Schmitz, Richard - Die Gerechtigkeit Gottes

Schmitz, Richard - Die Gerechtigkeit Gottes

Wir stehen alsbald an der Schwelle eines Geheimnisses Gottes. Sagt nicht der Apostel schon im ersten Abschnitt des Römerbriefes, in dem er redet von der „Gerechtigkeit Gottes“, daß diese geoffenbart werde im Evangelium von Christus (17)? Kann sie Gegenstand einer Frohbotschaft sein? Gerechtigkeit, deren angemessener Ausdruck der Zorn Gottes ist wider alles gottlose Wesen? Wie ist das möglich? Wir ahnen, daß hier ein verborgener Sinn vorliegen muß, der zu erschließen ist.

Die Wortverbindung „Gerechtigkeit Gottes“ (Luther allemal: „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“) kommt in der Grundsprache des Römerbriefes siebenmal vor: l, 17; 3, 5. 21, 22. 25 u. 26; dazu einmal im 2. Korintherbrief 5, 21. Aber auch anderwärts ist in mehreren Stellen der paulinischen Briefe, jedoch in anderer Umschreibung, von dieser Gerechtigkeit die Rede. Wir finden dort gesagt, daß damit nicht eine Eigenschaft Gottes, wie sie zu seinem eigensten Wesen gehört, gemeint sein soll, sondern die „Gerechtigkeit Gottes“, die dem sündigen Menschen, der sie nicht hat, aber besitzen muß, um mit Gott in Gemeinschaft treten zu können, als „Gabe“ dargeboten wird (5,15). Paulus hat die Bezeichnung „Gerechtigkeit Gottes“ nie anders als im Sinne der durch den Glauben zugerechneten Gerechtigkeit gebraucht.

Paulus weiß, was er sagt; seine Worte sind immer gewählt, zutreffend und genau. Er fürchtet auch nicht, mißverstanden zu werden, wenn er einen Ausdruck mit gegensätzlichem Sinn verwendet. Eine passendere Bezeichnung als „Gerechtigkeit Gottes“ konnte er nicht wählen, wenn er in ihr das im Evangelium verkündigte vollkommene Heil in Christus zusammenfassen und die Unantastbarkeit dieses Heils, dessen Rechtsgültigkeit und ewige Sicherstellung, damit wir des Heils gewiß würden, veranschaulichen wollte.

Gott ist gerecht. Das ist sein Wesen. Nach dieser seiner Gerechtigkeit muß er den schuldigen Sünder dem Verdammungsgericht überliefern. Von Rechts wegen kann dieser nichts anderes erwarten. Und doch verlangte das Menschheitsziel, das Gott sich gesetzt, die Rettung des sündigen Menschen, nicht seine Vernichtung, die ihn aber kraft der Gerechtigkeit Gottes treffen mußte. Wenn nun Gott helfen wollte, so konnte dies nicht anders geschehen, als auf einem Wege, wo das heilige Recht ungebeugt blieb und Gottes Gerechtigkeit gewahrt wurde. Wenn es ein Evangelium gibt, muß es so beschaffen sein, daß es mit Gottes Gerechtigkeit im Einklang steht. Im Evangelium muß Gottes eigenstes Wesen, seine Gerechtigkeit, restlos und ganz enthüllt werden. Dies ist geschehen. Aber wie?

Hell leuchtet bereits im mosaischen Gesetz, neben dem der unwandelbaren und unverrückten zehn Gebote, in dem von Gott geordneten Opferdienst ein Gottesgedanke auf, der schon in seinen ewigen Gottesrat aufgenommen war. Der setzte eine Tilgung menschlicher Schuld ins Werk, wobei das göttliche Recht der Vergeltung unangetastet blieb: der Gedanke der Stellvertretung. Dort war es im Schattenbilde - eine Weissagung auf eine einstige Erfüllung hin. In der Selbsthingabe Jesu als Opfer für die Sünden der Welt hat dieser Gedanke der Stellvertretung seinen vollen Sinn und seine ewig gültige Verwirklichung gefunden. An die Stelle schuldiger Menschen trat der Gottes- und Menschensohn ohne Fehl, der Gerechte für die Ungerechten. Ob dieser Gedanke der Stellvertretung von dem Verstande des Menschen gebilligt wird oder nicht, ist gleichgültig. Entscheidend ist allein, ob Gott als der einstige Richter diese Stellvertretung billigt und gutheißt. Er selber ist es aber, der sie angeordnet und in der Auferweckung seines Sohnes anerkannt und bestätigt hat.

