Spurgeon, Charles Haddon - 20. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 20

Spurgeon, Charles Haddon - 20. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 20

(Ein Gleichnis vom Himmelreich. V. 1-16.)

1.2. Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.

Das Himmelreich ist ganz aus Gnaden, und ebenso der mit demselben verbundene Dienst. Laßt dessen gedacht werden bei der Auslegung dieses Gleichnisses. Der Ruf zur Arbeit, die Fähigkeit und der Lohn beruhen alle auf Gnade, und nicht auf Verdienst. Dies war kein gewöhnlicher Hausvater, und sein Ausgehen, um Arbeiter in seinen Weinberg zu mieten, war nicht nach der gewöhnlichen Weise der Menschen, denn die wollen ein volles Tagewerk für einen vollen Tagelohn haben. Dieser Hausvater zog mehr die Arbeiter in Betracht als sich selber. Er war auf, ehe der Tau noch vom Grase verschwunden war, und fand Arbeiter und sandte sie in seinen Weinberg. Es war ein köstliches Vorrecht, heiligen Dienst so früh am Morgen beginnen zu dürfen. Sie wurden eins mit dem Hausvater und gingen, um auf seine Bedingungen hin zu arbeiten. Sie konnten wohl zufrieden sein, da ihnen ein voller Tagelohn versprochen war und sie sicher waren, ihn zu erhalten. Ein Groschen den Tag war der gewöhnliche, allgemein angenommene Lohn. Der Hausvater und die Arbeiter wurden eins über diesen Betrag, dies ist der Punkt, der später beachtet werden muß. Junge Gläubige haben eine gesegnete Aussicht; sie mögen wohl glücklich sein, gute Arbeit zu thun, an einem guten Platz, für einen guten Herrn und auf gute Bedingungen hin.

3. 4. Und ging aus um die dritte Stunde, und sah andre an dem Markt müßig stehen, und sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin.

Da er Trägheit haßte und es ihn betrübte, andre am Markt müßig stehen zu sehen, so mietete er mehr Arbeiter um die dritte Stunde. Sie konnten nur noch drei Viertel Tag arbeiten, aber es war zu ihrem Besten, dem Herumstehen an den Straßenecken ein Ende zu machen. Diese gleichen den Personen, deren Kindheit vorüber ist, die aber noch nicht alt sind. Sie sind bevorzugt, daß sie noch einen guten Teil ihres Lebenstages dem heiligen Dienst widmen können. Zu diesen sprach der gute Hausvater: “Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.“ Er wies auf die hin, die schon auf dem Felde waren, und sprach: “Gehet ihr auch hin.“ Er versprach ihnen keine bestimmte Summe, wie denen, welche er zuerst mietete, sondern sagte: „Ich will euch geben, was recht ist.“ Sie gingen hin an ihre Arbeit, denn sie wünschten nicht Müßiggänger zu bleiben, und als billigdenkende Menschen konnten sie nichts gegen des Hausvaters Versprechen einwenden, ihnen zu geben, was recht sei. O, daß die um uns her, welche sich dem Mannesalter nahen, sogleich ihre Werkzeuge aufnehmen und beginnen möchte, dem großen Herrn zu dienen!

5. Abermal ging er aus um die sechste und neunte Stunde, und that gleich also.

Wäre es ganz und allein eine Geschäftssache gewesen, so würde der Hausvater bis zum nächsten Tage gewartet haben und hätte nicht einen vollen Tageslohn für einen Bruchteil eines Tagewerkes gegeben. Die ganze Sache war allein aus Gnaden, und deshalb rief er, als der halbe Tag vorüber war, um die sechste Stunde, noch Arbeiter herein. Männer von vierzig und fünfzig Jahren werden geheißen, in den Weinberg zu kommen. Ja, um die neunte Stunde werden Männer gemietet. Mit sechzig Jahren ruft der Herr noch eine Anzahl durch seine Gnade! Es ist falsch, zu behaupten, daß Menschen nicht nach dem vierzigsten Jahre errettet werden könnten; wir wissen vom Gegenteil und könnten Beispiele nennen.

Gott ruft in der Größe seiner Liebe Menschen in seinen Dienst, deren Fülle an Kraft schon gewichen ist; Er nimmt die sinkenden Stunden ihres Tages an. Er hat Arbeit für die Schwachen sowohl wie für die Starken. Er erlaubt keinem, für Ihn zu arbeiten ohne den Gnadenlohn, selbst wenn er seine besten Tage in Sünden verbracht hat. Dies ist keine Ermutigung für den Aufschub, aber es sollte bejahrte Sünder antreiben, den Herrn sogleich zu suchen.

6.7. Um die elfte Stunde aber ging er aus, und fand andre müßig stehen, und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen: Gehet ihr auch in den Weinberg; und was recht sein wird, soll euch werden.

