Spener, Philipp Jakob - Pia desideria - VI.

Dies hänge ich endlich noch als das sechste Mittel an, wodurch der christlichen Kirche in einen bessern Zustand geholfen werden könnte, wenn nämlich die Predigten von Allen so eingerichtet würden, daß der Zweck derselben, nämlich Glauben und dessen Früchte hervorzubringen, bei den Zuhörern bestmöglichst erreicht werde. Es werden zwar wenig evangelische Orte sein, wo nicht genug Predigten gehalten werden, aber dennoch finden viele gottselige Gemüther an vielen Predigten nicht wenig auszusetzen, denn es giebt Prediger, die oft ihre meisten Predigten mit Dingen anfüllen, womit sie sich den Ruhm der Gelehrsamkeit erwerben wollen, obwohl die Zuhörer nichts davon verstehen; da müssen oft viele fremde Sprachen herbei, von denen vielleicht nicht ein Einziger in der Kirche ein Wort versteht. Wie Manche tragen mehr Sorge dafür, daß der Eingang passend, und der Uebergang natürlich, daß die Eintheilung kunstreich genug, und alle Theile recht nach der Redekunst abgemessen und ausgezieret seien, als daß sie solche Materien wählten und durch Gottes Gnade ausführeten, wovon die Zuhörer im Leben und Sterben Nutzen haben könnten. So soll es aber nicht sein, denn weil die Kanzel nicht der Ort ist, wo man seine Kunst mit Pracht sehen lassen, sondern das Wort des Herrn einfältig, aber gewaltig predigen, und dies das göttliche Mittel sein soll, die Leute selig zu machen, so sollte auch billig Alles auf die Erreichung dieses Zweckes eingerichtet werden. Der Prediger sollte sich überhaupt vielmehr nach seinen Zuhörern richten, weil diese ihn sonst nicht verstehen, und dabei sollte er stets mehr auf die Einfältigen sehen, die den größten Theil ausmachen, als auf etliche wenige Gelehrte, wo sich dergleichen finden lassen.
Da auch der Katechismus die ersten Grundzüge des Christenthums in sich fasset, und Alle aus demselben zuerst ihren Glauben gelernet, so sollte derselbe, mehr dem Sinn, als den Worten nach, immer fleißiger in Katechismuslehren, zu denen man auch, wo es geht, die Erwachsenen heranziehe, getrieben, und ein Prediger darüber nicht müde werden. Außer dem wäre es, wenn man Gelegenheit hat, auch zweckmäßig, in den Predigten, das den Leuten immer wieder vorzulegen, was sie einmal gelernet, und sich selbst dessen nicht zu schämen. Was sonst noch bei den Predigten Aeußerliches zu beobachten, übergehe ich hier gern und bleibe bei dem Inhalte stehen. Weil nun unser ganzes Christenthum in dem innern oder neuen Menschen besteht, dessen Seele der Glaube, und seine Wirkungen die Frucht des Lebens sind, so halte ich es für unumgänglich nothwendig, daß alle Predigten darauf gerichtet werden sollten, einestheils zwar die theuren Wohlthaten Gottes, wie sie auf den innern Menschen zielen, also vorzutragen, daß dadurch der Glaube, und somit der innere Mensch immer mehr und mehr gestärkt werde; anderntheils aber die Werke also zu treiben, daß wir keinesfalls uns begnügen, die Leute bloß zur Unterlassung der äußerlichen Laster, und zur Uebung der äußerlichen Tugenden zu bringen, und es also gleichsam nur mit dem äußerlichen Menschen zu thun haben, was von der heidnischen Moral auch geschieht; sondern daß wir den rechten Grund in den Herzen legen, zeigen, es sei lauter Heuchelei; was nicht aus diesem Grunde geht, und daher die Leute gewöhnen, erst nach solcher innerlichen Herzensänderung zu trachten und durch den Gebrauch der gegebenen Gnadenmittel ein solches Herz zu erlangen, das wahrhaftig Gott über Alles, und seinen Nächsten als sich selbst liebt, damit dann solche Liebe sich thätig erweise. Daher soll man auch fleißig nachweisen, wie die göttlichen Mittel des Wortes und der Sakramente es mit solchem innerlichen Menschen zu thun haben; es sei also nicht genug, daß wir das Wort mit dem äußerlichen Ohr hören, sondern wir müssen es auch in das Herz dringen lassen, daß wir daselbst den heiligen Geist reden hören, d. i. seine Versiegelung und Kraft des Wortes mit lebendiger Bewegung und Trost fühlen; es sei nicht genug, daß wir getauft sind, sondern unser innerlicher Mensch, welcher Christum in der Taufe angezogen, müsse auch mit ihm bekleidet bleiben, und das durch sein äußerliches Leben beweisen; es sey nicht genug, äußerlich das heilige Abendmahl empfangen zu haben, sondern unser inwendiger Mensch müsse auch durch solche selige Speise wahrhaftig genähret werden; es sei nicht genug, äußerlich mit dem Munde zu beten, sondern das rechte und wahre Gebet geschehe in unserm Herzen, und breche entweder dann erst in Worte aus, oder bleibe wohl auch gar in der Seele, wo es doch Gott finde und antreffe; es sei nicht genug, daß wir in dem äußerlichen Tempel Gott dienen, sondern unser innerlicher Mensch müsse vor allem Andern in seinem eigenen Tempel (im Herzen) Gott verehren, man sei äußerlich in der Kirche oder nicht, und was dergleichen mehr ist. Darauf sollten billig alle Predigten gerichtet werden, weil darin die rechte Kraft des ganzen Christenthums bestehet, und wenn dies geschähe, so würde gewißlich vielmehr Erbauung erfolgen, als jetzt bei Vielen geschiehet.

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