Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 101 - 110

Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 101 - 110

Ps. 101,1

„Von Gnade und Recht will ich singen.“

Der Glaube triumphiert in der Trübsal. Wenn die Vernunft und der Wille ins innere Gefängnis geworfen und ihre Füße in den Stock gelegt werden, dann macht der Glaube die Kerkermauern widerhallen mit seinen lieblichen Liedern und ruft aus: „Von Gnade und Recht will ich singen und Dir, Herr, lobsagen.“ Der Glaube wirft die schwarze Maske vom Antlitz der Heimsuchung und entdeckt einen Engel darunter. Der Glaube blickt empor zu den Wolken und sieht, dass sie von Gnade schwellen und ihren Segensstrom über ihn auszugießen bereit sind. Sogar in den Gerichtsprüfungen Gottes gegen uns ist Ursache zum Preis und Dank. Denn zum ersten ist die Trübsal nicht so schwer, als sie hätte sein können; dann ist sie nicht so strenge, wie wir sie verdient hätten; auch ist sie nicht so erdrückend, wie die Last, welche andre zu tragen haben. Der Glaube sieht, dass seine schwersten Leiden keine Strafgerichte sind; es ist kein Tropfen von Gottes Zorn in diesem Kelche; er ist ganz von der Liebe verordnet. Der Glaube entdeckt das Leuchten der Liebe, gleich dem Glänzen eines Edelsteins auf dem Brustschildlein des züchtigenden Gottes. Der Glaube spricht von einer Prüfung: „Das ist ein tröstliches Zeichen; denn nur einem Kinde wird die Rute zuteil.“ Und dann singt er von den lieblichen Früchten seines Leidens, weil sie ihm zum Besten dienen müssen. Ja, der Glaube spricht sogar: „Diese meine Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit.“ So reitet der Glaube auf dem schwarzen Pferde weiter auf seiner Straße, von Sieg zu Sieg, tritt die fleischliche Vernunft und den irdischen Sinn unter die Füße und singt Siegeslieder inmitten des härtesten Kampfes.

„Kronen sollen tragen,
Die des Kreuzes Plagen
In Geduld besiegt.
Fröhlich auszuhalten
Und Gott lassen walten,
Das macht recht vergnügt.
Drum nimm dir, o Seele, für,
Stets zu beten und zu wachen;
Gott wirds doch wohl machen!“

Ps. 101, 6

Meine Augen sehen nach den Treuen im Lande, dass sie bei mir wohnen; wer auf vollkommenem Wege wandelt, der soll mir dienen.

Wenn David so sprach, mögen wir gewiss sein, dass der Sohn Davids gleichen Sinnes sein wird. Jesus sieht aus nach den treuen Menschen und heftet sein Auge auf sie, um sie zu beobachten, sie vorwärts zu bringen, sie zu ermutigen und zu belohnen. Möge kein Treuer denken, dass er übersehen sei; der König selbst hat sein Auge auf ihn gerichtet.

Es sind zwei Folgen dieser königlichen Beachtung da. Zuerst lesen wir: „dass sie bei mir wohnen“. Jesus bringt die Treuen in sein Haus, lässt sie in seinem Palast wohnen, macht sie zu seinen Gefährten, Er freut sich an ihrer Gesellschaft. Wir müssen unsrem Herrn treu sein, dann will Er sich uns offenbaren. Wenn unsre Treue uns am meisten kostet, wird sie am besten belohnt werden; je grimmiger die Menschen uns verwerfen, desto freudiger will der Herr uns aufnehmen.

Danach sagt er von dem Aufrichtigen: „der soll mir dienen.“ Jesus wird für seine eigne Ehre diejenigen gebrauchen, welche die Kniffe der Klugheit verachten und Ihm, seinem Wort und seinem Kreuz treu sind. Diese sollen in seinem königlichen Gefolge sein, die geehrten Diener seiner Majestät. Gemeinschaft mit Ihm und nützliches Wirken sind der Lohn der Treue. Herr, mache mich treu, auf dass ich bei Dir wohnen und Dir dienen möge!

