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Schopf, Otto - Glaubens-Heldentum

Schopf, Otto - Glaubens-Heldentum

Und nun siehe, ich, im Geist gebunden, fahre hin gen Jerusalem, weiß nicht, was mir daselbst begegnen wird, nur daß der Heilige Geist in allen Städten bezeuget und spricht, Bande und Trübsale warten mein daselbst. Aber ich achte der keines, ich halte mein Leben auch nicht selbst teuer, auf daß ich vollende meinen Lauf mit Freuden und das Amt, das ich empfangen habe von dem Herrn Jesu, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes. Und nun siehe, ich weiß, daß ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet, alle die, bei welchen ich durchkommen bin und geprediget habe das Reich Gottes. Darum zeuge ich euch an diesem heutigen Tage, daß ich rein bin von aller Blut; denn ich habe euch nichts verhalten, daß ich nicht verkündiget hätte all den Rat Gottes.
Apostelgeschichte 20,22-27.

Unser Abschnitt gibt uns ein dreifaches Selbstporträt des großen Knechtes Jesu. Wir sehen ihn:

  1. Wie er hinausblickt in die Zukunft.
  2. Wie er in sich blickt und abrechnet mit der Gegenwart.
  3. Wie er zurückblickt in die Vergangenheit.

Wie ein Lokomotivführer hinausspäht in die Nacht auf die vor ihm liegende Strecke, wie ein wetterharter Seemann unbeweglich vorwärts schaut in die brandende See, wie ein Held ruhig und fest in den Kampf schreitet, so tut es hier der Knecht des Herrn. Er zeigt uns: „wie ein Christ, wo er ist, sich soll lassen schauen.“ Er erinnert uns an unsre Zukunft und fragt uns, ob wir daran denken und wie wir dem begegnen wollen, was unsrer wartet.

Welcher Art ist seine Zukunft? „Ich gehe nach Jerusalem, nicht wissend, was mir daselbst begegnen werde.“ Also er hat eine ungewisse Zukunft. Wie lastet das auf den meisten Menschen! Wie versetzt das in Unruhe! Wie trachtet jeder nach einer gesicherten Existenz! Wie scheut man sich vor einer Lage, die täglich Veränderungen bringen kann! Wie qualvoll sind die Tage und Nächte, die entscheidungsvollen Stunden vorausgehen! Wie plagt den einen die Sorge, ob er seine bisherige Stellung behalten, wo er seine nächste finden wird, den andern, ob seine oder seiner Angehörigen Krankheit schlimm oder von kurzer Dauer sein wird; ob er diesen Schritt wagen oder jenen unterlassen, hier ja und dort nein sagen soll! Wie klagen die Leute, daß sie so wenig Gewißheit haben in der Welt, daß man so oft nicht wisse, was man tun soll! Hier ist ein Mann, der ruhig davon spricht, daß er sich in einer sehr ungewissen Lage befinde, in einer Ungewißheit auf Leben und Tod!

Und zu der Qual der Ungewißheit gesellt sich in eigentümlicher Weise die Qual der Gewißheit! Soweit ist der Schleier gelüftet, der die ungewisse Zukunft verhüllt, daß er weiß: Bande und Trübsale warten meiner! O, wie legt sich eine solche finstere Gewißheit wie ein Alp auf die Seele! Wie wirft sie ihre Schatten lange voraus und läßt den Menschen die künftige Qual viele Male im Vorgefühl durchkosten, bis sie endlich wirklich kommt! Doch Paulus sieht die Gefahr kommen und geht ihr ruhig und fest entgegen.

“Siehe, ich gehe hinauf gen Jerusalem.“ Erinnert das nicht an das Wort des Meisters: „Siehe, wir gehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen Sohn wird den Hohenpriestern überantwortet werden…“ (Matth. 20,18)? Also wir sehen hier den Jünger wieder in des Meisters Fußtapfen.

Wie steht es nun mit uns? Haben wir auch eine ungewisse Zukunft? Allerdings, wir wissen nicht, ob wir morgen sein werden, was das nächste sein wird, was wir tun, sagen oder erleben werden. Gesundheit, Glück, Freundschaft, Freude, Arbeit, alles ungewiß und dazu noch Ungewißheit, die bei jedem verschieden ist.

