Spurgeon, Charles Haddon - Der beladene Erntewagen.

Spurgeon, Charles Haddon - Der beladene Erntewagen.

Sieh, ich will es unter euch kirren1) machen, wie ein Wagen voll Garben kirret.
Amos 2, 13.
(Sieh, ich bin unter euch gedrückt, wie ein schwer mit Garben beladener Wagen gedrückt ist. Engl. Übersetzung.) 2)

Wir waren mit Boas und Ruth im Erntefeld, und ich hoffe, dass manche blöde Seele veranlasst wurde, von den Händenvoll, welche die Schnitter auf Anordnung unseres gütigen Herrn für sie fallen ließen, reichlich genommen haben. Heute gehen wir an das Tor des Erntefeldes mit einer anderen Absicht, nämlich den schwerbeladenen Erntewagen, welcher der Garben Fülle heimbringt, zu besehen. Wir kommen mit dankerfüllten Herzen, wir preisen den Herrn für die Ernte, für die günstige Witterung und bitten, dass er uns dieselbe erhalte, bis die letzte Garbe in die Scheune gebracht ist und die Schnitter sich zum großen Erntedankfest versammeln.

Welch ein treffendes Bild von dir und mir ist ein schwerbeladener Erntewagen, weil uns Gott mit Segnungen erfüllt hat. Von unserer Kindheit ersten Tagen bis heute hat er täglich neue Garben seiner Wohltaten hinzugetan. Was hätte er noch mehr für uns tun können? Lasst uns seine Gnade preisen und seine Güte verherrlichen. Aber ach! dass man diesem Bilde auch eine andere Deutung geben kann, nämlich, dass während Gott uns mit Segnungen überladen, wir ihn mit Sünden überhäuft haben. Während er es an Gnaden nicht fehlen ließ, haben wir täglich unsere Schuld vergrößert, bis der Höchste endlich ausruft unter der Last: „Ich bin unter euch gedrückt, wie ein schwerbeladener Erntewagen gedrückt ist!“

Unser Text fängt sehr passend mit einem „Sieh“ an. Die „Sieh“ stehen in der Bibel, wie die Schilder an den Geschäftshäusern ausgehängt sind, um die Aufmerksamkeit zu ziehen. Es gibt etwas Neues, Wichtiges, von tiefer Bedeutung, wo wir in der Schrift ein solches „Sieh“ finden. Ich betrachte dieses „Sieh,“ wie die Weisheit, welche auf der Schwelle des Hauses steht und ruft: „Machet euch hier herzu, die ihr die Weisheit sucht, und hört die Stimme des Herrn eures Gottes.“ Lasst uns die Augen auftun, damit wir „sehen“, und möge der Geist Gottes durch unsere Augen und Ohren einen Weg zu unseren Herzen bereiten, dass Reue und Selbsterkenntnis über unsere vielen Sünden, die wir gegen den Herrn unseren Gott getan, unser Inneres erfüllen möchten.

Es sollte verstanden sein, ehe wir weiter gehen, dass unser Text bloß ein Bild ist, denn Gott kann in Wahrheit nicht von Menschen gedrückt werden; alle Sünden, welche ein Mensch tut, können nie die Ruhe und Vollkommenheit Gottes stören. Er redet nur zu uns nach der Menschen Weise und passt die Weisheit und Geheimnisse des Himmels unserer menschlichen Unwissenheit an. Er redet zu uns, wie ein weiser Vater mit seinem kleinen Kinde spricht. So wie unter einer schweren Ladung sich die Achsen biegen und die Räder knarren, also spricht der Herr, haben ihn unsere Sünden gedrückt, dass er darüber ausrufen muss, weil er die Übertretungen Derer, welcher wider ihn sündigen, nicht länger ertragen kann. Wir wenden uns nun zu unserem ersten Teile. Möge der Heilige Geist uns in unserer Betrachtung leiten.

1.

