Schmitz, Richard - Fleisch und Geist - Kapitel 5

Schmitz, Richard - Fleisch und Geist - Kapitel 5

An der Wegscheide der Ausführungen des Apostels, wo er einmal stillesteht und sowohl zurück, wie auch vorwärts schaut, befinden wir uns Römer 7,24 u. 25a: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich danke Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn.“ Während wir die zweite Hälfte von Vers 25, der den Schlüssel zum Verständnis von Römer 7,14 ff. in die Hand gibt, in Abschnitt III bereits vorweggenommen haben, sei es gestattet, bevor wir zu Kapitel 8 übergehen, den obigen Worten einige Bemerkungen zu widmen, da sie uns in die bewegte Seele des Apostels besonders tief hineinschauen lassen.

„Ich elender Mensch!“ Ein Klageschrei seines Herzens, wie wir ihn noch nie vernommen! Und doch verstehen wir ihn, wenn wir den Geständnissen, die er abgelegt, gefolgt sind. nach dem Grundtext hat der Ausruf einen noch herberen Klang: „O elender Mensch, der ich bin!“ Man merkt das Stoßweise, und jedes Wort hat einen Ton für sich. Das gebrauchte Wort für „elend“ kommt im Neuen Testament nur noch Offenbarung 3,17 vor: „Du weißt nicht, daß du bist elend.“ Es klingt ihm nach alle die Not, wo man sich abgearbeitet hat; denn das ist die Bedeutung dieses Wortes. Der Apostel zittert noch in Erinnerung der schweren Kämpfe, die ihn dazu gebracht haben, sein Letztes hinzugeben und sein eigen Leben auszuhauchen als ein Sterbender.

Die ganze Empfindung dieses „Elends“ legt er in eine Frage, die an sich widerspruchsvoll ist: „Wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes?“ Paulus will das Gute, den Gotteswillen hemmungslos ins Werk setzen, aber dazu müßte er von dem Leibe befreit sein, der ihm die Hemmungen bereitet; andererseits möchte er aber doch in einem handlungsfähigen Zustand sich befinden, den er sich nicht ohne Leib vorstellen kann!

Mit Absicht hat er die Unerfüllbarkeit eines Wunsches in eine Frage gelegt, - er, der von der Heiligkeit und Heilsamkeit des Gesetzes überzeugt und von einer Herzensfreude an demselben erfüllt ist. Diese Frage kann sich nur bei jemandem finden, der jene Umwälzung in seinem Inneren erfahren hat, durch die ein Zwiespalt hervorgerufen wurde, der nichts anderes ist als der Widerspruch zwischen einem mit dem Willen Gottes eins gewordenen Ich und einem noch anhaftenden widerstrebenden Fleisch, und somit zugleich als die starke Sehnsucht nach der Vollendung, die mit der Wiedergeburt gesetzt ist. Und er weiß es, daß die neue Natur einmal notwendig in der Herrlichkeit enden muß, weil sie von Gott stammt und zu Gott gehört. Nur ein Mann wie Paulus, der mit der ganzen Entschiedenheit seines Wesens für Gott Partei ergriffen, konnte diesen Widerspruch und diese Sehnsucht in eine Frage hineinlegen, wie wir sie vor uns haben.

Für das Wort „erlösen“ ist hier nicht das hierfür gebräuchliche Wort verwendet, sondern ein Wort, das so viel wie „herausreißen“, d.h. mit Gewalt, nämlich aus einer Gefahr, bezeichnet. Nach dem Zusammenhang ist der Sinn klar, wenn er die gefahrvolle Lage in der Verkoppelung mit dem „Leibe des Todes“ erblickt. Um der Sünde willen ist der Leib dem Tode verfallen, denn die Sünde hat ihn ruiniert (Kapitel 8,10); als „Beschützer“ und „Herbergsvater der Sünde“ (Köhner) hat er sich aufgespielt; er wird sein Urteil empfangen, und „seine Hinrichtung wird unsere Freiheit bringen“ (Bengel). Calvin sagt hier: „Paulus lehrt uns den Tod als das einzige Heilmittel gegen das Böse herbeisehnen, und dies ist in der Tat das einzig rechtmäßige Ziel, das man bei Herbeiwünschen des Todes vor Augen haben kann.“

Einstweilen läßt es der Apostel bei dieser Frage bewenden, um Kapitel 8,11 auf den Gegenstand zurückzukommen; aber in dieser Frage ist der Keim jener Hoffnung zu erkennen, der er in dem folgenden Kapitel so freudigen Ausdruck gibt. Gleichzeitig finden wir aber auch dort, daß der Apostel die Vollendung zusammenfallen läßt mit der Bekleidung jenes Geistleibes, in den Christus erhoben ist. Aus dem Umstande, daß der gegenwärtige Leib im Tode abgelegt wird, ist die ursprüngliche Gottesordnung, wonach auch der Leib ein wesentlicher Bestandteil des Menschen ist, keineswegs aufgehoben. Der Tod und mit ihm das stete Entstehen und Vergehen, das in der ganzen Schöpfung geschaut wird, ist einmal die offenkundige Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes (Psalm 90,7-9), dann aber für Wiedergeborene zugleich ein Erweis der Gnade Gottes, welche die Verkoppelung mit diesem Leibe der Hemmungen nicht zu ewiger Dauer erklärt hat. Alle Erwartungen gehen daher auf einen neuen Leib, der das hemmungslose Werkzeug für ein Leben sein wird, das anfangsweise durch den Heiligen Geist in der Widergeburt gepflanzt ist. In Kapitel 8,11 wird geradezu die Bekleidung mit dem neuen Leibe als ein Werk des Geistes Gottes dargestellt: „Derselbe Geist, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß sein Geist in euch wohnt.“

Stärker kann die Sehnsucht nach der neuen Geistleiblichkeit kaum ausgesprochen werden, als es in obiger Frage geschieht, die als ein Beweis dafür angesehen werden kann, wie brennend in dem Apostel das neue Leben loderte, das keine Halbheiten kannte und das in ihm zu einer ihn ganz beherrschenden macht geworden war. Daß er aber dasselbe durch einen unwürdigen und ihn demütigenden Widerstreit des Fleisches eingeengt und gehemmt fand, legt ihm diese Frage auf die Lippen. Das Verständnis für diese Frage konnte nur deswegen verkümmert werden, weil die starke Sehnsucht nach völliger Herrschaft des Geistes, die in dem Apostel lebte, vielfach zurückgetreten oder nicht mal vorhanden ist.