Und dennoch eine feierliche Gewißheit, die einzige Gewißheit für den natürlichen Menschen: Der Tod und das Gericht. Wie fürchten sich die meisten Menschen, daran zu denken und davon zu reden, aber Tod und Gericht kommen doch, trotz aller Vogelstraußpolitik. Und dann hat auch jeder noch die eine oder andere traurige Gewißheit für sich und von sich. Auch der Christ hat sowohl an der Ungewißheit als auch an der traurigen Gewißheit teil, z.B. an der, daß wir müssen durch viel Trübsal ins Reich Gottes gehen. Aber welch ein Unterschied ist zwischen Glauben und Unglauben! In die dunkelsten Trübsalsnächte, wo der Nebel der Ungewißheit alle Sterne verdunkelt, strahlt den Glaubenden wie ein helles Licht das Wort und die Treue Gottes. Denn derselbe Heilige Geist, der uns damit vertraut macht, daß unsrer viele Trübsale warten, hat uns kund gemacht, daß wir durch sie ins Reich Gottes gehen, und daß nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes.

Aber hätte Paulus nicht ausweichen können und sollen? Gewiß hat er seiner Zeit zu Damaskus und später oft auf seinen Reisen es als seine Pflicht erkannt, den Trübsalen auszuweichen, so viel er konnte und so viel es im Interesse des Reiches Gottes war. Gewiß gibt es für uns Leiden, denen wir ausweichen dürfen und sollen, ja solche, die wir uns selber bereitet und von denen wir die demütigende Ueberzeugung haben, daß sie nicht vom Herrn, sondern von uns selbst herbeigeführt worden sind. – Aber hier war Paulus gebunden im Geist. Er mußte Juden und Judenchristen die Liebessteuern der Heiden und die Repräsentanten der Heidengemeinde zuführen. Er mußte diesen höchsten Liebesbeweis Israel bringen, daß er um ihretwillen auch vor den größten Leiden nicht zurückschrecke. Des irdischen Königs letzte Beweisführung sind die Kanonen; des Christen letzte Beweisführung die in Jesu Geist erlittenen Leiden. Erschreckt dich dies, mein Freund? Fürchtest du dich vor solcher Gebundenheit? O siehe, damit beweisest du, daß du jedenfalls mit den schimpflichsten Banden der Fleischeslust, die im geheimen so drangsalieren, mit den Goldfäden der Geldliebe, die Herz und Gewissen umschnüren, mit den Lorbeergewinden der Eigenliebe oder mit den Ketten der Menschenfurcht. Ja er, Paulus, war gebunden. Gebunden mit Seilen der Liebe, gebunden an seinen Herrn. Er konnte nicht loskommen von seines Meisters Fußstapfen. Das herrliche Ziel zog ihn an wie ein Magnet. Er fühlte, daß seine hohe Würde als Königskind, daß Gottes tiefe Herablassung zu ihm, dem vornehmsten Sünder, ihn binde. Und so zog er ruhig hinaus gen Jerusalem. Und wir wissen heute, er hatte allen Grund, ruhig zu ziehen. Wenn wir die Apostelgeschichte und die Briefe Pauli lesen, dann sehen wir, welchen Segen für Jahrtausende diese Zeit der Trübsal der Gemeinde Gottes brachte.

Aber wir können noch mehr finden, was uns zum Verständnis der Ruhe des Apostels im Angesicht einer in verschiedenen Beziehungen dunklen Zukunft verhilft. Vers 24 gibt uns den Schlüssel; dort bezeugt er: Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben als teuer für mich selbst.

Nichts ist dem Durchschnittsmenschen teurer als sein Leben. Ja, es ist der Kampf ums Dasein, der Instinkt, das eigene Leben zu retten, eine der stärksten Triebfedern im menschlichen Wesen. Viele würden nicht arbeiten, wenn es nicht um ihr Leben ginge. Manche Leute bringen die meiste Zeit ihres Lebens damit zu, darüber nachzudenken, was ihrer Gesundheit heute nützen oder schaden könnte, und machen so diese Gottesgabe zu einem Götzen. Aber ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben, sagt Paulus im Gegensatz zu ihnen.