'Golgatha ist Gerichtsstätte. Hier hat sich die Gerechtigkeit Gottes schonungslos ausgewirkt; nichts wurde dem Bürgen erlassen. Es ist erfüllt, was der Prophet sagt: „Zion muß durch Recht erlöst werden und seine Gefangenen durch Gerechtigkeit“ (Jesaja l, 27); anders würde die sittliche Weltordnung ins Wanken gekommen sein. Wenn irgendwo, dann hat sich auf Golgatha die Gerechtigkeit Gottes voll entladen und enthüllt. Nun ist Gott gerecht, daß er Sünden vergibt. Seine Gerechtigkeit verlangt es, denn die Zahlung ist geleistet. „Keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind“ (Römer 8,l).

Ist das aber alles? Der Apostel sagt: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden die Gerechtigkeit Gottes“ (2. Korinther 5, 21). Diese Gerechtigkeit Gottes ist mehr als Sündenvergebung. Mit ihr erhält der schuldige, nun aber begnadigte Sünder, jene Herrlichkeit zurück, deren er ermangelte, um Gemeinschaft mit Gott zu haben. Alle Werke Gottes sind vollkommen; sollte es nicht auch das der Erlösung in Christus sein? Gottes Ruhm besteht darin, den Menschen so zurechtzubringen und ihn zu der Höhe zu führen, wie sein Rat es erdacht hat: er sollte an seiner Wesenheit teilhaben. Der Weg ist derselbe, der göttliche, vollkommene Weg, den er nun beschritten in seinem Sohne.

Als wirkliches Glied der Menschheit ist der Sohn Gottes in diese eingetreten, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan. Zum ersten Male wandelte ein Mensch auf dieser Erde, von dem Gott vom Himmel her sagen konnte: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ (Markus l, 11; 9, 7.) Dieser Gottes- und Menschensohn, der in seiner Person und Geschichte die Verkörperung der Gerechtigkeit Gottes war, ist der neue Mensch, in dem Gott eine neue Menschheitslinie gesetzt hat; er ist der neue Adam, das neue Menschheitshaupt. Was sagt der Prophet von ihm? „Er, mein Knecht, der Gerechte, der viele gerecht macht“ (Jesaja 53, 11). Schon der Psalmist erklärt in prophetischem Geist: „Sie werden seine Gerechtigkeit predigen dem Volk, das geboren wird, daß er es vollbracht hat“ (Psalm 40, 10). Im Blick auf diese Gerechtigkeit, die von Gott herkommen werde, erhebt sich der Psalmist zu dem Jubel: „Wohl dem Volk, das jauchzen kann! Sie werden in deinem Namen fröhlich sein und in deiner Gerechtigkeit herrlich sein“ (Psalm 89, 16. 17). Warum das alles? Der Prophet sagt es: „Dies wird sein Name sein, daß man ihn nennen wird: Der Herr, unsere Gerechtigkeit!“ (Jeremia 23, 6.) Die Gerechtigkeit Gottes ist die Gerechtigkeit Jesu selbst. Paulus nimmt diesen Prophetenausspruch auf und sägt: „Er ist uns gemacht von Gott zur Gerechtigkeit“ (l. Korinther l, 30). Das heißt doch nicht weniger als das: Gott blickt auf die Seinen mit demselben Wohlgefallen, mit dem seine Augen auf dem Sohn seiner Liebe ruhen.

