Schmitz, Richard - Die Rechtsordnung des Glaubens

Schmitz, Richard - Die Rechtsordnung des Glaubens

Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz. So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Römer 3, 27. 28

Der Apostel hatte gesagt, daß Gott in freiem Entschluß, wozu ihn niemand gedrängt und an dem niemand mitwirkt, an seinem einigen Sohn zur Sühne der Welt Sünde seiner vergeltenden Gerechtigkeit freien Lauf gelassen habe, damit er rechtfertige den, der des Glaubens ist an Jesus, und dabei doch selber gerecht bleibe. Nun macht er hierzu die Anwendung. In bewegter Stimmung drängen sich die Fragen und Antworten aneinander, die wegen ihrer Kürze um so wuchtiger wirken. Er sagt: „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz“ (27). Der Apostel will ins Licht setzen, wie es bei dem Verfahren, das Gott eingeschlagen, mit dem Ruhm des Menschen bestellt sei; es ist ihm wichtig genug, darauf einzugehen.

Woher kommt es wohl, daß der Mensch, der so tief gefallen ist und wahrlich Ursache genug hat, seine Hand auf den Mund zu legen, auf nichts mehr bedacht ist als auf seinen Ruhm? Und daß er aufs heftigste sich wehrt, wenn dieser geschmälert wird, ja, daß er in Zorn entflammt und auf Rache sinnt, wenn jemand sein wertvolles Ich antastet? Zugestanden, daß das dem Menschen verbliebene Ehrgefühl ihm zum Schutz gegeben ist, damit er es zu ehrenrührigen Handeln, Verbrechen und Lastern nicht kommen lasse, ist aber überstarke und alle Gefühle verdrängende Selbstliebe mit der unstillbaren Sucht nach Ehre und Ruhm das Hauptmerkmal seines tiefen Gefallenseins. Alle anderen Sünden wurzeln mehr oder weniger im niederen Seelenleben, aber die Ehr- und Herrschsucht, sich rücksichtslos durchzusetzen, hat ihren Sitz im menschlichen Geist, und damit ist das Höchste im Menschen der Verderbnis anheimgefallen. Diese übersteigerte Selbstliebe lebt aber wieder von dem Selbstbetrug, etwas Besonderes zu sein; es erinnert dies an den blinden Wahn eines Irren, der sich einbildet, eine hohe Persönlichkeit zu sein und in Wut gerät, wenn man ihn nicht anerkennt. Denken wir daran, daß das Grundwesen Satans Hochmut und Lüge ist, so ist nicht zu verkennen, daß der Mensch mit seinem Fall satanisches Wesen in sich aufgenommen hat.

Diese Selbstliebe - wie wir es kurz nennen - hüllt sich in religiöser Hinsicht gern in das Gewand der Frömmigkeit, wenn nicht nach dem Wesen, so mehr nach der Form. In ihr geht meist alle Frömmigkeit auf; sie wird damit zur Scheinheiligkeit. Wir kennen sie, und selbst auf christlichem Gebiet wagt sie sich hervor, um etwas zu gelten, was man nicht ist oder um sein frommes Ich neben die Gnade zu stellen, anstatt seine Zuversicht zu Gott allein auf Christus und sein Verdienst zu gründen. Frommer Selbstbetrug und satanische Selbstbespiegelung! Gott kann sich den Raub seiner Ehre nicht gefallen lassen; darum konnte dem Menschen nur eine Hilfe kommen, die zugleich seine Selbstherrlichkeit vernichtete. Ohne Selbsterkenntnis keine Christuserkenntnis! Wehe aber dem, der dem Menschen die Krone abreißt und ihn bar alles Guten zeiht! Wie machte man es gegenüber Jesus? Glühender Haß loderte hell auf, als er die Wahrheit sagte, und man war fromm genug, für den teuflischen Beschluß, ihn zu töten, Worte zu gebrauchen, die aus Gottes Mund gegangen. Die Grundsünde der Selbstliebe des Menschen, die er hütet wie sein Leben, hier die scheinheilige Frömmigkeit, war es, die den heiligen Gottessohn den Gang nach Golgatha antreten ließ. Weil die Hauptsünde in der satansverwandten Selbstüberhebung und Lüge besteht und diese Selbstbehauptung im Grunde wider Gott gerichtet ist, kann dem Menschen erst geholfen werden, wenn er zur Besinnung kommt und in sich schlägt. Sinnesänderung beginnt da, wo die eigene Geltung, der Selbstruhm, zu Grabe getragen wird. Die enge Pforte ist klein, und nur gebückt kommt man hindurch. Diese Gebücktheit bleibt fortan der Grundzug seines Wesens. Der Mensch ist vor sich selber wahr geworden. Die Selbstbelügung, damit die alte Selbstvermessenheit, ist zu Ende. Man kann nicht mehr darauf pochen, wie herrlich weit man es gebracht hat und was man geworden ist. Selbstverblendung, wo man sie auch antrifft, ist schon Gericht Gottes hienieden, da sie immer durch Abwehr und Zurückdrängen der Wahrheit schuldhaft entsteht. Gott sieht an den Elenden und der sich fürchtet vor seinem Wort. Er, der Erhabene, der da wohnt in der Höhe und im Heiligtum, hat sich so hoch gesetzt, daß er - wie Luther schön sagt nicht über oder neben sich sehen kann, denn es ist ihm niemand gleich; aber er schaut niederwärts auf die, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf daß er erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen (Jesaja 57,15).