Ps. 102,13.14

„Du wollest Dich aufmachen und über Zion erbarmen; denn es ist Zeit, dass Du ihr gnädig seiest, und die Stunde ist gekommen. Denn Deine Knechte wollten gern, dass sie gebaut würde, und gern sehen, dass ihre Steine und Kalk zugerichtet würden.“

Wenn ein selbstsüchtiger Mensch ins Unglück kommt, so ist er außerordentlich schwer zu trösten, weil die Quelle seines Trostes ganz nur in ihm liegt; und wenn er dann traurig ist, so sind alle seine Trostquellen versiegt. Aber ein weitherziger Mensch voll christlicher Bruderliebe hat außer den Trostquellen, die in seinem Innern fließen, noch andere, die ihm Erquickung bringen. Vor Allem kann er zu seinem Gott gehen, und bei Ihm überschwängliche Hilfe finden; und dann findet er auch Trostgründe in Allem, was sich auf Gottes weite Welt, auf sein Vaterland und vor Allem auf die Gemeine Christi bezieht. David war in dem vorliegenden Psalm ungemein bekümmert; er schrieb: „Ich bin gleichwie eine Rohrdommel in der Wüste; ich wache, und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache.“ Das einzige Mittel, wie er sich zu trösten vermochte, bestand in dem Gedanken, dass Gott sich aufmachen und über Zion erbarmen würde. War er auch traurig, so sollte doch Zion glücklich sein; wie tief auch er versunken war, so sollte doch Zion sich erheben. Christenmensch, lerne dich trösten mit dem gnädigen Verhalten Gottes gegen Seine Gemeine. Was deinem Meister so teuer ist, sollte es dir nicht auch über alles Andere teuer sein? Und ob dein Weg noch so dunkel ist, kannst du dein Herz nicht erfreuen mit den Siegen Seines Kreuzes und der Ausbreitung Seiner Wahrheit? Unsere persönlichen Heimsuchungen sind vergessen, sobald wir darauf schauen, was Gott nicht schon für Zion getan hat und noch tut, sondern auch für Seine Gemeine Herrliches tun will. Versuche dies Heilmittel, liebe gläubige Seele, wenn du je traurigen Herzens und niedergeschlagenen Geistes bist; vergiss dich und deine kleinen Anliegen und suche die Wohlfahrt und das Glück Zions. Wenn du deine Knie im Gebet beugst vor Gott, so beschränke dein Gebet nicht auf den engen Kreis deines Lebens, wie schwer auch deine Führungen seien, sondern flehe für das Wohlergehen der Gemeine Christi. „Wünschet Jerusalem Glück,“ so wird eure Seele Erquickung empfangen. (Goldstrahlen Juli 16)

Ps. 102,13.14

Du wirst Dich aufmachen und Dich über Zion erbarmen: denn die Zeit, dass Du ihr gnädig seiest, ja, die bestimmte Zeit ist gekommen. Denn Deine Knechte haben Freude an ihren Steinen und lieben ihren Staub.

Ja, unsre Gebete für die Kirche werden erhört werden. Die bestimmte Zeit ist gekommen. Wir lieben die Gebetsversammlung und die Sonntagsschule und alle Dienste im Hause des Herrn. Wir sind mit dem ganzen Volk Gottes im Herzen verbunden und können mit Wahrheit sagen:

„Es ist kein Lamm in Deiner Herd',
Das mir zum Hüten zu gering.
Es ist kein Feind, vor dessen Schwert
Mir bang im Kampf für Deine Sach'.“

Wenn dies das allgemeine Gefühl ist, werden wir bald Zeiten der Erquickung von dem Angesicht des Herrn genießen. Unsre Versammlungen werden voll sein, Heilige werden neu belebt und Sünder bekehrt werden. Dies kann nur von des Herrn Barmherzigkeit kommen; aber es wird kommen, und wir werden aufgemuntert, es zu hoffen. Die Zeit, die bestimmte Zeit, ist gekommen. Lasst uns tätig sein. Lasst uns jeden Stein unsres Zion lieben, selbst wenn er heruntergefallen ist. Lasst uns die geringste Wahrheit, die geringste Vorschrift, den geringsten Gläubigen wertschätzen, auch wenn manche sie als bloßen Staub verachten. Wenn wir Zion günstig sind, so wird Gott ihr sehr bald günstig sein. Wenn wir Freude an des Herrn Werk haben, so wird der Herr selbst Freude dran haben.

