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Schmitz, Richard - Frei vom Gesetz

Schmitz, Richard - Frei vom Gesetz

Das Gesetz aber ist neben eingekommen, auf daß die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden.
Römer 5, 20

Beide Male, zu Anfang und zum Schluß der Erörterung von der Rechtfertigung durch den Glauben, redet der Apostel vom Gesetz; sie ist von diesen beiden Aussagen umrahmt. Es heißt Römer 3, 21: „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit geoffenbart“ und in Abschnitt 5, 20: „Das Gesetz aber ist neben eingekommen, auf daß die Sünde reichlich werde; wo aber die Sünde reichlich wurde, ist die Gnade überreich geworden.“ Es wird beide Male verneint, daß das Gesetz etwas zur Rettung des Menschen beitrage oder die Sünde in der Welt aufhebe und dem Menschen zur Gerechtigkeit verhelfe. Wenn nun dem so ist, dann ist vom Gesetz her keine Hilfe zu erwarten. Es läßt den Menschen, wie er ist, und kümmert sich nicht darum, ob er zugrundegehe. Es hat dies mit dem inneren Wesen des Gesetzes nichts zu tun; gerade deswegen, weil es heilig ist, steht es zum Menschen, der fleischlich ist, im unversöhnlichen Gegensatz. Was es befiehlt, ist richtig und gut; aber es gibt dem Menschen keine Kraft, es zu tun. Was hilft es, einem Eselchen zu befehlen, einen Eisenbahnzug zu ziehen, oder zu einem Wurm zu sagen: Erhebe dich aus dem Staube! Das Gesetz trägt weder zur Erneuerung noch zur Seligkeit des Menschen etwas bei; es ist für dessen sittliche und religiöse Belange beiseitegestellt. Wir reden hier nicht vom Gesetz als dem göttlichen Willensausdruck, sondern von seiner geschichtlichen Stellung im Gnadenhaushalt Gottes. Der Apostel sagt: „Das Gesetz ist nebeneingekommen“ Es ist auf den Weltschauplatz getreten neben einer Entwicklung, die seit Adam bereits bestand und die es nicht unterbrechen oder aufhalten konnte. Das Gesetz war nicht aus dem geschichtlichen Verlauf der Gnadenanstalt Gottes organisch herausgewachsen, so daß es zu ihr gehörte; es hatte nur zwischenzeitliche Bedeutung; es sollte bei dem Gesetze nicht bestehen bleiben.

Weil das Gesetz aber von Gott gegeben ist und er nichts ohne Absicht tut, muß sie auch dem Gesetz beigemessen werden. Sie besteht aber nicht darin, daß der Mensch durch das Gesetz fromm werde, sondern umgekehrt, daß er komme zur Erkenntnis der Sünde (3,20). Das Wort „Erkenntnis“ ist hier durch eine Vorsilbe verstärkt; es ist gemeint das Anerkenntnis, Gott gegenüber schuldverhaftet zu sein. Schon die Begleiterscheinungen, die bei der sinaitischen Gesetzgebung zutagetreten, sollten dies deutlich machen; selbst Mose sprach: „Ich bin erschrocken und zittere!“ Der Abstand des sündigen Menschen gegenüber dem heiligen Gott, der bestehende klaffende und unüberbrückbare Riß zwischen ihm und dem Menschen wurde aufgetan. Es wurde die Sünde zur verdammenden Übertretung gemacht, und auf dem Berge Ebal wurde der Fluch ausgesprochen über jeden, der „nicht halte alle Worte des Gesetzes, daß er danach tue“ (5. Mose 27, 26).

Dies ist auch der Sinn der Worte: „auf daß die Sünde mächtiger (reichlich) werde“ (Abschnitt 5, 20). Nicht als ob der Mensch schlechter werde, als er ist, sondern es sollte vielmehr der wahre Grund seines Herzens zum Vorschein kommen, die innere Krankheit, der Aussatz, ;nach außen treten, damit ihm geholfen werde. Indem das Gesetz den Dienst leisten sollte, die Sünde zu mehren, sollte sie als Übertretung an den Pranger gestellt werden. Das Vermehren der Sünde war nicht eine wirkliche Steigerung, sondern eine völligere Offenbarung des schon vorhandenen Bösen.