Der Tag war fast vorüber: nur eine einzige Stunde blieb noch nach; doch ging er um die elfte Stunde aus. Der großmütige Hausvater war willig, mehr Arbeiter zu mieten und ihnen Lohn zu geben, obgleich die Sonne unterging. Er fand eine Gruppe noch an der Ecke stehen - müßig stehen. Er wünschte die ganze Stadt von Müßiggängern zu befreien, und sprach deshalb zu ihnen: “Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig?“ Seine Frage kann man so lesen, daß man abwechseln auf jedes Wort den Nachdruck legt, und dann liegt eine Fülle von Bedeutung darin. Warum seid ihr müßig? Wozu nützt das? Warum steht ihr hier müßig, wo alle geschäftig sind? Warum den ganzen Tag müßig? Will nicht kürzere Zeit dazu genügen? Warum ihr müßig? Ihr habt es nötig, zu arbeiten, ihr könnt es thun, und ihr solltet sogleich damit anfangen? Warum bleibt einer von uns müßig im Dienste Gottes? Hat nichts die Macht gehabt, uns zu heiligem Dienste zu bewegen? Können wir wagen zu sprechen: “Es hat uns niemand gedingt?“ Fast siebzig Jahre, und noch nicht errettet? Laßt uns uns aufmachen. Es ist Zeit, daß wir ohne Verzug daran gehen, das Unkraut auszurotten und den Weinstock zu beschneiden und etwas für unsren Herrn in seinem Weinberg zu thun. Was andres als reiche Gnade konnte Ihn bewegen, die bis zur elften Stunde Müßigen zu nehmen? Doch ladet Er sie ebenso ernstlich ein, als die, welche am Morgen kamen, und will ihnen ebenso gewiß ihren Lohn geben.

8. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter, und gib ihnen den Lohn, und hebe an an den letzten bis zu den ersten.

Die Tage enden rasch, und für alle diese Arbeiter war der Abend gekommen. Dies war die zeit der Zahlung, und der Herr des Weinbergs vergißt nicht sein Übereinkommen mit den Arbeitern und sagte ihnen auch nicht, sie müßten auf ihren Lohn warten. Unser Herr will niemanden seines Lohnes berauben. Der Hausvater im Gleichnis sieht persönlich nach allem. Sein ist das Mieten und der Befehl zum Zahlen. Rasch sagt er zum Schaffner: „Rufe die Arbeiter, und gib ihnen den Lohn.“ Wir werden jeder gerufen werden, unsren Lohn zu empfangen, wenn unser Tag vorüber ist. Glücklich sind wir, daß wir schon in den Weinberg gerufen sind; so wird der zweite Ruf zum Empfangen des Lohnes zu einem willkommenen.

Der Herr des Weinbergs, dessen Mieten kein gewöhnliches gewesen war, war ebenso eigentümlich in der Art des Zahlens. Es gefiel ihm, es so anzuordnen, daß die, welche zuerst kamen, zuletzt bedient wurden, was die Art der Menschen nicht oft ist. Es war kein kaufmännisches Geschäft, sondern eine Erweisung freier Gunst, und so zeigt sich die unumschränkte Macht selbst in der Ordnung des Zahlens - “hebe an an den letzten bis zu den ersten.“ Der Herr wird dafür sorgen, daß bei den Handlungen seiner Gnade seine unumschränkte Macht sowohl wie seine Güte sichtbar wird.

9. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen.

Unsres Herrn Zahlung ist nicht die Löhnung des Verdienstes, sondern eine Gabe der Güte. Er zahlte nach Gnade und nicht nach Verdienst. Er fing in erhabenere Weise an und gab denen, welche um die elfte Stunde zu arbeiten begannen, jedem einen Groschen; hier war ein voller Tagelohn für eine Stunde Arbeit. Darin zeigte sich die grenzenlose Güte des Herrn des Weinberges. Daß einige, die dem Herrn nur sehr kurze Zeit gedient haben, denen, die viele Jahre lang gläubig gewesen sind, gleichgekommen sind, und sie selbst übertroffen haben, ist klar, denn viele kurze, aber gesegnete Lebensläufe bezeugen dies. Spät im Leben bekehrt, sind sie besonders fleißig und merkwürdig heilig gewesen und haben so sehr rasch das volle Ergebnis der Gnade erlangt. Gott wird die in die himmlische Herrlichkeit versetzen, die sich auch nur zuletzt zu Christo wenden. Sprach nicht unser Herr sogar zu dem sterbenden Schächer: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein?“ Zu welchem besseren Ort hätte irgend ein ehrwürdiger Heiliger gebracht werden können? O, der Reichtum der Gnade Gottes!

10. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen.

Möglicherweise war die Eitelkeit der ersten dadurch verwundet, daß sie nach den andren bezahlt wurden. Sie gebrauchten ihre Wartezeit zum Betrachten ihrer eignen Vorzüge vor den Spätgekommenen. Voll gesetzlicher Grundsätze, lehnten sie sich gegen die Unumschränktheit der Gnade auf und empörten sich in Wirklichkeit in dieser Sache auch gegen die Gerechtigkeit. Die, welche eine Eigenschaft Gottes nicht mögen, lieben auch nicht die andre. Früher oder später widersetzen die, welche gegen die Unumschränktheit wüten, sich auch der Gerechtigkeit. Sie hatten, was ihnen versprochen war, was wollten sie mehr? Ein der Billigkeit gemäßer Lohn war gegeben; sie empfingen ein jeglicher seinen Groschen. Was konnten sie mehr erwarten? Aber sie meinten – da lag die Schwierigkeit; sie hatten eine Theorie zu unterstützen, eine Meinung zu rechtfertigen; und sie waren gekränkt, weil ihre Meinung sich nicht zu einer Thatsache entwickelte. Gott will sich nicht durch unsre Meinungen binden lassen, und wir betrügen uns nur selbst, wenn wir denken, daß Er es will.

