Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 129

Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 129

- Ein Lied im höheren Chor. Sie haben mich oft gedrängt von meiner Jugend auf — so sage Israel —, - sie haben mich oft gedrängt von meiner Jugend auf; aber sie haben mich nicht übermocht. - Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen. - Der Herr, der gerecht ist, hat der Gottlosen Seile abgehauen. - Ach dass müssten zuschänden werden und zurückkehren alle, die Zion gram sind! - Ach dass sie müssten sein wie das Gras auf den Dächern, welches verdorret, ehe man es ausrauft, - von welchem der Schnitter seine Hand nicht füllt noch der Garbenbinder seinen Arm - und, die vorübergehen nicht sprechen: „Der Segen des Herrn sei über euch! Wir segnen euch im Namen des Herrn!„

Überschrift

„Ein Stufenlied“ (Elberfelder Übersetzung). Es ist schwer, auszumachen, an welchem Punkt ihrer Reise und aus welchem Anlass die Festpilger dieses Lied angestimmt haben. Wenn wir etwas mehr von den einzelnen Raststätten auf der Pilgerreise wüssten, würden wir vielleicht auch die Gründe kennen, warum diese Wallfahrtslieder so und nicht anders zusammengestellt worden sind.

Inhalt

In diesem Lied vereinen sich Kummer und Glaubenszuversicht. Obwohl der Sänger sehr traurig und niedergeschlagen ist, hält er am Herrn fest und weigert sich, sich dem Feind auszuliefern.

Einteilung

Die schweren Prüfungen Israels (Vers 1—3); das Eingreifen des Herrn (Vers 4); der erbärmliche Zustand der Feinde Israels (Vers 5—8).

Auslegung

V. 1 „Sie haben mich oft gedrängt von meiner Jugend auf — so sage Israel.„ In der gegenwärtigen Prüfung soll Israel sich an die früheren Leiden erinnern. Daraus soll das Volk Trost schöpfen, denn Gott, der bisher mit Israel gewesen ist, wird es am Ende nicht noch im Stich lassen. Das Lied beginnt unvermittelt. Der Dichter ist tief in Gedanken. Das Feuer brennt in ihm, nun muss er reden. Die Prüfungen der Gemeinde haben sich immer und immer wiederholt: Wir müssen dieselben Trübsale durchmachen wie unsere Väter. Schon Jakob kannte ein Leben voller Not; und das Volk Israel erlebte eine Trübsal nach der anderen. „Oft“ sagt Israel, weil es nicht sagen kann, wie oft. Israel spricht von seinen Bedrängern ganz unbestimmt: „sie„; es ist unmöglich, all die vielen Namen der Feinde zu nennen. Von Anfang an haben sie Israel angegriffen, bedrängt und bedrückt, und sie hören damit nicht auf. Verfolgung ist das Erbteil der Gemeinde und das Zeichen der Auserwählten. Israel nahm eine Sonderstellung unter den Völkern ein, und das brachte viele Feinde gegen dieses Volk auf. Den anderen Völkern war einfach nicht wohl, wenn sie Israel nicht bekriegen konnten. Schon in Kanaan hatten die Erwählten schwere Prüfungen durchzumachen; in Ägypten wurden sie hart unterdrückt und in der Wüste grausam angegriffen; und im verheißenen Land waren sie oft von Feinden umringt, die Israel tödlich hassten. Es ist ein Wunder, dass dieses schwergeprüfte Volk überlebt hat und nun sagen kann: „Sie haben mich oft gedrängt von meiner Jugend auf.“ Auch die Gemeinde hat wie Israel in den ersten Jahren ihres Bestehens harte Prüfungen durchmachen müssen. Kaum ist jemand wiedergeboren, so ist auch schon der alte Drachen hinter ihm her. „Es ist ein köstlich Ding dem Mann, dass er das Joch in seiner Jugend trage„ (Klagel. 3, 27).