Weil aber nach göttlicher Absicht das Gesetz nur zur Erkenntnis der Sünde und zum Offenbarwerden der Sünde als schuldhafte Übertretung zu führen bestimmt ist, kann es auch nicht den Fluch abwenden und die Gerechtigkeit bringen, die der Mensch vor Gott haben soll, wie sehr er sich auch anstrengen mag. Hat aber das Gesetz den Menschen nicht zur Gerechtigkeit geführt, so ist erwiesen, daß Gott es auch nicht zu diesem Zweck gegeben hat. Hierher gehört das tiefe Wort: „Gott hat alle verschlossen in dem Ungehorsam, auf daß er sich aller erbarme“ (Römer 11, 32), oder, wie es Galater 3, 22 heißt: „auf daß die Verheißung komme aus dem Glauben an Jesus Christus“. Um im Bilde zu bleiben, gibt es für jeden einzelnen Menschen, wer es auch sei, nur einen einzigen Ausgang, durch den er aus diesem Verschluß entrinnen und in die ewige Seligkeit eingehen kann: der Glaube.

Der Apostel sagt: „Wo aber die Sünde reichlich geworden ist, da ist die Gnade überreich geworden“ (5, 20). Gesetz und Gnade schließen einander aus; das Gesetz hat seine Schuldigkeit getan; es kann gehen. Gottes Absicht war, dem selbstfrommen Gesetzeswerk für immer den Weg zur Seligkeit zu verbauen, damit sie sei au» Gnaden; nur dieser Weg kann beschritten werden. Damit ist aber die Gnade überreich geworden, daß sie nicht bloß die Übertretung Adams mit ihrem Gerichtsverhängnis, sondern auch die durch das Gesetz gesteigerte Sündenschuld abgetan. Die Gnade hilft aus vielen Sünden zur Gerechtigkeit, unabhängig von dem Verhalten oder verdienstlichen Tun des Menschen; das Gesetz bleibt ganz unbeteiligt.

Deutlich wird dies in Abschnitt 10, 4 ausgesprochen; „Christus ist des Gesetzes Ende (Vollendung).“ In Christus hat das Gesetz seine Erfüllung gefunden: „Wer an ihn glaubt, der ist gerecht.“ Daran kann gottlob in Ewigkeit nichts geändert werden. Die Ansprüche des Gesetzes sind durch den Sühntod Jesu rechtskräftig erloschen; es kann jetzt nicht mehr verdammen. Frei vom Gesetz! Bei unserer Gerechterklärung von Gottes Seite darf das Gesetz nicht mitreden. Es ist ein für allemal für unvermögend erklärt, dem Menschen zu helfen; anders hätte Jesus nicht zu sterben brauchen. Für verdienstliche Werkelei bleibt kein Raum. Sie zu fordem, hieße das Opfer Christi verkürzen. Gott kann es sich nicht gefallen lassen, daß der Mensch zum Erwerb der Seligkeit etwas beitrage. Das Christusheil ist vollkommen und erleidet keine Zutaten. Frei vom Gesetz! Das ist der Grundpfeiler des Evangeliums Gottes!

Das gesetzesfreie Evangelium hat vollends ein Ende gemacht mit den mosaischen Verordnungen, die neben den zehn Geboten bestanden und die - wie auch die Beschneidung - nur Israel gegeben waren. Sie hatten nur weissagende Bedeutung auf Christus und den neuen Bund hin; sie sind als bildhafter Schattendienst abgetan, nachdem das Wesen der Dinge Wirklichkeit geworden. Wir sehen in den apostolischen Briefen, wie auch damals der Kampf nicht allein wider jene mosaischen Verordnungen gerichtet war, sondern gegen die sogenannten Mitteldinge und sonstige Werkelei überhaupt, insofern man sie neben den Glauben stellte. Hieran ist auch bei dem Wort „Gesetz“ immer mitgedacht, wenn es der Apostel ohne Artikel setzt, wie dies auch in der Grundstelle Römer 3,21 der Fall ist. Nicht nur die Juden hatten neben dem mosaischen Gesetz ihre vielen hundert „Aufsätze“, deren Beobachtung den Ruf besonderer Frömmigkeit genoß, dieser Trieb sitzt in jedem Menschen. Es ist in der menschlichen Natur begründet, sich wenigstens eine äußere Frömmigkeit zu machen, wenn man eine innere nicht hat. Selbst bis in die christlichen Kreise hinein besteht diese „Gesetzesmacherei“ fort. Es ist nicht zu sagen, bis zu welcher Meisterschaft es hierin jemand bringen kann. Der Apostel redet von Luftstreichen und von Grundsätzen der Welt, der selbsterwählten Geistlichkeit derer, die nach „eigener Wahl“ einhergehen, die hohl und aufgeblasen sind in ihrem fleischlichen Sinn und sich um den Siegespreis bringen (Kolosser 2,16-23).

