Spener, Philipp Jacob - Pia Desideria - Vorwort

Spener, Philipp Jacob - Pia Desideria - Vorwort

In dem Geliebtesten geliebte Väter und Brüder!

Als ich veranlaßt wurde, der neuasgehenden Postill des theuern Arnd eine Vorrede voranzuschicken; habe ich mich erkühnet, in der mir dazu vergönnten kurzen Zeit, das Meiste in derselben zu sagen, was mich, seitdem ich durch Gottes Willen und Gnade in seinem Weinberge arbeite, öfters herzlich betrübet, das Gewisssen beschweret und viele Sorgen gemacht hat. Aber ich weiß auch, daß derjenigen noch sehr Viele sind, welche mit mir Gleiches bejammern, und oft Einer in des Andern Schooß die wehmüthigen Klagen ausgießen.

Das Elend, welches wir beklagen, lieget vor Augen und ist Niemand verboten, seine Thränen über dasselbe nicht nur im Geheim zu vergießen, sondern sie auch an den Orten fallen zu lassen, wo sie Andere sehen, und so zum Mitleiden als Mitrathen bewogen werden mögen. Wo man aber Noth und Krankheit siehet, ist's natürlich, daß man um Mittel sich umthue. Und daher lieget Allen ob, in der Noth und Krankheit des edelsten, geistlichen Leibes Christi, - der in gewissen Stücken der Sorge eines Jeden anvertraut ist, ja an dem wir Alle Mitglieder sein müssen, und deswegen sein Gebrechen keines Orts für fremd zu achten haben, - dafür zu sorgen, wie tüchtige Arznei zu seiner Heilung möge gefunden und angewendet werden.

Ehedem war das kräftigste Mittel, daß die vornehmsten Vorsteher und Abgeordneten der Kirche in Concilien zusammenkamen und über den allgemeinen Schaden rathschlageten. Wollte Gott, wir stünden in dem Stande, daß wir solches jetzt fruchtbar zu geschehen hoffen könnten, wie gottselige Gemüther dies oft sehnlich verlanget haben. Wollen wir aber darauf warten, so werden wir über unserem Wünschen sterben und die Besserung - ich weiß nicht, ob es verantwortlich ist - immer auf das Ungewisse aufschieben. Es stehet dahin, ob nicht jetzt, in Ermangelung einer solchen Zusammenkunft, ein zulängliches Mittel sei, wenn christliche Prediger untereinander selbst in der Furcht des Herrn, sowohl durch Schreiben unter sich, als auch mit denjenigen, welche sich das Werk des Herrn angelegen sein lassen, diese wichtigen Sachen mit einander überlegten und was etwa der Gemeinde Gottes dienlich sei, reiflich erwägeten, damit durch öffentlichen Druck diese Gedanken, zur Nachricht und zum Mitwirken anderer Mitbrüder, kund werden möchten.

Wie nun andere christeifrige Theologen hin und wieder in ihren öffentlichen Schriften längst hievon den Anfang gemacht haben, und ich also der Erste nicht bin, welcher dergleichen Verlangen öffentlich bezeuget, oder dazu Vorschläge gethan; so hätte ich zwar billig Bedenken tragen sollen, mit meinen einfältigen Gedanken auszubrechen, wenn in dem Reiche des Herrn, wie in der Welt, die Stimmen etwa nach Ordnung und Wünde der Personen gegeben werden müßten, in welcher Hinsicht ich mich billig unter den Letzten zu sein erkenne. Wenn aber nicht nur in der christlichen Kirche auf solches eben nicht zu achten, sondern auch sogar in der Welt in einigen Versammlungen, aus sonderbaren Ursachen, eingeführt ist, daß die Ordnung des Stimmenabgebens von unten angefangen wird, und sogar den Untersten mit mehr Freiheit ihre Herzensmeinung ohne Rückhalt zu offenbaren gegeben ist, als den Oberen, welchen ihre Würde gelassen wird, nach reiflicherem Nachsinnen zu geben, was in jener Vorschlägen zu verbessern: so habe ich dafür gehalten, es werde auch mir als keine Vermessenheit gedeutetwerden, was ich - wie der Herzenskündiger dessen Zeuge ist - aus inniger Liebe zur Gemeinde Gottes, und aus Verlangen nichts zu unterlassen, was ich zu göttlicher Ehre möchte dienlich wissen, in diese Vorrede ausgeschüttet habe.

