Spurgeon, Charles Haddon - Der Liebe Geburt und Abkunft.

Spurgeon, Charles Haddon - Der Liebe Geburt und Abkunft.

Gehalten am Sonntag, den 11. Juni 1876.

Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.„
1. Joh. 4,19.

Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt.“ (Engl. Üb.) Sehr einfache Worte, aber voller Bedeutung. Ich meine, ich kann von diesem Spruch sagen, was der Dichter vom Gebet sagt: es ist „die einfachste Form der Rede, die Kinderlippen lallen,“ und doch „der höchsten Töne einer, die auf zum Thron Gottes wallen.“ Nehmt ein kleines gläubiges Mädchen und fragt sie, warum sie den Heiland liebt, und sie wird sogleich antworten: „Weil er mich liebte und für mich starb.“ Dann steigt zum Himmel auf, wo die Heiligen vollkommen in Christo Jesu sind und tut dieselbe Frage, und mit Einem Mund wird der ganze Chor der Erlösten antworten: „Er hat uns geliebt und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut.“ Wenn wir beginnen, Christum zu lieben, so lieben wir ihn, weil er uns zuerst geliebt hat; und wenn wir in der Gnade wachsen, bis wir des höchsten Grades, geistlichen Verständnisses und geistlicher Zuneigung fähig sind, so haben wir doch keine bessere Ursache, ihn zu lieben, als diese: „Weil er uns zuerst geliebt hat.“

Heute Morgen möchte ich, indem ich versuche über diesen Text zu predigen, den Heiligen Geist bitten, dass ein Jeder hier ihn erst fühlen möge. Es ist wunderbar, der Unterschied zwischen einem gelesenen und gehörten Text und einem in der Seele gefühlten. O, dass ihr heute Morgen im Stande wäret, von Herzen zu sagen, weil ihr nicht anders könnt, als so sprechen: „Wir lieben ihn.“ Wenn ich nichts mehr sagte, sondern schweigend niedersäße und ihr alle die nächsten drei Viertelstunden zubrächtet, indem ihr die Liebe Gottes in euch empfändet, so würde die Zeit nützlich angewandt sein. Es ist über alle Maßen wohltätig für die Seele, sich mit der Liebe Jesu zu sättigen; es ist die süße Heiligung für alle ihre Gebrechen, wenn sie Muße hat, sich in dem Herrn zu freuen, und Glauben genug, bei seinen Vollkommenheiten in Ruhe zu verweilen. Seht ja zu, dass eure Herzen Raum haben und Freiheit und Gelegenheit, um sich der heiligen Leidenschaft der Liebe hinzugeben und sie zu entflammen. Wenn der zweite Teil des Textes durch die Kraft des Glaubens in euch ebenso lebendig wird - „Er hat uns zuerst geliebt“ dann werden eure Herzen mit Freude und Wonne gesättigt werden. Wenn die überschwängliche Liebe Gottes in Christo Jesu in euren Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen wird, so braucht ihr keine Predigt von mir; eure innere Erfahrung wird besser wie jede Rede sein. Möge eure Liebe wie ein Tautropfen zergehen und hinaufgetragen werden in den grenzenlosen Himmel der Liebe Gottes; möge euer Herz hinaufsteigen zu dem Ort, wo euer Schatz ist und an dem Herzen Gottes ruhen. Selig werdet ihr sein, wenn in eurem Herzen die Liebe Christi und die eure, beide völlig gekannt und gefühlt werden in diesem Augenblick. O, gnadenvoller Geist, lass es so sein. So sollten wir den Text in Tätigkeit haben und das ist tausendmal besser, als der bloße, ruhige Buchstabe. Wenn ihr die Gemäldegalerien zu Versailles besucht habt, wo ihr die Kriege Frankreichs von den frühesten Zeiten in glühenden Farben auf der Leinwand dargestellt seht, so kann es nicht anders sein, ihr müsst euch angezogen gefühlt und mit Interesse diese furchtbaren Szenen betrachtet haben. Oben in demselben Schloss ist eine große Sammlung von Portraits. Ich bin durch diese Galerien ohne viel Interesse gegangen, habe nur hie und da pausiert, um ein merkwürdiges Gesicht zu betrachten. Sehr wenige Personen verweilen da lange, jeder scheint so schnell vorwärts zu gehen, als der polierte Fußboden gestattet. Nun, wie kommt es, dass ihr Interesse fühlt an den Bildnissen unten und nicht an denen oben? Es sind dieselben Leute; sehr viele in derselben Kleidung; warum blickt ihr nicht mit Interesse auf sie?. Der Grund liegt hier: ein Portrait aus dem ruhigen Leben kann in der Regel nicht die Anziehung haben, die eine Szene von erregter Handlung ausübt. Da seht ihr den Krieger einen furchtbaren Hieb mit seiner Streitaxt austeilen, oder den Senator eine Rede in einer Versammlung halten, und ihr schätzt diese höher, als dieselben Körper und Gesichter in Ruhe. Das Leben macht Eindruck, Handlung erweckt Gedanken. Es ist gerade so mit dem Text. Blick darauf als auf einen belehrenden Ausspruch: „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt,“ und wenn du ein nachdenkliches Gemüt hast, so wirst du ihn wohl erwägen; aber fühle die Sache selber, fühle die Liebe Gottes, wisse sie in deiner Seele und zeige sie in deinem Leben, und wie verschlingt sie alles Andere. Möge es so heute Morgen durch die Kraft des Heiligen Geistes sein; mögt ihr Gott lieben, während ihr hört, und möge ich ihn inbrünstig lieben, während ich predige.

Dies als Einleitung, werde ich den Text in viererlei Weise gebrauchen: zuerst, zu lehrhafter Unterweisung; dann zu erfahrungsmäßiger Nachweisung; drittens zu praktischer Anweisung und viertens zu beweisführender Verteidigung.