Jene falsche Gesetzlichkeit ist nicht so unschuldig und harmlos, wie es aussieht. Man muß nur die Gewissensnöte oft redlicher Seelen kennen, die sich bemühen, durch enthaltsame Lebensweise und Bußübungen allerlei Art eine „Heiligkeit“ zu erlangen, die nicht nur nicht weiterhilft, sondern das Fleisch stärkt und nährt. Man macht für sich zur Sünde, was nicht Sünde ist, und sucht eine Frömmigkeit in Dingen, von denen im Worte Gottes nichts steht. Man begibt sich damit unter Gesetz und erntet Fluch. Das Gewissen bleibt unter ständigem Druck und kommt nicht zum Aufatmen. Gesetz hat es eben an sich, daß es nimmer zufrieden ist. Woher es auch kommt, daß es unerbittlich weiter fordert, ob der Mensch auch bei den verarmenden Übungen, in die er sich begeben, innerlich zugrunde geht. Weil es einmal so ist, daß das Gewissen des Menschen mit nichts weniger zufrieden ist, als womit Gott zufrieden ist, so kommt es auch nur zur Ruhe im Blute Jesu. Der Apostel sagt: „Wisset, daß dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist“ (l. Timotheus l, 9); er steht auf Gnadenboden, wo er es sich gefallen lassen muß, „umsonst geliebt“ zu werden. Es bleibt dabei, was der Apostel schon zu Beginn seiner Erörterungen über die Rechtfertigung durch den Glauben sagt: „Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht, sondern allein durch den Glauben“ (Römer 3, 20). Deshalb steht für Gotteskinder geschrieben: „Lasset euch nicht mit mancherlei und fremden Lehren umtreiben; denn es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch Speisen, davon keinen Nutzen haben, die damit umgehen. Wir haben aber einen Altar, davon nicht Macht haben zu essen, die der Hütte pflegen“ (Hebräer 13,9.10). Nur nebenbei sei bemerkt, daß das Gesetz der zehn Gebote als Ausdruck des heiligen Willens Gottes ewig bestehen bleibt. Der Heilsplan Gottes in Christus ist ja zu dem Zweck geschaffen, damit die Rechtsforderungen dieses Gesetzes in uns erfüllt werden (Römer 8, 4). Sie sind aber keine Vorschrift, die machtlos über uns bleibt, sondern sie wohnten als Trieb und Kraft in denen, die unter die Herrschaft des Heiligen Geistes gebracht sind.

Doch hiervon ist vorliegend nicht die Rede, sondern von der Frage, wie der Mensch die Gerechtigkeit Gottes erlangt.

Zu aller Zeit lautet die Grundfrage alles Heils einfach: Wie werde ich gerecht vor Gott? Sie ist die Frage aller Fragen; sie stellt die Ewigkeit hinein in die Zeit. Wir sind ihr nachgegangen und hoffen, daß der Leser nicht nur erkenntnis- oder bekenntnismäßig zugestimmt, sondern Anlaß genommen hat, selber mit Gott ins reine zu kommen, sofern er es noch nicht war. Wer es aber war und weiß, daß er von der Rechtfertigung durch den Glauben täglich leben muß, kehrt immer wieder gern zu ihr zurück; denn „Christus für uns“ ist die Felsenburg, wo allein der Glaube sicher ruht. Er weiß es auch, daß, solange wir noch im Pilgerkleide wallen und solange es noch heißt: „Nicht sehen und doch glauben“, keine Wahrheit so leicht abhanden kommt wie die von der freien und allgenugsamen Gnade.

Der „Fürst unter den Predigern“, der unsterbliche Londoner Baptistenprediger C. H. Spurgeon, bekannte auf seinem Sterbelager: „Die Theologie ist für mich jetzt recht einfach geworden; sie besteht nur aus vier Worten: „Jesus starb für mich!“ Prälat Bengel war einstmals längere Zeit in innere Dunkelheit geraten, so daß er nicht einmal mehr beten konnte; er kam wieder zurecht und konnte jubilieren, als ein kleines Kind vor ihm die Händlein faltete und einfältig das Lied hersagte:

Christi Blut und Gerechtigkeit,
das ist mein Schmuck und Ehrenkleid;
damit kann ich vor Gott bestehen,
wenn ich zum Himmel werd eingehen.

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