Wir begreifen schnell und leicht, daß, wenn sein Leben ihm nicht teuer ist, er nicht vor dem Tode zittert. Das ist aber nicht jene Lebensmüdigkeit, die Sünde und Elend und Leidensscheu herbeiführen. Nein, er weiß ja noch gar nicht, ob der Tod seiner wartet, er weiß nur, daß Leiden und Trübsale ihm bevorstehen. Die Seefahrerstädte unseres Vaterlandes hatten und haben zum Teil noch den Wahlspruch: Zu leben ist nicht notwendig, aber es ist notwendig, Schiffahrt zu treiben. Sie meinen damit, daß ihre Existenz von der Schiffahrt abhängt. Nun, so geht es auch dem Apostel Paulus. Er könnte sagen: Zu leben ist nicht notwendig, aber meines Herrn Willen zu tun ist notwendig.

„Ich nehme nicht Rücksicht auf mein Leben,“ das ist die Antwort des Glaubens auf das Wort Jesu: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren, und wer es verliert um meinetwillen, der wird es behalten zum ewigen Leben.“ Es ist das Beispiel der Tat zu dem Wort, das er den Korinthern geschrieben hat: Christus ist darum für alle gestorben, auf daß die, so da leben, hinfort nicht mehr ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Ach, wir lernen es in Jesu Schule, daß es vielfache Torheit ist zu sprechen von unserm Leben als von etwas, was uns gehört. Wir haben es uns nicht gegeben und können es auch nicht festhalten. Ist es denn unter solchen Umständen unser Leben? Es ist, als ob ein Teich im Blick auf die Wasserfülle, die der Bach ihm zuführt, meine, er könne ohne den Bach leben, als ob ein Säugling sich selbständig machen wollte. Ach nein, alle Menschen, Bekehrte und Unbekehrte, Dankbare und Undankbare, Anbeter und Lästerer, sie haben alle ein geschenktes Leben, das zu nähren Gott täglich seine milde Hand auftut und das am Ende ist, wenn Gott seinen Lebensodem zurückzieht.

Was ist denn dein Leben und mein Leben, wenn wir herausnehmen, was Gott uns gegeben hat? Wenn wir die Gaben, die Gelegenheiten, Hilfen und Bewahrungen, die Gott uns schenkte, abrechnen, dann ist es eine Kette von sündigen Freuden, sündigen Taten und Unterlassungen, von Torheiten und Unglückseligkeiten, von Enttäuschungen und schlechten Beispielen. Das ist dein und mein Leben.^

Wenn wir sehen, wie die Leute fortwährend auf ihr Leben Rücksicht nehmen, sich aber dadurch ihr Leben verbittern, so könnte man lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre. Sie bringen ihre Zeit zu mit Sorgen, und wie schlecht ist gesorgt, können sie doch nicht einmal ihrer Länge eine Elle zusetzen! Sie wahren ihre Rechte und verfeinden sich dadurch mit den Menschen. Sie suchen ihre Bequemlichkeiten und werden anderen unbequem. Sie fordern Liebe und haben in ihrer Eigenliebe alles Saatkorn der Nächstenliebe aufgegessen. So sind sie verfeindet mit andern und stehen beiseite, und wenn sie einmal ein wenig Freude haben, ist es gewiß nicht ihre Schuld. Wie viele Herzen und Hände stehen aber dem zur Verfügung, der zuerst an andere denkt! Wie viele hat Paulus gehabt, die für ihn lebten und sorgten!

Und wie fruchtbar war sein Leben! Es war ihm nicht teuer für ihn selber, aber er wußte, daß es teuer war für die Gemeinden und teuer für den Herrn, für den er arbeiten und leiden durfte. Er wußte, der sicherste Weg, um das Ziel seines Berufes, das herrliche, himmlische Kleinod zu erlangen, war, daß sein Leben abnahm, weil dann Christi Leben in ihm zunahm. Je mehr sein Wille zurücktrat, trat Christi Wille hervor. Je mehr seine Weisheit schwieg, redete die Weisheit Christi. Ach, daß auch wir, die wir bekennen Christi und Pauli Nachfolger zu sein, uns prüfen, ob wir zu denen gehören, die vor lauter Gesundheits-, Bequemlichkeits-, Geschäfts- und Heiratsgedanken und dergleichen den Herrn und seinen Dienst vergessen haben. Gläubige Eltern, die für ihre Kinder recht sorgen wollen, mögen sie in erster Linie da lehren, nicht auf ihr Leben Rücksicht zu nehmen sondern auf den Beruf und den Dienst des Herrn und der Brüder. Nicht um Worte handelt es sich hier, sondern um Taten, um die Gesinnung, die um jeden Preis, zu jeder Zeit und mit allen Mitteln Christo dienen will. Haben wir diese Gesinnung?