11. 12. Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.

Sobald der Groschen in ihrer Hand war, war ein Murren in ihrem Munde. Es war ein angemessener Lohn und der, worüber sie sich vereinbart hatten; aber, da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater. Sein einziger, voraussetzbarer Fehler war, daß er als ein guter Mann zu gut gegen die war, die nur kurze Zeit gearbeitet hatten. Der Herr segnet oft Männer sehr, deren Arbeitsjahre kurz sind, und selbst die, welche spät im Leben errettet werden. Er mißt die Arbeit nicht, wie wir, mit dem Meter oder nach der Stunde. Er hat seine eigne, gnädige Weise, den Dienst zu schätzen, und das Rechnen der Gnade ist nicht wie das des Gesetzes.

Beim Anblick großer Gnade wurden neidische Herzen versauert. Die Murrenden sagten nicht, daß der großmütige Herr sie zu niedrig gestellt, sondern daß er andre, die nur eine Stunde gearbeitet, hoch gestellt. Ihre Klage war: “Du hast sie uns gleich gemacht.“ Darin hatte er sein eignes Geld angewandt, wie es ihm gefiel, eben wie Gott Gnade verteilt, wie Er will. Er ist nie gegen jemanden ungerecht, aber in Gaben der Güte will Er sich nicht durch unsre Vorstellungen von Gleichheit binden lassen. Wären sie rechter Art gewesen, so hätten sie sich gefreut, daß sie ein ganzes Tagewerk zu geben vermocht, da sie die Last und Hitze des Tages getragen hatten.

Jedenfalls ist es ein großes Vorrecht, dem Herrn ein langes Leben hindurch zu dienen, und die, welche diese große Gunst genossen, danken der Gnade Gottes sehr viel. Gelobt sei unser himmlischer Vater, einige von uns sind von Jugend auf seine Diener gewesen und haben nicht wenig Mühe ums eines Namens willen ertragen; aber darüber freuen wir uns sehr und preisen seine Liebe.

13. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich thue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden um einen Groschen?

Er ließ sich nicht in Streit mit der ganzen Gesellschaft ein; aber er antwortete einem von ihnen, was durchaus genügte. Sie waren einzeln gemietet, und einzeln rechnet er mit ihnen. Es ist eine ruhige und verständige Erwiderung: „Mein Freund, ich thue dir nicht Unrecht.“ Wenn der Herr uns gnädig belohnt für das, was wir thun, so geschieht uns nicht Unrecht, weil ein andrer, der weniger gethan hat, denselben Lohn empfängt. Die ruhige, persönliche Frage ist eine, auf welche es keine Antwort gibt: “Bist du nicht mit mir eins geworden um einen Groschen?“ Doch drängt der gesetzliche Geist sich ein, selbst bei der Arbeit, die ganz aus Gnaden ist. Sogar unter den rechten Söhnen des Vaters wird der älteste Bruder von diesem fremden Geist berührt. Niemand von uns ist frei davon, er scheint in dem Gebein unsrer stolzen Natur erzeugt zu werden, und doch ist nichts unliebenswerter und unvernünftiger.

14. 15. Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem Letzten geben, gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu thun, was ich will mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, daß ich so gütig bin?

Der gütige Mann steht fest in seinem großmütigen Entschluß. Er will sich nicht durch neidische Zungen von seiner Freigebigkeit abwendig machen lassen. Was er gibt, ist sein Eigentum, und er behauptet sein Recht, damit zu thun, was ihm gefällt. Dies ist eine schöne Erläuterung der Unumschränktheit göttlicher Gnade. Jeder soll alles haben, was er beanspruchen kann. “Nimm, was dein ist;“ und wenn er es hat, so möge er zufrieden sein: „Gehe hin.“ Der Herr will sich nicht durch unsre Regeln beherrschen lassen, sondern erklärt: „Ich will aber diesem Letzten geben gleich wie dir.“ Es ist herablassend von seiner Seite, etwas zur Verteidigung seines angemessenen und gerechten Standpunktes zu sagen: “Habe ich nicht Macht, zu thun, was ich will mit dem Meinen?“ Wenn Barmherzigkeit des Herrn Eigentum ist, so mag Er sie austeilen, wie es ihm gefällt; und wenn der Lohn des Dienstes ganz aus Gnaden ist, so kann der Herr ihn nach seinem Belieben geben. Seid gewiß, daß Er dies thun wird. In Donnerworten spricht Er, sowohl unter dem Gesetz wie unter dem Evangelium. „Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich.“

Das war eine ins Herz treffende Frage, die jeder Murrende beantworten sollte: “Siehst du darum scheel, daß ich so gütig bin?“ Macht es dich eifersüchtig, daß du andre sich meiner Güte erfreuen siehst? Wenn ich gut bin gegen die, welche es so wenig verdienten, beraubt das dich des Guten, das ich dir verliehen habe?

