Spener, Philipp Jakob - Pia desideria - II.

Die Aufrichtung und fleißige Uebung des geistlichen Priesterthums.
Es wird Jeder, der etwas fleißig in Luthers Schriften gelesen, beobachtet haben, mit welchem Ernst der selige Mann solches geistliche Priesterthum getrieben habe, da nicht nur der Prediger, sondern alle Christen von ihrem Erlöser zu Priestern gemacht, mit dem heiligen Geist gesalbet, und zu geistlichen priesterlichen Verrichtungen berufen sind. Denn Petrus redet ja nicht mit den Predigern allein, wenn er sagt 1 Petr. 2,9: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priesterthum, das heilige Volk, das Volk des Eigenthums, daß Ihr verkündigen sollt die Tugenden deß, der Euch berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Licht.“ Wer ausführlich dieses unsers Lehrers Meinung hievon, und was die priesterlichen Aemter seien, vernehmen und lesen will, der lese seine Schriften an die Böhmen, wie man die Diener der Kirche wählen und einsetzen soll, da wird er sehen, wie stattlich erwiesen sei, daß allen Christen insgesammt ohne Unterschied alle geistlichen Aemter zustehen, obwohl deren ordentliche und öffentliche Verrichtung den dazu bestellten Dienern anbefohlen ist, und nur im Nothfall von Andern verrichtet werden mögen; die aber, welche nicht zu den öffentlichen Verrichtungen gehören, sollen immerfort zu Hause und im gemeinen Leben von Allen getrieben werden. Es ist eine besondere List des leidigen Teufels gewesen, daß es derselbe im Papstthum dahin gebracht, daß alle solche geistliche Aemter allein der Klerisei überwiesen (die sich daher auch hochmüthiger Weise allein den Namen „Geistlichen,“ welcher allen Christen thatsächlich zugehört, aneignet) und die übrigen Christen davon ausgeschlossen sind, als käme denselben nicht zu, in dem Wort des Herrn fleißig zu forschen, geschweige denn Andre neben sich zu unterrichten, zu vermahnen, zu strafen, zu trösten, und das privatim zu thun, was dem Kirchendiener öffentlich zu thun obliegt; sondern als wären dies lauter Dinge, die an dem Predigtamte allein hingen. Damit sind die sogenannten Laien zu dem, was sie billig mit angehen sollte, träge gemacht, und so ist eine schreckliche Unwissenheit und Wesen entstanden. Hingegen konnten nun die sogenannten Geistlichen thun, was sie wollten, da ihnen Niemand in die Karte sehen oder die geringste Einrede thun durfte. Daher ist dieses angemaaßte Monopol des geistlichen Standes neben der oben angedeuteten Abhaltung von der Schrift eins der vorzüglichsten Mittel im Papstthum, womit Rom seine Gewalt über die armen Christen befestiget hat und, wo es noch herrschet, bis jetzt erhält. Es konnte also nicht empfindlicher angegriffen werden, als daß im Gegentheil Luther zeigte, wie alle Christen zu den geistlichen Aemtern berufen, und nicht nur befugt, sondern auch, wenn sie anders Christen sein wollen, verbunden sein, sich derselben anzunehmen, wenn auch nicht der öffentlichen Verwaltung derselben, wozu die Verordnung der das gleiche Recht besitzenden Gemeine gehört; denn es ist jeder Christ verpflichtet, nicht nur selbst sich und was an ihm ist, Gebet, Danksagung, gute Werke, Almosen u.s.w. zu opfern, und in dem Wort des Herrn emsig zu forschen, sondern auch Andern absonderlich seine Hausgenossen, nach der Gnade, die ihm gegeben ist, zu lehren, zu strafen, zu ermahnen, an ihrer Bekehrung zu arbeiten, zu erbauen, ihr Leben zu beobachten, für alle zu beten, und für ihre Seligkeit nach Möglichkeit zu sorgen. Wenn dies erst den Leuten gewiesen, so wird dann Jeder so viel mehr auf sich selbst Acht geben, und sich dessen befleißigen, was zu seiner und seines Nebenmenschen Erbauung dient. Wo hingegen solche Lehre nicht bekannt und getrieben wird, entsteht alle Sicherheit und Trägheit, indem Niemand denkt, daß ihn dergleichen angehe, sondern Jeder bildet sich ein, wie er zu seinem Amt, Handel, Handwerk u.s.w. berufen, und dies nicht des Pfarrers Sache sei, so sei hingegen der Pfarrer zu den geistlichen Verrichtungen, der Beschäftigung mit Gottes Wort, Beten, Studiren, Lehren, Vermahnen, Trösten, Strafen u.s.w. dermaßen allein berufen, daß Andere sich nichts darum zu bekümmern hätten, ja wohl dem Pfarrer in sein Amt griffen, wo sie irgendwie damit umgingen; geschweige denn, daß sie auch selbst auf den Pfarrer mit Achtung geben, und wo er säumig ist, ihn selbst brüderlich ermahnen, überhaupt aber in Allem ihm an die Hand gehen sollten. Durch den ordentlichen Gebrauch dieses Priesterthums geschieht aber dem Predigtamte so gar kein Abbruch, daß vielmehr der Mangel desselben eine der wichtigsten Ursachen ist, warum das Predigtamt nicht alles das ausrichten kann, was es billig sollte, weil es ohne die Hülfe des allgemeinen Priesterthums zu schwach, und ein Mann nicht genug ist, bei so Vielen, als gewöhnlich Einem Einzigen zur Seelsorge anvertraut werden, das auszurichten, was zur Erbauung nöthig ist. Wenn aber die Priester ihr Amt thun, so hat der Prediger als ihr Direktor und ältester Bruder eine bedeutende Hülfe in seinem Amte und dessen öffentlichen und besonderen Verrichtungen, so daß ihm die Last nicht zu schwer wird. Man sollte daher billig in weitere Ueberlegung ziehen, wie nicht nur diese Materie, die nach Luthers Zeiten kaum mehr getrieben worden, den Leuten bekannter gemacht werden könnte, wozu des Herrn Joh. Vielitz gottselige Predigten hierüber sehr dienlich, sondern wie auch die Sache selbst in bessere Uebung zu bringen wäre; wozu der vorige Vorschlag einer einzuführenden Uebung im Lesen und Erklären der Schrift nicht ungeeignet sein möchte. Meines geringen Theils bin ich fest überzeugt, daß schon Viel gethan wäre, immer Mehrere gewonnen, und die Kirche merklich gebessert werden würde, wenn nur in jeder Gemeine Einige zu diesen beiden Stücken, zu fleißiger Beschäftigung mit Gottes Wort und zu treuer Ausübung ihrer priesterlichen Pflichten gebracht werden könnten, wobei sie außer dem Uebrigen vornämlich die brüderliche Ermahnung und Bestrafung ausüben sollten, die fast ganz unter uns erloschen, aber billig ernstlich getrieben, und von den Predigern nach Vermögen geschützt werden sollte, wenn Einige deshalb etwa leiden müssen.

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