Spurgeon, Charles Haddon - 23. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 23

Spurgeon, Charles Haddon - 23. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 23

(Des Königs Warnung vor falschen Lehrern. V. 1-12.)

1-3. Da redete Jesus zu dem Volk und zu seinen Jüngern und sprach: auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, daß ihr halten sollt, das haltet und thut es; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht thun. Sie sagen es wohl, und thun es nicht.

“Da redete Jesus zu dem Volk“: Der König begann seine letzte Rede an das Volk. Er sollte so bald von ihnen weggehen, aber zuvor wollte Er sie vor ihren falschen Lehrern warnen. Sie hatten gehört, was Er zu den Schriftgelehrten und Pharisäern gesagt hatte; nun sollten sie hören, was Er von ihnen sagte. “Und zu seinen Jüngern;“ nach Lukas sprach Jesus zu seinen Jüngern, „da alles Volk zuhörte.“ Sein Thema war eins, das die ganze Bevölkerung sowohl anging wie seine Jünger. Er wußte, daß Er binnen kurzem von ihnen hinweg genommen werden würde, darum warnte Er sie vor denen, die ihr Verderben suchten. “Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, daß ihr halten sollt, das haltet und thut es.“ Es war die Pflicht des Mose, dem Volke das Gesetz Gottes auszulegen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer nahmen seinen Platz ein; aber ach! der Geist, der ihn leitete, war nicht in ihnen. Sie sprachen wie von dem Stuhl Mose, und soweit sie wirklich seinen Sitz ausfüllten und seinen Aussprüchen folgten, sollte man ihren Worten gehorchen. Unser Heiland konnte nicht meinen, daß das Volk ihre falschen Auslegungen und thörichten Glossen zu dem Gesetz Mose beachten sollte, denn Er hatte schon erklärt, daß sie durch ihre Überlieferungen das Gebot Gottes übertreten und aufgehoben hätten.

Zu dieser Zeit jedoch sprach unser Herr von einem andren schweren Fehler der Schriftgelehrten und Pharisäer, nämlich, daß ihre Werke nicht mit ihren Worten stimmten. “Aber nach ihren Werken sollt ihr nicht thun. Sie sagen es wohl, und thun es nicht.“ Traurig in der That ist der Zustand des Religionslehrers, von dem der Herzenskündiger zu sagen hat: „Thut, wie er sagt, aber nicht, wie er thut.“ Viele solche gibt es noch immer unter uns, die ein Ding predigen und ein andres thun. Möge der Herr das Volk davor bewahren, ihrem bösen Beispiel zu folgen!

4. Sie binden aber schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf den Hals; aber sie wollen dieselben nicht mit einem Finger regen.

Der Gegensatz zwischen dem wahren Lehrer und den falschen wird klar in diesem Verse an den Tag gebracht. “Sie binden aber schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf den Hals.“ Ihre Regeln über sittliche und zeremonielle Pflichten waren gleich ungeheuren Bündeln Reiser oder erdrückenden Lasten, die ein solches Gewicht hatten, daß sie unerträglich für jeden Menschen waren. Viele von diesen Regeln waren jede für sich schon schwer genug, aber alle zusammen bildeten ein Joch, das weder das Volk, noch seine Väter tragen konnten. Die Schriftgelehrten und Pharisäer legten ihnen die große Last auf, aber sie halfen ihnen nicht, dieselbe zu tragen und boten sich auch nicht an, ihnen einen Teil derselben abzunehmen: “sie wollen dieselben nicht mit einem Finger regen.“ Wie anders war Christi Lehre: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ Er nimmt ihre Bürden der Sünde und des Schmerzes und der Sorge auf seine Schultern und legt ihnen dafür sein sanftes Joch auf, das allen Ruhe gibt, die es tragen.