Und dieser Dienst ist so herrlich, der macht das Leben so reich. Es ist der Dienst, das Evangelium von der Gnade zu bezeugen. Ach, das ist ein nachdenkenswerter Gegenstand, und indem wir die Herrlichkeit des Herrn anschauen, spiegelt sie sich in uns wieder.

Also, meine Lieben, wer recht um sein Leben und um sein Glück besorgt ist, der lerne nicht darum zu sorgen, dann wird er sein Ziel erreichen. Das ist das Geheimnis und der Ruhm des Apostels im Blick auf die Zukunft, daß er weiß, mein Leben ist nicht mehr mein, und daß der, dem er es rückhaltlos anvertraut, das anvertraute Gut bewahren wird auf göttliche, herrliche Weise.

Wie sieht es gegenwärtig bei dir und mir aus? Ist unser Herz auch so still? Wenn ja, ist es still aus demselben Grunde wie bei dem Apostel, oder etwa weil wir ein betäubtes, schlummerndes Gewissen haben? Und wenn unser Herz nicht stille ist, so ist es sicher deshalb nicht stille, weil wir es noch nicht gelernt haben, unser Leben rücksichtslos in die Hand des Herrn zu legen. Dann aber ist nicht nur unsere Gegenwart traurig und unglückverheißend, sondern dann ist zu befürchten, daß unsere Vergangenheit nicht in Ordnung ist. Denn wir werden täglich durch unsern Mangel an Selbstlosigkeit Unruhestoff für die Gegenwart und die Zukunft zusammengetragen haben. Auch in diesem Stück ist der Apostel vorbildlich. Er hat nicht nur eine Zukunft vor sich, über deren letzten Ausgang er ruhig sein kann, er hat nicht nur eine geordnete Gegenwart, sondern auch eine geordnete Vergangenheit.

“Ich bezeuge an diesem Tage, daß ich rein bin von euer aller Blut.“ Nicht als ob er ausdrücklich betonen wollte, daß er keinen erschlagen oder körperlich verletzt habe, nein, er meint mehr. Er hat ein hochentwickeltes Verantwortlichkeitsgefühl. Er ist kein Kain, der spricht: Soll ich meines Bruders Hüter sein?; kein Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht; wenn er andere vom Sündigen abhalten könnte und sollte; kein Priester, der zu andern spricht: Da siehe du zu. Er war von dem Bewußtsein tief durchdrungen, daß wir für andere verantwortlich sind.

Haben wir auch ein solches Verantwortlichkeitsbewußtsein? Wissen wir, was wir unserer Umgebung schuldig sind? Vielleicht haben manche von uns nicht nur selbst gesündigt, sondern auch durch ihr Beispiel noch andere zum Sündigen veranlaßt oder auf ihrem verkehrten Wege bestärkt und sind so mitverantwortlich, daß andere sich nicht bekehren. Andere haben vielleicht selbst nicht gesündigt, aber sie haben andere nicht gewarnt und ihnen das Evangelium nicht verkündigt. Oder wir haben das Evangelium verkündigt, aber nicht mit dem heiligen Ernst, nicht in der Kraft Gottes, nicht in seiner ganzen Fülle, so daß unsre Hörer nicht das Empfinden hatten, als handelte es sich uns um die höchste, heiligste und wichtigste Sache. Paulus konnte sagen: Ich bin rein. Können wir das auch sagen? Und wenn wir uns von Schuld beladen und belastet finden, wo finden wir dann Reinigung? Wo finden wir dann Vergebung und Ruhe, wo Gnade und Kraft zu neuem Kampf und Sieg? Einzig und allein bei dem, der da ist und der da war und der da kommt. Er, der für uns gestorben und auferstanden ist, der uns erlöset hat, wird uns erlösen und uns aushelfen zu seinem himmlischen Reich.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1913

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