Ps. 103,2

„Vergiss nicht, was Er dir Gutes getan hat.“

Es ist eine liebliche und löbliche Beschäftigung, auf die Hand des Herrn zu achten, wie sie sich in der Lebensführung der Heiligen voriger Zeiten offenbart, und seine Barmherzigkeit wahrzunehmen, die sich kundgibt, wenn Er sie aus Trübsal erlöst, seine Gnade, wenn Er ihnen ihre Sünde vergibt, seine Treue, wenn Er ihnen seinen Bund hält. Aber wäre es nicht noch seliger und segensreicher für uns, wenn wir auf die Hand Gottes in unserm eignen Leben acht hätten? Sollten wir in unserer Schicksalsführung wenigstens ebenso deutlich das göttliche Walten erkennen, ebenso klar und strahlend seine Barmherzigkeit und seine Gnade, ebenso überzeugend seine Wahrhaftigkeit und Treue, wie im Leben irgend eines Heiligen, der uns vorausgegangen ist? Wir tun ein Unrecht an unserm Herrn, wenn wir meinen, Er habe alle seine mächtigen Taten vollbracht und sich als der starke Gott erzeigt für die Menschen der Vorzeit, aber Er wirke keine Wunder mehr und rege seinen gewaltigen Arm nicht mehr für die Heiligen, die jetzt auf Erden leben. Werfen wir einen Blick auf unsre Vergangenheit. Gewiss können wir in derselben manches glückliche Ereignis gewahren, das uns aufmuntert und zur Ehre unsers Gottes zeugt. Seid ihr noch nie aus Nöten erlöst worden? Seid ihr noch nie durch Ströme der Trübsal geschritten, und dabei getragen worden von der Gnadengegenwart Gottes? Seid ihr noch nie unversehrt durchs Feuer der Verfolgung gegangen? Habt ihr nie Offenbarungen empfangen? Sind euch keine vorzüglichen Gnadenerweisungen zuteil geworden? Hat der Gott, der Salomo gab, was sein Herz begehrte, nie auf euer Seufzen geachtet und euer Verlangen erhört? Hat der Gott der überschwänglichen Güte, von welchem David sang: „Der deinen Mund fröhlich macht,“ dich nie mit dem Mark und Fett seiner Güte gesättigt? Hat Er dich noch nie geweidet auf grüner Aue? Hat Er dich noch nie geführt zum frischen Wasser? Sicher ist uns der Herr so gnädig und gütig gewesen, als den Heiligen der Vorzeit. Darum lasst uns seine Gnadentaten zum Preisgesange verweben. Wir wollen das lautere Gold der Dankbarkeit und die Edelsteine der Loblieder nehmen und sie zu einer neuen Krone zusammenflechten für unsers Jesu Haupt. Unsre Seelen sollen so lieblich erschallen wie Davids Harfen, wenn wir des Herrn Lob verkünden, des Gnade ewiglich währt.