I. Die lehrhafte Unterweisung.

Wir wollen diesen Text in der Kürze zu lehrhafter Unterweisung brauchen, und ein Punkt der Lehrhaften Unterweisung ist sehr klar, nämlich: dass Gottes Liebe zu seinem Volk zuerst ist. „Er hat uns zuerst geliebt.“ Nun, werdet in Betreff dieses Lehrpunktes gewiss, denn ein Vergessen desselben ist mit viel Irrtum verbunden und mit noch mehr Unwissenheit. Die Liebe Gottes zu uns geht unserer Liebe zu Gott vorher. Nach der Schrift muss sie zuerst sein im weitesten Sinne, weil sie ewig ist. Der Herr erwählte sein Volk in Christo Jesu, ehe denn der Welt Grund gelegt ward, und auf Jeden seines Volkes kann der Spruch angewandt werden: „Ich habe dich je und je geliebt.“ Seine Barmherzigkeit ist von Ewigkeit her mit denen, die ihn fürchten. Von Ewigkeit her schaute der Herr mit Augen der Liebe auf sie und da Nichts vor der Ewigkeit sein kann, so war seine Liebe zuerst. Gewiss, er liebte uns, ehe wir das Dasein hatten, denn gab er nicht seinen Sohn für uns in den Tod vor beinahe neunzehnhundert Jahren, lange ehe unser erster Schrei das Ohr unserer Mutter begrüßte? Er liebte uns, ehe wir irgend ein Verlangen hatten, von ihm geliebt zu werden, ja, als wir ihn ins Angesicht beleidigten und die heftige Feindschaft unsers unerneuerten Herzens entfalteten. Bedenkt „seine große Liebe, damit er uns geliebt hat in den Sünden.“. „Darum preist Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.“ Da wir noch nicht Einen Hauch geistlichen Gefühls, Einen Pulsschlag der Hoffnung, Eine Regung des Verlangens hatten, selbst da liebte Gott uns.

Die Liebe Gottes ist vor unserm Suchen; er zieht uns, ehe wir nach ihm laufen. Wir suchen diese Liebe nicht; diese Liebe sucht uns. Wir wandern weiter und weiter davon ab, widerstehen ihr, und beweisen uns ihrer unwert; unsere Natur und unsere Handlungen sind derartig, dass sie nichts darbieten, was der Liebe Gottes gleichartig wäre; die Liebe Gottes entsteht ganz frei und hält unsern wahnsinnigen Lauf durch ihre Macht über unser Gewissen und unsern Willen an. „Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt,“ ist die Stimme der freien Gnade; lasst unsere Antwort sein: „Von Gottes Gnaden sind wir, was wir sind.“

Des Herrn Liebe ist früher, als irgend welche Buße von unserer Seite. Unbußfertige Sünder würden nie Buße tun, wenn Gott sie nicht zuerst liebte. Der Herr hasst die Sünde, aber er liebt die Sünder; er liebte uns mit Erbarmen, als die Sünde uns angenehm war, als wir sie auf unserer Zunge rollten wie einen süßen Bissen, als weder die Donner seines Gesetzes, noch das sanfte Werben seines Evangeliums uns überreden konnten, von ihr wegzukehren. Als in unserm Busen noch kein Sündenbewusstsein war, als noch keine evangelische Klage über unsere Beleidigung eines gnädigen Gottes da war, liebte er uns schon. Heute, Brüder, besitzen wir Glauben an Jesum Christum, aber unser Glaube kam nicht seiner Liebe zuvor; im Gegenteil, unser Glaube ruht auf dem, was die Liebe vor Alters für uns getan hat. Als wir ungläubig und harten Herzens waren, und dem Zeugnis des Heiligen Geistes widerstanden, und das Wort des ewigen Lebens abwiesen, selbst da hatte der Herr Mitleid mit uns und erbarmte sich unser; und fuhr stets fort, einzuladen, zu bitten, zu überreden, bis zuletzt die glückliche Stunde kam, wo wir glaubten und ein Gefühl seiner Liebe bekamen. Es ist jetzt Vieles an euch, Geliebte, was den göttlichen Beifall hat, aber dies war zuerst nicht da; es ging der göttlichen Liebe nicht voraus, sondern ist die Frucht derselben. Die Liebe Gottes ist zuvorkommende Liebe - sie kommt allen richtigen Bewegungen der Seele zuvor, und ist der Zeit nach das erste, vor allem Verlangen, Wünschen, Streben oder Beten von unserer Seite. Bist du heute fromm? Doch, liebte er dich nicht zuerst, weil du fromm warst, denn ursprünglich warst du dies nicht; Seine Liebe war zuerst, vor deiner Frömmigkeit. Bist du heute heilig? Gelobt sei sein Name dafür; aber er liebte dich, als du unheilig warst; deine Heiligkeit folgt auf seine Liebe, er erwählte dich, damit du heilig wärst. Du wirst ihm ähnlich durch den heiligenden Einfluss seines Geistes und er liebt sein Bild in dir, aber er liebte dich, als dieses Bild noch nicht da war; ja, er blickte mit unendlichem Erbarmen auf dich, als du ein Erbe des Zorns gleichwie die Anderen warst, und das Bild des Teufels in deinem Charakter wie in deiner Natur klar zu sehen war. Wie früh im Leben du auch den Herrn zu lieben begannst, seine Liebe war zuerst. Dies ist sehr wundervoll, aber, gelobt sei sein Name, wir wissen, es ist wahr, und wir freuen uns darin.

Die Sache verhält sich so, dass die Liebe Gottes, so weit wir etwas davon wissen, keine Ursache in uns fand, worauf sie sich gründen konnte. Er liebte uns, weil er uns lieben wollte, oder wie unser Herr es ausspricht: „Ja, Vater, es war also wohlgefällig vor dir.“ Er hatte Ursachen in seiner eigenen Natur, gute Ursachen, hergenommen von dem besten, nur denkbaren Ort, nämlich von seinen eigenen Vollkommenheiten; aber diese Ursachen hat es ihm nicht gefallen, uns mitzuteilen. Er heißt uns wissen, dass er sich dessen erbarmt, dessen er sich erbarmen will und dem gnädig ist, dem er gnädig sein will. So prüft er die gehorsame Unterwerfung unserer Herzen und ich hoffe, wir sind im Stande, in ehrfurchtsvollem Schweigen uns vor seinem gerechten Willen zu beugen.