5-7. Alle ihre Werke aber thun sie, daß sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Denkzettel breit und die Säume an ihren Kleidern groß. Sie sitzen gern obenan über Tisch und in den Schulen, und haben es gern, daß sie gegrüßt werden auf dem Markt und von den Menschen Rabbi genannt werden.

Dies war der verhängnisvolle Fehler in ihrem Charakter: “Alle ihre Werke aber thun sie, daß sie von den Leuten gesehen werden.“ Solange sie in den Augen ihrer Mitgeschöpfe gut standen, kümmerten sie sich wenig oder gar nicht darum, wie sie vor dem Antlitz Gottes erschienen. Sie nahmen es sehr genau mit der buchstäblichen Beobachtung gewisser mosaischer Befehle, obgleich sie den geistlichen Sinn derselben durchaus nicht verstanden: “Sie machen ihre Denkzettel breit und die Säume an ihren Kleidern groß.“ Vier Stellen aus dem Gesetz: 2. Mose 13,3-10, 11-16; 5. Mose 6,4-9; 11,13-21, wurden auf Pergamentstreifen geschrieben und an der Stirn, der Hand oder dem Arm als Amulette oder Bewahrungsmittel getragen. Diese machten die Schriftgelehrten und Pharisäer sehr sichtbar, doch war dabei das Wort des Herrn nicht in ihren Herzen verborgen und sie gehorchten Ihm nicht in ihrem Leben. Der Herr befahl den Kindern Israels, daß sie Fransen an dem Saum ihrer Kleider machen sollten und auf den Fransen ein blaues Band oder einen blauen Faden, damit sie diesen ansähen und an alle Gebote des Herrn dächten und danach thun. (4. Mose 15,38.39.) Diese Ritualien in unsres Heilandes Zeit nahmen es ängstlich genau damit, breite Fransen oder große Troddeln an ihren Kleiden zu haben, aber sie gedachten nicht der Gebote des Herrn und thaten nicht danach. Viele halten die Gesetze Gottes vor Augen, aber brechen sie in ihrem Herzen. Vor solcher Betrügerei möge der Geist der Wahrheit uns bewahren!

Jesus stellt darauf vier Dinge zusammen, welche die Schriftgelehrten und Pharisäer liebten: “Den obersten Platz bei Festlichkeiten, die Hauptsitze in den Synagogen, das Großen auf den Märkten, und von den Menschen Rabbi genannt zu werden.“ Ob sie mit ihren Nebenmenschen zusammenkamen zum Fest, zum Gottesdienst, zum Geschäft oder zur Unterweisung, sie liebten es, die Ersten und Vordersten zu sein. Dies ist eine gewöhnliche Sünde und eine, in die wir leicht geraten können. Unser Herr fühlte die Notwendigkeit, selbst seine Jünger vor diesem Übel zu warnen, denn seine nächsten Worte waren augenscheinlich besonders zu diesen gesprochen.

8-10. Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder. Und sollt niemand Vater heißen auf Erden; denn Einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Und ihr sollt euch nicht lassen Meister nennen; denn Einer ist euer Meister, Christus.

In der Gemeinde Christi werden hier alle Titel und Ehren, welche Menschen erhöhen und Gelegenheit zum Stolz geben, verboten. In dem christlichen Gemeinwesen sollten wir eine wahrhaftere „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ zu verwirklichen suchen, als die, nach welcher die Welt vergebens schreit. Wer sich “Rabbi“ nennen läßt, raubt Christo die Ehre als dem einzigen Meister oder Lehrer seiner Jünger, “denn Einer ist euer Meister, Christus.“ Er nimmt auch seinen Mitchristen das Vorrecht, das sie mit Ihm teilen: “ihr aber seid alle Brüder.“ Die, welche Titel brauchen, wie „Heiliger Vater“ und „Ehrwürdiger Vater in Gott“, würden es schwierig finden, unsres Heilandes Worte hinweg zu deuten: “Ihr sollt niemand Vater heißen auf Erden, denn Einer ist euer Vater, der im Himmel ist.“ Im zehnten Verse könnten unsres Herrn Worte übersetzt werden: “Und ihr sollt euch nicht lassen Führer (Leiter, Lehrer) nennen, denn Einer ist euer Führer (Leiter, Lehrer), Christus (der Messias):“ Wenn wir ihm folgen, können wir nicht verkehrt gehen.