Nun zurück zu unserer Stelle. Dem Apostel kommt alles darauf an, zu erweisen, daß der Mensch gerechtfertigt wird allein durch den Glauben. Von diesem Gedanken ist er auch geleitet, wenn er die Frage nach dem Ruhm des Menschen stellt. Zuerst hat er hierbei die Juden im Auge, die in ihrer Vermessenheit auf die Beschneidung und gesetzlichen Übungen sich etwas zugutehielten. Ihnen sagt er: „Siehe zu, du heißest ein Jude und verlassest dich auf das Gesetz und rühmst dich Gottes“ (2, 17), muß ihnen dann aber vorhalten: „Du rühmst dich des Gesetzes und schändest Gott durch Übertretungen des Gesetzes (2, 23). Geradezu sagt er dann: „Wie nun? Haben wir einen Vorteil? Gar keinen! Denn wir haben droben bewiesen, daß beide, Juden und Griechen, alle unter der Sünde sind“ (3, 9). Fortan wendet er sich nicht an die Juden allein, sondern an Juden und Heiden gleichermaßen; so auch - wie aus Vers 29-31 hervorgeht - in der vorliegenden Stelle: „Wo bleibt der Ruhm: Er ist ausgeschlossen. Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz“ (27).

Es mag befremden, daß der Apostel hier von einem Glaubens-Gesetz redet und dies dem Werk-Gesetz gegenüberstellt. Es ist die einzige Stelle, wo er sich dieser Ausdrucksweise bedient, und sie ist gewählt, um den Gegensatz von Werk und Glauben schärfer hervortreten zu lassen. Ein Gesetz ist da, wo etwas verordnet, ein bindender Wille bekundet wird. Der Sinn wird daher auch deutlicher, wenn man übersetzt: „Gesetzesordnung“ und „Glaubensordnung“. Im ersteren Falle wird das Verhältnis zu Gott durch ein Tun des Menschen, im ändern Falle durch den Glauben bestimmt, der ein Tun des Menschen ausschließt. Die Worte „Gesetz“ oder „Ordnung“ (Rechtsordnung) sind hier in der Bedeutung einer rechtlichen „Norm“ gebraucht als einer über dem Menschen stehenden Macht, die sich ihm aufdrängt und der er nicht ausweichen kann, ohne unter ein Urteil zu fallen, sei es günstig oder ungünstig. Sobald der Mensch sich unter die Rechtsordnung des Gesetzes stellt, steht er unter dem Gericht; denn hier waltet das unerbittliche Recht, das den Übertreter verurteilt. Sobald der Mensch aber sich unter die Rechtsordnung des Glaubens begibt, steht er unter den Wirkungen der Sühntat aus Golgatha; hier waltet die Gnade, die den Übertreter freispricht. In Abschnitt 4 sind diese beiden göttlichen Rechtsordnungen auseinandergehalten, und es ist hier gezeigt, daß die Rechtsordnung des Glaubens vor der des Gesetzes beständen hat und durch diese nicht aufgehoben ist, wie auch David durch sie der Vergebung der Sünden gewiß war.