Die göttliche Liebe ist ihre eigene Ursache und leitet ihre Ströme nicht von irgend etwas in uns selber ab. Sie fließt freiwillig aus dem Herzen Gottes, und findet ihre tiefen Quellen in seinem Busen. Dies ist ein großer Trost für uns, weil sie, da sie unerschaffen ist, auch unveränderlich ist. Wäre sie uns wegen irgend etwas Guten in uns zu Teil geworden, so würde sie sich vermindern, wenn dies Gute vermindert würde. Wenn Gott uns nicht zuerst, sondern hernach geliebt, oder die Ursache der Liebe in uns gewesen wäre, so hätte diese Ursache sich ändern können und die vorausgesetzte Wirkung, nämlich seine Liebe, hätte sich auch geändert; aber nun, wie auch heute der Zustand des Gläubigen sein mag, wie weit er sich auch verirrt hat und wie er sehr unter einem Gefühl der Sünde seufzen mag, der Herr erklärt: „Ich gedenke noch wohl daran, was ich ihm geredet habe.“ Der Herr liebte euch nicht zuerst, weil ihr keine Sünde hattet; er wusste alle Sünde vorher, die ihr je haben würdet, und doch liebte er euch und liebt euch noch. „Ich bin der Herr, der nicht lügt. Und es soll mit euch Kindern Jakobs nicht gar aus sein.“ O, gesegnete Liebe Gottes, da du zuerst warst, wollen wir dir den ersten Platz in unsern Gedanken geben, den höchsten Thron in unserm Herzen, die königliche Stellung in unserer Seele, wir wollen dich preisen, denn du warst zuerst!

Ein anderer Teil der Lehre unsers Textes ist dies, dass die Liebe Gottes die Ursache unserer Liebe zu Gott ist. Ein Ding mag das erste und ein anderes das zweite sein und doch mag das erste nicht die Ursache des zweiten sein, es mag keine wirkliche Verbindung zwischen den beiden stattfinden; aber hier haben wir diese unmissverständlich. „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt;“ was nicht bloß bedeutet, dass dies der Grund ist, dessen wir uns in unserer Liebe bewusst sind, sondern dass es die Kraft, die göttliche Macht ist, die Liebe in uns schuf. Ich lege es euch vor, würden wir Gott geliebt haben, wenn er nicht zuerst seinen Sohn für uns in den Tod gegeben hätte? Wäre kein Erlösungsopfer da gewesen, hätten wir dann Liebe zu Gott gehabt? Unerlöste Menschen, sich selbst überlassen, um wie die gefallenen Engel in ihrer Sünde fortzufahren, hätten nicht mehr Liebe zu Gott gehabt, als die gefallenen Engel. Wie könnten sie? Aber der Sohn, zur Erlösung gegeben, ist die große Grundlage der Liebe. Gott gibt seinen Sohn, und offenbart dadurch seine Liebe und erzeugt die unsere. Wird nicht seine Liebe als die Ursache der unseren gesehen, wenn wir an Golgatha gedenken?

Aber er hätte seinen Sohn für uns in den Tod geben können, Geliebte, und doch hätten wir, ihr und ich, ihn vielleicht nicht geliebt, weil uns diese große Tatsache nicht bekannt geworden. Es ist keine geringe Gnade von Gottes Seite, dass „zu uns das Wort dieses Heils gesandt ist.“ Während die Heiden es nie gehört haben, seid ihr durch die Veranstaltung seiner gnädigen Vorsehung mit der frohen Botschaft beglückt worden. Ihr habt sie in euren Häusern in der Form der heiligen Schrift, ihr hört sie jeden Sabbat von der Kanzel. Wie wärt ihr je dazu gekommen, ihn zu lieben, wenn er euch nicht sein Evangelium gesandt hätte? Die Gabe seines Sohnes Jesu und die Fügung, die den Herold der Gnade zu des Erretteten Türe leitete, sind klare Ursachen der Liebe des Menschen zu Gott. Aber mehr als dies, Christus starb und das Evangelium wird gepredigt, und doch lieben einige Menschen ihn nicht. Warum nicht? Wegen ihrer Herzens Härtigkeit? Aber Andere lieben ihn; soll ich dies auf ein natürliches Besser-sein ihres Herzens zurückführen? Ich wage es nicht und noch weniger tun sie das. Es gibt keinen Gläubigen, der mich bitten würde, dieses bei ihm zu tun; ich muss es auf den Einfluss des Heiligen Geistes zurückführen, der die Offenbarung der Liebe Gottes in Christo Jesu begleitet, das Herz rührt, „Glaube, Liebe und jede Gnade in der Seele erschafft“. Geliebte, wenn ihr Gott liebt, so ist es nicht mit eigner Liebe, sondern mit der Liebe, die er in euren Busen gepflanzt hat. Die unerneuerte menschliche Natur ist ein Boden, in dem die Liebe Gottes nicht wächst. Der Fels muss weggenommen werden und eine übernatürliche Verwandlung des unfruchtbaren Bodens in gutes Erdreich erfolgen, und dann muss die Liebe, wie eine seltene Pflanze aus einem fremden Land, in unsre Herzen gepflanzt und durch göttliche Kraft erhalten werden, sonst wird sie sich nie daselbst finden. Es gibt keine Liebe zu Gott in dieser Welt, die rechter Art ist, außer der, die durch die Liebe Gottes in der Seele geschaffen und gebildet ward.