11. 12. Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.

Dies ist beinahe dieselbe Lehre, die Kap. 20,27 gegeben ist. Unser Herr mußte viele Male dies Gesetz seines Reiches wiederholen: “Der Größte unter euch soll euer Diener sein.“ Ihr seid alle gleich, aber wenn einer unter euch beansprucht, der Größte zu sein, so soll er der Diener aller sein. Wo unser König herrscht, da soll ein jeder seiner Jünger, der sich selbst erhöht, erniedrigt werden; während andrerseits der, welcher sich selbst erniedrigt, erhöht werden soll. Der Weg zum Emporsteigen ist das Sinken des eignen Ichs; je tiefer wir in unsrer eignen Achtung sinken, desto höher werden wir in unsres Meisters Schätzung steigen.

(Der König ruft ein Wehe! aus. V. 13-33.)

13. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließet vor den Menschen! Ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, laßt ihr nicht hineingehen.

Während unser Heiland zu dem Volk und zu seinen Jüngern sprach, mochten die Schriftgelehrten und Pharisäer sich wieder genähert haben. Jedenfalls waren die folgenden Worte an sie gerichtet: “Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler!“ Dies ist das erste der acht „Wehe“, in denen der Herr Jesus sowohl das Geschick der vor Ihm versammelten Heuchler vorhersagt, als auch die Tiefe seines Mitleides sogar mit ihnen, enthüllt. In sieben der acht „Wehe“ nennt Er sie „Heuchler“, in einem redet Er sie als „verblendete Leiter“ an. Dies erste „Wehe“ ward über sie ausgesprochen, weil sie, soweit sie es konnten, das Himmelreich zuschlossen vor den Menschen. Dies war eine furchtbare Anklage, die gegen sie erhoben wurde von Demjenigen, der die Gedanken ihrer Herzen lesen und mit Wahrheit zu ihnen sprechen konnte: “Ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, laßt ihr nicht hineingehen.“ Sie hätten den Menschen helfen sollen, hineinzugehen, aber statt dies zu thun, hinderten sie die, welche hinein wollten. Gibt es nicht heutzutage falsche Lehrer, welche statt der Trittsteine denen, die ins Himmelreich eingehen wollen, Steine des Anstoßes in den Weg legen.

14. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresset und wendet lange Gebete vor! Darum werdet ihr desto mehr Verdammnis empfangen.

Das zweite „Wehe“ ward begründet durch zwei sehr ernste Anschuldigungen, die unser Herr nicht ausgesprochen haben würde, wenn sie nicht wahr gewesen wären: ihr fresset der Witwen Häuser und wendet lange Gebete vor. Jede dieser Sünden würde an sich schon sehr schwer gewesen sein; beide zusammen reichten hin, die, welche ihrer schuldig waren, in die unterste Hölle zu senken. Die Männer, welche Witwen betrogen hatten, werden für ihre Missethaten dem „Richter“ der Witwen (Ps. 68,6) Rechenschaft zu geben haben. Die, welche versucht hatten, ihre Verbrechen mit dem Mantel höherer Heiligkeit zu decken, verdienten es, vor den von ihnen Betrogenen enthüllt zu werden und des Königs gerechten Spruch zu hören: “Darum werdet ihr desto mehr Verdammnis empfangen.“ Diese Worte beweisen, daß es Grade der Strafe gibt, wie es Stufen der Herrlichkeit gibt. Alle Ungöttlichen werden von dem gerechten Richter gerichtet und verdammt werden, aber die größere Verdammnis wird für die Heuchler aufbehalten werden, die „lange Gebete“ vorgewendet haben, während sie hinter der Maske das Eigentum der Witwen und der Waisen gefressen haben.

15. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Land und Wasser umziehet, daß ihr einen Judengenossen machet; und wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, zweifältig mehr, denn ihr seid!

Das dritte „Wehe“ bezog sich auf den unheiligen Eifer der Schriftgelehrten und Pharisäer, dem Judentum und ihrer eignen Partei Anhänger zu gewinnen, und diese durch solches Verfahren noch schlimmer zu machen, als sie selber waren. Sie wandten Zeit und Mühe an diese Arbeit mit der Aussicht auf geringen Gewinn: “die ihr Land und Wasser umziehet, daß ihr einen Judengenossen machet.“ Sie wollten, sozusagen, ein Schleppnetz durch das große Meer ziehen, in der Hoffnung, einen Proselyten in den Maschen desselben zu verstricken, oder sie durchzogen das ganze Land, um einen Heiden zu bereden, sich beschneiden zu lassen, auf daß er „auswendig ein Jude“ würde. Das Resultat war für den Proselyten nur ein schlechtes: “Wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, zwiefältig mehr, denn ihr seid.“ Die, welche nicht bekehrt, sondern verkehrt worden sind, werden gewöhnlich scheinheilig. Der Proselyt ahmte natürlich die Laster seiner heuchlerischen Lehrer nach, ohne jene Schriftkenntnis zu haben, die in einigem Maße als heilsame Beschränkung hätte dienen können. Der beschnittene Heide war mehr ein Judas, als ein Jude, ein wahrhafter „Sohn des Verderbens.“

16-19. Wehe euch, verblendete Leiter, die ihr sagt: Wer da schwört bei dem Tempel, das ist nichts; wer aber schwört bei dem Golde am Tempel, der ist schuldig. Ihr Narren und Blinden! Was ist größer? das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt? Wer da schwört bei dem Altar, das ist nichts; wer aber schwört bei dem Opfer, das droben ist, der ist schuldig. Ihr Narren und Blinden! Was ist größer? das Opfer oder der Altar, der das Opfer heiligt?

Die Form des vierten „Wehe“ ist von allen übrigen verschieden. In den andren sieben sagte unser Heiland: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler!“ Hier sind seine Worte: “Wehe euch, verblendete Leiter!“ Sie waren dem Namen nach die religiösen Leiter der Juden, aber sie waren in Wirklichkeit „verblendete Leiter.“ Sünde, Vorurteil, Scheinheiligkeit und Heuchelei hatten ihre Augen verblendet. Sie hielten sich für die weisen Männer der Nation, aber Jesus redete sie als “Narren und Blinde“ an. Niemand ist so dumm wie die, welche nicht lernen wollen, und niemand so blind wie die, welche nicht sehen wollen. Dies war der Fall mit den Schriftgelehrten und Pharisäern; sie waren aus Eigensinn närrisch und mit Willen blind.

Unser Herr verurteilte hier ihre mißleitende Lehre über Eide. Sie lehrten thatsächlich, daß, wenn ein Mann “bei dem Tempel“ schwöre, sein Eid nicht bindend sei, aber daß er, wenn er “bei dem Golde des Tempels“ schwöre, durch seinen Eid verpflichtet sei; und in gleicher Weise erklärten sie, daß ein Eid “bei dem Altar“ nicht bindend sei, aber daß ein Mann, wenn er “bei dem Opfer, das droben ist“, schwöre, durch seinen Eid verpflichtet sei! Wir wundern uns nicht über unsres Heilandes unwilligen Ausruf: “Ihr Narren und Blinde, was ist größer, das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt? Das Opfer oder der Altar, der das Opfer heiligt?“ Die Heiligkeit lag in dem Tempel und Altar, nicht in dem Gold oder dem Opfer.