Sünde ist dem Herrn sehr schmerzlich und beschwerlich. Entsetzet euch, ihr Himmel, und staune, du Erde, dass Gott sagen sollte, er sei gedrückt. Ich finde nirgends eine Andeutung in der Schrift, dass die ganze Schöpfung eine Last für ihn gewesen sei. Er trägt Alles, als wenn es nichts wäre. Die Unterhaltung der Sonne, des Mondes, noch aller Heere der Sternenwelten kosten ihm nicht die geringste Anstrengung. Die Heiden stellen den schwerfälligen Atlas dar, wie er die Erde trägt, aber der ewige Gott, welcher die Säulen der Schöpfung hält, wird nicht müde noch matt. Ebensowenig finde ich, dass ihm die Vorsehung irgend welche Anstrengung kostet. Sein Aufsehen bewahret unseren Odem bei Tag und Nacht, seine Kraft gehet in alle Lande. Er ist es, der den Morgenstern hervorbringt zu seiner Zeit, der den Wagen am Himmel über seine Kinder führt. Er hält die Veste der Erde, er macht Tag und Nacht und zeiget der Finsternis und dem Tode ihre Grenzen. Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort, und ist Alles durch ihn gemacht, was gemacht ist. So wie ein Augenblick in den Schaum der Zeit zurücksinkt, welcher ihn gebracht hat, so würde die Schöpfung verschwinden, wenn der Höchste sie nicht täglich hielte. Aber alle diese unbegreifliche Tätigkeit hat seine Kraft nicht verzehrt, noch hat die Stärke des Allmächtigen abgenommen. Er schaffet alle Dinge, und wenn er sie geschaffen hat, so sind sie wie nichts in seinen Augen. Aber merkwürdig, höchst merkwürdig, ja ein Wunder der Wunder, dass die Sünde Gott niederdrückt, was doch die ganze Welt nicht vermag; und dass die Übertretung schwer auf ihm liegt, während die ganze Vorsehung ist wie ein leichter Staub in seiner Hand. O ihr gedankenlosen Adamskinder, ihr haltet die Sünde für unbedeutend, und ihr Kinder Belials, ihr haltet sie für Spiel und sprecht: „Der Herr sieht es nicht und weiß es nicht, und wenn er es weiß, so fragt er nichts danach.“ Lernt aus dem Buche Gottes, dass statt dessen der Herr eure Sünden kennt und fühlt, und dass sie ihm sind wie eine schwere Last; wie ein schwer mit Garben beladener Wagen gedrückt ist, so ist er gedrückt von den Sünden der Menschen.

Dieses wird uns klar, wenn wir einen Augenblick betrachten, was die Sünde ist, und was sie tut. Die Sünde ist die große Zerstörerin der Werke Gottes. Die Sünde verwandelte den Erzengel in einen Erzfeind, die Engel des Lichts in Engel der Finsternis. Die Sünde blickte ins Paradies, und alle seine Blumen welkten. Ehe die Sünde kam, sprach der Schöpfer von der Schöpfung: „Es ist sehr gut.“ Als aber die Sünde ihren Einzug gehalten, reute es Gott, dass er den Menschen gemacht hatte. Nichts zerstört die Schönheit so wie die Sünde, denn sie verdirbt Gottes Ebenbild und verwischt seine Inschrift.

Zum Anderen macht auch die Sünde die Geschöpfe Gottes unglücklich, und sollte er daher dieselbe nicht verabscheuen? Es war nie die Absicht Gottes, dass eins seiner Geschöpfe sich unglücklich fühlen sollte. Er schuf sie zur Freude; er gab dem Vogel Gesang, der Blume den Duft, und der Luft ihren Balsam; dem Tage gab er die lachende Sonne, und ihr Sternengeschmeide der Nacht; denn es war seine Absicht, dass die Töne der Freude sein Dienst und Lobgesang sein sollten. Aber die Sünde hat das liebliche Gemälde zerstört und die Kreaturen elend gemacht; ja selbst sein eigenes Bild steht nackt, arm und jämmerlich da. Darum hasst Gott die Sünde, und sie drückt ihn, wie eine schwere Last, weil ihm das Wohl seiner Geschöpfe am Herzen liegt.

Dann bedenkt auch, dass die Sünde alle Eigenschaften Gottes angreift. Was ist die Sünde? Ist sie nicht eine Beleidigung der göttlichen Weisheit? O Sünder, Gott gebietet dir, seinen Willen zu tun. Tust du aber das Gegenteil, so ist das so viel, als ob du sagtest: „Ich weiß, was gut ist für mich, aber Gott weiß es nicht.“ Du erklärst sozusagen, dass die ewige Weisheit im Irrtum sei, und als ob du, das Geschöpf des Augenblicks, der Beste Richter deines Glückes wärest. Die Sünde zieht die Güte Gottes in Zweifel, denn durch die Sünde erklärt der Mensch, dass Gott ihm dasjenige vorenthalte, was ihn glücklich macht, und das ist doch nicht die Weise eines gütigen, liebenden Vaters. Die Sünde sucht die Weisheit Gottes auf der einen und seine Güte auf der anderen Seite zu zerstören.