Ps. 103,3

„Der dir alle deine Sünden vergibt, und heilet alle deine Gebrechen.“

So demütigend es auch ist, so ists nicht weniger gewiss, dass wir Alle mehr oder weniger von der Krankheit der Sünde heimgesucht sind und darunter leiden. Welch' einen Trost gewährt es uns da, dass wir wissen, wir haben einen großen Arzt, der uns heilen kann und gerne heilt! Seiner wollen wir Heute Abend gedenken. Sine Heilungen sind sehr rasch: ein Blick auf Ihn schenkt uns das Leben; Seine Heilungen sind gründlich: Er greift die Krankheit in ihrem Sitze an: und darum sind Seine Heilungen sicher und gewiss. Es misslingt Ihm nie und die Krankheit kehrt nie wieder. Es gibt keinen Rückfall, wo Christus heilt; kein Gedanke, dass etwa Seine Kranken nur für eine Zeit lang hergestellt werden, Er macht neue Menschen aus ihnen; auch gibt Er ihnen ein neues Herz und einen neuen gewissen Geist. Er ist wohl erfahren in allen Krankheiten. Ärzte befassen sich sonst hauptsächlich mit besonderen Erscheinungsformen gewisser Krankheiten. Obgleich sie fast mit allen unsern Leiden und Gebrechen einigermaßen bekannt sind, so gibt es doch gewöhnlich eine Krankheit, die sie gründlicher studiert haben, als alle übrigen; aber der Herr Jesus ist durchaus vertraut mit der ganzen menschlichen Natur. Er weiß eben so gut, wie Er mit dem einen Sünder daran ist, als wie mit dem andern. Er hat schon mit ungewöhnlich verwickelten, seltenen Gebrechen zu schaffen gehabt, aber Er hat auf den ersten Blick genau gewusst, wie der Patient musste behandelt werden. Er steht als Arzt einzig in Seiner Art da, und die Arznei, die Er gibt, ist die allein echte Lebensessenz, die in jeder Krankheit hilft. Worin auch unsere geistliche Krankheit bestehen mag, so sollten wir uns sogleich an diesen göttlichen Arzt wenden. Er verbindet die zerbrochenen Herzen. Sein Blut macht uns rein von aller Sünde.„ Wir dürfen nur an die Tausende denken, welche durch die Macht und den Segen Seiner Berührung von allen möglichen Krankheiten geheilt wurden, so können wir uns getrost Seinen Händen überlassen. Wir vertrauen Ihm, und die Sünde erstirbt; wir lieben Ihn, so erblühen unsere Tugenden; wir harren auf Ihn, so wachsen wir in der Gnade; wir sehen Ihn, wie Er ist, so sind wir vollendet in Ewigkeit. (Goldstrahlen Mai 31)

Ps. 103,9

Er wird nicht immerdar hadern, noch ewiglich Zorn halten.

Er wird zuweilen hadern, sonst würde Er kein weiser Vater für solche arme, irrende Kinder, wie wir es sind. Sein Hadern ist sehr schmerzlich für die, welche wahrhaft sind, weil sie fühlen, wie sehr sie es verdienen, und wie unrecht es von ihnen ist, Ihn zu betrüben. Wir wissen, was dieses Hadern bedeutet, und wir beugen uns vor dem Herrn und trauern darüber, dass wir Ihm Anlass geben, mit uns zu zürnen.

Aber was für einen Trost finden wir in diesen Zeilen! „Nicht immerdar“ will Er hadern. Wenn wir Buße tun und uns zu Ihm wenden mit einem Herzen, das gebrochen ist um der Sünde willen und ihr entsagt hat, wird Er sofort freundlich gegen uns sein. Es ist Ihm kein Vergnügen, denen, die Er von ganzem Herzen liebt, ein strenges Antlitz zu zeigen: es ist seine Freude, wenn unsre Freude voll ist.

Kommt, lasst uns sein Angesicht suchen. Es ist kein Grund da zum Verzweifeln, nicht einmal zum Verzagen. Lasst uns einen hadernden Gott lieben, und nicht lange, so werden wir singen: „Dein Zorn hat sich gewendet, und Du tröstest mich.“ Hebt euch hinweg, ihr düstern Ahnungen, ihr Raben der Seele! Kommt herein, ihr demütigen Hoffnungen und dankbaren Erinnerungen, ihr Tauben des Herzens! Er, der uns längst als Richter begnadigt hat, will uns wiederum als Vater vergeben, und wir sollen uns in seiner süßen, unveränderlichen Liebe freuen.