Laßt uns nie Spätbekehrten ihre Freude oder ihr nützliches Wirken beneiden, sondern die unumschränkte Macht preisen, die sie so reichlich segnet. wir teilen die Barmherzigkeit mit ihnen, laßt uns ihnen einen gleichen Teil von unsrer Freude geben.

16. Also werden die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

Hier wiederholt der Herr seinen bekannten Ausspruch, den wir schon Kap. 19,30 beachteten und läßt uns wissen, daß der Vorrang im Himmelreich nach der Ordnung der Gnade ist. Der König will an seinem eignen Hof herrschen, und wer wird seinen Willen in Frage stellen? Da Er König ist, so ist es sein Recht, zu herrschen. Treue Unterthanen sind immer bereit, auf die Seite ihres Königs zu treten. Unser König herrscht nach göttlichem Recht und kann nicht Unrecht thun. Es ward von David gesagt. „Es gefiel dem Volk wohl alles Gutes, was der König that.“ Laßt dies von Davids Sohn und seinem Volke wahr sein. Jesus sagt uns, daß, während viele zum Dienst berufen werden, wenige die Stufe auserwählter Männer erreichen. Einige der Letzten werden die Ersten sein, denn reiche Gnade wird in ihrer kurzen Arbeitsstunde gesehen; aber einige der Ersten werden die Letzten sein, denn sie sind an ihrem längeren Tage nicht immer fleißig und bleiben so zurück im Laufe, oder ihre gesetzliche Denkweise stellt sie weit hinter die, welche später im Leben berufen wurden, aber in den Lehren der göttlichen Gnade besser unterwiesen sind.

(Der König auf seinem Wege zum Kreuze. V. 17-28.)

17-19. Und Er zog hinauf gen Jerusalem, und nahm zu sich die zwölf Jünger besonders auf dem Wege, und sprach zu ihnen: Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überantwortet werden; und sie werden Ihn verdammen zum Tode, und werden Ihn überantworten den Heiden, zu verspotten, und zu geißeln, und zu kreuzigen; und am dritten Tage wird Er wieder auferstehen.

Mit entschlossenem und kräftigem Schritt hinaufziehend zu der schuldigen Hauptstadt, ging Jesus den zitternden Jüngern voran, die vorher sahen, daß sich irgend etwas Schreckliches ereignen würde. Sie gingen mit Ihm, und das war etwas, und zeigte, daß sie, obwohl schüchtern, doch aufrichtig waren. Seine Worte waren wahr und bedeutsam: “Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem.“ Er hielt es für weise, ihnen wieder von der dunkelen Zukunft zu sagen, die sich jetzt nahte, deshalb nahm Er zu sich die zwölf Jünger besonders auf dem Wege. Das ist die beste Gemeinschaft, wenn Jesus selbst uns besonders nimmt. Er kennt die geeignetsten Zeiten für die vollsten Offenbarungen. Möglicherweise suchte seine menschliche Seele hierin Genossenschaft, aber wie wenig fand Er davon unter seinen schwachen Nachfolgern! Herr, wenn Du mich besonders nimmst, bereite mich für volle Gemeinschaft, damit ich nicht eine goldene Gelegenheit versäume!

Das Herz Jesu war voll von seinem Opfer. Beachtet, wie Er bei den Einzelheiten verweilt vom Anfang bis zum Ende seiner Leiden, seines Todes und seiner Auferstehung. Er gebraucht fast dieselben Ausdrücke wie damals, als sie in Galiläa waren. Wir beachteten den Ausspruch in Kapitel 17,22, und dies gleicht sehr einer Wiederholung desselben. Es war ein zu ernster Gegenstand, um mit mannigfaltigen Worten dargestellt zu werden. Er lenkt ihre Aufmerksamkeit darauf, daß sie hinaufgingen nach Jerusalem, dem Ort des Opfers: Die Reise zu den größten Leiden begann; das Ende eilte herbei. Welches Weh durchzuckte sein Herz, als Er sprach: “Des Menschen Sohn wird verraten werden!“ Dies sprach Er vor den Ohren des Jüngers, der Ihn nachher verriet. Drückte dies keinen Stachel in sein niedriges Herz? Die Zwölfe wußten, daß Jesus keine grausameren Feinde hatte, als die “Hohenpriester und Schriftgelehrten“, die Männer des Sanhedrin. Diese würden Ihn in einem Scheinverhör “zum Tode verdammen“, aber da sie den Richterspruch nicht selbst ausführen könnten, würden sie Ihn “den Heiden überantworten“. Wie genau zeichnet der Herr den Verlauf ihres Thuns! Er läßt keine der schmachvollen Einzelheiten aus. Er sagt, daß sie Ihn den Römern überantworten werden, “zu verspotten, und zu geißeln, und zu kreuzigen.“ Hier waren drei scharfe Schwerter; man weiß kaum, welches die schärfste Spitze hat. Unsre Herzen sollten schmelzen, wenn wir an diesen dreifachen Schmerz denken: Hohn, Grausamkeit, Tod. Unser teurer Herr fügte indes ein Wort hinzu, was die Bitterkeit des Todeskelchs überwand. Hier war der helle Saum der schwarzen Wolke: “Am dritten Tage wird Er wieder auferstehen.“ Dies goß eine Flut von Licht über das, was sonst eine siebenfache Mitternacht gewesen wäre.

