Spurgeon, Charles Haddon - Klagelieder (Andachten)

Spurgeon, Charles Haddon - Klagelieder (Andachten)

Klagelieder 3,21

„Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch.“

Das Gedächtnis wird oft zum Sklaven der Hoffnungslosigkeit. Verzweifelnde Gemüt rufen sich jede dunkle Ahnung der Vergangenheit in die Erinnerung, und brüten über jeden düstern Gedanken, den ihnen die Gegenwart einflößt; so bietet das Gedächtnis dem Gemüt im Gewande der Buße einen Kelch voll bitterer Galle und Wermut dar. Und doch ist das ganz unnötig. Die Überlegung kann aber das Gedächtnis leicht in einen Engel des Trostes umwandeln. Die nämliche Erinnerung, die mit ihrer linken so viele düstere Vorbedeutungen darbietet, kann darin geübt werden, dass sie in ihrer Rechten einen Schatz hoffnungsvoller Verheißungen zeigt. Sie braucht keine Krone von Ketten zu tragen, sie kann ihre Stirn mit einem goldenen Diadem schmücken, das von glänzenden Sternen strahlt. Das hat auch der Prophet Jeremias erfahren dürfen: in den vorausgegangenen Versen hatte ihn die Erinnerung in die tiefste Zerknirschung der Seele hinabgetaucht: „Meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben; ich muss des Guten vergessen;“ nachher aber stärkte ihn dieselbe Erinnerung zu neuem Leben und Trost: „Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch.“ Wie ein zweischneidiges Schwert tötete sein Gedächtnis zuerst mit der einen Schärfe seinen Stolz, und erwürgte dann mit der andern seine Verzweiflung. Es ist eine allgemein gültige Wahrheit, dass, wenn wir bei unsern Erinnerungen mehr Weisheit anwendeten, wir auch in unserer tiefsten Entmutigung einen Schlag führen könnten, der augenblicklich die Lampe des Trostes entflammen würde. Gott hat nicht nötig, auf Erden etwas Neues zu schaffen, um Seinen Gläubigen den Frieden wieder zu geben; wenn sie sich an das Buch der Wahrheit und an den Gnadenthron hielten, so würde ihr Leuchter bald wieder scheinen wie vordem. Lassen wir uns angelegen sein, uns der Liebe des Herrn zu erinnern und uns die Taten Seiner Treue aufzufrischen. Wir wollen das Buch der Erinnerung öffnen, das so reichlich mit Denkmälern der Gnade bezeichnet ist, so werden wir uns bald glücklich fühlen. So mag das Gedächtnis nach dem Ausdruck eines teuern Gottesmannes der „Busenfrühling der Freude“ sein, und wenn der göttliche Tröster es in Seinen Dienst nimmt, kanns zum besten aller irdischen Tröster werden. (Goldstrahlen Mai 28)

Klagelieder 3,24

Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen.

Es heißt nicht: „Der Herr ist beinahe völlig mein Teil,“ auch nicht: „Der Herr gehört zu meinem Teil“; sondern Er selber ist Summe und Inhalt des Erbteils meiner Seele. Im Umfang dieses Gebiets liegt alles, was wir wünschen und besitzen können.

Der Herr ist mein Teil. Nicht nur seine Gnade, seine Liebe, sein Bund, sondern Jahwe Zebaoth selbst. Er hat uns erwählt zu seinem Erbteil, und wir haben ihn zu unserem Erbe erwählt. Freilich muss der Herr unser Erbteil zuerst für uns erwählen, denn wir hätten es von uns aus nicht getan. Wenn wir aber wirklich berufen sind nach dem Vorsatz seiner erwählenden Gnade, so können wir singen:

Herr, du bist mein bestes Teil,
meine Wonne, Schatz und Heil;
Jesus, Gottes ew‘ger Sohn,
bist mein Schild und großer Lohn.