V. 2 „Sie haben mich oft gedrängt von meiner Jugend auf.“ Israel wiederholt seine Aussage von den häufigen Leiden. Der Gedanke daran war stark und beherrschend. Solche Wiederholungen sind dichterisch. Israel macht ein Lied aus seinen Leiden und Musik aus seinen Mühsalen. „Aber sie haben mich nicht übermocht.„ Man hört hier geradezu den Schlag der Pauken und den Klang der Zimbeln: Der Feind wird verspottet. Die Bosheit hat nicht gesiegt. Das „aber“ ist wie ein schmetternder Fanfarenstoß, wie ein Trommelwirbel. „Niedergeworfen, aber nicht vernichtet!„ Das ist der Ruf des Siegers. Israel hat gekämpft und den Kampf gewonnen. Wundern wir uns darüber? Wenn Israel den Engel des Bundes überwunden hat, welcher Mensch oder Teufel will dann Israel überwinden? Der Kampf flackerte zwar immer wieder auf und zog sich lange hin. Der Held wurde in die Enge getrieben und fürchtete um den Ausgang der Schlacht, aber schließlich bekommt er wieder Luft; er kann rufen: „Sie haben mich nicht übermocht!“ Oft, ja sehr oft griff der Feind an und hatte gute Gelegenheiten und große Vorteile, aber nicht ein einziges Mal gewann er den Sieg.

V. 3 „Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert.„ Wie der Landmann auf dem Acker Furchen zieht, so zerreißen die Feinde Israels das Fleisch. Der Rücken des Volkes wird durch Unterdrückung verwundet und zerfleischt. Die Gegner schlagen ¿de schwergeprüfte Nation so grausam, dass jeder Hieb eine blutende Wunde in Schulter und Rücken reißt, so wie eine Ackerfurche ein Feld von einem Ende zum anderen aufreißt, Wie viele Herzen müssen so etwas erleiden: geschlagen und schwer verwundet durch die scharfe Geißel der Zunge; so geschlagen, dass der ganze Mensch durch die üble Verleumdung zerrissen wird. Die wahre Gemeinde hat zu allen Zeiten die Leiden ihres Herrn geteilt. Die Leiden des Herrn waren eine Vorankündigung dessen, was die Gemeinde später erdulden sollte. Sie hat sich erfüllt! Zion ist wie ein Acker gepflügt worden. „Sie haben ihre Furchen lang gezogen.“ Als wäre diese grausame Arbeit ein Vergnügen! Alles pflügen sie um; sie gehen von einem Ende des Ackers zum andern; sie wollen ganze Arbeit machen. Sie schwingen die Geißel mit einer Gründlichkeit, die ihren abgrundtiefen Hass offenbart. Die Feinde der Gemeinde Christi sparen nicht an härtesten Mitteln, um ihr möglichst viel Schaden zuzufügen. Sie führen das Werk des Teufels nicht nachlässig durch und scheuen auch vor Blutvergießen nicht zurück. Sie schlagen zu, als ob sie die Menschen aufpflügen wollen; sie pflügen durch das zuckende Fleisch wie durch Erdklumpen. Sie ziehen tiefe, lange und zahllose Furchen, bis kein Teil der Gemeinde ungepflügt bleibt. Der Reformator Latimer hat gesagt, dass es auf der ganzen Welt keinen eifrigeren Pflüger gibt als den Teufel. Er zieht keine kurzen Furchen; er arbeitet nicht oberflächlich, sondern er zieht tiefe Furchen. Er wendet seinen Pflug nicht vor dem Ende des Ackers, sondern macht ganze Arbeit. Er hört bei Sonnenuntergang nicht mit seiner Arbeit auf, sondern macht unermüdlich weiter. Aber er zieht es vor, sein schändliches Werk auf dem Rücken der Heiligen auszuführen — er ist genauso feige wie grausam.

