, die verschlossen werden in die Finsternis der Hölle. Weißt du, lieber Leser, was es heißt, von der Zukunft leben, von der Hoffnung sich nähren - den Himmel zum voraus genießen? Seliges Glaubenskind, wenn du eine solche gewisse, eine solch tröstliche Hoffnung hast! Jetzt mag dir alles düster erscheinen, aber bald wirds helle werden; jetzt ist vielleicht überall um dich her Trübsal, aber bald schwebst du in einem Meer der Wonne. Was tuts auch, „ob den Abend lang währt das Weinen?“ denn es kommt „des Morgens die Freude.“

Ps. 30,6

Ich sprach, da mirs wohl ging: Ich werde nimmermehr danieder liegen.

Moab ist auf seinen Hefen stille gelegen und ist nie aus einem Faß in das andre gegossen. Gib einem Menschen Reichtum; lass seine Fahrzeuge stets reichbefrachtet heimkehren; lass Wind und Wellen also walten, dass sie wie seine Diener sind, die seine Schiffe durch des großen Weltmeers Tiefen tragen; lass seine Felder reichlich Frucht bringen; lass das Wetter seinen Saaten günstig sein, dass sie wohl gedeihen; lass ihm ohne Unterbrechung alles nach Wunsch gelingen; lass ihn unter dem Volk angesehen sein als einen mächtigen Kaufherrn; lass ihn sich blühender Gesundheit erfreuen; lass ihn mit gestählten Nerven und strahlenden Auges durch die Welt ziehen und glücklich leben; gib ihm sprudelnden Witz; lass seine Augen von stets neuer Wonne strahlen - und die natürliche Folge eines solchen Standes in Wohlleben ist bei jedem Menschen, und wäre er der Beste Christ, der je einen Atemzug getan hat, Übermut; sogar ein David sprach: „Ich werde nimmermehr daniederliegen;“ und wir sind nicht besser als David, ja, nicht halb so gut. Lieber Bruder, hüte dich vor den ebenen Stellen auf deiner Straße; du magst Gott wohl dafür danken, wenn du darauf einhergehst; aber wenn dein Pfad rau wird, so denke nicht minder. Wenn Gott uns allezeit in der Wiege des Wohlergehens würde schaukeln; wenn wir immer dem Glück im Schoße säßen; wenn wir stets auf den Knien der irdischen Wonne gewiegt würden; wenn nie ein Flecklein auf der Alabastersäule unsers Hauses sich zeigte; wenn nie ein Wölklein unseren Himmel trübte; wenn nie ein Tröpflein Wermut den Wein unsers Lebens verbitterte; dann würden wir berauscht werden von der Fülle des Wohlbehagens, wir würden wähnen, „wir stehen;“ und stehen würden wir auch, aber auf einer schwindelnden Höhe, auf einer engen, gefährlichen Zinne; wir schwebten jeden Augenblick in höchster Gefahr, wie der Mann, der auf dem Topmast schläft. Darum wollen wir Gott auch für unsere Prüfungen danken; wir wollen Ihm danken für unseren Glückswechsel; wir wollen seinen Namen erheben für die Verluste an Gut und Vermögen, denn wir spüren wohl, dass, wenn Er uns nicht also gezüchtigt hätte, wir leicht allzu sicher geworden wären. Ununterbrochenes Erdenglück ist eine harte Feuerprobe.

Ps. 30,6

Denn sein Zorn währet einen Augenblick, und in seiner Huld ist Leben; den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude.

Ein Augenblick unter dem Zorn unsres Vaters scheint sehr lang, und doch ist es im Grunde genommen nur ein Augenblick. Wenn wir seinen Geist betrüben, so können wir sein Lächeln nicht erwarten; aber Er ist ein Gott, der bereit ist zum Vergeben und bald alle Erinnerung an unsre Fehler auslöscht. Wenn wir vor seinem Missfallen dahinsinken und dem Tode nahe sind, so gießt seine Huld uns neues Leben ein.

In diesem Verse ist noch ein andrer halb bebender Ton. Unsre Nacht des Weinens verkehrt sich bald in freudigen Tag. Kürze ist das Kennzeichen der Barmherzigkeit bei der Züchtigung der Gläubigen. Der Herr liebt es nicht, die Rute bei seinen Erwählten zu gebrauchen; Er gibt einen oder zwei Schläge, und alles ist vorüber; ja, und das Leben und die Freude, welche dem Zorn und dem Weinen folgen, sind mehr als Ersatz für den heilsamen Schmerz.

Komm, mein Herz, beginne dein Halleluja! Weine nicht die ganze Nacht hindurch, sondern trockne deine Augen im Vorgefühl des Morgens. Diese Tränen sind Tautropfen, die uns ebenso viel Gutes bedeuten, wie die Sonnenstrahlen am Morgen. Tränen machen das Auge klar für den Anblick Gottes in seiner Gnade; und machen das Erscheinen seiner Gunst umso kostbarer. Eine Nacht des Leides erzeugt jene Schatten des Gemäldes, durch welche die lichten Stellen deutlicher hervortreten. Alles steht wohl.

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