Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 104

Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 104

- Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. - Licht ist dein Kleid, das du anhast; du breitest aus den Himmel wie einen Teppich; - du wölbest es oben mit Wasser, du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und gehst auf den Fittichen des Windes; - der du machst Winde zu deinen Engeln und zu deinen Dienern Feuerflammen; - der du das Erdreich gegründet hast auf seinen Boden, dass es bleibt immer und ewiglich. - Mit der Tiefe decktest du es wie mit einem Kleide, und Wasser standen über den Bergen. - Aber von deinem Schelten flohen sie, von deinem Donner fuhren sie dahin. - Die Berge gingen hoch hervor, und die Täler setzten sich herunter zu dem Ort, den du ihnen gegründet hast. - Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie und dürfen nicht wiederum das Erdreich bedecken. - Du lassest Brunnen quellen in den Gründen, dass die Wasser zwischen den Bergen hinfließen, - dass alle Tiere auf dem Felde trinken und das Wild seinen Durst lösche. - An denselben sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen. - Du feuchtest die Berge von obenher; du machst das Land voll Früchte, die du schaffest; - du lassest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde bringest, - und dass der Wein erfreue des Menschen Herz, dass seine Gestalt schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke, - dass die Bäume des Herrn voll Saft stehen, die Zedern des Libanons, die er gepflanzt hat. - Daselbst nisten die Vögel, und die Reiher wohnen auf den Tannen. - Die hohen Berge sind der Gemsen Zuflucht und die Steinklüfte der Kaninchen. - Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen; die Sonne weiß ihren Niedergang. - Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da regen sich alle wilden Tiere, - die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raub und ihre Speise suchen von Gott. - Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich in ihre Höhlen. - So geht dann der Mensch an seine Arbeit und an sein Ackerwerk bis an den Abend. - Herr, wie sind Deine Werke so groß und viel'. Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. - Das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt ohne Zahl, große und kleine Tiere. - Daselbst gehen die Schiffe; da sind Walfische, die du gemacht hast, dass sie darin spielen. - Es wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. - Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt. - Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub. - Du lassest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du erneuest die Gestalt der Erde. - Die Ehre des Herrn ist ewig; der Herr hat Wohlgefallen an seinen Werken. - Er schaut die Erde an, so bebt sie; er rührt die Berge an, so rauchen sie. - Ich will dem Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin. - Meine Rede müsse ihm Wohlgefallen. Ich freue mich des Herrn. - Der Sünder müsse ein Ende werden auf Erden, und die Gottlosen nicht mehr sein. Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!

Vorbemerkung

Der Psalm will den vielen Stimmen der Natur Ausdruck geben. Das Gedicht beschreibt unsere ganze Welt: Land und Meer, Sonne und Mond, Wolken und Wind, Pflanzen und Tiere, Licht und Dunkelheit, Leben und Tod. In allem erweist sich Gott als der lebendige, gegenwärtige Herr. Die Anlehnung des Psalms an den Schöpfungsbericht ist deutlich erkennbar, auch wenn die Erschaffung des Menschen selbst nicht erwähnt wird. Der Psalm ist die dichterische Wiedergabe des Schöpfungsberichtes. Er schildert die Erde nicht nur, wie sie heute ist, sondern wie sie als erlöste Erde einmal sein wird, wenn göttliche Gerechtigkeit herrscht. Das ganze Lied ist ein fröhliches Lob Gottes. Der Dichter kennt Gott als eine lebendige Persönlichkeit, die man lieben kann und der man vertrauen kann.

Wir wissen nicht, wer dieses Gedicht verfasst hat. Die Septuaginta nennt David als Verfasser. Das könnte nach Geist, Stil und Inhalt des Psalms durchaus möglich sein. Wer immer diese Zeilen geschrieben hat - es ist eindeutig, dass der Heilige Geist selbst der Verfasser ist, denn dieses Lied ist unvergleichlich schön und von tiefer geistlicher Kraft erfüllt.

Einteilung

Der Psalmist besingt zuerst das Licht und die Himmelsfeste, die Schöpfung an den ersten beiden Schöpfungstagen (V. 1-6). Dann beschreibt er, wie sich das Wasser vom Festland schied und Flüsse und Ströme entstanden und wie die Gewächse hervorkamen. Das ist die Schöpfung des dritten Schöpfungstages (V. 7-18). Am vierten Tag wurden Sonne und Mond geschaffen (V. 19-23). Dann spricht der Psalmist von dem Leben, mit dem der Herr Luft, Land und Meer erfüllt; das sind die Schöpfungswerke des fünften und sechsten Schöpfungstages (V. 24-30). Die Schlussverse stellen entweder ein Lied oder ein Gebet, eine Meditation für den Gottesdienst am Sabbat dar (V. 31-35). Der Psalm liegt vor uns wie ein Panorama des gesamten Universums, geschaut mit den Augen des Glaubens und verwandelt in Anbetung.