Verweilte unser Herr so bei seiner Passion, und sollten wir es nicht? Ja, sie sollte unser lebenslanges Thema sein. Sie sagen in dieser Zeit des Abfalls: „Denkt mehr an sein Leben, als an seinen Tod,“ aber wir lassen und nicht täuschen durch sie. „Wir predigen Christum, den Gekreuzigten.“ „Es sei aber ferne von mir rühmen denn allein von dem Kreuz unsres Herrn Jesu Christi.“

20.21. Da trat zu Ihm die Mutter Zebedäus mit ihren Söhnen, fiel vor Ihm nieder, und bat etwas von Ihm. Und Er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu Ihm: Laß diese meine zwei Söhne sitzen in Deinem Reich, einen zu Deiner Rechten und den andren zu Deiner Linken.

Während das Gemüt Jesu mit seiner Erniedrigung und seinem Tode beschäftigt war, dachten seine Nachfolger an ihre eigne Ehre und Gemächlichkeit. Ach, arme menschliche Natur! Die Mutter der Kinder Zebedäi sprach nur, was andre fühlten. Sie suchte mit Mutterliebe den Vorrang und sogar den höchsten Vorrang für ihre Söhne, aber der Unwille der andren Jünger zeigte, daß auch sie ehrgeizig waren. Ohne Zweifel wollten sie die Plätze einnehmen, welche die Mutter des Jakobus und Johannes für diese begehrte. Sie nahte sich dem Heiland ehrfurchtsvoll, sie fiel vor Ihm nieder. Doch war zu viel Vertraulichkeit in ihrer Bitte, daß ihr etwas Ungenanntes gewährt werden möchte: “sie bat etwas von Ihm.“

Unser Herr gibt uns hier das Beispiel, daß wir niemals im Dunkeln etwas versprechen müssen. “Er sprach zu ihr: Was willst du?“ Wißt, was ihr versprecht, ehe ihr versprecht. Groß war der Glaube dieses Weibes an unsres Herrn schließlichen Sieg und Thronbesteigung, da sie diese für so gewiß hält, daß sie bittet, ihre zwei Söhne möchten in seinem Reich zu seiner Rechten und Linken sitzen. Wußte sie, was unser Herr seinen Jüngern gesagt hatte? Wir glauben es halb, denn die Worte lauten: “Da trat zu Ihm die Mutter der Kinder Zebedäi.“ Wenn sie alles wußte und verstand, was vorhergegangen war, so wollte sie, daß ihre Söhne das Los Jesu teilen sollten, beides, sein Kreuz und seine Krone, und dies setzt ihre Bitte in ein helles Licht. Dennoch war viel von der Parteilichkeit einer Mutter in ihrer Forderung. Seht, wie sie “diese meine zwei Söhne“ sagt mit einem Anflug von Stolz darin. Wie großartig beschreibt sie die gewünschte Stellung: “Laß sie sitzen in Deinem Reich, einen zu Deiner Rechten und den andren zu Deiner Linken!“ Sie hatte augenscheinlich sehr hofmäßige Vorstellungen von dem, was dieses Reich schließlich werden würde. Jedenfalls war in ihrer Bitte viel Vertrauen und viel treue Anhänglichkeit an Christum, obwohl auch etwas Selbstsüchtiges. Wir brauchen sie nicht zu tadeln, aber wir mögen uns selber fragen, ob wir so hoch von unsrem Herrn denken, wie sie es that.

22. Aber Jesus antwortete und sprach: Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, und euch taufen lassen mit der Taufe, da ich mit getauft werde? Sie sprachen zu Ihm: Jawohl.

Die Bitte der Mutter war auch die der Söhne, denn Jesus antwortete und sprach: „Ihr wißet nicht, was ihr bittet.“ Die Bitte de Mutter war wahrscheinlich von besserem Gehalt als die der Söhne, denn unser Herr spricht mehr zu ihnen als zu ihr. Sie hatten durch die Mutter gebeten, aber sie mögen in größerer Unwissenheit gebeten haben, als diese. Hätten sie gewußt, was ihre Bitte einschloß, so hätten sie dieselbe vielleicht nie vorgebracht. Jedenfalls behandelt der Herr das Gesucht mehr als das ihre, denn als das ihrer Mutter, und in betreff ihrer selbst fragt er sie, wie weit sie auf die Folgen vorbereitet seien. Dem Thron dess Königs nahe sein, würde Gemeinschaft mit Ihm in den Leiden und der Selbstaufopferung, durch die Er sein geistliche Reich aufrichtete, einschließen. Waren sie dazu bereit? Hatten sie Kraft, bis ans Ende zu beharren? “Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, und euch taufen lassen mit der Taufe, da ich mit getauft werde? Sie sprachen zu Ihm: Jawohl.“ Vielleicht war dies eine zu hastige Antwort, und doch mag es die beste gewesen sein, die sie geben konnten. Wenn sie Kraft allein von ihrem Herrn erwarteten, so waren sie durch seine Gnade fähig, alles zu tragen. Aber wenn sie an seinen Thron dachten, hatten sie da an den Kelch und die Taufe gedacht, ohne welche es kein Reich und dessen Freuden geben würde?