Ps. 104,16

„Die Zedern Libanons, die Er gepflanzt hat.“

Libanons Zedern sind ein Sinnbild für das Volk der Christen, denn sie verdanken ihr Leben und Gedeihen ganz dem Herrn, der sie gepflanzt hat. Dies gilt von einem jeden Gotteskind. Es ist nicht von Menschen, noch von sich selbst, sondern von Gott gepflanzt. Die geheimnisvolle Hand des Heiligen Geistes streut den lebendigen Samen in ein Herz, das Er selbst zur Saat zubereitet hat. Jeder wahrhaftige Himmelserbe erkennt den großen Weingärtner als den an, der ihn gepflanzt hat. Außerdem bedürfen die Zedern Libanons keines Menschen, der sie bewässere; sie stehen auf einem hohen Felsen, nie befeuchtet von Menschenhand; und doch sorgt euer himmlischer Vater für sie. So verhält sichs mit dem Christen, der gelernt hat, seines Glaubens zu leben. Er ist unabhängig von Menschen, sogar von zeitlichen Dingen; er schaut auf den Herrn, seinen Gott, und auf Ihn allein; der erhält ihn beständig durch seine Gnade. Der himmlische Tau ist sein Teil, und Gott von Himmel sein Born. Wiederum werden die Zedern Libanons von keiner sterblichen Macht beschützt. Sie verdanken dem Menschen nicht im geringsten ihre Erhaltung, ihr fröhliches Gedeihen in Sturmessausen und Wetterbrausen. Sie sind Gottes Bäume, erhalten und bewahrt von Ihm, und ganz allein von Ihm. Ganz ebenso ists mit dem Christen. Er ist keine Treibhauspflanze, die vor aller Unbill der Witterung geschützt wäre; er steht Wind und Wetter ausgesetzt; er hat weder Schutz noch Schirm, ausgenommen allein das, dass die breiten Flügel des ewigen Gottes die Zedern bedecken, die Er gepflanzt hat. Den Zedern gleich, stehen die Gläubigen auch voller Saft und haben Lebenskraft genug, um allezeit zu grünen, selbst mitten im winterlichen Schnee und erstarrenden Frost. Endlich gereicht das fröhliche und kräftige Gedeihen der Zedern und ihr majestätischer Wuchs Gott allein zur Ehre. Der Herr, ja, der Herr allein, ist den Zedern alles geworden, und darum sagt David so schön in einem seiner Psalmen: „Lobt den Herrn, fruchtbare Bäume, und alle Zedern.“ Es ist nichts im Gläubigen, was den Menschen verherrlichen könnte; er wird gepflanzt, ernährt und beschützt von des Herrn eigner Hand. Von dem Herrn ists, „dass die Bäume des Herrn voll Safts stehen, die Zedern Libanons, die Er gepflanzte hat.“ Darum lobe den Herrn, meine Seele, und gib Ihm allein die Ehre!

Ps. 104,16

„Die Bäume des Herrn stehen voll Safts.“

Ohne Saft kann der Baum weder grünen noch blühen. Lebenskraft ist etwas Unerlässliches, etwas Wesentliches für einen Christen. Es muss ein Leben in ihm vorhanden sein, eine belebende Kraft, die Gott der Heilige Geist uns einflößt, sonst können wir keine Bäume des Herrn sein. Der bloße Name, dass wir Christen seien, ist etwas Totes; wir müssen erfüllt werden mit dem Geiste des göttlichen Lebens. Dies Leben ist eine geheimnisvolle Kraft. Wir verstehen nichts davon, wie der Saft seinen Kreislauf in den Pflanzen vollführt, durch welche Kraft er aufsteigt und welche Gewalt ihn wieder abwärts treibt. So ist auch unser inneres Leben ein Geheimnis. Die Wiedergeburt wird durch den Heiligen Geist gewirkt, der in den Menschen eingeht und das neue Leben des Menschen wird; und dies göttliche Leben in einem Menschen ernährt sich dann von dem Fleisch und Blut Christi und wird von der göttlichen Nahrung erhalten, aber wer kann sagen und deuten, woher es kommt und wohin es geht? Was ist der Saft für ein verborgenes Ding! Die Wurzeln ziehen mit ihren zarten Fasern suchend durch das Erdreich, aber wir können nicht sehen, wie sie die verschiedenen Luftarten und Feuchtigkeiten einsaugen, oder wie sie die erdigen Stoffe in Pflanzenelemente umwandeln; diese Arbeit geschieht im Dunkeln und Verborgenen. Unsre Wurzel ist Christus Jesus, und unser Leben ist verborgen in Ihm; das ist das Geheimnis des Herrn. Die Grundlage des christlichen Lebens ist ein ebenso großes Geheimnis, wie das Leben selbst. Wie ist der Saft in der Zeder so unablässig tätig! Im Christen erweist sich das göttliche Leben allezeit tätig und kräftig, nicht jederzeit reifen die Früchte, aber allezeit schreitet das innere Wachstum voran. Des Gläubigen Gnadentugenden: ist nicht eine jede derselben beständig in Bewegung? und sein Leben hört nimmer auf, in ihm zu walten zu wirken. Er arbeitet nicht immer für Gott, aber sein Herz lebt immer von Gott. Gleich wie der Saft sich in der Bildung der Früchte am Baum offenbart, so geschiehts auch mit den Äußerungen eines gesunden Christenlebens; die Gnade, die in ihm arbeitet, tut sich äußerlich kund in seinem Wandel und seinen Worten. Wenn man mit ihm spricht, so kann er nicht anders, er muss von Jesu reden. Wenn man auf sein Tun achtet, so sieht man, dass er auch mit Jesu gewesen ist.