V. 4 „Der Herr ist gerecht.„ Wie Menschen auch sind, der Herr bleibt gerecht. Er wird den Bund mit seinem Volk halten und an den Unterdrückern Gerechtigkeit üben. Hier liegt der Wendepunkt in Israels tragischem Geschick. Der Herr duldet es, dass die Gottlosen lange Furchen ziehen, aber er wird rechtzeitig ihre Arbeit stoppen. „Er hat der Gottlosen Seile abgehauen.“ Die Stränge zwischen Ochsen und Pflug sind durchgeschnitten; der Strick, der das Opfer fesselt, ist zerrissen; das Band, das die Feinde verbindet, ist entzwei. Früher oder später wird der gerechte Gott eingreifen, und dann wird sein Handeln gewaltig sein. Er löst die Stricke nicht nur, er zerreißt sie. Niemals gebrauchte Gott eine Nation zur Züchtigung Israels, die er anschließend nicht vernichtete. Er hasst die, die sein Volk verwunden, auch wenn er es um seiner Ziele willen eine Weile zulässt, dass ihr Hass sich an Israel austobt. Der kürzeste Weg ins Verderben ist der, sich an einem Heiligen zu vergreifen. Die göttliche Warnung lautet: „Wer euch antastet, der tastet seinen Augapfel an„ (Sach. 2,12).

V. 5 „Ach dass müssten zuschanden werden und zurückkehren alle, die Zion gram sind!“ Damit stimmen wir von Herzen überein. In diesem Fall gilt: vox populi — vox dei (Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes). Wenn diese Worte eine Verwünschung sind — nun gut, es sei denn. Unsere Herzen sagen dazu Amen. Es ist nur gerecht, wenn die Hasser und Verfolger der Gemeinde zugrunde gehen. Wer Recht und Unrecht verdreht, soll selbst im Irrtum untergehen. Wer sich von Gott abwendet, von dem wendet Gott sich ab. Treue Untertanen wünschen den Verschwörern den Untergang. Das ist richtig und hat nichts mit persönlichem Hass zu tun. Ihnen als Menschen wünschen wir Heil, ihnen als Verräter wünschen wir Untergang. Wie können wir Menschen Glück wünschen, die das Liebste, was wir besitzen, zerstören wollen? Unsere Zeit ist so verdreht, dass man einen Menschen, der seinen Heiland liebt, zum Fanatiker stempeln; und wer das Böse hasst, wird als Eiferer verschrien. Trotz allem Widerspruch und Vorwurf stimmen wir von Herzen mit diesem Vers überein. In unseren Herzen soll der alte Brauch von Ebal und Garizim wieder aufleben. Da wird der Segen über alle gesprochen, die dem Herrn gehorchen, und der Fluch über alle, die den Gerechten zum Fluch werden (5. Mose 27 und 28). Manche ehrenwerte Männer sind der Überzeugung, dass Meuchelmörder an den Galgen gehören, und wir können diesen Wunsch nicht verurteilen. Gerechtigkeit soll den Bösen genauso wie den Guten widerfahren.

Die Gemeinde Gottes ist für die Welt von großem Nutzen. Sie ist so schön, so unschuldig, so ohne Hintergedanken und voll des Guten, dass man ihre Gegner als Feinde der ganzen Menschheit behandeln muss. Lies ein Kapitel aus irgendeiner Märtyrergeschichte, dann wirst du sicher auch einen Rachepsalm gegen die Verfolger der Jünger Jesu lesen wollen! Vielleicht wird irgendein rührseliger Schwachkopf unseres Jahrhunderts dich deswegen tadeln; dann lies gleich noch einen Rachepsalm über ihn!