Der Herr ist unser allgenugsames Teil. Wenn Gott schon in sich allgenugsam ist, so muss er auch für uns der sein, der all unseren Bedürfnissen und Wünschen die vollste Genüge gewährt. Es ist nicht leicht, eines Menschen Verlangen voll zu befriedigen. Aber alles, was wir nur immer wünschen können, ist in unserem Herrn vorhanden, so dass wir ausrufen: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“

Ach, wie dürfen wir unsere Lust haben an dem Herrn, der uns tränkt aus dem Strom seiner Freuden. Unser Glaube breitet seine Flügel aus und erhebt sich wie ein Adler in den Himmel der göttlichen Liebe. Freuen wir uns also in dem Herrn allewege. Zeigen wir der Welt, dass wir ein glückliches und seliges Volk sind, so dass sie ausrufen muss: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, dass Gott mit euch ist.

Klagelieder 3,27

Es ist ein köstliches Ding einem Manne, dass er das Joch in seiner Jugend trage.

Dies ist so gut wie eine Verheißung. Es ist gut für mich gewesen, ist gut und wird gut sein, das Joch zu tragen.

Früh im Leben hatte ich das Gewicht des Sündenbewusstseins zu fühlen, und stets seitdem hat es sich als eine die Seele bereichernde Bürde erwiesen. Würde ich das Evangeliumso sehr geliebt haben, wenn ich nicht durch die tiefe Erfahrung die Notwendigkeit der Errettung aus Gnaden gelernt hätte? Jabez war herrlicher denn seine Brüder, weil seine Mutter ihn mit Kummer geboren hatte, und die, welche viel leiden, während sie für Gott geboren werden, haben starken Glauben an die unumschränkte Gnade.

Das Joch des Tadels ist ein lästiges, aber es bereitet einen Mann für künftige Ehre vor. Wer nicht die Spießruten der Verachtung gelaufen ist, taugt nicht zum Führer. Das Lob berauscht, wenn nicht Schmähungen vorhergegangen sind. Menschen, die ohne Kampf eine Höhe erreichen, fallen gewöhnlich in Unehre.

Das Joch der Trübsal, der getäuschten Hoffnungen oder übermäßiger Arbeit darf durchaus nicht gesucht werden, aber wenn der Herr es uns in der Jugend auferlegt, dient es häufig zur Entwicklung eines Charakters, der Gott Ehre und der Gemeinde Segen bringt.

Komm, meine Seele, beuge deinen Nacken; nimm dein Kreuz auf dich. Es war gut für dich, als du jung warst, es wird dir jetzt nicht schaden. Um Jesu willen, schultere es fröhlich

Klagelieder 3,31

Denn der Herr verstößt nicht ewiglich.

Er mag auf eine Zeitlang verstoßen, aber nicht auf ewig. Eine Frau mag ihr Geschmeide auf einige Tage ablegen, aber sie wird es nicht vergessen und es nicht auf den Dunghaufen werfen. Es sieht dem Herrn nicht gleich, diejenigen zu verstoßen, die Er liebt, denn: „Wie Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende.“ Einige reden davon, dass wir in der Gnade und aus der Gnade seien, als wenn wir wie Kaninchen wären, die in ihre Höhle hinein und wieder heraus laufen: aber in der Tat, es ist nicht so. Des Herrn Liebe ist eine viel ernstere und bleibendere Sache.

Er wählte uns von Ewigkeit, und Er wird uns die Ewigkeit hindurch lieben. Er liebte uns so, dass Er für uns starb, und wir können deshalb gewiss sein, dass seine Liebe niemals sterben wird. Seine Ehre ist so mit der Errettung des Gläubigen verknüpft, dass Er ihn ebensowenig verwerfen kann, wie Er sein eigenes Gewand als König der Herrlichkeit hinweg zu werfen vermag. Nein, nein! Der Herr Jesus als Haupt verstößt nie Seine Glieder; als Bräutigam nie Seine Braut.