Ps. 104, 28

- Wir haben nur zu sammeln. Gott gibt. Das gilt für die irdischen Dinge: unser tägliches Brot, unsere Arbeit, unsere Freude. Das gilt auch für geistliche Dinge. Gott schenkt durch seinen Geist. Wir haben nur zu sammeln. - Wir können nur sammeln, was Gott gibt. Das ist die Grenze. Mehr können wir nicht sammeln, so sehr wir uns auch bemühen würden. „Wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen“ (Psalm 127,2). - Wir müssen sammeln, was Gott gibt. Wenn wir das nicht tun, bekommen wir nichts. Der Fisch muss hochschnellen, um die Mücke zu fangen, und der Löwe muss seine Beute auch erjagen. - Wir dürfen sammeln, was Gott gibt. Wir haben die göttliche Erlaubnis, alles zu genießen, was Gott gibt. - Gott wird uns immer geben, damit wir immer sammeln können. Das ist auch in geistlichen Dingen so. Wenn wir bereit sind zu sammeln, ist Gott immer bereit zu geben.

Ps. 107,7

„Und führte sie einen richtigen Weg.“

Wechselvolle innere Erlebnisse leiten den ernsten Christen oft auf die Frage: „Warum gehts mir so?“ Ich suchte Licht, aber siehe, Finsternis kam über mich; ich suchte Frieden, und fand Trübsal. Ich sprach in meinem Herzen: Mein Berg steht fest, ich werde nimmermehr daniederliegen; aber da Du, Herr, Dein Antlitz verbargst, erschrak ich. Erst gestern noch habe ich meine Erwählung klar erkennen können; aber heute ist mir alle Gewissheit genommen und meine Hoffnungen sind umwölkt. Gestern konnte ich Pisgas Höhen ersteigen und hinausblicken auf das herrliche Land der Verheißung; heute ist mein Geist aller frohen Zuversicht beraubt, zaghafte Furcht hat sich meiner bemächtigt; Freuden habe ich keine, wohl aber viele Traurigkeit. Gehört das denn auch zu Gottes Absichten mit mir? Kann dies der Weg sein, auf welchem mich Gott will zum Himmel führen? Ja, so ists. Die Verdunkelung deines Glaubens, die Verdüsterung deines Gemüts, das Verschwinden deiner Hoffnung, das alles sind nur Mittel und Wege, wodurch Gott dich der Reife für das große Erbteil entgegenführt, das du nun bald empfangen wirst. Diese Prüfungen bezwecken die Bekräftigung und Bestätigung deines Glaubens, sie sind die Fluten, deren Wellenschlag dich höher auf den Felsen hinaufträgt, sie sind die Winde, die dein Schiff nur umso rascher dem himmlischen Hafen zutreiben. So heißt es denn bei dir, wie David spricht: „Er brachte sie zu Lande nach ihrem Wunsch.“ Durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, durch Reichtum und Armut, durch Freude und Traurigkeit, durch Verfolgung und Ehre; durch das alles wird das Leben deiner Seele erhalten und gefördert, und ein jegliches muss dir zum Segen dienen auf deinem Pfade. O, denke nicht, lieber gläubiger Bruder, dass deine Bekümmernisse den göttlichen Absichten mit dir fremd seien; sie gehören notwendig dazu. „Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes gehen.“ Darum lernt es, „eitel Freude achten, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt.“

„Je größer Kreuz, je schön're Krone,
Die Gottes Hand uns beigelegt,
Und die einmal vor seinem Throne
Der Überwinder Scheitel trägt.
Ach, dieses teure Kleinod macht,
Dass man das größte Kreuz nicht acht't.“

Ps. 107,8

„Die sollen dem Herrn danken um seine Güte und um seine Wunder, die Er an den Menschenkindern tut.“