Auslegung

V. 1 „Lobe den Herrn, meine Seele.“ Der Psalm beginnt und endet wie der 103. Psalm. Das ist gut und richtig, denn was vollkommen ist, verdient wiederholt zu werden. Echter Lobpreis beginnt mit dem eigenen Leben. Es hat keinen Zweck, andere zum Lob Gottes aufzufordern, wenn man selbst schweigt. Unser innerstes Wesen muss geweckt werden, weil wir leicht zur Trägheit neigen, und es ist eine Schande, beim Lob Gottes träge zu sein. Wenn wir den Herrn loben, wollen wir es von ganzem Herzen tun! Unser Bestes ist immer noch nicht gut genug für ihn, aber wir wollen ihn nicht durch träge Anbetung beleidigen. „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich.“ Der Psalmist hat einen kühnen Glauben, der heilige Ehrfurcht in sich schließt: Er nennt den gewaltigen Gott „seinen“ Gott. Gott offenbarte sich am Sinai in gewaltiger Weise, aber die ersten Worte des Gesetzes lauteten: „Ich bin der Herr, dein Gott“ (2. Mose 20,2). Die Größe Gottes hindert den Gläubigen nicht, Gott als persönlichen Herrn in Anspruch zu nehmen. Dieses Bekenntnis würde gut an den Schluss des Psalms passen. Dass der Dichter es gleich an den Anfang setzt, zeigt uns, dass er sein Gedicht gut durchdacht hat. Die Bewunderung der Schöpfung wird nämlich dadurch von Anfang an zur Anbetung des Schöpfers. Viele verherrlichen nur die Schöpfung, weil sie nichts weiter als das Geschaffene sehen. Das ist Götzendienst. Die Schöpfung will uns aber zum Schöpfer führen. Das ist Gottesdienst. „Du bist schön und prächtig geschmückt.“ Dich selbst kann man nicht sehen, aber deine Werke sind dein Gewand, voller Schönheit und Pracht, und sie offenbaren deine Herrlichkeit. Kleider verhüllen den Menschen und offenbaren gleichzeitig etwas von seinem Wesen. So ist es auch mit den Werken Gottes: Sie verhüllen und offenbaren zugleich. Gott wird an seinen Werken erkannt. Er ist es wert, dass man ihn ehrt. In der Schöpfung sehen wir seine Macht und seine Güte. Souverän hat er alles geschaffen, wie er es haben wollte, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen. Wer nicht sieht, dass diese Welt das Werk eines allmächtigen Gottes ist, muss geradezu blind sein. Die Schöpfung zeigt etwas von Gottes heiligem Ernst, von seiner Strenge, von seinem Geheimnis. Sie trägt die Zeichen der überwältigenden Kraft Gottes. Die Schöpfung bleibt ein Rätsel, wenn man nicht zugibt, dass der Schöpfer dieser Schöpfung alles nach dem Wohlgefallen seines Willens geschaffen hat, ohne Rechenschaft von seinem Tun ablegen zu müssen. Die Majestät Gottes offenbart sich immer so, dass sein Wesen verherrlicht wird. Er tut, was er will, aber er will nur das, was heilig ist.

V. 2 „Licht ist dein Kleid, das du anhast.“ Er legt das Licht um sich, wie ein Herrscher sein Gewand um sich legt. Das ist ein wunderbares Bild. Wir ahnen etwas davon, wie unvorstellbar herrlich der Herr sein muss. Wenn das Licht nur sein Gewand ist, welch flammende Pracht muss der Herr dann selbst sein! Staunend stehen wir vor diesem Geheimnis und wagen nicht, es zu erforschen. Wir könnten seinen gewaltigen Lichtglanz nicht ertragen. „Du breitest aus den Himmel wie einen Teppich.“ (Elberfelder Übersetzung: „Der die Himmel ausspannt gleich einer Zeltdecke.“) Darin will er wohnen. Das Licht wurde am ersten Tag geschaffen und das Firmament am zweiten. Diese Schöpfungsfolge finden wir in diesem Vers wieder. Orientalische Fürsten legten ihre Prunkgewänder an und setzten sich dann in ihr geschmücktes Zelt. Das ist der Vergleich, den der Dichter hier gebraucht. Die Wirklichkeit geht aber weit über alle Vorstellungskraft hinaus. Das Gewand des Herrn ist das Licht selbst, von dem Sonne und Sterne ihr Licht haben, und das Zelt ist das riesige Universum, geschmückt mit den funkelnden Gestirnen. „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich!“

V. 3 „Du wölbest es oben mit Wasser.“ (Elberfelder Übersetzung: „Der seine Obergemächer bälkt in den Wassern.“) Gottes hohe Hallen sind erbaut aus den Wassern über dem Firmament. Die oberen Räume in Gottes Haus, die geheimnisvollen Kammern und Prachtgemächer, in denen er wohnt, sind auf die Fluten gegründet, die den oberen Ozean bilden. Gott kann dem haltlosen Element Festigkeit verleihen. Er braucht keine Säulen und Balken für seinen Palast, weil seine eigene Kraft seine Wohnung gründet und festigt. Natürlich ist dies alles dichterische Sprache und nicht buchstäblich zu verstehen. „DU fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen.“ Wenn der König seinen Palast verlässt, benutzt er Wolken als sein Gefährt. Damit macht er seine königlichen Reisen. „Und gehst auf den Fittichen des Windes.“ Die Wolken als Wagen und die Winde als Rosse - so fährt der große König über diese Welt und bringt uns Gericht und Gnade. Was für ein gewaltiges Bild hat der Dichter gezeichnet: das himmlische Schloss, der erhabene Wagen und die schnellen Rosse. Was ist das für ein Schloss, dessen Balken aus Kristall und dessen Fundament aus Wasser besteht! Was ist das für ein Gefährt, das aus fliegenden, farbenprächtigen Wolken besteht! Und was ist das für eine Fahrt, wo Schwingen des Geistes und Flügel des Windes den Thronwagen ziehen! „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich!“