V. 6 „Ach dass sie sein müssten wie das Gras auf den Dächern, welches verdorrt, ehe man es ausrauft!„ Gras auf dem Dach schießt schnell auf und vergeht schnell. Es keimt in der Wärme, fìndet gerade genug Nährboden für ein paar grüne Blätter und stirbt dann sehr schnell weg. Bevor es noch ganz reif wird, stirbt es schon wieder. Man braucht es nicht auszureißen, denn es stirbt von selber. Das ist das Los aller Feinde des Volkes Gottes. Ihr Glück geht schnell zu Ende, ihr Verderben kommt schnell herbei. Ihre Stellung in der Höhe (wie bei dem Gras auf dem Dach!) begünstigt zwar ihre Entwicklung, beschleunigt aber auch ihren Untergang. Hätten sie einen niedrigeren Stande ort eingenommen, wäre ihnen vielleicht ein längeres Dasein beschieden gewesen. „Schnell reif, schnell verrottet“, sagt ein altes Sprichwort. Wir haben Gras auf den Strohdächern unserer heimatlichen Bauernhäuser gesehen, das ein ebenso gutes Beispiel ist wie das Gras, das auf den flachen Dächern der orientalischen Häuser wächst. Der Gedanke des Psalmisten liegt darin: Die Gottlosen kommen schnell auf/ machen sehr schnell ihren Weg zum Erfolg und — nehmen ein ebenso schnelles Ende. Die Verfolger machen viel Lärm und viel Geschrei, aber sie verschwinden ebenso schnell, wie sie gekommen sind, schneller, als es sonst im Leben üblich ist. Das Gras auf den Feldern verwelkt auch, aber nicht so schnell wie das Gras auf den Dächern. Man bedauert es nicht, wenn die Gottlosen verschwinden. Gras auf dem Dach ist nichts wert. Das Haus verliert nichts, wenn die letzten Halme auf dem Dach verdorren. So verenden auch die Gegner Christi, und niemand beklagt ihren Untergang. Athanasius prophezeite über den gottlosen Kaiser Julian: „Dieses kleine Wölkchen wird bald verschwinden.„ Und so geschah es. Gottlose Philosophien und verderbliche Irrlehren haben alle die gleiche Geschichte: armselige Dinge, ohne Wurzel. Sie existieren, und sie existieren doch nicht. Sie kommen und vergehen, obwohl niemand sich die Mühe macht, etwas gegen sie zu unternehmen. Das Böse trägt den Keim der Auflösung in sich selbst.

V. 7 „Von welchem der Schnitter seine Hand nicht füllt noch der Garbenbinder seinen Arm.“ Wenn der Schnitter die Büschel auf dem Dach abschneiden wollte, würde er sie gar nicht greifen können. Das Gras blüht vielversprechend, aber das ist trügerisch. Es gibt nichts zu schneiden und zu ernten. Genausowenig taugen die Gottlosen. Sie sind eine völlige Enttäuschung. Ihr Feuer endet im Qualm, ihr Eifer vergeht in leerem Wahn, ihr Blühen ist ein Verwelken. Niemand hat einen Nutzen von ihnen. Ihre Absichten sind schlecht, ihre Werke sind noch schlechter, und ihr Untergang ist katastrophal.

V. 8 „Und, die vorübergehen, sprechen nicht: ,Der Segen des Herrn sei über euch! Wir segnen euch im Namen des Herrn!1„ In der Erntezeit grüßen sich die Menschen mit fröhlichem Segensgruß im Namen des Herrn. Aber im Lebenswandel der Gottlosen gibt es nichts, das nicht einen Segensspruch rechtfertigen würde. Wenn wir den Lebenslauf eines Sünders von Anfang bis Ende überschauen, haben wir mehr Grund zum Weinen als zum Freuen, und wir wünschen ihm lieber Misslingen seiner Pläne als Erfolg. Wir wagen es nicht, biblische Segenssprüche wie bloße Redensarten oder höfliche Komplimente weiterzugeben. Wir können den Gottlosen keinen göttlichen Segen wünschen, weil wir uns dadurch ihrer Sünden teilhaftig machen würden. Wenn Verfolger die Heiligen quälen, können wir nicht sagen: „Der Herr segne euch.“ Wenn Bösewichte die Gläubigen verleumden und die Botschaft vom Kreuz antasten, können wir sie nicht im Namen des Herrn segnen. Es wäre schändlich, den Namen des gerechten Gottes zu entweihen, indem man die ungerechten Taten der Gottlosen segnet. Die Feinde Gottes pflügen auf dem Rücken der Heiligen Gottes. Aber darauf erwächst eine Ernte, die bleibt und immer neuen Segen bringt. Die Gottlosen dagegen blühen zwar auf, erfreuen sich einer großen Sicherheit und nehmen an, dass sie über alles Unglück erhaben sind, aber plötzlich sind sie spurlos verschwunden. Herr, ich möchte zu den Heiligen gehören. Lass mich an ihrem Schmerz teilhaben, dass ich auch an ihrer Herrlichkeit teilhaben kann. Ich will mir diesen Psalm aneignen und deinen Namen ehren. Deine Leidenden werden nicht vernichtet, und deine Verfolgten werden niemals allein gelassen.

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