Während der Apostel in Abschnitt 4 die Rechtsbeständigkeit der Rechtfertigung durch den Glauben herleitet aus dem Vorrecht, dem Vorrang der Rechtsordnung des Glaubens gegenüber der des Gesetzes, das vierhundert Jahre später gegeben, so bringt Römer 3, 27 einen anderen Beweis. Er wird hier hergenommen aus der Stellung, die der Mensch als Geschöpf zu Gott einnimmt; wir können auch sagen: aus der Stellung Gottes zu ihm.

Der Apostel geht davon aus, daß eine Hilfe, wenn sie von Dauer wirksam sein könne, für den Menschen keinen Ruhm übrig lassen dürfe. Jedes Mitwirken des Menschen zum Heil muß ausgeschlossen bleiben, weil anders in den Ewigkeiten der Ewigkeiten Gott nicht alles in allen ist, auch der Mensch, der 2u Gott hin geschaffen und auf ihn angelegt ist, seine volle Bestimmung nicht finden und die sittliche Weltordnung gestört und gefährdet sein werde.

Was sagt der Apostel aber nun vom Gesetz? Er sagt, daß das Gesetz es darauf abgesehen habe, Ruhm zu geben, indem es auf Leistungen des Menschen abzielt, was er kann und tut. Nun hat aber das Gesetz versagt und den Menschen im Stich gelassen, womit erwiesen ist, daß allein die Rechtsordnung des Glaubens unter Beiseitesetzung menschlichen Tuns dem Menschen in seiner aussichtslosen Lage volle Hilfe zu bieten vermag. Der Glaube rechnet eben mit dem, was Gott getan hat, und der Mensch kommt damit zurecht. Unter der Rechtsordnung des Gesetzes traue ich mir zu, daß ich durch mein Tun die Gerechtigkeit erreichen und von Gott als gerecht anerkannt werde. Unter der Rechtsordnung des Glaubens erkenne ich an, daß mir als Gottloser die Gerechtigkeit durch den Glauben zugerechnet wird. Für Selbstruhm ist hier kein Raum; damit wird die Grundsünde, von der wir eingangs geredet, in ihrer Wurzel getroffen. Der kluge Heide steht als Narr da; der fromme Jude als Übertreter (l. Korinther l, 23). Die Ohnmacht muß offenbar werden: „auf daß sich vor Gott kein Fleisch rühme“ (29). Das heilige Majestätsrecht Gottes erheischt es, daß in Ewigkeiten seine Ehre gewahrt bleibe. Darum kann nur auf den Trümmern menschlicher Eigengerechtigkeit der Neubau göttlicher Gnade erstehen. - Paulus hat, wie kein anderer, tief hineingeschaut in die Geheimnisse Gottes, und er sagt: „Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich aller erbarme; denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!“ (Römer ll,32.36;vgl.Galater3,22).

Noch einmal faßt der Apostel sein Zeugnis, das Inhalt seines Lebens geworden, zusammen mit den Worten: „So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerechtfertigt werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (28). Die Worte: „So halten wir dafür“ lauten genauer bestimmt: „So rechnen wir damit“, d. h. wir machen nach Abwägen aller Gründe den bündigen Schluß; wer anders denkt, hat die Schrift nicht verstanden. Wer kann von dem naturhaft gebundenen Fleisch überhaupt Leistungen fordern, die Gottes würdig sind? Auch die besten Werke bleiben mangelhaft, und wenn der Mensch den höchsten Grad der Heiligung erlangt, bleibt er schuldig. Auch auf die größere oder geringere Stärke des Glaubens kommt es nicht an, sondern allein auf seine Bezogenheit auf Christi Person und sein Werk. Nur die gottgeschenkte Gerechtigkeit kann Grund unserer Seligkeit sein. Wie hätte auch der Schacher ohne solche freie und allgenugsame Gnade in letzter Stunde mit Jesu eingehen können ins Paradies? Für jeden Sünder, der Jesu Sühntat auf Golgatha für sich in Anspruch nimmt, ist volles Heil bereit. Und Gott trägt den Freispruch nicht bei sich selbst in der Heimlichkeit seines Herzens; er drückt ihn in unser Gewissen, und er hält ihn auch wach im künftigen Gericht. Die Rechtfertigung durch den Glauben ist und bleibt das Herzstück des Evangeliums. Gelobt sei Gott!

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