V. 4 „Der du machst Winde zu deinen Engeln.“ Engel sind Geistwesen, aber sie dürfen sichtbare Gestalt annehmen, weil sie gelegentlich gesehen werden sollen. Gott ist Geist und von Geistwesen umgeben, die ihm dienen. Engel sind wie der Wind, geheimnisvoll, mächtig und unsichtbar. Sicher sind die Winde oft Boten Gottes. Gott, der Engel zu Winden macht, kann auch Winde zu Engeln machen. „Und zu deinen Dienern Feuerflammen.“ Hier haben wir wieder die Wahl zwischen zwei Bedeutungen : Gott macht seine Knechte schnell, gewaltig und furchtbar wie das Feuer, oder er macht das verzehrende Feuer zu seinem Diener und schickt es als flammende Botschaft. In Hebräer 1, 7 wird diese Stelle auf die Engel bezogen. Die Engel sind das Gefolge des großen Königs. Gott hat ihnen außergewöhnliche Fähigkeiten geschenkt. Sie haben eine geheimnisvolle Herrlichkeit. Sie spiegeln etwas von der Herrlichkeit Gottes wider, und wir rufen staunend und anbetend: „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich!“

V. 5 „Der du das Erdreich gegründet hast auf seinen Boden.“ Der Psalmist beschreibt hier den Anfang der Schöpfung mit fast den gleichen Worten wie der Herr selbst: „Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug! Worauf stehen ihre Füße versenkt, oder wer hat ihr einen Eckstein gelegt?“ (Hiob 38,4 und 6). Im gleichen Zusammenhang spricht der Herr auch von seinen Engeln: „Da mich die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Kinder Gottes!“ (Hiob 38,7.)

„Dass es bleibt immer und ewiglich.“ Das ist dichterische Sprache, aber es trifft doch die Wirklichkeit: Die Erde ist in den Weltraum gesetzt und wankt und schwankt nicht. Die Bewegungen unseres Planeten gehen so geräuschlos und gleichmäßig vor sich, dass uns alles fest und dauerhaft erscheint, als wäre die alte Vorstellung von der Erde, die auf Säulen ruht, buchstäblich wahr. Mit welcher Sorgfalt hat der große Werkmeister unsere Weltkugel in den Weltraum gesetzt! Was für eine gewaltige Kraft muss jene Hand haben, die diesen riesigen Planeten in eine so genaue, ruhige und sichere Laufbahn gebracht hat! „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich!“

V. 6 „Mit der Tiefe decktest du es wie mit einem Kleide.“ Die neugeborene Erde war in Windeln von Wasser gehüllt. In den ersten Zeitaltern, wo der Mensch noch nicht da war, beherrschten die stolzen Fluten die ganze Erde, „und Wasser standen über den Bergen.“ Es gab kein trockenes Land; Dampf wie von einem brodelnden Geiser bedeckte alles. Die Geologen haben die Geschichte der Erde erforscht und dies alles auch entdeckt, aber der Heilige Geist hat es schon lange vorher geoffenbart. Die folgenden Verse schildern uns, wie der Schöpfer sein gewaltiges Werk begann und die Voraussetzungen für spätere Ordnung und Schönheit schuf.

V. 7 „Aber von deinem Schelten flohen sie, von deinem Donner fuhren sie dahin.“ Als Wasser und Dampf alles bedeckte, genügte ein Wort des Herrn, um sie verschwinden zu lassen. Die Wassermassen zogen sich in die Tiefen zurück, die der Herr ihnen angewiesen hatte, und überließen das Land sich selbst. Dann stiegen die Berge hervor, und die Ebenen und Täler entstanden :

V. 8 „Die Berge gingen hoch hervor, und die Täler setzten sich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet hast.“ So bildeten sich Kontinente und Inseln, Berge und Täler.

V. 9 „Du hast eine Creme gesetzt, darüber kommen sie nicht und dürfen nicht wiederum das Erdreich bedecken.“ Die mächtigen Wasser sind den Gesetzen ihres Schöpfers völlig gehorsam. Die Grenze wurde einmal überschritten, aber das wird nie wieder geschehen. Die Sintflut entstand dadurch, dass diese göttliche Verordnung aufgehoben wurde. Dann hat Gott aber in seinem Bund mit den Menschen die Zusicherung gegeben, dass diese Revolution der Wassermassen sich nicht mehr wiederholt. (1. Mose 8,21-22.) Könnte man nicht auch sagen, dass die Wogen in ihrem wilden Aufruhr damals die verletzte Ehre ihres großen Königs rächen wollten?

Das Wort des Herrn hält das Meer in Schranken. Zerstörung schlummert in der Tiefe des Meeres. Unsere Sünden könnten diese Zerstörungskräfte leicht wecken, wenn die Gnade sie nicht festhalten würde.