Es würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, wenn wir hier untersuchen wollten, wie der leibliche Tod, von dem hier geredet wird, nach der Schrift zu werden ist. Man legt ohne Zweifel zuviel in die Worte „Leib des Todes“ hinein, wenn man sagt, daß damit der „Sündenorganismus“ gemeint sei, wenn derselbe allerdings auch verborgen bei dem „Tod“ mitgedacht ist. Aber man muß sich fragen, warum der Apostel sich nicht anders und deutlicher ausgedrückt hat, während es zudem wörtlich heißt: „dieser Leib des Todes“, d.h. weil der Genetiv der Beziehung gebraucht ist. dieser zum Tode bestimmte Leib. Aehnlich hat der Apostel schon Kapitel 5,12-14 vom leiblichen Tode geredet, wie er auch Kapitel 8,10, also fast im unmittelbaren Zusammenhang sagt: „Der Leib ist um der Sünde willen tot, d.h. dem Tode verfallen,“ und hier unmißverständlich der leibliche Tod gemeint ist.

Eine Schwierigkeit könnte darin erblickt werden, daß der Apostel seine stärkste Sehnsucht und seine höchsten Erwartungen in der Auflösung eines ursprünglich vom Schöpfer gesetzten Verbandes, und zwar der Ablegung des Leibes, der doch nicht alleiniger Sitz der Sünde ist, erblickt. Wir dürfen jedoch auf 1. Korinther 15,37 und 2. Korinther 4,16 u. 5,1-10 verweisen, wo der Apostel über diese Sache sich näher ausspricht. Auffallend ist schon, daß Gott mit der Erneuerung des Menschen allein von innen anfängt und den Leib zunächst außer Betracht läßt; aber diese innere Erneuerung im Geiste des Nous (vergl. Epheser 4,23 und Kolosser 3,10) ist nicht vermögend, den irdischen Stoff des Leibes in den Geist zu erheben. Der von Adam her überkommene Leib ist psychisch = seelisch (1. Korinther 15,44), d.h. die Seele wurzelt im Blutleben, aus dem die Temperamente mit ihren besonderen Versuchungen erwachsen, weshalb der Apostel auch Vers 50 sagt: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben“ und weiter 2. Korinther 5,4 es offen ausspricht: „Solange wir in dieser Hütte sind, sehnen wir uns und sind beschwert.“ Seine ganzen Hoffnungen, aus dieser Beschwerung und Hemmung herauszukommen, setzt er auf den „pneumatischen“ = geistlichen und „himmlischen“ Leib, der im anderen Adam, dem Herrn vom Himmel, bereits zur Wirklichkeit geworden ist. Das starke Verlangen nach dieser Vollendung ist es, das der Apostel in diese Frage gelegt hat, - sei es durch Entrückung (Verwandlung) oder sei es durch Auferweckung am Tage des Herrn; immer geschieht es durch eine neue Macht- und Schöpfungstat Gottes. Der gegenwärtige Leib ist der Leib des Todes, weil er an sich unwiederherstellbar ist, und es auch hier heißt: „Siehe, ich mache alles neu!“ Und in bezug auf den Menschen nach seinem ganzen Bestande ist Muster und Ziel: Christus, das Ebenbild Gottes.

Der Apostel hat sich aber zur Aufgabe gestellt, darzutun, wie Gott vorgesorgt hat, auch schon hier in diesem Leibesleben unversehrt hindurchzukommen und dem vor ihm mitgeteilten neuen Leben zum Vollzuge zu verhelfen. Es eröffnet sich ihm eine Aussicht, die bestrahlt ist von einem Glanz der Gnade, die gegenüber aller Fleischesmacht obliegt, alles Seufzen und Leiden hienieden verklärt und dessen gewiß macht, daß nichts uns zu scheiden vermag „von der Liebe Gottes, die da ist in Christus Jesus, unserem Herrn“. Zu der Darlegung dieser Aussicht leitet der Apostel über durch einen Lobpreis, in den er alle Empfindungen hineinlegt, die ihn aufatmen lassen: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!“ Nach der von Tischendorf und Lachmann verbürgten Lesart gewinnt dieser Lobpreis noch einen stärker empfundenen Ausdruck: „Aber Gott sei Dank durch Jesus Christus unsern Herrn!“, - ein Lobpreis, der mit dem Apostel auf die Lippen aller Auserwählten gelegt ist und der in dem nun folgenden Kapitel 8 zu einem Hymnus ausklingt, dem in gleichem Siegeston kein anderer Schriftteil an die Seite zu setzen ist. Nachdem wir aus Römer 7 wissen, was wir sind in uns, sagt uns Römer 8, was wir besitzen in Christus, besser: was wir sind in ihm.

Quelle: Schmitz, Richard - Fleisch und Geist

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/schmitz/schmitz-fleich_und_geist-kapitel_5.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain