Spurgeon, Charles Haddon - Prediger Salomo (Andachten)

Spurgeon, Charles Haddon - Prediger Salomo (Andachten)

Prediger 1,2

Es ist alles ganz eitel, es ist alles ganz eitel.

Nichts vermag den ganzen Menschen zu befriedigen, als des Herrn Liebe und des Herrn Nähe. Etliche Heilige haben zuweilen einen andern Ankergrund gesucht, aber sie sind aus solchen verderblichen Zufluchtsstätten jedesmal vertrieben worden. Salomo, dem Weisesten unter allen Menschen, war gestattet, für uns alle Erfahrungen zu sammeln und für uns zu vollbringen, was wir zu unternehmen nie hätten wagen dürfen. Hier ist sein Zeugnis in klaren Worten ausgesprochen: „Ich nahm zu über alle, die vor mir zu Jerusalem gewesen waren; auch blieb Weisheit bei mir. Und alles, was meine Augen wünschten, das ließ ich ihnen, und wehrte meinem Herzen keine Freude, dass es fröhlich war von aller meiner Arbeit. Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte, und Mühe, die ich gehabt hatte: siehe, da war es alles eitel und Jammer und nichts mehr unter der Sonne.“ „O Eitelkeit der Eitelkeiten! Alles ist eitel.“ Wie? all sein Tun und Genießen war eitel? O, glücklichster unter allen Fürsten, ist in aller deiner Herrlichkeit nichts? Nichts in dem ganzen weiten Reiche, das von den Strömen Mesopotamiens bis ans Meer reichte? Nichts in Palmyras herrlichen Säulenpalästen? Nichts im Hause vom Walde Libanon? In all deinen Gesängen und Reigen, in deinem Wein und deiner Herrlichkeit? In allem nichts? „Nichts,“ spricht er, „als Grämen und Leid, dass auch mein Herz des Nachts nicht ruht.“ Das war sein Ausspruch, nachdem er alle Freuden genossen hatte.

Aber unseren Herrn Jesum lieben, in seiner Liebe wohnen und seiner innigen Gemeinschaft gewiss sein, das ist alles in allem. Lieber Freund, du brauchst kein andres Leben zu versuchen, um zu erfahren, ob es besser ist, als das Leben in Christo; wenn du alle Welt durchziehst, findest du keinen so herrlichen Anblick, wie das Angesicht unsers Heilandes; könntest du alle Wollust des Lebens haben und verlörst deinen Heiland, so wärest du der unglückseligste unter allen Menschen; wenn du aber Christum gewinnst, dann kannst du in einem Kerker verschmachten, so wird er dir zu einem Paradiese. Lebst du im Verborgenen, oder bist du am Verhungern, so wird dir doch das Beste nicht mangeln: Die Fülle der Güte unsers Herrn.

Prediger 1,7

„Alle Wasser laufen ins Meer; noch wird das Meer nicht voller; an den Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder hin.“

Alles, was unter dem Mond ist, ist der Veränderung unterworfen; die Zeit kennt keine Ruhe. Die feste Erde ist eine rollende Kugel und die große Sonne selber ein Stern, der in der vorgezeichneten Bahn ein größeres Zentralgestirn gehorsam umkreist. Ebbe und Flut bewegen den Ozean, Winde durchziehen nach allen Richtungen das Luftmeer, Regen, Frost und Hitze lösen die Felsen in Staub auf. Die Menschen werden geboren, um wieder zu sterben: alles bringt dem Geist Unruhe, Plage und Not. O du Freund des unwandelbaren Jesu, was ist doch das für eine Freude für dich, wenn du über dein unverwelkliches Erbe nachdenken kannst; dein Segensmeer bleibt ewig voll, weil Gott selber ewige Ströme seiner Freude darin ausgießt. Wir suchen eine bleibende Stadt über den Wolken, und wir werden keine Täuschung erfahren. Die uns vorliegende Schriftstelle kann uns wohl zur Dankbarkeit anregen. Der Vater Ozean ist ein großer Einnehmer, aber er ist auch ein großmütiger Spender. Was ihm die Ströme bringen, das gibt er der Erde als Wolken und Regen wieder zurück. Ein Mensch, der alles nur annimmt und nichts wieder zurückgibt, passt nicht in diese Weltordnung. Andern mitzuteilen, ist nur eine Saat zu unserem eigenen Nutzen. Wer ein so guter Haushalter ist, dass er sein Vermögen gern für seinen Herrn hingibt, wird noch mehr empfangen. Freund Jesu, erstattest du Ihm wieder zurück nach dem Maße des Segens, den du empfangen hast? Dir ist viel anvertraut worden, was hat es für Frucht getragen? Hast du alles getan? Kannst du nicht noch mehr tun? Selbstsüchtig sein, heißt ruchlos sein.