Dachtest du je, du seiest verstoßen? Warum dachtest du so Arges von dem Herrn, der sich mit dir verlobt hat? Wirf diese Gedanken hinaus und lass sie nie wieder in deiner Seele Raum finden! „Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches Er zuvor versehen hat!“. (Röm. 11,2) „Er hasset das Verstoßen“ (Mal. 2,16)

Klagelieder 3,40

„Lasst uns forschen und suchen unser Wesen, und uns zum Herrn bekehren.“

Die Braut, die ihren in der Ferne weilenden Freund herzlich lieb hat, sehnt sich nach seiner Rückkehr; eine lange Trennung von ihrem Bräutigam und Geliebten ist ihrer Seele wie ein halbes Sterben; und so gehts den Seelen, die den Heiland von ganzem Herzen lieben, sie müssen Sein Antlitz sehen, sie können es nicht ertragen, wenn er lange verweilt auf den Scheidebergen und keine Gemeinschaft mehr mit ihnen hat. Ein vorwurfsvoller Blick, ein aufgehobener Finger ist für liebeerfüllte Kinder ein herber Schmerz, wenn sie fürchten müssen, ihren lieben Vater beleidigt zu haben, und sie fühlen sich nur glücklich unter seinem Lächeln. Geliebte, so stands einst auch mit euch. Ein ernstes Schriftwort, eine Drohung, einen Schlag mit der Rute der Heimsuchung: mehr bedurfte es nicht, um euch zu eures Vaters Füßen zu führen und den Ruf abzuringen: „Zeige mir, warum Du unzufrieden bist mit mir!“ Stehts nicht mehr so? Kannst du dich damit zufrieden geben, deinem Jesu von ferne nachzufolgen? Haben deine Sünden dich und deinen Gott von einander geschieden, und fühlt dein Herz keine Unruhe darüber? Ach, ich möchte dich in aller Liebe warnen, denn es ist etwas Schmerzliches, wenn wir zufrieden dahinleben können ohne die Freude am herrlichen Glanz des Angesichts unseres lieben Heilandes. O, tun wir doch allen Fleiß, um solchen Schaden recht tief zu empfinden! Geringe Liebe zu unserem sterbenden Heiland, geringe Freude an unserem köstlichen Jesus, geringe Freundschaft mit dem Geliebten! Haltet ein wahrhaftiges Fasten in euren Seelen. wenn ihr bekümmert seid ob eures Herzens Härtigkeit! Denkt daran, wo ihr zuerst Vergebung empfangen habt. Geht sogleich hin zum Kreuze. Dort, und dort allein, könnet ihr wieder Erquickung finden für eure Seele. Es kommt nicht darauf an, wie hart, wie gefühllos, wie tot wir geworden sind; kehren wir heim zum Vaterhause in zerrissenen Kleidern, in Armut, in der Befleckung unseres natürlichen Wesens. Wir wollen dies Kreuz umfassen, und in diese verschmachtenden Augen blicken; wir wollen uns baden in dem blutgefüllten Born: das wird uns zurückführen zu unserer ersten Liebe; das wird uns unseren einfältigen, kindlichen Glauben wieder schenken! (Goldstrahlen März 30)

Klagelieder 3,41

Lasset uns unser Herz samt den Händen aufheben zu Gott im Himmel!

Schon die Verrichtung unseres Gebets zeigt uns unsere Unwürdigkeit; und das ist eine sehr heilsame Erkenntnis für so hochmütige Wesen wie uns. Wenn Gott uns seine Gunst erwiese, ohne dass wir genötigt wären, darum zu bitten, so würden wir nie erfahren, wie arm wir sind, aber ein echtes Gebet ist eine Offenbarung verborgener Armut. Weil es sich an den göttlichen Reichtum wendet, so ist es ein Bekenntnis der menschlichen Dürftigkeit. Der gesundeste Zustand eines Christen besteht darin, dass er allezeit leer ist im eigenen Ich und beständig von dem Herrn abhängig für seine Bedürfnisse; dass er allezeit arm ist in der eigenen Seele und reich in Jesus; matt wie Wasser im eigenen Wesen, aber mächtig durch Gott, große Taten zu vollbringen; daher stammt der Segen des Gebetes, weil es dadurch, dass es Gott verehrt, die Kreatur dahin stellt, wo sie hin gehört, nämlich in den Staub. Das Gebet ist schon an und für sich, abgesehen von der Erhörung, die ihm zuteil wird, eine große Wohltat für den Christen. Gleichwie sich der Wettläufer zum Wettkampf durch tägliche Übung stärkt, so erlangen wir durch die geheiligte Arbeit des Gebetes neue Kräfte. Das Gebet befiedert die Fittiche der jungen Gottesadler, damit sie sich über die Wolken emporschwingen lernen. Das Gebet gürtet die Lenden der Streiter Gottes und sendet sie selber mit gestählten Sehnen und erhöhtem Mut in den Kampf. Ein eifriger Beter geht hervor aus seiner Kammer, gleichwie die Sonne aufgeht aus ihrer Kammer an der Welt Ende und sich freuet wie ein Held, zu laufen den Weg. Das Gebet ist die erhobene Hand Mose, welche die Amalekiter empfindlicher schlägt als das Schwert Josua; es ist der Pfeil, der den König auf des Propheten Geheiß schoss gegen Morgen: ein Pfeil des Heils vom Herrn, ein Pfeil des Heils wider die Syrer. Das Gebet gürtet die menschliche Schwachheit mit göttlicher Kraft, es verwandelt die menschliche Torheit in himmlische Weisheit und schenkt den schwergeprüften Sterblichen den Frieden Gottes. Wir wissen nichts, was das Gebet nicht vermöchte auszurichten! Wir danken Dir, großer Gott, für den Gnadenstuhl, denn er ist ein lieblicher Beweis Deiner wunderbaren Güte und Freundlichkeit. Stehe uns heute bei, dass wir sie heute den ganzen Tag und recht aneignen können.