Die Sünde beleidigt auch Gottes Erbarmen. Wenn ihr, wie manche von euch getan haben, in der Sünde fortfahrt, weil der Herr langmütig gegen euch war; wenn, weil ihr. keine Krankheit, keine Leiden, keine Verluste habt, ihr in eurer Rebellion und hartnäckigen Widerspenstigkeit gegen Gott fortfahrt - was ist es anders, als mutwillig auf Gnade hin sündigen, und das, was euch zum Heil gereichen soll, verwandelt ihr in Unheil. Es ist keine geringe Beleidigung gegen einen gütigen Vater, wenn er sehen muss, wie seine Güter mit Huren verprasst werden; er kann nicht ruhig zusehen, wenn sein Kind in Folge der Güte, welche bestimmt war, es zur Buße zu leiten, desto mehr und frecher sündigt. Dazu lass mich den gleichgültigen und unbußfertigen Sünder darauf aufmerksam machen, dass jede Sünde eine Herausforderung der göttlichen Kraft ist. In Wirklichkeit hebt ihr eure ohnmächtige Hand gegen die Majestät des Himmels empor und fordert Gott auf, euch zu verderben. Jedesmal wenn ihr sündigt, so fordert ihr damit Gott heraus, zu zeigen, ob er seine Gesetze auszuführen vermöge. Ist das eine Kleinigkeit, dass ein Wurm, das Geschöpf des Augenblicks, den Gott der Ewigkeit, den Gott, welcher alle Dinge trägt durch sein kräftiges Wort, herausfordert? Kein Wunder, wenn er es müde werden sollte, solche Schmähungen und Beleidigungen zu ertragen. Nennt irgend eine Eigenschaft Gottes, welche von der Sünde nicht besudelt worden, irgend ein Verhältnis des göttlichen Wesens, das nicht mit Verleumdung von Seiten des Sünders befleckt wäre? Das Thun des Sünders ist böse, nur böse und immerhin böse; in jeder Beziehung muss es dem Herrn daher anstößig sein. Sünder, weißt du nicht, dass eine jede deiner bösen Handlungen in Wirklichkeit Hochverrat ist? Was suchest du denn anders als selbst dein Gott, dein eigener Herr und Meister zu sein? Jedesmal, wenn du etwas gegen den Willen Gottes tust, so setzest du deinen eigenen Willen an seine Stelle; es ist, um dich auf den Thron Gottes zu schwingen und den Höchsten zu entthronen. Und ist das nur ein Vergehen, seinem Haupt die Krone und seiner Hand das Zepter entreißen zu wollen? Ich sage dir, es ist eine solche Handlung, welche der Himmel nicht ohne Vergeltung kann dahingehen lassen; wenn eine solche Sünde ungestraft dahinginge, die Säulen der himmlischen Regierung würden brechen, und das ganze Gebäude der moralischen Weltregierung würde in Trümmer fallen. Solcher Verrat gegen Gott kann gewiss seiner Strafe nicht entgehen.

Aber um das Maß des Verderbens voll zu machen, ist die Sünde nichts Geringeres, als ein Angriff auf Gott selbst, denn sie ist der Unglaube des Herzens. Mag sein religiöses Bekenntnis sein, was es will, der Sünder spricht in seinem Herzen: „Es ist kein Gott.“ Er wünscht, dass es weder Gesetz, noch einen höchsten Richter geben möchte. Ist das eine Kleinigkeit - ein Gottesmörder? Das Verlangen zu haben, Gott aus seinem Reiche zu verbannen, ist das etwa nicht der Rede wert? Kann der Höchste das anhören und nicht gedrückt fühlen unter solcher Last? Ich bitte euch, denkt nicht, dass ich den Ruf gegen Sünde und Übertretung übertreibe. Es liegt nicht in der Kraft menschlicher Einbildung, das Übel der Sünde zu schwarz zu malen, noch sind menschliche Lippen im Stande, und wenn sie wie die des Jesaias mit einer Kohle vom Altare Gottes berührt wären, den zehntausendsten Teil der Schrecklichkeit der Übertretungen gegen Gott auszusprechen. Bedenkt nur, Freunde, wir sind seine Geschöpfe und wollen nicht seinen Willen tun. Er erhält und ernährt uns, den Atem unserer Brust hat er uns gegeben, und wir verwenden den Hauch unseres Mundes zu widerspenstigem Murren und Rebellion.