Denke einmal, das Meer gebe von seinem Wasserreichtum nichts mehr zurück, so wäre unser ganzes Geschlecht, ja, die ganze belebte Schöpfung dem Untergang preisgegeben. Gott verhüte, dass jemand unter uns dem unedeln und verderblichen Grundsatz huldige, nur ihm selber zu leben. Der Herr Jesus lebte nicht sich selber. Alle Fülle wohnt in Ihm, aber aus seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade. O Geist Jesu, dass wir doch hinfort nicht uns selber lebten!

Prediger 3,1

Die wertvolle Zeit.

Ich habe gehört, dass die Königin Elisabeth einst ausgerufen habe, sie wolle für eine einzige Stunde ein ganzes Reich hergeben. Ich habe von dem verzweifelnden Ruf jenes reichen Mannes an Bord des „Arctic“ gehört, welcher, als das Schiff sank, dem Rettungsboot nachrief: „Kommt zurück! Ich gebe euch eine halbe Million, wenn ihr umkehrt und mich aufnehmt!“ O armer Mann! Und wenn er eine halbe Million Welten hätte hergeben können, es wäre zu wenig gewesen, um sein Leben zu verlängern. Manche von euch, welche heute morgen noch lächeln. können, welche hierher gekommen sind, um hier vielleicht eine vergnügte Stunde zu verleben, werden bald sterben müssen, und dann werdet ihr seufzen und um das verlorene Leben weinen und nach einem andern Sonntag schreien. O, wenn die Sabbate, die ihr verschwendet habt, gleich Geistergestalten vor euch hintreten werden, wie entsetzlich wird dann eure Reue sein! Möchte Gott euch davor bewahren!

Prediger 7,9

„Das Ende eines Dinges ist besser denn sein Anfang.“

Schaut auf den Herrn und Meister Davids; siehe auf seinen Anfang. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor Ihm verbarg. Und wollt ihr nun sein Ende betrachten? Er sitzet zur Rechten seines Vaters, bis dass seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. „Gleichwie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt.“ Ihr müsst das Kreuz tragen, sonst wird euch nie die Krone schmücken; ihr müsst den Sumpf durchwaten, sonst könnt ihr nie auf den goldenen Gassen wandeln. Darum freue dich und sei fröhlich, armer Christenmensch. „Das Ende eines Dinges ist besser denn sein Anfang.“ Sieh jene kriechende Raupe, wie erbarmungswürdig ist ihr Anblick! Sie ist der Anfang eines Geschöpfes. Siehst du dort einen Schmetterling mit den prachtvollen, breiten, schimmernden Flügeln? Sieh, er wiegt sich in den Sonnenstrahlen und trinkt aus Kelchen blühender Blumen; er ist voller Leben und Glück: das ist jenes Geschöpfes Ende. Du selbst bist jener kriechende Wurm, bis dass du eingehüllt wirst in das Gespinst des Todes; wenn aber Christus erscheinen wird, dann wirst du Ihm gleich sein, denn du wirst Ihn sehen, wie Er ist. Freue dich, dass du Ihm gleich sein darfst, ein Wurm und kein Mensch, auf dass du wie Er vollen Lohn empfangest, wenn du wieder erwachst nach seinem Bilde. Dieser rohe Diamant wird auf die Polierscheibe des Schleifers gebracht; der beschneidet ihn auf allen Seiten. Es geht manches zu Grunde, gar manches, was dem Diamant selber wertvoll erscheint. Sieh, der König wird gekrönt; das Diadem wird dem Herrscher aufs Haupt gelegt unter dem Freudenschall der Posaunen. Ein glänzender Strahl bricht aus jener Krone hervor, und er blitzt gerade von demselben Diamant auf, den der Steinschleifer vorher so arg misshandelt hat. Du darfst dich getrost mit solch einem Diamanten vergleichen, denn du bist ein Glied des Volkes Gottes, und dies Leben ist die Zeit des Schleifens und Polierens. Lass Glauben und Geduld ihr Werk an dir vollenden, denn des Tages, da die Krone dem König, dem Ewigen, Unsterblichen, Unsichtbaren, aus Haupt gesetzt wird, wird auch von dir ein Strahl der Herrlichkeit ausgehen. „Sie sollen, spricht der Herr Zebaoth, des Tages, den ich machen will, mein Eigentum sein.“ „Das Ende eines Dinges ist besser denn sein Anfang.“

