Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 103

Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 103

Ein Psalm Davids - Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! - Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: - der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, - der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, - der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler. - Der Herr schafft Gerechtigkeit und Gericht allen, die Unrecht leiden. - Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. - Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. - Er wird nicht immer hadern noch ewiglich Zorn halten. - Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. - Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. - So ferne der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein. - Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten. - Denn er kennt, was für ein Gemachte wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind. - Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde; - wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. - Die Gnade aber des Herrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskinder - bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie darnach tun. - Der Herr hat seinen Stuhl im Himmel bereitet, und sein Reich herrscht über alles. - Lobt den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre auf die Stimme seines Worts! - Lobt den Herrn, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr seinen Willen tut! - Lobt den Herrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft! Lobt den Herrn, meine Seele!

Allgemeines

1. Überschrift

Ein Psalm Davids. Der Psalm stammt aus späteren Lebensjahren Davids. Der Psalmist hatte, als er ihn schrieb, eine klarere Erkenntnis der Sünde und ein besseres Verständnis der Vergebung als in seiner Jugend. Auch das Wissen um seine Hinfälligkeit deutet auf zunehmendes Alter; und schließlich bringt der Psalm eine solche Fülle von Dankbarkeit zum Ausdruck, wie man sie wohl im Rückblick auf ein langes Leben empfindet.

2. Einteilung

Zuerst singt der Psalmist von der Barmherzigkeit, die er erfahren hat (V. 1-5); dann rühmt er die herrlichen Eigenschaften Gottes, die im Handeln an seinem Volk zum Ausdruck kommen (V. 6-19); er schließt mit der Aufforderung an alle Geschöpfe des Weltalls, mit ihm zusammen den gnädigen Gott zu loben.

Auslegung

1. Die Barmherzigkeit, die David erfahren hat (Vers 1-5).

V. 1 „Lobe den Herrn, meine Seele.„ Musik der Seele ist die Seele der Musik. David führt ein Selbstgespräch und ermuntert sich, ja nicht in Trägheit zu verfallen. Wenn wir nicht aufpassen, kommt die Müdigkeit sehr schnell über uns. Der Herr ist es wert, dass wir ihn mit all unseren Fähigkeiten und Kräften loben: „Lobe.“ Wenn andere schweigen können, so lass sie schweigen. Aber du, meine Seele, lobe den Herrn! Andere mögen murren, du aber lobe. Lass andere sich selbst loben und ihre Götzen, du aber lobe den Herrn. Wenn andere dich, o Gott, nur mit ihren Lippen loben, so will ich aber sagen: „Lobe den Herrn, meine Seele.„ „Und was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ Wir haben viele seelische Kräfte, viele Fähigkeiten und Möglichkeiten in uns. Gott hat sie uns alle gegeben, und sie sollen alle in das Loblied einstimmen. Wenn schon das Gesetz verlangte, dass unser ganzes Herz dem Schöpfer gehören soll, wieviel mehr verlangt dann die Dankbarkeit, dass wir unser ganzes Sein dem Gott der Gnade weihen! Der Psalmist spricht hier von dem heiligen Namen Gottes, als ob Gottes Heiligkeit ihm das liebste Gut sei. Diese Heiligkeit ist für ihn das innerste und stärkste Motiv, Gott mit allen Fasern seines Wesens zu ehren.

V. 2 „Lobe den Herrn, meine Seele„ Wieder ermuntert David sich selbst. Ganz bestimmt verwendet er keine sinnlosen Wiederholungen, denn der Heilige Geist führt ja seine Feder. Er zeigt damit, wie sehr wir es nötig haben, immer wieder neu zur Anbetung Gottes aufgerufen zu werden. So stimmt der Sänger in diesen ersten Versen seine Harfe, damit nicht ein einziger Ton in der Melodie fehlt oder falsch klingt. „Und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ Nicht eine einzige Tat Gottes soll vergessen werden. Alle sind sie segensreich für uns und wert, dass wir für sie danken. Leider lässt uns unser Gedächtnis bei den wichtigsten Dingen im Stich; verderbt durch den Sündenfall, lässt es herrliche Schätze achtlos liegen und sammelt viel Schlechtes in sich an. Wir halten gern Erinnerungen an Trübsale fest und vergessen leicht die Segnungen des Herrn. Wir wollen hier beachten, wie der Psalmist alles in sich aufruft, an alle Segnungen des Herrn zu denken. Gottes „alles„ kann nicht mit weniger gelobt werden als mit „allem“, was wir sind. Haben wir nicht Grund genug, ihn zu loben, weil er uns segnet? Lasst uns unsere Tagebücher noch einmal durchgehen und nachsehen, ob da nicht besondere Wohltaten Gottes verzeichnet sind, für die wir noch nicht richtig gedankt haben. Der Herr hat uns durch ein großes Heil errettet; sollten wir ihm nicht herzlich danken? Undankbarkeit ist eins der hässlichsten Dinge, die es gibt.

V. 3 „Der dir alle deine Sünden vergibt.„ Damit beginnt David seine Liste der empfangenen Segnungen. Er führt sie einzeln als Gründe für sein Lob auf. Vergebene Sünde ist der herrlichste Erweis der Gnade. Ja, sie ist die Voraussetzung für alles, was weiter als Grund zum Loben genannt wird. Wenn uns die Sünde nicht vergeben ist, sind Heilung, Befreiung und Befriedigung des Herzens unbekannte Wohltaten. Die Vergebung steht an erster Stelle in der Reihe unserer geistlichen Erfahrungen und hat auch in vieler Beziehung den größten Wert. Die Vergebung geschieht sofort: Er vergibt. Und sie geschieht ständig: Gott vergibt immer noch. Vergebung ist göttlich, weil Gott sie schenkt. Sie reicht sehr weit, denn sie nimmt alle unsere Sünden hinweg. Und die Vergebung ist wirklich, genauso wirklich wie die Heilung und alles andere, was noch erwähnt wird. „Und heilet alle deine Gebrechen.“ Wenn die Ursache beseitigt ist, verschwindet auch die Wirkung. Körperliche Krankheiten und seelische Leiden kamen durch die Sünde in die Welt, und wenn die Sünde weggenommen wird, verschwinden auch die seelischen und körperlichen Krankheiten, bis schließlich „kein Einwohner mehr sagen wird: Ich bin schwach„ (Jes. 33, 24). Vielseitig ist das Wesen unseres himmlischen Vaters: Nachdem er als Richter vergeben hat, heilt er wie ein Arzt. Gott ist alles für uns! Er gibt die Medizin, die unserem Körper hilft, und seine Gnade heilt das Herz. So leben wir jeden Tag unter seiner geistlichen Fürsorge, und er besucht uns, wie ein Arzt seine Patienten besucht. Im Grundtext steht: „Er ist der Heilende“ das heißt doch, dass er uns so heilt, wie unsre Krankheit es jeweils erfordert. Nicht eine einzige Krankheit unserer Seele überfordert sein Können. Er kann alle heilen, und er wird das auch tun, bis die letzte Spur von Krankheit aus unserem Wesen hinweggenommen ist. Die beiden „alle„ in diesem Vers sind wiederum Gründe, weshalb wir den Herrn mit allem, was in uns ist, loben sollen. Der Psalmist hat die beiden Segnungen dieses Verses an sich selbst erfahren. Er redet hier nicht von anderen, sondern von sich selbst; oder besser: vom Herrn, der ihm täglich vergeben hat. Er zweifelt nicht einen Augenblick an der Vergebung, und deshalb fordert er seine Seele auf, den Herrn zu loben mit allen Kräften!

V. 4 „Der dein Leben vom Verderben erlöst“ Durch Loskauf und durch seine Macht erlöst uns der Herr vom geistlichen und ewigen Tod. Vergebung und Heilung wären nur ein unvollständiges Werk, nur ein Bruchstück von geringem Wert, wenn die Todesstrafe nicht auch aufgehoben würde. „Der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit„ Der Herr tut nichts halb, er hört mit seinem Rettungswerk nicht auf, ehe er das Äußerste und Letzte für sein Volk getan hat. Reinigung, Heilung, Erlösung sind noch nicht genug; er will die Gläubigen auch zu Königen machen und sie krönen! Die Krone ist besetzt mit den Edelsteinen der Gnade und Barmherzigkeit. So krönt Gott selbst die Prinzen seiner Familie. Sie verdienen sich ihre Kronen nicht; die Krönung ist Gnade und nicht ihr Verdienst. Sie wissen um ihre eigene Unwürdigkeit, und deshalb handelt Gott barmherzig mit ihnen. Er will sie immer segnen. „Weil du so wert vor meinen Augen geachtet bist, musst du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb“ (Jes. 43, 4). Die Sünde hatte uns unsere ganze Ehre geraubt. Wir müssten eigentlich als Verräter behandelt werden. Aber Gott, der die Todesstrafe von uns genommen hat und unser Leben vom Verderben erlöst, schenkt uns viel mehr als unsere frühere Ehre zurück: Er krönt uns ganz neu. Soll Gott uns krönen, und wir ehren ihn nicht? Auf, meine Seele, wirf dich ihm zu Füßen und bete ihn in Demut an!

V. 5 „Der deinen Mund fröhlich macht.„ Oder besser: Der mit Gutem deine Seele füllt. Außer den Gläubigen erfährt kein Mensch im Leben vollkommene Befriedigung und Erfüllung. Und auch den Gläubigen kann nur Gott selbst ganz befriedigen. Mancher Weltmensch ist übersättigt, aber befriedigt ist er nicht. Gott aber befriedigt und erfüllt das ganze Herz des Menschen, und deshalb wird auch der Mund fröhlich! So hungrig und unersättlich der Mensch vorher war, so völlig befriedigt und erfüllt wird er nun durch Gott. Wenn das Herz befriedigt ist, soll es loben! Wenn der Mund gesättigt ist, soll er fröhlich sein! Unser Herr schenkt wirklich gute Gaben, nicht sinnloses Spielzeug oder leere Vergnügungen. Und dieses Gute schenkt er uns ständig, jeden Tag neu, so dass unser Herz von Augenblick zu Augenblick befriedigt und erfüllt wird. „Und du wieder jung wirst wie ein Adler.“ Dem Psalmisten wird die Erneuerung seiner Kraft versprochen. Er soll so stark werden, wie er vorher gewesen ist. Er soll so kräftig werden wie ein Adler, der in die Sonne schaut und sich über den Sturm erhebt. Dieser Vers bezieht sich auf die jährliche Mauserung des Adlers, nach der er wieder frisch und jung aussieht. Damit will der Text sagen, dass der sündige und kranke Mensch durch Gottes Barmherzigkeit so geheilt und erneuert wird, dass er mit Kraft und Energie erfüllt ist wie der König der Lüfte. Der Herr kann uns wunderbar erneuern, und solche Erfahrungen lehren uns, seinen heiligen Namen zu loben. So schließt sich die Kette der Gnade zu einem ununterbrochenen Ring. Die Sünde ist vergeben, ihre Macht ist gebrochen, die Strafe ist weggenommen. Wir werden zu neuen Ehren erhoben, unsere Herzen werden befriedigt, und unser ganzes Leben wird erneuert. Wir sind Kinder im Hause Gottes! Ja, Herr, wir müssen dich loben! Du hast uns nicht vorenthalten, und deshalb wollen auch wir dir nichts vorenthalten an Dankbarkeit und Lob!

2. Die herrlichen Eigenschaften Gottes (Vers 6-19).

V. 6 „Der Herr schafft Gerechtigkeit und Gericht allen, die Unrecht leiden.„ Wir sollen dem Herrn nicht nur für das danken, was er uns persönlich geschenkt hat. Wir sollen ihn loben auch für alles, was er in seiner Güte an anderen Menschen tut. Er überlässt die Armen und Bedürftigen nicht der Hand ihrer Feinde und dem Verderben. Er setzt sich für sie ein, weil er der Rächer der Armen und Richter der Bedrücker ist. Als sein Volk in Ägypten war, hörte Gott sein Schreien und führte es aus der Knechtschaft; aber dann vernichtete er auch Pharao und sein Heer im Roten Meer. Die Ungerechtigkeiten der Menschen sollen ihre gerechte Vergeltung durch Gott finden. Gottes Barmherzigkeit an den Heiligen fordert zugleich die Rache an den Verfolgern. Das Blut der Märtyrer fließt nicht umsonst; kein Seufzer der mutigen Bekenner im Gefängnis wird überhört. Alles Übel wird gerichtet, und alle Unterdrückungen werden gerächt. Bei menschlichen Gerichten fehlt es manchmal an Gerechtigkeit; aber vor dem Gerichtshof Gottes geht es immer gerecht zu! Deshalb sollten wir ihm herzlich danken. Denn wäre er nachlässig in der Sorge um seine Geschöpfe, würde er nicht gerecht handeln und die anmaßenden Bedrücker schließlich doch entkommen lassen, so hätten wir mehr Grund zur Angst als zur Freude. Aber unser Gott ist ein gerechter Gott. Er weiß genau, was er tut.

V. 7 „Er hat seine Wege Mose wissen lassen.“ Mose durfte sehen, wie Gott an den Menschen handelt. Er erlebte das in allen drei Etappen seines Lebens: am Hof des Pharao, als Hirte in der Wüste und als Führer des Volkes Israel. Gott hat Mose mehr offenbart als irgend einem anderen Sterblichen vor ihm. „Die Kinder Israel sein Tun.„ Die Israeliten sahen weniger als Mose; sie konnten nur die Taten Gottes sehen, verstanden aber deren Motive und Hintergründe nicht. Und trotzdem war es viel, was sie sahen. Sehr viel sogar, und es hätte noch mehr sein können, wenn sie nicht so verderbt gewesen wären. Der Grund für die Beschränkung lag nicht in der Offenbarung, sondern in der Verhärtung ihrer Herzen. Wir, die wir an Jesus glauben, kennen die Wege des Herrn in seiner Gnade und haben die Taten seiner Barmherzigkeit an uns selbst erfahren. Wie herzlich sollten wir für den Heiligen Geist danken, der uns diese Dinge wissen lässt! Ohne ihn würden wir heute noch in der Dunkelheit unseres Herzens leben. Wir wollen auch beachten, wie stark die Persönlichkeit Gottes hervorgehoben wird: „Er hat wissen lassen.“ Gott überließ es nicht Mose, die Wahrheit selbst zu entdecken. Gott offenbarte sie ihm. Würden wir jemals etwas über die Wege Gottes erfahren, wenn Gott uns nicht lehrte? Nur Gott kann sich selbst offenbaren. Wenn schon Mose Gott nötig hatte, um ihn zu erkennen, wieviel mehr brauchen wir ihn, die wir so viel geringer sind als der große Gesetzgeber!

V. 8 „Barmherzig und gnädig ist der Herr.„ Die Menschen, an denen Gott handelt, sind Sünder. Sie sind schuldig und brauchen die Gnade, selbst wenn sie die besondere Gunst Gottes besitzen. Gott überlässt sie nicht ihrem verlorenen Zustand. Seine Gnade vergibt Sünde und schenkt Segnungen. Das ist der Weg, den der Herr Mose wissen ließ (2. Mose 34, 6). Dabei wird Gott bleiben, solange dieses Zeitalter dauert und solange die Menschen am Leben sind. Er, der Gerechtigkeit und Gericht ausübt, hat überreiche Gnade! „Geduldig“ (Elberfelder: Langsam zum Zorn). Gott kann zornig werden und Gerechtigkeit an den Schuldigen üben. Aber das ist ungewohnte Arbeit für ihn. Er zögert lange damit, um Raum zur Buße zu geben und dem Schuldigen Gelegenheit zu schenken, die Gnade anzunehmen. So handelt Gott den größten Sündern gegenüber, und so handelt er noch viel mehr an seinen Kindern. Sein Zorn gegen sie ist nur kurz und reicht auf keinen Fall in die Ewigkeit hinein. Wenn er ihnen auch die väterliche Züchtigung nicht ersparen kann, fügt er ihnen doch niemals willentlich irgendein Leid zu. Er hat Mitgefühl mit den Leiden seiner Kinder. Wir sollten daraus lernen, dass auch wir selbst immer langsam zum Zorn sein sollten. Wenn der Herr unter den größten Anfeindungen so geduldig sein kann, wieviel mehr sollten wir die Eigenarten unserer Brüder ertragen können! „Und von großer Güte.„ Gott ist schnell bereit, seine Güte zu erweisen. So muss es auch sein, sonst wären wir bald verloren! Wenn er Mensch wäre und nicht Gott, würden unsere Sünden seine Liebe bald ertränken. So aber übersteigt die Flut seiner Liebe die Berge unserer Sünden! Die ganze Welt spürt seine verschonende Barmherzigkeit; allen, die das Evangelium hören, wird seine einladende Barmherzigkeit zuteil; die Gläubigen leben durch seine rettende Barmherzigkeit, und durch seine ewige Barmherzigkeit erben sie den Himmel.

V. 9 „Er wird nicht immer hadern.“ Manchmal tut er es, weil er nicht zugeben kann, dass sein Volk an der Sünde festhält. Sobald sich seine Kinder aber wieder zu ihm wenden und ihre bösen Wege verlassen, ist sein Zorn zu Ende. Er könnte zwar immer Ursachen finden, ständig mit uns zu hadern; aber er hält sich zurück. Wenn wir empfinden, dass wir keine bewusste Gemeinschaft mehr mit Gott haben, sollten wir nach der Ursache seines Zorns fragen: „Lass mich wissen, warum du mit mir haderst!„ (Hiob 10, 2). Gott lässt sich leicht erbitten und wendet sich gern schnell von seinem Zorn ab. „Noch ewiglich Zorn halten.“ Gott trägt nicht nach! Und der Herr will nicht, dass sein Volk etwas nachträgt. Er selbst gibt uns das Beste Beispiel. Wenn der Herr sein Kind gestraft hat, ist sein Zorn vorüber. Er straft nicht wie ein Richter; sonst müsste ja sein Zorn weiterbrennen. Er handelt vielmehr wie ein Vater; nach einigen Schlägen ist die Sache erledigt. Wenn aber die Sünde zu tief im Wesen des Übertreters steckt und deshalb nicht so leicht und schnell überwunden werden kann, fährt Gott fort mit seiner Erziehung. Doch er hört niemals zu lieben auf, und er trägt seinen Zorn auch nicht mit in die andere Welt hinein, sondern er nimmt sein irrendes Kind in die Herrlichkeit auf.

V. 10 „Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat.„ Sonst wäre Israel längst vollständig vernichtet. Auch wir selbst hätten unsern Platz längst in der tiefsten Hölle. Wir sollten dem Herrn genauso für das danken, was er nicht getan hat, wie für das, was er getan hat. Selbst die negative Seite des göttlichen Handelns verdient unsern Dank! Bis zu diesem Augenblick haben wir nicht so gelitten, wie wir es verdient hätten. Unser ganzes Leben müsste eigentlich von Qual zerrissen sein; statt dessen sind wir recht glücklich, und uns sind viele Freuden geschenkt. So lobe alles, was in uns ist, seinen heiligen Namen!

V. 11 „Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten“ Die Gnade des Herrn ist grenzenlos. Sie kann nur mit der Höhe des Himmels verglichen werden. „Wie die Höhe des Himmels„ heißt es im Grundtext. Das legt noch andere Gedanken nahe: Erhabenheit, Größe, Herrlichkeit. Wie der gewaltige Himmel über uns ist mit Sonne, Mond und Sternen, so bedeckt die Gnade des Herrn alle, die ihn fürchten. Wichtig ist dieses Wort: „Die ihn fürchten.“ Das Herz muss demütig die Herrlichkeit Gottes anbeten, oder diese Gnade Gottes wird uns nicht zuteil. Furcht Gottes ist das erste, was sich in uns zeigt, wenn wir das göttliche Leben in unseren Herzen haben. Und Furcht Gottes ist der Anfang der Weisheit. Wer sie besitzt, empfängt auch alle anderen Segnungen der Barmherzigkeit. Manches wahre Kind Gottes hat diese kindliche Furcht Gottes im Herzen und zittert trotzdem noch um das Angenommenwerden bei Gott. Diese Angst ist grundlos, aber sie ist viel besser als jene freche Anmaßung, mit der Menschen sich ihrer Gotteskindschaft rühmen und in Sicherheit wiegen, während sie im Herzen wie bittere Galle sind! Wer sich dreist auf die unbegrenzte göttliche Gnade beruft, sollte daran denken, dass sie nur denen gilt, die ihn fürchten!

V. 12 „So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretungen von uns sein„ Kaum eine Stelle gibt es in der Heiligen Schrift, die diesen Satz übertrifft! Die Sünde wird durch ein Wunder der Gnade ganz von uns weggenommen. Und wenn die Sünde so weit von uns entfernt wird, kann auch nicht eine einzige Spur von ihr zurückbleiben. Sogar die Erinnerung an sie muss ausgelöscht sein. Wenn die Sünde so weit von uns entfernt wird, ist nicht ein Schatten von Furcht mehr da, dass sie jemals zu uns zurückgebracht werden könnte. Der Satan selbst kann das nicht mehr fertigbringen! Unsere Sünden sind fort, Jesus hat sie hinweggetragen. Man kann sie suchen, aber niemand wird sie mehr finden. Komm, mein Herz, lobe den Herrn für diese Segnung, die größer und reicher ist als alle anderen! Nur der Herr selbst konnte die Sünde hinwegnehmen, und er hat das auf göttliche Weise getan: Alle unsere Sünden sind auf einmal und für immer weggenommen!

V. 13 „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten.“ Der Herr ist wie ein Vater zu allen, die seinen heiligen Namen in Wahrheit anbeten. Über diese Menschen erbarmt sich der Herr. Selbst in ihrer besten Verfassung sind sie immer noch erbarmungswürdig. Sie brauchen ständig das herzliche Erbarmen des Vaters. Das sollte uns vor jedem falschen Stolz bewahren, zugleich aber auch reichen Trost schenken. Väter fühlen mit ihren Kindern; sie wären gern bereit, die Schmerzen der Kinder auf sich zu nehmen. So empfindet auch unser himmlischer Vater uns gegenüber. Wir beten nicht einen steinernen Götzen an, sondern Gott selbst, der selbst Erbarmen ist. Das Wort „erbarmt„ steht in der Gegenwartsform; Gott erbarmt sich heute und jetzt über uns, und sein Erbarmen hört niemals auf.

V. 14 „Denn er weiß, was für ein Gemachte wir sind.“ Er weiß, wie wir beschaffen sind, denn er hat uns ja selbst geschaffen. Er kennt unsere Konstitution und unser Temperament, unsere Schwachheiten und Versuchungen. „Er gedenkt daran, dass wir Staub sind.„ Wir sind aus Erde gemacht, sind immer noch Erde und werden zur Erde zurückkehren. Das vergessen wir zu oft und überfordern die Kräfte unseres Körpers und unserer Seele. Wir nehmen auch zu wenig Rücksicht auf die Schwachheiten anderer und laden ihnen Lasten auf, die sie nicht tragen können. Aber unser himmlischer Vater überfordert uns nie; er gibt uns die Kraft für jeden Tag. Er rechnet mit unserer Hinfälligkeit und teilt uns die Lasten entsprechend zu.

V. 15 „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras.“ Er lebt vom Gras und lebt wie das Gras! Weizen ist ja veredeltes Gras! Der Mensch isst davon und nimmt dadurch teil an dem Wesen der Natur. Das Gras lebt, wächst, blüht, fällt unter der Sichel, vertrocknet und wird vom Feld geräumt: Lies diesen Satz noch einmal, und du findest darin die ganze Geschichte des Menschen. Wenn er seinen kleinen, kurzen Tag ausgelebt hat, wird er abgemäht; aber viel wahrscheinlicher ist es, dass er verwelkt, lange bevor er zur Reife gekommen ist. „Er blüht wie eine Blume auf dem Felde.„ Der Mensch hat eine Schönheit und Pracht wie die Felder, die mit gelben Butterblumen übersät sind. Aber wie kurzlebig ist diese Schönheit! Kaum aufgeblüht, ist sie schon vergangen. Der Mensch lebt eben nicht wie eine geschützte Gewächshauspflanze, sondern auf freiem Feld; er ist tausend Gefahren ausgesetzt, die ihm schnell ein Ende machen können. Eine Versammlung vieler Menschen erinnert immer an eine bunte Wiese; wie schnell ist all diese sichtbare Kraft und Schönheit vergangen! So geht es mit allem, was vom Fleisch geboren wird, „denn was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch.“ (Joh. 3, 6.)

V. 16 „Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da.„ Nur etwas Wind; noch nicht einmal die Sichel wird benötigt. So hinfällig ist die Blume. Schon ein klein wenig giftiges Gras kann den Menschen töten, man muss nicht unbedingt das Schwert oder eine Kugel nehmen. „Und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.“ Dieselbe Blume blüht nie wieder. Ihre Blätter sind verstreut, ihr Duft wird nie wieder die Abendluft versüßen. So stirbt auch der Mensch, vergeht und kommt nie wieder. Es ist, als sei er nie dagewesen. Die Sonne geht auf, der Mond nimmt zu oder ab, Sommer und Winter wechseln, die Flüsse strömen, alles läuft in altgewohnten Bahnen„ und es scheint, als ob niemand und nichts den Menschen vermisst. Nur ein Grab und ein zerbröckelnder Stein erinnern an ihn, und wie wenig bedeutet solche Erinnerung auf dem Schauplatz unseres geschäftigen Lebens! Sicher gibt es bleibende Erinnerungen; und es gibt auch ein ewiges Leben. Das gehört aber nicht zu unserem Fleisch, das nur Gras ist. Es gehört einem höheren Leben an, in dem wir innige Gemeinschaft mit dem ewigen Gott haben.

V. 17 „Die Gnade des Herrn aber währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten!“ „Aber!„ Welch ein gewaltiger Kontrast zwischen der sterbenden Blume und dem ewigen Gott! Welch ein Wunder, dass unsere Sterblichkeit mit seiner Ewigkeit verbunden werden soll, so dass auch wir unsterblich werden! Von Ewigkeit her sah der Herr mit Barmherzigkeit auf sein Volk, das an seiner Gnade teilhaben sollte. Die Lehre von der ewigen Erwählung ist etwas Herrliches für alle, die Einsicht gewonnen und die Erwählung für sich angenommen haben. Diese Gnade Gottes reicht bis in alle Ewigkeit hinein! Gott ändert sich nicht, seine Gnade ist ohne Anfang und ohne Ende. Wer ihn fürchtet, braucht keine Angst zu haben, dass Sünde oder Not die großen. Tief en seiner Gnade erschöpfen können. Die Hauptfrage aber ist: Fürchten wir ihn? Wenn wir in kindlicher Ehrfurcht zu Gott aufblicken, wird er den Blick seiner väterlichen Liebe nie von uns abwenden. „Und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind“ Der Bund der Gnade wird durch die Gerechtigkeit gesichert. Weil Gott gerecht ist, wird er niemals eine Verheißung zurücknehmen oder nicht erfüllen. Unsere gläubigen Söhne und ihre Nachkommen werden immer dasselbe Wort Gottes vorfinden. Er wird ihnen seine Gnade erweisen und sie segnen, wie er es mit uns getan hat. So fordert also nicht nur die Vergangenheit unseren Dank und unser Lob, sondern auch die Zukunft! Wir wollen für unsere Kinder und Enkel nicht nur beten, sondern auch schon danken. Wie Abraham sich freute, wenn er an seine Nachkommen dachte, so können auch wir das tun, denn „an der Väter Statt sollen die Söhne sein„ (Ps. 45, 17) und „die Kinder deiner Knechte werden bleiben, und ihr Same wird vor dir gedeihen“ (Ps. 102, 29).

V. 18 Den Kindern der Gerechten hat der Herr seine Gnade aber nicht ohne Bedingung zugesprochen. Dieser Vers ergänzt den letzten, indem er hinzufügt: „Bei denen, die seinen Bund halten, und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun.„ Wie die Eltern gehorsam sind, müssen auch die Kinder gehorsam sein. Es wird uns hier geboten, bei dem Bund Gottes zu bleiben. Alle, die zu etwas anderem als zu dem vollbrachten Werk Jesu Christi Zuflucht nehmen, gehören nicht zu denen, die diesen Bund halten und den Befehlen Gottes gehorsam sind. Die wirklich Frommen achten sorgfältig auf die Befehle des Herrn: „Gedenke.“ Sie befolgen die Gebote im praktischen Leben: „Dass sie danach tun.„ Sie suchen sich nicht die besten heraus, wie Laune oder Bequemlichkeit ihnen eingibt, sondern nehmen alle seine Gebote so, wie sie sind! Wir wünschen uns eine Nachkommenschaft, die aufmerksam und bereit ist, dem Willen des Herrn in allen Dingen zu folgen. Dann wird die Gnade des Herrn von Generation zu Generation bei ihnen sein. Auch dieser Vers ruft zum Lobe Gottes auf. Der Bund Gottes mit uns besteht von Anfang bis Ende aus Gnade. Das ist aber kein Freibrief für die Sünde! Im Gegenteil, eine der größten Verheißungen dieses Gnadenbundes lautet: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“ (Jer. 31, 33). Das Ziel der Gnade ist die Heiligung des Volkes Gottes; es soll ein Volk sein, das eifrig ist in guten Werken. Alle Gaben und Befähigungen werden zu diesem Zweck und Ziel geschenkt.

V. 19 „Der Herr hat seinen Stuhl im Himmel bereitet.„ Nun besingt der Sänger die grenzenlose Macht und die herrliche Herrschaft Gottes. In seiner Regierung gibt es keine Aufregung, keine Unruhe, keine Verwirrung und keine unnötige Eile. Es gibt keine Überraschungen und keine unerwarteten Katastrophen. Alles ist vorbereitet und von Gott bestimmt. Die einzigartige Herrschaft Gottes ist die Garantie für unsere Sicherheit und der Pfeiler, auf den unser Glaube sich stützen kann. „Und sein Reich herrscht über alles.“ Das Zepter Gottes reicht über das ganze Universum. So herrscht er jetzt, so hat er immer geherrscht, und so wird er für immer über die Welt herrschen. Uns erscheint die Welt wie durch eine große Anarchie zerrissen. Aber Gott schafft aus der Verwirrung wieder Ordnung. Die kämpfenden Elemente marschieren unter seiner Fahne, auch wenn sie im Sturm am wildesten toben. Alle stehen unter Gottes Macht, Große und Kleine, Kluge und Dumme, Willige und Aufsässige. Sein Reich ist das einzige Weltreich, und er ist der einzige Machthaber! So hat der Psalmsänger den Herrn besungen: in der Natur, in seiner Gnade, in der Vorsehung. Und nun sammelt er seine ganzen Kräfte zu einem gewaltigen Lobpreis, in den die ganze Schöpfung einstimmen soll.

3. Aufforderung an die Schöpfung, Gott zu loben (Vers 20-22).

V. 20 „Lobt den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden.„ Der Psalmist ruft die erstgeborenen Söhne des Lichts zum Lobe Gottes auf. Sie können es am besten! Sie sind dem Thron Gottes näher als wir und sehen die Herrlichkeit Gottes besser. Ihnen ist eine gewaltige Verstandesmacht verliehen; sie sind Helden des Geistes, die sich freuen, ihre Kraft in der Anbetung Gottes einzusetzen. Sie sind seine Engel, und deshalb singen sie sein Lob. „Die ihr seine Befehle ausrichtet, dass man höre auf die Stimme seines Wortes!“ Uns ist geboten, seine Befehle zu halten; aber wir versagen. So sollen diese reinen Geister, „die nie gesündigt haben, dem Herrn ihre Heiligkeit als Lob bringen. Sie vernehmen immer neue Befehle Gottes und erweisen ihren Gehorsam in ehrfürchtigem Hören und entschlossenem Tun. Sie sind uns ein Vorbild dafür, auf welche Weise der Wille Gottes erfüllt werden soll! Aber selbst für diese Vortrefflichkeit sollen sie keinen eigenen Ruhm haben, sondern alle Ehre dem Herrn geben, der sie geschaffen hat und erhält.

V. 21 „Lobt den Herrn, alle seine Heerscharen.“ Zu welcher Rasse ihr auch gehört, ihr seid seine Truppen, und er ist der Feldherr über euch alle. Die Vögel der Luft und die Fische der See alle sollen sich vereinen im Lobpreis des Schöpfers. „Seine Diener, die ihr seinen Willen tut.„ In welcher Weise ihr ihm auch dient, lobt ihn mit eurem Dienst. Alle Diener des Herrn sollen sich mit dem Psalmisten im Palast des Herrn versammeln und sein Lob singen.

V. 22 „Lobt den Herrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft!“ Wir haben hier einen Dreiklang des Lobes für einen dreieinigen Gott. Jedes Lob ist eine Steigerung des vorhergehenden. Und dieses letzte Lob ist das umfassendste; denn was reicht weiter als „alles„ in „allen“ Orten? Sieh, wie der Mensch unbegrenztes Lob erwecken kann! Der erlöste Mensch ist die Stimme der Natur, der Priester im Tempel der Schöpfung, der Vorsänger im Gottesdienst des Weltalls. Wenn doch alle Werke des Herrn auf Erden befreit würden in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes! Die Zeit wird bestimmt kommen, sie eilt herbei. Dann werden wirklich alle Werke den Herrn loben. „Lobe den Herrn, meine Seele.„ Der Psalmist schließt mit seinem Anfangswort. Er kann ja nicht andere zum Lob aufrufen und selbst nicht daran teilhaben. Nur weil andere lauter und herrlicher singen, will er nicht beiseite stehen und schweigen. Komm, mein Herz, zu deinem Gott und lass die kleine Welt in dir einstimmen in die Klänge, die den Ruhm des Herrn preisen. O gelobter Herr, gib uns diesen größten Segen, dich mit unserem ganzen Leben und für immer herzlich zu loben!

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