Wir befinden uns allezeit in der Gegenwart unseres allgegenwärtigen Gottes, und doch ist die Gegenwart Gottes nicht hinreichend, uns zum Gehorsam zu bewegen. Wahrlich, wenn ein Mensch in der unmittelbaren Gegenwart der Gesetzgeber das Gesetz verachtete, das dürfte ihm nicht so hingehen. Aber das ist dein und mein Fall. Wir müssen bekennen: „An dir allein habe ich gesündigt und Übel vor dir getan.“ Dann müssen wir bedenken, dass wir im vollen Bewusstsein unserer Übertretung gesündigt haben. Wir haben nicht gesündigt, wie die Hottentotten und Kannibalen. Wir, in diesem Lande sündigen gegen außergewöhnliches Licht und siebenfache Erkenntnis; und ist das eine Kleinigkeit? Könnt ihr euch denken, dass Gott solche bewussten und vorsätzlichen Übertretungen ungerächt lässt? O, dass meine Lippen Worte hätten, dass mein Herz heute brennen möchte! Denn wenn es mir gegeben wäre, die Schrecken der Sünde, die furchtbaren Tiefen der Übertretung zu schildern, was gilts, es würde selbst das Blut in den Ackern eines Pharao gerinnen machen, und der stolze Nebukadnezar würde in Schrecken sein Haupt neigen. Es ist in der Tat etwas Furchtbares, gegen den Allerhöchsten rebelliert zu haben. Möge der Herr Erbarmen haben mit seinen Knechten und ihnen vergeben!

Dies ist unser erster Punkt, aber Gott selbst muss euch denselben lehren; ich vermag es nicht. Ach, dass der Heilige Geist selbst euch zeigen möchte, wie furchtbar sündhaft die Sünde ist, und dass sie Gott beschwert und drückt.

2.

Manche Sünden sind besonders verwerflich in den Augen Gottes.

Es gibt an sich keine kleinen Sünden, aber es gibt Grade der Sünde, und es wäre töricht, zu sagen, dass sündliche Gedanken dieselbe Tragweite hätten, wie sündliche Handlungen. Unkeusche Gedanken sind sündlich - schrecklich sündlich - aber die Tat der Unkeuschheit ist doch viel abscheulicher. Es gibt Sünden, welche dem Herrn vor allen missfallen. In Verbindung mit dem Texte nehmen wir wahr, dass Hurerei zu diesen Sünden gehörte. Es scheint, dass die Juden zur Zeit des Propheten Amos schrecklich tief in das Laster der Hurerei und des Ehebruchs gefallen waren. Auch in unserer Zeit geht diese Sünde im Schwange. Unsere Straßen zur Zeit der Mitternacht und die Ehescheidungsgerichte sind Zeugen hiervon. Ich sage mehr nicht. Ein Jeglicher halte seinen Leib rein, denn die Unkeuschheit ist eine schreckliche Sünde vor dem Herrn.

Unterdrückung ist nach der Aussage des Propheten eine andere dieser Sünden. Der Mann Gottes redet davon, dass Manche den Armen um ein Paar Schuhe verkaufen, dass sie die Witwen und Waisen mahlen und den Arbeiter umsonst arbeiten lassen möchten. Wie manche Geschäftsleute kennen keine Barmherzigkeit. Sie bilden Vereine, und dann pressen sie Solchen, welche ihnen in die Hände fallen, unerschwingliche Wucherzinsen ab. Manchem Mann werden seine gerechten Ansprüche durch Advokatenkniffe und Verdrehung der Gesetze streitig gemacht, welches ebenfalls ein Gräuel ist in den Augen des Herrn.

Dann scheinen Götzendienst und Lästerung zu den Sünden zu gehören, die der Herr besonders verabscheut. Er sagt, dass sein Volk den Wein der falschen Götter getrunken habe. Wenn jemand seinen Bauch oder den Goldklumpen oder seine Ländereien zu seinem Abgott erhebt und denselben dient, der ist der Abgötterei schuldig. Wehe Diesen, und gleiches Wehe Denen, welche Kreuz, Sakramente und Bilder anbeten.

Die Gotteslästerung ist eine Sünde, auf welcher Gottes Missfallen besonders ruht. Für diese gibt es keine Entschuldigung. Wie George Herbert sagt: „Lust und Wein sollen Freude und Habsucht Gewinn bringen; aber der gemeine Flucher lässt den Unflat umsonst aus seinem Munde laufen.“ Durch unzüchtige Reden wird nichts gewonnen. Vergnügen kann das Fluchen nicht gewähren, man sündigt da nur, um zu sündigen, und darum ist es ein himmelschreiendes Laster, und darum ist es auch ein besonderer Gräuel vor dem Herrn. Es mögen Manche unter euch sein, welche diese Bemerkungen als eine persönliche Beschuldigung auffassen. Rede ich heute zu Wollüstigen oder Unterdrückern oder Fluchern? O Seele, welche Geduld hat der Herr so lange mit dir gehabt; aber die Zeit kommt, wenn er sagen wird: „Ich will meine Widersacher vertilgen,“ und wie leicht ist es für ihn, euch in den Pfuhl zu werfen, da der Wurm nicht stirbt, und das Feuer nicht verlöschet.

Und während so manche Sünden besonders verwerflich sind in den Augen Gottes, haben manche Menschen durch ihre lange Sündenlaufbahn die Gnade Gottes besonders missachtet. Jener grauköpfige Mann, wie oft hat er den Allmächtigen herausgefordert. Ja, selbst die jungen Leute haben Ursache, ihre Jahre zu zählen und ihre Herzen nach der göttlichen Weisheit zu richten, wegen ihrer zahlreichen Übertretungen und ihrer Rebellion gegen den Allmächtigen; aber was soll ich von Solchen sagen, welche ein halbes Jahrhundert der Gottlosigkeit hinter sich haben, ja, manche wohl sechzig, siebzig, ach, vielleicht muss ich sagen fast achtzig Jahre sind in Feindschaft gegen Gott dahin geflossen. Achtzig Jahre der Gnade mit schnöder Gleichgültigkeit vergolten; für achtzig Jahre göttliche Geduld habt ihr achtzig Jahre der Undankbarkeit hingegeben. Ach, Gott, wohl sprichst du, dass du gedrückt wirst unter solcher Last.

Dann auch hat Gott ein besonderes Missfallen an solchen Sünden, welche Hartnäckigkeit zum Grunde haben. O, wie hartnäckig sind manche Menschen! Sie wollen verdammt werden; da ist keine Hilfe. Es scheint, als ob sie die Alpen ersteigen würden, um sich ins Verderben zu stürzen, sie würden einen Feuersee durchschwimmen, um in die Hölle zu kommen. Ich könnte euch von Menschen erzählen, welche gefährlich am Fieber, an Cholera und anderen Seuchen darnieder lagen und haben ihre Gesundheit wieder erlangt, um zu ihren Sünden zurückzukehren. Manche von ihnen haben schwere und vielfache Unfälle gehabt in ihren Geschäften; sie standen sich einmal gut; aber sie lebten in Lastern; nun sind sie arm geworden, aber in ihren Sünden fahren sie gleichwohl fort. Sie werden mit jedem Tage ärmer, selbst ihre Kleider haben sie ins Pfandhaus getragen, und dennoch wollen sie die Kneipe und das Glas nicht meiden. Ein anderes Kind liegt auf der Bahre. Die Frau ist krank und der Hunger stiert der Familie überall entgegen, aber sie gehen weiter in der Sünde, mit hoher Hand und ausgerecktem Arm rebellieren sie gegen Gott. Das kann man wahrlich Eigensinn nennen. Sünder, Gott wird dich einen dieser Tage deine eigenen Wege gehen lassen, und diese Wege sind ewiges Verderben. Gott ist es müde mit Solchen, die trotz aller Bitten, Warnungen und Einladungen mit Gewalt in ihrem Sündenleben beharren wollen, noch länger zu hadern.

Unser Textkapitel scheint zu sagen, dass Undankbarkeit in den Augen Gottes besonders verwerflich ist. Er sagt seinem Volk, wie er es hat ausgeführt aus Ägypten, wie er vor ihnen vertilgt hat die Amoriter, wie er aus ihren Söhnen Propheten und aus ihren jungen Männern Nazaräer gemacht, und dennoch verlassen sie den Herrn. Das war ein Punkt, welcher besonders schwer auf meinem Gewissen lag, da ich als Jüngling den Herrn suchte: nicht so viel die Hässlichkeit der Sünde als vielmehr der Missbrauch der vielen empfangenen Segnungen. Wie gütig war der Herr gegen die Meisten von uns - wir haben niemals Mangel gehabt. Gott hat uns nicht in Armut, noch Laster und grobe Sünde sinken lassen; er hat uns der Sittlichkeit erhalten und ließ uns Lust finden an seinem Hause, selbst ehe wir ihn liebten, Jahr um Jahr. Wie haben wir aber alles dies vergolten? Und uns, seinen Kindern, hat er Freuden, Errettung, Liebe und Trost gewährt trotz unserer Untreue. Wohl mag der Herr sich mit einem Wagen vergleichen, welcher mit Garben schwer gedrückt ist.

3.

Ehe ich weiter gehe, lasst mich noch erwähnen, dass der Herr in Folge der Sünde des Volks sich zu dem Ausrufe veranlasst sieht: „Hört, ihr Himmel, und Erde, nimm zu Ohren, denn der Herr redet: Ich habe Kinder aufgezogen, und erhöht, und sie sind von mir abgefallen.“ Und wieder: „Werft von euch alle Übertretung, damit ihr übertreten habt, und macht euch ein neues Herz und neuen Geist. Denn warum willst du also sterben, du Haus Israel?“ Vor allem aber hört die Klage von den Lippen des Heilandes: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten, und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.“ Sünder, es geht Gott tief zu Herzen, was du getan hast; er klagt, worüber du lachst; dein Retter ermahnt dich, doch nicht das Schreckliche zu tun, welches er hasst. Um Gottes willen tue es nicht. Wir sagen oft „um Gottes willen,“ ohne zu bedenken, was es meint; aber hier seht, was es zu bedeuten hat: Um Gottes willen betrübet nicht den Herrn euren Gott und veranlasst nicht den Höchsten zu der Klage, dass er es müde sei zu leiden. Haltet ein und kehrt euch von den Wegen eurer Gottlosigkeit, denn warum wollt ihr also sterben, ihr vom Hause Israel?

Während wir nun wissen, dass die Sünde der Menschen den Herrn drückt, so erhöht es seine Gnade, wenn wir sehen, dass er die Last trägt. Wie es vom Wagen heißt, nicht dass er breche, sondern dass er gedrückt sei, so ist der Herr gedrückt unserer Sünden wegen. Wenn du oder ich an des Herrn Stelle gewesen, würden wir es getragen haben? Nein, nach einer Woche hätten wir die Welt mit Feuer verbrannt oder unter unseren Füßen zu Pulver zertreten. Wenn Gott so schnell wäre zu strafen, wie die Menschen sind, wo wären wir heute? Wie leicht wäre es für ihn, seine Ehre zu rächen. Wie viele Diener umstehen seinen Thron, bereit seinem Wink zu gehorchen. Wie dem römischen Konsul seine Liktoren mit der Axt folgten, so hat der Herr immer seine Knechte, die da warten, seine Urteile zu vollstrecken. Ein Stein oder Ziegel vom Dache, ein Donnerkeil, ein Windstoß, ein Körnchen Sand, ein gesprungenes Blutgefäß kann eurem Leben ein Ende machen, wenn der Zorn Gottes über euch entbrennt. Wahrlich, der Herr muss seine zürnenden Heere zurückhalten, denn die Himmel schreien: „Warum sollten wir noch länger das Haupt dieses Elenden bedecken?“ Die Erde ruft: „Warum soll ich den Furchen dieses Gottlosen Wachstum geben?“ Das Gewitter donnert: „Lass uns den Rebellen erschlagen,“ und die Wogen des Meeres möchten ihn verschlingen. Es gibt keinen deutlicheren Beweis von Gottes Gnade als seine Langmut, denn sie zeigt die höchste Kraft Gottes, wodurch er sich zu beherrschen vermag. Sünder, noch hat der Herr Geduld mit dir. Hast du jemals gesehen, dass ein geduldiger Mann beleidigt wurde? Es begegnet ihm ein Schurke auf der Straße und beleidigt ihn vor einem Haufen Buben. Er trägts. Der Mensch speit ihm ins Gesicht. Er lässt sichs gefallen. Der Missetäter schlägt ihn. Ruhig nimmt er die Schläge hin. „Lass ihn einstecken,“ sagt Jemand. „Nein, ich vergebe ihm Alles,“ ist die Antwort. Der Schurke ergreift ihn aufs Neue, wirft ihn auf den Boden und schleift ihn durch die Gosse. Als der misshandelte, über und über mit Straßenkot besudelte Mann aufsteht, sagt er zu dem Anderen: „Wenn ich etwas für Sie tun oder zu Ihrem Wohle beitragen kann, so bin ich gern bereit dazu.“ Gerade in diesem Augenblick wird dieser Bösewicht wegen Verschuldung durch die Polizei festgenommen. Da greift der Beleidigte in seine Tasche, zahlt für seinen Beleidiger die Schulden und spricht zu ihm: „Sie sind frei.“ Aber seht, wie ihm der Schurke zum Danke wiederholt ins Gesicht speit. „Jetzt,“ ruft ihr entrüstet, „lass das Gesetz seinen Weg gehen.“ Kann man da noch länger Geduld haben? So hätten die Menschen geurteilt; nicht aber der Herr. Er hat noch länger Geduld mit dem unbußfertigen Sünder.

4.

Dieses bringt mich nun zum vierten Punkte, wobei ich gern eure ungeteilte Aufmerksamkeit hätte. Ich befürchte manche von euch haben niemals die Sünde in dem Lichte betrachtet, dass sie eine Beleidigung gegen Gott sei, oder ihr würdet nicht wünschen, ihn noch länger zu beleidigen. Und einige von euch fühlen, wie böse die Sünde ist, und möchten gerne davon erlöst werden. Das ist unser vierter Punkt. Nicht nur hat Gott noch Geduld mit dem Sünder, sondern er hat in der Person seines Sohnes die Sünde getragen und hinweg genommen.

Diese Worte haben tiefe Bedeutung, wenn wir dieselben aus dem Munde Jesu hören: „Wie eine schwere Last sind sie mir schwer geworden.“ Hier war das große Rätsel: Gott musste die Sünde bestrafen, und doch wollte er Gnade üben. Wie konnte das sein? Seht, Jesus kam und wurde der Stellvertreter für Alle, die ihm vertrauen. Die Last der Schuld wird auf seine Schultern gelegt. Sieh, wie sie die Garben der menschlichen Übertretungen aufhäufen.

Er lässt sich selber für mich töten,
Vergießt für mich sein teures Blut,
Er steht mir bei in allen Nöthen,
Er spricht für meine Schulden gut.

„Der Herr warf unser Aller Schulden auf ihn.“ Da liegen sie, Garbe an Garbe, bis er niedergedrückt ist, wie ein schwerbeladener Wagen. „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit.“ Seht ihn, wie sein Schweiß wie Blutstropfen zur Erde fällt. Herodes verspottet ihn. Pilatus lästert ihn. Dem König der Juden haben sie Backenstreiche gegeben. „Ich hielt meinen Rücken dar Denen, die mich schlugen, und meine Wangen Denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“ Sie binden ihn an eine Säule und schlagen ihn, nicht „vierzig Streiche weniger einen,“ denn hier ist von einem „weniger einen“ keine Rede. „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Seht ihn schwer bedrückt durch Jerusalems Straßen wallen. Wohl mögt ihr weinen, ihr Töchter Jerusalems, obwohl er euch eure Tränen trocknen heißt. Die Verworfenen lästern ihm entgegen, als er unter der Last des schweren Kreuzes, welches das Bild unserer Sünden war, dahinwankt. Sie bringen ihn nach Golgatha, werfen ihn auf den Rücken und recken seine Hände und Füße aus. Das verfluchte Eisen dringt ihm durch seine zarten Körperteile, wo die meisten Nerven zusammenlaufen. Nun heben sie das Kreuz empor. du blutender Heiland, jetzt ist die Stunde des Jammers gekommen. Sie stoßen das Fluchholz mit grausamen Stößen an seinen Standort, und die Nägel zerreißen ihm Hände und Füße. Da hängt er allein, denn Gott hat ihn verlassen, seine Feinde verfolgen und martern ihn, denn da ist kein Helfer. Sie spotten seiner Nacktheit und weiden sich an seinen Schmerzen. Mit rohem Scherzen verlachen sie ihn und lästern seine Gebete. Jetzt ist er in Wahrheit ein Wurm und kein Mensch, niedergedrückt, dass man kaum das Innewohnen der Gottheit ahnen sollte. Das Fieber verzehrt ihn, die Zunge klebt ihm am Gaumen, dass er ausruft: „Mich dürstet!“ Essig ist alles, was man ihm als Labung bietet. Die Sonne versagt ihren Schein, und die pechschwarze Mitternacht jenes Mittags ist ein passendes Bild der zehnfachen Dunkelheit, welche sein Inneres umlagert. Und aus der Tiefe dieser Nacht ruft er: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen „Da war er wahrlich niedergedrückt. Niemals war ein Jammer, wie sein Jammer. Alle menschlichen Leiden strömten in seinem Herzen zusammen, und die Strafe für die Übertretung der Menschen weidete sich bis zum Überfluss an seinem Körper und seiner Seele. Sollte mir die Sünde jemals gering erscheinen? Soll ich lachen über das, was meinem Heiland Seufzer auspresste? Soll ich mit dem tändeln und spielen, was ihn ins Herz stach? Sünder, willst du nicht deine Sündenwege verlassen um des willen, der für die Sünder gelitten hat? „Ja,“ sagst du, wenn ich glauben könnte, dass er um meinetwillen gelitten hat.“ Willst du deine Seele ohne Verzug seinen Händen übergeben? Tust du es? Dann starb er für dich und trug deine Schulden, damit du frei ausgehen kannst, denn Gott ist befriedigt, und du bist versöhnt. Christus wurde beladen, damit du befreit würdest. Ich wünschte nur, ich könnte von meinem teuren Heilande reden, wie Johannes sprechen würde, welcher ihn sah und von ihm zeugte, denn er könnte in bewegten Worten das Leiden auf Golgatha schildern. Was ich aber habe, das gebe ich euch, und möchte Gott euch in seiner Kraft Gnade verleihen, unverzüglich an Christum zu glauben.

5.

Denn wenn nicht, und dieses bringt uns auf unseren letzten Punkt, so trägt Gott unsere Last nur eine kleine Zeit, und wenn wir nicht in Christo Jesu sind, wenn das Ende kommt, so wird diese Last uns auf ewig erdrücken.

Mein Text wird von manchen Gelehrten so übersetzt: „Ich will euch drücken, wie ein mit Garben beladener Wagen euren Acker drückt“ (welches der deutschen Übersetzung näher kommt). Also wie ein schwerbeladener Wagen in die weichen Wege des Morgenlandes eindrückt und tiefe Geleise zurücklässt, so will ich euch drücken unter der Last eurer Sünden, spricht der Herr. Das wird dein Schicksal sein, mein Zuhörer, wenn du außer Christo gefunden wirst; deine eigenen Taten erdrücken dich. Braucht es noch mehr Worte, dieses Elend zu schildern? Ich denke nicht. Es bedarf nur, dass du die persönliche Anwendung dieser Drohung auf dich machst. Entscheidet euch.

Antwortet für euch selbst: Glaubst du an den Herrn Jesum Christum? Dann geht die Drohung dir nichts an. Wenn du aber nicht glaubst, so beschwöre ich dich, mir jetzt zuzuhören, als ob du die einzige Person in der Kirche wärest. Ein Ungläubiger wird bald ein Verdammter sein; wer nicht an Christum glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Wie willst du entfliehen, so du eine solche Seligkeit nicht achtest? „Bedenke deine Wege!“ spricht der Herr. „Bei Zeit und Ewigkeit, bei Leben und Tod, beim Himmel und bei der Hölle beschwöre ich dich, zu glauben an Den, der gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Glaubst du aber nicht, so wirst du in deinen Sünden sterben und verdammt werden.

Nach dem Tode aber das Gericht. Ach, das Gericht, die donnernde Posaune, die Menge der Menschen, die Bücher, der große weiße Stuhl, das „Kommt, ihr Gesegneten,“ das „Weicht, ihr Verfluchten!“

Und nach dem Gerichte die Hölle für eine Seele, die außer Christo lebt. Wer unter uns - wer unter uns wird in der verzehrenden Flamme wohnen? Wer von uns - wer von uns wird dem ewigen Feuer zum Raube werden? Ich bete, dass es Niemand von uns treffe. Aber es wird, es sei denn, wir nehmen unsere Zuflucht zu Christo. Ich bitte dich, teurer Zuhörer, eile zu Christo! Es mag sein, dass ich dein Angesicht nie wiedersehe, vielleicht schaust du mir nie wieder in die Augen; aber meine Hände sollen rein sein von deinem Blut, wenn du nicht an Christum glaubst. Mit meinen Tränen möchte ich dich bitten, lass dich Gottes Güte zur Buße leiten. Er will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe; und dieses Bekehren liegt meistens in dem, dass du Jesum von ganzem Herzen vertrauest. Willst du an Christum glauben? Der Geist Gottes wirkt an deinem Herzen. Komm in dieser schönen Gnadenstunde. Ich bitte dich, komme! Jesus ladet dich ein mit seinen durchbohrten Händen, obgleich du ihn lange verworfen hast. Er klopft wiederholt an. Seine grenzenlose Liebe trotzt deiner Gottlosigkeit. Er bittet dich, selig zu werden. Sünder, willst du ihn annehmen oder nicht? „Wer will, der komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Gott helfe euch, zu kommen, um des teuren Erlösers willen! Amen.

1)
klagen, winseln, Klagetöne von sich geben, einen scharfen, knarrenden Ton von sich geben
2)
Luther schreibt in einer Glosse zu dieser Stelle: „Ihr sollet wiederum geniedriget und verdrückt werden, dass ihr unter solcher Last und unerträglicher Arbeit und Schmerzen ächzen und wehklagen werdet, denn dies will er anzeigen in dem, da er sagt: ich will es unter euch kirren machen.“
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