Prediger 9,4

„Ein lebendiger Hund ist besser als ein toter Löwe.“

Das Leben ist etwas Köstliches, und auch in seiner armseligsten Gestalt ist es dem Tode vorzuziehen. Diese Wahrheit ist im geistlichen Sinne von unendlicher Bedeutung. Es ist besser, im Himmelreich der Letzte zu sein, als außer demselben der Größte. Der niedrigste Grad der Gnade ist weit vorzüglicher, als die höchste Entwicklung der unwiedergeborenen Natur. Wo der Heilige Geist einer Seele das göttliche Leben eingepflanzt hat, da ist ein köstlicher Schatz, welchem die trefflichste Erziehung nicht das Wasser zu bieten vermag. Der Schächer am Kreuz überstrahlt den mächtigen Cäsar auf seinem Thron; Lazarus, den Hunde umgeben, ist besser als Cicero im Rat der Senatoren; und der ungebildetste Christ steht in den Augen Gottes über Plato. Das Leben ist im Reich des geistlichen Daseins der wahre Adelsbrief, und Menschen, die ihn nicht besitzen, sind nur gröbere oder feinere Stücke eines toten Stoffes, welcher der Belebung bedarf; denn sie sind tot in Übertretung und Sünden.

Eine lebendige, liebedurchglühte, evangelische Predigt, und wäre sie noch so einfach an Inhalt und noch so kunstlos in der Form, ist besser als die kunstgerechteste Rede, der es an Salbung und Kraft, der Überzeugung fehlt. Ein lebendiger Hund hält besser Wache als ein toter Löwe und ist seinem Herrn von größerem Nutzen; und so ist der Geringste an Begabung, der das Evangelium in der Kraft des Geistes verkündigt, besser als der ausgezeichnetste Redekünstler, der nur Wortweisheit besitzt und nur die Macht des Wortschwalls kennt. Dasselbe gilt von dem Wert unserer Gebete und anderer Übungen der Gottseligkeit; wenn wir dabei vom Heiligen Geist belebt und angeregt sind, so sind sie Gott angenehm durch Jesus Christus, ob wir sie gleich unwürdig achten, während unsere größten Anstrengungen in geistlichen Dingen, denen aber unser Herz fremd bleibt, dem toten Löwen gleichen und in den Augen Gottes nur Leichname sind. Ach, dass sich doch lebendige Seufzer, lebendige Schmerzen, lebendiges Zittern der Angst in uns regte, statt lebloser Loblieder und toten Friedens. Alles besser als der Tod. Welchen größeren Fluch kann man sich denken, als toten Glauben und totes Bekenntnis? Mache uns lebendig, ja, lebendig, o Herr!

Prediger 9,10

„Alles, was dir vor Händen kommt zu tun, das tue frisch.“

Alles, was dir vor Händen kommt zu tun. Dies bezieht sich auf Werke, die möglich sind. Es gibt manche Dinge, die sich unserem Herzen darbieten, und die wir doch nicht durchführen können. Es ist gut, wenn‘s in unserem Herzen ist; aber wenn wir uns möglichst nützlich machen wollen, so dürfen wir uns nicht damit zufrieden geben, dass wir uns etwas im Herzen vornehmen, und etwa davon reden; sondern wir müssen uns in Wahrheit frisch daran machen, alles zu tun, „was uns vor Händen kommt.“ Eine einzige gute Tat ist mehr wert, als tausend herrliche und glänzende Pläne. Warten wir nicht lange auf gute Gelegenheiten, oder auf ein Werk anderer Art, sondern tun wir frisch, „was uns vor Händen kommt“ Tag für Tag. Uns ist keine andere Zeit zum Leben geschenkt als die vorhandene. Das Vergangene ist vorbei; die Zukunft ist noch nicht da; uns steht nie eine andere Zeit zur Verfügung als die gegenwärtige. Darum warte nicht, bis deine Erfahrung alt geworden ist, ehe du anfängst, Gott zu dienen. Bestrebe dich nun, Frucht zu bringen. Diene Gott jetzt, aber sei achtsam auf die Art, wie du es tust. Alles, was dir vor Händen kommt zu tun, „das tue frisch.“ Tue es bald; vertändle nicht dein Leben damit, dass du immer nur Pläne entwirfst, was du morgen tun willst; als ob du dich daran für die vergeudete Zeit des heutigen Tages schadlos halten könntest. Noch nie hat jemand Gott damit gedient, dass er morgen etwas tun will. Wenn wir Christus ehren und von Ihm Segen empfangen, so ist es durch das, was heute geschieht. Alles, was du für Christus tust, tue mit ganzem Herzen: wirf dich mit aller Kraft deiner Seele hinein. Bringe deinem Heiland nicht lässige Arbeit, die du stückweise getan hast, hier ein wenig, da ein wenig; sondern wenn du Ihm dienst, so sei‘s von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und aus allen deinen Kräften.