Jesus hatte alles Schwören verboten (Kapitel 5,34-36), so daß Er nicht die eine Form des Eides über die andre erhob, sondern vielmehr auf die Narrheit und Blindheit der Schriftgelehrten und Pharisäer hinwies, welche die rechte Ordnung der Dinge verkehrten. Wenn das Schwören erlaubt gewesen wäre, so müßte der Eid „bei dem Tempel“ bindender gewesen sein, als einer „bei dem Golde des Tempels,“ dennoch sagten diese falschen Lehrer: “Das ist nichts.“ Wenn die Menschen einmal die deutliche Lehre Christi verlassen, so ist es leicht für sie, in alle Arten von Ketzereien und Abgeschmacktheiten hinein zu geraten.

20-22. Darum, wer da schwört bei dem Altar, der schwört bei demselben und bei allem, das droben ist. Und wer da schwört bei dem Tempel, der schwört bei demselbigen und bei dem, der drinnen wohnt. Und wer da schwört bei dem Himmel, der schwört bei dem Stuhl Gottes und bei dem, der drauf sitzt.

Die Juden erfanden phantastische Formen des Schwörens, um den Gebrauch des göttlichen Namens zu vermeiden. Unser Herr bewies darum ferner das gänzliche Fehlschlagen aller ihrer Versuche. Schwören „bei dem Altar“ war Schwören „bei allem, was darauf war.“ Ein Eid „bei dem Tempel“ war in Wirklichkeit „bei dem, der darinnen wohnt.“ Die bindende Kraft des Eides konnte nicht in dem bloßen Gebäude liegen, sondern in dem höchsten Gott, der sich herabließ, darin zu wohnen. Viele Juden schworen „bei dem Himmel,“ obwohl sie nicht Gott zum Zeugen ihres Eides anrufen wollten, aber Jesus zeigte ihnen, daß sie gerade das thaten, was sie vermeiden wollten: Wer da schwört bei dem Himmel, der schwört bei dem Stuhl Gottes und bei dem, der darauf sitzt. Das einzig Richtige für uns ist, unsres Herrn Befehl zu gehorchen: „Ich aber sage euch, daß ihr allerdings nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist eines großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein einiges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja, nein, nein; was darüber ist, das ist vom Übel.“

23. 24. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr verzehntet die Minze, Till und Kümmel und laßt dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben! Dies sollte man thun und jenes nicht lassen. Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seihet und Kamele verschluckt!

In diesem fünften „Wehe“ nannte unser Herr die Schriftgelehrten beides, “Heuchler“ und “verblendete Leiter,“ als religiöse Führer der Nation. Jesus sprach zuerst von ihrer genauen Beachtung gewisser kleiner Dinge: “Ihr verzehntet Minze, Till und Kümmel.“ einige waren so genau im Verzehnten, daß sie zum Tempeldienst sogar den Zehnten der Kräuter gaben, die sie auf dem Markt kauften, ebensowohl wie von denen, die in ihrem Garten wuchsen. Obgleich sie es so genau mit Dingen von untergeordneter Wichtigkeit nahmen, so ließen sie “dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das Gericht (oder die Gerechtigkeit) die Barmherzigkeit und den Glauben.“ Ihre Herzen waren vor Gottes Augen rechtschaffen, darum hatte ihr Urteil das Gleichgewicht verloren. Sie hielten die geringeren Forderungen des Gesetzes für dinge von erster Wichtigkeit, während sie „das Schwerste“ ganz und gar unterließen. Unser Herr tadelte sie nicht, weil sie den Zehnten bezahlten, sondern Er zeigte, daß sie zuerst hätten „Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Glauben“ üben müssen: “Dies sollte man thun und jenes nicht lassen.“ Kein Gebot Gottes ist unwesentlich, aber dasjenige, was sich auf den Zustand unsres Herzens und Lebens in den Augen Jehovahs bezieht, verlangt unsre erste und größte Aufmerksamkeit.

Jesus gebrauchte ein sehr schlagendes Gleichnis, um die Inkonsequenz dieser Leute darzustellen: “Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seihet und Kamele verschluckt.“ Sie betrachteten Kleinigkeiten als sehr wichtig, und seihten so gewissermaßen die Mücken aus ihrem Wein, um nicht Ersticktes zu genießen, aber sie begingen große Sünden ohne Gewissensbisse und verschluckten so ein Kamel, ein unreines Tier, das an Umfang einer sonst fast unzählbaren menge von Mücken gleichkam. Es gibt noch immer Mückenseiher unter uns, die es anscheinend nicht schwer finden, ein Kamel zu verschlucken mit „Höcker und allem.“

25. 26. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr die Becher und Schüsseln auswendig reinlich haltet, inwendig aber ist’s voll Raubes und Fraßes. Du blinder Pharisäer, reinige zum ersten das Inwendige an Becher und Schüssel, auf daß auch das Auswendige rein werde!

Das sechste „Wehe“ wird über die Schriftgelehrten und Pharisäer ausgesprochen mit Rücksicht auf ihr Essen und Trinken: “Die ihr die Becher und Schüsseln auswendig reinlich haltet, inwendig aber ist es voll Raubes und Fraßes.“ Sie hatten häufige Waschungen, ihrer selbst und ihrer Gefäße zum Essen und Trinken. Sie thaten wohl, das Auswendige an Becher und Schüssel zu reinigen, aber das Böse bestand in der Weise, wie sie die Gefäße füllten und leerten. Sie wurden durch „Raub“ gefüllt und zum Fraße gebraucht, darum half all das äußerliche Waschen nichts. Indem Er einen von den Übelthätern aussonderte, sprach unser Herr: “Du blinder Pharisäer, reinige zum ersten das Inwendige an Becher und Schüssel,“ mache dich frei vom „Raube“ im Sammeln und vom „Fraße“ im Verzehren, dann werden die reinen Becher und Schüsseln im Einklang stehen mit dem, was darin ist.

27. 28. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totenbeine und alles Unflats. Also auch ihr; von außen scheint ihr vor den Menschen fromm, aber inwendig seid ihr voller Heuchelei und Untugend.

Die für das siebente „Wehe“ gegebene Ursache zeigt, was die Schriftgelehrten und Pharisäer in Wirklichkeit vor den Augen Christi waren: “Die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totenbeine und alles Unflats.“ Das jährliche Übertünchen der Gräber hatte kürzlich stattgefunden, so daß die Begräbnisplätze ihr bestes Aussehen hatten; aber im Innern der Gräber that die Verwesung ihr schreckliches Werk. Sie wurden übertüncht, nicht nur aus Gesundheitsrücksichten, sondern hauptsächlich, um die Leute von ihnen fern zu halten, damit sie nicht verunreinigt würden. Unser Herr schmeichelte sicherlich den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht durch diesen Vergleich, aber je genauer derselbe geprüft wird, desto geeigneter für ihren abscheulichen Charakter wird er sich erweisen. Wie “fromm sie auch von außen vor den Menschen scheinen“ mochten, “inwendig“ waren sie “voll Heuchelei und Untugend.“ Wohl mochte der heilige Jesus solchen schmutzigen Sündern ein „Wehe“ zurufen.

29-31. Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr der Propheten Gräber baut und schmückt der Gerechten Gräber, und sprecht: Wären wir zu unsrer Väter Zeiten gewesen, so wollten wir nicht theilhaftig sein mit ihnen an der Propheten Blut. So gebt ihr zwar über euch selbst Zeugnis, daß ihr Kinder seid derer, die die Propheten getötet haben.

Das achte „Wehe“ bezog sich auf ihre falschen Bekenntnisse der Ehrfurcht vor den „lieben Propheten“ und den „teuren Märtyrern allzumal:“ “Die ihr der Propheten Gräber baut und schmückt der Gerechten Gräber.“ Sie gaben vor, solche Hochachtung vor den heiligen Männern der Vergangenheit zu haben, daß sie, da sie dieselben nicht in Person ehren konnten, zu ihrem Gedächtnis Denkmäler aufrichten und ihre Ruheplätze mit Zeichen ihrer Hochachtung schmücken wollten. Sie bezeugten auch, was sie gethan haben würden, wenn sie in den Tagen ihrer Väter gelebt hätten: “so wollten wir nicht teilhaftig sein mit ihnen an der Propheten Blut.“ Welch bittere Ironie lag in solchen Worten von den Lippen der Menschen, die eben da den Tod des Herrn, der Propheten und der Gerechten aller Zeiten planten! So sprechen Menschen immer noch mit scheinbarem Grauen von den dunkelen Thaten früherer Verfolger, deren direkte Abkömmlinge sie sind, nicht nur dem Fleische nach, sondern auch dem Geiste nach. Aus ihrem eignen Munde verdammte unser Herr die Heuchler: “So gebt ihr zwar über euch selbst Zeugnis, daß ihr Kinder seid derer, die die Propheten getötet haben.“ Im wesentlichen sagte Jesus ihnen: „Ihr bekennt, daß ihr die Söhne der Prophetenmörder seid. Diese Einräumung schließt viel mehr in sich, als ihr denkt. Ihr seid ihre Söhne, nicht nur durch Geburt, sondern auch durch Ähnlichkeit; ihr seid wahre Kinder derer, welche die Propheten töteten. Wenn ihr zu ihrer Zeit gelebt hättet, so würdet ihr die Verbrechen begangen haben, die ihr zu verdammen vorgebt.“

32. Wohlan, erfüllt auch ihr das Maß eurer Väter!

Dies ist einer der furchtbarsten Aussprüche, der je von Christi Lippen fiel. Es ist wie sein Wort zu Judas: „Was du thust, das thue bald.“ Das “Maß“ der Missethat Israels war beinahe voll. Der Heiland wußte, daß die Schriftgelehrten und Pharisäer entschlossen waren, Ihn zu töten und so ihre eigne Verdammnis zu vollenden. Diese scheußliche Sünde würde das Maß der Schuld ihrer Väter erfüllen und das gerechte Gericht Gottes auf sie hernieder bringen.

33. Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht! wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?

Unser Herr sprach sehr strenge, aber die Treue verlangte eine solche Sprache wie diese. Ein guter Wundarzt schneidet tief; Jesus that es auch. Unsre neueren Prediger würden nicht so sprechen, nicht einmal zu Schriftgelehrten und Pharisäern, die Christum von neuem kreuzigen und für Spott halten. Der ist nicht der Liebevollste, der die glattesten Worte spricht. Wahre Liebe zwingt oft einen ehrlichen Mann, das zu sagen, was ihm viel mehr Schmerzen verursacht, als seinen verhärteten Hörern.

(Des Königs Lebewohl an seine Hauptstadt. V. 34-39.)

34-36. Darum siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und derselbigen werdet ihr etliche töten und kreuzigen und etliche werdet ihr geißeln in euren Schulen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der andren; auf daß über euch komme alle das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut an des gerechten Abel bis aufs Blut Zacharias, Berechias Sohn, welchen ihr getötet habt zwischen dem Tempel und Altar. Wahrlich, ich sage euch, daß solches alles wird über dies Geschlecht kommen.

Unser großer König wußte, daß sein irdisches Leben bald enden würde; Er war in der that im Begriff, sein letztes Lebewohl dem im Tempel versammelten Volke zu sagen. Aber ehe Er sie verließ, gab Er ihnen eine königliche und prophetische Botschaft: “Siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte.“ Keiner als der König aller Könige konnte ohne Lästerung so sprechen. Diese „Propheten und Weise und Schriftgelehrte“ waren Christi Himmelfahrtsgaben an die Gemeinde und die Welt. Er sagte vorher, welche Aufnahme seine Diener bei den Juden finden würden: “Derselbigen werdet ihr etliche töten und kreuzigen und etliche werdet ihr geißeln in euren Schulen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der andren.“ Alles dies wurde buchstäblich erfüllt.

Der Zweck des Königs bei der Sendung seiner letzten Vertreter war der, daß die schuldige Stadt auf immer ohne Entschuldigung sein sollte, wenn ihr Maß der Missethat voll und ihr furchtbares Geschick besiegelt war: “Auf daß über euch komme alles das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut an des gerechten Abel bis aufs Blut Zacharias, Berechias Sohn, welchen ihr getötet habt zwischen dem Tempel und Altar.“ Die Zerstörung Jerusalems war schrecklicher als irgend etwas, was die Welt je gesehen hat oder sehen wird. sogar Titus schien in seinem grausamen Werk die Hand eines rächenden Gottes zu sehen. Wahrlich, das Blut der in Jerusalem erschlagenen Märtyrer wurde reichlich gerächt, als die ganze Stadt ein wahres Hakeldama oder Blutfeld wurde.

Der königliche Prophet sagte die Zeit des Endes vorher: “Wahrlich, ich sage euch, daß solches alles wird über dies Geschlecht kommen.“ Noch ehe dieses Geschlecht vergangen war, wurde Jerusalem belagert und zerstört. Es war eine Zwischenzeit, die hinreichte für die volle Verkündigung des Evangeliums durch die Apostel und Evangelisten der ersten christlichen Gemeinde und für das Heraussammeln derer, welche den gekreuzigten Christum als ihren wahren Messias anerkannten. Dann kam das entsetzliche Ende, was der Heiland vorhersah und vorhersagte, und dessen Voraussicht seinen Lippen und seinem Herzen die schmerzliche Klage auspreßte, die auf seine Weissagung von dem Geschick der schuldigen Hauptstadt folgte.

37. Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt sind! wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.

Welches Bild von Mitleid und getäuschter Liebe muß des Königs Angesicht dargeboten haben, als Er mit strömenden Thränen diese Worte aussprach! Welch ausgezeichnetes Gemälde gab Er von der Art, wie Er gesucht, die Juden zu sich zu ziehen: “Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel!“ Welche vertrauliche Zärtlichkeit! Welches warme Paradies der Ruhe! Welche Nahrung für die Schwachen! Welcher Schutz für die Hilflosen! doch war alles vergeblich bereitet: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und ihr habt nicht gewollt!“

O, die schreckliche Verkehrtheit des aufrührerischen, menschlichen Willens! Mögen alle Leser dieser Zeilen sich davor hüten, daß der König jemals eine solche Klage über sie auszusprechen habe.

38. 39. Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

Nichts bliebt dem König übrig, als das feierliche Todesurteil über die auszusprechen, die nicht zu Ihm kommen wollten, daß sie das Leben haben möchten: “Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden.“ Das ganze „Haus“ der Juden war wüst gelassen, als Jesus von ihnen schied; und der Tempel, das heilige und schöne „Haus“, wurde eine geistliche Wüste, als Jesus es endgültig verließ. Jerusalem war zu weit gegangen, um noch von seinem selbstgesuchten Geschick errettet zu werden.

In all diesem Dunkel war ein Lichtstrahl: “Denn ich sage euch, ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Nach seinem Tod und seiner Auferstehung erschien der Herr Jesus viele Male seinen Jüngern, aber nicht einmal den ungläubigen Juden. Sein persönliches Amt unter ihnen war zu Ende, aber es soll erneuert werden, wenn Er zum zweitenmal kommt ohne ein Sündopfer, zur Seligkeit, und dann werden sie sprechen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Lange Jahrhunderte sind vergangen, seit der König wegging. Die Zeichen der Zeit sagen uns alle, daß sein Kommen nahet. O, daß Christen und Juden gleichermaßen nach dem wahren Messias aussähen, dessen Botschaft an alle ist: „Siehe, ich komme bald!“

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