Nehmt diese zwei Wahrheiten zusammen, dass die Liebe Gottes zuerst ist und dass die Liebe Gottes die Ursache unserer Liebe ist und ich denke, ihr werdet geneigt sein, künftig an das zu glauben, was gewöhnlich die Lehre von der Gnadenwahl genannt wird. Mir erscheint es sehr wunderbar, dass diese nicht von allen Kirchen angenommen wird, da sie tatsächlich von allen Christen auf ihren Knien anerkannt wird. Sie mögen predigen, wie sie wollen, aber sie beten alle der Lehre von der Gnadenwahl gemäß, und diese Lehre stimmt so mit des Christen Erfahrung überein, dass es bemerkenswert ist; je älter ein Gläubiger wird und je tiefer er die göttliche Wahrheit erforscht, desto geneigter ist er, den ganzen Ruhm für sein Heil der Gnade Gottes zu geben und an jener köstlichen Wahrheiten zu glauben, die nicht den freien Willen des Menschen, sondern die freie Gnade des Hochgelobten erhöhen. Ich brauche keine bessere Darlegung der Lehre, die ich selber glaube, als diese: „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Ich weiß, - man hat gesagt, dass er uns geliebt hat, weil er unseren Glauben, unsere Liebe und Heiligkeit voraussah. Natürlich sah der Herr all dieses klar vorher, aber bedenkt, dass er auch unseren Mangel an Liebe und unseren Mangel an Glauben und unsere Verirrungen und unsere Sünden vorhersah, und gewiss, sein Vorhersehen in der einen Richtung muss eben so wohl wirksam gedacht werden, wie sein Vorhersehen in der anderen Richtung. Erinnert euch, dass Gott selber nicht vorhersah, dass irgend welche Liebe zu ihm aus uns selbst entspringen würde, denn es hat niemals eine solche gegeben und wird niemals solche geben; er sah nur vorher, dass wir glauben würden, weil er uns Glauben gäbe, er sah vorher, dass wir Buße tun würden, weil sein Geist Buße uns wirken würde, er sah vorher, dass wir lieben würden, weil er diese Liebe in uns bewirkte, und ist irgend etwas in diesem Vorhersehen, dass er uns solche Dinge geben will, was es erklärlich macht, warum er uns dieselben gibt. Die Sache ist an sich klar sein Vorhersehen dessen, was er tun will, kann nicht die Ursache sein, weshalb er dieses tut. Sein eigner ewiger Ratschluss hat den gnadenvollen Unterschied gemacht zwischen denen, die errettet werden und denen, die durch eigne Schuld in Sünden verderben. Lasst uns allen Ruhm seinem heiligen Namen geben, denn ihm gebührt aller Ruhm. Seine zuvorkommende Gnade muss alle Ehre haben.

II. Die erfahrungsmäßige Nachweisung.

Zweitens, wir wollen diesen Text zu erfahrungsmäßiger Nachweisung brauchen, und hier lernen wir zuerst, dass alle wahrhaft Gläubigen Gott lieben. „Wir lieben ihn,“ und wir Alle lieben ihn aus diesem Einen Grund, „denn er hat uns zuerst geliebt.“ Alle Kinder Gottes lieben ihren Vater. Ich sage nicht, dass sie alle die gleiche Liebe fühlen, oder dass sie alle so viel Liebe fühlen, wie sie sollten; wer unter uns tut das? Ich will nicht sagen, dass sie uns nicht manchmal Ursache geben, an ihrer Liebe zu zweifeln, nein, ich will darauf bringen, dass es gut für sie ist, sich zu prüfen, wie Christus den Petrus prüfte und sprach: „Simon, Jonä Sohn, hast du mich lieb?“ Aber es ist Liebe da in dem Herzen jedes wahrhaften Gotteskindes; sie ist für das geistliche Leben so notwendig, wie das Blut für das natürliche. Seid versichert, es ist kein Einziger je in das Reich Gottes hinein geboren, welcher der Liebe Gottes ermangelte. Ihr mögt in Betreff anderer Tugenden zu kurz kommen (ihr solltet es nicht), und die Grundlage der Sache kann doch in euch sein; aber wenn ihr ohne Liebe seid, so seid ihr ein tönendes Erz und eine klingende Schelle, und was auch eure äußern Werke sein mögen, ob ihr euren Leib brennen ließet und all eure Habe den Armen gäbet, doch, wenn keine Liebe zu Gott in eurer Seele ist, ist das Merkmal der Schafe Gottes nicht an euch und euer Kennzeichen ist nicht das Kennzeichen seiner Kinder. Seid gewiss, wer von Gott geboren ist, der liebt Gott.

Bemerkt sorgfältig die Art von Liebe, die jedem Christen nötig ist: „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Viel ist geredet von uneigennütziger Liebe zu Gott; es mag ein solches Ding geben und es mag sehr bewundernswert sein, aber es ist hier nicht erwähnt. Ich hoffe, Brüder, wir wissen, was es heißt, Gott zu lieben, um seiner erhabenen Trefflichkeit und Güte willen, und gewiss, je mehr wir ihn kennen, desto mehr werden wir ihn lieben um dessentwillen, was er ist, aber welche andere Art von Liebe wir auch haben oder zu haben meinen, wenn wir ihn nicht lieben, weil er uns zuerst geliebt, so beweist das nicht, dass wir Kinder Gottes sind. Dies ist die Liebe, die wir haben müssen; die andere Art der Liebe wird, wenn sie wahr ist, später in uns aufkeimen; sie ist indes nicht notwendig und wir brauchen sie nicht ungebührlich zu erhöhen: Gott zu lieben, weil er uns zuerst geliebt, ist ein hinreichender Beweis von Gnade in der Seele. Die Dankbarkeit ist als eine niedrige Tugend herabgesetzt, aber sie ist in der Tat ein edles Gefühl und eine der stärksten geistlichen Triebfedern. Lasst einen Menschen Gott bewundernd lieben um deswillen, was er ist, aber in gleicher Linie damit laufen muss diese dankbare Liebe zu Gott, weil er ihn zuerst liebte, sonst fehlt es ihm an dem, wovon Johannes sagt, dass es sich bei allen Heiligen findet. Geliebte, quält euch nicht um irgend welche vermeintlich höheren Grade, sondern seht zu, dass ihr ihn liebt, weil er euch zuerst liebte. Ihr mögt nicht im Stande sein, in jene Höhen aufzusteigen, zu denen andere eurer Brüder emporgestiegen sind, weil ihr noch Kindlein in der Gnade seid; aber ihr seid sicher genug, wenn eure Liebe von dieser einfachen Art ist, dass sie liebt, weil sie geliebt wird.