Wenn wir weniger klagten und mehr lobten, so wären wir glücklicher, und Gott würde mehr verherrlicht. Wir wollen Ihn täglich preisen für seine gewöhnlichen Gnadengaben, - gewöhnliche nennen wir sie häufig, und doch sind sie so unschätzbar, dass wir ohne dieselben elendig umkommen müssten. Wir wollen Gott danken für die Augen, mit denen wir das Licht der Sonne betrachten, für Gesundheit und Kraft zu unserm Handel und Wandel, für das Brot, das wir essen, für die Kleidung, die wir tragen. Wir wollen Ihn lobpreisen, dass wir nicht hinausgeworfen sind unter die, die keine Hoffnung haben, noch unter die Übeltäter gerechnet werden; lasset uns danken für Freunde, Familienbande und ruhiges Leben. Wir wollen Ihn hoch erheben über alles, was wir aus seiner gütigen Hand empfangen, denn wir haben es nicht verdient, sondern nur Schuld auf Schuld gehäuft. Aber, Geliebte, der süßeste und lauteste Klang in unserm Lobgesang sollte die versöhnende Liebe preisen: Gottes Erlösungstaten an seinen Auserwählten bleiben in alle Ewigkeit das Lieblingslied ihres Preisgesanges. Wenn wir wissen, wie köstlich die Versöhnung ist, so lasset uns unsre Dankeshymnen nicht zurückdrängen. Wir sind erlöst worden von der Macht unsers Verderbens und erhöht aus der Tiefe der Sünde, in die wir von Natur eingetaucht waren. Wir sind zum Kreuz Christi geleitet worden, dort sind die Zentner purpurnen Goldes gewogen worden für unsre Schuld; wir sind keine Leibeigenen der Sünde mehr, sondern Kinder des lebendigen Gottes und sehen der Zeit entgegen, wo wir vor seinem Throne dargestellt werden ohne Flecken oder Runzel oder des etwas. Schon jetzt schwingen wir durch den Glauben den Palmzweig und kleiden uns in die weiße Seide, die unser ewiger Schmuck bleiben wird. Müssen wir da nicht dem Herrn, unserm Heiland, unaufhörlich unsern Dank darbringen? Kind Gottes, kannst du hier schweigen? Wacht auf, wacht auf, ihr Erben der Herrlichkeit, und führt euer Gefängnis gefangen, wenn ihr mit David ausruft: „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, lobe seinen heiligen Namen!“ Jeden Tag wollen wir mit neuen Liedern des Dankes weihen.

Ps. 107,9

Er sättigt die durstige Seele und füllt die hungrige Seele mit Gutem.

Es ist gut, Sehnsucht zu haben und je inniger sie ist, desto besser. Der Herr will das Sehnen der Seele sättigen, wie groß und alles andre überwiegend es auch sei. Lasst uns viel Sehnsucht haben, denn Gott will viel geben. Wir sind nie in einem rechten Seelenzustand, wenn wir mit uns selber zufrieden und frei von Sehnsucht sind. Das Verlangen nach mehr Gnade und das unaussprechliche Seufzen sind die Schmerzen des Wachstums, und wir sollten wünschen, sie immer mehr zu fühlen. Heiliger Geist, mache uns seufzen und schreien nach besseren Dingen und noch mehr von den besten Dingen!

Hunger ist eine keineswegs angenehme Empfindung. Doch selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit. Solche Menschen sollen nicht nur ihren Hunger mit ein wenig Speise gelindert haben, sondern sie sollen gefüllt werden. Sie sollen nicht mit irgend welch groben Nahrungsmitteln gefüllt werden, sondern ihre Speise wird ihres guten Herrn würdig sein, denn sie sollen von Jahwe selber mit Gutem gefüllt werden.