An denen, die einst vor Gottes Thron stehen werden, darf auch nicht ein Stäublein gefunden werden. Ohne Flecken, Runzel oder des etwas, heilig und ohne Fehl wird Jesus sie seinem Vater darstellen (Epheser 5, 27). Die Gerechtigkeit Gottes, geoffenbart im Evangelium, ist ihnen zuteil geworden. „Welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ (Römer 11, 33). Wir verstehen es, wenn der Apostel von dem Evangelium redet als einem Geheimnis Gottes; uns aber „ist es geoffenbart durch seinen Geist“ (l. Korinther 2,10).

Schon der Begriff „Gerechtigkeit Gottes“ besagt, daß diese Gerechtigkeit von Gott herkommt und daß sie daher uns nur geschenkweise zufallen kann, deswegen aber auch menschliche Zutaten nicht verträgt, die sie nur besudeln würden. Dieser Gedanke ist es auch, weshalb der Apostel für die vergebende Gnade Gottes die gefülltere Bezeichnung, „Gerechtigkeit Gottes“, die schon in alttestamentlichen Vorstellungen wurzelte, eigens „geformt und sie als bleibendes Gedankengut in sein Zeugnis vom Evangelium Christi aufgenommen hat. Deshalb führt er auch sofort, wo er seine lehrhaften Ausführungen im Römerbrief beginnt, diesen Gedanken ein: „In dem Evangelium von Christus wird geoffenbart die Gerechtigkeit Gottes, die da kommt aus Glauben zu Glauben“ (l, 17). Der Glaube ist nur die ausgestreckte Hand, die die Gerechtigkeit Gottes als eine Gabe annimmt; eine andere Bedeutung oder gar eine Heilsbedeutung hat der Glaube an sich nicht. Darf sich etwa ein Bettler damit ein Verdienst zuschreiben, daß er eine ihm dargebotene Gabe in Empfang genommen hat? Würde er damit seinen Wohltäter, der sie ihm dargereicht, nicht verhöhnen? Oder würde es diesem Bettler in den Sinn kommen, bevor er zu jenem Wohltäter geht, um sich bei ihm zu empfehlen, »ich mit den besten Kleidern auszustaffieren? Aber er hat sie auch nicht. Unsere Armut ist die beste Empfehlung bei Gott. Wenn es aber heißt: „aus Glauben zu Glauben“, so will der Apostel damit sagen, daß wir, solange wir leben, aus dem Bettlertum vor Gott nicht herauskommen.

Bemerkenswert ist, daß der Apostel, nachdem er jene Worte geschrieben, innehält und seine Rede unterbricht, um vorerst den Nachweis zu erbringen, daß Heiden und Juden unter der Sünde sind (1,18 bis 3, 20), um dann erst (3,21) den Faden wieder aufzunehmen: „Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit Gottes, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen und auf alle, die da glauben“ (22). Jene lange Einschaltung mit dem Erweis menschlicher Sünde mit all ihrem Jammer und ihrer Verdammungswürdigkeit sollte dartun, weshalb es zur Heilsverwirklichung für den Menschen gerade eines solchen Evangeliums bedarf, wie der Apostel es darzustellen im Begriff ist, nämlich den Erwerb der Gerechtigkeit Gottes, die allein auf Glauben gestellt ist und alles menschliche Verdienst ausschließt. Es ist der Glaube, der das Ja ist zu diesem Evangelium als rettende Gotteskraft - dies aber deswegen, weil es die Gerechtigkeit Gottes darbietet und damit einen Gottesverkehr einleitet, der vollkommen ist. Es ist nicht möglich, einen höheren Gedanken zu denken. Was der Apostel gegenüber den vorausgegangenen langen Ausführungen jetzt knapp und gedrängt in wenigen Versen (3, 21-26) sagt, gehört zu dem Größten und Weittragendsten, was er je geschrieben hat. Wir tun gut, diesem Schriftteil unsere ganze Aufmerksamkeit zu schenken.

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