Klagelieder 3,58

„Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele.“

Achtet darauf, mit welcher Bestimmtheit der Prophet spricht. Er sagt nicht: „Ich hoffe, ich glaube, ich meine manchmal, dass Gott die Sache meiner Stelle führen will;“ sondern er spricht davon als von einer unbezweifelten, abgemachten Sache: „Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele.“ Wir wollen uns unter dem Gnadenbeistand des heiligen Trösters von allen Zweifeln und Befürchtungen losmachen, die unsern Frieden und unsern Trost so sehr beeinträchtigen. Bitten wir, dass wir nichts mehr mögen zu schaffen haben mit der heiseren, krächzenden Stimme des Argwohns und des Misstrauens, sondern imstande seien, mit der klaren, volltönenden, wohlklingenden Stimme ganzer Überzeugung und zweifelloser Gewissheit zu sprechen. Merkt, wie dankbar der Prophet sich ausdrückt; denn er schreibt alle Ehre Gott allein zu! Ihr seht, dass er mit keinem Wort weder seiner Person, noch seines Flehens Erwähnung tut. Er schreibt seine Erlösung in keinerlei Weise irgendeinem Menschen zu, noch viel weniger seinem eigenen Verdienst; sondern er spricht: „Du“ - „Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele; und erlöse mein Leben.“ Der Christ sollte sich allezeit einer dankbaren Gesinnung befleißigen; und besonders sollten wir nach Erlösungen aus Nöten und Trübsalen Gott unser Lob bereiten. Die Erde sollte ein Tempel sein, den die Loblieder dankbarer Heiliger erfüllen, und jeder Tag sollte ein Rauchfass sein, das vom süßen Weihrauch unserer Preis- und Dankgebete lieblich duftet. Wie freudig scheint Jeremia gestimmt zu sein, wenn er der Barmherzigkeit und Güte des Herrn gedenkt! Wie siegesfreudig erhebt sich sein Gebet! Er ist aber erst aus der tiefen Grube des Gefängnisses gekommen und ist noch immer der trauernde Prophet; und dennoch hören wir klar, wie den Lobpsalm der Mirjam, da sie mit ihren Fingern die Pauke schlug am Reigen, hell wie den Siegesjubel der Debora, da sie dem Barak mit Triumphgesängen entgegenging, die Stimme des Propheten Jeremia selbst aus dem Buch, das mit dem Namen „Klaglieder“ bezeichnet ist, gen Himmel emporsteigen: „Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele; und erlöse mein Leben“ O, ihr Kinder Gottes, sucht nach einem lebendigen Ausdruck für eure dankbare Empfindung, die des Herrn Güte und Freundlichkeit in euch erweckt, und wenn ihr den rechten Ausdruck gefunden habt, so redet offen und aufrichtig davon; lobsinget mit dankendem Gemüte; jauchzet mit schallendem Triumph!

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