Kommt, lasst uns nicht sorgen, weil wir schmachten und hungern, sondern lasst uns die Stimme des Psalmisten hören, wie auch er sich sehnt und hungert, Gott erhoben zu sehen. „O, dass die Menschen den Herrn preisen wollten für seine Güte und für seine Wunder, die Er an den Menschenkindern tut.“

Ps. 109,4

„Ich aber bete.“

Lügenzungen waren geschäftig, wider den guten Namen Davide, aber er vertheidigte sich nicht darob; er brachte sein Anliegen vor einen höheren Gerichtshof und flehte vor dem großen König der Könige. Das Gebet ist die sicherste Art, wie wir die Worte unserer Hasser und Feinde widerlegen können. Der Psalmist betete nicht in kaltherziger Weise, er betete mit ganzer Hingebung seines Wesens, er legte seine ganze Seele und sein volles Herz in sein Gebet und spannte alle Nerven und Sehnen seines Wesens an, wie einst der Erzvater Jakob, da er mit dem Engel rang. So, und nur so soll Jeder von uns hineilen zum Gnadenthron. Gleich wie der Schatten keine Macht hat, weil ihm Wesen und Wirklichkeit mangelt, so hat auch ein Gebet keine Kraft, wenn in demselben nicht des Menschen eigenste ich völlig gegenwärtig ist in ringendem Ernste und mächtigem Verlangen; es ist ganz und gar unwirksam, denn es mangelt ihm gerade das, was ihm allein Kraft zu geben vermag. „Ernstliches Gebet,“ sagt ein alter Gottesgelehrter, „ist wie eine Kanone, die vor den Toren des Himmels aufgepflanzt ist: es sprengt diese Tore.“ Die Meisten unter uns leiden an dem allgemeinen Fehler, dass sie sich so leicht zerstreuen lassen. Unsere Gedanken irren unsicher hierhin und dorthin und wir rücken fast gar nicht gegen das Ziel vor, das uns anliegt. Unser Gemüt ist wie Quecksilber, das nicht zusammenhalten will, sondern da- und dorthin auseinanderfährt. Was ist doch das für ein großes Übel! Es bringt uns zu Schaden, und was noch schlimmer ist, es beleidigt unsern Gott.

Unermüdlichkeit und Ausdauer liegen in dem Sinn unseres Schriftwortes. David rief nicht bloß einmal zum Herrn, um darauf wieder in ein müdes Schweigen zu versinken; sein heiliges Anrufen hielt an, bis es Erhörung brachte. Beten muss bei uns keine Gelegenheitssache, es muss unser tägliches Geschäft, unsere Gewohnheit, unser Beruf sein. Gleichwie ein Künstler sich mit seinen Vorbildern, ein Dichter mit den Werken klassischer Schriftsteller abgibt, so müssen wir uns mit ganzer Seele dem Gebet widmen. Wir müssen ganz eingetaucht sein ins Gebet, als in unser Lebenselement, und beten ohne Aufhören. Herr, lehre uns beten, damit wir je mehr und mehr tüchtig werden zum Gebet. (Goldstrahlen, Januar 15)

Ps. 110,3

Dein Volk wird willig sein am Tage Deiner Macht.

Gelobt sei der Gott der Gnade, dass es so ist! Er hat ein Volk, das Er von alters her als sein besonderes Teil erwählt hat. Die dazu gehören, haben von Natur einen ebenso hartnäckigen Willen wie die übrigen der widerspenstigen Söhne Adams; aber wenn der Tag seiner Macht kommt und die Gnade ihre Allmacht offenbart, so werden sie willig, Buße zu tun und an Jesus zu glauben. Niemand wird gegen seinen Willen errettet, aber auf den Willen wird so eingewirkt, dass er sich sanft ergibt. Was für eine wunderbare Macht ist dies, die niemals den Willen vergewaltigt und ihn dennoch lenkt! Gott zerbricht das Schloss nicht, aber Er öffnet es durch einen Hauptschlüssel, den nur Er handhaben kann.

Nun sind wir willig, zu tun oder zu leiden, wie der Herr will. Wenn wir irgend einmal aufrührerisch werden, braucht Er nur mit Macht zu uns zu kommen, und alsbald laufen wir auf dem Weg seiner Gebote mit unsrem ganzen Herzen. Möchte dies für mich ein Tag der Macht sein in einem guten Werk für die Ehre Gottes und das Wohl meiner Mitmenschen! Herr, ich bin willig; darf ich nicht hoffen, dass dies ein Tag Deiner Macht ist? Ich bin ganz zu Deiner Verfügung; willig, ja, voll Eifer, für Deine heiligen Zwecke gebraucht zu werden. O Herr, lass mich nicht zu rufen haben: „Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht;“ sondern gib mir die Macht, wie Du mir den Willen gibst.

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