Da ich mir aber auch nicht selbst allein trauete, und etwa dergleichen Dinge an das Tageslicht gebe, von denen die Kirche mehr Schaden, als Nutzen hätte, so habe ich meinen vielgeliebten Collegen und Amtsbrüdern allhier meinen Aufsatz vorgelegt, und da die Geister der Propheten den Propheten unterthan sind, ihnen denselben nicht nur von Wort zu Wort vorgelesen, sondern völlige Freiheit außerdem gegeben, mich brüderlich zu erinnern, worin sie es nöthig befänden. Wie sie nun das Eine und Andere mit beigetragen haben, was zur Auferbauung dienlich ist, so haben sie mich in dem Uebrigen, mit Billigung alles darin Enthaltenen, und herzlicher anwünschung, daß Gott sein Werk nicht ungesegnet lassen wolle, stattlich bekräftiget. hierauf habe ich im Namen des Herrn diese Vorrede dem Druck übergeben. Es ist aber von vielen guten Gemüthern Verlangen getragen worden, dieselbe allein zu haben, und ich selbst habe es nicht für unzweckmäßig gehalten, besonders weil mir einige Monate nach dem ersten Druck ein schönes, nützliches und erbauliches Bedenken eines christlichen und in dem Weinberge des Herrn treulich arbeitenden Superintendenten zugesendet worden ist, aus dessen Veröffentlichung mehr Nutzen entstehen kann, als aus meiner geringfügigen Arbeit. Es hat aber derselbe noch Bedenken getragen, seinen Namen dabei zu nennen, sowohl deshalb, weil er eigene Ehren zu suchen nicht gesonnen sei, als auch, weil auf solche Weise, wo ohne Leidenschaft und Absicht auf einen Verfasser, eine Schrift allein, wie sie an sich selbst ist, erwogen wird, öfters mehr Nutzen zu hoffen steht.

Als nun aber solches Bedenken fast zu Ende gebracht, kam mir ferner ein anderes Urtheil eines christlichen und sowohl von Gott herrlich begabten, als auch durch lange Erfahrung in dem, was dem gemeinen Besten nützlich sei, stattlich geübten Theologen, den ich stets als Vater ehren werde, zu Händen. Wie ich dasselbe gelesen; so hatte ich auch sogleich Verlangen, es gleichfalls durch den Druck mitzutheilen. Es fehlte mir zwar die ausdrückliche Erlaubniß, aber ich hoffe, daß er meine Kühnheit durch das Verlangen Jedermann damit zu dienen, nicht übel deuten werde.

Ich habe aber auch solches gelassen, wie es hier stehet, ob es wohl in ein oder zwei Stücken, nach unter uns billig zu behaltender Freiheit, von meinen Gedanken etwas abgehet; damit es dem Leser frei bleibe, der Sache reiflich nachzudenken, und allemal dasjenige, so er am geründetsten befindet, zu wählen. So gehen hiermit diese, mit der Arbeit Anderer vermehrten Blätter wiederum an das Licht, in keiner andern Absicht, als daß nur Jemand, und wenn auch nicht Viele, doch vielleicht Wenige, dadurch erbauet, ja wenn nichts anderes damit ausgerichtet würde, doch damit andere erleuchtete und von Gott mehr begabte Männer nur angefrischt werden möchten, diese wichtigste Arbeit, wie die wahre Gottseligkeit zu befördern, mit Ernst vorzunehmen und eine Zeit lang solches ihre vornehmste Arbeit sein zu lassen, daß sie heilsame Mittel nach der Regel göttlichen Worts ersinnen, untersuchen, und wie sie werkstellig gemacht werden möchten, reiflich nachdenken wollten.

Es hat früher der selige Dr. Joh. Georg Dorsch, - Prof. zu Rostock, st. 1659, - als einen heilsamen Rath die Orthodoxie zu erhalten vorgeschlagen, daß unter den academischen Lehrern eine vertrauliche, brüderliche Correspondenz eingeführt und unterhalten würde, woraus nicht Weniges zu hoffen wäre. Wie nun solcher Vorschlag nützlich und gut, und zu Erhaltung der reinen Lehre ersprießlich ist; also wird nicht weniger nützlich sein, wenn auch, was die Praxis und das Regiment der Kirche betrifft, eben solche Correspondenz sowohl unter den academischen, als auch den, den Kirchenämtern vorgesetzten Lehrern gepflogen, und theils mit privat, theils mit öffentlichen Schriften die Sache weiter zu bringen versucht würde.