Aber worin liegt des Christen Kraft? Nicht in ihm selbst, denn er ist die völlige Ohnmacht. Seine Kraft steht bei dem Herrn Zebaoth. Darum lasst uns seine Hilfe suchen; wir wollen unter Gebet und im Glauben an unsere Arbeit gehen, und wenn wir getan haben, „was uns vor Händen gekommen ist zu tun,“ so wollen wir harren, dass es der Herr segne. Was wir so tun, ist wohlgetan, und wird nicht fehlschlagen.

Prediger 10,7

„Ich sah Knechte auf Rossen, und Fürsten zu Fuß gehen, wie Knechte.“

Emporkömmlinge maßen sich oft die höchsten Würden an, während die wahrhaft Großen im Dunkel verkümmern. Das ist ein Rätsel in den Schicksalsführungen, dessen Lösung einmal das Herz aller Aufrichtigen mit Freude erfüllen wird. Als unser Herr auf Erden wandelte, der doch der König ist über alle Könige auf Erden, da ging Er einher auf dem Pfade der Mühseligkeit und Armut als ein Knecht aller Knechte; was Wunder also, wenn seine Jünger, die doch Prinzen von Geblüt sind, sich ebenso müssen gefallen lassen, dass man mit Verachtung und Mitleid auf sie herabblickt? Die Welt ist verkehrt, und darum müssen die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein. Sieh, wie die sklavisch gesinnten Söhne Satans auf Erden so vornehm tun! Wie reiten sie auf hohem Ross! Wie richten sie ihr Horn so stolz empor! Haman ist im Vorhof, während Mardochai im Tore sitzt; David irrt in den Gebirgen umher, während Saul in aller Pracht herrscht; Elia trauert in der Höhle, während Isebel im elfenbeinernen Hause übermütig schaltet; und dennoch: wer möchte an der Stelle dieser stolzen Empörer stehen? und wer möchte nicht dagegen die verachteten Heiligen beneiden? Wenn das Rad sich wendet, so kommen die Untersten oben auf, und die Höchsten sinken in die Tiefe. Darum Geduld, gläubige Seele, die Ewigkeit macht die Versehen der Zeit wieder alle gut.

Lasst uns nicht in den Irrtum geraten, dass wir unsre Leidenschaften und fleischlichen Lüste lassen im Triumph einherziehen, während unsre edleren Kräfte im Staube wandeln. Die Tugend muss königlich herrschen und des Leibes Glieder zu Dienern der Gerechtigkeit machen. Der Heilige Geist liebt Ordnung, und darum setzt Er unsre Kräfte und Fähigkeiten auf die rechte Stelle und Stufe, und weist den erhabensten Ort denjenigen geistigen Fähigkeiten an, die uns mit dem großen König in die engste Verbindung bringen; stören wir denn die göttliche Anordnung nicht, sondern bitten wir um Gnade, dass wir mögen unsern Leib betäuben und ihn zähmen. Wir wurden nicht dazu wiedergeboren, damit unsre Leidenschaften über uns herrschen, sondern damit wir als Könige in Christo herrschen über das dreifache Königreich von Geist, Seele und Leib, zur Ehre Gottes des Vaters.