V. 10 „Du lassest Brunnen quellen in den Gründen, dass die Wasser zwischen den Bergen hinfließen.“ Das gebändigte Wasser darf dort in Freiheit treten, wo es den Menschen zum Segen dient. Die Quellen in den Bergen steigen tief aus dem Erdinnern auf. Gott ist es, der diese Quellen fließen lässt. Er macht es wie ein Gärtner, der dem Land Wasser zuführt, wo es gebraucht wird. So tut Gott beides: Er bändigt das Wasser und hält es in seinen Schranken, und er lässt es dort frei, wo es gebraucht wird.

V. 11 „Dass alle Tiere auf dem Felde trinken.“ Wer würde ihnen Wasser geben, wenn der Herr es nicht täte? Er hat sie geschaffen, es sind seine Tiere, und er führt sie zur Tränke. „Und das Wild seinen Durst lösche.“ Der Herr gibt mehr als genug. Es sind nur wilde Tiere, aber der himmlische Vater versorgt sie doch. Wird er nicht auch für uns sorgen? Nichts ist umsonst geschaffen. Kein Bach ist nutzlos, nur weil er dem Menschen nichts nützt. Es sind andere Geschöpfe da, die auch Erfrischung brauchen. Ist das nichts? Muss alles nur für den Menschen da sein? Ist es nicht Stolz und Selbstsucht, wenn wir so denken? Der Mensch ist nur eins von vielen Geschöpfen, die der himmlische Vater speist und tränkt.

V. 12 „An denselben sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen.“ Ein liebliches Bild! Plätschernde Bergbäche, rauschende Wasserfälle, verschlungene Büsche und Bäume; in das dunkle Rauschen des Wassers mischt sich das helle Singen der Vögel. Singt, ihr Vöglein, singt! Was könnt ihr Besseres tun, und wer könnte es besser? Wir werden auch fröhlich singen, wenn wir vom Strom des Lebens trinken und vom Baum des Lebens essen! Wo die Vögel wohnen, da singen sie; sollten wir nicht auch singen, weil der Herr unsere Zuflucht und unsere Wohnung ist von Jahrhundert zu Jahrhundert?

V. 13 „Du feuchtest die Berge von obenher.“ Die Berge sind zu hoch, um von Flüssen und Bächen bewässert zu werden. Deshalb erfrischt sie der Herr selbst mit dem Wasser über dem Firmament, von dem der Dichter schon in den ersten Versen des Psalms gesprochen hat. Die Wolken bleiben zwischen den Bergen hängen und geben erfrischenden Regen. Was kein Mensch kann, kann Gott. Sein Arm reicht dahin, wohin wir nicht greifen können. Gott hat immer noch Mittel und Wege, Trost und Erquickung zu schenken, wo wir nicht mehr trösten und erquicken können. „Du machst das Land voll Früchte, die du schaffest.“ Die Folge göttlichen Wirkens ist Fülle überall. Der Erdboden wird mit Regen gesättigt, die Saat keimt, die Tiere trinken, und die Vögel singen. Genauso ist es in der neuen Schöpfung. Gott schenkt überfließende Gnade. Er erfüllt die Seinen mit Gutem, dass sie bekennen müssen: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“ (Johannes 1, 16.)

V. 14 „Du lassest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen.“ Wie die Saat, so wächst auch das Gras, denn das Tier braucht Nahrung ebenso wie der Mensch. Gott hat bestimmt, dass die niedrigsten Geschöpfe ihr Teil bekommen, und er sorgt dafür, dass sie es bekommen. Seine Macht offenbart sich in der Versorgung der Tiere ebenso wie in der Ernährung der Menschen. Schau dir einen einzigen Grashalm an, und du erkennst in ihm das Wirken Gottes. Der Mensch muss den Boden bebauen, wenn die Erde ihm Ertrag liefern soll, aber es ist Gott selbst, der das Wachstum schenkt. Der Mensch vergisst das sehr leicht und redet stolz von seinen Erzeugnissen. In Wirklichkeit pflügt und sät er ohne Gott vergeblich. Der Herr selbst lässt jeden Grashalm sprießen und jede Ähre reifen. Geh mit offenen Augen über Wiesen und Felder, damit du siehst, wie der Herr wirkt. „Dass du Brot aus der Erde bringest.“ Gras für das Vieh und Getreide für den Menschen kommt aus der Erde. Sie sind Zeichen dafür, dass Gott die Erde unter unseren Füßen ursprünglich dazu bestimmt hat, in Lebenskraft für uns umgewandelt zu werden - nicht eine Masse Staub zu sein, unter der wir begraben werden. Wie groß ist der Gott, der heute noch aus dem Todesstaub Lebenskraft sprießen lässt und aus dem verfluchten Boden die Segnungen von Korn, Wein und Öl hervorbringt!

V. 15 „Und dass der Wein erfreue des Menschen Herz.“ Nicht nur Notwendiges bringt die Erde hervor, sondern auch Überfluss. Sie versorgt uns nicht nur für unsere Mahlzeiten, sondern auch für unsere Feste. Ach, wäre doch der Mensch klug genug, die erquickende Gabe des Weins recht zu gebrauchen! Statt dessen missbraucht er diese wunderbare Gabe Gottes und erniedrigt sich dadurch selbst. Die Folgen hat der Mensch sich selbst zuzuschreiben. Wer aus Segen einen Fluch macht, ist selbst schuld an seinem Elend und hat nichts anderes verdient. „Dass seine Gestalt schön werde vom 'Öl.“ Die Orientalen verwenden Öl mehr als wir. Sie haben eine Vorliebe für Salbungen mit wohlriechenden ölen. Wir sollen Gott für alle seine Gaben danken, denn nicht eine einzige würden wir haben, wenn er sie uns nicht geben würde. „Und das Brot des Menschen Herz stärke.“ Nach einer guten Mahlzeit fühlt man sich wohler. Wenn man gegessen hat, hat man mehr Lebensfreude und Lebensmut. Manches niedergeschlagene Gemüt wurde durch eine gute, kräftige Mahl- zeit wieder aufgerichtet und neubelebt. Wir danken Gott für ein starkes Herz und einen gesunden Leib. Beides sind Gaben seiner überströmenden Güte.

V. 16 „Dass die Bäume des Herrn voll Saft stehen, die Zedern Libanons, die er gepflanzt hat.“ Auch die Bäume sind voll Saft und Kraft. Sie strotzen von Leben und grünen das ganze Jahr hindurch: die Bäume des Herrn, die Zedern auf dem Libanon. Sie wachsen dort, wo niemand sie gepflanzt hat. Auch die Bäume hat Gott gepflanzt und gibt ihnen Wachstum und Kraft. Das ist ein Bild für alle, die durch den Glauben ihre Lebenskraft vom Herrn beziehen und von ihm erhalten werden. Durch Gnade sind wir gepflanzt, und wir verdanken unser Wachstum allein dem himmlischen Vater, der für uns sorgt. So können wir dem Sturm trotzen und brauchen keine Trockenheit zu fürchten. Wer Gott vertraut, hat keinen Mangel.

V. 17 „Daselbst nisten die Vögel, und die Reiher wohnen auf den Tannen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Woselbst die Vögel nisten; der Storch - Zypressen sind sein Haus.“) Die Bäume haben für sich selbst genug, und sie haben noch übrig für andere. Vögel bauen ihre Nester in die Bäume. Auf diese Weise geben die Bäume weiter, was sie vom Herrn empfangen haben. Die Stärkeren geben den Schwächeren. In der Schöpfung greift eins ins andere: Der Regen bewässert die Bäume, und die Bäume gewähren den Vögeln Zuflucht. In der Schöpfung hat alles seinen Sinn und Zweck, nichts ist sinnlos und zwecklos. Man beachte auch, dass das Nest der Störche „Haus“ genannt wird; wahrscheinlich deshalb, weil diese Vögel häusliche Tugenden und elterliche Liebe zeigen. Man spricht ja auch von einer Storchenfamilie. Gewöhnlich baut der Storch sein Nest auf Häuser und Schornsteine, aber es gibt auch große Waldgebiete, wo er mit Bäumen vorlieb nimmt. Sicherlich hat der Psalmdichter Storchennester auf Zypressen gesehen. Sind wir schon einmal durch einen Hochwald gegangen? Hat uns dabei nicht Staunen und Ehrfurcht erfasst? Welch gewaltige Kathedrale der Natur! Wer von Gott nichts sehen oder hören kann außer in gotischen Kirchenbauten und beim Brausen der Orgel, der versteht nicht, wie man im Wald die Stimme Gottes vernehmen kann.

V. 18 „Die hohen Berge sind der Gemsen Zuflucht und die Steinklüfte der Kaninchen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Die hohen Berge sind für die Steinböcke, die Felsen eine Zuflucht für die Klippendächse.“) Überall wimmelt es von Leben. Unsere Städte sind sehr bevölkert, aber sind die Wälder nicht noch viel dichter bevölkert? Wir sprechen von unbewohnbaren Gegenden, aber gibt es sie überhaupt? Die Gemse springt von Fels zu Fels, und der Klippendachs baut seine Höhle in den Felsen hinein. Für den einen ist die Höhe der Berge der Schutz und für den anderen die Tiefe der Felsen. So ist die ganze Erde voll von fröhlichem Leben. Jeder Ort hat seinen Bewohner. Nichts ist völlig einsam und verlassen. Spatz und Storch, Gemse und Dachs - jeder gibt hier einen Vers zum Lied der Natur. Tun wir das auch?

V. 19 „Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen.“ Der Mond wird zuerst genannt, weil nach der jüdischen Zeiteinteilung der Tag mit der Nacht beginnt. Das Jahr wird nach den Mondphasen in Monate und Wochen eingeteilt. Danach wurde der jüdische Festkalender aufgestellt. „Die Sonne weiß ihren Niedergang,“ Sie zögert nicht und bleibt nirgends stehen, sondern zieht sicher und stetig ihre Bahn. Zur festgesetzten Zeit sinkt sie hinter den Horizont. Die Zeiten für Sonnenaufgang und -untergang ändern sich ständig, aber die Sonne hält täglich die bestimmte Zeit auf die Sekunde ein. Wir sollen dem Herrn danken, dass er uns Sonne und Mond als Licht und Zeitmaß gegeben hat. Die natürliche Folge von Tag und Nacht hält unsere Welt in gesunder Ordnung.

V. 20 „Du machst Finsternis, dass es Nacht wird.“ Gott nimmt das Licht weg, damit es dunkel wird. Wir würden sehr darunter leiden, wenn es keine Dunkelheit gäbe. Wenn auf den hellen Tag keine stille, dunkle Nacht folgte, würden wir kaum Ruhe und Schlaf finden. Wenn die Sonne untergeht und Dämmerung über das Land fällt, so sehen wir darin das Wirken unseres Gottes. Wir fürchten die Dunkelheit nicht, denn der Herr hat sie geschaffen. „Da regen sich alle wilden Tiere.“ Warum sollten die wilden Tiere nicht auch ihre Stunde haben? Sie haben auch ihre Aufgaben zu erfüllen. Wilde Tiere lieben die Dunkelheit. Es gibt aber auch Menschen, die die Dunkelheit mehr lieben als das Licht. Wenn Dunkelheit der Unwissenheit über einem Volk liegt, nimmt Aberglaube, Grausamkeit und Laster überhand. Das Evangelium bringt Licht wie die Sonne beim Sonnenaufgang und befreit die Welt von den offenen Ausbrüchen dieser bösen Ungeheuer. Dann verkriechen sie sich in ihre finsteren Schlupfwinkel. Wir erkennen hier den Wert des wahren Lichtes, denn wo Nacht ist, gibt es auch wilde Tiere, die töten und verschlingen.

V. 21 „Die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raub und ihre Speise suchen von Gott.“ Wonach brüllen die Löwen? Sicher nicht nach ihrer Beute, denn das laute Gebrüll würde ihre Opfer erschrecken und verjagen. Ihr Gebrüll ist der Ruf nach Speise und in diesem Sinne ein Gebet: Auch die wilden Tiere wenden sich an ihren Schöpfer und wollen von ihm Speise haben. Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass der Geist sogar das Brüllen der Löwen deuten kann. Können wir nicht gewiss sein, dass unsere Rufe und Seufzer von Gott verstanden werden? Offensichtlich achtet Gott mehr auf den Sinn unserer Gebete als auf ihren Wortlaut.

V. 22 „Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich in ihre Höhlen.“ Auf jeden Abend folgt ein Morgen. Wenn wir uns nicht so daran gewöhnt hätten, dass die Sonne immer wieder aufgeht, würden wir das als immer neues Wunder betrachten. Mit dem Anbruch des Tages verkriechen sich die wilden Tiere in ihre Höhlen. Gott schenkt auch ihnen Ruhe und Befriedigung. Einen hat es gegeben, der noch nicht einmal das hatte, was die wilden Tiere haben: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester;

aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege“ (Matthäus 8,20). Für alle ist gesorgt, nur nicht für den Versorger aller. Gelobter Herr, du hast dich erniedrigt bis unter das Tier, um Menschen zu retten, die noch tiefer gesunken sind als das Tier!

V. 23 „So geht dann der Mensch an seine Arbeit und an sein Ackerwerk bis an den Abend.“ Wenn die Sonne aufgegangen ist, beginnt die Arbeit des Menschen. Er verlässt sein warmes Lager und die Bequemlichkeit seines Heims, um zu arbeiten und sich sein Brot zu verdienen. Arbeit ist gut, denn sie schützt vor Laster und bildet die Fähigkeiten des Menschen. Der Mensch soll arbeiten und nicht faulenzen, er soll wirken und nicht herumlungern. Wir sind geschaffen zur Arbeit, und darum ist Arbeit unsere Pflicht. Niemand hat darüber zu murren, dass Gott es so bestimmt hat. Die Arbeitszeit darf aber nicht zu lang sein. Auch darf es nicht vorkommen, dass Arbeit so schlecht bezahlt wird, dass der Arbeiter hungern muss. Weh denen, die Frauen und Kinder rücksichtslos als billige Arbeitskräfte ausnutzen! Auch Nachtarbeit sollte so weit wie möglich vermieden werden, denn die Nacht ist zum Ausruhen und Schlafen da.

V. 24 „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!“ Gott hat nicht nur viel geschaffen, sondern alles auch wunderbar geschaffen. Mineralreich, Pflanzenreich, Tierreich - was für ein Reichtum! Die Sternen weit in ihrer Größe, die Erde mit ihren Schönheiten, die Meere mit ihren Geheimnissen - Werke, die Jahrtausende bestehen, Werke, die in einem einzigen Jahr zur Vollendung kommen und wieder vergehen, Werke, die nur einen einzigen Tag bestehen - wer will alles zählen? Gott ist der große Schöpfer. Er hat alles wunderbar geordnet. Unsere Sache ist es, die Werke Gottes zu erforschen. Wer das tut, hat große Freude daran. Die Werke des Herrn im Reich der Gnade sind ebenso zahlreich und großartig wie im Reich der Natur, aber das erkennen nur die Auserwählten. „Du hast sie alle weislich geordnet.“ Gottes Werke offenbaren seine Weisheit. Es ist Weisheit, dass er schuf - kein einziges Werk darf fehlen. Jedes Glied ist wichtig in der Kette der Schöpfungswerke, die wilden Tiere ebenso wie der Mensch, Giftpilze ebenso wie eßbare Pflanzen. Es ist Weisheit, wie er schuf - jedes Schöpfungswerk hat seinen bestimmten Platz und seine bestimmte Aufgabe. Die ganze Schöpfung ist mit Weisheit geschaffen und durch Weisheit geordnet. Für uns ist vieles von Geheimnissen umgeben und mit Gefahren erfüllt, aber es wirkt doch alles zum Guten zusammen. „Und die Erde ist voll deiner Güter.“ Die Erde ist keine Bretterbude, sondern ein Palast. Sie ist keine leere Scheune, sondern ein gefülltes Warenlager. Der Schöpfer hat seine Geschöpfe nicht in ein Haus gesetzt, wo Tisch und Speisekammer leer sind. Er hat die Erde mit Speise erfüllt, und nicht nur mit dem Notwendigsten, sondern auch mit Oberfluss: mit Schätzen und Schönheiten, mit Luxus und Leckereien. Alle Güter der Erde gehören dem Herrn. Wir sollten mehr von den „Gütern des Herrn“ sprechen als von dem „Reichtum der Natur“! Kein Gebiet der Erde ist ohne Güter des Herrn. Die arktischen Meere haben ihre Schätze ebenso wie der heiße Äquator. Wenn schon die Erde mit den Gütern des Herrn erfüllt ist, wie wird es erst im Himmel sein?

V. 25 „Das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelts ohne Zahl, große und kleine Tiere.“ Der Dichter nimmt das Meer als Beispiel für die Größe und Vielfalt der Werke Gottes. Wenn wir nur an die winzig kleinen Urtierchen denkt, die Einzeller, die die einfachsten Lebensformen darstellen! Eine einzige Welle trägt Millionen davon; in einem einzigen Tropfen finden sich zahllose mikroskopische Wesen. Das ist eine ganze Welt für sich. Riesige Fischschwärme durchziehen das Meer, vom kleinsten Hering bis zum größten Walfisch. Das Meer ist ebenso reich an Werken des Herrn wie das Land.

V. 26 „Daselbst gehen die Schiffe.“ Die Meere sind die Straßen der Nationen. Sie verbinden Kontinente und Länder. „Da sind Walfische, die du gemacht hast, dass sie darin spielen.“ Der Walfisch tummelt sich in den Wogen. Das Meer ist sein Spielplatz. Auf alten Karten der Erde ist gewöhnlich ein Schiff und ein Walfisch auf die Ozeane gezeichnet. Schiff und Walfisch waren demnach schon immer die beiden wichtigsten Begriffe, die man mit dem Meer verband.

V. 27 „£s wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit.“ Die Geschöpfe erwarten ihre Speise vom Schöpfer. Sie sammeln sich um ihn und schauen erwartungsvoll zu ihm auf, wie die Tiere sich um den Bauern sammeln, wenn er zur Fütterung kommt. Mensch und Mücke, Adler und Ameise, Wal und Aal - alle sind abhängig von der Fürsorge des Schöpfers. Gott gibt, was sie brauchen, und er gibt, wenn sie es brauchen. Er hat für alles eine bestimmte Zeit und ernährt seine Geschöpfe nicht nach Willkür und Laune. Täglich gibt er ihnen so viel, wie sie benötigen. Das ist alles, was wir erwarten können. Wenn die Tiere damit zufrieden sind, sollte der Mensch damit nicht unzufrieden sein.

V. 28 „Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie.“ Der Schöpfer gibt, aber die Geschöpfe müssen sammeln. Sie freuen sich, dass er gibt, denn sonst könnten sie nicht sammeln. Wir vergessen oft, dass auch die Tiere sich um ihre Nahrung sorgen müssen. Der himmlische Vater ernährt alle. Er gibt, und wir sammeln. „Wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt.“ Gott gibt gem. Er hat eine offene Hand. Er gibt uns genug. Was würde geschehen, wenn sich diese Hand schließt? Gott braucht nicht einmal zu schlagen; er braucht nur seine Hand zu schließen, und wir würden verhungern. Wir wollen Gott danken, dass er eine offene Hand hat und dass er uns nach Leib und Seele sättigt.

V. 29 „Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie.“ Alle lebenden Wesen sind so von der Freundlichkeit Gottes abhängig, dass schon ein kurzes Verbergen seiner Güte sie in Angst und Schrecken versetzt. So ist es auch in der geistlichen Welt. Kinder Gottes geraten in Verzweiflung, wenn der Vater sein Angesicht verbirgt. „Du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub.“ Das Atmen ist für uns so selbstverständlich, dass wir kaum noch bewusst Notiz davon nehmen. Aber in dem Augenblick, wo uns die Luft entzogen wird, müssen wir sterben. So sind wir jeden Augenblick völlig abhängig von dem Willen des ewigen Gottes. Achten wir hier darauf, dass das Sterben auf das Handeln Gottes zurückgerührt wird: „Du nimmst weg ihren Odem.“ Wir sterben erst dann, wenn Gott es will. Das gilt von allen Lebewesen, denn der Herr hat einmal gesagt: „Kein Sperling fällt auf die Erde ohne euren Vater“ (Matthäus 10,29).

V. 30 „Du lassest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du erneuest die Gestalt der Erde.“ Wenn Gott den Geschöpfen den Odem entzieht, sterben sie, und wenn er seinen Odem aussendet, werden sie erschaffen. Die Werke des Herrn sind von majestätischer Einfachheit und werden mit souveräner Leichtigkeit ausgeführt - ein Hauch genügt, um zu erschaffen. Das Wort „Odem“ bedeutet auch „Geist“. Wie der Geist Gottes natürliches Leben schafft, schafft er auch geistliches Leben.

V. 31 „Die Ehre des Herrn ist ewig.“ Seine Werke mögen vergehen, aber seine Ehre nicht. Der Herr verdient schon für das, was er bisher getan hat, unaufhörliches Lob. Seine Persönlichkeit und sein Wesen bleibt herrlich, auch wenn alle Geschöpfe sterben und alle seine Werke vergehen. „Der Herr hat Wohlgefallen an seinen Werken.“ Er hatte Wohlgefallen an seinen Werken, als er am siebten Tag nach seiner Schöpfungsarbeit ruhte und seine Werke betrachtete. Er hat heute Wohlgefallen an seinen Werken, wo Reinheit und Schönheit der Natur den Sündenfall überdauerten. Und er wird einmal besonderes Wohlgefallen an seinen Werken haben, wenn die Erde wiederhergestellt und die Spur der Schlange gänzlich ausgetilgt ist. Der Dichter freut sich über die Werke des Herrn, und er spürt, dass der Schöpfer selbst die größte Freude daran hat, dass er so seine Weisheit, Güte und Macht offenbaren konnte.

V. 32 „Er schaut die Erde an, so bebt sie.“ Der Herr, der seine Macht in der Güte offenbart, könnte ebensogut seine Macht in der Vernichtung zeigen. Ein Blick von ihm genügt, um die Erde erbeben zu lassen. „Er rührt die Berge an, so rauchen sie.“ Als der Herr auf den Berg Sinai herabkam, rauchte der Berg. Eine kleine Berührung von ihm genügt, um Berge in Flammen aufgehen zu lassen. Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Weh denen, die ihn herausfordern! Wenn die Sünder nicht so völlig unempfindlich wären, müssten sie schon vor dem Blick des Herrn zittern, und die Berührung seiner Hand müsste die Flamme der Buße in ihnen anzünden.

V. 33 „Ich will dem Herrn singen mein Leben lang.“ Solange er lebt, will der Psalmist den Herrn loben. Der Grund für das Loblied hört ja nie auf, sondern ist immer frisch und neu. Die Vögel sangen Gottes Lob, bevor der Mensch da war; aber der erlöste Mensch wird Gottes Lob singen, wenn es längst keine Vögel mehr gibt. Der Herr besitzt ewiges Leben und verdient ewiges Lob. „Und meinen Gott loben, solange ich bin.“ Das macht uns selbst glücklich, und es ehrt den Herrn. Der Psalmist sagt, dass dieser herrliche Gott sein persönlicher Gott ist. Wir singen nur dann ein rechtes Loblied, wenn wir diese persönliche Beziehung zu Gott gefunden haben.

V. 34 „Meine Rede müsse ihm Wohlgefallen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Möge ihm angenehm sein mein Sinnen.“) Ich freue mich über Gottes Werke und Gottes Wesen. Er nimmt mein Lob gnädig an. Meditation ist das Herz der Religion. Sie ist der Lebensbaum im Garten der Frömmigkeit, und die Frucht erfrischt jeden, der davon isst. Wie das Fett der Opfer dem Herrn gehörte, so gehört unser Sinnen dem Herrn. Es ist ihm ein süßer Wohlgeruch. Wir sollten viel über den Herrn nachdenken. Das ist gut für uns und eine Ehre für ihn. Wer das nicht tut, dem geht viel Lebensgemeinschaft mit dem Herrn und viel Herzensfreude verloren. „Ich freue mich des Herrn.“ Jeder Gedanke an Gott erfreut das Herz. Jeder einzelne Wesenszug unseres Gottes ist eine Quelle der Freude, weil wir durch Jesus Christus mit Gott versöhnt sind.

V. 35 „Der Sünder müsse ein Ende werden auf Erden, und die Gottlosen nicht mehr sein.“ Sie sind der einzige Makel in der Schöpfung. In heiliger Entrüstung möchte der Psalmist die ganze Welt von allen bösen Menschen säubern, die ihren gnädigen Schöpfer nicht lieben, die so blind sind, sich gegen ihren Wohltäter aufzulehnen. Der Psalmist erbittet eigentlich nur das, was alle aufrichtigen Menschen herbeisehnen: dass das Königreich Gottes kommt und nicht ein einziger Verräter und Empörer übrig bleibt. Für den Gläubigen lautet diese Bitte so:

„Herr, verwandle Sünder durch die Kraft deiner Gnade in Heilige und bringe die Bösen auf den Weg des Guten.“ „Lobe den Herrn, meine Seele!“ Was immer die Gottlosen auch tun, du, meine Seele, bekenne dich zu deinem Gott und bleibe deiner Berufung treu! Das Schweigen der Gottlosen soll dich nicht zum Schweigen bringen, sondern im Gegenteil dich anspornen, dem Herrn ein doppeltes Lob zu bringen - für sie mit „Halleluja!“

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