23. Und Er sprach zu ihnen: Meinen Kelch sollt ihr zwar trinken, und mit der Taufe, da ich mit getauft werde, sollt ihr getauft werden; aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, steht mir nicht zu, sondern denen es bereitet ist von meinem Vater.

Da sie ihre Willigkeit aussprechen, mit Ihm in allen Dingen Gemeinschaft zu haben, so versichert unser Herr sie, daß Er nichts dagegen habe, mit ihnen in Gemeinschaft zu sein; aber Er zeigt ihnen das unmittelbare und gewisse Resultat dieser Gemeinschaft. Unser praktisches, gegenwärtiges Geschäft ist nicht, nach Vorrang im Reiche zu streben, sondern ergeben den Kelch des Leidens zu trinken und in die Tiefen der Erniedrigung zu tauchen, die unser Herr für uns bestimmt. Es ist eine große Ehre, wenn uns erlaubt wird, seinen Kelch zu trinken und mit seiner Taufe getauft zu werden; dies gewährt Er seinen gläubigen Jüngern. Diese Gemeinschaft ist das Wesen des geistlichen reiches. Wenn unser Kelch bitter ist, es ist sein Kelch; wenn unsre Taufe eine bange ist, es ist die Taufe, mit der Er getauft wurde. Dieses versüßt den einen und verhütet, daß die andre ein tödlicher Sturz werde. In der That, daß Kelch und Taufe sein sind, macht unsren Anteil daran zu einer durch die Gnade verliehenen Ehre. Andre Belohnungen des Reiches werden nicht willkürlich gewährt, sondern in angemessener Weise verliehen. Jesus sagt, daß die hohen Plätze in dem Reiche denen gegeben werden, welchen es bereitet ist von seinem Vater im Himmel. Er hat kein Bedenken, von dem zu sprechen, was sein Vater „bereitet“ hat. Alles in dem Reiche unsres Herrn ist göttlich angeordnet und bestimmt; nichts ist dem Zufall oder Schicksal überlassen.

Selbst Jesus will sich nicht in die göttliche Bestimmung über sein Reich einmischen. Als ein Freund darf Er nicht gebeten werden, einen vermeintlichen Privat-Einfluß zu gebrauchen, um die Anordnungen unendlicher Weisheit zu ändern. Ewige Ratschlüsse sind nicht zu ändern auf die Bitte schlecht beratener Jünger. In einem Sinne gibt Jesus alle Dinge; aber als Mittler kommt Er nicht, seinen eignen Willen zu thun, sondern den Willen Des, der Ihn gesandt hat, und darum sagt Er richtig von dem Rang in seinem Reiche: “Es steht mir nicht zu, zu geben.“ wie völlig nahm unser Herr einen niedrigen Platz ein um unsretwillen! Indem Er sich hier dem Vater unterwirft, erteilt Er unsrer Selbstsucht eine Rüge. Es mag sein, daß Er nicht nur die Mutter der Kinder Zebedäi, sondern alle Jünger, die beständig große Dinge für sich selber suchten, zurechtweisen wollte.

24-26. Da das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder. Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Ihr wißt, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch; sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener.

Natürlich gefiel den andren zehn Aposteln der Versuch der Söhne Zebedäi nicht, ihnen den Vorsprung abzugewinnen. Wir hören nie, daß sie unsres Herrn Bevorzugung des Petrus, Jakobus und Johannes übel empfanden; aber wenn zwei von diesen Vorrang selber suchten, konnten sie das nicht ertragen. Petrus stimmte ihnen hierin bei, denn wir lesen: “Da das die Zehn hörten.“ Einstimmig waren sie zornig über die Emporkömmlinge. Daß sie unwillig wurden, war ein Beweis, daß sie selbst ehrgeizig waren oder wenigstens nicht willig, den niedrigsten Platz einzunehmen. Weil sie desselben Fehlers schuldig waren, wurden sie unwillig über die zwei Brüder.

Hier war eine traurige Spaltung in dem kleinen Lager; wie konnte sie geheilt werden? Jesus rief sie zu sich; Er persönlich bekämpfte dies keimende Übel, und hieß die Zwölfe zu sich kommen und etwas anhören, was nur für ihr Ohr bestimmt war. Sie verwechselten sein Reich mit dem gewöhnlichen, menschlichen Regiment, und deshalb träumten sie davon, groß zu sein und in seinem Namen zu herrschen; aber Er wünschte, daß sie ihre Vorstellungen berichtigten und ihre Gedanken nach einer andren Seite hin wendeten. Es war wahr, daß es etwas höchst Ehrenvolles war, seine Nachfolger zu sein, und daß es sie zu Teilhabern an einem Reiche machte, aber dieses war nicht wie die irdischen Reiche. In den großen heidnischen Monarchien herrschten die Fürsten mit Autorität, Zwang und Pomp; aber in seinem Reiche sollte die Herrschaft eine Herrschaft der Liebe sein, und die Würde die des Dienstes. Wer am meisten dienen konnte, sollte der Größte sein; der am meisten Aufopfernde sollte am meisten Macht haben; der Demütigste am meisten geehrt werden. Wenn wir die Großen der Erde um den Vorrang streiten sehen, sollten wir jedesmal unsren Meister sagen hören: “So soll es nicht sein unter euch.“ Wir müssen für immer das Jagen nach Ehre, Amt, Macht und Einfluß aufgeben. Wenn wir überhaupt nach Größe streben, so muß es dadurch sein, daß wir groß im Dienen sind und der Diener oder Knecht unsrer Brüder werden.

27. Und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht.

Um in Christi Reich emporzusteigen, müssen wir herabsteigen. Wer der Vornehmste oder Erste unter den Heiligen sein will, muß ihr Knecht, Leibeigner oder Sklave sein. Je tiefer wir uns gebeugt, desto höher sind wir gestiegen. In dieser Art von Wettstreit können wir andre übertreffen, ohne den Unwillen der Brüder zu erregen.

28. Gleich wie des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß Er sich dienen lasse, sondern, daß Er diene, und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Gewiß, Er, der am größten und der Vornehmste unter uns ist, hat das Beispiel des größten Liebesdienstes gegeben. Keine Diener warteten Ihm auf. Er war Meister und Herr, aber Er wusch seiner Jünger Füße. Er ist nicht gekommen, daß Er sich dienen lasse. Er empfing nichts von andren. Sein Leben war ein Leben des Gebens und das Geben eines Lebens. Zu diesem Zweck, war Er der Sohn des Menschen, mit dieser Absicht ist Er gekommen, zu diesem Ende gab Er sein Leben zu einer Erlösung für viele. Kein Dienst ist größer, als Sünder durch seinen eignen Tod erlösen, kein Amt ist demütiger, als an der Sünder Statt zu sterben.

(Der König thut die Augen der Blinden auf. V. 29-34.)

29.30. Und da sie von Jericho auszogen, folgte Ihm viel Volks nach. Und siehe, zwei Blinde saßen am Wege; und da sie hörten, daß Jesus vorüberging, schrieen sie und sprachen: Ach Herr, Du Sohn Davids, erbarme Dich unser!

Auf Jericho hatte ein Fluch gelastet, aber die Gegenwart Jesu brachte ihm einen Segen. Wir nehmen an, Er mußte durch Jericho reisen, wie Er einmal früher durch Samaria reisen mußte. Unser Herr zog von Jericho aus, und viel Volks folgte Ihm nach, denn sein Ruf hatte sich überall verbreitet. Nichts Besonderes wird angemerkt, bis zwei Bettler auf den Schauplatz kommen. Die Barmherzigkeit hat das Elend nötig, um Gelegenheit zum Wirken zu bekommen. Siehe, zwei Blinde saßen am Wege. Sie konnten Jesum nicht sehen, aber wir werden aufgefordert, sie zu sehen. Sie hatten einen hoffnungsvollen Platz am Wege eingenommen, denn da konnten sie leicht alle guten Neuigkeiten hören, und wurden von den Mitleidigen gesehen. Sie hatten Ohren, wenn nicht Augen, und sie brauchten ihr Gehör gut. Auf Befragen erfuhren sie, daß Jesus vorüberging, und in dem Glauben, daß Er ihr Gesicht ihnen wiedergeben könne, wurden sie sehr eifrig in ihren Bitten: sie schrieen. Sie beriefen sich auf sein Mitleid: “Erbarme Dich unser.“ Sie wandten sich an das königliche Herz Jesu: “Ach Herr, Du Sohn Davids.“ Unsres Herrn Predigt wurde durch die wiederholten Schreie dieser zwei blinden Bettler von Jericho unterbrochen; aber das mißfiel Ihm nie. Ebensowenig werden wahre Prediger des Evangeliums aus der Fassung gebracht werden, wenn einige ihrer Hörer mit gleichem Eifer nach Errettung schreien.

31. Aber das Volk bedrohte sie, daß sie schweigen sollten. Aber sie schrieen viel mehr, und sprachen: Ach Herr, Du Sohn Davids, erbarme Dich unser!