Prediger 10,9

„Wer Holz spaltet, der wird davon verletzt werden.“

Gewalttätige Menschen können bei Armen und Bedürftigen ihren Willen ebenso leicht durchsetzen, wie ein Holzhacker Holz klein macht; aber sie würden es besser bleiben lassen, denn es ist ein gefährliches Geschäft, und schon oft hat ein Splitter vom Stamm den Arbeiter getötet. Der Herr Jesus wird in jedem beleidigten Heiligen verfolgt, und Er ist stark genug, seine lieben Schützlinge zu rächen. Wenn das Unterdrücken der Armen und Geringen gelingt, so ist es etwas Furchtbares, denn wenn dem Verfolger hienieden keine Gefahr droht, so erreicht sie ihn sicher hernach.

Holzspalten ist etwas sehr Gewöhnliches und Alltägliches, und doch ist Gefahr damit verbunden; und darum, lieber Freund, sind mit deinem Beruf und täglichen Leben manche Gefahren verknüpft, vor denen dich in Acht zu nehmen du wohl tun wirst. Wir denken nicht an Vorfälle zu Wasser und zu Land, noch an Krankheit und schnellen Tod, sondern an Gefahren geistlicher Art. Dein Beruf ist vielleicht so bescheidener Art, wie Holz spalten, und doch kann dich der Teufel dabei versuchen. Du bist vielleicht als Diener bei einer Herrschaft, oder als Tagelöhner oder als Fabrikarbeiter im Dienst, es bleiben dir die Versuchungen zu gröberen Sünden ferne, und doch bringt dich vielleicht eine geheime Leidenschaft in große Gefahr. Wer daheim bleibt und sich nicht mit der argen Welt einlässt, kann selbst durch seine Einsamkeit in eine gefährliche Lage geraten. Keiner ist sicher, der sich für sicher hält. Stolz kann eines Armen Herz betören; der Geiz kann in eines Dürftigen Brust wuchern; unreine Begierden können in der friedlichsten Hütte sich einnisten; und Zorn, Neid und Hass können sich im lieblichsten Aufenthalt eine Stätte bereiten. Schon wenn wir wenige Worte mit einem Untergebenen reden, kann uns die Sünde überraschen; ein geringfügiger Kauf in einem Laden kann uns das erste Glied in einer Kette von Versuchungen werden; schon ein Blick vom Fenster kann Anlass zum Bösen werden.

O Herr, wie vielen Gefahren sind wir doch ausgesetzt! Wie können wir bewahrt bleiben? Es wird uns zu schwer, uns selber zu behüten, nur Du allein bist imstande, uns in einer so argen Welt zu schützen vor allem Übel. Breite Deine Flügel über uns, so wollen wir uns wie Küchlein unter Dein Gefieder flüchten.

Prediger 11,1

Wirf dein Brot auf das Wasser, so wirst du es finden nach vielen Tagen.

Wir dürfen nicht erwarten, für das Gute, was wir tun, sofortigen Lohn zu sehen; ebensowenig dürfen wir unsre Bemühungen auf Orte und Personen beschränken, von denen es wahrscheinlich ist, dass sie uns Ersatz für unsre Arbeit gewähren werden. Der Ägypter wirft seinen Samen auf das Wasser des Nils, was eine schiere Vergeudung des Korns scheinen könnte. Aber seiner Zeit nimmt die Flut ab, der Reis oder was es sonst für Korn ist, sinkt in den fruchtbaren Schlamm, und rasch wird eine Ernte hervorgebracht. Lasst uns heute den Undankbaren und den Bösen Gutes tun. Lasst uns die Sorglosen und die Hartnäckigen lehren. Wasser, das keinen Erfolg verspricht, mag hoffnungsvollen Boden bedecken. Nirgends soll unsre Arbeit vergeblich in dem Herrn sein.

Es ist unsre Sache, unser Brot auf das Wasser zu werfen; es bleibt Gott überlassen, die Verheißung zu erfüllen: „Du wirst es finden.“ Er wird nicht versäumen, sie zu halten. Sein gute Wort Gottes, das wir gesprochen haben, soll leben, soll gefunden werden, soll von uns gefunden werden. Vielleicht nicht eben jetzt, aber eines Tages werden wir ernten, was wir gesät haben. Wir müssen uns in der Geduld üben, denn vielleicht wird der Herr uns darin üben. „Nach vielen Tagen,“ spricht die Schrift, und in vielen Fällen werden dieses Tage zu Monaten und Jahren, und doch bleibt das Wort wahr, Gottes Verheißung hält sich; lasst uns Sorgen tragen, dass wir die Vorschrift halten und sie diesen Tag halten.