Nun lasset uns Alle insgesammt dasjenige eifrig thun, wozu wir gesetzt sind, zu weiden die Gemeinde, die Gott durch sein eigen Blut, und also auf das Theuerste, erworben hat. Lasset uns gedenken, geliebte Väter und Brüder, was wir unserem Gott, da wir unsern Diensten gewidmet worden, versprochen haben und was daher unsere einzige Sorge sein müsse. Lasset uns gedenken an die schwere Rechenschaft, die uns von demjenigen bevorsteht, der die auf irgend eine Weise verwahrlos'te Seele von unsern Händen fordern will. Lasset uns gedenken, daß dermaleinst nicht werde gefragt werden, wie gelehrt wir gewesen, und solches der Welt vorgelegt haben; in welcher Gunst der Menschen wir gelebt, und dieselbe zu erhalten gewußt; in was für Ehren wir geschwebt und großen Namen der Welt hinterlassen; wie viel wir den Unsern Schätze von irdischen Gütern gesammelt, und damit den Fluch auf uns gezogen haben; sondern, wie treulich und mit wie ienfältigem Herzen wir das Reich Gottes zu befördern getrachtet, mit wie reiner, gottseliger Lehre sodann und würdigen Exempeln in Verschmähung der Welt, Verleugnung unsrer selbst, Aufnehmung des Kreuzes und NAchfolge unsers Heilandes wir unsrer Zuhörer Erbauung gesucht, mit welchem Eifer wir uns nicht nur den Irrthümern, sondern auch der Gottlosigkeit des Lebens widersetzt; mit welcher Beständigkeit und Freudigkeit wir die deswegen von der offenbar gottlosen Welt oder von falschen Brüdern zugestoßene Verfolgung oder Ungemach getragen und unsern Gott in solchen Leiden gepriesen haben. Lasset uns demnach dahin beflissen sein, daß wir die Mängel unsrer selbst und der Kirche immer weider untersuchen und die Krankheiten kennen lernen, aber auch die Mittel, mit eifriger Anrufung Gottes um seines Geistes Licht, erforschen und überlegen. Aber lasset uns auch dabei nicht stehen bleiben, sondern darnach trachten, das, was wir für nöthig und nützlich befunden haben, ins Werk zu sezten, wie es ein jeglicher bei seiner Gemeinde vermag. Denn wozu dienet sonst alle Berathschlagung anders, als zum Zeugniß über uns, wenn wir nicht begehren, dem Guten auch nachzuleben? Müssen wir darüber von Widriggesinnten etwas leiden; so lasset es uns ein um soviel gewisseres Merkzeichen sein, daß unser Werk dem Herrn gefalle, weil er es auch zu solcher Probe kommen läßt, und deswegen nicht müde werden, oder von unserm Eifer nachlassen. Lasset uns erstlich diejenigen am meisten befohlen sein, welche selbst noch willig sind, das, was man zu ihrer Auferbauung thut, gern anzunehmen; ein Jeder versorge vor Allen diese in seiner Gemeinde, daß sie mehr und mehr wachsen mögen zu dem Maaß der Gottseligkeit, damit nachher ihr Beispiel auch Andern vorleuchte, bis wir auch diejenigen, bei denen es zur Zeit noch verloren scheint, durch göttliche Gnade allmählig näher herbeibringen, damit auch sie endlich möchten gewonnen werden. Alle meine Vorschläge gehen fast einzig und allein dahin, wie den Folgsamen zuerst möge geholfen und Alles an ihnen gethan werden, was zu ihrer Auferbauung nöthig ist. Ist dieses geschehen, so mag nachher der Ernst gegen die Ungehorsamen mehreres fruchten. Lasset uns auch nicht gleich alle Hoffnung, Stang und Stab fallen lassen, ehe wir das Werk angreifen oder wenn es nicht gleich Anfangs den erwünschten Erfolg hat. Was bei Menschen unmöglich ist, bleibet bei Gott möglich! Gottes Stunde muß endlich kommen, wenn wir ihrer nur warten! Müssen Andre Frucht bringen in Geduld, so müssen auch wir unsere Früchte bringen und bei Andern die ihrigen befördern mit Geduld. Des Herrn Werk gehet wunderbarlich, wie er selbst wunderbarlich ist. Aber eben deswegen gehet es ganz verborgen, jedoch soviel gewisser, wo wir nicht nachlassen. Giebt didr dein Gott die Freude nicht, daß du sobald sehest den Nachdruck deiner Arbeit: vielleicht will er es dir verbergen, daß du dich dessen nicht überhebest. Es stehet Gras da, das meinest du etwa, es sei unfruchtbar Gras: thue du mit dem Begießen das Deinige ferner, es werden die Aehren gewiß endlich herauswachsen und zu seiner Zeit zeitig werden. Vielmehr lasset uns in solchem Fall, neben Fortsetzung unsrer Arbeit, die Sache dem Hausvater befehlen. Zu ihm eifrig beten, und auch dann zufrieden sein, was er uns für einen ERfolg von unsrer Arbeit wolle sehen lassen. Also lasset uns denn Alle mit herzlicher Andacht einander kämpfen helfen mit Gebet und Flehen, daß uns Gott wolle hier und da eine Thüre des Worts nach der andern aufthun, fruchtbarlich zu reden das Geheimniß Christi, daß wir darin freudig handeln und reden wie sich's gebühret und seinen Namen mit Lehre, Leben und Leiden verherrlichen. In der Versicherung solches meines armen, aber inbrünstigen Gebets und sowohl mit der Bitte, als Hoffnung gleichbrüderlicher Fürbitte, empfehle ich Allesammt in des großen Gottes Treue, Huld und Regierung.

Frankfurt am Main, den 8. Sept. 1675.

Philipp Jac. Spener, Dr.

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