In dieser demütigen Form der Liebe, die so wesentlich ist, wohnt ein Gefühl von Unwürdigkeit, das dem wahren Christen so notwendig ist. Wir fühlen, dass wir die Liebe nicht verdienten, die Gott über uns ergoss, und diese Demut müssen wir haben, sonst fehlt es uns an einem der Kennzeichen eines Gotteskindes. Es ist auch in dieser demütigen Form der Anhänglichkeit eine klare Anerkennung der Tatsache, dass des Herrn Liebe aus Gnaden gegeben ist und dies ist für einen Christen notwendig und wird die Hauptquelle seines Gehorsams und seiner Anhänglichkeit. Wenn Jemand mich nur so viel liebt, als ich verdiene, geliebt zu werden, fühle ich keine sehr große Verpflichtung und folglich keine sehr starke Dankbarkeit, aber weil des Herrn Liebe ganz aus lauter Gnaden ist und zu uns als gänzlich Unwürdigen kommt, deshalb lieben wir ihn wiederum. Seht zu, ob solche demütige, dankbare Liebe gegen Gott in euren Herzen wohnt, denn das ist eine Lebensfrage.

Liebe gegen Gott, wo immer sie gefunden wird, ist ein sicherer Beweis, dass der, welcher sie besitzt, errettet ist. Wenn ihr den Herrn in dem beschriebenen Sinn liebt, dann liebte er euch zuerst und liebt euch jetzt. Ihr braucht kein anderes Zeugnis, um euch zu versichern, dass ihr in der Liebe Gottes bleibt, als dieses dass ihr ihn liebt. Ein ehrwürdiger Bruder erzählte mir vor einiger Zeit eine Geschichte von unserm berühmten Prediger, Robert Hall. Er riss die Gelehrtesten hin durch die Majestät seiner Beredsamkeit, aber er war ebenso einfach, wie groß, und war niemals glücklicher, als wenn er mit armen Gläubigen über ihre Erfahrungen im christlichen Leben sprach. Er war gewohnt, seine Reisen zu Pferde zu machen und nachdem er in Clipstone gepredigt, musste er auf dem Heimweg eines heftigen Schneefalls wegen, in einem kleinen Dorf bleiben. Der gute Wirt „Zum schwarzen Schwan,“ dem kleinen Dorf-Wirtshaus, kam an die Tür und bat den Prediger, unter seinem Dach Zuflucht zu suchen, und versicherte ihn, es würde ihm große Freude machen, ihn zu beherbergen. Hall kannte ihn als einen der aufrichtigsten Christen in der Gegend, stieg deshalb vom Pferd und ging in das kleine Wirtshaus. Der gute Mann freute sich, ihn mit einem Bett, Stuhl und Leuchter in des „Propheten Kammer“ zu versehen, denn die ländliche Herberge hatte ein solches Gemach. Nachdem Hall sich ein wenig bei dem Feuer ausgeruht, sagte der Wirt: „Sie müssen hier notwendig die ganze Nacht bleiben, Herr, und wenn Sie nichts dagegen haben, so will ich ein paar meiner Nachbarn herbeirufen, und wenn Sie geneigt sind, uns eine Predigt in meiner Schenkstube zu halten, werden Alle froh sein, Sie zu hören.“ „So sei es,“ sagte Hall, und so war es; die Schenkstube wurde sein Dom, und der „Schwarze Schwan“ das Zeichen des evangelischen Banners. Die Bauern kamen zusammen und der Mann Gottes schüttete seine Seele vor ihnen aus in wunderbarer Weise. Sie konnten es nie vergessen, denn Robert Hall zu hören war ein Ereignis in dem Leben jedes Menschen. Nachdem Alle gegangen waren, setzte Hall sich nieder und ein Anfall von Niedergeschlagenheit kam über ihn; aus welchem er sich durch Unterhaltung mit seinem Wirt zu erheben suchte. „Ach, Herr,“ sagte der große Prediger, ich fühle mich sehr beladen und zweifele an meinem Gnadenstand. Sagen Sie mir, was halten Sie für ein sicheres Zeugnis, dass ein Mensch ein Kind Gottes ist.“ „Nun, Herr Hall,“ sagte der einfache Mann, „es tut mir leid, Sie so niedergeschlagen zu sehen. Sie zweifeln an sich, aber Niemand anders hat einen Zweifel an Ihnen. Ich hoffe, der Herr wird Sie trösten und aufrichten, aber mir ist bange, ich bin dazu nicht geeignet.“ „Tut nichts, Freund, tut nichts, sagen Sie mir, was halten Sie für das Beste Zeugnis der Gotteskindschaft?“ „Wohl, ich möchte sagen, Herr,“ erwiderte er, „wenn ein Mensch Gott liebt, so muss er eins von Gottes Kindern sein.“ „Sagen Sie das,“ sprach der gewaltige Prediger, „dann steht es wohl mit mir,“ und darauf fing er an, Gott zu preisen in solcher Weise, dass sein Hörer später sagte, es wäre wunderbar gewesen, ihn zu hören, denn ungefähr eine Stunde lang habe er fortgefahren, mit glühendem Ernst die Vollkommenheit Gottes zu verkündigen. „O Herr,“ sagte Der, welcher dies erzählte, „Sie sollten es gehört haben. Er sagte, Gott lieben! Wie, ich kann nicht anders, als ihn lieben, wie sollte ich?“ Und dann fuhr er fort, von dem Allmächtigen zu reden, und seiner Liebe und Gnade, indem er des Herrn Größe erhob, seine Güte und Ehre in der Erlösung und alles, was er für sein Volk tat, bis er sagte: „Danke Ihnen, danke Ihnen, mein Freund, wenn Liebe zu Gott ein Zeichen der Gotteskindschaft ist, so weiß ich, dass ich es habe, denn ich kann nicht anders, als ihn lieben. Ich mache mir kein Verdienst daraus; er ist ein so liebenswertes Wesen und hat so viel für uns getan, dass ich viehischer als irgend ein anderer Mensch sein würde, wenn ich ihn nicht liebte und anbetete!“ Das, was dieses guten und großen Mannes Herz aufheiterte, mag euch vielleicht aufheitern. Wenn ihr Gott liebt, so müsst ihr von Gott geliebt sein; wahre Liebe konnte auf keinem andern erdenklichen Wege in euer Herz kommen, und ihr könnt versichert sein, dass ihr der Gegenstand seiner ewigen Erwählung seid.

Aber, O, wenn du Gott nicht liebst, lieber Hörer, so ersuche ich dich, einen Augenblick über deinen Zustand nachzudenken! Von Gott hören und ihn nicht lieben? Du musst blind sein. Etwas von seinem Wesen kennen und ihn nicht anbeten? Dein Herz muss wie das Herz Nabalos sein, da es wie ein Stein ward. Gott in Christo am Kreuz für seine Feinde bluten sehen und ihn nicht lieben? O Hölle, du kannst keiner größeren Beleidigung schuldig sein, als dieser! Hierin ist Liebe, soll sie nicht anerkannt werden? Es wird gesagt, dass ein Mensch nicht fühlen kann, dass er geliebt wird, ohne in einem gewissen Maß die Flamme zu erwidern; aber was soll ich von einem Gemüt sagen, das Christi Liebe schaut, aber keine Gegenliebe fühlt? Es ist viehisch, es ist teuflisch. Gott habe Erbarmen mit ihm. Seufze dasselbe Gebet, o liebloses Herz, und sage: Herr, vergib mir, und erneuere mich durch deinen Heiligen Geist, und lass mich künftig fähig sein, zu sagen: Auch ich liebe demütig Gott, weil er mich zuerst geliebt hat.“

III. Die praktische Anweisung.

Drittens, wir wollen den Text gebrauchen als praktische Anweisung. Ich hoffe ernstlich, dass hier Einige sind, die, obgleich sie Gott noch nicht lieben, doch wünschen, es zu tun. Wohl, lieber Freund, der Text sagt dir, wie du Gott lieben sollst. Du sprichst vielleicht: „O, ich werde Gott lieben, wenn ich mein Herz gebessert, wenn ich die äußern Pflichten der Religion erfüllt habe.“ Aber willst du Liebe zu Gott aus dir selber heraus bringen? Ist sie denn da? „Nein,“ sagst du. Wie willst du sie denn hernehmen von daher, wo sie nicht ist? Du magst oft zu einer leeren Geldkiste gehen, ehe du eine Tausendpfundnote herausbringst, und du magst lange Zeit in dein eigenes Herz schauen, ehe du eine Liebe zu Gott da heraus bringst, die nicht darin ist. Was ist der Weg, auf dem ein Herz dahin gebracht wird, Gott zu lieben? Der Text zeigt uns die Methode des Heiligen Geistes. Er offenbart die Liebe Gottes dem Herzen und dann liebt das Herz Gott wieder. Wenn ihr also heute Morgen zu dem Wunsch erweckt seid, Gott zu lieben, wendet die Methode an, die der Text euch gibt, - denkt nach über die große Liebe Gottes zu den Menschen, besonders über dies: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Seht klar, dass ihr durch den Glauben eure Seele Christo anzuvertrauen habt und bemerkt, dass es umfassende Liebe ist, die einen solchen Weg des Heils euch vorlegt, in dem das Einzige, was von euch verlangt wird, ist, dass ihr nichts seid und Christus Alles ist, und sogar diesen Glauben gibt er euch als die Gabe seines Geistes, so dass der Heilsplan ganz Liebe ist. Wenn ihr bereuen wollt, betrachtet nicht so sehr eure Sünde, als die Liebe Jesu in seinen Leiden für eure Sünde; wenn ihr zu glauben wünscht, vertieft euch nicht sowohl in die Lehre, als in die Person Jesu Christi am Kreuz, und wenn ihr zu lieben wünscht, denkt beständig an die große Liebe Jesu Christi, der sein Leben für unwürdige Feinde hingab, bis dies euer Herz bricht. Die Liebe Gottes ist die Geburtsstätte der heiligen Liebe. Nicht da in euren Herzen, wo ihr ein abgeschmackt unmögliches Werk versucht, nämlich, Liebe zu erschaffen in dem fleischlichen Gemüt, das nicht mit Gott versöhnt werden kann; sondern dort, in dem Herzen Jesu muss die Liebe geboren werden, dann wird sie auf euch hernieder kommen. Ihr könnt euren Verstand nicht zwingen, selbst ein gewöhnliches Ding zu glauben, noch könnt ihr niedersitzen und sagen: „Ich will Den und Den lieben,“ von dem ihr nichts wisst. Glaube und Liebe sind beide ein zweiter Schritt, der aus einem früheren Schritt entspringt. „Der Glaube kommt durch Hören,“ und Liebe kommt durch Betrachtung; sie fließt aus einem Gefühl der Liebe Christi in die Seele, eben wie der Wein aus den Trauben in der Weinkelter fließt. Gehe du zu dem duftenden Geheimnis der erlösenden Liebe und weile dort, bis in diesem Würzgärtlein deine eignen Kleider nach Myrrhen, Aloe und Kezia duften. Es gibt keinen Weg, dich zu süßen, als indem du die Süßigkeit Jesu Christi schmeckst; der Honig seiner Liebe wird deine ganze Natur wie Honigseim machen, aus jeder Zelle deines Wesens wird Süßigkeit tröpfeln.

Brüder, wenn wir wünschen, die Liebe zu unterhalten, die wir empfangen haben, müssen wir dasselbe tun. Im gegenwärtigen Augenblick liebt ihr Gott und wünscht, ihn stets zu lieben; seid weise denn und nährt die Liebe mit Liebe, es ist ihre Beste Nahrung. Dies ist der Honig, der eure Süßigkeit süß erhalten wird; dies ist das Feuer, dass eure Flamme brennend erhalten wird. Könnten wir von der Liebe Christi getrennt werden, so würde unsere Liebe aussterben, wie eine Lampe in jenen Straßen, wenn sie von der Gasleitung abgeschnitten wird. Er, der uns zum Leben der Liebe erweckte, muss uns lebendig halten, sonst werden wir lieblos und leblos.

Und wenn vielleicht eure Liebe etwas kalt geworden ist; wenn ihr euch sehnt, sie wieder zu beleben, beginnt nicht damit, an Gottes Liebe gegen euch zu zweifeln; das ist nicht der Weg, die Liebe zu beleben, sondern sie zu schwächen. Glaube an die göttliche Liebe, mein Bruder, über die Kälte deines eignen Herzens hinweg; traue auf Jesum Christum als ein Sünder, wenn du dich nicht in ihm als ein Heiliger freuen kannst, und du wirst deine Liebe zurück erhalten. Du siehst die fließende Quelle, wie ein beständiger Strom aus ihr hervorrauscht; und hier bringe ich einen Eimer und setze ihn nieder, so dass der Strom hinein fließt und ihn füllt, bis er überläuft. Auf diese Art sollten wir unsere Seelen mit der Liebe Christi füllen. Aber du hast deinen Eimer weggenommen und er ist leer geworden und nun sagst du: „Ach, ach, hier ist nichts! Was soll ich tun? Der Eimer ist leer.“ Tun? Nun, tu, was du zuerst tatest; geh und setze ihn unter den fließenden Quell und er wird bald wieder voll sein; aber du wirst ihn nie voll bekommen dadurch, dass du ihn an einen trockenen Ort bringst. Zweifel ist der Tod der Liebe; nur durch die Hand des Glaubens kann die Liebe mit dem Himmelsbrot genährt werden. Deine Tränen werden ihn nicht füllen; du magst dahinein stöhnen, aber Seufzen und Ächzen werden ihn nicht füllen; nur die fließende Quelle kann die Leere füllen. Glaube du, dass Gott dich noch liebt; selbst wenn du kein Heiliger bist, glaube an die mächtige Liebe Christi zu den Sündern, und überlass dich ihm, dann wird seine Liebe in dein Herz einströmen, bis es wiederum zum Überfließen voll ist. Wenn du zum höchsten Grad der Liebe Christi aufsteigen willst, wenn du wünschst, ekstatische Entzückungen zu fühlen oder völlig Gott geweiht zu sein, wenn du nach eines Apostels Selbstverleugnung strebt, oder eines Märtyrers Heldenmut, oder wenn du Christo so gleich sein willst, wie die Geister im Himmel es sind, kein Werkzeug kann dir dies Bild eingravieren, als nur die Liebe, keine Kraft kann dich nach dem Modell Jesu Christi formen, als die Liebe Jesu Christi, die durch den Heiligen Geist in deine Seele ausgegossen wird. Haltet euch denn hieran als an ein Stück praktischer Anweisung. Wohnt in der Liebe Gottes zu euch, damit ihr innige Liebe zu Gott fühlen möget.

Noch Eins als praktische Anweisung, wenn ihr Gott liebt, so zeigt es, wie Gott seine Liebe zu euch zeigt. Ihr könnt das nicht in demselben Grad tun, aber ihr könnt es in derselben Art. Gott liebte die Unwürdigen; liebt ihr die Unwürdigen. Gott liebte seine Feinde; liebt ihr eure Feinde. Der Herr liebte sie mit der Tat; liebt nicht bloß mit Worten, sondern in der Tat und Wahrheit. Er liebte sie bis zur Selbstaufopferung, so dass Jesus sich für uns dahin gab; liebt ihr auch bis zur Selbstaufopferung. Liebt Gott so, dass ihr tausend Tode für ihn sterben könntet; liebt ihn, bis ihr nicht mehr für das Fleisch sorgt, sondern nur für seine Ehre lebt; lasst euer Herz mit einer Flamme brennen, die euch verzehrt, „bis der Eifer um Gottes Haus euch frisst.“ „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt,“ deshalb lasst uns ihn lieben, wie er uns liebte; lasst seine Liebe uns sowohl Triebfeder als Vorbild sein.

Von Gott geliebt, fühl' ich die Flamm'
Der heißen Gegenliebe glüh'n,
Von ihm erwählt, noch eh die Zeit begann,
Erwähl ich wiederum auch ihn.

IV. Die beweisführende Verteidigung.

Unser Text gibt uns eine beweisführende Verteidigung an die Hand. Ihr werdet sehen, was ich meine, wenn ich erst bemerke, dass unsere Liebe zu Gott einer Entschuldigung zu bedürfen scheint. Wir haben von einem Kaiser gehört, der ein Auge auf ein Bauermädchen warf. Es würde ungeheuerlich gewesen sein, wenn sie zuerst auf ihn geblickt hätte mit dem Gedanken, dass er ihr Gatte werden könnte; Jedermann würde geglaubt haben, sie hätte ihren Verstand verloren, wenn sie das getan; aber als der Herrscher auf sie niederblickte und sie bat, seine Königin zu sein, das war ein anderes Ding. Sie konnte die Erlaubnis zur Liebe von seiner Liebe hernehmen. Oft sagt meine Seele: „O, Gott, ich kann nicht anders, als dich lieben, aber darf ich? Kann es geduldet werden, dass dies, mein armes Herz, seine Liebe auf zu dir sendet? Ich, befleckt und verderbt, ein Nichts, Leerheit und Sündigkeit, darf ich sagen: „Dich lieb' ich, dich, mein Gott, allmächtig wie du bist?“ Heilig, heilig, heilig, heilig, heilig. ist der Gruß der Seraphim, aber darf ich sagen: Ich liebe dich, o mein Gott?“ Ja, ich darf, weil er mich zuerst geliebt hat. Das ist der Freiheitsbrief der Liebe, sich so hoch hinauf zu schwingen.

„Doch darf ich lieben, dich, o Herr,
Allmächtig wie du bist,
Du hast ja meine Lieb' begehrt,
So arm mein Herz auch ist.“

Dann wieder, wenn wir gefragt würden, wie die Braut im Hohenlied es ward: „Was ist dein Freund vor andern Freunden, o, du Schönste unter den Weibern? Was ist dein Freund vor anderen Freunden, dass du uns so beschworen hast? Was ist diese Leidenschaft, die du für Gott hast, diese Liebe, die du zu seinem menschgewordenen Sohn hast?“ so haben wir einen entschiedenen Beweisgrund, eben wie wir eine Beruhigung für unsere eigenen Befürchtungen haben. Wir antworten: „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt, und wenn ihr nur wüsstet, dass er euch liebt, wenn ihr nur wüsstet, dass er für euch getan hat, was er für uns getan hat, so würdet ihr ihn auch lieben. Ihr würdet uns nicht fragen, warum; ihr würdet euch wundern, warum ihr ihn nicht auch liebt.“

Wenn sie seine Liebe wüssten,
Alle Menschen würden Christen.

Wir werden in alle Ewigkeit keine andere Verteidigung dafür brauchen, dass wir Gott lieben, als diese: „Denn er hat uns zuerst geliebt.“ Hier ist auch ein Beweisgrund für den, welcher den alten orthodoxen Glauben liebt. Es ist von Einigen gesagt worden, die Lehre von der Gnade führe zu Zügellosigkeit, aber unser Text ist ein vortrefflicher Schild gegen diesen Angriff. Brüder, wir glauben, dass der Herr uns geliebt hat, zuerst und aus freiem Willen, nicht wegen unserer Tränen und Gebete, nicht wegen unsers vorhergesehenen Glaubens, noch wegen irgend etwas in uns, sondern zuerst. Wohlan, was folgt daraus? Sagen wir deshalb: Wenn er uns geliebt hat, da wir in Sünden waren, so lasst uns in der Sünde beharren, auf dass die Gnade desto mächtiger werde, wie Einige gottloserweise gesagt haben. Da sei Gott vor.

Der Schluss, den wir daraus ziehen, ist: „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuerst geliebt.“. Einige werden zur Sittlichkeit getrieben aus Furcht, aber der Christ wird sanft zur Heiligkeit gezogen durch die Liebe. Wir lieben ihn, nicht weil wir fürchten, in die Hölle geworfen zu werden, wenn wir es nicht tun diese Furcht ist vergangen, wir, die wir von Gott gerechtfertigt sind, können nie verdammt werden; nicht weil wir fürchten, nicht in den Himmel zu kommen, denn das Erbteil ist uns hinterlassen, so viele unserer Miterben. Jesu Christi sind. Führt diese selige Sicherheit uns zur Sorglosigkeit? Nein, sondern in dem Maß, wie wir die Größe und Unendlichkeit der Liebe Gottes sehen, lieben wir ihn wieder, und diese Liebe ist die Grundlage aller Heiligkeit und das Fundament der Gottseligkeit. Die Lehre von der Gnade, obgleich oft verlästert, hat sich in den Herzen derjenigen, die daran glaubten, als der stärkste Antrieb zur heldenmütigen Tugend erwiesen, und wer das Gegenteil behauptet, der weiß nicht, was er sagt.

Zuletzt noch, hier ist ein edler Beweis, um eine widersprechende Welt zum Schweigen zu bringen. Seht ihr, was für einen wundervollen Text wir hier haben? Er ist eine Beschreibung des Christentums. Die Menschen sagen, dass sie des alten Glaubens müde sind, und bitten uns, mit der Zeit fortzuschreiten - wie sollen wir ihnen antworten? Sie wollen etwas Besseres haben, nicht wahr? Die Philosophen, die den Lüsten des Zeitalters dienen, wollen ihm eine bessere Religion als das Christentum geben. Wirklich? Wir wollen sehen. Wir werden indes lange warten, ehe ihre falschen Verheißungen der Erfüllung nahe kommen. Lasst uns lieber auf das blicken, was wir schon haben. Unser Text ist ein Zirkel. Hier ist Liebe, die vom Himmel zu den Menschen herabsteigt, und hier ist Liebe, die vom Menschen zu Gott hinaufsteigt, und so der Zirkel vollständig.

Der Text handelt allein von Liebe. Wir lieben den Herrn, und er liebt uns. Der Text gleicht der Harfe Anakreons, die nur von Liebe ertönte. Hier ist kein Wort von Streit, Selbstsucht, Zorn oder Neid; alles ist Liebe und Liebe allein. Nun, geschieht es, dass aus dieser Liebe zwischen Gott und seinem Volk (seht den Text im Zusammenhang nach) Liebe zu dem Menschen erwächst, denn „wer Gott liebt, der liebt auch seinen Bruder.“ Der sittliche Kern des Christentums ist Liebe, und die große Hauptlehre, die wir predigen, wenn wir Jesum Christum predigen, ist diese: „Gott hat uns geliebt, wir lieben Gott und nun müssen wir uns einander lieben.“ O, ihr Völker, was für ein besseres Evangelium als dieses wünscht ihr? Dies ist es, was eure Trommeln, eure Kanonen und Schwerter an die Seite legen wird. Wenn Menschen Gott lieben und sich unter einander lieben, wozu ist dann all der blutbefleckte Pomp des Krieges nötig? Und dies wird eure Sklaverei beenden, denn wer wird seinen Bruder seinen Sklaven nennen, wenn er gelernt hat, in jedem Menschen das Bild Gottes zu lieben? Wer ist, der da bedrücken und despotisch herrschen wird, wenn er gelernt hat, Gott zu lieben und die Geschöpfe zu lieben, die Gott gemacht hat? Seht, das Christentum ist die Magna Charta der ganzen Welt. Hier ist die wahre „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit,“ welche die Menschen vergeblich in der Politik suchen werden; hier ist der geheiligte Kommunismus, der keines Menschen Rechte schädigen wird, sondern jedes Menschen Kummer ehren und jedes Menschen Bedürfnissen zu Hilfe kommen; hier ist in der Tat der Keim des goldenen Alters des Friedens und der Freude, da der Löwe Stroh essen soll wie der Ochse und ein Entwöhnter seine Hand stecken wird in die Höhle des Basilisken. Breitet es denn aus und lasst es zirkulieren durch die ganze Erde - Gottes Liebe zuerst, unsere Liebe zu ihm dann, und darauf die allgemeine Liebe, die keinen Menschen irgend einer Farbe, irgend einer Klasse oder irgend eines Namens ausschließt, sondern beides, Gott und Mensch, lieben will, weil sie Gott liebt.

Der Herr segne euch diese Betrachtung durch seinen Geist, um Christi willen. Amen.

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