Die Menge wünschte Jesum zu hören, aber konnte es nicht wegen des Schreiens der Blinden, deshalb bedrohte das Volk sie. Schalt es sie wegen schlechter Manieren, oder wegen des Lärms, oder wegen des barschen Tones, oder wegen des selbstsüchtigen Wunsches, Jesum allein in Anspruch zu nehmen? Es ist immer leicht, einen Stock zu finden, wenn man einen Hund schlagen will. Das Volk wollte, daß sie schweigen sollten, und fand reichlich Gründe dafür. Dies war gut genug für die, welche im Besitz ihrer Fähigkeiten waren; aber Menschen, die ihr Gesicht verloren haben, können nicht zum Schweigen gebracht werden, wenn eine Gelegenheit da ist, es wieder zu erlangen. Da diese Gelegenheit rasch an den armen Männern vorüberging, wurden sie ungestüm in ihrem Eifer, und ungehindert durch die Drohungen der Menge, schrieen sie viel mehr. Einige Menschen werden vorwärts getrieben durch alle Versuche, sie zurück zu treiben. Wenn wir den Herrn suchen, thun wir gut, jedes Hindernis in einen Antrieb zu verwandeln. Wir mögen wohl Tadel und Schelte ertragen, wenn unser großes Ziel ist, Barmherzigkeit von Jesu zu erlangen. Unveränderlich war der Schrei der blinden Bettler: “Ach Herr, Du Sohn Davids, erbarme Dich unser!“ Sie hatten keine Zeit, Abwechselung in den Worten zu studieren. Da sie gebeten um das, was ihnen nötig war, in Worten, die aus ihrem Herzen drangen, so wiederholten sie ihr Gebet und ihre Bitte, und es war keine unnütze Wiederholung.

32. Jesus aber stand stille, und rief sie, und sprach: Was wollt ihr, daß ich euch thun soll?

Jesus stand stille. Auf die Stimme des Gebets hielt die Sonne der Gerechtigkeit inne in ihrem Lauf. Gläubige Bitten können den Sohn Gottes bei den Füßen halten. Er rief sie, weil sie Ihn gerufen hatten. Welchen Trost gewährte dieser Ruf ihnen! Es wird uns nicht gesagt, daß sie zu Ihm kamen: es ist nicht nötig, das zu sagen. Sie waren zu seinen Füßen, sobald die Worte gesprochen wurden. Wie traurig blind sind die, welche, nachdem sie tausendmal von der Stimme der Barmherzigkeit gerufen sind, sich doch weigern, zu kommen.

Unser Herr erleuchtet die Seelen sowohl wie die Augen, und darum wollte Er, daß diese Blinden ihre Wünsche fühlen und verständlich ausdrücken sollten. Er richtet die persönliche Frage an sie: “Was wollt ihr, daß ich euch thun soll?“ Es war keine schwere Frage, doch ist es eine, welche mancher Besucher unsrer Bethäuser schwierig zu beantworten finden würde. Ihr sagt, ihr „wünscht, errettet zu werden“: was meint ihr mit diesen Worten?

33. Sie sprachen zu Ihm: Herr, daß unsre Augen aufgethan werden.

Recht so. Sie hatten keine Zeit nötig zu einem zweiten Gedanken. O, daß unsre Hörer ebenso rasch wären mit dem Gebet: “Herr, daß unsre Augen aufgethan werden!“ Sie gingen geradeswegs auf die Sache zu. Es ist kein überflüssiges Wort in ihrer erklärenden Bitte. Kein Buch that not, keine Formel von Worten; der Wunsch kleidete sich selber in einfache, natürliche, ernstliche Worte.

34. Und es jammerte Jesum, und rührte ihre Augen an; und alsbald wurden ihre Augen wieder sehend, und sie folgten Ihm nach.

Und es jammerte Jesum. Da sie ihren Wunsch so ausgesprochen und in so großer Not waren, bemitleidete Jesus ihre Einsamkeit im Dunkel, ihr Entbehren der Freude, ihren Verlust der Kraft, ein Handwerk zu treiben und ihre daraus entspringende Armut. Er rührte ihre Augen an. welche Hände waren es, die so niedere Gemeinschaft mit menschlichem Fleisch hatten, und doch solche mächtige Thaten wirkten! Alsbald wurden ihre Augen wieder sehend. Nur ein Anrühren, so strömte Licht hinein. Zeit ist nicht nötig für die Heilungen Jesu. Der Beweis ihres Sehens war sofort da, denn sie folgten Ihm nach. Wir brauchen unser geistliches Gesicht am besten, wenn wir auf Jesum blicken und uns dicht an Ihn halten.

O, daß der Leser, wenn er geistlich blind ist, um das Anrühren Jesu bäte und es sogleich erlangte, denn alsbald wird er sehend werden! Ein inneres Licht wird in einem Augenblick auf die Seele scheinen, und die geistliche Welt wird der erleuchteten Seele sichtbar werden. Der Sohn Davids lebt noch und thut noch die Augen der Blinden auf. Er hört noch das demütige Gebet derer, welche ihre Blindheit und ihre Armut kennen. Wenn der Leser fürchtet, daß auch er geistlich blind sei, so möge er in diesem Augenblick zum Herrn schreien, und er wird sehen, was er sehen soll, und wird auf ewig die Hand preisen, die den Augen seiner Seele das Gesicht gab.

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