Prediger 11,3

Wenn die Wolken voll sind, so geben sie Regen auf Erden.

Warum fürchten wir denn die Wolken, welche jetzt unsren Himmel verdunkeln? Zwar verbergen sie auf eine Weise die Sonne, aber die Sonne ist nicht ausgelöscht; sie wird binnen kurzem wieder scheinen. Mittlerweile sind diese schwarzen Wolken mit Regen gefüllt; und je schwärzer sie sind, desto wahrscheinlicher ists, dass sie reichliche Schauer geben werden. Können wir Regen ohne Wolken haben?

Unsre Leiden haben uns stets Segnungen gebracht und werden es stets tun. Sie sind die dunklen Wagen der hellen Gnade. Nicht lange, so werden diese Wolken sich entleeren, und jede zarte Pflanze wird durch den Regen umso fröhlicher gemacht. Unser Gott mag uns mit Leiden tränken, aber Er wird uns nicht in Zorn ertränken; nein, Er will uns in Barmherzigkeit erquicken. Unsres Herrn Liebesbriefe kommen häufig in schwarzgeränderten Umschlägen. Seine Wagen rumpeln, aber sie sind mit Wohltaten beladen. Seine Rute trägt süße Blüten und nährende Früchte. Lasst uns nicht sorgen um der Wolken willen, sondern singen, weil Aprilwolken und -schauer uns Maiblumen bringen werden.

O Herr, die Wolken sind der Staub Deiner Füße! Wie nahe bist Du am wolkigen und dunklen Tage! Die Liebe schaut Dich und ist froh. Der Glaube sieht, wie die Wolken Regen geben und auf jeder Seite die kleinen Hügel fröhlich machen.

Prediger 11,6

„Lass Deine Hand des Abends nicht ab.“

Am Abend des Tages gibt‘s manche günstige Gelegenheit zum Guten; die Menschen kehren von ihrem Tagewerk heim, und wer sich gern um das Heil andrer bekümmert, findet Zeit, ihnen die Liebe Jesu zu rühmen. Habe ich keine Abend-Arbeit für meinen Jesus? Wenn nicht, so will ich meine Hand nicht von meiner Pflicht abziehen, die so viel Kräfte erfordert. Die Sünder gehen verloren, weil es ihnen an Erkenntnis fehlt; wer träge ist, an dessen Kleid klebt das rote Blut verlorner Seelen. Der Herr Jesus reichte seine beiden Hände für mich den Nägeln dar, wie sollte ich denn meine Rechte seinem Segens-Werke entziehen? Tag und Nacht arbeitete und betete Er für mich, wie darf ich auch nur eine einzige Stunde mit üppiger Behaglichkeit meines Leibes warten? Auf, träges Herz, lege Hand ans Werk, und erhebe dich zum Gebet; Himmel und Hölle sind voller Eifer, so will denn auch ich guten Samen ausstreuen für den Herrn.

Auch der Abend des Lebens hat seine Aufgabe. Das Leben ist so kurz, dass ein Morgen voller Manneskraft und ein Abend voller Schwäche das ganze Leben ausmachen. Manchen scheint es lange, aber auch eine Reichsmark ist eine große Summe für manchen armen Menschen. Das Leben ist so kurz, dass kein Mensch einen Tag zu verlieren hat. Man hat trefflich gesagt, wenn ein reicher König uns zu einem großen Haufen Goldes führte und hieße uns davon so viel zu behalten, als wir an einem Tage zählen könnten, so würden wir den Tag möglichst lang machen; wir würden mit dem frühesten Morgen beginnen und am späten Abend würde unsre Hand auch nicht müßig sein; aber Seelen gewinnen ist eine weit edlere Arbeit; wie kommt‘s denn, dass wir dabei so früh aufhören? Manchem wird ein langer Lebensabend voller rüstiger Kraft geschenkt; wenn das bei mir der Fall ist, so will ich meine übrigen Geistesgaben wohl verwenden, und bis zum letzten Augenblick meinem hochgelobten treuen Heiland zu dienen suchen. Durch seine Gnade will ich auf dem Kampfplatz sterben, und die Arbeit erst niederlegen, wenn ich meinen Leib ablege. Das Alter möge die Jugend lehren, die Schwachen stärken und die Zaghaften ermutigen; hat der Abend weniger feurige Regsamkeit, so sollte er mehr ruhige Weisheit besitzen, darum will ich meine Hand des Abends nicht ruhen lassen.

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